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1.
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 6. Juni 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts -Familiengericht- Witten abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe:
2I.
3Die Parteien waren miteinander verheiratet. Sie streiten über den Zugewinnausgleich.
4Ihre Ehe wurde auf den am 8.9.2003 zugestellten Antrag, rechtskräftig seit dem 26.6.2004, geschieden.
5Der Kläger verlangt Zugewinnausgleich von der Beklagten, die selbständig eine Steuerberatungspraxis betreibt und ferner zur Hälfte an der C & C2 GmbH, die sich ebenfalls mit Steuerberatung befasst, beteiligt ist.
6Beide Parteien hatten unstreitig kein Anfangsvermögen.
7Im Rahmen der Klage streiten sie über verschiedene, die Endvermögen betreffende Positionen, von denen einige im Laufe des Rechtsstreits noch unstreitig geworden sind. Insoweit wird nach § 540 I Nr.1 ZPO zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Feststellungen des angefochtenen Urteils verwiesen, soweit sich aus dem Nachfolgenden keine abweichenden Feststellungen ergeben.
8Im Streit geblieben ist letztlich die Bewertung der Steuerberaterpraxis sowie der GmbH-Beteiligung der Beklagten zum Zeitpunkt des Endstichtages.
9Der Kläger hat beantragt,
10die Beklagte zu verurteilen, an ihn 233.807,73 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 243 BGB seit dem 26.6.2004 zu zahlen.
11Die Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Das Amtsgericht hat nach Einholung sachverständiger Beratung zum Wert von Steuerberaterpraxis und GmbH-Anteil durch den Steuerberater und vereidigten Buchprüfer D, und zwar schriftlich vom 31.8.2006 (Bl. 138 ff. d.A.), 23.10.2006 (Bl. 196 ff. d.A.), 30.11.2006 (Bl. 206 ff. d.A.) und mündlich vom 28.3.2007 (Bl. 225 ff. d.A.), durch das angefochtene Urteil die Beklagte zur Zahlung von 155.440,83 € Zugewinnausgleich nebst beantragter Zinsen verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen.
14Zur Begründung hat es im Hinblick auf die Einzelpositionen, soweit in der Berufung angegriffen, im Wesentlichen ausgeführt:
15Da der Kläger keinen Zugewinn erzielt habe, komme es allein auf das Endvermögen der Beklagten an. Die mit dem Sachverständigen nach dem modifizierten Umsatzwertverfahren zu bemessenden Werte beliefen sich für die Steuerberaterpraxis auf 392.400 € und für den halben GmbH-Anteil auf 9.900 €. Bei der GmbH sei die schwächere Ertragskraft, mit der Konsequenz eines niedrigeren Umsatzmultiplikators als bei der Einzelpraxis, zu berücksichtigen und ferner, dass der Sachverständige einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 129.685,43 € festgestellt habe. Da ein möglicher Firmenerwerber diesen Fehlbetrag ausgleichen müsse, was sich nachhaltig negativ auf den Firmenwert auswirke, sei dies neben dem Ansatz des niedrigeren Umsatzmultiplikators und über diesen hinaus beachtlich und liege keine Doppelberücksichtigung des negativen Substanzwertes vor. Vom Praxiswert sei die latente Steuerlast, die bei einer fiktiven Veräußerung anfiele, abzusetzen. Insoweit sei nur der ermäßigte (halbe) Steuersatz von 95.600 € anzusetzen, weil davon auszugehen sei, dass die Beklagte einen Verkauf auf einen Zeitpunkt nach ihrem 55. Lebensjahr verlegen würde, um dem erhöhten Steuersatz zu entgehen.
16Gegen dieses Urteil richten sich die Berufungen beider Parteien.
17Die Beklagte, die der gegnerischen Berufung entgegentritt, wendet ihrerseits ein:
18Für die Bewertung sei das Ertragswertverfahren heranzuziehen, das den Wert realistischer wiedergebe und hier zu geringeren Unternehmenswerten führe.
19Aber auch beim Umsatzwertverfahren sei wegen der hohen Personengebundenheit der Mandate in der Einzelpraxis, von denen sie 60 bis 70 % seit Jahren betreue, der kalkulatorische Unternehmerlohn heraus zu rechnen und sei außerdem die Bemessungsgrundlage für den Multiplikator von 110 % zu hoch.
20Nach neuer höchstrichterlicher Rechtsprechung, so ergänzt die Beklagte später, müsse der konkrete Unternehmerlohn für sie heraus gerechnet werden, um eine Doppelverwertung beim Zugewinn und beim Nachscheidungsunterhalt zu vermeiden. Dieser subjektive Unternehmerlohn sei mit ihren Gewinnen aus der selbständigen Tätigkeit gleich zu setzen, weil diese vor allem auf ihrem persönlichen Arbeitseinsatz beruhten. Eine Gleichsetzung komme auch mit den getätigten Entnahmen aus der Steuerberaterpraxis in Betracht. Der individuelle Unternehmerlohn müsse beim Umsatzwert- wie auch beim Ertragswertverfahren gleichermaßen berücksichtigt werden.
21Die latente Steuerlast sei mit dem vollen Satz abzusetzen, der 200.900 € betrage. Der halbe Steuersatz greife seit 2001 nur, wenn der Veräußerer älter als 55 Jahre sei und nicht nach kurzer Zeit wieder seine bisherige Berufstätigkeit in bestimmtem Umfang aufnehme, wovon in der konkreten Situation der Beklagten nicht ausgegangen werden könne.
22Der Kläger habe den Zugewinnanspruch außerdem aus den Gründen verwirkt, die den erkennenden Senat schon zur Annahme einer teilweisen Verwirkung des Anspruchs des Klägers auf Nachscheidungsunterhalt im Vorprozess veranlasst hätten.
23Der Beklagten ständen schließlich verschiedene, näher aufgeführte Gegenansprüche auf Zahlung zu, mit denen hilfsweise gegen eine etwaige Forderung des Klägers auf Zugewinnausgleich aufgerechnet werde.
24Die Beklagte beantragt,
251. in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen,
262. die Berufung des Kläger zurückzuweisen.
27Der Kläger beantragt,
281. abändernd über das angefochtene Urteil hinaus die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 40.050 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 243 BGB seit dem 26.6.2004 zu zahlen,
292. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
30Er wendet sich mit seiner Berufung nur gegen die Bewertung des GmbH-Anteils der Beklagten, der mit 90.000 € zu bewerten sei.
31Insoweit sei kein negativer Substanzwert abziehbar. Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag beruhe lediglich auf dem abgeschriebenen Firmenwert und stelle deshalb nur einen steuerlichen Abschreibungsposten dar. Gegenstand der Abschreibung sei der Anschaffungswert von 400.000 DM, für die - unstreitig fremdfinanziert - die Firma am 1.7.1992 übernommen worden sei. Die tatsächliche Kaufpreisschuld sei jedoch weitgehend getilgt, da das ursprüngliche Darlehen von umgerechnet 204.516,75 € per 31.12.2003 nur noch mit 48.203,80 € valutiert habe.
32Im Rahmen seiner streitigen Einlassung auf die Berufung der Beklagten tritt der Kläger auch einer Verwirkung des Zugewinnanspruchs näher entgegen und ebenso den hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen.
33Allerdings ist in letzterem Zusammenhang der Vortrag des Klägers unstreitig gestellt worden, dass aufgrund stillschweigender Abrede zwischen den Parteien die Verbindlichkeiten, die zum Endstichtag mit 116.852 € auf der Eigentumswohnung des Klägers in D2, D3-Straße, lasteten, im Innenverhältnis nicht vom einkommenslosen Kläger, sondern von der Beklagten zu tragen sind und insoweit ein Freistellungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte besteht, wie sich die Beklagte im Senatstermin zu eigen gemacht hat.
34Der Senat hat beim Sachverständigen D eine schriftliche Gutachtenergänzung vom 13.3.2008 (Bl. 450 ff. d.A.) eingeholt und noch eine solche vom 14.8.2008 (Bl. 518 ff. d.A.), die im Senatstermin mit den Parteien, wie das Beweisergebnis insgesamt, erörtert worden ist. In dem Termin ist auch der Sachverständige mündlich nochmals angehört worden; insoweit wird wegen des Ergebnisses auf den Berichterstattervermerk vom 20.8.2008 verwiesen.
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Erklärungen zu Protokoll Bezug genommen.
36II.
37Die Berufungen beider Parteien sind zulässig.
38Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Berufung des Klägers ist unbegründet.
39Die Klage ist abzuweisen, weil dem Kläger gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zugewinnausgleich nach § 1378 I BGB zusteht.
40Der während der Ehezeit erzielte Zugewinn der Beklagten übersteigt den Zugewinn des Klägers nicht.
41Anfangsvermögen haben beide Parteien nicht gehabt.
42Nach dem Beweisergebnis beträgt das saldierte Endvermögen der Beklagten zum maßgeblichen Endstichtag nach § 1384 BGB, dem 8.9.2003 (Zustellung des Scheidungsantrags), 24.327,42 €; es ist damit nicht höher als dasjenige des Klägers, das sich auf 37.129,48 € beläuft.
431.
44Der Zugewinn der Beklagten beträgt 24.327,42 €, wie die nachfolgende Übersicht zeigt.
45Aktiva
½ Y-Fonds | unstreitig, Bl. 3, 43 d.A. | 13.154,74 € |
ETW D2 (Y2-Str.) | unstreitig, Bl. 53, 92 d.A. | 14.850,00 € |
½ ETW X (X2-Str.) | unstreitig, Bl. 109, 226 R d.A. | 102.500,00 € |
Girokonto | unstreitig, Bl. 54, 43 d.A. | 397,68 € |
Lebensversicherungen | unstreitig, Bl. 4, 44 d.A. | 69.569,70 € |
StB-Praxis | streitig | 260.812,00 € |
½ StB-GmbH | streitig | 7.000,00 € |
468.284,12 € | ||
Passiva | ||
½ ETW X (X2-Str.) | unstreitig, Bl. 5,45 d.A. | 100.101,39 € |
ETW D2 (Y2-Str.) | unstreitig, Bl. 4,45 d.A. | 67.753,83 € |
ETW D2 (D3-Str.) Freistellungspflicht Be. | unstreitig (Senatstermin) | 116.852,00 € |
Steuerschulden 2002 | unstreitig, Bl. 4, 45 d.A. | 7.903,18 € |
½ Saldo Mietkonto | unstreitig, Bl. 4, 45 d.A. | 5.201,25 € |
Sparkasse | unstreitig, Bl. 4, 45 d.A. | 1.345,05 € |
Steuerschulden 2003 | unstreitig, Bl. 278 R d.A. | 0,00 € |
latente Steuerlast StB-Praxis | streitig | 144.800,00 € |
443.956,70 € | ||
Zugewinn | 24.327,42 € |
Die unstreitig gewordene Freistellungsverpflichtung der Beklagten im Innenverhältnis gegenüber dem Kläger hinsichtlich der Verbindlichkeiten auf dessen Eigentumswohnung in D2, D3-Straße, in Höhe von 116.852 € ist bei den Passiva der Beklagten einzustellen.
48Schon in diesem Sachzusammenhang sei festgehalten, dass beim Endvermögen des Klägers (s.u. 2.) die insoweit bestehenden Verbindlichkeiten im Außenverhältnis gegenüber den Gläubigern (Passiva) durch den gleichhohen Freistellungsanspruch gegen die Beklagte im Innenverhältnis (Aktiva) im Ergebnis kompensiert werden.
49Zu den allein streitigen Positionen des Wertes der Steuerberaterpraxis (a.), des Wertes des GmbH-Anteils (b.) und der latenten Steuerlast (c.) gilt folgendes:
50a.
51Im Ausgangspunkt folgt der Senat der gutachtlichen Bewertung des Sachverständigen.
52Ziel der Wertermittlung nach § 1376 II BGB ist es, die Praxis bzw. den Unternehmensanteil mit seinem vollen, wirklichen Wert anzusetzen. Grundsätze darüber, nach welcher Methode das im einzelnen zu geschehen hat, enthält das Gesetz für den vorliegenden Fall nicht. Sie sachverhaltsspezifisch auszuwählen und anzuwenden, ist Sache des - sachverständig beratenen - Tatrichters (BGH FamRZ 2008, 761 (762); FamRZ 1991, 43). Es hat sich keine allgemein bevorzugungswürdige Methode der Bewertung von freiberuflichen Praxen und Unternehmen durchgesetzt.
53Nach den Feststellungen des Sachverständigen D herrschen branchenspezifische Übungen vor. So ist im Praxenhandel unter Steuerberatern –anders, als etwa in den Heilberufen, wo die Ertragswertmethode vorherrscht – ganz überwiegend das Umsatzwertverfahren gebräuchlich.
54Diese daher eigentlich marktgerechteste Methode kann gleichwohl in diesem Fall nicht herangezogen werden. Sie sieht, wie der Gutachter dem Senat nochmals erläutert hat, aus methodischen Gründen nicht die Absetzung eines Unternehmerlohns vor und erlaubt eine solche nicht.
55Es muss allerdings ein Unternehmerlohn für die Beklagte abgesetzt werden.
56Denn bei der Bewertung einer freiberuflichen Praxis ist im vorliegenden Zusammenhang zu berücksichtigen, dass sich die für die Wertbemessung maßgebliche Erfolgsprognose nicht von der Person des derzeitigen Inhabers trennen lässt. Die Angehörigen der freien Berufe erbringen persönliche Leistungen, bei denen sie in der Regel für untergeordnete, nicht zum eigentlichen Berufsbild gehörende Tätigkeiten Hilfskräfte einsetzen. So ist es auch bei der Beklagten. Die Erwartung künftigen Einkommens, das der individuellen Arbeitskraft des Inhabers zuzurechnen ist, kann für den Zugewinnausgleich aber nicht maßgebend sein, weil es insoweit nur auf das am Stichtag vorhandene Vermögen ankommt. Bewertungsobjekt können deshalb nur solche Ertragsmerkmale sein, die auf einen potenziellen Erwerber übertragbar sind. Deshalb muss, um den good will zugewinnrechtlich zutreffend zu ermitteln, vom zunächst festgestellten Ausgangswert der Unternehmerlohn abgezogen werden (BGH FamRZ 2008, 761 (762 f.).
57Der Senat stimmt mit dem Sachverständigen darin überein, dass hierzu die modifizierte Ertragswertmethode geeignet ist, in deren Rahmen der Unternehmerlohn zu berücksichtigen und abzusetzen ist.
58Der Sachverständige hat diese Methode im Gutachten bereits flankierend zur Kontrolle der nach dem Umsatzwertverfahren gewonnenen Werte angewandt (modifiziertes Umsatzwertverfahren), so dass die Ergebnisse der modifizierten Ertragswertmethode zugrunde gelegt werden können.
59Letztgenannte Methode bietet sich auch grundsätzlich an, um den Wert zu ermitteln, den ein potentieller Erwerber bereit ist auszugeben, um sein Kapital in der Zukunft mit einer von ihm gewünschten Rendite verzinst zu erhalten, er also die Praxis nur nachrangig im Hinblick auf den Wert der Substanz und in erster Linie in Ansehung von künftigen Ertragsaussichten kaufen und danach den von ihm zu leistenden Preis bemessen würde. Dass die Prognose an den bisherigen Erfolg anknüpft und dieser maßgeblich durch die Person und den Einsatz des bisherigen Inhabers geprägt ist (s.o.), ändert insoweit nichts. Denn lebensnah ist davon auszugehen, dass für den Fall der Veräußerung die Mandanten nicht schlagartig wechseln, sondern zunächst Qualität und Leistungsfähigkeit des Nachfolgers, der gerade in der Anfangszeit um eine zufriedene Mandantschaft bemüht sein wird, abwarten würden. Dieser in der Rechtsprechung (OLG Hamm Urteil v. 28. 6. 1996, 12 UF 34/95) eingenommene Standpunkt hat den Bundesgerichtshof nicht zu einer Beanstandung veranlasst (Zurückweisung von Prozesskostenhilfe für eine Revision).
60Eine anderweitige, den hier gestellten Anforderungen genügende Bewertungsweise ist, was die Methode betrifft, nicht ersichtlich und auch von den Parteien nicht aufgezeigt worden.
61Allerdings ist der im Rahmen der modifizierten Ertragswertmethode abzuziehende Unternehmerlohn nicht, wie es bisherigen Gepflogenheiten bei der Bewertung für den Zugewinnausgleich entsprach, in Form eines pauschalen, kalkulatorischen Unternehmerlohns einzustellen - wie ihn hier auch der Sachverständige D im ursprünglichen Gutachten mit dem Bruttolohn für einen angestellten Steuerberater mit zehnjähriger Berufserfahrung abgesetzt hat.
62Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gemäß Urteil vom 6.2.2008 (FamRZ 2008, a.a.O.) ist zur Vermeidung einer Doppelberücksichtigung beim Unterhalt und beim Zugewinn ein den individuellen Verhältnissen entsprechender, also konkret gerechtfertigter Unternehmerlohn in Abzug zu bringen.
63Zu der Bemessung des subjektiven Unternehmerlohns enthält die genannte Entscheidung keine Vorgaben; ebenso ergeben sich solche nicht aus dem Gesetz. Für den Senat stellt sich die sachverhaltsspezifische Ermittlung, ebenso wie schon hinsichtlich der anzuwendenden Bewertungsmethode (s.o.), deshalb als Sache des - sachverständig beratenen - Tatrichters dar.
64Der Punkt ist nach richterlichem Hinweis Gegenstand der Stellungnahme der Parteien und der Erörterungen im Senatstermin, auch mit dem Sachverständigen, gewesen.
65Letztere haben ergeben, dass entgegen der Ansicht der Beklagten nicht der zwischen den Parteien bereits im Vorprozess unterhaltsrechtlich ausgeglichene Gewinn der Beklagten, also der Unternehmenserfolg, mit ihrer individuellen Vergütung, also dem Unternehmerlohn, gleichgesetzt werden kann. Das erhellt schon daraus, dass das Ergebnis wäre, dass der good will damit praktisch regelmäßig bereits abgeschöpft wäre und ein Zugewinnausgleich ausschiede (vgl. auch Kuckenburg, FuR 2008, 270 (271), wovon offenbar auch der Bundesgerichtshof nicht ausgeht. Dagegen spricht sachlich vor allem auch, dass gemäß den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen der Gewinn auch vom Personal der Praxis mit erwirtschaftet werde, etwa im Bereich der Buchhaltungsarbeiten sowie der Lohn- und Gehaltsbuchführung, der lt. Gutachten in der Spartengewichtung rd. 43 % ausmacht (Bl. 151 d.A.).
66Der Senat folgt dem Gutachter ferner darin, dass entgegen der Ansicht der Beklagten für den individuell gerechtfertigen Unternehmerlohn auch nichts aus ihren Entnahmen aus der Praxis hergeleitet werden kann, weil diese keinen Rückschluss auf die Bewertung der Leistung des Inhabers erlaubten.
67Der Senat hält es - im Einvernehmen mit dem Sachverständigen - mangels schlüssiger und praxistauglicher anderweitiger Ansätze, die auch die Parteien nicht zu vermitteln vermochten, für tunlich, von dem kalkulatorischen Bruttolohn für einen angestellten Steuerberater mit zehnjähriger Berufserfahrung, der im ursprünglichen Gutachten bereits abgesetzt worden ist, als Grundlage auszugehen und auf die Person der Beklagten bezogen zu individualisieren, indem dieser Bruttolohn unter Einbeziehung auch des Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung und ferner eine ‚Chefzulage‘ von 15 % aufgestockt wird, um ihrer Arbeit, ihrer leitenden Funktion, ihren persönlichen Fähigkeiten und Leistungen insgesamt Rechnung zu tragen (im Ansatz so auch Kuckenburg, a.a.O., 272).
68Unter Beachtung der vom Sachverständigen bestätigten (Bl. 502 d.A.) und erörterten Bruttobemessungsgrenzen für die Sozialversicherungsbeiträge bei der Aufstockung auf die vollen Beiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) errechnet sich folgender subjektiver Unternehmerlohn:
Durchschnittsjahre (SV Bl. 163) | 1999 | 2001 | 2002 |
kalkulatorisch (SV Bl.161/163/187) |
angest. Steuerberater | Brutto | 61.000,00 € | 61.000,00 € | 58.200,00 € |
abzgl. AN-Anteil RV | -5.215,18 € | -5.097,68 € | -5.157,00 € | |
abzgl. AN-Anteil AV | -1.694,93 € | -1.734,81 € | -1.755,00 € | |
abzgl. AN-Anteil KV | -2.659,74 € | -2.702,31 € | -2.733,75 € | |
abzgl. AN-Anteil PV | -332,47 € | -340,29 € | -344,25 € |
zzgl. volle Beiträge RV/AV/KV/PV | 19.804,64 € | 19.750,18 € | 19.980,00 € |
70.902,32 € | 70.875,09 € | 68.190,00 € |
zzgl. 15 % 'Chefzulage' | 10.635,35 € | 10.631,26 € | 10.228,50 € | |
Gesamtbrutto individuell | 81.537,67 € | 81.506,36 € | 78.418,50 € |
Daraus ergibt sich folgende Modifikation der gemäß insoweit unangegriffenem Gutachten (Bl. 187 d.A.) vorzunehmenden Korrekturen des Geschäftsergebnisses:
bereinigtes Gesamtergebnis lt. SV | 73.500,00 € | 76.400,00 € | 84.200,00 € |
zzgl. kalkulat. Unternehmerlohn | 61.000,00 € | 61.000,00 € | 58.200,00 € |
abzgl.individueller Unternehmerlohn | -81.537,67 € | -81.506,36 € | -78.418,50 € |
bereinigtes Gesamtergebnis | 52.962,33 € | 55.893,64 € | 63.981,50 € |
Aus dem sich danach ergebenden durchschnittlichen jährlichen Überschuss von 57.612,49 € errechnet sich, multipliziert mit dem vom Gutachter unangegriffen festgestellten Barwertfaktor von 4,5270 (Bl. 164 d.A.), ein Ertragswert der Steuerberaterpraxis von gerundet 260.812 €, den der Senat in das Endvermögen der Beklagten eingestellt hat.
