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Auf die Berufung des Klägers wird das am 31. August 2000 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund abgeändert.
Der Schmerzensgeldanspruch des Klägers ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden, der dem Kläger auf Grund des Unfalls vom 4. April 1997 entstehen wird, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen o-der übergegangen sind.
Zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des dem Kläger zustehenden Schmerzensgeldes wird der Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen, das zugleich über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Berufung zu entscheiden hat.
Das Urteil beschwert den Beklagten in Höhe von 80.000,00 DM.
Tatbestand:
2Der Kläger arbeitete als selbständiger Dachdeckermeister im Auftrag des bauleitenden Architekten an der Errichtung eines AWO-Senioren-Zentrums in D. Die dazu erforderlichen Gerüste wurden von der Firma des Beklagten aufgestellt. Am 4. April 1997 befand sich der Kläger auf diesem Gerüst zur Durchführung von Dachdeckerarbeiten. Eine durchgefaulte Bohle brach unter seinem Gewicht und er stürzte ab. Infolgedessen erlitt er eine traumatische Schuldergelenksluxation links mit Abriß des tuberkulum majus, eine Hüftgelenksprellung links, eine LWS-Prellung links, eine Flankenprellung links, eine Daumengrundgelenksdistorsion links und Knieprellungen. An den Folgen dieser Verletzung leidet der Kläger bis heute. Er hat einen Behindertenschein, der eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % bescheinigt.
3Die Bauberufsgenossenschaft erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an und erbrachte entsprechende Zahlungen. Die private Haftpflichtversicherung des Beklagten wurde wegen dieser Leistungen in Anspruch genommen. Außerdem meldete der Kläger mit Schreiben vom 17.04.1997 seine weitergehenden Schäden, insbesondere einen Schmerzensgeldanspruch, an. Unter dem 12.06. zahlte die Haftpflichtversicherung an den Beklagten 4.000,00 DM zur freien Verrechnung, unter dem 03.12.1997 einen Vorschuss in Höhe von 6.000,00 DM auf das geltend gemachte Schmerzensgeld ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Im weiteren Schreiben und Erklärungen der Haftpflichtversicherung wies sie darauf hin, dass es für die Regelung noch weiterer Unterlagen bedürfe, zuletzt mit Schreiben vom 05.11.1998.
4Der Kläger macht die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von 70.000,00 DM geltend sowie Feststellung der materiellen und immateriellen Eintrittspflicht des Beklagten für Zukunftsschäden.
5Er hat die Auffassung vertreten, der Anspruch auf Ersatz der immateriellen Schäden sei nicht nach § 104 SGB VII ausgeschlossen. Er hat behauptet, der Beklagte habe den Unfall billigend in Kauf genommen. Aus Zeit- und Materialersparnisgründen habe er bewußt eine deutlich erkennbar verfaulte Bohle eingebaut und sei damit das Risiko eines Unfalls eingegangen. Diese habe er später zum Zweck der Beweisvereitelung vernichtet. Er hat die Auffassung vertreten, die Haftpflichtversicherung des Beklagten habe die Ansprüche des Klägers in der geführten Korrespondenz anerkannt.
6Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
71.
8an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld abzüglich hierauf bereits geleisteter 10.000,00 DM zu zahlen, wobei der noch zu leistende Betrag in das Ermessen des Gerichts zu stellen und ab dem 21.05.1998 mit 8 % zu verzinsen ist;
92.
10festzustellen, dass die Beklagte darüber hinaus zum Ersatz des weiteren immateriellen Schadens verpflichtet ist, sofern eine dauernde, auf den Unfall vom 04.04.1997 zurückführende Verminderung der Erwerbstätigkeit im Tätigkeitsbereich als Dachdecker-, Klempner-, Gas-/ Wasserinstallateur- und Zentralheizungsaubmeister von über 30 % eintritt;
113.
12festzustellen, dass der Beklagte über die Ersatzpflicht betreffend immaterieller Schäden hinaus auch zum Ersatz etwaiger materieller Schäden verpflichtet ist, die sich als Folge des Unfalls vom 04.04.1997 ergeben.
13Der Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Er ist der Ansicht, Schmerzensgeldansprüche stünden dem Kläger gegen sie nicht zu, weil der Haftungsausschluß nach §§ 106 Abs. 4, 104. Abs. 1 SGB VII eingreife. Die private Hafpflichtversicherung habe die Ansprüche nicht anerkannt; darüber hinaus bestreitet er, schadenursächliche Brett bedingt vorsätzlich in das Gerüst eingebaut zu haben.
16Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, dass weitergehende Ansprüche nach §§ 106 Abs. 3, 104 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen seien. Ein vorsätzliches Handeln des Beklagten sei nicht feststellbar. Aus der vorgelegten Korrespondenz ergebe sich nicht, dass die Haftpflichtversicherung des Beklagten weitergehende Ansprüche anerkannt habe.
17Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein Klageziel unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und seiner erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt.
18Der Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Er verteidigt das angefochtene Urteil.
21Entscheidungsgründe:
22I.
23Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf ein Anerkenntnis.
24Der Anspruch ergibt sich nicht schon daraus, dass die Haftpflichtversicherung des Beklagten den Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und weitergehende Schadensersatzansprüche anerkannt hätte. Dies folgt weder aus dem Inhalt der vorliegenden Korrespondenz und der dabei abgegebenen Erklärungen der Haftpflichtversicherung noch lässt sich dies aus rechtlichen Gründen annehmen.
2526
1.
27Eine rechtliche Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes durch seine Haftpflichtversicherung scheidet schon aus Rechtsgründen aus. Zwar gilt der private Haftpflichtversicherer nach § 5 AHB als bevollmächtigt. Die Vollmacht deckt auch die Möglichkeit eines Vergleichsabschlusses und die Abgabe einer Anerkenntniserklärung ab, soweit die Deckungssumme ausreicht. Hervortreten muss jedoch der Wille, in verpflichtender Weise für den Versicherungsnehmer zu handeln. Daran fehlt es hier. Die W- Versicherung hat nach dem Inhalt der Korrespondenz ausschließlich für sich selbst gehandelt und ausschließlich eigene Interessen vertreten. Im Rahmen des § 5 Nr. 7 AHB hat der Versicherer die Wahl, ob er im eigenen Namen oder als Vertreter des Versicherungsnehmers handeln will oder in beiden Eigenschaften. Tritt der Wille, im fremden Namen zu handeln, nicht ausdrücklich hervor, können rechtliche Verpflichtungen - soweit sie überhaupt begründet wurden - nur ihn treffen (§ 164 Abs. 2 BGB). Es besteht auch keine tatsächliche Vermutung dahingehend, dass der Versicherungsnehmer vertreten werden soll (vgl. Prölls/ Martin-Voit, VVG, 25. Aufl., § 5 AHB, 5 c; § 156, 5 d).
282.
29Aus den Schreiben der Haftpflichtversicherung vom 23.07.1997 und vom 03.12.1997 lässt sich die Anerkennung einer Einstandspflicht weder ausdrücklich noch konkludent ableiten. Im Schreiben vom 23.07.1997 teilt die w- Versicherung lediglich mit, dass sie einen Betrag in Höhe von 4.000,00 DM zur freien Verrechnung angewiesen habe; im Schreiben vom 03.12.1997 nimmt sie Bezug auf die Zahlung von 6.000,00 DM, die ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolge. Aus dem weiteren vorliegenden Schreiben vom 24.06.1997 folgt, dass die Haftpflichtversicherung bereit war, weitere Schadensersatzsansprüche zu prüfen und deshalb Unterlagen anforderte. Im Schreiben vom 09.02.1999 wird erneut eine Zahlung auf den Verdienstausfall ohne Präjudiz und mit Rückzahlungsvorbehalt angekündigt. Dies ergibt sich auch aus dem Schreiben vom 18.02.1999. Die Auffassung des Klägers, aus diesem Schreiben folge die rechtsverbindliche Bereitschaft zur Zahlung eines Schmerzensgeldes, das angeblich nur noch von weiteren Informationen abhänge, lässt sich danach der Korrespondenz gerade nicht entnehmen.
30II.
31Ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens ist jedoch dem Grunde nach gemäß §§ 847 Abs. 1, 836 Abs. 1 BGB gegeben.
321.
33Der Anspruch gegen den Beklagten ist nicht nach §§ 104 ff SGB VII, § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung gilt der Haftungsausschluss nach §§ 104, 105 SGB VII für die Ersatzpflicht der für die beteiligten Unternehmen Tätigen untereinander auch dann, wenn (mehrere bei Hilfe bei Unglücksfällen oder) Unternehmen des Zivilschutzes zusammenwirken oder Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten.
34a)
35Dem Landgericht ist darin zuzustimmen, dass sich der Unfall bei einer betrieblichen Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet hat. Nach der Entscheidung des BGH vom 17.10.2000 (- VI ZR 6/00 - MDR 2001, 155) ist die Streitfrage der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals für einen Haftungsausschluss im Sinne der vermittelnden Mahnung des zu dieser Streitfrage vertretenen Spektrum der Auffassungen entschieden. Danach sind die Voraussetzungen dann erfüllt, wenn die betrieblichen Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen bewußt und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloße Tun erfolgt. Danach kann es nach Auffassung des Senats keinem Zweifel unterliegen, dass es sich um eine gemeinsame Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII handelt, wenn Bauhandwerker an einem Bauvorhaben tätig sind, wobei die Aufgabe des einen darin besteht, ein erforderliches Gerüst zu bauen, auf das ein anderer Bauhandwerker bei der Ausführung seiner Arbeiten angewiesen ist. Die Maßnahmen der einzelnen Unternehmen wirken in einem solchen Falle wesensmäßig und zweckgerichtet zusammen und greifen ineinander; auf ein zeitliches Nebeneinander der Tätigkeiten ist nicht abzustellen. Vielmehr kommt es allein auf den sachlichen Zusammenhang der Verrichtung des einen und des anderen Bauhandwerkers an.
36b)
37Der Beklagte ist jedoch nicht in diesen Privilegierungstatbestand einbezogen. Er ist Unternehmer und gehört nicht zu den für die Beteiligten Unternehmen Tätigen. Nach allen in Betracht kommenden Auslegungskriterien und Auslegungsmethoden erstreckt sich das Haftungsprivileg nicht auf die Unternehmer selbst. Dies läßt sich weder aus dem Wortlaut der Bestimmung, noch aus dem systhematischen Zusammenhang des Regelungsgefüges der §§ 104 ff. SGB VII herleiten. Da der Schädiger die Freistellung nicht von dem Betrieb des Unternehmens ableitet, gibt es auch nach dem gesetzlichen Zweck kein vernünftiges Argument, das Privileg des § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VII auf das Unternehmen oder den Unternehmer selbst zu erstrecken. Es lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass der Unternehmer für die Betriebsangehörigen die Beiträge für die Betriebsgenossenschaft zahlt und ferner nicht daraus, dass der Betriebsangehörige einen arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch gegenüber dem Unternehmer hat. Das Argument des Betriebstättenfriedens bei dem Zusammenwirken paßt außerdem nur für die tatsächlich an der Baustelle Tätigen. Schließlich ist zu beachten, dass der § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VII gegenüber der bisherigen Rechtslage das Haftungsprivileg erweitert und insofern einen Sondertatbestand enthält, der nicht - über den Wortlaut hinaus - erweiternd ausgelegt werden darf.
38Es kommt auch nicht darauf an, daß der Unternehmer einzelkaufmännisch organisiert oder Inhaber eines Handwerksbetriebs ist und selbst an der Baustelle zusammen mit anderen Angehörigen seines Betriebes gearbeitet hat. Denn dies ändert nichts an seiner Haftung als Unternehmer. Bei ihm liegt eine völlig andere Interessenlage als bei Arbeitnehmern vor. Das Ziel seiner Beteiligung an der Arbeit liegt in der Erwirtschaftung von Gewinnen, er muß Organisations- und Kontrollaufgeben gegenüber seinen Beschäftigten und deren Zusammenwirken erfüllen. Selbst wenn der Beklagte bei der Errichtung des Gerüstes mitgearbeitet hätte, was er bisher nicht vorgetragen hat, würde das Haftungsprivileg zu seinen Gunsten nicht eingreifen.
392.
40Der Beklagte ist danach dem Kläger zum vollen Ersatz seines Schadens, einschließlich seines immeteriellen Schadens verpflichtet.
411.
42Über den Zahlungsantrag war gemäß § 304 Abs. 2 i.V.m. § 538 Abs. 1 Nr. 3 durch Grundurteil zu entscheiden. Der Streit über den Betrag des Anspruchs ist noch nicht zur Entscheidung reif; deshalb ist der Rechtsstreit zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Anspruchs an das Landgericht zurück zu verweisen.
432.
44Die Feststellungsanträge sind zulässig und begründet. Im Wortlaut waren sie - für die Tenorierung - im Wege der Auslegung zu korrigieren. Die Zulässigkeit ergibt sich daraus, dass die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und nach Art und Umfang der Verletzungen zukünftige, jetzt im einzelnen noch nicht abzuschätzende Schäden möglich erscheinen und Verjährung droht (BGH NJW 1993, 648). Begründet sind sie, weil die konkrete Möglichkeit noch nicht abschätzbarer entstandener und zukünftig Schäden nachgewiesen ist.
45Die Kostenentscheidung ist im Schlussurteil zu treffen und war deshalb vorzubehalten.