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Unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wird das am 14.05.2004 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.092,60 € nebst 4 % Zinsen aus 6.000,00 € seit dem 19.06.2002 und fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.092,60 € seit dem 09.12.2003 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz tragen die Klägerin 60 % und der Beklagte 40 %.
Die Kosten der 2. Instanz tragen die Klägerin zu 38 % und der Beklagte zu 62 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Dem Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
2I.
3Die am ####1945 geborene Klägerin, die bereits seit 1992 Patientin des Beklagten war, unterzog sich in der Zeit von November 1995 bis März 2001 einer zahnprothetischen Behandlung. In deren Verlauf wurde ihr im April 1996 eine Unterkieferprothese eingegliedert und sodann die Versorgung mit einer Oberkieferteleskopprothese vorbereitet, die im März 1998 fest eingesetzt wurde.
4Weil die Klägerin über anhaltende Beschwerden in Bezug auf ihre Zahnversorgung klagte, beauftragte ihre Krankenkasse den Sachverständigen Dr. N. Dieser führte in seinem Gutachten vom 27.12.1999 aus, dass der Zahnersatz nicht funktionsfähig sei. Die Oberkieferteleskopprothese habe ungenügenden Halt und löse sich bereits beim Öffnen des Mundes, die Unterkieferprothese verursache Schmerzen, so dass normale Kaufunktionen nicht mehr stattfinden könnten.
5In Absprache mit dem Sachverständigen beantragte der Beklagte mit Heil- und Kostenplan vom 14.01.2000 die Neuversorgung des Oberkiefers der Klägerin sowie Änderungen der Unterkieferprothese.
6In der Folge extrahierte der Beklagte den Zahn 4.3 und gliederte am 29.02.2000 die Unterkieferprothese ein, die im Bereich der Zähne 4.2 bis 3.2 mit einem Kronenblock und zwei Geschieben versehen worden war. Nachdem er am 26.06.2000 im Oberkiefer die Zähne 2.1 und 2.2 extrahiert hatte, setzte der Beklagte am selben Tag eine Oberkieferinterimsprothese (mit 14 Zähnen) ein.
7Wenige Tage darauf entfernte er diese und setzte nun die umgearbeitete, frühere Oberkieferteleskopprothese ein, die dort bis zur Abheilung des Kiefers und Eingliederung der neuen, endgültigen Prothese als Interimsprothese verbleiben sollte.
8Bereits kurze Zeit später hatte die Klägerin Probleme mit Sitz und Funktion der nunmehr bestehenden Zahnversorgung. Weil mehrfache Versuche des Beklagten, die Oberkieferteleskopprothese zu befestigen, fehlgeschlagen waren, erklärte sich schließlich im November 2000 der Zeuge V – der Mitarbeiter eines Zahnlabors – bereit, der Klägerin ein neues Interim für den Oberkiefer zu fertigen. Dies geschah auf der Grundlage eines von dem Beklagten gefertigten Unterfütterungsabdrucks.
9Am 07.03.2001 setzte der Beklagte der Klägerin diese Oberkieferinterimsprothese (mit 12 Zähnen) ein. Anschließend brach die Klägerin die Behandlung bei dem Beklagten ab.
10Die Klägerin war der Auffassung, dass die Leistungen des Beklagten mangelhaft seien und hat ihn auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch genommen. Nach Klageerhebung und nach Vorliegen des Gutachtens des Sachverständigen Dr. y ließ die Klägerin in der Zeit vom 03.07. bis 12.08.2003 durch die Zahnärztin Dr. P Oberkiefer und Unterkiefer prothetisch neu versorgen.
11Das Landgericht hat den Beklagten nach Anhörung des Sachverständigen Dr. y zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 € und von Schadensersatz in Höhe von 1.401,01 € - jeweils nebst Zinsen – verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen.
12Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
13Mit der Berufung macht der Beklagte im Wesentlichen geltend: Das Gutachten Dr. y sei unbrauchbar, weil der Sachverständige eine nicht vom Beklagten, sondern vom Zeugen V gefertigte Oberkieferinterimsprothese untersucht habe. Diese habe seinem Sanierungskonzept aber nicht zugrundegelegen. Die vom Sachverständigen festgestellten Mängel seien daher unbeachtlich, im Übrigen aber auch nicht gegeben.
14Die vom Beklagten gefertigten Oberkieferinterimsprothesen seien für eine Sachverständigenuntersuchung untauglich gewesen, weil diese von diversen nachbehandelnden Zahnärzten der Klägerin umfangreich bearbeitet und zerschliffen worden seien. Schon aus diesem Grund könne ihm gegenüber nicht der Vorwurf mangelnder Okklusion der Prothese erhoben werden. Hinsichtlich der Bewertung der Kompensationskurve und des Zahnaufbaus folge der Sachverständige zudem einer Mindermeinung. Der mangelhafte Randschluss der Krone 4.2 im Unterkiefer sei nicht von ihm, sondern von Nachbehandlern zu verantworten. Der Kronenzwischenraum sei nicht zu eng; bei Verwendung von Titan sei das nicht anders möglich.
15Die vom Landgericht festgestellte Verzögerung der Behandlung habe er nicht zu vertreten. Wegen ständiger Terminsabsagen seitens der Klägerin habe die Extraktion der beiden Oberkieferzähne erst am 26.06.2000 – und damit um 5 Monate nach Erstellen des Heil- und Kostenplans verzögert – stattfinden können. Danach sei eine Wartezeit von etwa 9 Monaten für Wundheilung und Knochenabbau einzuhalten gewesen. Dann erst – im März 2001 – hätte er die endgültige Oberkieferprothese fertigen und einpassen können. Am 07.03.2001 sei die Klägerin aber letztmalig bei ihm gewesen.
16Der Beklagte beantragt,
17das am 14.05.2004 verkündete Urteil des Landgerichts Paderborn abzuändern und die Klage abzuweisen.
18Die Klägerin beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
21Die Parteien haben übereinstimmend im Termin erklärt, dass die Differenz zwischen dem geltend gemachten Schadensersatz von 1.401,01 € und dem vom Beklagten errechneten Betrag von 784,18 € zwischen ihnen geteilt werden soll.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Behandlungsunterlagen und das Sitzungsprotokoll vom 01.12.2004 Bezug genommen.
23II.
24Die Berufung des Beklagten ist zum Teil begründet.
25Der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 6.000,00 € sowie auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1.092,60 € gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 847 BGB a.F. bzw. – soweit materielle Schäden in Frage stehen – wegen Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages zu. Im Übrigen bestehen keine Schadensersatzansprüche der Klägerin.
26In der medizinischen Beurteilung der zahnprothetischen Behandlung macht sich der Senat die Feststellungen des Sachverständigen Dr. y zu eigen, der das Gutachten auch bei seiner Anhörung in zweiter Instanz eingehend und sachlich überzeugend begründet hat.
271.
28Das Landgericht hat es auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens Dr. y zutreffend als behandlungsfehlerhaft angesehen, dass der Beklagte die im Dezember 1999 mit dem Sachverständigen Dr. N abgesprochene Sanierungsmaßnahme hinsichtlich der Zahnversorgung der Klägerin nicht zügig und sachgerecht durchgeführt hat, sondern bis zum 07.03.2001 lediglich eine Unterkieferprothese und eine Oberkieferinterimsprothese bei der Klägerin eingegliedert hatte, die wiederum mangelhaft waren und ihre Funktion nicht sachgerecht erfüllten.
29a)
30Die Oberkieferinterimsprothese (14 Zähne) ist nach dem Ergebnis der Anhörung des Sachverständigen Dr. y in ihrer Funktion unbrauchbar. Die Zähne der Patientin weisen infolge einer Kippung nach innen statt nach außen eine falsche Kompensationskurve auf. Zudem hat die Prothese keine feste Gaumenhaftung. Ein weiterer Mangel liegt in der fehlenden Okklusion zu der Unterkieferprothese, weil die Ober- und Unterkieferzähne keine alternierende Verzahnung haben, sondern mit ihren Höckerspitzen aufeinander treffen und lateral zu steile Facetten aufweisen. Dies hat zur Folge, dass eine mahlende, seitwärts (rechts/links) gerichtete Kaubewegung nicht stattfinden kann, sondern nur ein sog. „Hackbiss“ möglich ist. Dies führt zu einer ganz erheblich erschwerten und letztlich auch schmerzhaften Form der Nahrungsaufnahme, insbesondere im Hinblick auf das Kauen fester Nahrungsmittel.
31Der Senat hat nicht verkannt, dass der Sachverständige für sein schriftliches Gutachten nicht die vom Beklagten am 26.06.2000 eingegliederte Oberkieferinterimsprothese (14 Zähne) untersucht hat, sondern diejenige, die der Zeuge V auf besonders Bitten der Klägerin hin ab November 2000 angefertigt hat (12 Zähne). Dies mindert aber nicht die Brauchbarkeit des Gutachtens.
32Denn es ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte für die von dem Zeugen V gefertigte Prothese sowohl zuvor den entsprechend erforderlichen Unterfütterungsabdruck gefertigt als auch die von V angefertigte Prothese ohne Vornahme von Änderungen bei der Klägerin eingegliedert hat, so dass sie als das Ergebnis seiner Behandlung anzusehen ist. Der Sachverständige hat in der Anhörung auch klargestellt, dass den ihm vorliegenden Unterlagen der nachbehandelnden Zahnärzte nichts zu entnehmen ist, was auf eine wesentliche Veränderung einer der Prothesen hindeute. Auch zu einer Neuherstellung einer Prothese sei (bis zum 02.07.2003) nichts dokumentiert. Wohl ergebe sich aus den Unterlagen, dass marginale Schleifarbeiten, jedoch keine grundlegenden Umarbeiten vorgenommen worden sind. Der Sachverständige hat auch nachvollziehbar erläutert, dass eine mangelhafte Okklusion nicht nachträglich „falsch“, also steiler, eingeschliffen werden kann. Schließlich liegen nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen an allen drei Prothesen (Oberkieferteleskopprothese, Interimsprothese mit 14 Zähnen, Interimsprothese mit 12 Zähnen) die gleichen Mängel hinsichtlich der Okklusion vor, so dass sie in gleicher Weise unbrauchbar sind. Dies resultiert bei den beiden Interimsprothesen mit 14 bzw. 12 Zähnen aus dem Umstand, dass auch die von V gefertigte Prothese auf einem vom Beklagten gefertigten Unterfütterungsabdruck basiert.
33b)
34Nach der Anhörung des Sachverständigen steht fest, dass auch die Unterkieferprothese mangelbehaftet ist. So weist die Krone des Zahnes 4.2 einen mangelhaften Randschluss auf. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass der Beklagte diese Feststellung nicht mit einem von ihm gefertigten Röntgenbild widerlegen kann, auf dem – weil evtl. verdeckt – kein Spalt zu sehen ist. Denn der Sachverständige hat im Rahmen der Begutachtung Röntgenbilder der Klägerin gefertigt, auf denen dieser Fehler zweifelsfrei zu erkennen ist. Dass der Mangel durch nachträgliche Manipulation eines nachbehandelnden Zahnarztes entstanden sein kann, hat der Sachverständige ausgeschlossen.
35Der Kronenzwischenraum weist einen Engstand auf. Das hat der Sachverständige im Rahmen der Untersuchung klar festgestellt und in der Anhörung erläutert. Der Engstand stellt einen stetigen Herd für Entzündungen dar. Der Sachverständige hat zwar zugestanden, dass es hier insbesondere unter Berücksichtigung der Zahngröße der Klägerin und im Hinblick auf die Verwendung des Werkstoffs Titan schwierig sei, ein zufriedenstellendes Ergebnis zu finden. Er hat aber keinen Zweifel gelassen, dass der Beklagte es nicht bei diesem mangelhaften Zustand belassen durfte, sondern in jedem Fall hätte versuchen müssen, die Spalten doch etwas weiter zu machen.
36c)
37Es ist als ein vorwerfbares Fehlverhalten des Beklagten bei der Behandlung der Klägerin zu werten, dass er es nicht erreicht hat, innerhalb eines Zeitraums von mehr als 8 Monaten nach dem ersten Einsetzen der Oberkieferinterimsprothese (26.06.2000 bis 07.03.2001) deren ordnungsgemäße Funktion herbeizuführen.
38Auch dem Sachverständigen war bewusst, dass die Oberkieferinterimsprothese für eine Dauerlösung völlig ungeeignet war, es aber auch gar nicht sein sollte. Er hat aber keinen Zweifel gelassen, dass ein Interim zwar nicht vom ersten Tag an passen muss, aber die wesentliche Gebrauchsfähigkeit spätestens nach etwa 2 bis 3 Wochen – sei es durch Beschleifen oder Neueinsetzen der Zähne in der Prothese – hergestellt sein muss. Genau dies ist dem Beklagten nicht gelungen.
39Dabei musste es sich für ihn aufdrängen, dass die Klägerin einer „dauerhaften“ Interimsversorgung bedurfte. Denn nach eigener Einlassung ist er davon ausgegangen, dass allein „Wundheilung und Knochenabbau“ einen Zeitraum von 9 Monaten in Anspruch nehmen würden, vor dessen Ablauf er die Fertigung der endgültigen Oberkieferprothese als gar nicht möglich sah.
40d)
41Der Senat erachtet für die Folgen der übermäßig langen Nichtversorgung der Klägerin mit einer Oberkiefer- und Unterkieferprothese mit einwandfreier Funktion einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 6.000,00 € für angemessen, aber auch ausreichend. Bei der Bemessung hat der Senat sich von der Erwägung leiten lassen, dass dem Beklagten – wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – als Folge seines fehlerhaften Verhaltens nicht nur der Zeitraum vom 26.06.2000 bis 07.03.2001 zuzurechnen ist, sondern auch die Tatsache, dass sich die Klägerin bis zu der Neuversorgung im Juli/August 2003 mit der völlig unzulänglichen Arbeit des Beklagten behelfen musste. Weiter war zu berücksichtigen, dass die Klägerin während des vorgenannten Zeitraums nicht im Stande war, ohne körperliche Beeinträchtigungen (feste) Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Ein richtiges Kauen war ihr nicht möglich, nur ein sog. Hackbiss. Zudem ergaben sich Verspannungen der Kaumuskulatur. Die Gesamtheit der prothetischen Nachteile führte auch zu einer gewissen Form psychischer Beeinträchtigung. Zudem ist zu berücksichtigen, dass eine Kompensation der Beeinträchtigungen durch ein Weitertragen ihrer „alten“ Oberkieferteleskopprothese nicht möglich war, denn einerseits war diese ja auch unbrauchbar im Hinblick auf die Okklusion zum Unterkiefer, andererseits hatte die überhaupt keinen Halt, weil die hierfür zwingend erforderlichen Oberkieferzähne 2.1 und 2.2 im Juni 2000 extrahiert worden waren.
422.
43Darüber hinaus kann die Klägerin die Erstattung ihrer Eigenanteile verlangen, die sie im Rahmen der Neuversorgung durch die Zahnärztin Dr. P bezahlen musste. Diese Kosten wären der Klägerin nicht entstanden, wenn die Arbeit des Beklagten nicht vollständig neu hätte erbracht werden müssen. Der Höhe nach gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass zwischen ihnen der Differenzbetrag ihrer jeweiligen Berechnungen geteilt werden soll: 1.401,01 € ./. 784,18 € = 616,83 € : 2 = 308,41 €. 1.401,01 € ./. 308,41 € = 1.092,60 €.
44Die prozessualen Nebenentscheidungen resultieren aus den §§ 91, 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
45Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
46Das Urteil beschwert den Beklagten mit weniger als 20.000,00 €.