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1. Bei der Auslegung des Begriffs des Kindeswohls gem. §§ 1666, 1666a BGB ist, wie sich aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ergibt, ein Vorrang des Erziehungsrechts der Eltern zu berücksichtigen, in das der Staat nur im Rahmen seines Wächteramtes und nur unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - insbesondere wenn es um die Trennung des Kindes von seinen leiblichen Eltern geht - eingreifen darf. Vor diesem Hintergrund muss das elterliche Fehlverhalten oder Versagen gegenüber dem Kindeswohl eine gewisse Evidenz aufweisen.
2. Insbesondere gehört es nicht zum staatlichen Wächteramt, für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen; vielmehr gehören die Eltern und deren sozioökonomische Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes. Das Kind hat keinen Anspruch auf "Idealeltern" und eine optimale Förderung und Erziehung, so dass sich das staatliche Wächteramt auf die Abwehr von Gefahren für das Kindeswohl beschränkt.
3. Einer Gefährdung des Kindeswohls durch einen Wechsel des Kindes aus dem Haushalt seiner Pflegeeltern in den Haushalt der Kindesmutter wird hinreichend durch eine zu befristende Verbleibensanordnung gem. § 1632 Abs. 4 BGB entgegengewirkt.
4. Bei der Einschätzung, ob das Kindeswohl eines 4jährigen Kindes gefährdet wird, kann nicht außer Betracht bleiben, dass die Kindesmutter bisher ihr am 2.8.2010 geborenes weiteres Kind betreut und versorgt hat und das Jugendamt auf ausdrückliche Nachfrage erklärt hat, dass es insoweit ein Eingreifen nicht für erforderlich halte.
5. Zur Beteiligung des leiblichen Vaters des Kindes an dem Verfahren.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin (Kindesmutter) wird der am 20. De-zember 2010 erlassene Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht-Steinfurt abgeändert.
Der Antrag des antragstellenden Kreisjugendamtes T, der Kindesmutter die elterliche Sorge für den am 1.4.2007 geborenen N M zu entziehen, wird zurückgewiesen.
Es wird angeordnet, dass das betroffene Kind bis zum 30.6.2013 in seiner jet-zigen Pflegefamilie verbleibt.
Gerichtskosten werden für beide Instanzen nicht erhoben.
Seine außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
2I.
3Das Jugendamt verfolgt im vorliegenden Verfahren das Begehren, der am 16.5.1991 geborenen Antragsgegnerin das Sorgerecht für ihr nicht in einer Ehe geborenes Kind N M, geboren am 1.4.2007, zu entziehen. Vater des Kindes ist Herr C, mit dem die Kindesmutter ab ihrem 14. Lebensjahr bis Anfang 2008 befreundet war. Herr C lebt inzwischen in C3 und hat weder zu seinem Sohn N noch zur Kindesmutter Kontakt. Das Sorgerecht für N wurde allein von der Kindesmutter ausgeübt.
4Die Antragsgegnerin hat bis zu ihrer Einschulung bei ihren Eltern gelebt, die sich dann jedoch haben scheiden lassen. In der Folgezeit lebte sie zunächst bei ihrer Mutter und hatte zunächst alle 2 Wochen Umgang mit ihrem Vater. Diese Umgangskontakte schliefen schließlich für einen Zeitraum von ca. 5-6 Jahren vollständig ein. Erst mit 13 Jahren nahm sie wieder Kontakt zu ihrem Vater auf und zog im Alter von 14 Jahren - da es mit dem neuen Freund ihrer Mutter zu Schwierigkeiten kam - ganz zu ihrem Vater. Aber auch dort kam es zu Problemen mit der damaligen Freundin ihres Vaters, so dass sie noch einmal zu ihrer Mutter zurückzog. Nach einiger Zeit kam es jedoch wiederum zum Zerwürfnis mit dieser; sie zog endgültig aus der Wohnung ihrer Mutter aus und hielt sich in der Folgezeit zunächst in I auf. Da ihre Mutter eine Vermisstenanzeige aufgegeben hatte, wurde sie dort von der Polizei aufgegriffen und hielt sich anschließend bei ihrem Vater auf. Dort stellte sich heraus, dass sie schwanger war. Unter diesen Umständen wollte ihr Vater sie jedoch nicht auf Dauer bei sich behalten, so dass sie sich schließlich während ihrer Schwangerschaft mit N am 20.2.2007 in eine stationäre Mutter-Kind-Einrichtung des M1-Jugendheims U2 begab, da sie sich nicht in der Lage sah, ohne stationäre Unterstützung die Betreuung und Versorgung ihres Sohnes sicherzustellen. In dieser Einrichtung erwarb sie auch den Hauptschulabschluss und begann eine schulische Ausbildung zur Sozialhelferin, die sie jedoch in Folge ihres Aufenthaltsabbruches in der Mutter-Kind-Einrichtung nicht mehr abschließen konnte. Bis zum 10.2.2009 hielt sie sich in einer Einrichtung in J auf; im Zuge einer Verselbstständigungserprobung wechselte sie