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Auf die Berufung der Kläger wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das am 20. Januar 2000 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) 3.118,88 Euro nebst 4 % Zinsen von 3.067,75 Euro seit dem 1.5.1999 und von weiteren 51,13 Euro seit dem 9.7.1999 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern sämtliche zukünftigen Kosten der Heilung sowie alle zukünftigen Vermögensnachteile zu ersetzen, die die Kläger dadurch erleiden, daß infolge ihrer Trichinoseerkrankung im Oktober 1998 zeitweise oder dauernd ihre Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert ist oder ihre Bedürfnisse vermehrt sind.
Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen der Kläger zu 1) 43 % und die Klägerin zu 2) 41 %, weitere 16 % trägt die Beklagte.
Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1) trägt dieser 79 % selbst, weitere 21 % trägt die Beklagte.
Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) trägt diese 89 % selbst, weitere 11 % trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert den Kläger zu 1) in Höhe von 21.474,86 Euro und die Klägerin zu 2) um 20.451,68 Euro und die Beklagte um 8.231,80 Euro.
Tatbestand:
2Der Kläger verlangt nach einer Erkrankung an Trichinose von den Beklagten die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und die Feststellung deren Eintrittspflicht für materielle und immaterielle Schäden.
3Der Kläger (Ehemann) kaufte am 05. Oktober 1998 in dem Geschäft der Beklagten, N-Straße in F, u.a. 15 rohe Mettwürstchen die er und die Klägerin zu 2) (Ehefrau) zumindest teilweise roh aßen. Am 15. Oktober 1998 erkrankte der Kläger zunächst an Durchfall und litt in der Folgezeit wiederholt an hohem Fieber. Auch die Klägerin zu 2) erkrankte Ende Oktober. Die ärztlichen Behandlungen führten zunächst nicht zum Erfolg. Der Kläger begab sich deshalb Anfang November 1998 in stationäre Behandlung des Klinikums F, wo schließlich der Verdacht auf eine Trichinenerkrankung aufkam. Auf eine entsprechende Untersuchung bestätigte sich dieser Verdacht. Seither leidet er an Beschwerden und Beeinträchtigungen, die typischerweise mit dieser Erkrankung verbunden sind.
4Die Feststellung der Trichinose, einer meldepflichtigen Krankheit, löste diverse Ermittlungen des Gesundheitsamtes, des staatlichen Veterinäramtes, des Gesundheitsministeriums des Landes NRW und des Bundes sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaft aus. Die Untersuchungen ergaben zwei epidemische Herde, einen im Raum F mit insgesamt 41 Erkrankungen und einen weiteren Herd im Raum N mit 8 Erkrankungen. Die Erkrankung einer Person (T4) konnte beiden Herden nicht zugeordnet werden. Von den im Raum F betroffenen Personen machen außer den Klägern die Eheleute N3 und M3, M2, L, die Eheleute E3 und E2 und N Ansprüche gegen die Beklagten in Parallelverfahren geltend. Wegen der Feststellungen und Krankheitsverläufe in diesen Fällen wird auf die beigezogenen Akten M3/M4 u.a. 13 U 129/00, V/G GmbH – 13 U 109/00, L/G GmbH 13 U 190/00 – und E2/M4 u.a. – 13 U 107/00 – und N/G GmbH u.a. – 13 U 104/00 - Bezug genommen.
5Die von der Beklagten an den Kläger zu 1) verkauften Würste hatte sie selbst hergestellt. In diesen Würsten war Schweinefleisch verarbeitet, das die Beklagte am 29.09.1998 von der Fa. T GmbH & Co. in H bezogen hatte. Diese hatte das Fleisch – Saunacken aus Spanien - von einem Zerlegebetrieb D importiert, der seinerseits die geschlachteten Tiere von dem Schlachtbetrieb F in C bekommen hatte. Die Beklagte erhielt das Fleisch in der Originalverpackung des Zerlegebetriebes und produzierte daraus ca. 2000 Würste, die zeitnah u.a. über die Beklagte vermarktet wurden. Die amtlichen Ermittlungen ergaben, daß mit Wahrscheinlichkeit der Ursprung für das epidemische Auftreten der Trichinose im Raum F im Verzehr der rohen Mettwürste der Beklagten liege. Auf die veterinäramtliche Stellungnahme M2 vom 12.07.1999, auf die Stellungnahme I vom 27.05.1999, den Bericht der Europäischen Kommission vom 26.05.1999 und den Bericht E, L3, Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW wird Bezug genommen.
