Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Berufung der Klägerin gegen das am 4. April 2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Siegen wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
2I.
3Die am 09.06.1994 geborene Klägerin leidet seit ihrer Geburt unter Spina bifida im Bereich des Kreuzbeins. Im Arztbericht vom 22.06.1994, der in der Kinderklinik der Beklagten zu 1) erstellt wurde, wird eine operative Beseitigung ab dem 1. Lebensjahr empfohlen. Bei einer weiteren Vorstellung am 31.10.1994 wurde eine Größenzunahme der Schwellung am Steißbein festgestellt und eine Kernspintomographie veranlaßt. Bei dieser Untersuchung am 23.11.1994 wurde die Diagnose einer sacralen Myelomeningozele gestellt, wobei der Verdacht auf eine neurogene Blasenentleerungsstörung geäußert wurde. Die Aufnahme der Klägerin zum operativen Eingriff erfolgte am 15.01.1995. Am 17.01.1995 führte der Beklagte zu 3) die Operation durch. Im Arztbrief vom 02.02.1995, der von dem Beklagten zu 2) als Chefarzt der kinderchirurgischen Abteilung der Beklagten zu 1) und dem Beklagten zu 4) als Oberarzt der Abteilung unterschrieben wurde, war eine ambulante Wiedervorstellung in zwei Wochen vorgesehen. Der Arztbrief war an die Kinderärztin der Klägerin Frau Dr. S2 gerichtet. Am 14.02.1995 wurde die Klägerin ambulant vorgestellt und von dem Beklagten zu 4) untersucht. Dabei wurde eine weitere Kontrolluntersuchung für ein halbes Jahr später vereinbart. Ob diese im August 1995 stattfand, ist streitig. Am 29.09.1997 stellten die Eltern der Klägerin diese erneut in der Klinik der Beklagten zu 1) vor, nachdem die Klägerin in der Zeit zuvor immer häufiger eingenäßt und Probleme beim Gehen sowie über Schmerzen im Sacralbereich und in den Beinen geklagt hatte. Die durchgeführten Untersuchungen führten zu der Diagnose einer neurogenen Blasenentleerungsstörung. Ab Oktober 1997 wurde die Klägerin in der Kinderklinik der Universität X3 stationär und ambulant behandelt. Am 05.03.1998 wurde dort eine weitere Operation durchgeführt.
4Die Klägerin hat die Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld - Vorstellung: 35.000,-- DM - und Feststellung der Verpflichtung, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, in Anspruch genommen. Die Operation am 17.01.1995 sei nicht umfassend genug durchgeführt worden. Postoperativ sei die notwendige Kontrolle der Blase unterlassen worden. Im August 1995 habe eine Kontrolluntersuchung durch den Beklagten zu 4) stattgefunden, die unzureichend gewesen sei. Die Beklagten behaupten, die Eltern der Klägerin ausführlich über die Operation vom 17.01.1995 aufgeklärt zu haben und bestreiten das Vorliegen von Behandlungsfehlern.
5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß die Klägerin einen Behandlungsfehler der Beklagten nicht bewiesen habe, die Aufklärung sei ausreichend gewesen. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
6Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung und beantragt
7in Abänderung des angefochtenen Urteils
81.
9die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld - nicht unter 75.000,-- Euro - nebst 5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
102.
11festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr allen zukünftigen materiellen und weiteren immateriellen Schaden aus der Behandlung in der Zeit vom 15.01.1995 bis zum 29.09.1995 zu ersetzen;
123.
13hilfsweise Vollstreckungsnachlaß.
14Die Beklagten beantragen,
151.
16die gegnerische Berufung zurückzuweisen;
172.
18hilfsweise Vollstreckungsnachlaß.
19Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der Einzelheiten ihres Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen.
20Der Senat hat die Mutter der Klägerin und die Beklagten zu 3) und 4) angehört, die Zeugen X, Brigitte X, Renate S und X2 uneidlich zur Wahrnehmung des Kontrolltermins im August 1995 vernommen sowie den Sachverständigen Prof. Dr. y sein schriftliches Gutachten erläutern lassen. Insoweit wird auf die Vermerke des Berichterstatters zu den Senatsterminen vom 04.12.2002 (Bl. 236 bis 245 d. A.), vom 21.05.2003 (Bl. 289 bis 292 d. A.) und vom 14. Juli 2003 (Bl. 305 d. A.) verwiesen.
21II.
22Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
23Die Klägerin hat gegen die Beklagten keine Ansprüche auf Schadensersatz aus §§ 847 a. F., 823, 831, 30, 31 BGB oder aus einer Pflichtverletzung des Behandlungsvertrages. Fehler der Beklagten zu 2) bis 4) bei der Behandlung der Klägerin oder anderer Bediensteter der Beklagten zu 1) lassen sich nicht feststellen. Die Beklagten haften der Klägerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Aufklärungsverschuldens.
24Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin keinen Behandlungsfehler der Beklagten bewiesen hat. Auch nach erneuter Beweisaufnahme vor dem Senat hat die Klägerin keinen Behandlungsfehler der Beklagten bewiesen.
25In der Beurteilung des Behandlungsgeschehens macht sich der Senat die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. y zu eigen. Danach war die Operation vom 17.01.1995 indiziert. Anhaltspunkte für intra- oder postoperative Fehler ergeben sich nicht. Solche Anhaltspunkte konnten auch nicht aus dem Operationsbericht der Universitätsklinik X3 vom 05.03.1998, der von dem Operateur, dem Zeugen Dr. L im Senatstermin vom 04.12.2002 erläutert worden ist (Bl. 237 d. A.), abgeleitet werden. Auch wenn Dr. L als erster im sogenannten Sacralbereich operiert habe, heiße das nicht, so der Sachverständige, daß die Erstoperation vom 17.01.1995 nicht komplett gewesen sei. Entscheidend sei, daß das Ende des Rückenmarks gelöst worden sei, damit es nicht zu neurologischen Ausfällen komme. Das Ende des Rückenmarks sei nach dem Operationsbericht und nach der Bekundung des Zeugen L gelöst gewesen. Daß die Lösung stattgefunden habe, könne man bereits dem Operationsbericht vom 17.01.1995 deshalb entnehmen, weil dort die "zirkuläre Befreiung von der Dura mater" beschrieben sei. Auch der Zeuge Dr. L hat bekundet, daß die Voroperateure bis an den Durabereich herangekommen seien. Der Grund für die Beschränkung der Operation auf den im Operationsbericht vom 17.01.1995 beschriebenen Teil ist gut nachvollziehbar. Durch eine weitere Ausdehnung der Operation wäre, so der Sachverständige, das Risiko für das Rückenmark zu groß gewesen.
26Der Senat geht auch davon aus, daß bei der Operation vom 17.01.1995 eine Sehhilfe, und zwar eine Lupenbrille, die sich 6-fach vergrößert, so der Beklagte zu 3) (Bl. 240 d. A.), verwandt worden ist. Die Zurhilfenahme sei eine solche Selbstverständlichkeit, so der Sachverständige, die nicht zu dokumentieren sei. Die Klägerin hat auch nicht bewiesen, daß die postoperativen Kontrollen nicht regelrecht waren. Die Anordnung des neurologischen Konsils am 24.01.1995 habe, so der Sachverständige (Bl. 241 d. A.), ebenso dem Standard entsprochen wie die Wiedervorstellung am 14.02.1995. Es sei auch in Ordnung gewesen, die nächste Wiedervorstellung dann in einem halben Jahr anzuordnen. Daß am 14.02.1995 die Wiedervorstellung in einem halben Jahr angeordnet worden ist, läßt sich der handschriftlichen Eintragung in die Ambulanzkarte entnehmen und ist vom Beklagten zu 4) im Senatstermin vom 04.12.2002 (Bl. 236 d. A.) bestätigt worden. Daß die Wiedervorstellung am 14.02.2002 erfolgt ist, hat auch die Mutter im selben Senatstermin bestätigt (Bl. 236, 242 d. A.).
27Daß die Klägerin dem behandelnden Arzt im August 1995 - der Anordnung vom 14.02.1995 entsprechend - wieder vorgestellt worden ist, hat die Klägerin nicht bewiesen, obwohl sie hierfür beweispflichtig ist (vgl. Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 9. Aufl. Rdnrn. 325, 574 m. w. N.). Nur für den Fall, daß die Klägerin tatsächlich im August 1995 wieder vorgestellt worden wäre, wäre es unzureichend, daß keine weiteren apparativen Untersuchungen durchgeführt worden wären.
28Die Klägerin hat hierzu zunächst in der Klageschrift behauptet (Bl. 5 d. A.), daß diese Kontrolluntersuchung im August 1995 stattgefunden habe und vom Beklagten zu 4) durchgeführt worden sei. Auch in den Schriftsätzen vom 23.02.2000 (Bl. 57 d. A.) und vom 17.05.2001 (Bl. 108 d. A.) wurde dieser Termin nicht weiter konkretisiert, wohl aber behauptet, daß der Beklagte zu 4) die Untersuchung durchgeführt habe. Nachdem der Beklagte zu 4) im Senatstermin eingewandt hat (Bl. 237 d. A.), im August 1995 in Urlaub gewesen zu sein, wird an dieser Behauptung nicht weiter festgehalten. Die Bekundungen der Großeltern der Klägerin, der Zeugen X (Bl. 243 bis 244 d. A.) und Brigitte X (Bl. 289 bis 290 d. A.) haben den Senat nicht davon überzeugt, daß die Klägerin tatsächlich zur Nachuntersuchung wieder vorgestellt worden ist. Der Großvater der Klägerin hat erstmals im Senatstermin vom 04.12.2002 den Termin im August 1995 näher konkretisiert und dies daran festgemacht, daß das Fahrzeug seiner Tochter nicht angesprungen sei und er deshalb nach T zur Kinderklinik habe fahren müssen. Dies habe er im Computer für den 11.08.1995 (Bl. 261 d. A.) festgehalten. Diese Aussage des Großvaters wirkt widersprüchlich und hat den Senat nicht überzeugt. Insbesondere die Angaben zur Erstellung des Computerausdrucks wirkten konstruiert. So konnte der Zeuge den Sinn und Zweck der Rechnungstellung 15.08.1995 betreffend die angebliche Fahrt vom 11.08.1995 nicht nachvollziehbar darlegen. Diese Rechnungsstellung ergibt keinen nachvollziehbaren Sinn, wenn diese nicht der Tochter zugeschickt oder übergeben werden sollte. Für eine interne Verrechnung (so der Zeuge, Bl. 243 d. A.) wäre diese Rechnungsstellung nicht erforderlich gewesen. Selbst wenn aber der Zeuge am 11.08.1995 nach T zur Kinderklinik gefahren sein sollte, bedeutet dies nicht, daß an diesem Tag die angeordnete Nachuntersuchung wahrgenommen oder durchgeführt worden ist.
29Auch die Aussage der Großmutter der Klägerin hat den Senat nicht überzeugt. Sie will sich daran erinnern, daß ihre Enkeltochter im August 1995 untersucht worden sein soll. Sie will sich dabei auch an Einzelheiten und die bei der Untersuchung gemachten Äußerungen erinnern. Eine solche Erinnerung würde dem Senat zwar ungewöhnlich, jedoch nicht grundsätzlich als ausgeschlossen erscheinen. Der Senat hat aber erhebliche Zweifel am Erinnerungsvermögen dieser Zeugin, weil ihre Erinnerung in einem anderen wesentlichen Punkt nicht den Tatsachen entsprach. So will die Zeugin sich 100 %ig sicher gewesen sein, daß ihre Enkelin im Juli 1995 nicht in der Kinderklinik in T gewesen sei. Das wisse sie ganz genau. Tatsächlich aber war die Klägerin - unstreitig - am 24./25.07.1995 stationär wegen eines Pseudokruppanfalls in der Kinderklinik.
30Gegen eine Terminswahrnehmung im August 1995 spricht die Dokumentation. An keiner T2 ist erwähnt, daß die Klägerin im August 1995 in der Klinik der Beklagten zu 1) gewesen ist. Die Behandlungsabläufe und die Dokumentation in solchen Fällen hat die Zeugin S überzeugen dargelegt. Danach hält es der Senat für ausgeschlossen, daß die Klägerin den Nachuntersuchungstermin im August 1995 wahrgenommen hat. Schließlich hat auch die Zeugin X2 nicht bestätigt, daß die Klägerin - entgegen der Dokumentation im August 1995 in der Kinderklinik der Beklagten zu 1) gewesen sein soll.
31Eines weiteren oder nochmaligen Hinweises bedurfte es nach Auffassung des Senats nicht. Unstreitig wußte die Mutter am 14.02.1995, daß die Klägerin in einem halben Jahr wieder vorgestellt werden sollte. Die Beklagten konnten darauf vertrauen, daß dieser Wiedervorstellungstermin auch wahrgenommen würde. Dies schon deshalb, weil auch die Wiedervorstellung am 14.02.1995 problemlos erfolgt war, in die die Kinderärztin Dr. S aufgrund des Arztbriefes vom 02.02.1995 involviert worden war. Darüber hinaus durften die Klinikärzte der Beklagten zu 1) auch darauf vertrauen, so der Sachverständige (Bl. 242 d. A.), daß die Kinderärztin die Klägerin in die Spezialsprechstunde bei Auffälligkeiten überweisen würde.
32Die Eltern der Klägerin sind auch hinreichend über die Operation vom 17.01.1995 und deren Risiken aufgeklärt worden. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
33Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision liegen nicht vor. Das Urteil beschwert die Klägerin mit mehr als 20.000,-- Euro.