von dort aus gemeinsam mit ihrem Sohn in ein Apartment der M1-Kleinsteinrichtung für Mütter und ihre Kinder in J. Der Betreuungsverlauf war während dieser Zeit jedoch immer wieder durch Überforderungssituationen der Kindesmutter gekennzeichnet. Sie geriet in Krisen, welche sich durch Vernachlässigung in der Betreuung ihres Sohnes ausdrückten, insbesondere dann, wenn die Kindesmutter wieder eine neue Partnerschaft mit einem Mann eingegangen war, was offenbar des öfteren geschah. Insbesondere konnte sie keine Arzttermine für N eigenverantwortlich regeln, so dass diese begleitet und kontrolliert werden mussten. In der Einrichtung fiel auf, dass N übermäßig aß und das Essen in sich hineinstopfte, so dass der Eindruck entstand, das Kind kompensiere durch diese Verhaltensweise eine emotionale Unterversorgung. Im Kontakt mit N war die Kindesmutter schnell gereizt und genervt und setzte dem Kind enge Grenzen, in verschiedenen Situationen ließ sie N zurück, um weiter ihre eigenen Interessen zu verfolgen. N war viel innerhalb der Einrichtung sich selbst überlassen und musste sich an die Bedürfnisse seiner Mutter anpassen. Schließlich erklärte die Kindesmutter im Sommer 2009, aktuell nicht mehr für ihren Sohn N sorgen zu können und zu wollen und erklärte sich deshalb mit einer sofortigen Unterbringung des Kindes in einer Bereitschaftspflege einverstanden. Zu diesem Zeitpunkt war sie eine Beziehung zu Herrn U eingegangen, der bereits selbst zusammen mit einer früheren Bewohnerin der M1- Einrichtung ein Kind hatte. Nach dieser Erklärung der Kindesmutter wurde N am 15. 6. 2009 in einer Kurzzeitpflege mit Option zur Dauerpflege in einer Pflegefamilie untergebracht, wo er sich auch heute noch aufhält. Die (anonymen) Pflegeeltern sind ca. 40 und 32 Jahre alt, der Pflegevater ist in 2. Ehe verheiratet, die Pflegemutter ist syrischer Abstammung. Sie hatten zuvor an Elternseminaren teilgenommen und sich als Pflegeeltern beworben, da sie selbst - nach ihrer damaligen Einschätzung - keine eigenen Kinder bekommen konnten.
5Am 25. 6. 2009 beendete die Kindesmutter auf eigenen Entschluss hin den Aufenthalt in der Mutter-Kind-Einrichtung. In der Folgezeit lehnte N Besuchskontakte seiner Mutter zunehmend ab und wollte mit dieser auch nicht mehr spielen. Im Anschluss an diese - zunächst wöchentlich und sodann nur noch 14-tägig - stattgefundenen Besuchskontakte verhielt sich das Kind auffällig, verweigert Essen und Trinken und war erzieherisch kaum steuerbar. Im September 2009 gab die Kindesmutter schließlich zu verstehen, dass sie ihr Kind wieder zurückhaben wolle, weshalb das Jugendamt T mit Antragschrift vom 2.10.2009 beantragte, der Kindesmutter nunmehr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für N zu entziehen.
6Ab dem 1.11.2009 wohnte die Kindesmutter mit Herrn U, geboren am 18.11.1978, zusammen in einer Wohnung in M3, die vom Sozialamt getragen wurde. Herr U ist wegen Beschaffungskriminalität vorbestraft und war drogen- und alkoholsüchtig und hat eine Drogentherapie durchlaufen. Aus einer früheren Beziehung hat er bereits 3 Kinder sowie ein weiteres Kind mit einer ehemaligen Bewohnerin der M1- Mutter-Kindeinrichtung. Die Kindesmutter nahm an einer Maßnahme im Jugenddorf T "Lernen und Fördern" teil, Herr U war arbeitslos. Am 2.8.2010 wurde das zweite Kind der Antragsgegnerin O D geboren, dessen Vater Herr U ist.
7Im Januar 2011 trennte sich die Antragsgegnerin von Herrn U und zog zusammen mit ihrer Tochter O nach F, wo beide ohne weitere Mitbewohner eine eigene Wohnung bewohnen.
8Die Kindesmutter trat dem vom Jugendamt gestellten Antrag auf Entziehung des Sorgerechtes für N entgegen und führte hierzu aus, dass sie zwar zurzeit damit einverstanden sei, dass N weiterhin bei der Bereitschaftspflegefamilie lebe. Sie sei jedoch nicht damit einverstanden, dass dieser über kurz oder lang in eine Pflegefamilie integriert werde, da es ihr Ziel sei, N wieder zu sich zurückzuholen. Sie beabsichtige aber nicht, das Kind sofort zurückzuholen. Sie habe sich stets verantwortungsbewusst gezeigt und habe ihre Überforderungssituation auch frühzeitig selbst erkannt und sich deshalb in die Einrichtung des M1 begeben. Sie habe sich im Juni des Jahres 2009 von den Betreuern unter Druck gesetzt gefühlt und sei mit der ständigen Kontrolle durch diese überfordert gewesen. Deshalb habe sie sich damals mit einer Unterbringung des Sohnes in einer Bereitschaftspflegefamilie einverstanden erklärt.