6Aus den Ermittlungen ergibt sich, daß das von der Beklagten zu 2) verarbeitete rohe Schweinefleisch anhand der Kennzeichnung auf der Verpackung der in Stückgrößen von ca. 20 cm Durchmesser zerlegten Saunacken zu den spanischen Betrieben zurückverfolgt werden konnte. In dem Final Report der Europäischen Kommission vom 26.05.1999 wird festgestellt, daß die Veterinärkontrollen in den spanischen Betrieben nicht den Anforderungen der Richtlinien entsprechen. Die spanischen Behörden werden deshalb darin zu weitergehenden Kontrollen aufgefordert.
7Die Kläger behaupten, sie seien wegen des Verzehrs der rohen Mettwürste der Beklagten erkrankt. Die Beklagte habe bei der Herstellung der rohen Mettwürstchen mit Trichinen befallenes Fleisch verwendet.
8Die Kläger haben beantragt,
9Die Beklagten haben beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie hat bestritten, daß der Kläger zu 1) die Würste in ihrem Geschäft gekauft habe. Sie hat ferner bestritten, daß das von ihr zur Herstellung der Würste verwendete rohe Schweinefleisch und infolgedessen die Würste selbst mit Trichinen befallen gewesen seien. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, sei der Verzehr dieser Würste nicht ursächlich für die Erkrankung der Kläger.
13Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen L4, I, M2, Herrn N2 im Parallelverfahren 4 O 284/99 (N/M4 u.a.) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich darauf gestützt, die Kläger hätten nicht bewiesen, daß sie wegen des Verzehrs von Würsten der Beklagten erkrankt seien. Ihnen komme auch nicht der Anscheinsbeweis zugute. Der direkte Beweis eines Befalls des spanischen Fleischs mit Trichinienlarven sei nicht erbracht. Die Ergebnisse des Veterinäramtes reichten nicht aus, die Ursächlichkeit anderer Produkte und anderer Hersteller auszuschließen. Eine Trichinose könne auch durch andere Lebensmittel ausgelöst werden als durch rohe Mettwürste. Die Anzahl der erkrankten Personen sei zu gering, um einen sicheren Schluß auf die vom Kläger behauptete Ursache zuzulassen. Auch müsse berücksichtigt werden, daß die amtlichen Erhebungen zielgerichtet erfolgt seien, so daß sich Fehler bei der Zuordnung angeblicher Gemeinsamkeiten ergäben. Es stehe fest, daß in den spanischen Betrieben die erforderlichen Kontrollen vorgenommen worden seien. Daß die Prüfnummer auf der Banderole der Verpackung nicht mit der nach den Unterlagen in Spanien erteilten Veterinärkontrollnummer übereinstimme, sei unerheblich. Auch wenn bei nachträglicher Überprüfung der spanischen Betriebe durch die EU-Kommission Unzulänglichkeiten der alten Veterinärüberwachung festgestellt worden seien, rechtfertige dies nicht den positiven Schluß darauf, daß die Mettwürste der Beklagten mit Trichinen befallen gewesen seien.
14Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Kläger, mit der sie ihr erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgen. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens führen sie aus, die Ursächlichkeit des von ihnen behaupteten Verzehrs von rohen Mettwürsten der Beklagten sei nach den Umständen erwiesen. Dazu berufen sie sich insbesondere auf weiteren Erkrankungen von Betroffenen in der Zeit von Oktober/November 1998, denen gemeinsam sei, daß in allen Fällen rohe Mettwürste der erworben und gegessen wurden. Andere Infektionsherde seien ausgeschlossen, insbesondere komme nicht die in gleicher Zeit aufgetretene Quelle N in Betracht, die nach den amtlichen Erhebungen eindeutig abgrenzbar sei. Der Einzelfall T4 begründe keine Zweifel. Da mit den Klägern insgesamt 41 Fälle von in gleicher Zeit aufgetretener Trichinosefälle von den amtlichen Erhebungen der Quelle M4 zugeordnet werden, sei die Anzahl bei 2000 verkauften Würsten auch nicht verdächtig gering. Ferner stehe fest, daß die Fleischkontrollen unzureichend gewesen seien und eine Verseuchung daher nicht fernliege. In der Gesamtschau aller Indizien sei es zwingend, daß – entgegen der Auffassung des Landgerichts – die Erkrankung auf dem Verzehr der Mettwürste der Beklagten beruhe. Er meint, die Beklagten seien selbst verpflichtet gewesen, daß Fleisch auf seine Genußtauglichkeit zu untersuchen. Dazu habe Anlaß bestanden, weil die Veterinärkontrollnummer des Zerlegebetriebes auf dem Begleitdokument gefehlt habe. Außerdem sei bekannt, daß bei der Verarbeitung von aus Spanien importierten Schweinefleisch Risiken bestünden. Auch der günstige Preis habe Verdacht auslösen müssen. Schon durch eine Untersuchung mit bloßem Auge hätte der Befall mit Trichinenlarven erkannt werden können. Jedenfalls hätten die Beklagten durch Einfrieren des Fleisches der Seuchengefahr entgegenwirken müssen.
15Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils
16und
18Die Beklagte beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Sie bestreitet weiterhin die Behauptung der Kläger, durch den Verzehr von rohen Mettwürsten an der Trichinose erkrankt zu sein. Sie bestreitet ferner, unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens, daß das verarbeitete Fleisch mit Trichinen verseucht gewesen sei und meint, sie treffe jedenfalls kein Verschulden.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens in erster und zweiter Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
23Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlich erstatteten Gutachtens des Sachverständigen O, der sein Gutachten in der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2002 erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks in Sachen 13 U 104/00 vom 15.03.2002 Bezug genommen. Im übrigen hat der Senat im Einverständnis der Parteien das Ergebnis der Beweisaufnahme in dem führenden Verfahren 13 U 104/00 verwertet.
24Entscheidungsgründe:
25Die Berufung ist teilweise begründet.
26Der Kläger zu 1) hat einen Anspruch auf Ersatz von Verdienstausfallschäden in zuerkannter Höhe; beide Kläger haben einen Anspruch auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihnen zukünftige Schäden auf Grund ihrer Erkrankung an einer Trichinose zu ersetzen. Die Ansprüche beruhen auf §§ 1 Abs. 1, 4, 8 ProdHaftG.
27Im übrigen ist die Berufung unbegründet.
28I.
29Die Beklagte ist auf der genannten gesetzlichen Grundlage den Klägern zum Schadensersatz verpflichtet. Denn sie ist Herstellerin der Mettwürste. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, daß diese mit Trichinen belastet waren und deren Verzehr zu der Erkrankung der Kläger geführt hat.
301.
31Die Haftungsvoraussetzungen liegen vor.
32a)
33Der Senat ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, daß die Mettwürste, die die Beklagte unter Verwendung des aus Spanien importierten Schweinefleischs (Saunacken) hergestellt hat, mit Trichinen belastet waren. Die Beweisaufnahme hat ferner ergeben, daß sich die Kläger daran infiziert haben.
34Zwar ist der direkte Nachweis nicht geführt worden, da die gesamte Produktion vor dem Ausbruch der epidemischen Trichinose im Raum F verbraucht waren. Hier greift jedoch der Indizienbeweis ein, der zulässig ist (BGH VersR 1998, 1302), bei dem für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts unter einer Gesamtschau aller Umstände in einer für das praktische Leben brauchbaren Weise ein Grad von Gewißheit gewonnen werden kann, der den Anforderungen des § 286 ZPO genügt (BGH NJW 1999, 488; BVerfG NJW 2001, 1640). Die Fülle der vorliegenden Indizien lassen keine vernünftigen Zweifel daran zu, daß sich die Kläger, wie auch die anderen in der gleichen Zeit im Raume F erkrankten Personen die Trichinose zugezogen haben, weil sie rohe Mettwürste aus der hier in Rede stehen Charge der Produktion der Beklagten gegessen hatten.
35Der Verzehr roher Mettwürste ist, soweit sie mit Trichinen befallen sind, nach den übereinstimmenden Erklärungen des Sachverständigen und der veterinäramtlichen Stellungnahmen geeignet, den Parasiten zu übertragen. Das bestreitet auch die Beklagte nicht.
36Der Kläger zu 1) hat als Zeuge in den genannten Parallelverfahren sein Parteivorbringen bestätigt (vgl. Berichterstattervermerk in Sachen 13 U 104/00). Seiner Aussage kommt besonderes Gewicht zu. Da er die Mettwürstchen unmittelbar bei der Beklagten in Vorbereitung seines Geburtstages am 05.10.1998 gekauft hat, ist eine Verwechslungsgefahr mit dem Erwerb der Mettwürste bei einem Konkurrenten der Beklagten auszuschließen. Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung des Klägers hat der Senat nicht.
37Nach der Bekundung der Zeugin N3. M3 steht fest, daß auch sei rohe Mettwürstchen an einem Stand gekauft hat, der von der Beklagten beliefert wurde. Nach ihrer Bekundung ist eine Verwechslung mit dem Stand des Mitbewerbers L5 ausgeschlossen. Die Personen, die die von ihr gekauften Mettwürste roh gegessen haben, nämlich sie, die Zeugin M2, der Zeuge N3 und der Zeuge N sind – wie die Kläger – in der für eine Trichinose typischen Inkubationszeit erkrankt. Bei den Klägern, wie auch bei den übrigen Betroffenen in den Paralleverfahren sind andere, gemeinsame Risiken für den Zeitraum des Oktober 1998 nicht ersichtlich. Auch im Falle der betroffenen Eheleute E2 bestehen keine Zweifel, daß ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem Verzehr von Mettwürsten der Beklagten vorliegt. Dies trifft auch im Falle des Zeugen L zu. Außer diesen erkrankten im Raume F nach den Ermittlungsergebnissen des Veterinäramtes mehr als 30 Personen an einer Trichinose, die Würste der Beklagten gegessen hatten. Dies ergiebt sich aus der veterinäramtlichen Stellungnahme M2 vom 12.07.1999 und dessen Erläuterungen im Rahmen der Beweisaufnahme erster Instanz, wie auch aus der Stellungnahme der Bekundung des Zeugen I in erster Instanz.
38Der Sachverständige O hat in seinem schriftlichen und mündlich erläuterten Gutachten des dabei zugrunde liegenden Verfahren der sog. Fallkontrollstudien für zuverlässig und ordnungsgemäß durchgeführt angesehen. Unter Einbeziehung der Unwägbarkeiten, die sich gerade aus der retrospektiven Untersuchung des damals tätig gewordenen S-Instituts ergaben, hat sich nach seiner begründeten Auffassung herauskristallisiert, daß die Mettwürste der Beklagten der gemeinsame Nenner der aufgetretenen und bekannt gewordenen Fälle an Trichinoseerkrankungen waren. Zur Methode der Fallkontrollstudien hat er ausgeführt, daß die Symptomträger zwar gezielt angesprochen worden seien, daß auch gezielt nach deren Konsumverhalten, ihren Einkaufsgewohnheiten und der Art der Produkte, die sie gegessen hatten, speziell nach Rohprodukten gefragt wurde. Dabei hat sich herausgestellt, daß der Kauf solcher Würste auf Trödelmärkten die spezifische Gemeinsamkeit war. Die gezielte Frage von M2 nach Verkaufsständen der Firma M4 sei deshalb erforderlich gewesen, um im Rahmen der Fallkontrollstudien auch herauszufinden, ob noch Chargen auf dem Markt seien. Herausgekommen sei dabei ein Wahrscheinlichkeitsergebnis, das sich jedoch deutlich von dem Seuchenherd N abgrenzen lasse, weil das dort ursächliche Rohprodukt – Mett – noch vorhanden gewesen sei und gezielt mit einem positiven Ergebnis untersucht werden konnte.
39Auch den Fall T4 hat der Sachverständige eindeutig abgrenzen können. In diesem Fall konnte nicht ermittelt werden, wann die Trichinose erworben wurde. Die Diagnose ergab sich vielmehr zufällig. Der Sachverständige hat ferner darauf hingewiesen, daß keine Anhaltspunkte in den untersuchten Fällen vorliegen, die auf andere Lebensmittel als Ursache der Erkrankung der Betroffenen in der hier in Rede stehenden Zeit und im gleichen Umfeld schließen lassen.
40Diese Feststellungen des Sachverständigen überzeugen. Der sachliche Bezug zu den bekannt gewordenen Erkrankungsfällen ist untersuchungstypisch und notwendig. Eine gezielte Befragung der Betroffenen zur Rückverfolgung auf die Gefahrenquelle ist nicht zu beanstanden. Diese Befragung war nicht ergebnisorientiert in Bezug auf die Beklagten sondern diente deren Ermittlung. Mit zunehmenden Hinweisen auf die Betriebe der Beklagten mag auch im Rahmen der fortgeführten Ermittlungen gezielt nach einem Einkauf an einem Stand der Firma M4 gefragt worden sein; das konnte den einmal aufgetretenen Verdacht jedoch nur erhärten und nicht allein begründen. Vor allem steht dem entgegen, daß sich im Falle der Eheleute V ein von den anderen Fällen unterscheidbarer Verlauf ergab, der auch zu dem Verdacht gegen die Mettwürstchen aus der in Rede stehenden Produktion führte und diesen deshalb erhärtet.
41Für die Ursächlichkeit spricht – entgegen der Auffassung der Beklagten – auch die Anzahl der Erkrankungen. Es handelte sich gerade nicht um einen Einzelfall sondern um eine epidemisch auftretende Trichinose, die nach dem Standart der Zuverlässigkeit und Intensität der vorgeschriebenen Fleischkontrollen selten auftritt. Die Anzahl der zu erwartenden Erkrankungen ist nicht so gering, daß sich hier Zweifel an der Zuordnung zum Betrieb der Beklagten zu 1) ergeben müssen. Denn nach dem Ergebnis des Gutachtens O ist die Anzahl der zu erwartenden Fälle zum einen von der Infektionsdosis des verarbeiteten Fleisches und der Art der Verarbeitung in einen oder mehreren Ansätzen abhängig. Nicht alle Würste müssen in der allein gefahrbringenden Weise des rohen Verzehrs verbraucht worden sein. Werden nämlich befallene rohe Mettwürste heiß zubereitet, sterben die Erreger nach gesicherter Erkenntnis ab. Für das Auftreten der Erkrankungen spielen ferner individuelle Faktoren der einzelnen Verbraucher eine Rolle. Dazu hat der Sachverständige ausgeführt, daß es auch bei einem rohen Verzehr nicht zwingend zu einer Infektion kommen muß. Denkbar ist nach der Einschätzung des Sachverständigen auch, daß Fälle unbekannt geblieben sind. Auffällig ist hier, daß es sich nicht nur um einen singulären Fall, bezogen auf eine bestimmte Charge Fleisch handelt, die zu einem Endprodukt von 2000 Mettwürsten verarbeitet worden ist. Die Würste sind auch als Rohprodukt in kurzer Zeit vermarktet worden und in kurzer Zeit sind auch die bekannt gewordenen Fälle aufgetreten. Durchgreifende Zweifel ergeben sich auch nicht daraus, daß aus der Charge von 2000 Mettwürsten nach Angaben des Geschäftsführers der Beklagten zu 2) Lieferungen an Großverbraucher (Großküchen) erfolgt sind. Dass deshalb auch an anderen Orten eine epidemische Trichinose aufgetreten sein müsse ist nicht zwingend. Denn es ist denkbar, daß diese Abnehmer die Würste erhitzt haben und infolgedessen die Erreger abgetötet wurden.
42Der Senat verkennt nicht das Argument der Beklagten, dem sich das Landgericht angeschlossen hat, wonach auch andere rohe Lebensmittel, wie z.B. roher Schinken, der mit Trichinen befallen ist, den Erreger übertragen kann. Es sind jedoch im Rahmen der Fallkontrollstudien gerade keine Anhaltspunkte dafür aufgetreten, die auf eine solche, andere, Gemeinsamkeit der bekannt gewordenen Fälle schließen lassen. Im Rahmen der hier gebotenen Gesamtschau erwächst daraus mithin kein selbständiges Indiz, daß die Gefahrenquelle nicht bei den rohen Mettwürsten lag. Zwar hat es der Sachverständige O für unwahrscheinlich angesehen, daß sich die Zahl der Erkrankungen auf die bekannt gewordenen Fälle beschränkt hätte, wenn die Gesamtliefermenge des frisch verarbeiteten Saunackenfleisches von insgesamt 700 kg zur Produktion solcher Würste verwandt worden wäre. Der Geschäftsführer der Beklagten zu 2) hat dazu jedoch erklärt, daß die in Rede stehenden 2000 Stück Mettwürste aus einer sogenannten Kuttercharge hergestellt wurden, d.h. aus einer Fleischmenge von 100 kg, wobei 35 kg aus frischem Saunacken und 65 kg aus anderen Fleischmengen stammen, die aus Deutschland, Belgien und I bezogen wurden und die zuvor tiefgefroren waren und deshalb keine Gefahr einer Trichineninfektion begründeten. Daraus ergibt sich nach der überzeugenden Darlegung des Sachverständigen O ein weiteres Indiz dafür, daß die Mettwürste der Beklagten zu 2) wegen der Verarbeitung der aus Spanien gelieferten Saunacken mit Trichinenlarven belastet waren. Nach dem Inspektionsbericht vom 26.05.1999 der seitens der EU-Kommission aus Anlaß des Falles angeordneten Kontrollen der spanischen Betriebe F und D waren die Veterinärkontrollen völlig unzureichend und zwar quantitativ wie qualitativ. Sie sind im Zerlegebetrieb entgegen der Richtlinie 64/433 EWG nicht arbeitstäglich sondern nur zwei bis viermal wöchentlich erfolgt. Aus diesem Bericht ergibt sich ferner, daß die gegenwärtigen Verhältnisse zu gravierenden Problemen führen könnten, die Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit nach sich ziehen. Es spricht alles dafür, daß diese Verhältnisse auch schon bei der Herstellung der hier in Rede stehenden Lieferung von September 1998 vorlagen. Die Sicherheitsmängel lassen den Schluß zu, daß ein einzelnes befallenes Tier nicht unbedingt entdeckt werden mußte. Deshalb berechtigte das Zertifikat des Herstellers (Blatt 398 der Akte) nicht zu der vom Landgericht getroffenen Feststellung, in Spanien seien schließlich die Kontrollen mit negativen Ergebnissen durchgeführt worden. Der Sachverständige O hat bei seiner Anhörung erneut betont, daß die Trichinose bei Schweinen eine Einzeltiererkrankung sei, so daß es auf eine lückenlose Untersuchung ankomme. Geht man davon aus – wofür alles spricht -, daß die im Inspektionsbericht vom 26.05.1999 beschriebenen Defizite in dem spanischen Zerlegebetrieb auch schon früher vorgelegen haben, bestand eine erhebliche Sicherheitslücke. Es liegt nahe, daß diese hier wirksam geworden ist, zumal in dem Schlacht- und Zerlegebetrieb auch Schweine aus bäuerlichen Kleinbetrieben verarbeitet wurden.
43Nach allem können keine vernünftigen Zweifel verbleiben, daß die Mettwürste der Beklagten von Trichinenlarven belastet waren.
44b.
45Die Ursächlichkeit der trichinösen Mettwürste der Beklagten zu 2) für die Erkrankung der Kläger folgt auf der Grundlage dieser Feststellungen aus dem Anscheinsbeweis. Wie dargelegt, sind andere Gefahrenquellen, die zu der Erkrankung der Kläger an einer Trichinose im Oktober 1998 hätten führen können, nicht ersichtlich. Da bewiesen ist, daß die Kläger rohe Mettwürste aus der Produktion der Beklagten zu 2) als Gast der Familie M3 gegessen hat, also in geeigneter Weise mit der Gefahrenquelle in Berührung gekommen ist, wäre der Anscheinsbeweis nur durch Tatsachen zu erschüttern, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Kausalverlaufs ergibt. Diesen Beweis hat die Beklagte zu 2) nicht geführt.
462.
47Ausschlußgründe für die Herstellerhaftung nach § 1 Abs. 2 und Abs. 3 ProdHaftG liegen nicht vor.
483.
49Die Rechtsfolge der verschuldensunabhängigen Haftung der Beklagten zu 2) für die Herstellung des fehlerhaften Produkts ergibt sich aus § 8 ProdHaftG. Danach sind sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen. Von dem Feststellungsanspruch werden jedoch nur die künftigen Schäden erfaßt, die nach Klageeinreichung entstehen (BGH VersR 2000, 1521 = MDR 2000, 1334). Den materiellen Schaden des Klägers schätzt der Senat gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf 6.100,00 DM = 3.188,88 DM. Dabei sind die geltend gemachten Attestkosten berücksichtigt und der Verdienstausfallschaden in Form nicht verdienter Provisionen. Der Kläger zu 1) hat bei seiner Anhörung bestätigt, daß er in den Monaten November und Dezember 1998 noch gearbeitet und in dieser Zeit – wie in den Zeiträumen zuvor – Provisionen verdient hätte. Aus den von ihm vorgelegten Unterlagen ergibt sich, daß dabei im Durchschnitt Provisionen von 3.000,00 DM monatlich angefallen wären. Daß er in dieser Zeit nicht in der Lage war, diese zu verdienen, ergibt sich aus den nachgewiesenen Erkrankungen in den Monaten November und Dezember 1998.
50Der Zinsanspruch ist nach § 291 BGB a.F. begründet.
51Der Feststellungsantrag ist zuverlässig und begründet. Das Feststellungsinteresse ergibt sich aus der nicht auszuschließenden Möglichkeit weiterer Krankheitsschübe und dem Interesse, der Verjährung entgegenzuwirken.
52II.
53Die Kläger haben jedoch keinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes. Denn es läßt sich nicht feststellen, daß die Beklagte – bzw. deren Geschäftsführer - Verkehrssicherungspflichten zum Schutze der Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB
54– schuldhaft - verletzt hat oder gegen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verstoßen hat. Insbesondere ist ihr nicht vorzuwerfen, sie sei besonderen Untersuchungspflichten nicht nachgekommen.
551.
56Nach § 17 FleischhyG, wonach die Richtlinie 89/662/EWG in innerstaatliches deutsches Recht umgesetzt ist, dürfen am Bestimmungsort Fleischsendungen aus anderen Vertragsstaaten nur stichprobenweise und in einer gegenüber Fleischsendungen aus dem Inland nicht diskriminierenden Weise von der staatlichen Überwachung daraufhin untersucht werden, ob sie von den vorgeschriebenen Urkunden begleitet und den Vorschriften des FleischhyG oder den auf der Grundlage dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entsprechen. Bei Verdacht eines Verstoßes sind weitere Überprüfungen möglich.
57Nach § 12 FleischhyVO darf Fleisch aus anderen Mitgliedsstaaten nur in Verkehr gebracht werden, wenn es vorschriftsmäßig und mit einem amtlichen Genußtauglichkeitskennzeichen gekennzeichnet ist und mit einem Handelsdokument versehen ist, auf dem die Veterinärkontrollnummer des Versandtbetriebes (Zerlegebetriebes) angegeben ist. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um die Umsetzung von Artikel 3 Abs. 1 Abschnitt A, e, f, Ziff. I der Richtlinie 64/433/EWG.
582.
59Nach den Ergebnissen der amtlichen Untersuchungen und nach den Feststellungen des Sachverständigen O ergaben sich hier keine wesentlichen Beanstandungen an der Kennzeichnung des Fleisches in den spanischen Betrieben und in den Handelspapieren, die einen irgendwie gearteten Verdacht auf unzureichende veterinäramtliche Kontrollen begründeten.
60a)
61Die Veterinärkontrollnummer des Schlachtbetriebes, die im Rahmen der Untersuchung des Fleisches auf den toten Tierkörper aufgestempelt wurde und deshalb das Genußtauglichkeitssiegel darstellt, mußte im Zerlegebetrieb untergehen und durfte mit der Veterinärkontrollnummer des Zerlegebetriebes und deren Genußtauglichkeitskennzeichnung auf der Verpackung der Fleischstücke ersetzt werden. Dies ist auch geschehen. Aus der Bekundung des Zeugen N2, den Feststellungen des Sachverständigen O und den amtlichen Untersuchungen ergibt sich zweifelsfrei, daß die Herkunft des Fleisches einwandfrei zurückverfolgt werden konnte.
62b.
63Die einzige Regelwidrigkeit gegenüber den Anordnungen nach § 12 FleischhyVO und der EU-Richtlinie 64/433/EWG bestand darin, daß die Veterinärkontrollnummer des Zerlegebetriebes (D) nicht auf den begleitenden Handelsdokumenten vermerkt war. Daraus ergibt sich nach Auffassung des Sachverständigen jedoch nur ein Formfehler, der nicht den Verdacht begründete, daß möglicherweise keine ordnungsgemäße veterinärmedizinische Untersuchung des Fleisches stattgefunden hatte. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, der Verarbeitungsbetrieb der Beklagten zu 2) habe sich auf die vorliegende Genußtauglichkeitsbescheinigung des Zerlegebetriebes verlassen und davon ausgehen dürfen, daß die ordnungsgemäße Trichinenuntersuchung erfolgt ist.
64Der Senat folgt dieser Beurteilung. Die Bestimmungen über die Handelsdokumente in § 10 Abs. 1 Nr. 4, 12 Abs. 1 FleischhyVO dienen dem Zweck, die Herkunft des Fleisches zurückverfolgen zu können. Diese Möglichkeit war hier unproblematisch gegeben. In den Schutz dieser Vorschriften ist auch der Verbraucher einbezogen, da seine Möglichkeit der Geltendmachung von Ansprüchen gegen Hersteller von der Einhaltung der Formvorschriften abhängt. Dieser Fehler hat sich im vorliegenden Fall jedoch nicht ausgewirkt. Die Beklagte konnte aus dem Fehlen der Veterinärkontrollnummer auf dem Handelsdokument keinen Verdacht auf Unsorgfältigkeiten der Trichinenuntersuchung schöpfen. Zum einen handelte es sich um einen häufig beanstandeten Formfehler (vgl. Gutachten O Seite 25). Schon deshalb kann nicht auf Unzuverlässigkeiten im übrigen geschlossen werden. Zum anderen wurde das beanstandete Begleitdokument nicht vom Zerlegebetrieb in Spanien sondern vom deutschen Zwischenhändler T GmbH & Co. KG ausgestellt. Selbst wenn der Beklagten pflichtgemäß der Fehler aufgefallen wäre, hätte sich für sie nur der Rückschluß auf einen Sorgfaltsverstoß dieses Betriebes ergeben, nicht jedoch auf Unsorgfältigkeiten im spanischen Zerlegebetrieb, der die Genußtauglichkeit, ersichtlich auf der Verpackung bescheinigt hatte.
652.
66Es sind auch keine weiteren Gründe dafür feststellbar, daß die Beklagte zu 2) Mißtrauen gegenüber der Qualität der veterinäramtlichen Untersuchungen und mithin des importierten Fleisches hätte haben müssen.
67Das Schweinefleisch war nach Darlegung des Sachverständigen O entgegen der Auffassung des Klägers nicht auffällig preiswert. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, daß dem aus Spanien importierten Schweinefleisch grundsätzlich nicht der Verdacht entgegengebracht werden müsse, es sei mit Trichinen befallen. Zwar hat der Sachverständige ein gewisses höheres Risiko des Trichinenbefalls bejaht, aber nur im Verhältnis zu dem in Deutschland produzierten Schweinefleisch. Das häufigere Auftreten von Trichinosefällen u.a. in Spanien sei außerdem kein Kriterium, zusätzliche Untersuchungen zu fordern. Diese höheren Risiken sind in den Herkunftsländern bei korrekter Handhabung beherrschbar. Nach der binneneuropäischen Rechtslage können und müssen sich deutsche Verarbeitungsbetriebe ebenso wie die deutschen Veterinärämter darauf verlassen. Daß der Trichinenbefall im Betrieb der Beklagten zu 2) nicht mit bloßem Auge erkannt werden konnte, hat der Sachverständige O bestätigt. Er hat darüber hinaus ausgeführt, daß eine Untersuchung der in Einzelstücke zerlegten Saunacken auch praktisch nicht möglich gewesen wäre. Die Beklagte zu 2) durfte und mußte sich auf die – hier vorliegende – Genußtauglichkeitsbescheinigung verlassen. Sie war deshalb auch nicht verpflichtet, einem Trichinenrisiko bei der Weiterverarbeitung durch erhitzen oder einfrieren des Fleisches entgegenzuwirken.
68III.
69Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, 713 ZPO.
70Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Gründe des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.