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Tatbestand
2Der Kläger macht gegen die Beklagte die deren Tochter W zustehenden Unterhaltsansprüche geltend, die er als Träger der Sozialhilfe auf sich übergeleitet hat. Dem liegt folgendes zu Grunde:
3Die Beklagte hat zusammen mit ihrem bereits verstorbenen Ehemann 7 Kinder großgezogen. Die Tochter M, geboren am 24.04.1954, hat nach dem Realschulabschluss eine dreijährige Ausbildung als Fotogravurzeichnerin absolviert und am 31.07.1973 erfolgreich abgeschlossen. Danach hat sie die Fachoberschule besucht und im Herbst 1974 die Fachhochschulreife erlangt. Anschließend hat sie zunächst an der Fachhochschule für Design in D studiert, später ab dem Sommersemester 1976 an der Fachhochschule für Design in M. Dort war sie bis zum Sommersemester 1995 eingeschrieben, ohne je eine Diplomprüfung zu absolvieren.
4Die Eltern haben die Ausbildung ihrer Tochter bis Ende 1985 finanziell unterstützt, zuletzt mit monatlich 300,- DM. Ihren weiteren Bedarf hat die Tochter durch verschiedene Nebentätigkeiten gedeckt. Als die Eltern ihre Zahlungen Ende 1985 gänzlich einstellten, bestritt die Tochter ihren ganzen Lebensunterhalt durch neben dem Studium geleistete Erwerbstätigkeit. Dazu arbeitete sie ab September 1987 20 Wochenstunden bei der Post. Da sie noch als Studentin eingeschrieben war, zahlte sie nur Beiträge zur Krankenversicherung, nicht zur Rentenversicherung.
5Im Februar 1995 gab sie ihre Stelle bei der Post gegen eine Abfindung von 17.000, DM auf, weil sie gesundheitliche Probleme hatte. Im September 1995 beantragte sie Sozialhilfe. Bei einer vom Sozialamt veranlassten ärztlichen Untersuchung wurde eine Psychose festgestellt. Nach einer 4 Monate dauernden stationären Behandlung folgte eine 2-jährige Rehabilitationsmaßnahme, die aber keinen durchschlagenden Erfolg hatte. Nach der amtsärztlichen Stellungnahme vom 23.06.1999 lag weiterhin Erwerbsunfähigkeit vor. Diese Erwerbsunfähigkeit dauert unstreitig fort. Der Kläger leistet daher fortlaufend Sozialhilfe in Höhe von monatlich rund 1.200,- DM (vgl. die Aufstellung Bl. 6 der GA).
6Der Kläger hat etwaige gegen die Beklagte bestehende Unterhaltsansprüche der Tochter auf sich übergeleitet. Er hat vorgetragen, das anrechenbare Einkommen der Beklagten betrage 2.920,- DM. Unter Berücksichtigung des angemessenen Selbstbehalts von 1.800,- DM sei sie daher in der Lage, Unterhalt in Höhe der erbrachten Sozialhilfeleistungen zu zahlen.
7Er hat beantragt,
8die Beklagte zu verurteilen, an ihn für Frau W wie folgt Unterhalt zu zahlen:
9a)
10für die Zeit von Juni 1999 bis Juli 2000 rückständige Beträge in Höhe von 15.068,00 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 01.08.2000;
11b)
12ab August 2000 monatlich 1.120,- DM.
13Die Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie hat geltend gemacht, der Unterhaltsanspruch ihrer Tochter sei verwirkt. Diese habe gegen die Pflicht verstoßen, ihr Studium zügig zu Ende zu bringen. Unterstelle man, dass sie ihr Examen nach einer im oberen Bereich liegenden Studiendauer von 5 Jahren abgeschlossen und anschließend gearbeitet hätte, wäre ihr Lebensbedarf heute durch eine Erwerbsunfähigkeitsrente zumindest im Umfang des Sozialhilfebezugs abgedeckt.
16Dass sie nicht diesen Weg gewählt, sondern ohne Abschluss fortlaufend studiert und trotz nebenher laufender Erwerbstätigkeit keine Absicherung für das Risiko der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit geschaffen habe, sei eine Lebensführungsschuld. Ihre Inanspruchnahme sei auch im Sinne von § 1611 BGB grob unbillig, da sie sieben Kinder aufgezogen und M bei ihrer Ausbildung hinreichend unterstützt habe.
17Hilfsweise hat die Beklagte geltend gemacht, dass bei der Ermittlung ihres anrechenbaren Einkommens weitere fortlaufende Aufwendungen abzuziehen seien. Dann ergebe sich bis Juli 2000 ein Betrag von 2.732,69 DM, ab August ein Betrag von 2.680,69 DM. Im übrigen stehe ihr ein Selbstbehalt von 2.250,- DM zu und ein weiterer Betrag von 200,- DM zur Vermögensbildung. Also könne sie monatlich allenfalls 280,70 DM bzw. 230,79 DM aufbringen.
18Das Amtsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Es hat gemeint, der Unterhaltsanspruch der Tochter M sei nicht verwirkt. Dass M lange ohne Abschluss studiert habe und nur freiberuflich tätig gewesen sei, ohne für die üblichen Absicherungen zu sorgen, sei kein schwerwiegendes sittliches Verschulden im Sinne von § 1611 BGB.
19Das anrechenbare Einkommen der Beklagten betrage bis Februar 2000 2.763,- DM, von März bis September 2000 2.659,- DM und ab Oktober 2000 2.472,45 DM. Da der Selbstbehalt mit monatlich 1.800,- DM anzusetzen sei, seien von Juni 99 bis Februar 2000 monatlich 963,- DM zu zahlen, von März bis September 2000 monatlich 859,- DM und ab Oktober 2000 monatlich 672,- DM.
20Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter verfolgt. Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor, der Tochter sei wiederholt und eindringlich vorgehalten worden, sie müsse baldmöglichst für eine Absicherung im Alter sorgen. Das habe sie abgetan, weil sie anders habe leben wollen. Das könne man nur als sittliches Verschulden werten.
21Die Beklagte beantragt,
22abändernd die Klage abzuweisen.
23Der Kläger beantragt,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Er verteidigt das angefochtene Urteil. Er meint, die Annahme eines sittlichen Verschuldens scheide aus, weil die Tochter sehr wohl vorgehabt habe, für ihr Alter zu sorgen und daran nur durch ihre unverschuldete Krankheit gehindert worden sei. Zumindest die Lebensgestaltung seit der Aufnahme der Tätigkeit bei der Bundespost im September 1987 sei nicht zu beanstanden. Das könne nicht als Einschlagen eines risikobehafteten Lebensweges bewertet werden.
26Entscheidungsgründe
27Die Berufung ist zulässig und überwiegend begründet. Zwar bestehen auf den Kläger übergegangene, aus den §§ 1601 ff BGB folgende Unterhaltsansprüche der Tochter W gegen die Beklagte, jedoch nicht in der vom Amtsgericht zugesprochenen Höhe. Die Ansprüche sind vielmehr gemäß § 1611 BGB auf einen der Billigkeit entsprechenden Beitrag zum Unterhalt zu reduzieren.
281.
29Bevor geprüft werden kann, ob Unterhaltsansprüche gemäß § 1611 BGB aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise entfallen, ist deren genaue Höhe festzustellen
301.1 Bedürftigkeit und Bedarf:
31Ist jemand außerstande, sich selbst zu unterhalten, kann er von den mit ihm in gerader Linie Verwandten Unterhalt gemäß den §§ 1601, 1602 BGB verlangen.
32Dass die Tochter der Beklagten erwerbsunfähig ist und sich nicht selber unterhalten kann, ist unstreitig. Folglich ist die Beklagte als ihre Mutter dem Grunde nach unterhaltspflichtig.
33Zum Bedarf der Tochter, der sich nach § 1610 BGB bestimmt, ist nicht näher vorgetragen. Die Parteien gehen aber übereinstimmend davon aus, dass der aus der früheren Lebensstellung der Tochter abgeleitete Unterhaltsbedarf jedenfalls die Höhe der Sozialhilfesätze erreicht.
341.2
35Der Unterhaltspflichtige muss nur insoweit Unterhalt zahlen, als er das ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Bedarfs kann. Da sich die Umstände für die Bemessung des eigenen Bedarfs der Beklagten im Laufe des streitigen Zeitraums verschiedentlich geändert haben, ergeben sich nach Zeitabschnitten wechselnde Ansprüche wie folgt:
361.2.1 Ansprüche für die Zeit von Juni 1999 bis Februar 2000:
37a)
38Die Parteien gehen übereinstimmend von einem Gesamteinkommen der Beklagten in Höhe von 3.043,48 DM aus.
39b)
40Das Amtsgericht hat davon zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit die Monatsbeiträge für folgende Versicherungen vorweg abgesetzt:
41Lebensversicherung 93,60 DM
42Krankenhaustagegeldversicherung 12,76 DM
43Hausratsversicherung 10,76 DM
44Unfallversicherung 4,98 DM
45Haftpflichtversicherung 8,98 DM
46Die Abzugsfähigkeit der Lebensversicherung ist unstreitig, während die übrigen Versicherungsbeiträge entsprechend dem Vortrag des Klägers unberücksichtigt bleiben müssen. Zwar stellen auch diese eine sinnvolle Daseinsvorsorge dar, sind aber so gering, dass sie nicht vorweg abzuziehen, sondern aus dem Selbstbehalt aufzubringen sind.
47c)
48Der Kläger hat unstreitig gestellt, dass die Beklagte aus gesundheitlichen Gründen einer Haushaltshilfe bedarf und dafür bis Februar 2000 monatlich 120,- DM und ab März 2000 monatlich 224,- DM aufzuwenden hatte. Diese Beträge sind daher bei der Ermittlung des angemessenen Bedarfs gesondert zu berücksichtigen.
49d)
50Unstreitig ist auch, dass die von der Beklagten aufzuwendenden Mietkosten die in dem Selbstbehalt enthaltenen Warmmietkosten von 800,- DM um 29,45 DM übersteigen. Diese Mehrkosten sind daher zusätzlich abzusetzen.
51e)
52Streitig ist zwischen den Parteien, welcher Betrag der Beklagten neben den erörterten Mehrkosten als angemessener Selbstbehalt im Sinne von § 1603 Abs. 1 BGB verbleiben muss.
53Nach den Hammer Leitlinien wird der angemessene Selbstbehalt der Eltern gegenüber volljährigen Kindern mit 1.800,- DM bemessen ,während der Selbstbehalt von Kindern bei Inanspruchnahme durch ihre Eltern mit 2.250,- DM bemessen wird (Ziffern 20, 49 HLL).
54Die Argumentation, der Selbstbehalt, den die Beklagte beanspruchen könne, müsse so wie der Selbstbehalt gegenüber einem erwachsenen, in einer Ausbildung stehenden Kind bemessen werden, übersieht die Unterschiedlichkeit der Fälle. Die Tochter M hatte spätestens 1985 ihren Anspruch auf Ausbildungsunterhalt verloren und sich durch Erwerbstätigkeit eine selbständige Lebensstellung aufgebaut. Das war eine maßgebliche Zäsur; gegenüber dem jetzt erneut entstandenen Unterhaltsanspruch ist der Selbstbehalt daher großzügiger zu bemessen.
55Andererseits hält der Senat aber nicht für gerechtfertigt, den Selbstbehalt so zu bemessen, wie er Kindern zugebilligt wird, die ihre bedürftig gewordenen Eltern unterhalten sollen. Kinder müssen ihre Lebensstellung in der Regel noch erarbeiten und haben daher einen höheren Eigenbedarf.
56Dem Senat erscheint daher gerechtfertigt, den Selbstbehalt der Beklagten mit einem zwischen 1.800,- DM und 2.250,- DM liegenden Betrag von 2.000,- DM anzusetzen.
57f)
58Dann ergibt sich als für Unterhaltszwecke verfügbares Einkommen:
59Gesamteinkünfte 3.043,48 DM
60./. angemessener Selbstbehalt 2.000,00 DM
61./. Zahlungen auf die LV 93,60 DM
62./. Kosten der Haushaltshilfe 120,00 DM
63./. Mehrkosten Wohnung 29,45 DM
64verbleiben 800,43 DM
65Nur in dieser Höhe kommt also überhaupt eine Unterhaltszahlung an die Tochter in Betracht.
661.2.2 Ansprüche für die Zeit von März bis September 2000:
67Die Leistungsfähigkeit sinkt, weil die für die Haushaltshilfe abzusetzenden Kosten von monatlich 120,- DM auf 224,- DM steigen. Es ist wie folgt zu rechnen:
68Gesamteinkünfte 3.043,48 DM
69./. Selbstbehalt 2.000,00 DM
70./. Zahlungen auf die LV 93,60 DM
71./. Haushaltshilfe 224,00 DM
72./. Mehrkosten Wohnung 29,45 DM
73verbleiben 696,43 DM
74Zahlungen an die Tochter kommen also nur noch in Höhe von - abgerundet - 696,- DM in Betracht.
751.2.3 Ansprüche für die Zeit von Oktober 2000 bis Juni 2001:
76Die Beklagte ist in eine teurere Wohnung gezogen; die Kosten übersteigen die im Selbstbehalt enthaltene Warmmiete von 800,- DM nunmehr um 216,- DM, die als Mehrkosten zusätzlich abzugsfähig sind. Das für Unterhaltszwecke verfügbare Einkommen sinkt also weiter:
77Gesamteinkünfte 3.043,48 DM
78./. Selbstbehalt 2.000,00 DM
79./. Zahlungen auf die LV 93,60 DM
80./. Haushaltshilfe 224,00 DM
81./. Mehrkosten Wohnung 216,00 DM
82verbleiben 509,88 DM
83Die Leistungsfähigkeit sinkt also auf 510,- DM.
841.2.4 Ansprüche für die Zeit ab Juli 2001:
85Die Hammer Leitlinien sind für die Zeit ab dem 01.07.2001 neu gefasst und angepasst worden. Der Selbstbehalt der Eltern gegenüber dem volljährigen Kind ist auf 1.960,- DM angehoben worden, der Selbstbehalt von Kindern gegenüber Eltern auf 2.450,- DM. Dem gemäß ist auch der Selbstbehalt der Beklagten um denselben Prozentsatz von etwa 8,8 % zu erhöhen. Dann ergibt sich ein Betrag von etwa 2.180,- DM.
86Der Betrag, den die Beklaget ohne Gefährdung ihres eigenen Bedarfs aufbringen kann, sinkt von 510,- DM auf 330,- DM.
872. Billigkeitsprüfung:
88Da die Tochter der Beklagten durch eigenes sittliches Verschulden bedürftig geworden ist, braucht die Mutter gemäß § 1611 BGB nur einen billigen Beitrag zu ihrem Unterhalt zu leisten. Ein gänzlicher Ausschluss kommt hingegen nicht in Betracht.
892.1
90Bei einem sittlichen Verschulden handelt es sich nach der Definition der Rechtsprechung um eine Vorwerfbarkeit von erheblichem Gewicht. Es liegt vor, wenn das Verhalten, das die Bedürftigkeit herbeigeführt hat, sittliche Missbilligung verdient. Der Bedürftige muss in vorwerfbarer Weise anerkannte Gebote der Sittlichkeit außer acht gelassen haben (BGH FamRZ 85, S. 275).
91a)
92Der Kläger meint, § 1611 BGB sei nicht anwendbar, weil die Bedürftigkeit der Tochter auf deren Krankheit beruhe und nicht durch ein sittlich missbilligenswertes Verhalten herbeigeführt sei. Das ist aber eine verkürzte Betrachtung. Vielmehr ist an die Lebensführung bis zur Krankheit anzuknüpfen und zu fragen, inwieweit die Bedürftigkeit darauf beruht.
93b)
94Das Amtsgericht hat gemeint, es sei kein Verstoß gegen Gebote der Sittlichkeit, wenn man anders lebe und auf die allgemein übliche, auf Vorsorge gegen Risiken bedachte Lebensführung verzichte. Der Senat sieht das anders. Das Verhalten der Tochter verstieß gegen die Gebote der Sittlichkeit, weil sie Risiken auf Kosten der Eltern in Kauf nahm.
95Sittliches, dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden entsprechendes Verhalten ist eine Frage des Gebens und Nehmens. Rechten stehen Pflichten gegenüber. Wer von seinen Eltern die Finanzierung einer Ausbildung verlangt, muss seine so erworbene Qualifikation dann auch entsprechend einsetzen. Früher konnten Eltern von ihren Kindern, deren Ausbildung sie ermöglicht hatten, Unterstützung in ihrem Alter
96erwarten. Auch wenn dieser "Generationenvertrag" heute in den sozialen Sicherungssystemen aufgegangen ist, bleibt es ein Gebot der Sittlichkeit, dass die Kinder ihre Ausbildung wenigstens zu einer Absicherung gegen eigene Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nutzen, um den Eltern nicht später erneut zur Last zu fallen.
97Natürlich ist jedem freigestellt, wie er sein Leben gestaltet. Wer Risiken eingehen will, kann das tun, aber nicht auf Kosten der Eltern. Wer dennoch so handelt, verdient sittliche Missbilligung.
98Gegen das dargestellte Gebot sittlichen Handelns hat die Tochter der Beklagten verstoßen. Zwar ist nicht vorwerfbar, dass sie nach abgeschlossener Ausbildung als Fotogravurzeichnerin noch das Fachabitur machte und ein Studium anschloss. Damit waren die Eltern ausdrücklich einverstanden und haben diese Ausbildung auch finanziert. Sie hätte das Studium aber zügig zu Ende führen müssen. Wenn ihr das, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich war, musste sie aufhören. Die offenbar ziellose Fortführung des Studiums war nicht nur die Überbeanspruchung einer öffentlichen Einrichtung, sondern auch der Verstoß gegen das Gebot, einen aussichtslosen Weg abzubrechen und sich durch Ausübung des schon erlernten Berufs wirtschaftlich unabhängig und leistungsfähig zu machen. Spätestens mit der Einstellung der Zahlungen Ende 1985 hatten die Eltern der Tochter genau das deutlich zu verstehen gegeben.
99Die Tochter hat zwar nach 1985 ihren Lebensunterhalt selbst bestritten, aber durch die ziellose Fortführung des Studiums missbräuchlich die Voraussetzungen geschaffen, weiter ohne soziale Absicherung in der Rentenversicherung arbeiten zu können und so mit weniger Aufwand hinreichende Mittel für den eigenen Lebensunterhalt zur Verfügung zu haben. Der angebliche Vorbehalt, später Rentenversicherungsbeiträge nachzuzahlen, lässt dieses Verhalten nicht in milderem Licht erscheinen. Es war vielmehr das bewusste Eingehen eines unnötigen Risikos und ist deshalb als sittliches Verschulden im Sinne von § 1611 BGB zu werten.
100c)
101Die jetzige Bedürftigkeit beruht auch auf dem aufgezeigten Verschulden, denn die Tochter könnte heute ihren Lebensunterhalt decken, wenn sie auf die durch die Einstellung der Zahlungen deutlich gewordene Missbilligung der Eltern reagiert und Anfang 1986 eine versicherungspflichtige Arbeit aufgenommen hätte. Sie wäre zwar auch dann Anfang 1995 erkrankt, hätte aber Krankengeld bezogen und wäre bis zur endgültigen Feststellung der Erwerbsunfähigkeit weiter sozialversichert gewesen. Da sich die Erwerbsunfähigkeit erst 1987 nach der erfolglosen zweijährigen Rehabilitation herausgestellt hat, wären jedenfalls von 1986 bis 1997 Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt worden, insgesamt rund 144 Beiträge.
102Damit wäre die fünfjährige Wartezeit für die Inanspruchnahme einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 SGB VI erfüllt gewesen.
103Der Kläger hat nicht bestritten, dass die so erworbene Rente zur Deckung des Lebensbedarfs der Tochter ausgereicht hätte.
104d)
105Dafür, dass die Tochter wegen der späteren psychischen Erkrankung nicht vorwerfbar gehandelt habe, ist nichts ersichtlich.
1062.2
107Regelfolge der verschuldeten Bedürftigkeit ist die Beschränkung des Unterhalts auf einen billigen Beitrag zum Unterhalt. Ein Ausschluss erfolgt nur, wenn die Zahlung grob unbillig wäre. Anhaltspunkte für eine grobe Unbilligkeit sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
108Also kommt nur eine Beschränkung der oben errechneten Ansprüche in Betracht. Für die Zeit bis September 2000, in der das für Unterhaltszwecke verfügbare Einkommen zwischen 800,- und 700,- DM gelegen hat, hält der Senat einen Unterhaltsbeitrag von 300,- DM für billig, in der Zeit danach wegen des weiteren Absinkens der Leistungsfähigkeit einen Beitrag von monatlich 200,- DM.
1093.
110Für die Zeit von Juni 1999 bis Juli 2000 ergibt sich ein zu zahlender Rückstand von 4.200,- DM (14 * 300,- DM). Mit der Zahlung dieses Rückstands ist die Beklagte durch die endgültige Zahlungsverweigerung im Schreiben vom 19.07.2000 in Verzug geraten. Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 284, 288 BGB.
111Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 97, 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Ziffer 10 ZPO.