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Die Berufung der Klägerin gegen das am 06.07.2005 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
2I.
3Die am ####1943 geborene Klägerin befand sich vom 03.08.2000 bis zum 24.08.2000 in fachärztlicher Behandlung in der neurochirurgischen Klinik des Knappschaftskrankenhauses in S, dessen Trägerin die Beklagte ist. Zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme bestanden mit Ausnahme von Schwindelanfällen – ausgelöst durch einen Hirntumor – keinerlei sonstige Beschwerden.
4Am 07.08.2000 wurde die operative Entfernung des Tumors im Kleinhirnbrückenwinkel links vorgenommen. Postoperativ litt die Klägerin unter erheblichen Schluckstörungen, einer Stimmbandlähmung, erheblicher Schwerhörigkeit links, einer Fazialisparese links und Schmerzen im rechten Arm.
5In den Anschlussheilbehandlungen gelang es nicht, die Beschwerden der Klägerin vollständig zu beheben. Die erheblichen Schluck- und Sprechstörungen sowie eine Taubheit es linken Ohrs liegen heute noch vor. Die Klägerin ist aufgrund ihrer Beschwerden seit Dezember 2000 Rentnerin.
6Die Klägerin hat von der Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld (Vorstellung: 102.258,37 Euro), Verdienstausfallschaden nebst entsprechender Rente, Haushaltsführungsschaden nebst entsprechender Rente sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für alle weiteren materiellen und alle zukünftigen immateriellen Schäden wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung verlangt. Sie hat behauptet, intraoperativ sei es zu einer Verletzung der Hirnnerven VII, VIII und X gekommen.
7Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens der Sachverständigen Prof. C, Prof. F und Privatdozent Dr. X2 vom 13.12.2004 nebst Zusatzgutachten vom 07.09.2004 und 17.11.2004 sowie mündlicher Anhörung des Sachverständigen Prof. C keinen Behandlungsfehler festgestellt und die Klage abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
8Mit der Berufung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:
9Die Feststellungen des Landgerichts seien widersprüchlich, weil es nicht berücksichtigt habe, dass sich der Sachverständige Prof. Dr. C in der mündlichen Anhörung in Widerspruch zu seinem schriftlichen Gutachten gesetzt habe. Die schriftlichen Ausführungen könnten nur so verstanden werden, dass der Sachverständige auch ein fehlerhaftes Vorgehen der operierenden Ärzte bestätigt habe. Anderenfalls hätte der Sachverständige einen Behandlungsfehler ausdrücklich verneint. Zu der behaupteten fehlerhaften Lagerung des rechten Arms während der Operation sei weder der Sachverständige im Termin angehört worden noch sei dies in den Entscheidungsgründen des Urteils berücksichtigt worden. Schließlich habe das Landgericht sich auch nicht mit dem gerügten Aufklärungsfehler auseinander gesetzt.
10Die Klägerin beantragt,
11unter Aufhebung des angefochtenen Urteils
121.
13die Beklagte zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 102.558,38 Euro (200.000,-- DM) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. November 2003 zu zahlen,
142.
15die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Verdienstausfallschaden in Höhe von 11.463,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. November 2003 zu zahlen,
163.
17die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Verdienstausfallrente spätestens fällig am 3. eines Monats in Höhe von 477,63 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Fälligkeit, beginnend mit dem 1. Januar 2003 bis zum 31. Januar 2008 zu zahlen,
184.
19die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Haushaltsführungsschaden für die Zeit vom 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2002 in Höhe von 24.386,72 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. November 2003 zu zahlen,
205.
21die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Haushaltsführungsschadenrente in Höhe von 1.099,44 Euro, fällig jeweils zum 3. eines jeden Monats, beginnend ab 1. Januar 2003 bis zum 77. Lebensjahr (31. Januar 2020) fortlaufend zu zahlen, und zwar nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit jeweiliger Fälligkeit,
226.
23festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie jedweden weiteren materiellen und zur Zeit noch nicht absehbaren immateriellen Schaden ab Klageerhebung zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen sind.
