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Die Berufung des Klägers gegen das am 6. Juni 2002 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
2I.
3Der am 16.12.1946 geborene Kläger wurde am 13.1.1999 in der Klinik des Beklagten stationär aufgenommen. Der Kläger wog 118 kg Gewicht bei 1,82 m Größe. Am 14.1.1999 wurde eine Hüftgelenks-TEP vorgenommen. Über das mit dem Eingriff verbundene Thrombose- und Embolierisiko war der Kläger am Vortag aufgeklärt worden. Wegen der Einzelheiten des Aufklärungsbogens wird auf Bl. 31-40 d.A. verwiesen.
4Zur Thromboseprophylaxe erhielt der Kläger ab dem 13.1.1999 bis zum 27.1.1999 dreimal täglich 7500 Einheiten (unfraktioniertes) Heparin. Blutbildkontrollen wurden an folgenden Tagen durchgeführt: am 14.1., 15.1., 16.1., 18.1. sowie zuletzt 21.1.1999. Bis zu diesem Tag ergab sich kein Hinweis auf eine Störung. Der Thrombozytenwert am 21.1.1999 betrug 245.000/mm³. Von engmaschigen Blutbildkontrollen wurde nunmehr Abstand genommen. Die Heparingabe wurde fortgesetzt. Eine weitere Blutbildkontrolle war für den 28.1.1999 geplant.
5Am 27.1.1999 kollabierte der Kläger. Sein Thrombozytenwert war auf 47.000/mm³ abgefallen. Der Kläger hatte sich eine heparinduzierte Thrombozytopenie des Typs II (HIT II) zugezogen. Die HIT II, eine immunologisch vermittelte Form der Thrombozytopenie, ist eine gefährliche Komplikation der Heparinanwendung, die mit venösen und/ oder arteriellen Thromboembolien einhergehen kann. Der Kläger erlitt eine tiefe Beinvenenthrombose links mit folgender Lungenembolie. Er erhielt nunmehr ein Hirudin-Präparat. Nach einer weiteren stationären Behandlung, zum Teil auch auf der Intensivstation, stieg der Thrombozytenwert wieder bis in den Normalbereich. Der Kläger wurde am 11.1.1999 aus der stationären Behandlung in der Klinik des Beklagten entlassen.
6Der Kläger hat ein angemessenes Schmerzensgeld - Vorstellung: 30.000,- DM – verlangt, verbunden mit einem materiellen und immateriellen Vorbehalt. Er hat geltend gemacht, die behandelnden Ärzte hätten auch nach dem 21.1.1999 Thrombozytenkontrollen vornehmen müssen. Ferner sei er über die Risiken der Heparintherapie nicht hinreichend aufgeklärt worden.
7Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. H2 und ergänzender mündlicher Anhörung des Sachverständigen abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
8Mit der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Die Behandlung mit unfraktioniertem Heparin habe nicht dem Stand der Wissenschaft entsprochen. Er hätte auch über die Möglichkeit einer Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin aufgeklärt werden müssen.
9Der Kläger beantragt,
101.
11das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 6. Juni 2002 zum AZ.: 5 O 310/00 aufzuheben,
122.
13den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 8% Zinsen seit dem 1.6.1999 zu zahlen,
143.
15festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus der fehlerhaften Behandlung durch die behandelnden Ärzte des Beklagten während seines stationären Aufenthaltes vom 13.1.1999 bis zum 11.2.1999 entstanden sind, soweit Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind.
16Der Beklagte beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Er verteidigt das angefochtene Urteil.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Krankenunterlagen, das Sitzungsprotokoll und den Vermerk des Berichterstatters über die ergänzende Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. H2 im Senatstermin vom 19.5.2003 Bezug genommen.
20II.
21Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
22Der Kläger hat gegen den Beklagten keine Ansprüche auf Schmerzensgeld, sowie Feststellung gem. § 847 BGB (a.F.) i. V. mit §§ 823, 831 BGB oder - soweit es um materielle Schäden geht - aus einer schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten aus dem Behandlungsvertrag i. V. mit § 278 BGB. Auch die ergänzende Beweisaufnahme durch den Senat hat weder Behandlungsfehler noch Aufklärungsdefizite im Rahmen der streitgegenständlichen Behandlung des Klägers in der Klinik des Beklagten ergeben. In der medizinischen Beurteilung des Geschehens macht sich der Senat die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. H2, der sein Gutachten überzeugend erläutert hat, zu Eigen. Der Sachverständige verfügt als Arzt für Immunologie und Transfusionsmedizin der Universität H nicht nur über große praktische Erfahrung, sondern hat sich seit Jahren auch wissenschaftlich mit dem Phänomen der HIT befasst.
231.
24Die Gabe von Heparin war im vorliegenden Fall unzweifelhaft indiziert, weil der Kläger aufgrund seines Alters, seines Gewichts und insbesondere der Art der Operation einem beträchtlichen Thromboserisiko ausgesetzt war. Der Kläger behauptet hierzu, mittels eines HIPA-Tests (Heparin-induzierte Plättchen-Aktivierung) hätte das Unverträglichkeitsrisiko ermittelt werden müssen. Bereits in erster Instanz hat der Sachverständige jedoch festgestellt, dass dieser Test nicht geeignet ist, das Risiko einer Thrombose bzw. Lungenembolie festzustellen. Ein solcher Test war nicht geboten. Das entspricht der Rechtsprechung (OLG Stuttgart, Urteil vom 22.2.2001 - 14 U 62/00, OLGReport 2002, 251, 256).
252.
26Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen ist auch die Gabe von unfraktioniertem Heparin nicht zu beanstanden. Daran ändert der Umstand nichts, dass bei unfraktioniertem Heparin ein höheres Risiko der HIT II besteht als bei niedermolekularen Heparinen. Nach der Einschätzung des Sachverständigen kann sich unter unfraktioniertem Heparin ca. zehnmal häufiger eine HIT II entwickeln als unter niedermolekularem Heparin. Unfraktioniertes Heparin ist jedoch auch heute ein zugelassenes und gebräuchliches Medikament. Wie der Sachverständige, der unfraktioniertes Heparin zum Teil auch an seiner Klinik einsetzt, im Senatstermin ausgeführt hat, kann es triftige Gründe für die Gabe von unfraktioniertem Heparin geben, denn die Wirkung ist einfacher zu überwachen. Zudem können eventuell auftretende Komplikationen leichter beherrscht werden.
27Der Umstand, dass der Kläger ein Risikopatient im Hinblick auf die Entwicklung einer Thrombose war, kontraindiziert die Gabe unfraktionierten Heparins nicht. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, war der Kläger zwar namentlich wegen seiner Hüftoperation und seines Gewichts ein Risikopatient im Hinblick auf die Entwicklung einer Thrombose. Dass er sich schließlich eine Thrombose zuzog, beruhte jedoch nicht darauf, sondern auf seinem Immunsystem.
28Auch Hirudin brauchte dem Kläger nicht bereits vorab gegeben werden. Wie der Sachverständige festgestellt hat, war die Gabe dieses Medikamentes erst indiziert, als die Heparinunverträglichkeit des Klägers bekannt war.
293.
30Ein Behandlungsfehler in Gestalt unterlassener Befunderhebung nach dem 21.1.1999 liegt nicht vor. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat keinen Verstoß gegen die ärztliche Pflicht zur medizinisch zweifelsfrei gebotenen Erhebung von Befunden festgestellt. Im Senatstermin ist die Frage eingehend erörtert worden, ob es bereits 1999 Standard war, engmaschige Thrombozytenkontrollen vorzunehmen. Das gilt namentlich für die zweite postoperative Woche, denn nach den Ausführungen des Sachverständigen war bekannt, dass der Thrombozytenabfall bei der HIT II in der Regel zwischen dem 5. bis 14. Tag nach der Erstanwendung auftritt. Bei einer Erstanwendung am 13.1.1999 wurden die Thrombozyten hier letztmals am 21.1.1999 kontrolliert. Der Sachverständige, der sich seit langem besonders intensiv mit dem Phänomen der HIT II auseinandersetzt, hat hierzu feststellt, es sei zwar geboten gewesen, die Thrombozyten zu kontrollieren. Dies sei hier auch erfolgt. Wie häufig indes die Kontrollen erfolgen sollten, sei noch 1999 unterschiedlich beurteilt worden. 1999 habe es insoweit zwar Empfehlungen gegeben, jeden zweiten Tag zu kontrollieren, insbesondere in der zweiten postoperativen Woche. Es habe aber noch keine bindende Verpflichtung existiert. Engmaschige Kontrollen seien zwar bereits 1999 als sinnvoll bewertet worden, zu dieser Zeit aber noch kein verbindlicher Standard gewesen.
314.
32Der Behandlung des Klägers lag eine wirksame, insbesondere auf hinreichender Aufklärung beruhende Einwilligung des Klägers zugrunde. Aufklärungsdefizite bestehen nicht.
33a)
34Über das Risiko von Thrombosen und Embolien wurde der Kläger ausweislich des Aufklärungsbogens unterrichtet. Dadurch ist ihm ein hinreichendes Bild von der Schwere und Richtung des Risikos vermittelt worden. Im vorliegenden Fall stellt sich nicht die Frage, ob der Kläger auch über das Risiko unterrichtet werden musste, nach der Hüft-Endoprothesen-Operation gerade aufgrund der Heparingabe eine HIT zu entwickeln. Die Aufklärungsbedürftigkeit dieses Risikos ist im Urteil des OLG Düsseldorf vom 18.6.1998 - 8 U 161/97, verneint worden, bezogen allerdings auf einen Sachverhalt aus dem Jahr 1992 (AHRS II 2360/145 = VersR 1999, 1371 LS = OLGReport 1999, 312 LS). Die Aufklärungsbedürftigkeit ist in neuerer Zeit bejaht worden von Ulsenheimer, in: Warkentin/ Greinacher, Heparin-induced thrombocytopenia, 2000, 371 ff. Das bedarf hier keiner Entscheidung, denn es ist unter keinen Umständen anzunehmen, dass der Kläger sich ganz gegen die Gabe von Heparin entschieden hätte, zumal als Risikopatient.
35b)
36Es ist medizinisch nicht geboten (und auch nicht üblich), einen Patienten über die unterschiedlichen Risiken von unfraktioniertem Heparin einerseits und niedermolekularem Heparin andererseits aufzuklären. Das hat der Sachverständige im Senatstermin festgestellt. Es ist nicht Aufgabe der Eingriffsaufklärung, dem Patienten die medizinischen Unterschiede zwischen verschiedenen Heparinformen zu vermitteln. Erforderlich und ausreichend ist vielmehr, ihm ein allgemeines Bild von der Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums zu vermitteln, ohne dass ihm die Risiken in allen denkbaren Erscheinungsformen dargestellten werden müssten.
37Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
38Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.
39Die Beschwer des Klägers übersteigt 20.000,- € nicht (Art. 26 Nr. 8 EGZPO).