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Die Berufung der Klägerin gegen das am 16. Februar 2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 8.000,00 € abwenden, falls nicht die Beklagten zuvor in derselben Höhe Sicherheit leisten, die sie auch durch die unbedingte und unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank oder eines öffentlich-rechtlichen Kreditinstituts erbringen können.
Tatbestand:
2Die im Jahr 1940 geborene Klägerin befand sich wegen einer Krebsbehandlung in der Zeit vom 06. bis 21.01.1998 zur Durchführung einer Chemotherapie in der Medizinischen Klinik C2 in C, deren Chefarzt der Beklagte zu 1) ist. Der Beklagte zu 2) ist Facharzt für Innere Medizin und dort als Arzt beschäftigt. Die Klägerin war Privatpatientin. Am 15.01.1998 legte der Beklagte zu 2) auf dem rechten Handrücken der Klägerin eine Braunüle für die Infusion des intravenös zu verabreichenden Zytostatikums (Novatron) und schloß die Infusionslösung über den Infusionsschlauch an die Braunüle an. Da die Klägerin über Schmerzen am rechten Handrücken klagte, stellte der Beklagte zu 2) die Infusion ab, entfernte die Braunüle und legte Braunüle und Infusion linksseitig neu an. Bei der Infusion in den rechten Handrücken der Klägerin kam es zu einem Paravasat.
3Die Klägerin hat die Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes (Vorstellung: 70.000,00 DM = 35.790,43 €), Ersatz bezifferter materieller Schäden und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz zukünftiger Schäden in Anspruch genommen. Sie hat behauptet, der Beklagte zu 2) habe die Infusion am rechten Handrücken fehlerhaft angelegt. Nach Feststellung des Paravasats habe der Beklagte zu 2) nicht die gebotenen Maßnahmen ergriffen. Infolge des schwerwiegenden Hautdefekts sei die rechte Hand nicht mehr bewegungs- und benutzungsfähig gewesen. Die Beklagten haben eine regelrechte Behandlung behauptet. Nachdem die Klägerin Schmerzen angegeben habe, seien die erforderlichen Maßnahmen ergriffen worden. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
4Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, daß in dem Unterlassen der Vorinjektion mit einer Kochsalzlösung kein grober Behandlungsfehler zu sehen sei.
5Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin und beantragt,
6das am 16.02.2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld (4 O 521/99) abzuändern und
71.
8die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie aufgrund der Ereignisse der Behandlung vom 15.01.1998 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und das mit 2 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank seit Klagezustellung verzinst wird, mindestens jedoch mit 4 % Zinsen;
92.
10die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie aufgrund der Ereignisse der Behandlung vom 15.01.1998 einen Betrag in Höhe von 27.712,03 DM zu zahlen nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung;
113.
12festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr allen zukünftigen Schaden zu ersetzen, der ihr aufgrund der Ereignisse der Behandlung vom 15.01.1998 entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einem anderen Sozialversicherungsträger übergegangen ist oder noch übergeht.
13Die Beklagten beantragen,
141.
15die gegnerische Berufung zurückzuweisen;
162.
17hilfsweise Vollstreckungsnachlaß.
18Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat die Klägerin und den Beklagten zu 2) angehört sowie den Sachverständigen Dr. X sein schriftliches Gutachten erläutern lassen. Insoweit wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 14.01.2002 verwiesen.
19Entscheidungsgründe:
20Die Berufung hat keinen Erfolg.
21Die Klägerin hat gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche aus den §§ 847, 823, 831 BGB oder aus einer schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten des Behandlungsvertrages. Ein Fehler insbesondere des Beklagten zu 2) bei der Behandlung der Klägerin läßt sich nur insoweit feststellen, daß kein sogenannter Vorlauf mit einer Kochsalzlösung durchgeführt worden ist. Der Senat hat jedoch nicht feststellen können, daß dieser Fehler sich auf die Beschwerden der Klägerin ausgewirkt hat. Die Beklagten haften der Klägerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Aufklärungsverschuldens.
22Zunächst wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts gemäß § 543 Abs. 1 ZPO verwiesen. Auch die erneute Beweisaufnahme durch den Senat hat nicht ergeben, daß der nicht durchgeführte Vorlauf mit einer Kochsalzlösung als grober Behandlungsfehler zu werten ist. Die Annahme eines groben Behandlungsfehlers setzt die Feststellung voraus, daß der Arzt auch eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGHZ 138, 1, 6 = NJW 1998, 1780, 1781 = VersR 1998, 457, 458 m.w.N.; Senat, Urteil vom 06.12.1999 ‑ 3 U 86/99 ‑, VersR 2001, 593, 594). Bei der Beurteilung, ob ein Behandlungsfehler als grob einzustufen ist, handelt es sich um eine durch den Senat vorzunehmende juristische Wertung. Diese Wertentscheidung hat auf tatsächlichen Anhaltspunkten zu beruhen, die sich in der Regel aus der medizinischen Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen ergeben (BGH a.a.O.). Der Senat wertet den Fehler deshalb nicht als grob, weil mit dem unterlassenen Vorlauf nur ein Sicherheitsfaktor ‑ von insgesamt fünf ‑ unterlassen worden ist, der das behandlungstypische Risiko ‑ des Auftretens eines Paravasats ‑ nicht hätte verhindern, sondern nur vermindern können. Das Unterlassen des Vorlaufs erscheint dem Senat hier auch deshalb nicht als schlechterdings unverständlich, weil nur ein Medikament mit einer mittelgradigen Gefährlichkeit, so der Sachverständige, verwandt worden ist.
23Ob die Klägerin hinreichend über das tatsächlich eingetretene Risiko aufgeklärt worden ist, läßt der Senat dahinstehen. Der Senat ist nämlich der Überzeugung, daß die Klägerin der dem Standard entsprechenden Chemotherapie auch dann zugestimmt hätte, wenn sie von der konkreten Schädigungsmöglichkeit des Medikaments gewußt hätte. Dabei ist sich der Senat bewußt, daß der Nachweis der hypothetischen Einwilligung strengen Voraussetzungen unterliegt, damit das Recht des Patienten zur Aufklärung nicht auf diesem Wege unterlaufen wird. Dem entspricht es andererseits, daß die Anforderungen an die Plausibilität nicht zu hoch anzusetzen sind. Abzustellen ist auf die persönliche Entscheidungssituation des konkreten Patienten. Was aus ärztlicher Sicht sinnvoll und erforderlich gewesen wäre und wie ein „vernünftiger“ Patient sich verhalten haben würde, ist grundsätzlich nicht entscheidend (BGH NJW 1998, 2734; Senat Urteil vom 20.12.1999 ‑ 3 U 13/99 ‑; Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl. 1999, Rdn. 443 m.w.N.).
24Auf der Basis dieser Grundsätze sieht der Senat nach dem persönlichen Eindruck, den er von der Klägerin gewonnen hat, unter Berücksichtigung aller Umstände gerade dieses Falles den Entscheidungskonflikt nicht als plausibel dargelegt. Die Klägerin wußte, daß ihre Überlebenschance durch die Chemotherapie deutlich erhöht wurde. Sie hat auch nach dem hier in Rede stehenden Vorfall vergleichbare Risiken in Kauf genommen, unmittelbar nach Eintritt der Schmerzen die Chemotherapie auf der anderen Seite und auch später durchführen lassen.
25Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Das Urteil beschwert die Klägerin mit mehr als 31.000,00 €.
26Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.