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Die Anschlussberufung des Klägers gegen das am 01. Juli 2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 14. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das vorbezeichnete Urteil teilweise so abgeändert:
Die Klage wird gänzlich abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann Vollstreckungsmaßnahmen der Beklagten abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages, falls nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
G r ü n d e :
2Die Beklagte hat den Kläger bei der Anlage eines Betrages von rund
3500.000,-- DM beraten. Im Zusammenhang mit der Beratung erwarb der Kläger unter anderem Ende Januar 2001 Argentinienanleihen im Nennwert von 73.000,-- DM.
4Der Kläger hat die Beklagte mit der Behauptung, die Beratung zu den Argentinienanleihen sei unzureichend gewesen, auf Schadenersatz (37.891,19 = Gesamtkaufpreis 38.270,89 zzgl. entgangener Anlagezins 31.01.01 - 38.03.02 = 2.233,-- abzügl. erwirtschafteter Zinsen = 2612,70 nebst 5 % Zinsen über dem Basissatz aus 37.891,19 seit dem 29.3.03) in Anspruch genommen.
5Das Landgericht hat der Klage - nach Beweisaufnahme - bis auf einen Teil der Zinsforderung stattgegeben. Auf die Feststellungen der angefochtenen Entscheidung wird Bezug genommen.
6Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung will die Beklagte die Klage abgewiesen wissen. Dazu macht sie im wesentlichen geltend, den Kläger entgegen der Auffassung des Landgerichts richtig beraten zu haben. Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und begehrt im Wege der Anschlussberufung weiteren Schaden in Form entgangener Anlagezinsen für ein weiteres Jahr in Höhe von 1.741,-- ersetzt. Für die Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.
7Die Berufung hat Erfolg, die Anschlussberufung ist unbegründet. Denn dem Kläger steht der vom Landgericht zugesprochene Anspruch nicht zu.
8Es dürfte schon dem vom Kläger nach seinem Vortrag vorgegebenen Anlageziel (sicher und renditestark, GA3, angemessene Rendite, wobei der Gesichtspunkt der Sicherheit im Vordergrund stand, GA23, sichere Anlage, wobei wichtig war, dass die Rendite stimmte, GA61) entsprechen, wenn von
9500.000,-- DM ein Teilbetrag von rund 75.000,-- DM um der Rendite willen risikoreicher angelegt wird. Jedenfalls lässt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erster Instanz nicht feststellen, dass es den Anlagezielen des Klägers nicht entsprochen hätte, einen Teilbetrag risikoreicher anzulegen. Das Landgericht hat dazu ausgeführt, die Anlageform hätte - wie es hier der Fall sei - erkennbar an der äußersten Grenze der vom Kläger zu erkennen gegebenen Risikobereitschaft gelegen [U8]. (Warum es sich erkennbar um die äußerste Grenze gehandelt haben soll, ist dem Senat nicht nachvollziehbar.) Die Beklagte hat von Anfang an geltend gemacht, es sei ein Anlagemix aus sicheren und renditestarken Werten gewünscht gewesen. Anderes - Ziel: nur sichere Anlagen - hat der Kläger nicht bewiesen. So hat die Zeugin S bekundet, es sei eine Staffelung geplant gewesen in sichere und renditestärkere Anlagen. So hat der Zeuge T bekundet, es sei darauf hingewiesen worden, dass eine höhere Rendite ein höheres Risiko voraussetze. Demgegenüber haben der Kläger und die Zeugin C, wie es bereits das Landgericht ausgeführt hat, nicht nachvollziehbar begründen können, warum sie die Anlagen trotz Renditeunterschieden für gleich sicher gehalten haben wollen [U9].
10Es lässt sich auch nicht feststellen, dass die Beratung der Beklagten hinsichtlich der Argentinien - Anleihen selbst unzureichend gewesen wäre.