9Das Amtsgericht beauftragte die Sachverständige Diplom-Psychologin M mit der Erstellung eines Gutachtens zur Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter, welches diese unter dem Datum des 16.9.2010 erstellte. Die Sachverständige führte unter anderem in ihrem schriftlichen Gutachten aus, dass die Pflegeeltern N gern bei sich behalten würden. Grundsätzlich spreche einiges dafür, dass durch einen inzwischen eingesetzten Reifungsprozess der noch sehr jungen Kindesmutter und durch eine verbesserte psychische Situation deren Erziehungsfähigkeit sich zum Positiven verändert habe. Allerdings könne aus den Untersuchungsergebnissen nicht abgeleitet werden, dass die Kindesmutter auch Erziehungs- und Betreuungssituationen mit erhöhten Anforderungen bewältigen könne. Aus familienpsychologischer, gutachterlicher Perspektive sei die Frage einer möglichen Rückführung des Kindes in ihren Haushalt allein am Kindeswohl festzumachen. N befinde sich seit über einem Jahr in der Pflegefamilie, was für ein jetzt dreijähriges Kind subjektiv eine gravierende Zeitdauer darstelle. Neben den hierdurch entstandenen Bindungen müsse berücksichtigt werden, welche Ressourcen N selbst habe, einen erneuten Bindungsabbruch zur Hauptbezugsperson zu bewältigen, da er ein deutlich vorgeschädigtes Kind sei. Er habe bereits neben einigen Vernachlässigungserfahrungen durch die Kindesmutter vor der Inpflegenahme einen plötzlichen, massiven Bindungsabbruch erlitten, da die Kindesmutter ihn von einem Tag auf den anderen abgegeben habe. Nunmehr habe er einen langen Prozess des Einlebens in der Pflegefamilie hinter sich gebracht, der mit starken emotionalen Verunsicherungen, Ängsten, affektiven und körperlichen Reaktionen und deutlichen Verhaltensauffälligkeiten einhergegangen sei. N müsste bei einer Rückführung die gesamten Prozesse des Einlebens und der Trennung noch einmal durchlaufen. Angesichts der Vorbelastung sei dies aus psychologischer Sicht ein die Psyche des Kindes extrem belastender Prozess, der zu starken akuten Stressreaktionen führen würde und die gesamte weitere psychoemotionale Entwicklung des Kindes als gravierender Risikofaktor stark negativ beeinflussen würde. Dazu komme, dass die Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter zwar wahrscheinlich für Basisbedürfnisse des Kindes gegeben sei, dass die gegebene notwendige Erziehungsfähigkeit für dieses Kind N aber sehr fraglich sei. Die Kindesmutter müsse eine stark erhöhte Sensibilität für das Kind haben; sie müsste ein hoch verhaltensauffälliges Kind, das extreme Zuwendung und Feinfühligkeit benötige, emotional auffangen. Die Familiensituation der Kindesmutter sei prognostisch aus psychologischer Sicht mit deutlichen Unsicherheiten behaftet, insbesondere auch durch den Partner Herrn U. Dieser habe sich bisher nie eine eigene, unabhängige, stabile Lebenssituation mit einer eigenen Wohnung und einer eigenen Arbeit aufgebaut, sondern sich vielmehr eher Lebenspartnerinnen angehängt. Für seine 4 Kinder aus früheren Beziehungen übernehme er überhaupt keinerlei Verantwortung. Jedenfalls müsste eine Rückführung N zu seiner Mutter zum Untersuchungszeitpunkt aus psychologischer Sicht als starke Kindeswohlgefährdung angesehen werden. Der zu erwartende Schaden für N sei weitaus höher, als er derzeit bei einem Verbleib in der Pflegefamilie gesehen werden könne. Eine Rückführung könne deshalb aus psychologischer Sicht nicht befürwortet werden.
10Der Vertreter des Jugendamtes hat sich diesem Ergebnis des Gutachtens angeschlossen und verweist darauf, dass keinesfalls ein erneuter Beziehungsabbruch für N herbeigeführt werden dürfe. Der Verfahrensbeistand Frau C2 hat in ihrer Stellungnahme ausgeführt, dass die Pflegeeltern in Bezug auf N sehr fürsorglich wirken würden und eine Rückführung des Kindes einen erneuten Bindungsabbruch darstellen würde. Es würde unter Abwägung aller Umstände N Wohl und seiner weiteren Entwicklung am besten entsprechen, wenn er dauerhaft in seiner jetzigen Pflegefamilie verbleiben könne.
