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Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird als unzulässig verworfen.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das angefochtene Urteil aufgehoben und wie folgt neu gefaßt:
Der Betroffene wird wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Tateinheit mit fahrlässigem Nichtmitsichführen des Führerscheins zu einer Geldbuße von 225,00 Euro verurteilt.
Die Kosten ihres Rechtsmittels tragen die jeweiligen Rechtsmittelführer.
G r ü n d e :
2I.
3Das Amtsgericht Höxter hat gegen den Betroffenen durch das angefochtene Urteil wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 325,00 Euro sowie wegen fahrlässigen Nichtmitführens des vorgeschriebenen Führerscheins eine Geldbuße von 10,00 Euro festgesetzt.
4Nach den getroffenen Feststellungen verfügt der Betroffene als Inhaber einer Agentur über ein geregeltes Einkommen. Er sei verkehrsrechtlich bereits sechs Mal in Erscheinung getreten, und zwar vier Mal wegen unerlaubter Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons, einmal wegen Geschwindigkeitsüberschreitung und wegen eines Rotlichtverstoßes. Hierzu werden die Tatzeiten, das Datum der Entscheidung und deren Rechtskraft mitgeteilt. Als Datum der Rechtskraft der letzten Vorbelastung wird der 14. September 2005 mitgeteilt.
5Zur Tat hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:
6"Am 13.06.2006 gegen 18:57 Uhr befuhr der Betroffene mit dem Pkw Bentley, amtliches Kennzeichen ##-## ##, in C außerorts geschlossener Ortschaften die B 64 in Fahrtrichtung I. Die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt für Pkw gem. § 3 Abs. 3 Nr. 2 c StVO 100 km/h.
7Die Geschwindigkeit des von dem Betroffenen gesteuerten Fahrzeugs wurde mittels Lasermessung ermittelt. Eingesetzt wurde das Geschwindigkeitsmessgerät RIEGL FG 21-P, Gerätenummer S 2100298. Ausweislich des Eichscheins des Landesbetrieb Mess- und Eichwesen Nordrhein-Westfalen in E vom 15.03.2005 ist das Gerät bis zum 31.12.2006 geeicht. Das Gerät darf zur Messung der Geschwindigkeit von 0 bis 250 km/h in einem Entfernungsbereich von 30 bis 1000 m eingesetzt werden. Durch die bei der Eichung vorgenommene messtechnische Prüfung ist gewährleistet, dass die für den Betrieb des Verkehrsgeschwindigkeitsmessgerätes zulässigen Fehlergrenzen eingehalten werden, wenn das Gerät entsprechend der zugehörigen Bedienungsanleitung verwendet wird.
8Die Geschwindigkeit des von dem Betroffenen gesteuerten Fahrzeugs wurde durch den Zeugen L mit 162 km/h ermittelt, gemessen wurde in einer Entfernung von 630 m. Abzüglich 3 % Toleranz, aufgerundet 5 km/h, ergibt sich eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 157 km/h, die zulässige Höchstgeschwindigkeit wurde somit um 57 km/h überschritten.
9Bei der Fahrt des Betroffenen am 13.06.2006 führte dieser den vorgeschriebenen Führerschein nicht mit.
10Der Zeuge L ist ausweislich des Schulungsnachweises vom 03.02.2003 eingewiesen, Geschwindigkeitsmessungen mit dem vorgenannten Messgerät durchzuführen."
11Zur Schuldform hinsichtlich der Geschwindigkeitsüberschreitung hat das Amtsgericht ausgeführt:
12"Der Betroffene handelte vorsätzlich. Aufgrund der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung und des lauten Geräusches seines Fahrzeugs geht das Gericht davon aus, dass dem Betroffenen die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bewusst war und er zugleich auch die erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit tatsächlich bemerkt hat."
13Der Zeuge L hatte insoweit ausgesagt, daß er sich an die Messung deshalb gut erinnern könne, da er das Fahrzeug schon von weitem, noch bevor er das Fahrzeug habe sehen können, wegen seines lauten "Sounds" wahrgenommen habe.
14Rechtlich hat das Amtsgericht zwei selbständige Handlungen angenommen und demgemäß zwei Geldbußen für die vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung und den fahrlässigen Verstoß gegen die Verpflichtung, den Führerschein mitsichzuführen, verhängt.
15Im Rahmen der Rechtsfolgenbemessung hat das Amtsgericht ausgehend vom Regelsatz für eine derartige Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 51 km/h in Höhe von 150,00 Euro eine Erhöhung um 50 Prozent wegen Vorliegens von Vorsatz und von weiteren 100,00 Euro wegen der verkehrsrechtlichen Vorbelastungen für angemessen angesehen. Im Übrigen hat es ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ein Fahrverbot lediglich versehentlich nicht verkündet und begründet worden ist.
16Hiergegen richten sich der als Rechtsbeschwerde auszulegende Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde des Betroffenen und die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Paderborn. Der Betroffene rügt unter näherer Darlegung die Verletzung formellen und materiellen Rechts und begehrt die Aufhebung der Verurteilung insgesamt.
17II.
181. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft erweist sich bereits als unzulässig.
19Der Staatsanwaltschaft Paderborn, die in der Übersendungsverfügung der Bußgeldvorgänge an das Amtsgericht Höxter vom 22. September 2006 beantragt hatte, auf die in dem angefochtenen Bußgeldbescheid verhängten Rechtsfolgen und somit auch auf ein einmonatiges Fahrverbot zu erkennen, im Übrigen jedoch auf die Teilnahme an der Hauptverhandlung verzichtet hatte, ist das vollständig abgefaßte Urteil am 5. März 2008 gemäß § 41 StPO zum Zwecke der Zustellung zugestellt worden.
20Mit Formblatt "sta8" sind dem Amtsgericht die Akten unter dem 6. März 2008 urschriftlich mit dem Hinweis
21"Rechtsbeschwerde wegen nichtverhängter Nebenfolge"
22übersandt worden. Dieses Schreiben ist am 10. März 2008 bei dem Amtsgericht Höxter eingegangen.
23Mit Verfügung vom 14. April 2008, eingegangen bei dem Amtsgericht Paderborn am 17. April 2008, hat die Staatsanwaltschaft nach Kenntnisnahme von der Rechtsbeschwerdebegründung des Betroffenen ausgeführt:
24"Die Staatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 06.03.2008 das Urteil insoweit angefochten, als ein Fahrverbot nicht verhängt worden ist.
25Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil vom 11.02.2008 Seite vier Absatz III Bezug genommen.
26Das Gericht wird unter Bezugnahme auf §§ 46, 79 OWiG, 340 ff StPO gebeten, obige Begründung der Verteidigerin durch Zustellung zur Kenntnis zu bringen."
27Die Staatsanwaltschaft Paderborn hat damit zwar gegen das Urteil des Amtsgerichts Paderborn rechtzeitig und formgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt, ihr Rechtsmittel aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht ordnungsgemäß begründet. Die Ausführungen im Zusammenhang mit der Rechtsmitteleinlegung "Rechtsbeschwerde wegen nichtverhängter Nebenfolge" können allenfalls als Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch angesehen werden, nicht aber als ordnungsgemäße Rechtsbeschwerdebegründung i.S.d. §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 StPO. Es ist nicht einmal ersichtlich, ob die Verletzung formellen oder materiellen Rechts, beides wäre hier denkbar, gerügt werden soll. Der Blick in das Urteil ist dem Senat insoweit - trotz der Rechtsbeschwerde des Betroffenen und dessen Erhebung der Sachrüge - versperrt.
28Hinsichtlich der Rechtsbeschwerdebegründung vom 14. April 2008 kann dahinstehen, ob diese den genannten Verfahrensvorschriften noch gerecht wird, denn sie ist jedenfalls nicht rechtzeitig bei dem Amtsgericht Höxter eingegangen. Mit der Zustellung des vollständig abgefaßten Urteils an die Staatsanwaltschaft am 5. März 2008 begann gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 341 StPO die einwöchige Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde und nach Ablauf dieser Frist die Monatsfrist zur Begründung der Rechtsbeschwerde nach §§ 79 Abs. 3 OWiG, 345 StPO. Die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde endete damit, weil der 13. April 2008 ein Sonntag war, mit Ablauf des 14. April 2008. Die Rechtsmittelbegründungsschrift ist jedoch erst am 17. April 2008 und damit deutlich verspätet bei dem Amtsgericht Höxter eingegangen. Hierauf ist im Übrigen die Dezernentin der Staatsanwaltschaft ausweislich Bl. 118 d.A. zutreffend durch den zuständigen Rechtspfleger hingewiesen worden. Aus diesem Grunde kam die Verhängung des versehentlich unterbliebenen Fahrverbotes durch den Senat, wie von der Generalstaatsanwaltschaft beantragt, nicht in Betracht.
292. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war der Tenor des angefochtenen Urteils auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Feststellungen zu berichtigen und die festgesetzte Geldbuße gemäß § 79 Abs. 6 OWiG herabzusetzen.
30Die getroffenen Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweisgrundlage. Das Urteil genügt den Anforderungen, die an eine Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung, die mit einem standardisierten Meßverfahren ermittelt worden ist, zu stellen sind.
31Näher einzugehen ist lediglich auf folgende Punkte:
32a) Die Rüge, das Amtsgericht habe den Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Unrecht zurückgewiesen, ist schon deshalb der Erfolg zu versagen, weil der gestellte "Beweisantrag" keinen Beweisantrag i.S.d. § 244 StPO darstellt. Die Behauptung, das eingesetzte Lasermeßgerät sei "zum Zeitpunkt der Messung mit Ersatzteilen ausgestattet, welche nicht mehr durch den Eichschein vom 15.03.2005 gedeckt war" ist ersichtlich ins Blaue hinein aufgestellt worden, was schon die Tatsache erhellt, daß das entsprechende Ersatzteil nicht von der Verteidigung benannt worden ist. Auch die Rechtsbeschwerdebegründung teilt nicht mit, auf welcher tatsächlichen Erkenntnisgrundlage dieser "Beweisantrag" gestellt worden ist. Als reinem Beweisermittlungsantrag oder als Beweisanregung ins Blaue hinein mußte das Amtsgericht dem Antrag unabhängig von §§ 77 OWiG, 244 Abs. 3 - 6 StPO nicht nachgehen. Die Zurückweisung dieses Antrages durch das Amtsgericht ist somit nicht zu beanstanden. Auf diesen Gesichtspunkt hat das Amtsgericht jedenfalls im Rahmen der Urteilsgründe ergänzend zutreffend abgestellt.
33Das Amtsgericht hätte sich zu der unterbliebenen Sachaufklärung nur im Rahmen der Aufklärungspflicht gedrängt sehen können. Es kann dahinstehen, ob die entsprechende Aufklärungsrüge in zulässiger Weise erhoben worden ist. Jedenfalls ist sie unbegründet, denn die unterbliebene Sachaufklärung mußte sich dem Gericht keinesfalls aufdrängen. Es bestanden keinerlei Anhaltspunkte für die Richtigkeit der von der Verteidigung aufgestellten Behauptung.
34b) § 265 StPO ist durch den unterbliebenen Hinweis auf die Richtigstellung der tatörtlichen Bundesstraße (B 64 statt B 68) nicht verletzt. Aufgrund der Angabe von Tatdatum, Tatzeit, benutztem Pkw und dem Umstand, daß der Betroffene unmittelbar nach der Tat angehalten worden ist, kann kein Zweifel bestanden haben, welche Tat ihm zur Last gelegt worden ist. Eines rechtlichen Hinweises bedurfte es daher nicht.
35c) Die Annahme von Vorsatz ist - entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft - nicht zu beanstanden. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Betroffene die generell gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 c) StVO zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf einer Bundesstraße um 57 km/h überschritten. Bei einer so erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung ist schon aufgrund des optischen Eindrucks von der Umgebung während der Fahrt im Regelfall ausgeschlossen, daß ein Fahrer diese nicht bemerkt. Hinzu kommt nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die ganz erhebliche Geräuschentwicklung des Fahrzeugs, die bereits über sehr weite Entfernung wahrnehmbar war. Wenn in einer solchen Situation das Amtsgericht Vorsatz annimmt, ist das nicht nur rechtsfehlerfrei, sondern auch geboten.
36Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme von Tatmehrheit zwischen der vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung und dem fahrlässigen Nichtmitsichführen des Führerscheins. Zwar bewirkt die bloße Gleichzeitigkeit der Verletzung mehrerer Deliktstatbestände noch nicht notwendig die Handlungsidentität im Sinne von § 19 Abs. 1 OWiG. Vielmehr ist erforderlich, daß diejenige Handlung, die einen Tatbestand (ganz oder teilweise) verwirklicht, zugleich, d.h. wenigstens in einzelnen der ihr zugehörigen Willensbetätigungen, einen anderen Tatbestand ganz oder teilweise erfüllt. Zur Abgrenzung gegenüber möglicherweise "nur gleichzeitigen", "nur gelegentlich" einer Dauertat begangenen Verstößen ist zu fordern, daß Identität in einem für beide Tatbestandsverwirklichungen in der konkreten Form notwendigen Teil vorliegen muß, daß das Dauerdelikt selbst einen tatbestandserheblichen Tatbeitrag zu dem jeweiligen anderen Verstoß bildet (vgl. OLG Rostock, VRS 107, 461 ff.). Das ist vorliegend der Fall, weil das Nichtmitsichführen eines Führerscheins nur dann ordnungswidrig ist, wenn das Fahrzeug tatsächlich geführt wird. Beide Taten stehen vielmehr in Tateinheit. Der Senat ist auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Feststellungen in der Lage, diesen Rechtsfehler zu korrigieren.
37Ebenfalls auf die erhobene Sachrüge war der Rechtsfolgenausspruch abzuändern. Diese Notwendigkeit ergibt sich schon daraus, daß das Amtsgericht entgegen § 19 Abs. 2 OWiG zwei gesonderte Geldbußen festgesetzt hat. Ein weiterer Rechtsfehler besteht darin, daß das Amtsgericht die verkehrsrechtlichen Vorbelastungen bußgelderhöhend berücksichtigt hat, obwohl insoweit aufgrund der unzähligen Terminsaufhebungen und -neubestimmungen insoweit gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 StVG Tilgungsreife hinsichtlich aller Vorbelastungen eingetreten war und damit - unabhängig vom Bestehen einer Überliegefrist - ein Verwertungsverbot gemäß § 29 Abs. 8 StVG bestanden hat.
38Der Senat ist gemäß § 79 Abs. 6 OWiG auf der Grundlage des angefochtenen Urteils selbst in der Lage, die Geldbuße festzusetzen. Mit dem Amtsgericht hält der Senat ausgehend von der Regelgeldbuße von 150,00 Euro die Verhängung einer auf 225,00 Euro erhöhte Geldbuße unter Berücksichtigung des Vorsatzes des Betroffenen für insgesamt angemessen und hat deshalb darauf erkannt.
39III.
40Da der Erfolg des Rechtsmittels des Betroffenen, gemessen am Rechtsmittelziel, als gering anzusehen ist, war dem Teilerfolg des Rechtsmittels in der Kostenentscheidung nicht Rechnung zu tragen, §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 4 StPO. Jeder Rechtsmittelführer hat daher die Kosten seines Rechtsmittels selbstzu tragen, somit die Staatskasse die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft.