Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Es wird festgestellt, daß die Anordnung der Fortdauer der Abschiebungshaft des Betroffenen durch den angefochtenen Beschluß des Landgerichts rechtswidrig war.
Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten des Betroffenen im Verfahren der sofortigen ersten und weiteren Beschwerde findet nicht statt.
G r ü n d e :
2I.
3Der Betroffene, der über keinerlei Personalpapiere verfügt, reiste im Jahre 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, der durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19.08.1999, bestandskräftig seit dem 15.03.2001, abgelehnt wurde. Dem Betroffenen war eine Unterkunft in der Stadt W zugewiesen worden, unter der er seit November 2000 mehrfach ab - und wieder angemeldet wurde; zuletzt wurde er am 14.11.2001 abgemeldet. Als er am 31.01.2002 bei dem Beteiligten vorsprach, wurde er in den Räumen der Ausländerbehörde festgenommen.
4Der Beteiligte zu 2) hat mit Schreiben vom 01.02.2002 bei dem Amtsgericht beantragt, gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung anzuordnen. Der Beteiligte zu 2) hat seinen Antrag auf den Haftgrund nach § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AuslG gestützt und damit begründet, der Betroffene sei für die Ausländerbehörde seit dem 14.11.2001 nicht mehr erreichbar gewesen. Es sei erforderlich, für den Betroffenen über die Vertretung seines Heimatstaates Paßersatzpapiere zu beschaffen.
5Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 01.02.2002 unter Hinzuziehung eines Dolmetschers persönlich angehört und durch Beschluß vom selben Tage mit sofortiger Wirksamkeit gegen ihn die Abschiebungshaft für die Dauer von längstens drei Monaten angeordnet. Gleichzeitig hat es wegen der Folgeentscheidungen das Verfahren an das Amtsgericht Paderborn abgegeben.
6Gegen diesen Beschluß hat der Betroffene mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 07.02.2002 sofortige Beschwerde eingelegt, die das Amtsgericht dem Landgericht Bielefeld zur Entscheidung vorgelegt hat. Die Kammer hat durch Beschluß vom 11.03.3002 die Sache gern. § 30 Abs. 1 S. 2 FGG, 526 Abs. 1 ZPO in der Fassung durch das ZPO-RG dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Dieser hat am 03.04.2002 unter Bezugnahme auf die Abgabeentscheidung des Amtsgerichts die Beschwerde dem Landgericht Paderborn zur Entscheidung übersandt.
7Das Landgericht Paderborn hat durch Beschluß der Einzelrichterin vom 05.04.2002 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
8Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, die er mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vorn 11.04.2002 bei dem Landgericht Paderborn eingelegt hat. Nach Ablauf des angeordneten Haftzeitraumes beantragt er festzustellen, daß die Anordnung der Ab- schiebungshaft rechtswidrig war, sowie die Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten durch den Beteiligten zu 2) anzuordnen.
9II.
10Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den § 103 Abs. 2 AuslG, 7 Abs. 1 3 S. 2 FEVG, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Das Verfahren hat sich zwar dadurch in der Hauptsache erledigt, daß der Zeitraum der vom Amtsgericht angeordneten Haft am 01.05.2002 abgelaufen ist. Gleichwohl bleibt das Rechtsmittel mit dem gestellten Feststellungsantrag - wenn auch nur eingeschränkt - zulässig.
11Zu dieser Beurteilung hat sich der Senat bereits durch Beschluß vom 26.02.2002 (15 W 53/02) im Hinblick auf einen kürzlich ergangenen Beschluß des BVerfG vom 05.12.2001 (2 BvR 527/99 u.a.) entschlossen. In dieser Entscheidung hat das BVerfG ausgeführt, im Hinblick auf das Gebot der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs. 4 GG) seien die Fachgerichte gehalten, ein Rechtsschutzinteresse für eine nachträgliche feststellende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Abschiebungshaftmaßnahme unabhängig davon zu bejahen, ob nach dem Inhalt der Maßnahme typischerweise der Rechtsschutz des Betroffenen unter Ausschöpfung des vorgesehenen Instanzenzugs vor ihrer sachlichen Erledigung gewährt werden könne. Dies gebiete das Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen im Hinblick auf die Annahme eines der in § 57 Abs. 2 AuslG genannten Haftgründe, die jeweils die an das zurechenbare Verhalten des Ausländers anknüpfende Feststellung voraussetze, daß er seine Abschiebung wesentlich erschweren oder vereiteln oder untertauchen wolle. Die gegenteilige Rechtsprechung des BGH (BGHZ 139, 254 = NJW 1998, 2829) verpflichtet den Senat nicht zu einer Vorlage gern. § 28 Abs. 2 FGG, weil er gern. § 31 Abs. 1 BVerfGG vorrangig die Bindungswirkung der Entscheidung des BVerfG zu beachten hat.
12Das BVerfG hat in seiner genannten Entscheidung den Fachgerichten nicht näher vorgegeben, nach welchen verfahrensrecht- hohen Kriterien sie die feststellende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Abschiebungshaftmaßnahme zu treffen haben. Der Senat hält es für geboten, im Abschiebungshaftverfahren dieselben Kriterien anzuwenden, die er für eine feststellende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer erledigten Unterbringungsmaßnahme bereits entwickelt hat (BtPrax 2001, 212) Gegenstand der Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren ist ausschließlich die Entscheidung des Erstbeschwerdegerichts. Daraus folgt, daß auch die zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderliche Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts sich auf die Prüfung zu beschränken hat, ob die Sachentscheidung des Landgerichts bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung verfahrensrechtlich einwandfrei getroffen ist und sachlich rechtlicher Nachprüfung standhält.
13Der mit dieser Maßgabe eingeschränkt zulässige Feststellungsantrag des Betroffenen ist auch sachlich begründet, weil die Entscheidung des Landgerichts nicht frei von Verfahrensmängeln ist.
14Es fehlt bereits an der örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Paderborn als Beschwerdegericht. Die angefochtene Entscheidung ist von dem Amtsgericht Gütersloh erlassen worden. Zur Entscheidung über die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde war somit das Landgericht Bielefeld zuständig. Daran ändert sich durch die im Beschluß des Amtsgerichts Gütersloh ausgesprochene Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Paderborn „wegen der Folgeentscheidungen" nichts. Zwar führt die Abgabe des Verfahrens zu einer Neubegründung der örtlichen Zuständigkeit des die Sache übernehmenden Amtsgerichts und mit dieser zur örtlichen Zuständigkeit des dem übernehmenden Amtsgericht übergeordneten Landgerichts auch für die Anfechtung der Entscheidung des bisher zuständigen Amtsgerichts (vgl. Keidel/Engelhardt, FG, 14. Aufl., § 46, Rdnr. 47). Die Auslegung des Beschlusses des Amtsgerichts Gütersloh vom 01.02.2002 ergibt hier aber unzweideutig, dass die Abgabe nur für Folgeentscheidungen ausgesprochen worden ist. Damit sind dem Zusammenhang nach lediglich die Entscheidungen über etwaige künftige Anträge auf Verlängerung der Abschiebungshaft gemeint, die jeweils ein selbständiges Verfahren nach dem FEVG einleiten. Für die Annahme, daß bereits das laufende, durch den Beschluß vom 01.02.2002 erstinstanzlich abgeschlossene Verfahren abgegeben werden sollte, fehlt jeglicher greifbarer Anhaltspunkt, zumal das Amtsgericht Gütersloh die Akten zur Entscheidung über das Rechtsmittel des Betroffenen dem Landgericht Bielefeld vorgelegt hat, während es nach den vorstehenden Ausführungen die Sache dem Landgericht Paderborn hätte vorlegen müssen, wenn sich die Abgabe bereits auf das Ursprungsverfahren hätte beziehen sollen.
15Die Kammer war bei ihrer Entscheidung vom 05.04.2002 nicht nach den Vorschriften des Gesetzes ordnungsgemäß besetzt (§§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG, 547 Nr. 1 ZPO n.F.). Nach den §§ 30 Abs. 1 S. 2 FGG, 526 Abs. 1 ZPO kann zwar das Landgericht im Erstbeschwerdeverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Beschluß die Sache einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Ein solcher Beschluß ist hier durch das Landgericht Paderborn nicht getroffen worden. Die entsprechende Entscheidung durch den Beschluß der Beschwerdekammer des Landgerichts Bielefeld vom 11.03.2002 war infolge der Abgabe der Sache an das Landgericht Paderborn gegenstandslos geworden. Denn die Entscheidung über die Besetzung der Beschwerdekammer kann jeweils nur durch das Beschwerdegericht, also denjenigen Spruchkörper getroffen werden, der die abschließende Sachentscheidung trifft. Die Annahme einer Fortwirkung oder gar Bindungswirkung der von einem anderen Landgericht vorgenommen Übertragung auf den Einzelrichter nach der Abgabe der Sache an ein anderes Landgericht wäre mit der Eigenständigkeit der Befugnis des übernehmenden Landgerichts zur Sachentscheidung nicht vereinbar. Ohne einen erneuten Beschluß nach § 526 Abs. 1 ZPO hätte deshalb das Landgericht Paderborn in voller Kammerbesetzung entscheiden müssen.
16Ob die genannten Verfahrensmängel, die bei einem in der Hauptsache nicht erledigten Verfahren durch Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache grundsätzlich behebbar sind, im Rahmen der nachträglichen Überprüfung aufgrund der Vorgaben der genannten Entscheidung des BVerfG allein die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Landgerichts rechtfertigen, kann der Senat offen lassen. Denn diese Feststellung ist jedenfalls deshalb geboten, weil das Landgericht unter Verstoß gegen § 5 FEVG davon abgesehen hat, den Betroffenen im Erstbeschwerdeverfahren erneut persönlich anzuhören. Der Senat hat bereits in seiner oben genannten Entscheidung (BtPrax 2001, 212) für das Verfahren der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung der geschlossenen Unterbringung angenommen, daß ein Verstoß des Landgerichts gegen das - dort auf der Grundlage des § 69 g Abs. 5 FGG bestehende - Gebot der erneuten Anhörung des Betroffenen im Erstbeschwerde- verfahren die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Landgerichts rechtfertigt. Dasselbe hat im Verfahren nach dem FEVG zu gelten, weil es sich ebenfalls um ein Verfahren handelt, das eine Freiheitsentziehung zum Gegenstand hat.
17Nach gefestigter Rechtsprechung besteht auch im Beschwerdeverfahren gemäß § 103 Abs. 2 AuslG i,V.rn, § 5 Abs. 1 FEVG die Verpflichtung, den Betroffenen mündlich anzuhören. Von einer erneuten mündlichen Anhörung kann allenfalls dann abgesehen werden, wenn diese zur Sachaufklärung erkennbar nichts beitragen kann. So lagen die Dinge hier jedoch nicht.
18Das Landgericht hat die Fortdauer der Haft auf den Haftgrund nach § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AuslG gestützt. Danach ist ein Ausländer in Haft zu nehmen, wenn er seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift mitzuteilen, unter der er erreichbar ist. Daß der Betroffene spätestens seit dem 14.11.2001 einen Aufenthaltswechsel vorgenommen hat, ohne den Beteiligten zu 2) hiervon zu unterrichtet zu haben, ist im Kern zwischen den Beteiligten unstreitig. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (NVwZ Beil. 8/1994, 57, 58) stößt die Regelung des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr, 2 AuslG insoweit auf verfassungsrechtliche Bedenken, als nach ihr die Abschiebungshaft auch dann zwingend angeordnet werden muß, wenn diese ausnahmsweise zur Sicherung der Abschiebung nichts beitragen kann. Will sich der Ausländer der Abschiebung offensichtlich nicht entziehen, erscheint allein die Erfüllung der tatbestandlichen Merkmale der Haftgründe des § 57 Abs. 2 S. 1 AuslG nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend, um zwingend die Rechtsfolge der Anordnung der Sicherungshaft auszulösen. Die Sicherungshaft muß daher im Falle des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AuslG jedenfalls dann unterbleiben, wenn sich aus weiteren Tatsachen und Umständen der Schluß aufdrängt, daß der Betroffene sich trotz der Verletzung seiner Anzeigepflicht nicht der Abschiebung entziehen wollte. Dies muß beispielsweise dann angenommen werden, wenn der Ausländer die Veränderung seines Aufenthaltsortes zwar nicht der Ausländerbehörde, wohl aber der Meldebehörde angezeigt hat, wenn er sich (anderweitig) in Haft befindet, wenn er sich auf Aufforderung bei der Ausländerbehörde meldet und sich zur Ausreise bereit erklärt oder wenn er mit einem Abschiebeverfahren nicht zu rechnen braucht (OLG Düsseldorf FGPrax 2000, 167, 168).
19Von diesen rechtlichen Grundsätzen hat im Kern offenbar auch das Landgericht ausgehen wollen. Das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zur Begründung seiner Erstbeschwerde zielte ausdrücklich darauf ab, daß nach den von ihm geschilderten Umständen von einer Absicht, sich der Abschiebung zu entziehen, nicht ausgegangen werden könne. Dieses Vorbringen hätte dem Landgericht Anlaß geben müssen, im Rahmen der Amtsermittlungspflicht ( 12 FGG) den Sachverhalt näher aufzuklären und in diesem Zusammenhang den Betroffenen erneut persönlich anzuhören. So ist etwa offengeblieben, welche Bewandtnis es mit den Stempeln hat, die der Betroffene sich seiner Darstellung nach in der Vergangenheit monatlich bei dem Beteiligten zu 2) hat erteilen lassen, aus welchen Gründen der Beteiligte zu 2) in der Vergangenheit davon abgesehen hat, ungeachtet der bereits zurückliegenden ungemeldeten Aufenthaltswechsel des Betroffenen gegen ihn die Abschiebungshaft zu beantragen und welche Belehrungen dem Betroffenen ggf. im Hinblick auf die Konsequenzen eines nicht gemeldeten Aufenthaltswechsels erteilt worden sind. Ohne seine erneute persönliche Anhörung war es zudem verfahrensfehlerhaft, wenn das Landgericht das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen im Erstbeschwerdeverfahren, er habe vor seiner Festnahme zuletzt am 03.01.2002 in den Räumen der Ausländerbehörde vorgesprochen und sich dort einen Stempel erteilen lassen, als bloße Schutzbehauptung gewertet hat. Denn die persönliche Anhörung soll sicherstellen, daß sich das Gericht zunächst einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschafft, bevor es eine abschließende tatsächli‑
20che Bewertung der maßgebenden tatsächlichen Umstände vornimmt.
21Nach dem oben genannten Beschluß des Senats vom 26.02.2002 ist über die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Betroffenen auch dann auf der Grundlage des § 16 FEVG zu entscheiden, wenn sich die Freiheitsentziehungsmaßnahme zwar als solche anderweitig erledigt, dann aber eine feststellende Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Maßnahme ergeht. Nach § 16 FEVG hat das Gericht die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen der Gebietskörperschaft aufzuerlegen, der die antragstellende Verwaltungsbehörde angehört, wenn das Verfahren ergeben hat, daß ein begründeter Anlaß zur Antragstellung nicht vorlag. Hinreichenden Anlaß zur Antragstellung durch den Beteiligten zu 2) hat der Betroffene hier bereits dadurch gegeben, daß er spätestens seit dem 14.11.2001 seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne den Beteiligten zu 2) darüber zu informieren. Denn dieses Verhalten löst im Ausgangspunkt den Haftgrund des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AusiG aus. Daß in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren sich aufgrund des Vorbringens des Betroffenen ein Anlaß zu einer weitergehenden Sachverhaltsaufklärung ergibt, ändert nichts daran, daß der Beteiligte zu 2) aufgrund des eigenen Verhaltens des Betroffenen einen berechtigten Anlaß zur Antragstellung hatte.