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Die Berufung der Beklagten gegen das am 9. Juni 2004 ergangene Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
I.
2Die Klägerin, die ein Trockenmilchwerk betreibt, macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Zahlung des Kaufpreises für die Lieferung von Magermilchpulver in Höhe von insgesamt 204.736,56 Euro geltend.
3Das Landgericht hat am 07.01.2004 gegen die Beklagte ein Versäumnisurteil in Höhe der Klageforderung nebst Zinsen erlassen. Wegen des Sachverhalts und des Verfahrensablaufs wird insoweit auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
4Den Wiedereinsetzungsantrag und Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Wiedereinsetzungsantrag müsse sämtliche zur Begründung erforderlichen Tatsachen enthalten. Deshalb müsse er auch im einzelnen darlegen, wann und wie das Hindernis weggefallen sei. Hierzu reiche das Vorbringen der Beklagten mit Schriftsatz vom 26.03.2004 nicht aus. Es lasse offen, wann die jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten Kenntnis von dem Erlaß und der Zustellung des Versäumnisurteils sowie der Mandatsniederlegung erhalten haben und ob die Beklagte durch ihre neuen Prozessbevollmächtigten telefonisch, per Fax, per E-mail oder sonst wie vor Zugang der Unterlagen auf dem Postweg in Kenntnis gesetzt worden sind. Weitere Angaben habe die Beklagte auch nicht nach Erteilung einer Auflage binnen einer entsprechend §234 Abs. 1 ZPO zu bemessenden Frist gemacht. Es könne daher offen bleiben, ob der Wiedereinsetzungsantrag begründet oder unbegründet war und ob die nachträglich vorgetragenen Tatsachen die Wiedereinsetzung begründen könnten.
5Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung macht die Beklagte geltend, richterliche Verfügungen, die keine Fristen enthielten, seien nicht analog der gesetzlichen Notfristen zu bearbeiten. Im übrigen habe bereits das Vorbringen in der Einspruchsschrift keinen Spielraum für die vom Landgericht angestellten Vermutungen gelassen, die Beklagte könne durch Telefax, E-mail oder in sonstiger Weise von der Mandatsniederlegung und dem Versäumnisurteil erfahren haben. Unerheblich sei, wann ihre neuen Prozessbevollmächtigten Kenntnis von der Mandatsniederlegung und dem Versäumnisurteil erlangt hätten. Die Beklagte selbst habe frühestens am 26.03.2004 mit Zusendung der entsprechenden Unterlagen Kenntnis erlangen können. Allein darauf komme es an.
6Die Beklagte beantragt,
7das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben ist und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen wird,
8hilfsweise,
9das Versäumnisurteil vom 07.01.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10Die Klägerin beantragt,
11die Berufung zurückzuweisen.
12Sie macht geltend, bei der Frage des Verschuldens an der Fristversäumnis sei nicht auf den Kenntnisstand der Beklagten selbst abzustellen, sondern auf den des früheren Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt .... Dieser sei bis zum Erlaß des Versäumnisurteils und darüber hinaus Prozessbevollmächtigter der Beklagten gewesen. Die Anzeige seiner Mandatsniederlegung an das Gericht datiere erst vom 20.01.2004.
13Ob das Mandatsverhältnis im Innenverhältnis zwischen Anwalt und Partei gekündigt war, sei nicht entscheidend. Jedenfalls sei die Kündigung bis weit in den März 2004 hinein wegen der falschen Telfaxadresse nicht wirksam gewesen. Hiernach sei die Einspruchsfrist während des Mandatsverhältnisses abgelaufen. Dass kein Einspruch eingelegt worden sei, beruhe auf einer willentlichen Entschließung von Rechtsanwalt ..., welche der Beklagten zuzurechnen sei. Im übrigen habe die Beklagte jedenfalls am 03.03.2004 ihre neuen Prozessbevollmächtigten beauftragt. Diese hätten bei einem Telefonat mit Rechtsanwalt ... am 15.03.2004 von dem Versäumnisurteil erfahren. Spätestens von diesem Zeitpunkt an sei die Wiedereinsetzungsfrist gelaufen.