78b.
79Der Wert der GmbH nach dem modifizierten Ertragswertverfahren beläuft sich nach den Feststellungen des Sachverständigen, denen der Senat auch insoweit folgt, auf 14.000 €, der halbe Anteil der Beklagten daran somit auf 7.000 €.
80In dem Zusammenhang fällt ein Unternehmerlohn für die Beklagte unstreitig nicht an.
81Die Einwände des Klägers betreffen lediglich noch den nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 129.685,43 €, den der Gutachter anhand der Jahresabschlüsse der GmbH zum 31.12.2002 sowie zum 31.12.2003, rechnerisch unstreitig, zum Endstichtag ermittelt und in die Bewertung eingestellt hat.
82Von der Darstellung des beweisbelasteten Klägers, der Fehlbetrag sei hier unbeachtlich, da es sich nur um einen steuerlichen Abschreibungswert handele, ist der Senat nach dem Beweisergebnis nicht überzeugt.
83Der Sachverständige hat dem Klägervortrag mit sachlich dezidierter Begründung widersprochen. Dem Fehlbetrag lägen nicht nur steuerliche ‚Buchbeträge’, sondern real bestehende Verbindlichkeiten der GmbH gegenüber Kreditinstituten zugrunde, wie er anhand der Buchunterlagen festgestellt habe.
84Danach seien auf die fremdfinanzierten, ursprünglichen Anschaffungskosten der GmbH von umgerechnet 204.516,75 € (400.000 DM) auf einen immateriellen Praxiswert 199.403,83 € entfallen. Damit hätten dem damaligen immateriellen Wert Verbindlichkeiten gegenüber gestanden, die nach sachverständiger Schätzung zu einem Eigenkapital in Höhe des damals gezeichneten Kapitals geführt hätten. Nach § 255 IV HGB sei der finanziert erworbene Firmenwert entweder in jedem der Folgejahre zu mindestens einem Viertel oder planmäßig über seine voraussichtliche Nutzungsdauer zu verteilen. Die sich daraus ergebenden Abschreibungen würden ertragsmindernder Aufwand der Gesellschaft und dies, wie der Sachverständige hervorgehoben hat, nicht aus steuerlichen, sondern aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Aus letzteren Gründen, so hat der Sachverständige gegenüber dem Senat ergänzend klargestellt, müssten die Abschreibungen eigentlich wieder hereingebracht, also verdient werden. Dies sei hier aber infolge der schlechten Ertragslage der GmbH nicht hinreichend geschehen. Die zu verrechnenden Abschreibungen seien nicht in voller Höhe verdient worden, was nach seinen Feststellungen zu einer nachhaltigen Verlustsituation mit dem in Rede stehenden Fehlbetrag geführt habe.
85Soweit dieser gemäß Klägervortrag zum Endstichtag nicht mit der (niedrigeren) Restvalutierung des Anschaffungskredits für die Firma übereinstimme, liege dies laut Sachverständigem daran, dass der Fehlbetrag nicht mehr nur auf diesen Anschaffungsverbindlichkeiten beruhe. Wegen der schlechten Wirtschaftslage der GmbH seien dadurch, dass Mittel für die Rückführung des Anschaffungskredits verwendet worden seien, andere Verbindlichkeiten nicht bedient worden.
86Der Senat folgt den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, weil er über keine besseren Erkenntnisse und namentlich keine bessere Fachkunde als dieser verfügt und der Kläger eine abweichende Einschätzung auch im Termin nicht hat schlüssig machen können.
87Der Einwand des Klägers, dass bei Abzug des sich ergebenden negativen Substanzwerts und dessen Berücksichtigung beim Umsatzmultiplikator eine unzulässige Doppelbelastung des Klägers vorliege, betrifft das vorliegend nicht zugrunde gelegte modifizierte Umsatzwertverfahren und hat den Sachverständigen zu keiner Abweichung mehr veranlasst.
88c.
89Von den festgestellten Ertragswerten sind die Steuern abzuziehen, die für den Fall der Veräußerung der Praxis bzw. des GmbH-Anteils anfielen.
90Es entspricht ständiger Rechtsprechung (BGH FamRZ 1991, 43 (48); 2008, 761 (764), dass insoweit eine latente (fiktive) Steuerlast wertmindernd zu berücksichtigen ist, und zwar unabhängig davon, ob eine Veräußerung tatsächlich beabsichtigt ist, weil dies eine Konsequenz der Bewertungsmethode ist. Denn soweit der Wert danach ermittelt wird, was bei einer Veräußerung zu erzielen wäre, darf nicht außer Betracht bleiben, dass wegen der damit verbundenen Auflösung der stillen Reserven dem Verkäufer wirtschaftlich nur der um die Steuern verminderte Erlös verbleibt; man kann dies auch als unvermeidbare Veräußerungskosten bezeichnen. Aus diesem Grunde sind die fiktiv anfallenden Steuern gerade auch bei der Wertbemessung nach der modifizierten Ertragswertmethode zu berücksichtigen (OLG Hamm FamRZ 1998, 235 (237).
91Darüber streiten die Parteien auch nicht, sondern nur darüber, ob der volle oder der ermäßigte Steuersatz anzusetzen ist. Die Privilegierung durch den ermäßigten Steuersatz setzt nach der beim Endstichtag am 8.9.2003 geltenden finanzrechtlichen Lage nach § 18 III i.V.m. § 16 II-IV, § 34 I, II Nr. 1 EStG unumstritten voraus, dass die Beklagte erstens einen Verkauf erst nach dem 55. Lebensjahr vornähme und zweitens darüber hinaus nicht binnen kurzer Zeit (etwa drei Jahre) die Arbeit als Steuerberaterin in nicht nur geringfügigem Umfang in derselben Region wieder aufnähme (BFH Urt. v. 10.6.1999, IV R 11/99, juris-Dok.;
92FG Baden-Württemberg Urt. v. 5.11.2002, 1 K 235/01, Bl. 324 ff. d.A.).
93Grundsätzlich geht der Senat davon aus, dass bei einer Veräußerung der reguläre, also volle, Steuersatz anfällt (so offenbar auch OLG Düsseldorf FamRZ 2008, 516 f.). Die Ausnahme der Privilegierung bedarf zureichender Begründung, wobei offen bleibende Umstände zu Lasten des Klägers gehen, der als Anspruchsteller beim Zugewinnausgleich für die Endvermögen beider Parteien darlegungs- und beweisbelastet ist (BGH NJW 1987, 321; Palandt-Brudermüller, BGB, 67. A., § 1375 Rz. 32 m.w.N.).
94Die Möglichkeit, dass es im vorliegenden Fall tatsächlich zu den Voraussetzungen für eine Privilegierung kommen könnte, erscheint dem Senat zu entfernt, um darauf prognostisch die Annahme gründen zu können, dass sie auch eintreten werden.
95Auszugehen ist auch hier vom Grundsatz, dass erst nach dem Stichtag gewonnene Erkenntnisse nicht im Nachhinein für die Bewertung - per Stichtag - berücksichtigt werden dürfen. Zwar hat im Hinblick darauf der Bundesgerichtshof (FamRZ 1999, 361 (365) im Einzelfall die Pauschalierung zum halben Steuersatz letztlich mit Erwägungen der Zweckmäßigkeit und Praktikabilität aus Rechtsgründen nicht beanstandet und dazu ausgeführt, dass der Zugewinnausgleich eine Vermögensbewertung, bezogen auf den gesetzlich festgelegten Stichtag erfordere, was einen Zeitpunkt bedeute, zu dem in der Regel nicht bekannt sei, wann und zu welchem Wert der Vermögensgegenstand tatsächlich veräußert oder übertragen werde. Da die Bewertung nicht auf diesen unbestimmten späteren Zeitpunkt verschoben werden könne, beständen gegen die Pauschalierung für die Belange des Zugewinnausgleichs keine rechtlichen Bedenken.
96Das erfordert im Tatsächlichen gleichwohl, dass bei Würdigung der Umstände nach § 286 ZPO die Möglichkeit der Privilegierung nicht nur entfernt neben derjenigen steht, dass das nicht der Fall ist. So liegt es hier aber.
97Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Endstichtages am 8.9.2003 war die am 27.4.1952 geborene Beklagte erst 51 Jahre alt. Ein Praxis- bzw. Anteilsverkauf zum Endstichtag, und selbst noch Jahre danach, hätte also eine steuerliche Privilegierung schon mangels der ersten Voraussetzung nicht ausgelöst. Hinsichtlich der Zeit nach Vollendung des 55. Lebensjahres der Beklagten steht der zweiten Voraussetzung entgegen, dass die Beklagte - soweit selbst jetzt noch absehbar - auf die Erhaltung ihrer Einkommensquellen nicht nur für ihren eigenen Unterhalt angewiesen bleibt, sondern weil sie überdies den laufenden Unterhalt gemäß Senatsurteil vom 21.3.2007 (10 UF 190/06, Bl. 384 ff., 394 d.A.) für den gemeinsamen Sohn L von mtl. 670 € und als Nachscheidungsunterhalt für den Kläger insgesamt mtl. 687 € aufzubringen hat. Ihr geäußerter Standpunkt ist realistisch, dass sie daher selbst für den unterstellten Fall einer Praxisveräußerung binnen kurzer Zeit weiter die Arbeit in ihrem erlernten Beruf als Steuerberaterin ausüben müsste und würde, und dies naheliegenderweise in derselben Region, in der sie sich bisher beruflich einen Namen gemacht hat. Vor dem Hintergrund gehen die vom Kläger in den Raum gestellten, theoretischen Perspektiven, die nunmehr 56-jährige Beklagte könne jetzt veräußern und allen Unterhalt vom Erlös und den Zinsen aufbringen, ins Leere und die Vorstellung, jedenfalls könne alles auch mit einer Veräußerung erst mit späterem Eintritt der Beklagten in den Ruhestand erreicht werden, ist zwar die hier den Kläger meistbegünstigende, theoretische Alternative, aber aus der Warte des Endstichtages am 8.9.2003 zu fern und vage.
98Die auf den Ertragswert der Einzelpraxis zum Endstichtag von 260.812 € anfallenden regulären Steuern hat der Sachverständige nachvollziehbar und unangegriffen mit 144.800 € berechnet, die beim Endvermögen der Beklagten abzusetzen sind. Auf eine Veräußerung des daneben relativ geringwertigen GmbH-Anteils fielen keine weiteren Steuern an, wie der Gutachter ebenfalls unangegriffen festgestellt hat.
992.
100Der Zugewinn des Klägers beträgt 37.129,46 €, wie die nachfolgende Übersicht zeigt, und ist unstreitig.
101Aktiva
½ Y-Fonds | unstreitig, Bl. 5 d.A. | 13.154,74 € |
ETW D2 (D3-Str.) | unstreitig, Bl. 5 d.A. | 25.900,00 € |
ETW D2 (D3-Str.) Freistellungsanspruch Kl. | unstreitig (Senatstermin) | 116.852,00 € |
½ ETW X (X2-Str.) | unstreitig, Bl. 109, 226 R d.A. | 102.500,00 € |
Girokonto | unstreitig, Bl. 6 d.A. | 877,36 € |
259.284,10 € | ||
Passiva | ||
ETW D2 (D3-Str.) Außenverhältnis | unstreitig, Bl. 6 d.A. | 116.852,00 € |
½ ETW X (X2-Str.) | unstreitig, Bl. 6 d.A. | 100.101,39 € |
½ Saldo Mietkonto | unstreitig, Bl. 6 d.A. | 5.201,25 € |
222.154,64 € | ||
Zugewinn | 37.129,46 € |
3.
104Da dem Beklagten schon dem Grunde nach kein Anspruch auf Zugewinnausgleich zusteht, kann auf sich beruhen, inwieweit ein solcher gegebenenfalls als verwirkt anzusehen wäre und der Beklagten aufrechenbare Gegenansprüche zustehen.
105III.
106Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 I, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
107IV.
108Die Revision war nach § 543 II Nrn. 1 und 2 ZPO zuzulassen.
109Die Bemessung (Methode) des individuellen Unternehmerlohns, der im Rahmen der zugewinnrechtlichen Bewertung einer freiberuflichen Praxis oder eines Unternehmens abzuziehen ist, und ferner die Bemessung des Satzes der latenten Steuern für den Fall einer fiktiven Betriebsveräußerung sind hier entscheidungsrelevante Fragen, die zugleich von grundsätzlicher Bedeutung für Zugewinnausgleichssachen mit einem Gegenstand der vorliegenden Art und bisher höchstrichterlich nicht geklärt sind.