11Soweit der Kläger Beratungsdefizite gesehen und dazu behauptet hat, möglicher Kursverlust (Anmerkung: gemeint war offenbar nicht ein Verlust aufgrund der Wechselkurse zwischen DM und Peso, s. Klageschrift GA3, die im Zusammenhang mit dem Kursverlust vom Wertverlust der Anleihe spricht, s. auch Berufungserwiderung GA151, wonach die Anleihen in DM begeben wurden) und Zinsaussetzung seien nicht erörtertet worden, über ein Rating sei bei der Beratung nicht gesprochen worden, die Mitarbeiter der Beklagten hätten angegeben, gegen Ende der Laufzeit laufe der Kurs gegen 100%, sowie, die Anleihen seien absolut sicher, hat die Beweisaufnahme vor dem Landgericht das nicht ergeben. Zwar hat die Ehefrau des Klägers bekundet, es sei weder über das Rating gesprochen worden, noch über einen Ausfall der Rückzahlung, vielmehr sei gesagt worden, am Ende stehe der Kurs wieder bei 100%. Demgegenüber haben die Zeugen S und T entgegenstehendes bekundet. Beide Zeugen haben ausgesagt, das Rating sei besprochen worden und erläutert worden, sowie ausweislich der Gründe des landgerichtlichen Urteils, anhand des Ratings sei darauf hingewiesen worden, dass es sich um eine spekulative Anlage handele. Nach den Bekundungen der Zeugin S ist auch darüber gesprochen worden, dass die Rückzahlung ausgesetzt werden könne und auch die Zinszahlung. Nach den Bekundungen des Zeugen T hat dieser auf die Frage des Klägers, ob er sein Geld verlieren könne, zudem gesagt, wenn Argentinien pleite gehe, sei der Kläger sein Geld los.
12Das Landgericht hat von seinem Standpunkt aus folgerichtig im Ergebnis offen gelassen, ob den Bekundungen der Ehefrau des Klägers zu folgen ist. Dazu besteht indessen kein Anlass.
13Dies schon im allgemeinen nicht, weil sich die Aussagen gegenüber stehen, ohne dass durchgreifende Anhaltspunkte gegen die Richtigkeit der in sich schlüssigen Bekundungen der Zeugen S und T bestünden. Die in der Berufungsinstanz geltend gemachten Bedenken des Klägers tragen nicht. Dass sich die Zeugin S des in einer Verbraucherzeitschrift wiedergegebenen Ratings bedient hat, ist nicht von vorne herein unglaubhaft. Auch, dass nach der Erinnerung der Zeugin S das Rating BB lautete und nach Erinnerung des Zeugen T BB+, ist kein hinreichender Widerspruch. Soweit der Kläger meint, ein professioneller Anlageberater bediene sich des Internets und ein solcher Zugang habe entgegen den Bekundungen des Zeugen T bestanden, spekuliert er. Insbesondere ergibt sich aus der Abfrage bei der W vom 23.1.2001 kein Internetzugang, sondern lediglich eine Verbindung zur W. Dass die Bewertung entgegen der Angabe der Zeugen S und T nicht BB bzw. BB+, sondern B gelautet hätte, ergibt sich entgegen dem Vortrag des Klägers aus der Offerte der W vom 4.1.01 [GA58] nicht, im übrigen auch nicht aus der Information der W vom 23.1.01 [GA74 = Anlage K5]. Vielmehr spricht das vom Kläger überreichte Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M. [GA164], wonach ähnliche Anleihen Argentiniens (99/02 = Ausgabe 1999 und Ablauf 2002, hier: Ausgabe 1997 und Ablauf 2004 [GA6 = Anlage K1]) von T & Q ab Mai mit B und ab Juli mit B- bewertet wurden, für eine davor - also zum Zeitpunkt der Beratung - höhere Bewertung (= BB).
14Abgesehen davon scheinen sich weder Erinnerungslücken der Ehefrau des Klägers ausschließen zu lassen, noch erscheinen ihre Bekundungen in sich so schlüssig, wie die der Zeugen S und T. So hat die Ehefrau des Klägers bekundet, es sei gesagt worden, am Ende der Periode werde der Kurs wieder bei 100 % stehen. Demgegenüber hat der Zeuge T die Angabe von 100% in einen anderen Zusammenhang gebracht, nämlich den, dass bei einer Rückzahlung von 100% der Gewinn aus der Differenz zum bezahlten Ausgabekurs von 96 % steuerfrei mitgenommen werden könne. Es ist danach nicht auszuschließen, dass die Ehefrau des Klägers tatsächliche Angaben und bloße Chancen verwechselt. Ähnlich verhält es sich mit der Bekundung der Zeugin, es sei gesagt worden, ein Land könne nicht pleite gehen. So hatte das noch nicht einmal der Kläger vorgetragen. Nach seinem Vortrag ist geäußert worden, bisher sei noch kein Land pleite gegangen, was eher den Bekundungen des Zeugen T entspricht, wonach dieser im Zusammenhang mit einer Pleite Argentiniens erklärt hat, bisher sei bei Staatsanleihen nichts passiert. Zudem ist wenig plausibel, dass die Zeugin sich über mögliche Unterschiede in der Sicherheit zwischen Lebensversicherung und Argentinien - Anleihe keine Gedanken gemacht haben will, obwohl die Sicherheit der Argentinien - Anleihe auch nach ihrer Aussage Thema gewesen ist. Denn die von ihr wiedergegebene Aussage der Berater "warum haben Sie Angst..." ist nur erklärlich, wenn sie und der Kläger sich Gedanken über die Sicherheit gemacht haben, denn wenn man an der Sicherheit nicht zweifelt, hat man keine Angst.
15Soweit der Kläger im übrigen im Rahmen seiner Berufungserwiderung selbst meint, es sei offen geblieben, ob die Rating - Tabelle vorgelegt wurde, trifft entgegen seiner Auffassung nicht die Beklagte, sondern ihn die Beweislast. Denn er muss den Pflichtverstoß, aus dem er seinen Anspruch herleitet, beweisen und dazu die Behauptungen der Beklagten widerlegen.
16Soweit der Kläger geltend gemacht hat, er habe gesagt, er wolle nichts haben, was einer Russlandanleihe vergleichbar sei und deshalb der Beklagten zum Vorwurf gemacht hat, sie hätte darauf hinweisen müssen, dass die Argentinienanleihen Russlandanleihen vergleichbar seien, kommt die Berufungserwiderung nicht darauf zurück. Abgesehen davon hat seine Ehefrau nur bekundet, er habe erklärt, er würde eine Russlandanleihe nie zeichnen. Ob das zu Grunde gelegt werden kann, ist zweifelhaft, weil die Zeugen S und T an eine derartige Äusserung keine Erinnerung hatten. Vor diesem Hintergrund reicht allein die Bekundung der Zeugin C zur Überzeugungsbildung nicht aus. Darüber hinaus ließe sich - abgesehen von der Frage, ob die Ratings überhaupt vergleichbar waren, wofür der vom Kläger in erster Instanz überreichte Artikel des F M mangels ausreichender Differenzierungen nichts hergibt - auch insoweit kein Hinweisdefizit feststellen. Zum einen ergibt sich aus den Bekundungen der Ehefrau des Klägers nicht, ob die von ihr bekundete Bemerkung des Klägers in einem Zusammenhang gefallen ist, der einen Hinweis auf Vergleichbarkeit argentinischer Anleihen notwendig machte. Zum anderen sind nach den Bekundungen der Zeugen S und T die Risiken am Beispiel der Ukraine erläutert worden, womit gerade der Vergleich, wenn auch nicht mit Russland, so aber doch zu einem Russland nahe stehenden Land gezogen worden ist.
17Schließlich macht der Kläger der Beklagten zum Vorwurf, deren Berater hätten seine Bedenken mit Bemerkungen wie, was solle schon passieren, die USA stünden hinter Argentinien, bisher sei kein Land pleite gegangen, zerstreut.
18Kein Land hat vor der späteren Erklärung Argentiniens jemals seine Zahlungsunfähigkeit erklärt. Der IWF hat nach dem - zutreffenden - Vorbringen des Klägers Argentinien Ende 2000 unterstützt, indem er ein Hilfspaket von 39,7 Milliarden Dollar schnürte. Von daher bestand kein Anlass für die Annahme, die Staatengemeinschaft werde Argentinien im Stich lassen. Der Zeuge T hat mit der von ihm bekundeten Angabe, wenn Argentinien pleite gehe, sei der Kläger sein Geld los, bei Staatsanleihen sei bisher nichts passiert, bei der Ukraine hätte sich die Rückzahlung verschoben, trotzdem seien die Probleme gelöst worden, ähnlich sei das bei Russland gewesen, zutreffende Angaben gemacht. Das bedeutet entgegen der Auffassung des Landgerichts keine pflichtwidrige Zerstreuung von Bedenken. Das schon gar nicht im Gesamtzusammenhand des Inhalts der Beratung, wie sie die Zeugen S und T wiedergegeben haben. Soweit der Zeuge T angegeben haben sollte, die USA stünden hinter Argentinien, trägt der Kläger nichts dazu vor, warum diese Angabe an sich falsch gewesen sein sollte.
19Das Landgericht hat eine Pflichtverletzung - fehlender Hinweis auf die ungünstige wirtschaftliche und politische Lage Argentiniens - zu Grunde gelegt und damit einen Vorwurf, den der Kläger noch nicht einmal erhoben hatte.
20Einen allgemeinen Hinweis auf die "ungünstige politische und wirtschaftliche Lage Argentiniens" [Information W vom 4.1.2002 GA58] war nicht erforderlich. Denn es ist nicht ersichtlich, dass ein derart allgemeiner Hinweis neben der nicht widerlegten Erläuterung des Ratings, in welchem sich die Lage Argentiniens gerade wiederspiegelte, weil bei Staatsanleihen die politische und wirtschaftliche Lage Grundlage der Bewertung ist, und neben der nicht widerlegten Erläuterung, es könne zu Aussetzungen der Rückzahlung und der Zinsen kommen, die ebenfalls keinen anderen Hintergrund haben kann, als die Lage Argentiniens, von irgendeiner Bedeutung gewesen wäre. Die Anleihe war gerade aufgrund der Lage Argentiniens mit BB und damit als spekulativ eingestuft. Ein Hinweis auf die ungünstige wirtschaftliche und politische Lage wäre neben den gegebenen Hinweisen nur dann erforderlich gewesen, wenn diese eine schlechtere Bewertung nahe legte oder erwarten ließ. Das scheint vom Landgericht zu Grunde gelegt zu sein, wenn es ausführt, die Weitergabe eines negativen Trends sei von besonderer Bedeutung. Ein derartiger negativer Trend ist aus der Information der W, bei der Anlageentscheidung solle die derzeit ungünstige politische und wirtschaftliche Lage Argentiniens beachtet werden, nicht zu entnehmen. Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz näher zur Lage Argentiniens vorträgt, ist das offenbar (teilweise wortgleiche Übernahme) dem Beitrag "Die Ursachen der argentinischen Krise" von Arnaud Zacharie (nach den dortigen Angaben Forscher am CADTM = Komitee für die Streichung der Schulden der Dritten Welt, im Internet zu finden unter cadtm.org, Sprecher von Attac-Belgien, einer Organisation für solidarische Weltwirtschaft und gegen neoliberale Globalisierung, deren Ziel die Bilduung eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses als Gegenkraft zu den entfesselten Kräften der Märkte ist, im Internet zu finden unter attac.de) vom 22.12.2001, der unter verschiedensten Adressen im Internet abgerufen werden kann, entnommen. Danach stand Argentinien vor der Entscheidung, die eigene Währung abzuwerten oder es vorzuziehen, die Parität mit dem Doller aufrecht zu erhalten (Vorteile: Eindämmung der Inflation, Kurswechselrisiko bei Rohstoffpreisen vermeiden, Vertrauen ausländischer Investoren wecken). Danach wurde Ende Dezember die Entscheidung für den zweiten Weg bestätigt und der IWF schnürte das schon erwähnte Hilfspaket von 39,7 Mrd. Dollar. Ein negativer Trend ist darin nicht zu erblicken. Im Gegenteil: Die Hilfe des IWF und die damit nach dem genannten Beitrag verbundenen Auflagen (Liberalisierung des Gesundheitswesens, Deregulierung der Schlüsselbereiche wie Energie und Telekommunikation, Verringerung der Einfuhren, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Verstärkung der Privatisierungen) dienten gerade dazu, die Finanzkraft Argentiniens zu stärken. Dass es bereits Anfang 2001 zu zunehmenden Hungerrevolten gekommen sei, ist dem Beitrag allerdings nicht zu entnehmen und auch nicht richtig. Zur negativen Entwicklung ist es erst später - nach der Anlageentscheidung des Klägers im Januar 2001 - gekommen. Der Sparkurs Argentiniens führte, wie den im Archiv der Tagesschau eingestellten Meldungen im Internet entnommen werden kann, zunächst im März 2001 zu einer Regierungskrise, im Juli 2001 zum Generalstreik, dann im August 2001 zu Demonstrationen im ganzen Land und erst im Dezember 2001 zu Plünderungen von Supermärkten - sog. Hungerrevolte -.
21Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 , die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.