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1. Zur Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und deren Übertragung auf einen Elternteil.
2. Von einer erneuten persönlichen Anhörung der beteiligten Kindeseltern gem. § 160 FamFG kann abgesehen werden, wenn weder neue - entscheidungserhebliche - Tatsachen vorgetragen sind noch eine Änderung der rechtlichen Gesichtspunkte eingetreten ist und auch nicht der Zeitablauf seit der amtsgerichtlichen Anhörung oder sonstige Gründe eine solche erneute Anhörung geboten erscheinen lassen.
3. Zum Verzicht auf die persönliche Anhörung des betroffenen Kindes gem. § 159 Abs. 1 und 3 FamFG aus schwerwiegenden Gründen.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
2I.
3Die Ehe der beteiligten Kindeseltern wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Ahlen vom 19.9.2002 geschieden. Aus der Ehe sind das betroffene Kind M2 und deren Bruder U hervorgegangen. Während der am 12.8.1993 geborene U im Haushalt des Antragsgegners lebt, lebt die am 29.3.1995 geborene M2 im Haushalt ihrer Mutter. Im vorliegenden Verfahren hat die Antragstellerin beantragt, ihr die elterliche Sorge für die gemeinsame Tochter M2 zur alleinigen Ausübung, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es gelänge den Kindeseltern nicht, Vereinbarungen unmittelbar untereinander zu treffen, zwischen ihnen sei eine Verständigung über Belange ihrer Tochter M2 nicht mehr möglich. Ohne nachvollziehbare Gründe verweigere der Kindesvater eine therapeutische Behandlung seiner Tochter, obwohl eine kontinuierliche ambulante Therapie zur Erleichterung der Verarbeitung der elterlichen Konflikte für M2 dringend geboten sei. Entgegen der getroffenen Elternvereinbarung werde M2 zudem an den Besuchswochenenden bei dem Antragsgegner immer wieder über familiäre Angelegenheiten befragt, es würden mit ihr Erziehungsansichten diskutiert und M2 werde kontinuierlich Gewissenskonflikten ausgesetzt.
4Demgegenüber verfolgt der Antragsgegner die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge und bestreitet, dass eine Verständigungsmöglichkeit mit der Kindesmutter nicht mehr möglich sei. Die Kindesmutter stürze M2 immer wieder durch die Missachtung der gemeinsamen elterlichen Sorge und eine negative Beeinflussung gegen ihn und seine Familie in Konflikte.
5Das Amtsgericht hat ein psychologisches Sachverständigengutachten des Diplom-Psychologen Dr. L eingeholt und sodann die elterliche Sorge für M2 durch einen am 29.3.2011 erlassenen Beschluss der Kindesmutter übertragen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwischen den Eltern würden auch in Beziehung auf das Kind M2 keine gegenseitigen Abstimmungen der Erziehungsziele erfolgen, so dass bei Fortbestehen der gemeinsamen elterlichen Sorge die stete Gefahr weiterer Loyalitätskonflikte für M2 bestehe. Deshalb sei die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben, um weitere Auseinandersetzungen der Eltern - und damit einhergehend schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls -zu vermeiden.
6Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner rechtzeitig eingelegten Beschwerde, mit der er eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge verfolgt. Er führt hierzu aus, das Gutachten des Sachverständigen Dr. L, auf das das Amtsgericht seine Entscheidung im Wesentlichen gestützt habe, beinhalte einerseits viele Widersprüche und enthalte zum anderen völlig andere Angaben als diejenigen, die vom Gericht in dem angegriffenen Beschluss zitiert würden. So führe das Gericht aus, die Kindesmutter sei aufgrund einer therapiebedürftigen Erkrankung nicht in der Lage, sich mit ihm auf sachlicher Ebene auseinanderzusetzen. Zudem hätte das Gericht der Antragstellerin die Verpflichtung auferlegen müssen, sich einer Therapie zu unterziehen, um eine Gesprächsbereitschaft mit ihm wiederherzustellen. Schließlich habe es lediglich pauschal ausgeführt, dass die Auseinandersetzungen zwischen den Eltern das Kindeswohl gefährden würden. In absehbarer Zukunft sei keine Entscheidung betreffend M2 zu treffen, die überhaupt zu streitigen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern führen könnte. Letztlich habe sich das Verhältnis zwischen ihm und M2 in letzter Zeit auch nicht verschlechtert.