24Die Beklagte beantragt,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht im Wesentlichen geltend:
27Die Feststellungen des Landgerichts seien nicht widersprüchlich, weil zwischen dem schriftlichen Gutachten und den mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen kein Widerspruch bestehe. Das unvollständige und ergänzungsbedürftige schriftliche Gutachten habe der Sachverständige in der Anhörung entsprechend ergänzt. Der Sachverständige habe in der Anhörung einen zurechenbaren Kausalzusammenhang zwischen einem fehlerhaften Vorgehen der behandelnden Ärzte und einer Verletzung der Hirnnerven gerade nicht bestätigt. Ein solcher Kausalzusammenhang sei allenfalls möglich, aber eher unwahrscheinlich. Das schriftliche Gutachten habe die Frage nach einem Behandlungsfehler nicht ausdrücklich beantwortet. In der Anhörung habe der Sachverständige aber klargestellt, dass für einen Behandlungsfehler im Bereich der Operation keine Anhaltspunkte bestehen. Mangels ausdrücklicher Feststellung in den Krankenunterlagen bestreitet die Beklagte das Vorliegen einer Periostitis im Bereich des rechten Arms für Vergangenheit und Gegenwart.
28Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Behandlungsunterlagen, das Sitzungsprotokoll und den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 06.02.2006 über die ergänzende Anhörung der Klägerin und die Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. C Bezug genommen.
29II.
30Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
31Auch nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme kann nicht festgestellt werden, dass der Klägerin vertragliche (PVV des Behandlungsvertrags) oder deliktische (§§ 823 Abs. 1, 831, 847 a. F. BGB) Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten zustehen. Denn der Klägerin ist der Nachweis eines Behandlungsfehlers im Zusammenhang mit der Operation des Kleinhirnbrückenwinkeltumors vom 07.08.2000 nicht gelungen. Die Beklagte haftet auch nicht wegen eines Aufklärungsversäumnisses.
32Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Bei seiner Beurteilung der medizinischen Fragen folgt der Senat den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. Als Direktor der Klinik für Neurochirurgie der Universität L besitzt der Sachverständige sowohl ein fundiertes theoretisches Wissen als auch eine umfassende praktische Erfahrung. Seine Ausführungen beruhten auf einer gründlichen Aufarbeitung der vorhandenen Behandlungsunterlagen. Der Sachverständige war zudem in der Lage, sämtliche maßgeblichen Fragen des Falles zu beantworten. Der Einholung eines neuen Gutachtens gem. § 412 ZPO bedurfte es daher nicht. Die Überzeugungskraft der Ausführungen des Sachverständigen Prof. C wird zudem durch das von der Beklagten vorgelegte Privatgutachten des Neurochirurgen Prof. Dr. X vom 03.06.2003 gestützt.
331.
34Hinsichtlich der Operation vom 07.08.2000 ist den Ärzten der Beklagten kein Behandlungsfehler nachzuweisen.
35Der Sachverständige hat dazu ausgeführt, dass die Entfernung des Kleinhirntumors dem Facharztstandard entsprechend durchgeführt wurde. Aus den von ihm ausgewerteten Behandlungsunterlagen ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen Fehler während der Operation.
36Es kann auch nicht festgestellt werden, dass es intraopertiv zu einer behandlungsfehlerhaften Durchtrennung der Hirnnerven VII, VIII und X gekommen ist. Gerade der Operationsbericht vom 07.08.2000 beietet hierfür keine Anhaltspunkte, denn dort hat der Operateur ausdrücklich festgehalten, dass die Hirnnerven „alle intakt“ seien. Eine offensichtliche (Schnitt-) Verletzung der Nerven hat demnach nicht stattgefunden. Eine solche Schädigung des Hirnnerven X wäre auch ungewöhnlich, weil der operativ entfernte Tumor klein war (1 cm) und kernspintomographisch sicher keinen Kontakt zu dem Nerv Nr. X (= nervus vagus) aufwies. Hinsichtlich der Hirnnerven VII und VIII kann eine isolierte (Schnitt-) Verletzung ausgeschlossen werden, weil es postoperativ zu einer Erholung dieser Nerven gekommen ist, auch wenn dies bei dem Stimmbandnerv letztlich ohne Effekt für das Sprechen gewesen ist.
37Die der Klägerin obliegende Beweisführung für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers wird auch nicht durch die Grundsätze des Anscheinsbeweises erleichtert. Danach kann von einem feststehenden Erfolg (Schädigung) auf eine bestimmte Ursache (Behandlungsfehler) geschlossen werden, wenn nach der Lebenserfahrung die Schädigung typisch auf einen Behandlungsfehler hindeutet (so Steffen/Dressler, Rdn. 495).
38Diese Voraussetzung liegt aber nicht vor. Die Beeinträchtigungen der vorliegenden Art lassen nicht typischerweise auf einen Behandlungsfehler schließen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen gibt es keinen allgemeinen oder besonderen Erfahrungssatz, dass Schluck-, Sprech- und Hörstörungen nach der operativen Entfernung eines Tumors im Kleinhirnbrückenwinkel stets auf ein behandlunsfehlerhaftes Vorgehen der behandelnden Ärzte zurückzuführen sind.
39Zwar hat der Sachverständige – deutlicher als in erster Instanz – hervorgehoben, dass es ohne die Operation vom 07.08.2000 nicht zu den schweren körperlichen Beeinträchtigungen der Klägerin gekommen wäre, so dass der kausale Zusammenhang zwischen Operation und Schädigung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt. Allein das Vorliegen der Schädigung lässt aber nicht auf einen Behandlungsfehler schließen, denn neben diesem kommen auch andere Schädigungsmechanismen für eine Beeinträchtigung der Hirnnerven in Betracht, die selbst für einen fachgerecht und gewissenhaft vorgehenden Arzt nicht immer vermeidbar sind.
40So kann es im Rahmen der Operation aufgrund der für die Exstirpation des Tumors erforderlichen Manipulationen an den – teilweise mikroskopisch kleinen – Blutgefäßen im Gehirn zu einer geringeren Durchblutung der Hirnnerven gekommen sein, die in der Folge zu deren Funktionseinschränkung geführt hat. Auch Abbauprodukte des Blutes können zu einer solchen Störung der Nervendurchblutung geführt haben. Zudem ist zu berücksichtigen, dass insbesondere der Facialisnerv und der Hörnerv extrem empfindlich auf eine solche Minderdurchblutung reagieren. Als weitere – gleich wahrscheinliche – Ursache für die klinische Symptomatik der Klägerin muß auch eine intraoperative Druckschädigung der Nerven in Betracht gezogen werden. Denn anders als Körpernerven sind Hirnnerven nicht durch eine bindegewebige Umhüllung geschützt, so dass ein längerer Druck zu einer schweren Schädigung führen kann.
41Ebenso kommt nach den Ausführungen des Sachverständigen auch die in dem Privatgutachten Prof. X erörterte Durchblutungsstörung des Hirnstammes bzw. ein Hinterstamminfarkt als Erklärungsversuch in Betracht. Zu berücksichtigen ist auch, dass der operativ entfernte Hirntumor kein Nerventumor gewesen ist, so dass bei der Operation typischerweise nicht der Hirnnerv Wassmann beschädigt wird, weil dieser intraoperativ nicht dargestellt wird.
422.
43Der Sachverständige Prof. C hat festgestellt, dass die Operation vom 07.08.2000 für die geklagte Periostitis im rechten Arm nicht ursächlich gewesen ist. Dies ist bei der für die Operation gewählten Art der Lagerung der Klägerin, die der Oberarzt der Beklagten, Dr. T, im Senatstermin eingehend dargestellt hat, auszuschließen. Denn der rechte Arm der Klägerin war auf einer separaten, gepolsterten Auflage gelagert, die eine Reizung oder Schädigung der Muskelansätze ausschließt. Die Klägerin hat zudem bei ihrer Anhörung geschildert, dass sie nur kurzfristig Probleme mit dem rechten Arm gehabt habe – und zwar nur während ihres späteren Aufenthalts in der Klinik für neurochirurgische Rehabilitation I2 in I – und diese „nicht der Rede wert“ gewesen seien.
443.
45Auch die Aufklärungsrüge der Klägerin bleibt erfolglos.
46Der Klägerin wurden Art und Schwere des operativen Eingriffs sowie Schwere und Richtung des in Betracht kommenden Risikospektrums derart dargestellt, dass sie sich ein allgemeines Bild davon machen konnte. Sie hat in der Einveständniserklärung vom 03.08.2000 unterschrieben, über die geplante Operation sowohl schriftlich als auch in einem Aufklärungsgespräch ausführlich informiert worden zu sein.
47Nach den Feststellungen des Sachverständigen enthält die Einverständniserklärung auch eine ausführliche Darstellung und Erwähnung sämtlicher bedeutsamer Komplikationsmöglichkeiten. Insbesondere auf das Risiko einer Hirnnervenverletzung wird ausdrücklich hingewiesen. Die (noch) weitergehenden Angaben, welche (Hirn-) Nerven konkret geschädigt werden könnten, schuldete die Beklagte ungefragt nicht. Ebenso nicht die Angabe des Schädigungsrisikos in Prozentzahlen.
48Die prozessualen Nebenentscheidungen resultieren aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
49Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.
50Die Entscheidung beschwert die Klägerin mit mehr als 20.000,-- Euro.