11Durch am 20.12.2010 verkündeten Beschluss hat das Amtsgericht der Kindesmutter das Sorgerecht für N entzogen und es dem Jugendamt des Kreises T als Vormund übertragen. Zur Begründung hat es sich den Ausführungen der Gutachterin angeschlossen und hierzu ausgeführt, die Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter sei vor Abgabe ihres Kindes in den Bereichen Förderung und emotionale Zuwendung eingeschränkt gewesen. Derzeit sei es ihr gelungen, ein zunächst geregeltes Leben aufzubauen, indem sie eine eigene Wohnung angemietet habe und einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen sei. Nach der freiwilligen Abgabe von N habe dieser jedoch in seiner neuen Pflegefamilie Bindungen aufgebaut. Ein Bindungswechsel würde nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens vor allem die Psyche des Kindes extrem belasten und zu starken Stresssituationen führen. Auch sei die Familiensituation der Kindesmutter mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, insbesondere im Hinblick auf deren Partner.
12Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer rechtzeitig eingelegten Beschwerde. Sie rügt zunächst, dass die zwingend vorgeschriebene Anhörung des Kindes N nicht erfolgt sei. Des Weiteren sei der angegriffene Beschluss unverhältnismäßig und deshalb aufzuheben. Das Jugendamt habe zudem lediglich beantragt, Teilbereiche der elterlichen Sorge, insbesondere die Gesundheitsfürsorge, das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht, Hilfen zur Erziehung zu beantragen, der Kindesmutter zu entziehen. Aus welchen Gründen das Gericht über diesen Antrag hinaus den Entzug der gesamten elterlichen Sorge als erforderlich erachtet habe, ergebe sich jedenfalls nicht aus dessen Begründung. Die Begründung des Amtsgerichts stütze die getroffene Entscheidung nicht. Eine Verbleibensanordnung im Sinne des § 1632 IV BGB sei ein milderes Mittel gegenüber dem Entzug der elterlichen Sorge, für die Voraussetzung sei, dass eine Verbleibensanordnung nicht geeignet oder nicht ausreichend sei, um die bestehende Gefahr für das Kindeswohl abzuwenden. Ihr werde im angegriffenen Beschluss attestiert, dass sie ein geregeltes Leben aufgebaut habe. Ob und warum trotzdem nicht nur eine Verbleibensanordnung habe getroffen werden können, ergebe sich jedenfalls nicht aus dem Beschluss. Die Gutachterin sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es im Juni 2009 Einschränkungen in ihrer Erziehungsfähigkeit gegeben habe, jedoch einiges dafür spreche, dass ihre Erziehungsfähigkeit sich inzwischen zum Positiven verändert habe. Es sei auch widersprüchlich, dass anlässlich der Geburt der Tochter O im August 2010 und deren Betreuung durch sie keine Bedenken bezogen auf ihre Erziehungsfähigkeit beständen. Auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichtes habe das Jugendamt angegeben, dass es keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Säuglings gebe. Gutachterlich hätte auch zwingend die Frage der Erziehungsfähigkeit des Kindesvaters geklärt werden müssen, der überhaupt nicht am Verfahren beteiligt worden sei. Zwar sei es zutreffend, dass N nunmehr Bindungen an die Pflegeeltern aufgebaut habe; die lange Verfahrensdauer habe sie selbst jedoch nicht zu verantworten. Es sei spekulativ, dass die Rückführung des Kindes in ihren Haushalt zu einer extremen Belastung des Kindes führen würde.
13Die Antragstellerin beantragt,
14abändernd den Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und den Antrag des Jugendamtes zurückzuweisen.
15Das antragstellende Kreisjugendamt sowie der Verfahrensbeistand beantragen,
16die Beschwerde zurückzuweisen.
17Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat die Beteiligten im Termin vom 6.6. 2011 ausführlich angehört; wegen des Inhaltes der Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk vom selben Tage verwiesen.
18II.
19Gemäß Art. 111 FGG-RG sind auf das vorliegende Verfahren die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden. Die demnach gemäß §§ 58 ff FamFG zulässige - insbesondere form- und fristgerecht eingelegte - Beschwerde der Antragsgegnerin hat auch in der Sache Erfolg. Denn jedenfalls nach der weiteren Sachaufklärung, wie sie vor dem Senat erfolgt ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen für eine Entziehung des Sorgerechtes vorliegen. Allerdings war gemäß § 1632 Abs. 4 BGB der Verbleib N befristet bis zum 30.6.2013 im Haushalt seiner Pflegeeltern
20anzuordnen.
211.
22Die Entziehung der elterlichen Sorge - hier der allein bestehenden elterlichen Sorge der Kindesmutter - setzt gem. § 1666 Abs. 1 BGB voraus, dass das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes N gefährdet ist und die Mutter nicht gewillt oder in der Lage ist, die Gefahr abzuwenden. Dabei sind Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der Herkunftsfamilie verbunden ist, nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann, § 1666 a BGB. Das Kindeswohl ist im Sinne von § 1666 Abs. 1 BGB gefährdet, wenn eine gegenwärtige oder zumindest nahe bevorstehende Gefahr für seine Entwicklung vorliegt, die so ernst zu nehmen ist, dass sich eine erhebliche Schädigung seines - körperlichen, geistigen oder seelische - Wohls mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt, wenngleich die zu erwartenden schädigenden Folgen nicht unmittelbar bevorstehen müssen. Bei der Auslegung des Begriffs des Kindeswohls ist jedoch, wie sich aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt, ein Vorrang des Erziehungsrechts der Eltern zu berücksichtigen, in das der Staat nur im Rahmen seines Wächteramtes und nur unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – insbesondere, wenn es um die Trennung des Kindes von seinen leiblichen Eltern geht - eingreifen darf. Vor diesem Hintergrund muss das elterliche Fehlverhalten oder Versagen gegenüber dem Kindeswohl eine gewisse Evidenz aufweisen.
23Insbesondere gehört es nicht zur Ausübung des staatlichen Wächteramtes, für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen; vielmehr gehören die Eltern und deren soziökonomische Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes. Das Kind hat keinen Anspruch auf " Idealeltern " und eine optimale Förderung und Erziehung, so dass sich das staatliche Wächteramt auf die Abwehr von Gefahren für das Kindeswohl beschränkt. Keinesfalls kann es deshalb für eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ausreichen, dass es andere Personen oder Einrichtungen gibt, die zu Erziehung und Förderung eventuell besser geeignet wären als die leiblichen Eltern. Bei der Prüfung einer Kindeswohlgefährdung ist weiterhin zu berücksichtigen, dass Art. 8 EMRK das Recht auf Achtung des Familienlebens garantiert und Eingriffe des Staates nur unter engen Voraussetzungen zulässt. Dieses Gebot einer Achtung des Familienlebens führt dazu, dass der Staat bei der Vornahme von Eingriffen grundsätzlich so handeln muss, dass eine Fortentwicklung der familiären Beziehung zukünftig noch erfolgen kann; er hat geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um die Eltern und ihr Kind wieder zusammenzuführen. Auch der EuGHMR hat wiederholt darauf hingewiesen, dass allein der Umstand, dass ein Kind in einem für seine Erziehung günstigeren Umfeld untergebracht werden könnte, eine zwangsweise Trennung von seinen leiblichen Eltern nicht rechtfertigen kann, solange sich ein Eingriff in das Recht der Eltern nicht auf Grund anderer Umstände als unbedingt notwendig erweist ( EuGHMR, FamRZ 2002,1396). Maßnahmen, die das Kind aus seiner Ursprungsfamilie entfernen, dürfen von vornherein nur so durchgeführt werden, dass eine Rückführung des Kindes in seine Ursprungsfamilie noch möglich ist, sobald die Umstände dies erlauben.
242.
25Gemessen an den vorstehenden Kriterien vermag der Senat im vorliegenden Fall nicht davon auszugehen, dass nach den gegenwärtigen Verhältnissen eine Gefährdung des Wohles von N im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB zu besorgen ist, sofern es in Zukunft bei der elterlichen Sorge der Kindesmutter verbleibt. Eine Gefährdung des Kindeswohls durch einen Wechsel N aus dem Haushalt seiner Pflegeeltern in den Haushalt der Kindesmutter wird hinreichend durch die getroffene Verbleibensanordnung gemäß § 1632 Abs. 4 BGB entgegengewirkt; ein darüber hinausgehender Entzug der elterlichen Sorge gemäß § 1666 BGB ist nach Einschätzung des Senates nicht erforderlich.
26a) Zunächst wurden die Trennung des Kindes N von seiner Mutter und seine Unterbringung in einer Bereitschaftsfamilie im Juni 2009 durch das Verhalten seiner damals erst 18jährigen Mutter erforderlich, die selbst seine Fremdunterbringung beantragte. Zur damaligen Zeit lebte die Antragsgegnerin zusammen mit N in einer Mutter-Kind-Einrichtung des M1, sah sich jedoch durch die dort vorgegebene Reglementierung und Beaufsichtigung zunehmend überfordert, da sie ihre eigenen Interessen nicht (mehr) ausleben konnte. Sie hatte damals einen neuen Freund kennen gelernt und wollte unbedingt mit diesem zusammen sein, wobei ihr ganz offensichtlich ihr Kleinkind hinderlich und sie nicht mehr bereit war, unter Hintanstellung ihrer eigenen Bedürfnisse diejenigen ihres Kindes zu befriedigen. Zudem hatte sie sich in der Versorgung ihres Kleinkindes als unzuverlässig erwiesen und dieses teilweise unbeaufsichtigt gelassen, wobei vom Jugendamt damals auch nicht ausgeschlossen wurde, dass sich Bekannte der Kindesmutter möglicherweise gegenüber dem Kind körperlich übergriffig verhielten. Dieses Verhalten der Kindesmutter stellte sich zur damaligen Zeit als ein für Jugendliche und junge Heranwachsende, die sich in ihrer Elternrolle vor dem Hintergrund ihrer eigenen Jugend (noch) überfordert fühlten, nicht untypisches Versagen dar.