7II.
8Die gemäß den §§ 58 ff FamFG, Art. 111 FGG-RG zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist in der Sache nicht begründet. Denn das Amtsgericht hat zu Recht die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind M2 T aufgehoben und diese der Kindesmutter zur alleinigen Ausübung übertragen. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und deren Übertragung auf die Kindesmutter zur alleinigen Ausübung sind vom Familiengericht mit zutreffender Begründung als gegeben erachtet worden; die Angriffe der Beschwerde hiergegen geben dem Senat keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung.
91. Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge entspricht vorliegend dem Wohl des Kindes M2 am besten, § 1671 Absatz 2 Ziffer 2 BGB. Die gemeinsame elterliche Sorge als Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung entspricht nämlich dann nicht mehr am besten dem Kindeswohl, wenn anzunehmen ist, dass sie wegen fehlender Kooperationsbereitschaft und Kooperationswilligkeit der Kindeseltern nicht "funktionieren" wird und die hierdurch entstehenden Schwierigkeiten dem Kindeswohl entgegenstehen (so BGH NJW 2000,103). Dies ist vorliegend nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, denen sich auch der Verfahrensbeistand angeschlossen hat, der Fall. Wie M2 bei ihrer Anhörung durch das Amtsgericht selbst ausgeführt hat, belasten sie die Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern ganz erheblich. Diese von dem betroffenen Kind wiedergegebene Einschätzung wird durch das Gutachten des Sachverständigen bestätigt. Der Sachverständige hat das Vorliegen einer lebensgeschichtlich erfahrenen und bislang nicht bearbeiteten Kränkung bei der Kindesmutter festgestellt, welche auch noch nach
10über zehn Jahren das Handeln der Kindesmutter maßgeblich steuern und derzeit deren Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Kindesvater verhindern würden. Der Konflikt zwischen den Kindeseltern dauere bereits seit Jahren an und sei inzwischen chronifiziert; die erlebten Kränkungen und psychischen Verletzungen der Kindesmutter könnten nicht mehr auf der Ebene von Beratungs- und Mediationsgesprächen beseitigt werden. Aus sachverständiger Sicht bestehe vor diesem Hintergrund jedenfalls keine Möglichkeit, die Kindeseltern kurz- oder langfristig durch Hilfe von Dritten zu befähigen, gemeinsame elterliche Entscheidung vorzubereiten, diese dann auch gemeinsam zu treffen und anschließend gemeinsam umzusetzen. Die Eltern seien derzeit nicht - auch nicht durch unterstützende Maßnahmen - in der Lage, konstruktiv im Sinne des Kindeswohls zu kommunizieren und zentrale Sorgerechtsentscheidungen für M2 gemeinsam zu treffen. Demgegenüber sei bei seiner Untersuchung deutlich geworden, dass M2 durch Umgangskontakte mit ihrem Vater in der Vergangenheit psychisch sehr belastet worden sei und ihr Vater durch sein Verhalten maßgeblich zur emotionalen Destabilisierung seiner Tochter beigetragen habe. Vor diesem Hintergrund ist die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben, da sie zukünftig nicht funktionieren wird und sie - wie die Vergangenheit gezeigt hat- immer wieder zu streitigen Auseinandersetzungen auf der Elternebene führen wird, wobei M2 in diese Auseinandersetzungen involviert und hierdurch psychisch belastet wird, was dem Kindeswohl abträglich ist.
