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Die Berufung des Klägers gegen das am 20. November 2003 verkündete Ur-teil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
2I.
3Der im Jahre 1966 geborene Kläger – der verheiratet ist und zwei Kinder hat – wollte sich im Sommer des Jahres 2000 sterilisieren lassen, nachdem er den Eingriff mit seiner Ehefrau abgestimmt hatte. Er wandte sich an den Beklagten, bei dem am 10.07.2000 ein Aufklärungsgespräch stattfand, wobei der Kläger die "Erklärung zur operativen Samenleiterdurchtrennung" unterzeichnete.
4Die Vasektomie erfolgte am 13.07.2000 ambulant in der Praxis des Beklagten. Nach mehreren komplikationslosen Nachbehandlungsterminen wandte sich der Kläger in der Zeit ab dem 21.07.2000 aufgrund von Beschwerden an die urologische Abteilung der Städtischen Kliniken E sowie den Beklagten und auch telefonisch an dessen Urlaubsvertreter. Schließlich wurde trotz einer antibiotischen Behandlung am 28.07.2000 ein Samenstrangabzeß links diagnostiziert. Bei der Operation vom gleichen Tage in den Städtischen Kliniken E erfolgte eine skrotale Hodenfreilegung links und Entnahme des gesamten linken Hodens, da eine isolierte Nebenhodenentfernung aufgrund einer Verletzung der Nebenhodenarterie nicht gelang. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts wird im übrigen Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,-- DM (= 20.451,68 Euro) nebst Zinsen gerichtete Klage nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. G vom 09.04.2003 sowie dessen mündlicher Anhörung im Termin vom 20.11.2003 abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, daß dem Kläger nicht der Nachweis einer fehlerhaften Behandlung durch den Beklagten gelungen sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei der Kläger sach- und fachgerecht und unter sterilen Bedingungen operiert worden. Auch das postoperative Behandlungsregime begründe keinen Behandlungsfehler, wie das erstinstanzliche Gericht im einzelnen ausgeführt hat. Insbesondere sei das aufgetretene entzündliche Geschehen ordnungsgemäß antibiotisch behandelt worden und dem Beklagten sei auch in Bezug auf seinen Urlaub kein Vorwurf einer unzureichenden Versorgung des Klägers zu machen. Schließlich hat das Landgericht eine Haftung wegen eines Aufklärungsdefizites im Ergebnis verneint, da bei zweifelhafter Aufklärungspflichtigkeit der eingetretenen Komplikation jedenfalls ein Entscheidungskonflikt des Klägers nicht ausreichend plausibel dargelegt worden sei.
5Mit der dagegen gerichteten Berufung macht der Kläger zur Begründung seines Schmerzensgeldbegehrens weiterhin Behandlungsfehler und Aufklärungsversäumnisse geltend. Entgegen der Ansicht des Landgerichts könne nicht von einer ordnungsgemäßen Vasektomie des Beklagten mit sachgerechter Desinfektion ausgegangen werden, da der Beklagte den vorgelegten Operationsbericht nachgefertigt habe. Auch die postoperative Versorgung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, da sich ansonsten der Abzeß nicht habe entwickeln können. Außerdem habe der Beklagte seinen Urlaubsvertreter näher informieren müssen. Schließlich sei die Aufklärung unzureichend gewesen, da über die Möglichkeit des Hodenverlustes infolge des Abzesses hätte aufgeklärt werden müssen. Bei vollständiger und ordnungsgemäßer Aufklärung sei von einem Entscheidungskonflikt des Klägers auszugehen.
6Der Kläger beantragte,
7abändernd den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 40.000,-- DM = 20.451,68 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
8Der Beklagte beantragt,
9die Berufung zurückzuweisen.
10Er stellt jeglichen Behandlungsfehler mit näherem Vorbringen in Abrede und macht geltend, daß die Aufklärung ordnungsgemäß erfolgt sei, jedenfalls von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers ausgegangen werden könne.
11Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
12Der Senat hat ergänzend die Parteien angehört sowie Beweis durch mündliche Vernehmung des Sachverständigen Dr. G erhoben. Insoweit wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 27.09.2004 Bezug genommen.
13II.
14Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
15Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten kein Schmerzensgeldanspruch aus der Sterilisation vom 13.07.2000 und der anschließenden Nachbehandlung zu. Fehler bei der Behandlung durch den Beklagten lassen sich nicht feststellen. Eine Verletzung von Aufklärungspflichten liegt ebenfalls nicht vor.
16Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, daß dem Kläger der Nachweis eines Behandlungsfehlers weder hinsichtlich der Vasektomie vom 13.07.2000 noch in Bezug auf den postoperativen Verlauf gelungen ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Auch die erneute Beweisaufnahme vor dem Senat hat keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Beklagte zum Nachteil des Klägers einen Behandlungsfehler begangen hätte. In der Bewertung des Operationsgeschehens sowie der Nachsorge macht sich der Senat die nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. G zu eigen. Danach handelt es sich bei der Vasektomie einschließlich des zugrundeliegenden Desinfektionsverfahrens um ein völlig standardisiertes Verfahren, bei dem die Fertigung eines Operationsberichtes und die Dokumentation des Desinfektionsverfahrens aus medizinischen Gründen nicht erforderlich ist. Nach den mündlichen Ausführungen des Beklagten, der im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Operation des Klägers bereits in einer Vielzahl von Fällen eine derartige Vasektomie durchgeführt hatte, gibt es nach Aussage des Sachverständigen keine Anhaltspunkte dafür, daß beim Kläger die operationsvorbereitende Desinfektion nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre und er unter unzureichenden hygienischen Bedingungen operiert worden sein könnte. Der beweispflichtige Kläger hat danach einen Behandlungsfehler des Beklagten im Hinblick auf die Desinfektion nicht bewiesen.
17Der Sachverständige hat ferner überzeugend aufgezeigt, daß das postoperative Verhalten des Beklagten regelgerecht und nicht zu beanstanden war. Insbesondere waren bis zum 25.07.2000 seitens des Beklagten keine weitergehenden Therapiemaßnahmen erforderlich, zumal bis zu diesem Zeitpunkt keine Anhaltpunkte für einen Abzeß vorlagen.
18Im übrigen hat der Sachverständige ausgeführt, daß ein früheres Vorgehen in Bezug auf den Abzeß nicht zu einem anderen Verlauf geführt hätte, da der Hodenverlust durch den Ablauf des Operationsgeschehens verursacht worden ist, die Operation als solche aber auch ein oder zwei Tage früher bei Vorliegen eines zu operierenden Abzesses gleich geblieben wäre.
19Zu Recht hat das Landgericht ferner eine Haftung des Beklagten aus dem Gesichtspunkt einer Aufklärungspflichtverletzung in Bezug auf die Möglichkeit eines eventuellen Hodenverlustes nach einem postoperativen Abzeß verneint. Dabei bedarf es keiner Klärung, ob ein relevanter Entscheidungskonflikt des Klägers gegeben war.
20Die eingetretene Komplikation des Hodenverlustes nach einem postoperativen Abzeß bei einer Vasektomie stellt kein aufklärungspflichtiges Risiko der Sterilisationsoperation dar, so daß es bereits an einem haftungsrechtlich erheblichen Aufklärungsversäumnis fehlt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes braucht über das allgemeine Wundinfektionsrisiko nicht aufgeklärt zu werden, da es dem Laien geläufig ist und zu den allgemeinen Gefahren gehört, mit denen der Patient rechnet (vgl. BGH NJW 1991, 1541, 1542; 1989, 1533). Einer Aufklärung über die vorliegend aufgetretene spezielle Wundinfektionskomplikation bedurfte es ebenfalls nicht, da nach der Art des Eingriffs nicht mit der Komplikation eines Hodenverlustes zu rechnen war und es sich deshalb nicht um ein eingriffspezifisches Risiko handelte.
21Der Sachverständige hat nachvollziehbar und in Übereinstimmung mit seinen Angaben bei der landgerichtlichen Anhörung dargestellt, daß es sich lediglich bei der Abzeßbildung um ein hinreichend vorhersehbares – wenn auch relativ seltenes – Risiko einer Vasektomie handeln würde. Demgegenüber sei der Verlust eines Hodens keine typische Folge und kein spezifisches Risiko der Abzeßoperation. Die in der Literatur behandelten Einzelfälle aus dem asiatischen und amerikanischen Raum seien absolute Raritäten. Auch im vorliegenden Fall sei der Hodenverlust durch den speziellen Operationsverlauf mit dabei offenbar eingetretener Verletzung der Hodenarterie verursacht worden.
22Der Sachverständige hat ferner angegeben, daß nach seinem Wissensstand eine entsprechende Aufklärungsverpflichtung auch nicht in die derzeit in Arbeit befindlichen Leitlinien aufgenommen werden solle, da es kein ausreichendes Datenmateriel hierfür gäbe. Es besteht daher keine Verpflichtung zur Aufklärung über das Risiko einer Hodenverletzung für eine Vasektomie, da ein hinreichend eingriffsspezifisches Risiko insoweit nicht vorliegt. Die Erwähnung dieser Komplikation in dem vom Sachverständigen zu den Akten gereichten Aufklärungsbogen führt zu keiner anderen Bewertung, da es für das Aufklärungserfordernis nicht auf einen einzelnen Aufklärungsbogen ankommt. Maßgeblich ist vielmehr, daß es sich nach den Angaben des Gutachters nicht um ein spezifisches Risiko der Abzeßoperation handelt, sondern um extreme Ausnahmen, die einem niedergelassenen Arzt im Sommer 2000 auch nicht bekannt sein mussten.
23Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
24Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierzu nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).