27b) Jedoch kommt es für die Entscheidung des Senats allein auf die gegenwärtigen Verhältnisse an, so dass für eine Aufrechterhaltung der angegriffenen Entscheidung eine fortdauernde Gefährdung des Kindeswohls in einem Ausmaß, welches eine weitere Trennung des Kindes von seiner Mutter rechtfertigt, noch feststellbar sein muss.
28(1) Die Sachverständige hat vor dem Hintergrund des - jedenfalls im Zeitpunkt ihrer Untersuchung im Sommer 2010, zu dem die Kindesmutter erst 19 Jahre alt war – damals bereits eingesetzten Reifungsprozesses der noch sehr jungen Kindesmutter und wegen deren verbesserter psychischen Situation angegeben, dass vieles dafür spreche, dass sich die Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter zum Positiven verändert habe und diese in der Lage sei, die Basisbedürfnisse ihres Kindes zu befriedigen. Auch sei sie bereit, diese Fähigkeiten unter Mithilfe einer sozialpädagogischen Familienhilfe weiter zu entwickeln. Einschränkungen beständen allerdings danach insoweit, als nicht festgestellt werden könne, ob sie auch Betreuungssituationen mit erhöhten Anforderungen bewältigen könne. Angesichts der bisherigen Lebensbiografie von N müsse die Kindesmutter bei einer Übersiedlung des Kindes in ihren Haushalt eine stark erhöhte Sensibilität für das Kind aufbringen und in der Lage sein, ein hoch verhaltensauffälliges Kind mit extremem Zuwendungsbedürfnis emotional aufzufangen. N werde bei einer Trennung von seinen Pflegeeltern ein sehr schwieriges Bindungsverhalten aufweisen. Außerdem sei die Familiensituation der Kindesmutter aus psychologischer Sicht im Hinblick auf ihren Partner als mit deutlichen Unsicherheiten behaftet einzuschätzen, da dieser ihr gerade kein stabiles Lebensumfeld bieten könne. Werde allein auf das Kindeswohl abgestellt, so sei die
29Übersiedlung des Kindes zu seiner Mutter als starke Kindeswohlgefährdung einzuschätzen; die hierdurch zu erwartenden Schäden bei dem bereits deutlich vorgeschädigten Kind seien weitaus höher einzuschätzen als bei einem weiteren Verbleib in der Pflegefamilie. Die (damaligen) Ausführungen der Sachverständigen sprechen demnach dafür, dass diese die Versorgungs- und Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter mittlerweile als ausreichend zur Erziehung und Betreuung eines " normalen" Kindes eingeschätzt hat, für sie allerdings fraglich sei, ob diese auch für das vorgeschädigte Kind N - insbesondere bei einem erneuten Beziehungsabbruch zu seinen Pflegeeltern - ausreichend seien.
30(2) Nunmehr hat die Sachverständige jedoch bei ihrer Anhörung durch den Senat konkretisiert, dass sie davon ausgehe, dass die Kindesmutter nicht über die notwendigen Fähigkeiten zur Erziehung ihres Kindes N bei dessen Wechsel in ihren Haushalt verfüge. Sie erscheine ihr auch heute noch oberflächlich und sehe offenbar nicht die Schwierigkeiten, die bei einer Rückführung von N in ihren Haushalt beständen. Nach ihrer Einschätzung würde das Kind nämlich in diesem Falle mit einem regressiven Verhalten, einem aggressiven Verhalten sowie einem distanzlosen Verhalten und Trennungsängsten reagieren, zu deren Bewältigung die Kindesmutter nicht in der Lage sei. Ihre Erziehungsfähigkeit schätze sie deshalb, bezogen auf dieses Kind, als gravierend eingeschränkt ein.
31Diese von der Sachverständigen bei ihrer mündlichen Anhörung durch den Senat nunmehr konkret für gegeben erachtete Erziehungsungeeignetheit der Kindesmutter, die in ihrer fehlenden Fähigkeit zu sehen sei, auf ein zu erwartendes Verhalten des Kindes N bei dessen Rückführung in ihren Haushalt angemessen zu reagieren, rechtfertigt im gegenwärtigen Zeitpunkt den Entzug des Sorgerechtes nach § 1666 BGB nach Einschätzung des Senates jedoch nicht. Hierbei verkennt der Senat nicht, dass Gerichte, die von den fachlichen Wertungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigengutachtens abweichen wollen - wozu sie grundsätzlich berechtigt sind -, anderweitige zuverlässige Grundlagen für die am Kindeswohl orientierte Entscheidung darlegen müssen. Das Abweichen bedarf daher einer eingehenden Begründung und des Nachweises eigener Sachkunde des Gerichtes (so BGH NJW 1997, 1446; BVerfG FamRZ 1999, 1417).