112. Es ist auch kein Widerspruch darin zu erkennen, dass der Sachverständige einerseits bei der Kindesmutter keine signifikanten Hinweise auf das Vorliegen psychischer Störungen festgestellt hat, andererseits die Kindesmutter aufgrund erlebter gravierender psychischer Kränkungen in der Vergangenheit nicht bereit ist, sich mit dem Kindesvater auseinanderzusetzen und und in Fragen von Kindesbelangen mit diesem zu kommunizieren. Denn beide Feststellungen betreffen unterschiedliche Sachverhalte. Zudem kann - entgegen dem Beschwerdevorbringen - der Kindesmutter auch nicht quasi als milderes Mittel gegenüber der Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge die Durchführung einer Therapie aufgegeben werden, da für einen derart erheblichen Eingriff einer gerichtlich angeordneten Psychotherapie, der sich der betroffene Elternteil unterziehen soll, eine klare und unmissverständliche gesetzliche Grundlage fehlt (BVerfG, FamRZ 2011, 179).
123. Da somit die Voraussetzungen für eine sinnvolle Ausübung eines gemeinsamen Sorgerechtes für die Tochter M2 nicht mehr gegeben sind, hält es der Senat mit dem Amtsgericht aus triftigen, das Kindeswohl nachhaltig berührenden Gründen für geboten, die elterliche Sorge zur alleinigen Ausübung auf die Kindesmutter zu übertragen. Hierfür sprechen schon allein der Gesichtspunkt der Kontinuität sowie der Wille der bereits sechzehnjährigen Tochter M2; zudem hat sich der Kindesvater in der Vergangenheit im Kontakt mit seiner Tochter wenig einfühlsam gezeigt und durch sein Verhalten die psychische Gesundheit seiner Tochter gefährdet, indem er sie unter Druck gesetzt hat. Wie der Verfahrensbeistand in seinem aktuellen Bericht vom 1.7.2011 dargelegt hat, wünscht M2 derzeit keinen Kontakt zu ihrem Vater. Letztlich verfolgt der Kindesvater auch nicht die Übertragung der elterlichen Sorge auf sich zur alleinigen Ausübung, so dass auch schon aus diesem Grunde eine Übertragung auf ihn ausscheidet.
134. Von einer erneuten Anhörung der beteiligten Kindeseltern gemäß § 160 FamFG hat der Senat abgesehen, weil weder neue – entscheidungserhebliche - Tatsachen vorgetragen sind noch eine Änderung der rechtlichen Gesichtspunkte eingetreten ist und auch weder der Zeitablauf seit der amtsgerichtlichen Anhörung noch sonstige Gründe eine solche geboten erscheinen lassen. Zudem haben die Kindeseltern im Beschwerdeverfahren schriftlich Stellung genommen.
14Der Senat hat im vorliegenden Fall auch von der persönlichen Anhörung des betroffenen Kindes gemäß § 159 Abs. 1 und 3 FamFG aus schwerwiegenden Gründen abgesehen. Das Kind M2 ist sowohl von dem Sachverständigen als auch von dem bestellten Verfahrensbeistand mehrmals im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens ausführlich zu ihren Wünschen und ihren Beweggründen hierfür angehört worden; diese haben die ihnen gegenüber jeweils getätigten Äußerungen detailliert schriftlich dargelegt. M2 hat des Öfteren zum Ausdruck gebracht, dass sie unter dem Streit ihrer Eltern sehr leiden würde. Derzeit befindet sich M2 zu einer therapeutischen Maßnahme in der M-Klinik I und hat mitteilen lassen, dass es für sie gegenwärtig sehr wichtig sei, nicht weiter in die elterlichen Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden und selbst bestimmen zu dürfen. Angesichts der geäußerten Einstellung des Kindes und deren in der vergangenen Zeit durchgeführten Anhörungen durch Gericht, Sachverständigen und Verfahrensbeistand besteht - auch im Hinblick auf ihren gegenwärtigen Gesundheitszustand - die konkrete Gefahr, dass durch eine erneute persönliche Anhörung M1 durch den Senat diese in einer mit ihrem Wohl nicht zu vereinbarenden Weise psychisch belastet wird. Deshalb hat der Senat von der nochmaligen Anhörung M1 zur Vermeidung schwerwiegender psychischer Beeinträchtigungen abgesehen.
15Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 87 Abs. 5, 81 Abs.1, 84 FamFG.