14Die vorgetragenen Wiedereinsetzungsgründe bestreitet die Klägerin mit Nichtwissen.
15II.
16Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet.
17Der am 02.04.2004 beim Landgericht eingegangene Einspruch der Beklagten gegen das ihren führeren Prozessbevollmächtigten am 09.01.2004 zugestellte Versäumnisurteil des Landgerichts ist unzulässig, weil verspätet (§§339 Abs. 1, 341 Abs. 1 S. 2 ZPO). Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht begründet.
181.
19Der Wiedereinsetzungsantrag ist fristgerecht binnen 2 Wochen ab Behebung des Hindernisses im Sinne von §234 Abs. 1 und 2 ZPO eingegangen und damit zulässig. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass nach §§234 Abs. 1 und 2, 236 Abs. 2 ZPO mit dem Antrag innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist sämtliche die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vorzutragen sind und dass hierzu auch darzulegen ist, wann und wie das Hindernis weggefallen ist. Ein Nachholen dieser Angaben oder das Nachschieben einer neuen Begründung ist nach Fristablauf nicht möglich. Zulässig ist aber die Ergänzung fristgerechter Angaben (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 24. Aufl., §236 Rdn. 6 a m.w.N.).
20Mit dem am 04.06.2004 eingegangenen Schriftsatz vom 01.06.2004 hat die Beklagte auf die entsprechende gerichtliche Auflage dargelegt, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Inhalt ihre neuen Prozessbevollmächtigten ein Mandat erhalten haben, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Art und Weise die neuen Bevollmächtigten Informationen über die Mandatsniederlegung, über das Versäumnisurteil und die falschen Telefaxnummern erhalten haben und wann sie die Weiterleitung von Informationen und der Unterlagen an die Beklagte veranlaßt haben. Hierbei handelt es sich um die zulässige Ergänzung fristgerechter Angaben. Bereits der Einspruchsschrift war zu entnehmen, dass die Beklagte selbst erst am 26.03.2004 Kenntnis von dem Versäumnisurteil und von den Umständen, die zu seinem Erlaß geführt haben, erlangt hat. Dagegen war weder vorgetragen, noch naheliegend, dass die Beklagte ihren jetzigen Bevollmächtigten zum Zeitpunkt des Erhalts der Unterlagen bereits Prozessvollmacht im Sinne von §80 ZPO erteilt hatte. Zur Erteilung einer neuen Prozessvollmacht bestand auf der Grundlage des in der Einspruchsschrift geschilderten Sachverhalts erst Anlaß, nachdem die Beklagte von der Niederlegung des Mandats und dem Versäumnisurteil erfahren hatte. Eine Zurechnung etwaigen Verschuldens ihrer jetzigen Prozessbevollmächtigten bei Prüfung des Beginns und des Laufs der Wiedereinsetzungsfrist kommt jedoch gem. §85 Abs. 2 ZPO erst ab dem Zeitpunkt der Erteilung der Prozessvollmacht in Betracht.
21Mit Schriftsatz vom 01.06.2004 hat die Beklagte entsprechend der ihr erteilten Auflage ihr Vorbringen wiederholt und ergänzt, dass ihr die von Rechtsanwalt ... zugeleiteten Unterlagen erst am 26.03.2004 zugegangen sind und dass sie erst anschließend eine neue Prozeßvollmacht erteilt hat. Für eine bloße Ergänzung fristgerechter Angaben gilt entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht die Frist des §234 Abs. 1 ZPO. Vielmehr sind Ergänzungen, auf die das Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht ggfls. auch hinwirken muß, noch nachträglich zulässig und bei der abschließenden Entscheidung zu berücksichtigen. Eine Frist zur Ergänzung der Angaben hat die Kammer in der Verfügung vom 14.05.2004 nicht gesetzt.
222.
23Das Wiedereinsetzungsgesuch ist jedoch nicht begründet. Nach dem Vorbringen der Beklagten und dem Inhalt der zur Glaubhaftmachung eingereichten Unterlagen ist nämlich davon auszugehen, dass Rechtsanwalt ... die Fristversäumnis verschuldet hat und dass sein Verschulden der Beklagten zuzurechnen ist (§§233, 85 Abs. 2 ZPO).
24Die Beklagte hat vorgetragen, Rechtsanwalt ... habe beginnend mit dem Telefax vom 11.11.2003 eine falsche Faxnummer verwendet, weil er die Faxnummer irrtümlich einer Anlage zu einem klägerischen Schriftsatz entnommen habe. Es handele sich um die Faxnummer von Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der Türkei (Bl. 377, 398 d.A.). Die falsche Faxnummer sei dann in allen folgenden Schriftstücken mit der Androhung der Mandatsniederlegung, der Mandatsniederlegung und der Übermittlung des Versäumnisurteils verwendet worden, und zwar durch Rechtsanwalt ....
25Bei der Übersendung von Schriftverkehr per Telefax gehört es zu den Sorgfaltspflichten des Anwalts, dafür Sorge zu tragen, daß die Telefaxnummer des Adressaten richtig ermittelt und gewählt (auch nicht verwechselt) wird. Der Anwalt hat für eine Büroorganisation zu sorgen, die eine Überprüfung der per Telefax übermittelten Schriftsätze auch auf Verwendung einer zutreffenden Empfängernummer gewährleistet. Hierzu reicht es nicht aus, die Überprüfung darauf zu beschränken, dass im Sendebericht die Übertragung des Schriftsatzes als erfolgreich gekennzeichnet ist. Es hat auch eine Überprüfung der Empfängernummer stattzufinden (vgl. BGH NJW 1987, 948; BAG NJW 1995, 2742; MünchKomm. ZPO/Feiber, 3. Aufl., §233 Rdz. 100 ff.; Zöller/Greger, a.a.O., §233 Rdz. 23 "Telefax" m.w.N.).
26Hier ist davon auszugehen, dass Rechtsanwalt ... selbst die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt hat, indem er die falsche Faxnummer ausgewählt hat. Zur Büroorganisation, u.a. zur erforderlichen Überprüfung der korrekten Empfängernummer auf dem Sendebericht, ist nichts vorgetragen. Auch insoweit ist daher von einer Sorgfaltspflichtverletzung von Rechtsanwalt ... auszugehen. Der in der Sitzung vertretenen Auffassung der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, auf diese Fragen habe bereits das Landgericht hinweisen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen, folgt der Senat nicht. Ihr Vortrag zur Verantwortlichkeit für die Wahl der falschen Telefaxnummer ist eindeutig und klar und entspricht dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung von Rechtsanwalt .... Soweit im Tatbestand des angefochtenen Urteils angegeben ist, die Beklagte habe vorgetragen, aufgrund eines Büroversehens einer ansonsten zuverlässigen Mitarbeiterin in der Kanzlei seien sämtliche Anschreiben unter der falschen Telefaxnummer versandt worden, handelt es sich ganz offensichtlich um eine - möglicherweise routinemäßige - Darstellung des Parteivortrags, die keine Stütze in dem schriftsätzlichen Vorbringen und in den zur Glaubhaftmachung eingereichten Unterlagen findet. Da das Landgericht im schriftlichen Verfahren entschieden hat, steht auch fest, dass die Beklagte ihr schriftsätzliches Vorbringen nicht etwa in einer mündlichen Verhandlung geändert haben kann. Auch in der Sitzung des Senats haben die Bevollmächtigten der Beklagten bei Erörterung dieser Fragen keine Umstände vorgetragen und glaubhaft gemacht, welche gegen ein Verschulden von Rechtsanwalt ... sprechen könnten. Zu weiteren Hinweisen und zur Ermöglichung weiteren Vortrags bestand kein Anlaß, zumal die Klägerin in der Berufungserwiderung eingehend zur Frage des Verschuldens von Rechtsanwalt ... und der Zurechnung dieses Verschuldens Stellung genommen hat.
27Die Pflichtverletzungen von Rechtsanwalt ... sind für die Fristversäumnis ursächlich geworden, und zwar bereits der erste Fehler sowie alle weiteren bis zur vermeintlichen Übersendung des Versäumnisurteils an die Beklagte. Sein Verschulden ist der Beklagten nach §85 Abs. 2 ZPO ungeachtet der Kündigung und Niederlegung des Mandats zuzurechnen.
28Die Pflichtverletzungen beginnen mit der Verwendung der falschen Faxnummer am 11.11.2003 zu einer Zeit, in der das Mandat unzweifelhaft weder im Innenverhältnis gekündigt noch im Außenverhältnis niedergelegt worden war. Nach herrschender Meinung ist für die Verschuldenszurechnung nach §85 Abs. 2 ZPO kein Raum mehr, wenn der Vollmachtsvertrag auch nur im Innenverhältnis gekündigt ist (BGHZ 47, 320 ff.; VersR 85, 1185 f.; Zöller/Vollkommer, a.a.O., §87 Rdz. 6). Zum Zeitpunkt der Zustellung des Versäumnisurteils am 09.01.2004 war Rechtsanwalt ... sowohl im Außen- als auch im Innenverhältnis noch Prozessbevollmächtigter der Beklagten. Die Kündigung des Mandatsverhältnisses mit Faxschreiben vom 30.12.2003 war nämlich gegenüber der Beklagten mangels Zugangs nicht wirksam geworden. Nach ihrem Vorbringen ist ihr die Kündigung erst am 26.03.2004 zur Kenntnis gelangt. Dem Gericht gegenüber hat Rechtsanwalt ... die Mandatsniederlegung erst mit Faxschreiben vom 20.01.2004 nach Zustellung des Versäumnisurteils angezeigt. Im übrigen sind die Umstände, die zur Mandatskündigung und - Niederlegung geführt haben, ebenfalls von Rechtsanwalt ... zu vertreten und der Beklagten nach §85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
29Dem Wiedereinsetzungsgesuch ist auch nicht deshalb statt zu geben, weil die für die Beklagte bestimmten Faxschreiben den türkischen Bevollmächtigten der Klägerin zugegangen sind und diese es unterlassen haben, Rechtsanwalt ... oder die Beklagten entsprechend zu informieren. Eine Wiedereinsetzung unter dem Gesichtspunkt schuldhaften Verhaltens oder Mitverschuldens der Klägerin wäre nur möglich, wenn die Beklagte an der Fristwahrung durch Arglist der Klägerin gehindert worden wäre oder wenn die Klägerin sich die Fristversäumnis sittenwidrig erschlichen hätte (MünchKomm./Feiber a.a.O. Rdz. 47 m.w.N.). Hierfür sind keine Anhaltspunkt glaubhaft gemacht. Es handelt sich um Schriftstücke in deutscher Sprache an türkische Anwälte. Ob diese den Irrtum von ... und die Bedeutung für den Fristablauf erkannt haben, steht nicht fest. Es ist nicht bekannt, ob die türkischen Bevollmächtigten über den Stand des vorliegenden Verfahrens informiert waren, ob sie etwa meinten, die Faxschreiben seien ihnen nur zur Kenntnisnahme übersandt und ob sie wußten, daß die Beklagte nicht auf andere Art und Weise, etwa im Postverkehr, in den Besitz der Schreiben gelangt war oder gelangen würde. Außerdem sind die türkischen Bevollmächtigten nicht für den vorliegenden Rechtsstreit bevollmächtigt, so daß sich die Klägerin deren Verhalten nicht zurechnen lassen muß.
30Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§97 Abs. 1, 708 Ziff. 10, 711 ZPO.
31Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von §543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.