32Bei der von der Sachverständigen vorgenommenen Einschätzung ist zunächst zu berücksichtigen, dass diese die aktuelle Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter nicht konkret durch die Beobachtung von Interaktionen zwischen ihr und ihrem während des Begutachtungszeitraumes am 2.8.2010 geborenen weiteren Kindes O beurteilt hat, da dieser Aspekt der Betreuung eines Säuglings/Kleinkindes nach dem damaligen Willen des sie beauftragenden Amtsgerichtes und auch nach Ansicht des Jugendamtes ausgeblendet bleiben sollte. Die Sachverständige weiß also nicht, wie sich die Kindesmutter inzwischen konkret im Umgang mit Kleinkindern verhält und über welche Fähigkeiten sie bei deren Betreuung und Versorgung verfügt. Allerdings folgt der Senat der Sachverständigen uneingeschränkt insoweit, als die zu beurteilende Erziehungsfähigkeit in diesem Rahmen immer konkret auf ein bestimmtes Kind bezogen - und nicht allgemein - einzuschätzen ist.
33Die letzten Beobachtungen seitens der Sachverständigen zur Interaktion zwischen Mutter und N liegen inzwischen lange zurück, nämlich nahezu ein Jahr. Hinzu kommt weiter, dass die Kindesmutter bisher ihr am 2.8.2010 geborenes weiteres Kind O betreut und versorgt hat und das Jugendamt auf ausdrückliche Nachfrage erklärt hat, dass es insoweit ein Eingreifen nicht für erforderlich halte. Diese Betreuung und Versorgung erfolgte zwar zunächst zusammen mit ihrem damaligen Partner Herrn U, jedoch seit Anfang des Jahres nunmehr allein durch die Kindesmutter. Die Sachverständige hatte seinerseits die Familiensituation der Kindesmutter zu Herrn U als mit deutlichen Unsicherheiten behaftet angesehen, da die Person und das Erziehungsverhalten des damaligen Partners der Kindesmutter schwierig einschätzbar sei. Sie hat ihn als eine Person eingeschätzt, die sich eher Lebenspartnerinnen sucht, an denen sie sich anhängen kann, zumal jener selbst berichtet habe, dass es eher die Kindesmutter sei, die plane und mache. Deshalb spreche aus seiner berichteten Biografie nach Ansicht der Sachverständigen vieles für eine gewisse emotionale Instabilität und auch Unzuverlässigkeit des Herrn U, die aus psychologischer Sicht durchaus in belastenden Situationen / veränderten Lebensumständen wieder hervorbrechen könne. Nunmehr hat sich die Kindesmutter jedoch von diesem für sie - insoweit auch nach Einschätzung der Sachverständigen - letztlich unzuverlässigen Partner getrennt, was durchaus insoweit positiv gesehen werden kann, als die Kindesmutter die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen nunmehr uneingeschränkt zur Betreuung ihrer Kinder einsetzen kann. Nach Einschätzung des Senates kann ihr vor dem Hintergrund ihres noch immer jugendlichen Alters auch nicht vorgeworfen werden, dass sie vor rund einem Jahr ihre Zukunftsperspektive mit ihrem damaligen Partner zu positiv und damit beschönigend eingeschätzt hat.
34Schließlich hat die Sachverständige bei ihrer Anhörung durch den Senat auf konkrete Nachfrage ausgeführt, dass von ihr nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Kindesmutter die erforderliche Erziehungsfähigkeit zukünftig in einem Zeitraum von 2-3 Jahren unter Zuhilfenahme öffentlicher Hilfen entwickeln werde, da sie dies heute mit einer hinreichenden Sicherheit nicht prognostizieren könne. In diesem Punkt folgt der Senat jedoch wiederum der Sachverständigen, nämlich dass angesichts des noch jugendlichen Alters und des möglicherweise fortschreitenden Lernprozesses der Kindesmutter durch die Erziehung ihrer Tochter nicht prognostiziert werden kann, über welche erzieherischen Kompetenzen diese zukünftig nach einem Zeitablauf von 2 Jahren verfügen wird. Allein der Umstand, dass eine Herausnahme N aus dem Haushalt seiner Pflegeeltern im gegenwärtigen Zeitpunkt angesichts der gewachsenen Bindungen zu diesen und des mit der Herausnahme verbundenen erneuten Beziehungsabbruches sowie schließlich der gegenwärtig - nach Ansicht der Sachverständigen - gravierend eingeschränkten Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter eine Gefährdung des Kindeswohls im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB darstellt, rechtfertigt jedoch im jetzigen Zeitpunkt nicht den Entzug der elterlichen Sorge. Vielmehr stellt hier die Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB das mildere, ausreichende und vorrangige Mittel dar, einer Gefährdung des geistigen und seelischen Wohls N zu begegnen. Dies gilt vorliegend umso mehr, als auch die Kindesmutter selbst davon ausgeht, dass ein Wechsel N in ihren Haushalt zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich ist und zunächst eine behutsame Kontaktaufnahme zwischen ihr und N erfolgen muss. Vor diesem Hintergrund erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit lediglich, im Wege der Verbleibensanordnung den Aufenthalt N bei seinen Pflegeeltern jedenfalls für einen weiteren Zeitraum von noch 2 Jahren sicherzustellen. Innerhalb dieser Zeit muss im Zusammenwirken mit dem beteiligten Jugendamt durch ein regelmäßiges Umgangsrecht der Kindesmutter ein (engerer) Beziehungsaufbau zwischen ihr und N stattfinden. Gleichfalls ist die Kindesmutter in diesem Zeitraum in der Lage, durch die - insoweit hat sie ihre Bereitschaft mehrfach geäußert - Inanspruchnahme staatlicher Hilfen ihre Erziehungskompetenz zu verbessern, um so zukünftig auch N in ihren Haushalt aufnehmen zu können. Einer Gefährdung des Kindeswohls durch die Herausnahme aus dem Haushalt der Pflegeeltern wird deshalb derzeit durch die Verbleibensanordnung hinreichend Rechnung getragen; ein darüber hinausgehender Entzug der elterlichen Sorge ist gegenwärtig nicht zu rechtfertigen. Allerdings wird das Jugendamt, je näher der Zeitpunkt des Ablaufes der Verbleibensanordnung naht, eine am Wohl des Kindes N konkret orientierte Überprüfung vorzunehmen haben, ob einerseits die Bindungen der Kindesmutter an N inzwischen gefestigt sind und andererseits diese durch den eigenen Zuwachs an Erfahrungen in der Betreuung ihres Kindes O sowie durch Inanspruchnahme staatlicher Hilfeleistungen die notwendigen Fähigkeiten erworben hat, auf die - von der Sachverständigen dargelegten - zu erwartenden Verhaltensweisen des Kindes N bei dessen Rückführung in ihren Haushalt angemessen reagieren zu können. Nur wenn die Kindesmutter nach Ablauf dieser Zeit über derartige Fähigkeiten verfügt, wird es zu verantworten sein, dass die Rückführung des Kindes N in ihren Haushalt auch tatsächlich durchgeführt wird. Trotz wiedergewonnener Erziehungsfähigkeit der Mutter muss folglich zu diesem Zeitpunkt nochmals überprüft werden, ob eine bis dahin voraussichtlich erfolgte stabile Entwicklung des Kindes durch die Rückführung gefährdet würde, weil sie mit einer Unterbrechung der Bindung zu den Pflegeeltern, bei denen das Kind seit vielen Jahren lebt, einhergehen müsste.
353.
36Soweit das Amtsgericht schließlich den Kindesvater C völlig unberücksichtigt gelassen hat, ist jedenfalls nach Durchführung des Beschwerdeverfahrens hierin kein Verfahrensfehler (mehr) zu sehen. Zwar hat das Familiengericht, wenn es gemäß § 1626 a BGB der alleinsorgeberechtigten Mutter das Sorgerecht entziehen will, dem leiblichen Vater die elterliche Sorge zu übertragen, wenn dies dem Wohle des Kindes dient, § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.7.2010 (FamRZ 2010, 1403) zu den Rechten eines nichtehelichen Vaters ist insoweit keine positive Kindeswohlprüfung mehr durchzuführen, sondern nur eine (abgeschwächte) negative Kindeswohlprüfung, also ob Kindeswohlgesichtspunkte einer Übertragung des der Kindesmutter entzogenen Sorgerechtes auf den Kindesvater nicht entgegenstehen. Vorliegend kommt der leibliche Kindesvater allerdings tatsächlich nicht als Sorgeberechtigter für N in Betracht, da angesichts der nunmehr im Beschwerdeverfahren gezeigten Haltung des Kindesvaters Kindeswohlgesichtspunkte gegen die Übertragung des Sorgerechtes für N auf diesen sprechen. N kennt seinen leiblichen Vater nicht und hat bisher keinerlei Beziehung zu diesem aufbauen können. Hinzu kommt, dass jener offenbar überhaupt kein Interesse an dem Kind hat und selbst mitgeteilt hat, er sei "nur der Erzeuger des Kindes". Er hat auch - obwohl er zu diesem Zeitpunkt über den Gegenstand des Verfahrens und darüber, dass der Kindesmutter das Sorgerecht für N, also seinem Sohn, entzogen werden soll - deutlich zu verstehen gegeben, dass er mit dem Verfahren nichts zu tun haben wolle und überhaupt nicht am Verfahren beteiligt sei. Deutlicher kann aber kaum zu verstehen gegeben werden, dass ein Elternteil mit dem Kind nichts zu tun haben und insbesondere nicht das Sorgerecht für dieses
37übertragen erhalten will. Von daher stehen Kindeswohlgesichtspunkte einer Übertragung des Sorgerechtes auf den leiblichen Vater des Kindes gemäß § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB entgegen.
384.
39Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 87 Abs. 5, 81 FamFG; die Festsetzung des Gegenstandswertes findet ihre Rechtsgrundlage in § 45 Abs. 1 FamGKG.