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Untersuchungs- und Rügepflicht des Käufers gem. § 377 HGB trotz Vorlage eines Werkszeugnisses über die chemische Zusammensetzung der Kaufsache durch den Verkäufer.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 18. November 2009 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
2I.
3Gemäß § 540 I ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt.
4Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.
5Sie rügt, dass entgegen der Ansicht des Landgerichts § 377 HGB hier unanwendbar sei. Wenn abredegemäß ein Werkstoffzeugnis des Verkäufers mitgeliefert werde, sei die Klägerin nicht mehr zur nochmaligen eigenen Prüfung verpflichtet. Das sei nicht branchenüblich. Ferner ergänzt die Klägerin ihren Vortrag zum Schaden.
6Die Klägerin beantragt,
71) abändernd die Beklagte zu verurteilen, an sie 38.060,48 € nebst Zinsen in
8Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.7.2008 sowie
92) 1.192,60 € vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5
10Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
11Die Beklagte beantragt,
12die Berufung zurückzuweisen.
13Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
14II.
15Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
16Der Klägerin steht aus dem unstreitigen Handelskauf kein Anspruch auf Schadensersatz nach den §§ 433, 434 I 1, 437 Nr. 3, 440, 280, 281 BGB gegen die Beklagte zu.
17Auf einen allein in Betracht kommenden Mangel des gelieferten Stahls, weil dessen Kohlenstoffgehalt über den vereinbarten 0,05 % liege, kann sich die Klägerin nicht mehr berufen, weil die Lieferung mangels rechtzeitiger Rüge nach § 377 II HGB als genehmigt gilt.
18Gegen diesen Standpunkt, den das Landgericht aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens eingenommen hat, bestehen keine konkreten Zweifel, die erneute Feststellungen durch den Senat erfordern (§ 529 I ZPO).
191. Dass sich das Landgericht nicht mit einer Beschaffenheitsgarantie der Beklagten für den Kohlenstoffgehalt befasst hat, ist unschädlich. Auf Ansprüche aus einem selbständigen Garantievertag findet zwar die mit der Gewährleistung in engem Zusammenhang stehende Bestimmung des § 377 HGB keine Anwendung; allerdings ist eine Garantieübernahme im Zusammenhang mit bestimmt vereinbarten Eigenschaften der Kaufsache nur mit Vorsicht anzunehmen (BGH WM 1977, 365), und hier abzulehnen. Dass die Beklagte den Kohlenstoffgehalt garantiert hätte, trägt die Klägerin selbst nicht vor. In ihrem prozessualen Vorbringen ist von einer spezifizierten Beschaffenheitsvereinbarung die Rede bzw. vorprozessual von einer zugesicherten Eigenschaft. Beides stellt nunmehr Fälle von § 434 I 1 BGB dar, nicht aber überdies eine Garantie. Es läge unter den beteiligten Kaufleuten auch nahe, dass eine Garantie ausdrücklich und namentlich schriftlich vereinbart worden wäre, wenn sie gewollt gewesen wäre. Dafür liegt nichts vor.
202. Eine verspätete Rüge der Klägerin ergibt sich andererseits nicht nach Nr. IX. 1) AGB der Beklagten (Bl. 55 d.A.).
21Es handelt sich um eine Rügeverschärfung über § 377 HGB hinaus. Fragen der wirksamen Einbeziehung stellen sich schon deshalb nicht, weil die Klausel nach § 307 I, II BGB, die auch unter Kaufleuten gelten, unwirksam ist. Die unterschiedslos ohne Rücksicht auf Erkennbarkeit von Mängeln statuierte Pflicht zur unverzüglichen Rüge nach Eingang der Ware führt zu einem Ausschluss jeder Haftung für versteckte Mängel (Baumbach/Hopt, HGB, 39. A., § 377 Rz. 58 m.w.N.).
223. Die Rüge war aber nach § 377 HGB verspätet.
23Für die Rechtzeitigkeit von Untersuchung und Rüge hat die Klägerin als Käuferin die Darlegungs- und Beweislast. Unstreitig erfolgte nach den streitgegenständlichen Lieferungen vom 20. und 29.8.2007die Rüge der Klägerin erst am 20.2.2008, also etwa sechs Monate später. Da es sich bei dem Kohlenstoffgehalt im Rechtssinne um einen offenen Mangel handelte, war das zu spät.
24Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BGH MDR 1970, 128) liegt ein offener Mangel im Sinne des § 377 I, II HGB vor, wenn er entweder bei der Ablieferung offen zutage tritt -was hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung nicht der Fall ist- oder -wie hier- bei einer sachgemäß durchgeführten Untersuchung, soweit diese nach ordnungsgemäßem Geschäftsgang tunlich war, alsbald nach der Ablieferung hätte festgestellt werden können. Dabei lässt sich nicht allgemein gültig festlegen, welche Anforderungen an eine derartige Untersuchungspflicht zu stellen sind, insbesondere ob und unter welchen Voraussetzungen von einem Käufer die Durchführung einer chemischen Analyse verlangt werden kann.
25Ist eine Vereinbarung dazu getroffen, kommt es auf diese an. Die Klägerin will nunmehr aus der getroffenen Abrede gemäß Auftragsbestätigung mit ‚Zeugnis: 2.3 EN 10204‘, wonach die Beklagte Werkszeugnisse über die chemische Zusammensetzung des Stahls mitzuliefern hatte (Bl. 45 d.A.) und mit dem Inhalt mitgeliefert hat: ‚Es wird bestätigt, dass die Lieferung den Anforderungen der Lieferbedingung entspricht‘, herleiten, dass sie deshalb konkludent nicht mehr zu einer eigenen chemischen Untersuchung verpflichtet gewesen sei. Das durfte die Klägerin indessen nicht so verstehen. Der Senat hat in einem vergleichbaren Fall (BB 1986, 363 f. m. zust. Anm. Henseler) bereits erkannt, dass der Verkäufer sich schlicht verpflichtet hat, die Ware mit Prüfzeugnis zu liefern, womit keine Garantie oder Zusicherung für dessen Richtigkeit übernommen ist. Die Klägerin konnte sich nicht ohne weiteres darauf verlassen. Die Prüfbescheinigung konnte ebenso unrichtig sein, wie die Lieferung nicht vertragsgemäß (ebenso Steckler, BB 1995, 469 (474) unter Verweis auf BGH MDR 1970, a.a.O.). Übereinstimmend damit hat der erkennende Senat ferner -vom BGH bestätigt- (19 U 174/05, Urt. v. 28.4.2006 S. 9) entschieden, dass sich der Käufer nicht unbesehen auf Verkäuferangaben zum chemischen Anteil eines bestimmten Elements verlassen darf, wenn gerade dieser -wie auch hier- zentrale Bedeutung und negative Auswirkung für die vorgesehene Verarbeitbarkeit des Stahls hat. In beiden Entscheidungen hat der Senat weiter ausgeführt, dass ein Werkszeugnis auch dann eine Untersuchung durch den Käufer nicht überflüssig macht, wenn hohe Mangelfolgeschäden drohen und die Untersuchung mit relativ einfachen Mitteln durchgeführt werden kann, was hier der Fall ist (s.u.). Selbst wenn man im Werkszeugnis noch eine zugesicherte Eigenschaft sähe, unterfällt das ebenfalls der Untersuchungs- und Rügepflicht nach § 377 HGB (BGH, a.a.O.).
26Mangels anderer Vereinbarung ist regelmäßig darauf abzustellen, welche in den Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsganges fallenden Maßnahmen einem ordentlichen Kaufmann im konkreten Einzelfall, der hier also im Besitz des Prüfzeugnisses des Verkäufers ist, unter Berücksichtigung auch der schutzwürdigen Interessen des Verkäufers zur Erhaltung seiner Gewährleistungsansprüche zugemutet werden können. Dabei sind nicht die persönlichen Verhältnisse des Käufers und seine Anschauungen maßgebend; vielmehr kommt es auf die objektive Sachlage und die allgemeine Verkehrsanschauung, wie sie sich in der Branche in Betrieben vergleichbarer Art gebildet hat, an. Die Vorschriften über die Mängelrüge dienen in erster Linie den Belangen des Verkäufers. Er soll, was zugleich dem allgemeinen Interesse an einer raschen Abwicklung der Rechtsgeschäfte im Handelsverkehr entspricht, nach Möglichkeit davor bewahrt werden, sich noch längere Zeit nach der Ablieferung Gewährleistungsansprüchen, die dann nur noch schwer feststellbar sind, ausgesetzt zu sehen. Dabei kann sein schutzwürdiges Interesse an einer alsbaldigen sorgfältigen Untersuchung durch den Käufer dann besonders groß sein, wenn er bei bestimmungsgemäßer Weiterverarbeitung der mit zu hohem Kohlenstoffgehalt fehlerhaft zusammengesetzten Kaufsache mit hohen Schäden rechnen muss. Hier kamen über die von der Klägerin geltend gemachten Schäden hinaus solche infolge übermäßiger Abnutzung ihrer Stanzgeräte in Betracht, wie der Sachverständige festgestellt hat, ferner Schäden der Abnehmer der Klägerin, wenn der Mangel nicht rechtzeitig bemerkt wurde; hinzu kam der drohende Beweisverlust, für den gerade der vorliegende Fall mit seiner hochstreitigen Frage, ob die im Nachhinein überprüften Proben authentisch sind, beispielhaft ist.
27Andererseits hat der BGH (a.a.O.) darauf hingewiesen, dass im Rahmen einer sachgemäßen Interessenabwägung zwischen Käufer und Verkäufer die Anforderungen an die Untersuchungspflicht nicht überspannt werden dürfen. Kosten und Zeitaufwand für die Untersuchung, das Erfordernis eigener technischer Kenntnisse für ihre Durchführung und die Notwendigkeit, besondere technische Vorkehrungen für sie zu treffen oder die Untersuchung durch Dritte vornehmen zu lassen, sind für die Beurteilung, ob eine Untersuchung in einem Betrieb wie dem des Käufers tunlich ist, bedeutsam. Die Durchführung einer gemäß Sachverständigengutachten jeweils nur Kosten von 50 € verursachenden und binnen 24 Stunden bei einem Fremdlabor zu beschaffenden Analyse war für die Klägerin sicher eher zumutbar als die Hinnahme der alternativ allseits drohenden Folgen der dargestellten Art. Auch in den Produktionsprozess gemäß näherer Darstellung in der Berufung war dies einzubinden. Wenn die Klägerin erst mit einem Probelauf begann, konnte die Materialprobe parallel erledigt werden, für etwas Anderes fehlen Anhaltspunkte.
28Dass in der einschlägigen Stahlbranche keine eigene Untersuchung erfolge, wenn der Verkäufer ein Werkszeugnis mitliefert, hat die Klägerin angesichts des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen Dr. E in erster Instanz nicht bewiesen. Seine Feststellungen aufgrund 30-jähriger, eigener Erfahrung besagen eindeutig, dass eine eigene Untersuchung durch den Käufer in einem vergleichbaren Betrieb auch dann üblich sei, wenn er über das Werkstoffprüfzeugnis des Verkäufers verfüge. Dabei war dem Sachverständigen die abweichende Stellungnahme des Privatgutachters der Klägerin, Q, inhaltlich bekannt. Er hat in Kenntnis dessen ausdrücklich an seiner Einschätzung festgehalten, wie aus dem Protokoll der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz hervorgeht. Anhaltspunkte für Zweifel liegen für den Senat hierzu nicht vor. Namentlich ist nicht die Einholung eines Obergutachtens angezeigt, weil nicht ersichtlich ist, dass der Sachverständige von falschen Tatsachen ausgegangen wäre oder ein anderer Gutachter über bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügen würde.
29Allerdings könnte der Klägerin das Unterlassen einer Probe nur dann zum Nachteil gereichen, wenn die sachgemäße Durchführung einer derartigen Untersuchung mit Sicherheit zur Feststellung des Mangels geführt hätte, also Ursächlichkeit gegeben ist (BGH a.a.O.). Das war hier nach eigenem Vortrag der Klägerin der Fall, wobei dahinstehen kann, in welchem genauem Umfang Stichproben von ihr zu erwarten gewesen sind: Da das gelieferte Material durchweg einen zu hohen Kohlenstoffgehalt aufgewiesen haben soll, hätte schon jedwede, gemäß Sachverständigengutachten zumindest vom Ende jedes Coils entnehmbare Stichprobe den Mangel aufgedeckt und Anlass zur weiteren und genaueren Untersuchung gegeben.
30III.
31Die Entscheidungen zur Kostentragung und vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 97 I, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
32Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gemäß § 543 II ZPO nicht vorliegen.