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Auf die Berufung des Klägers wird das am 01.04.2009 verkündete Urteil der 6. Zivil¬kammer des Landgerichts Bochum abgeändert.
Der Beklagte wird zusätzlich verurteilt, an den Kläger 28,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.05.2008 zu zahlen.
Ferner wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen weiteren immateriellen und sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die fehlerhafte Behandlung des Beklagten am 04.12.2006 entstanden ist oder noch entstehen wird, den materiellen Schaden allerdings nur insoweit, als er nicht auf Sozialversicherungs-träger oder sonstige Dritte übergegangen ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz werden von dem Kläger zu 83 % und von dem Beklagten zu 17 % getragen.
Die Kosten der zweiten Instanz werden von dem Kläger zu 64 % und von dem Beklagten zu 36 % getragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
2I.
3Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§§ 540 Abs. 1 Nr. 1, 313a Abs. 1, 543, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO). Ergänzend wird auf das Vorbringen der Parteien in den zweitinstanzlichen Schriftsätzen verwiesen. Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. C2 nochmals mündlich angehört. Es wird insoweit auf den Berichterstattervermerk vom 19.02.2010 verwiesen. Im Übrigen ergeben sich die weiteren Einzelheiten aus den nachfolgenden Ausführungen.
4II.
5Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache nur teilweise Erfolg. Die Anschlussberufung des Beklagten ist unbegründet.
61.
7Dem Kläger steht gegen den Beklagten aus Anlass seiner operativen Behandlung vom 04.12.2006 ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gemäß den §§ 823 Abs. 1, 831, 249, 253 Abs. 2 BGB zu.
8Soweit zwischen den Parteien streitig ist, ob ein ärztlicher Behandlungsvertrag unmittelbar zwischen dem Kläger und dem Beklagten zustande gekommen ist, oder ob der Beklagte lediglich als Angestellter des X Zentrums E2 (X) tätig geworden ist, dem auch die Belegbetten im St. Y-Krankenhaus zugewiesen waren, bedarf es keiner Entscheidung, da jedenfalls eine deliktische Haftung des Beklagten gegeben ist.
9a) Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Kläger bei dem operativen Eingriff vom 04.12.2006 durch den Beklagten fehlerhaft behandelt worden ist, weil Metallteile im Körper des Klägers zurückgelassen worden sind.
10Insoweit hat der Senat nach den Ausführungen des Sachverständigen keine Zweifel, dass beim Vernähen der Wunde im Anschluss an die vom Beklagten durchgeführte Operation Ösen von Nähnadeln abgebrochen und im Körper des Klägers zurückgeblieben sind. Der Sachverständige hat anhand einer vom Senat in Augenschein genommenen vergleichbaren Nadel deutlich gemacht, dass es ohne weiteres passieren kann, dass beim Herausziehen der Nadel während des Vernähens einer Wunde die Ösen abbrechen und im Körper zurückbleiben können. Der Sachverständige hat die beiden Ösen auf den vorhandenen kernspintomographischen Aufnahmen vom 14.03. 2007 und Röntgenbildern vom 24.10.2007 lokalisiert und konnte sie wegen ihrer Form und örtlichen Nähe zum Operationsgebiet auf Höhe L 4/5 eindeutig der Operation des Beklagten zuordnen.
11Das Abbrechen und Zurücklassen der Nadelösen war auch behandlungsfehlerhaft, soweit es von dem Beklagten nicht bemerkt und dokumentiert worden ist.
12Dem Beklagten ist danach nicht das Abbrechen der Nadelösen selbst zur Last zu legen, da dies jederzeit vorkommen kann und vom Operateur nicht beherrschbar ist. Nach den Angaben des Sachverständigen, denen der Senat folgt, ist es auch nicht fehlerhaft, die Ösen in einem derartigen Fall im Körper zu belassen. Die Ösen sitzen bei dem Beklagten nicht unter der Haut, sondern im Unterhautfettgewebe und haben 2-3 cm Polster, so dass sie keine Beschwerden verursachen können. Im Hinblick auf die Schwierigkeit, die sehr kleinen Ösen im Körper zu lokalisieren und das generelle Risiko eines operativen Eingriffs besteht nach den Angaben des Sachverständigen aus medizinischer Sicht auch keine Indikation, diese zu entfernen.
13Das Abbrechen der Nadelösen muss aber bemerkt und ordnungsgemäß dokumentiert werden, insbesondere dann, wenn die Metallteile im Körper des Patienten belassen werden. Der Patient ist über das Zurückbleiben zu informieren. Hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, dass es dem Operateur normalerweise auffallen muss, wenn eine Nadelöse abbricht, da in diesem Fall der Faden nicht mehr in der Nadel gehalten wird. Falls aber der Faden noch an der blutigen Restnadel hängt oder es der letzte Faden war und die Schwester die Nadel weglegt, bemerkt der Operateur das Abbrechen der Ösen während des Eingriffs ggf. nicht. Es gehört aber zu den chirurgischen Grundprinzipien, sämtliche Instrumente nach einer Operation auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen. Das Nichtbemerken des Nadelbruchs fällt danach in jedem Fall in den Verantwortungsbereich des Beklagten.
14Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte seine Verantwortung nicht auf die Pflegekraft abwälzen kann. Es ist nach den Ausführungen des Sachverständigen zwar grds. Sache der OP-Schwester, die verwendeten Geräte und Nadeln nach dem Eingriff auf Vollständigkeit zu überprüfen. Dem Beklagten obliegt als Operateur aber die Leitung der Operation. Insoweit muss er die Zählkontrolle anordnen, überwachen und ggf. die Intaktheit der Instrumente selbst mit überprüfen. In jedem Falle hätte er die Pflegekraft bei der Kontrolle ordnungsgemäß beaufsichtigen und sich erkundigen müssen, ob alle Instrumente vollständig sind. Die Anordnungs- und Überwachungspflichten des Beklagten als verantwortlichem Operateur sowie dessen maßgebliche Verantwortlichkeit für das Nichtbemerken eines Instrumentenbruchs entfallen auch nicht im Rahmen der arbeitsteiligen Medizin. Es ist danach vorliegend von einem eigenen Versäumnis des Beklagten auszugehen, dem überdies etwaiges Fehlverhalten der Pflegekraft bei der Zählkontrolle nach § 831 BGB zuzurechnen ist. Diese ist für die unmittelbar in Zusammenhang mit der Operation durchgeführten Tätigkeiten als Verrichtungsgehilfin des Beklagten als verantwortlichem Operateur anzusehen.
15b) Der vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeldbetrag von 800,00 € ist zum Ausgleich der als Folge des festgestellten Behandlungsfehlers eingetretenen und feststellbaren Beeinträchtigungen des Klägers angemessen, aber auch ausreichend.
16Das Schmerzensgeld hat die Funktion, dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden zu bieten und ihn in die Lage zu versetzen, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, welche die erlittenen Beeinträchtigungen jedenfalls teilweise ausgleichen. Ferner soll das Schmerzensgeld dem Geschädigten Genugtuung für das verschaffen, was der Schädiger ihm angetan hat, wobei bei ärztlichen Behandlungsfehlern dem Grad der Fahrlässigkeit in der Regel untergeordnete Bedeutung zukommt (vgl. Palandt-Heinrichs BGB § 253 Rdn. 11; OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, 87). Im Vordergrund steht danach die Ausgleichsfunktion mit der Folge, dass für die Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes in erster Linie Umfang und Auswirkungen der körperlichen Schädigung maßgeblich sind. Zu beachten sind daher die Beeinträchtigungen und Schmerzen, die der Geschädigte zu ertragen hatte, die Intensität und Dauer der Gesundheitsschädigung und die daraus resultierenden Folgen für die Lebensführung, die Lebensqualität und das persönliche Schicksal des Geschädigten.
17Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund der in seinem Körper verbliebenen Metallteile nur geringfügige Folgen und Beeinträchtigungen hat erleiden müssen. Der Sachverständige hat überzeugend festgestellt, dass die vom Kläger geschilderten Beschwerden ihre Ursache in den vielfachen Operationen und daraus resultierenden Narben haben, nicht aber in den zwei winzigen Nadelösen. Diese sitzen an einer Stelle des Körpers und so weit unter der Haut, dass sie keine Schmerzen verursachen können. Für die Schmerzen des Klägers sind vielmehr dessen Grundleiden im Rückenbereich und vor allem die Narbe verantwortlich. Es ist nach den Ausführungen des Sachverständigen allenfalls möglich, dass etwa bei Druck auf die Knochenhaut ein zusätzlicher Reiz auftritt. Ferner beeinträchtigen die durch die Ösen hervorgerufenen Schatten das MRT, wobei sich die Schatten in einem Bereich befinden, der diagnostisch nicht relevant ist, wobei allerdings ein Summationseffekt mit dem Schatten der Prothese auftritt. Schließlich ist zu beachten, dass der Kläger unter dem Gefühl leidet, dass in seinem Körper nun Fremdkörper vorhanden sind.
18Diese Beeinträchtigungen und Einschränkungen rechtfertigen das zuerkannte Schmerzensgeld, aber keinen über die zugesprochenen 800,00 € hinausgehenden Betrag. Die auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 9.000,00 € gerichtete Berufung des Klägers war danach zurückzuweisen.
19c) Der Kläger hat darüber hinaus aber gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 28,10 €. Insoweit stellen die dem Kläger in Rechnung gestellten Kosten für das Kopieren der benötigten ärztlichen Behandlungsunterlagen einen ersatzfähigen Schaden dar.
20d) Demgegenüber kann der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung vorgerichtlich entstandener, nicht anrechenbarer Rechtsanwaltskosten geltend machen. Es fehlt diesbezüglich an einer Rechnung der klägerischen Prozessbevollmächtigten an den Kläger (§ 10 RVG) sowie an einem Nachweis, dass die nicht anrechenbaren Rechtsanwaltskosten tatsächlich, wie nunmehr vom Kläger behauptet, von der Rechtsschutzversicherung erstattet und der übergegangene Anspruch tatsächlich an den Kläger zur Geltendmachung im eigenen Namen abgetreten worden sind. Beim Kläger selbst ist kein Schaden eingetreten, die Voraussetzungen einer Prozessstandschaft wurden nicht hinreichend dargelegt.
212.
22Auf die Berufung des Klägers war das erstinstanzliche Urteil abzuändern, soweit der klägerische Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht aller weiteren immateriellen und zukünftigen materiellen Schäden zurückgewiesen worden ist.
23Das Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1ZPO hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs, der noch nicht abschließend beziffert und mit der Leistungsklage geltend gemacht werden kann, ist grds. dann zu bejahen, wenn der Schädiger seine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit in Abrede stellt und durch die Erhebung der Feststellungsklage einer drohenden Verjährung entgegengewirkt werden soll. Wird die Feststellung der Pflicht zum Ersatz erst künftig befürchteten Schadens aus einer bereits eingetretenen Rechtsverletzung beantragt, reicht für das Feststellungsinteresse des Geschädigten die Möglichkeit eines Schadenseintritts aus. Diese darf nur verneint werden, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH VersR 2001, 874; BGH VersR 1997, 1508).
24Hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, dass nach seiner Erfahrung mit vielen tausend Fällen dieser Art, Metallteile in der vorliegenden Größe in der Regel keine Beschwerden verursachen. Der Sachverständige konnte aber nicht ausschließen, dass hierdurch in Zukunft Beschwerden hervorgerufen werden können. Es ist danach zumindest möglich, dass Folgeschäden entstehen, so dass dem Feststellungsbegehren des Klägers stattzugeben war.
253.
26Die Anschlussberufung des Beklagten ist nicht begründet.
27Dem Beklagten ist, soweit das Abbrechen und Zurücklassen der beiden Nadelösen im Körper des Klägers von diesem nicht bemerkt und dokumentiert worden ist, ein Behandlungsfehler zur Last zu legen, der diesen zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz in der genannten Höhe verpflichtet. Für die Einzelheiten wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
28Insoweit war der Tenor des am 19.02.2010 verkündeten Urteils gemäß § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit dahingehend berichtigend zu ergänzen, dass die Anschlussberufung des Beklagten zurückgewiesen wird.
294.
30Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
31Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 713, 543 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
32Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO.