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Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 25.03.2008 wird der Beschluss des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 05.03.2008 teilweise abgeändert.
Dem Antragsteller wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt X aus C für den Antrag bewilligt, das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 6.075, € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.11.2007 zu zah-len.
Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren ist auf die Hälfte zu ermäßigen.
Gründe:
2I.
3Der Antragsteller, der sich in der (vor dem 01.01.1977 errichteten) JVA Münster zunächst in Untersuchungshaft (31.01.2006-16.05.2006) befand und dort anschließend eine Freiheitsstrafe verbüßte, begehrt mit seiner beabsichtigten Klage vom Land Nordrhein-Westfalen die Zuerkennung einer Entschädigung wegen der Unterbringung in einem Gemeinschaftshaftraum über einen Zeitraum von insgesamt 386 Tagen in Höhe von 28.950, €.
4Er war in der JVA Münster ab dem 31.01.2006 bis zum 21.02.2007 inhaftiert und dort wie folgt untergebracht:
5In der Zeit vom 31.01.2006 bis zum 15.02.2006 war er in dem knapp 15 m2 großen Gemeinschaftshaftraum 461 zusammen mit drei oder vier weiteren Gefangenen untergebracht. Die Toilette war notdürftig durch eine Mauer von dem übrigen Haftraum abgetrennt; der Zugang zur Toilette war offen, es gab keine Tür.
6In der Zeit vom 16.02.2006 bis zum 12.06.2006 war er in dem 8 m2 großen Einzelhaftraum 441, in der sich die Toilette offen im Raum befand, mit einem weiteren Gefangenen in einer Zwei-Mann-Notgemeinschaft untergebracht.
7Anschließend war vom 12.06.2006 bis zum 03.07.2008 im Einzelhaftraum 6 allein untergebracht.
8Danach war er vom 03.07.2006 zur Verbüßung seiner Strafhaft in dem 15 m2 großen Haftraum 167 mit zwei weiteren Gefangenen untergebracht. Größe und Ausstattung – insbesondere auch die sanitäre Situation – entsprachen dem Gemeinschaftsraum 461.
9Schließlich – ein genauer Zeitpunkt wird nicht genannt – wurde der Antragsteller bis zum 21.02.2007 in einem anderen Haftraum mit weiteren drei Gefangenen untergebracht. Auch dort entsprachen Größe und Ausstattung – insbesondere hinsichtlich der sanitären Situation – dem Gemeinschaftshaftraum 461.
10Die JVA war in dem hier maßgeblichen Zeitraum nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Antragstellers permanent überbelegt.
11Der Antragsteller behauptet, er habe mehrfach vergeblich einen Antrag auf Einzelunterbringung gestellt. Er macht geltend, dass die gemeinschaftliche Unterbringung in dem Haftraum gegen das Gebot menschenwürdiger Unterbringung verstoßen habe. Das begründe eine Amtspflichtverletzung, für die das Land zumindest wegen Organisationsverschuldens hafte. Die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Unterbringung sei angesichts der permanenten Überbelegung aussichtslos und daher unzumutbar gewesen. Die Dauer der Unterbringung unter menschenunwürdigen Vollzugsbedingungen erfordere zur Genugtuung und Prävention eine Geldentschädigung, die mit 75 € pro Tag anzusetzen sei.
12Das Land ist dem entgegengetreten und macht geltend, dass die gemeinschaftliche Unterbringung des Antragstellers vom 31.01.2006 bis zum 30.03.2006 sowie ab dem 03.07.2006 aus medizinischen Gründen wegen seiner Drogenabhängigkeit zwingend erforderlich gewesen sei. Dem Antragsteller hätten auch erhebliche Möglichkeiten zur Verfügung gestanden, sich außerhalb der Haftraumes aufzuhalten und den mit der gemeinschaftlichen Unterbringung verbundenen Belastungen zu entgehen. Nach Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen am 30.03.2006 hätte der Antragsteller bis zu seinem Übertritt in die Strafhaft auf einen Einzelhaftraum verlegt werden können, wenn er dies beantragt hätte. Der vom Antragsteller geltend gemacht Anspruch scheitere an § 839 Abs. 3 BGB. Das Land verweist auch darauf, dass kein zwingendes Junktim zwischen der Verletzung der Menschenwürde und einem Anspruch auf Geldentschädigung bestehe. In jedem Fall sei die verlangte Entschädigung von 75, € pro Tag übersetzt.
13Das Landgericht hat für eine beabsichtigte Klage in Höhe von 1.485, € Prozesskostenhilfe bewilligt und den weitergehenden Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller in der Zeit vom 31.01.2006 bis zum 15.02.2006, vom 16.02.2006 bis zum 28.02.2006 sowie vom 03.07.2006 bis zum 03.08.2006 in einer gegen das Verbot menschenunwürdiger Inhaftierung verstoßenden Weise untergebracht war, wobei es für den zuerst und den zuletzt genannten Zeitraum einen Entschädigungsbetrag in Höhe von jeweils 22, € und für den Zeitraum von Mitte bis Ende Februar 2006 einen Entschädiogungsbetrag in Höhe von 33, € als angemessen angesehen hat. Einen weitergehenden Anspruch hat es unter Hinweis auf § 839 Abs. 3 BGB abgelehnt. Der Anspruch sei insoweit zeitlich beschränkt, als davon auszugehen sei, dass der menschenunwürdigen Haftsituation nach einem Antrag auf Unterbringung in einem Einzelhaftraum jedenfalls binnen Monatsfrist abgeholfen worden wäre.
14Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner rechtzeitig eingelegten sofortigen Beschwerde, mit der er unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrages seinen ursprünglichen Antrag weiterverfolgt. Er rügt, dass sich das Land nicht mit Erfolg darauf berufen könne, dass er unstreitig von seinem Recht gem. § 109 StVollzG keinen Gebrauch gemacht habe, eine Entscheidung der zuständigen Strafvollstreckungskammer herbeizuführen. Darüber hinaus bliebe auch der vom Landgericht als angemessen angesehene Entschädigungsbetrag hinter den Beträgen zurück, wie sie von anderen Gerichten zuerkannt würden. Ferner macht er geltend, dass sich das Land nicht auf das Vorhandensein freier Einzelhaftplätze berufen könne, wenn es andererseits Gefangene in menschenunwürdiger Weise unterbringe.
15Das Land hat gegenüber dem vom Antragsteller geltend gemachten Anspruch hilfsweise die Aufrechnung mit Verfahrenskosten in Höhe von 461,60 € (36 Js 76/03 StA Bielefeld erklärt.
16Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 21.04.2008 aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
17II.
18Die gem. § 127 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist teilweise begründet. Die beabsichtigte Klage hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO.
191.
20Auf der Grundlage des für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe maßgeblichen Vortrags des Antragstellers liegen die Voraussetzungen für einen Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG vor.
211.1
22Die gemeinschaftliche Unterbringung des Antragstellers in der Zeit vom 31.01.2006 bis zum 15.02.2006 in dem Gemeinschaftshaftraum 461, in der Zeit vom 16.02.2006 bis zum 12.06.2006 in dem Einzelhaftraum 441 sowie in der Zeit vom 03.07.2006 bis zum 21.02.2007 in Haftraum 167 stellt eine Amtspflichtverletzung dar. Diese Unterbringung war rechtswidrig. Sie verstieß gegen Art. 1 und 2 Abs. 1 GG sowie Art. 3 EMRK.
231.1.1
24Ob die gemeinschaftliche Unterbringung des Antragstellers für die Dauer seiner Untersuchungshaft im Hinblick auf § 119 StPO berechtigt war, kann ebenso offen bleiben wie die Frage, ob eine gemeinschaftliche Unterbringung während der Strafhaft gem. § 201 Nr. 3 S. 1 StVollzG rechtmäßig war, weil die gemeinschaftliche Unterbringung als solche unter den hier obwaltenden Umständen einen Entschädigungsanspruch nicht auszulösen vermag, dieser sich vielmehr – wie noch auszuführen ist – allein aus der Größe und Ausstattung des Haftraumes ableiten kann.
251.1.2
26Die Amtspflichtverletzung ergibt sich hier daraus, dass die gemeinschaftliche Unterbringung in den konkret in Rede stehenden Hafträumen menschenunwürdig war. Das begründet einen Verstoß gegen Art. 1 und 2 Abs. 1 GG sowie zugleich gegen Art. 3 EMRK.
271.1.2.1
28Die gemeinschaftliche Unterbringung eines Gefangenen kann gegen die Menschenwürde des betroffenen Strafgefangenen verstoßen.
29Das Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen werden, mag er sich in noch so schwerer und unerträglicher Weise gegen die Werteordnung der Verfassung vergangen haben (BVerfG NJW 2002, 2700 <2701 m.w.N.>). Strafgefangene haben einen Anspruch auf eine menschenwürdige Unterbringung (BVerfG NJW 2006, 1580 m.w.N.). In der Strafvollstreckung ist zu beachten, dass die menschliche Würde unmenschliches, erniedrigendes Strafen verbietet und der Täter nicht unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Ausgleichsanspruchs zum bloßen Objekt der Vollstreckung herabgewürdigt werden darf. Aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip ist daher gerade für den Strafvollzug die Verpflichtung des Staates herzuleiten, jenes Existenzminimum zu gewähren, das ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst ausmacht (BVerfG NJW 2006, 1580 <1581 m.w.N.>).
30Daraus folgt allerdings nicht, dass jedwede gemeinschaftliche Unterbringung menschenunwürdig ist. Der BGH hat selbst bei der durch die Strafvollstreckungskammer bindend ausgesprochenen Feststellung eines Verstoßes gegen den Anspruch auf Einzelunterbringung gem. § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG ausgeführt, dass die bloße gemeinsame Unterbringung eines Gefangenen entgegen § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG ohne Hinzutreten erschwerender, den Gefangenen benachteiligender Umstände nicht als Verstoß gegen die Menschenwürde anzunehmen ist (BGH NJW 2006, 3572). Dem folgt der Senat.
31Die Frage, ob solche erschwerenden Umstände vorliegen, stellt eine Beurteilung des Einzelfalls dar. Sie ist abhängig von der Größe (Grundfläche und Rauminhalt) und Ausstattung (insbesondere in sanitärer Hinsicht) sowie Belegung (Anzahl der in dem Haftraum gleichzeitig untergebrachten Gefangenen) des Haftraums. Dabei sind an den Haftraum bestimmte Mindestanforderungen zu stellen. Er muss hinsichtlich seiner Größe und Ausgestaltung so beschaffen sein, dass das Recht auf Achtung der Menschenwürde gewahrt bleibt. Das schließt die Pflicht ein, die Privat- und Intimsphäre des Gefangenen als Ausdruck seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) tunlichst zu wahren (BVerfG ZfStrVo 1997, 111). Daneben kann aber auch von Bedeutung sein, in welchen Zeiträumen und zu welchen Zwecken sich der einzelne Gefangene in dem betreffenden Haftraum aufhalten muss bzw. musste. Folgt allerdings bereits aus der Art der (gemeinsamen) Unterbringung, dass die Menschenwürde des Gefangenen berührt ist, kommt es für die verfassungsrechtliche Beurteilung auf die Dauer der Mehrfachunterbringung nicht mehr an; dann sind auch die genauen Aufenthaltszeiten in der Zelle für die Frage einer menschenunwürdigen Unterbringung rechtlich unerheblich (vgl. OLG Frankfurt NJW 2003, 2843, <2845>). Denn Achtung und Schutz der Menschenwürde ist aller staatlichen Gewalt gem. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG auferlegt und verbietet demgemäß auch eine nur vorübergehende menschenunwürdige Behandlung (BverfG NJW 2002, 2699 <2700>). Der Dauer der Unterbringung kommt demgemäß lediglich für die Frage Bedeutung zu, ob aus den menschenunwürdigen Haftbedingungen auch ein Entschädigungsanspruch folgt.
32Eine menschenunwürdige Unterbringung ist nach Art. 1 und 2 Abs. 1 GG rechtswidrig. Ferner verstößt sie zugleich gegen den innerstaatlich mit Gesetzeskraft geltenden (BGH NJW 1993, 2927) Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Diese Regelung legt den Staaten die Verpflichtung auf sicherzustellen, dass jeder Gefangene unter Bedingungen festgehalten wird, die mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Erfordernisse der Haft angemessen sichergestellt werden (EGMR NJOZ 2007, 2934 und NJW 2001, 2694).
33Hingegen ist Art. 5 EMRK vorliegend nicht einschlägig. Er erfasst nur den rechtswidrigen Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßnahme als solcher, nicht aber die Modalitäten des Strafvollzugs (BGH NJW 1993, 2927 <2928>). Zwar ist anerkannt, dass auch die Umstände des Vollzugs die Rechtmäßigkeit der Haft in Frage stellen können, etwa wenn infolge der Haftbedingungen Vollzugsuntauglichkeit eintritt (BGH a.a.O.). Eine solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor. Die beanstandete Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle führt nicht zur Rechtswidrigkeit des mit der Vollstreckung der Strafhaft einhergehenden Freiheitsentzugs. Soweit dies teilweise anders gesehen wird (OLG Celle, NJW-RR 2004, 380), vermag der Senat dem nicht zu folgen.
341.1.2.2
35Bei Anwendung dieser Maßstäbe liegt hier in der gemeinschaftlichen Unterbringung des Antragstellers ein Verstoß gegen die Menschenwürde vor.
36Die jeweils 15 m2 großen Hafträume 461 und 167, in dem der Antragsteller zusammen mit mindestens 3 weiteren Gefangenen in der Zeite vom 31.01.2006 bis zum 15.02.2006 und vom 03.07.2006 bis zum 21.02.2007 untergebracht war, verfügten über eine durch eine Mauer von der übrigen Zelle abgetrennte Toilette, deren Zugang allerdings offen war und über keine Tür verfügte. Der 8 m2 große Einzelhaftraum 441, in dem der Antragsteller in der Zeit vom 16.02.2006 bis zum 12.06.2006 in einer Zwei-Mann-Notgemeinschaft untergebracht war, verfügte über eine offen im Raum stehende Toilette.
371.1.2.2.1
38Konkrete Anforderungen an die Mindestgröße eines Haftraums enthält auch das StVollzG nicht. Eine zur Festlegung einer solchen Größe nach § 144 Abs. 2 StVollzG mögliche Rechtsverordnung fehlt bislang. Es ist auch in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, welche Mindestgröße der Haftraum bei dessen Mehrfachbelegung nicht unterschreiten darf (vgl. die Zusammenstellung bei Arloth/Lückemann, StVollzG, § 144 Rn 2 und Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Auflage, § 144 Rdn. 1). Teilweise ist die Belegung eines Haftraums mit zwei Gefangenen bei einer Zellengröße von 9 m² bzw. 9,82 m² mit räumlich abgetrennter Nasszelle mit Toilette und Waschbecken von 1,3 m² bzw. 1,42 m² nur als eine Verletzung einfachen Rechts, nicht hingegen von Art. 1 Abs. 1 GG, angesehen worden (OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, 224 und OLG Celle NStZ-RR 2003, 316). Demgegenüber ist eine menschenunwürdige Unterbringung in einem Fall angenommen worden, in dem sich drei Gefangene eine Zelle teilen mussten, die abzüglich der Fläche für die abgetrennte Toilette eine Gesamtgröße von ca. 9 m² aufwies (OLG Frankfurt, NStZ-RR 2005, 155).
39Vor diesem Hintergrund können die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage des Antragstellers im Sinne des § 114 ZPO nicht verneint werden, soweit es um die Unterbringung in den Hafträumen 461 und 441 geht. Der Senat hält einen Verstoß gegen die Menschenwürde jedenfalls dann für naheliegend, wenn die Grundfläche der Zellengröße pro Gefangenem 5 m² unterschreitet. Denn darin läge eine deutliche Unterschreitung derjenigen Mindestgröße, die in der Literatur als Untergrenze ernsthaft erwogen wird (Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 5. Auflage, § 7 Rdnr. 86: mindestens 7 m²). Bei einer Grundfläche von weniger als 5 m² ist die Fortbewegungsmöglichkeit und Freizeitbeschäftigung des Gefangenen auf der Fläche, die ihm unter Berücksichtigung des für die Möblierung notwendigen Flächenbedarfs noch verbleibt, bereits der eingeschränkt ist, dass von einer menschenwürdigen Unterbringung kaum mehr die Rede sein kann. Die Klärung der Einzelheiten dieser bislang in der Rechtsprechung nicht abschließend beantworteten Frage ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
401.1.2.2.2
41Unabhängig von der Zellengröße führt hier zusätzlich die sanitäre Ausstattung in den Hafträumen 461, 441 und 167 zur Annahme einer menschenunwürdigen Unterbringung. So war in den Hafträumen 461 und 167 die Toilette zwar durch eine Mauer von der übrigen Zelle getrennt, jedoch war der Zugang zur Toilette offen und verfügte über keine Tür. Darüber hinaus stand die Toilette im Einzelhaftraum 441 vollständig frei im Raum. Hinreichender Sicht-, Geräusch- oder Geruchsschutz bestand damit nicht. In dieser Situation wird im Falle der Toilettenbenutzung durch einen Gefangenen in unzumutbarer Weise dem Gefangenen jeder Rückzugsraum genommen, in ihre Intimsphäre eingegriffen und ihre Menschenwürde negiert.
42Die Menschenunwürdigkeit einer derartigen Haftraumbelegung entspricht allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20.01.2005 – 1 Vollz (Ws) 147/04, BeckRS 2005, 02424 und OLG Hamburg, OLGR 2005, 306 sowie OLG Frankfurt, NJW 2003, 2843 jeweils mit weiteren Nachweisen). Sie ergibt sich aus der Missachtung der menschlichen Subjektivität unter Verletzung der körperlichen und psychischen Identität und Integrität.
431.2
44Die Amtspflichtverletzung in Form der menschenunwürdigen Unterbringung des Antragstellers ist auch schuldhaft begangen worden.
45Bei der Beurteilung des Verschuldens ist nicht auf die an Ort und Stelle zuständigen Justizbediensteten abzustellen, denen angesichts der Überbelegung der Justizvollzugsanstalt keine andere Wahl der Unterbringung geblieben sein dürfte. Maßgeblich ist vielmehr das Organisationsverschulden des beklagten Landes. Ein erheblicher Mangel an Einzelhaftplätzen stellt nämlich keinen hinreichenden Grund dafür dar, geltendes Recht zu unterlaufen (BGH NJW 2005, 58 <59>). Das gilt unabhängig vom jeweiligen Grund für den Mangel an Einzelhaftplätzen in der betreffenden Justizvollzugsanstalt. Ein solcher Mangel mag eine gemeinschaftliche Unterbringung rechtfertigen, keinesfalls aber eine solche zu menschenunwürdigen Bedingungen (ebenso OLG Hamburg, a.a.O.).
461.3
47Die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage sind nicht auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt. Allerdings kommt das unter dem Gesichtspunkt des § 839 Abs. 3 BGB in Betracht, wenn der Antragsteller durch den zumutbaren Gebrauch von Rechtsmitteln die Dauer der Unterbringung zu menschenunwürdigen Bedingungen hätte verkürzen können. Es obliegt jedoch dem Land, diese Voraussetzungen darzulegen und gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren nachzuweisen.
481.3.1
49Nach § 839 Abs. 3 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn es der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Es handelt sich dabei um eine besondere Ausprägung des Mitverschuldensprinzips, das in seiner allgemeinen Form in § 254 BGB niedergelegt ist. Die Bestimmung geht davon aus, dass nur demjenigen Schadensersatz zuerkannt werden kann, der sich in gehörigem und ihm zumutbaren Maße für seine eigenen Belange eingesetzt und damit den Schaden abzuwenden bemüht hat (vgl. BGH NJW 1971, 1694 <1695>). Es soll nicht erlaubt sein, den Schaden entstehen oder größer werden zu lassen, um ihn schließlich gewissermaßen als Lohn für eigene Untätigkeit, dem Beamten oder dem Staat in Rechnung zu stellen (BGH NJW 1971, 1694 <1695>). Der Betroffene hat kein freies Wahlrecht zwischen dem primären Rechtsschutz und der sekundären Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen (BVerfG NJW 2000, 1402). Anders als § 254 BGB führt die Regelung in § 839 Abs. 3 BGB bei jeder Form schuldhafter Mitverursachung zum völligen Anspruchsverlust (MünchKomm/Papier, BGB, 4. Auflage, § 839 Rdn. 329).
50Rechtsmittel sind alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinne, die sich unmittelbar gegen ein bereits erfolgtes, sich als Amtspflichtverletzung darstellendes Verhalten richten und darauf abzielen und geeignet sind, einen Schaden dadurch abzuwenden oder zu mindern, dass dieses schädigende Verhalten beseitigt oder berichtigt wird (BGH NJW 2003, 1208 <1203> und NJW-RR 2004, 706; Palandt/Sprau, BGB, 67. Auflage (2008), § 839 Rdn. 69). Dazu gehören insbesondere auch Gegenvorstellungen, Erinnerungen, Beschwerden und Dienstaufsichtsbeschwerden (BGH NJW 1974, 639 <640>).
51Die Kausalität zwischen der Nichteinlegung des Rechtsbehelfs und dem Schadenseintritt ist in der Regel zu bejahen, wenn über den Rechtsbehelf voraussichtlich zugunsten des Geschädigten entschieden worden wäre; sie ist zu verneinen, wenn die schädigende Amtspflichtverletzung durch den Rechtsbehelf nicht mehr hätte beseitigt oder berichtigt werden können. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, wie die Behörde oder das Gericht richtigerweise hätte entscheiden müssen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, nur, wenn eine Verwaltungsbehörde zur Überprüfung ihres eigenen Handelns veranlasst werden soll (BGH NJW 1986, 1924) oder wenn es um die (hypothetische) Entscheidung eines Gerichts geht und ersichtlich eine einigermaßen zuverlässige Beurteilung, wie richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre, nicht ohne weiteres möglich ist (vgl. BGH NJW 2003, 1308 <1313>).
52Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Betroffene den Schaden durch Einlegung eines Rechtsmittels hätte abwenden können, trägt der in Anspruch genommene Schädiger (BGH NJW 1986, 1924 <1925>; MünchKomm/Papier, BGB, 4. Auflage (2004), § 839 Rdn. 333).
53Ob § 839 Abs. 3 BGB auch für den verschuldensunabhängigen Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK gilt (so OLG München NJW 2007, 1986 und OLG Naumburg NJW 2005, 514), kann dahinstehen. Denn menschenunwürdige Vollzugsmodalitäten werden – wie dargelegt – nicht von Art. 5 EMRK sondern von Art. 3 EMRK erfasst. Dass ein – hier vorliegender – Verstoß gegen Art. 3 EMRK den Anwendungsbereich des § 839 Abs. 3 BGB einschränkt, ist nicht ersichtlich. Das ergibt sich nach Auffassung des Senats auch nicht mittelbar aus Art. 41 EMRK. Nach dieser Regelung kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zusprechen, wenn das innerstaatliche Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen einer u.a. Konventionsverletzung gestattet und dies notwendig ist. Danach löst nicht jede Konventionsverletzung zwingend einen Entschädigungsanspruch aus. Vielmehr hängt ein solcher Anspruch von der Prüfung der Notwendigkeit ab, innerhalb derer der Mitverschuldenseinwand nicht unberücksichtigt bleiben kann. Dazu gehört auch der schuldhafte Nichtgebrauch von Rechtsmitteln zur Abwendung der Konventionsverletzung.
541.3.2
55Nach diesen Grundsätzen lässt sich im Prozesskostenhilfeverfahren ein Haftungsausschluss oder eine Haftungsbegrenzung nicht feststellen. Es liegen keine tragfähigen Erkenntnisse darüber vor, ob und gegebenenfalls innerhalb welchen Zeitraums die Einlegung der Rechtsmittel, die dem Antragsteller gegen die menschenunwürdige Unterbringung nach dem Gesetz offenstanden, zu einer vorzeitigen Beendigung der menschenunwürdigen Unterbringung geführt hätte.
561.3.2.1
57Dem Antragsteller standen folgende Rechtsmittel zur Verfügung:
58Solange der Antragsteller Untersuchungshäftling war, konnte er sich mit einer Eingabe an den nach § 126 StPO zuständigen Haftrichter wenden, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat.
59Nachdem sich der Antragsteller in Strafhaft befand, gilt Folgendes: Gegen die Verlegung/Einweisung in den konkreten Haftraum kann der Gefangene sich beim Leiter der Justizvollzugsanstalt über die ihm menschenunwürdig erscheinenden Umstände beschweren. Bleibt eine solche Beschwerde erfolglos, ist nach dem Vorschaltverfahrensgesetz NW (VorschverfG NW) binnen einer Woche Widerspruch einzulegen, der keine aufschiebende Wirkung hat. Wenn die Behörde dem Widerspruch nicht abhilft, legt sie ihn mit einer Stellungnahme der nächsthöheren Behörde vor. Die nächsthöhere Behörde erlässt eine Widerspruchsentscheidung. Dagegen kann der Gefangene gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG binnen einer Frist von 2 Wochen beantragen, wobei der Antrag nach § 114 Abs. 1 StVollzG keine aufschiebende Wirkung hat. Nach § 114 Abs. 2 StVollzG kann Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Maßnahme oder der Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt werden; dieser Antrag ist nach § 114 Abs. 3 StVollzG auch schon vor Stellung des Antrags nach § 109 StVollzG zulässig und gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 VorschverfG NW auch schon vor Entscheidung über den Widerspruch, soweit das wegen der besonderen Umstände des Falles geboten ist.
601.3.2.2
61Die Nichtergreifung dieser zur Verfügung stehenden Rechtsmittel dürfte regelmäßig schuldhaft sein.
62Das bewusste Absehen von Rechtsmitteln wäre ein vorsätzliches Unterlassen. Soweit dem Gefangenen das dargelegte Rechtsmittelsystem unbekannt gewesen sein sollte, ist ihm Fahrlässigkeit anzulasten. Dabei ist unerheblich, ob die Hausordnung Hinweise auf Rechtsmittel enthält und diese in den Hafträumen ausgelegen hat oder sonst zugänglich war. Denn jedenfalls bestand insoweit eine Erkundigungspflicht. Dazu hätte der Gefangene sich etwa an fachkundige Mitarbeiter in der Anstalt (Sozialarbeiter, Betreuungspersonal) oder hilfsweise an Mitgefangene wenden können und müssen. Notfalls musste er sich der Hilfe eines Rechtsanwaltes bedienen.
63Ein Verschulden könnte jedoch ausgeschlossen sein, wenn die Ergreifung der Rechtsmittel unzumutbar war. Das ist indes regelmäßig nicht der Fall. Eine Unzumutbarkeit ergibt sich namentlich nicht daraus, dass wegen der permanenten Überbelegung der Justizvollzugsanstalt die Anstaltsleitung eine einem Rechtsmittel stattgebende Entscheidung nur unter Verstoß gegen die Menschenwürde eines anderen Gefangenen, der an Stelle des Antragstellers in den betreffenden Haftraum hätte verlegt werden müssen, hätte befolgen können. In dieser Situation stellt sich das Absehen von Rechtsmitteln vielmehr so dar, dass der Antragsteller – statt anderer Gefangener - die menschenunwürdige Behandlung hinnimmt und für dieses für ihn freiwillige Opfer eine Entschädigung begehrt. Das liefe auf ein dem Amtshaftungsrecht fremdes, weil § 839 Abs. 3 BGB widersprechendes, Wahlrecht zwischen einerseits der Ergreifung von Rechtsmitteln und andererseits der Duldung und anschließender Liquidation hinaus.
641.3.2.3
65Es kann jedoch im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu Lasten des Antragstellers von einer Kausalität zwischen dem Unterlassen der Ergreifung zur Verfügung stehender Rechtsmittel und der Fortdauer der menschenunwürdigen Unterbringung bis zu deren tatsächlicher Beendigung am 21.02.2007 ausgegangen werden.
66Es liegen keine tragfähigen Erkenntnisse darüber vor, ob und gegebenenfalls innerhalb welchen Zeitraums die Einlegung der Rechtsmittel zu einer vorzeitigen Beendigung der menschenunwürdigen Unterbringung geführt hätte.
67Zwar rechtfertigt allein die permanente Überbelegung in der Justizvollzugsanstalt in der Regel nicht die Annahme, dass Rechtsmittel von vornherein aussichtslos und damit ohne Erfolg geblieben wären. Das käme nur dann in Betracht, wenn generell keine menschenwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten bestanden oder jedenfalls eine solche Möglichkeit für den Antragsteller nicht gegeben war (so war die Sachlage im Fall OLG Celle, NJW-RR 2004, 380). Das lässt sich vor dem Hintergrund ständiger Fluktuation in den Anstalten und des Vorhandenseins menschenwürdiger Hafträume kaum annehmen, bedarf aber im Einzelfall gegebenenfalls der Klärung im Hauptsacheverfahren.
68Jedoch hängt die gebotene Prognose des Erfolgs von Rechtsmitteln davon ab, innerhalb welchen Zeitraumes eine Eingabe an den gem. § 126 StPO zuständigen Haftrichter zu einer dem Anliegen des Antragstellers entsprechenden Anweisung geführt hätte bzw. – nach Beginn der Vollstreckung der Strafhaft – das nach dem VorschverfG NW erforderliche Widerspruchsverfahren mit welchem voraussichtlichen Ergebnis abgeschlossen worden wäre, wann und mit welchem Ergebnis die jeweils zuständige Strafvollstreckungskammer entschieden hätte und ob der Gefangene danach gegebenenfalls noch ein Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 116 StVollzG hätte durchführen müssen sowie innerhalb welchen Zeitraumes eine gerichtliche Anweisung umgesetzt worden wäre.
69Hierbei kann nicht ohne weiteres zu Lasten des Antragstellers unterstellt werden, dass ein Antrag an den Haftrichter bzw. ein Widerspruchsverfahren oder jedenfalls der Antrag nach § 115 StVollzG bei der Strafvollstreckungskammer Erfolg gehabt hätten. Dem steht die dem Senat aus verschiedenen Fällen bekannte Verwaltungspraxis im Strafvollzug entgegen, wonach auf Beschwerden keine Abhilfe geschaffen, sondern Gefangene lediglich auf eine sog. "Warteliste" für Einzelhafträume gesetzt worden sind und auch Strafvollstreckungskammern fehlerhaft eine menschenunwürdige Unterbringung verneint haben, so dass möglicherweise erst in einem Beschwerdeverfahren nach § 304 StPO (für die Dauer der Untersuchungshaft) bzw. in einem Rechtsbeschwerdeverfahren (für die Zeit des Strafvollzuges) auf der Grundlage der seit den Entscheidungen des BGH vom 04.11.2004 (NJW 2005, 58) und des hiesigen 1. Strafsenats vom 20.01.2005 (Az.: 1 Vollz (Ws) 147/04) gefestigten Rechtsprechung zu Gunsten des Antragstellers entschieden worden wäre.
70Vor diesem Hintergrund verbietet sich im Prozesskostenhilfeverfahren eine verlässliche Prognose. Die dazu notwendigen Fragen sind im Hauptsacheverfahren zu klären, wenn und soweit von dem insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Land hinreichender Sachvortrag erfolgt.
712.
72Der Höhe nach rechtfertigt das Vorbringen des Antragstellers einen Anspruch auf Geldentschädigung von 15 € pro Tag in den Hafträumen 461 (= 16 Tage vom 31.01.2006 bis 15.02.2006) und 167 (= 233 Tage von Ende Juni 2006 bis 21.02.2007) sowie von 20 € pro Tag in dem Haftraum 441 (= 117 Tage vom 16.02.2006 bis zum 12.06.2006) mithin insgesamt 6.075, €.
732.1
74Wie der BGH (NJW 2005, 58 <59>) ausgeführt hat, ist der geltend gemachte Schaden einerseits kein Vermögensschaden, andererseits auch kein bloßes Schmerzensgeld im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB. Es geht vielmehr um den Ausgleich einer Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und des aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Zubilligung einer Geldentschädigung in bestimmten Fällen der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben, mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (BGH a.a.O.). Anders als beim Schmerzensgeldanspruch steht bei dem Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund.
752.2
76Nach diesen Maßstäben kommt nach Auffassung des Senats eine Entschädigung in Höhe einer Bandbreite von 10 € bis zu 30 € je Tag für menschenunwürdige Unterbringungen der hier in Rede stehenden Art in Betracht. Welcher Betrag innerhalb dieser Bandbreite im konkreten Fall angemessen ist, hängt jeweils von den konkreten Umständen der Unterbringung ab.
772.2.1
78Die Bandbreite von 10 € bis 30 € trägt der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und dem nicht unerheblichen Organisationsverschulden des haftenden Landes Rechnung.
79Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass aufgrund der mangelnden Kapazitäten der Justizvollzugsanstalt zwangsläufig ständig eine bestimmte Anzahl an Gefangenen menschenunwürdig untergebracht war und die jeweiligen Gefangenen, denen diese Unterbringung auferlegt wurde, das als Zusatzstrafe empfinden mussten. Auch wenn diese Art der Unterbringung durch die Justizvollzugsanstalt aus dem Zwang der akuten Überbelegung erfolgt ist und nicht eine bewusst schikanöse Behandlung gerade des Antragstellers darstellt, so beruht sie letztlich auf einem durchaus erheblichen (Organisations-)Verschulden des Landes. Es ist jedenfalls im Prozesskostenhilfeverfahren nicht festzustellen – und muss bei geeignetem Vortrag gegebenenfalls der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben –, ob das Land geeignete Maßnahmen ergriffen hat, die seit Jahren bekannte Problematik (zutreffend schon OLG Celle, NJW-RR 2004, 380) der Überbelegung der Justizvollzugsanstalten und die Frage der auch bei beengten finanziellen Verhältnisse erforderlichen und verfassungsrechtlich gebotenen menschenwürdigen Unterbringung von Gefangenen zu lösen, was vor dem Hintergrund der dem Senat aus vielen verschiedenen Fällen bekannten chronischen Notsituation in unterschiedlichen Haftanstalten zweifelhaft erscheint, die in der Vergangenheit offenbar immer wieder zu menschenunwürdiger Unterbringung einzelner Gefangener nötigte und Anlass zur Bildung sogenannter Wartelisten für Einzelhaftplätze war.
80Die Höhe der zuzubilligenden Entschädigung ist nicht auf eine Entschädigung innerhalb der Grenzen des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen beschränkt, wonach unschuldig erlittene Haft gem. § 7 Abs. 3 StrEG nur mit 11, € täglich entschädigt wird. Nach der Intention dieses Gesetzes, das einen Aufopferungsanspruch gesetzlich regelt (BGHZ 72, 302 <305>), sollen nur die üblichen Unzuträglichkeiten, die die Haft mit sich bringt, ausgeglichen werden. Daneben bleiben aber Ansprüche außerhalb des StrEG wegen atypischer Folgen des Vollzugs oder der rechtswidrigen Anordnung der Haft bestehen (BGH VersR 1993, 972).
81Auch wenn es hier um Ausgleich und Genugtuung für eine schuldhafte Beeinträchtigung durch unzulässige Haftbedingungen geht, muss dieser Eingriff aber nicht ohne Weiteres schwerer wiegen als der Verlust der Freiheit (vgl. KG, OLGReport 2005, 813 <814>). Zu beachten ist aber auch, dass die Entschädigung nach StrEG verschuldensunabhängig gewährt wird, während eine Entschädigung unter Amtshaftungsgesichtspunkten ein Verschulden voraussetzt. Hinzu kommt, dass in den nach StrEG zu entschädigenden Fällen die Untersuchungs- bzw. Strafhaft nur bei rückblickender Betrachtung als ungerechtfertigt anzusehen ist, während es hier um einen von vornherein rechtswidrigen Eingriff handelt (OLG Hamburg, OLG-Report 2005, 306), der dem betroffenen Gefangenen infolge von Organisationsmängeln des Landes bewusst zugefügt worden ist.
82Die Abwägung dieser Umstände lässt allein aufgrund der objektiven Gegebenheiten der Unterbringung – ohne die zusätzliche Berücksichtigung im Einzelfall etwa in Betracht kommender weiterer subjektiver Beeinträchtigungen – eine Entschädigung von unter 10 € oder über 30 € täglich regelmäßig ausgeschlossen erscheinen.
832.2.2
84Welcher Betrag innerhalb dieser Bandbreite im konkreten Fall angemessen ist, hängt jeweils von den konkreten Umständen der in Rede stehenden Unterbringung ab.
85Dabei ist insbesondere das Ausmaß der Beeinträchtigungen in den Blick zu nehmen und auch die Frage, in welchem zeitlichen Umfang der Gefangene täglich den menschenunwürdigen Bedingungen ausgesetzt gewesen ist, ohne sich dem in zumutbarer Weise – etwa durch Ausübung einer Arbeitstätigkeit und Teilnahme an angebotenen Freizeitbeschäftigungen – entziehen zu können, zu berücksichtigen.
86Soweit Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Person und oder dem Verhalten des oder der Mitgefangenen hergeleitet werden, kommt dem regelmäßig eine Entschädigungsrelevanz nur zu, wenn der Gefangene gerade dadurch in seiner körperlichen Unversehrtheit oder in seinem körperlichen Wohlbefinden (zusätzlich) unzumutbar beeinträchtigt ist.
87Wenn sich keine Besonderheiten aus den konkreten Umständen der Unterbringung ergeben, die die Beeinträchtigung als besonders erschwerend oder andererseits als weniger gravierend erscheinen lassen, dürfte bei einer gemeinschaftlichen Unterbringung ohne hinreichend abgetrennten Sanitärbereich vielfach ein Mittelwert von 20 € pro Tag als Entschädigung angemessen sein, während eine Überbelegung in einer Zelle mit abgetrennter Toilette kaum einen über die untere Grenze der Bandbreite von 10 € pro Tag hinausgehenden Betrag zu rechtfertigen vermag.
88Der Senat steht mit dieser Beurteilung im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte, die in vergleichbaren Fällen einer gemeinschaftlichen Unterbringung ohne hinreichend abgetrennten Sanitärbereich Entschädigungsbeträge von 20 € (KG OLG Report, 2005, 813; OLG Karlsruhe NJW-RR 2005, 1267 <2.000,00 € für 98 Tage>) bzw. 25 € (OLG Hamburg OLG Report 2005, 306) in Betracht gezogen haben. Soweit darüberhinaus auch Beträge von 50 € (OLG München NJW 2007, 1986) oder gar 100 € (OLG Celle NJW 2003, 2463) diskutiert worden sind, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen.
892.2.3
90Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die Klage des Antragstellers auf eine Entschädigung für 249 Tage zu je 15 € (= 3.735, €) sowie für 117 Tage zu je 20 € (2.340, €) – insgsamt in Höhe von 6.075, € – Aussicht auf Erfolg hat.
91Anhaltspunkte, die die Unterbringung des Antragstellers als besonders erschwerend oder als weniger gravierend erscheinen lassen, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Deshalb kommt eine höhere Entschädigung als zu den dargestellten Werten nicht in Betracht. Welche Entschädigung bis zu diesem Höchstbetrag im konkreten Fall angemessen ist, muss der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
923.
93Die Erfolgsaussichten der Klage sind entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht im Hinblick auf die Hilfsaufrechnung des Landes zu verneinen.
94Denn die Hilfsaufrechnung des Landes scheitert jedenfalls an § 393 BGB. Nach dieser Vorschrift ist eine Aufrechnung gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung unzulässig. Die Regelung bezieht sich auch auf Amtshaftungsansprüche wegen eines vorsätzlichen Delikts eines Amtsträgers (vgl. Staudinger/Gursky, Neubearbeitung 2006, § 393 BGB, Rdn. 20). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
95Dem Land ist hier – wie dargelegt – ein Organisationsverschulden anzulasten, das darin besteht, trotz Mangels an Einzelhaftplätzen jedenfalls nicht eine ausreichende Zahl von Gemeinschaftshafträumen vorzuhalten, die eine menschenwürdige Unterbringung mehrerer Gefangener erlaubt. Der Antragsteller weist zutreffend darauf hin, dass das Land in Kenntnis der unzureichenden Anzahl geeigneter Hafträume und in Kenntnis der von der Rechtsprechung herausgebildeten Kriterien, die eine Verletzung der Menschenwürde bei gemeinsamer Unterbringung begründen, mangels hinreichender Organisation zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass jeweils eine bestimmte Anzahl von Gefangenen menschenunwürdig unterzubringen war. Das begründet die Annahme bedingt vorsätzlichen Handelns in Bezug auf den jeweils menschenunwürdig untergebrachten Häftling, hier mithin in Bezug auf den Antragsteller.
964.
97Erfolgsaussichten zum Zinsbegehren bestehen auf der Grundlage des § 288 Abs. 1 BGB für die Zeit ab dem 03.11.2007. Es ist nach dem Akteninhhalt davon auszugehen, dass das Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers an diesem Datum dem Land zugegangen ist, so dass damit die Voraussetzungen des § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllt sind, weil das Prozesskostenhilfegesuch zugleich als Zahlungsaufforderung zu verstehen ist. Für einen früheren Zinsbeginn ist nichts ersichtlich.
985.
99Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO und Nr. 1812 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG.