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Die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts - Familiengericht - Paderborn vom 14. Juni 1999 bleibt aufrechterhalten.
Die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung sind Teil der Kosten der Hauptsache.
G r ü n d e :
2Das Familiengericht hat durch Verbundurteil vom 9. Juni 1999 die Ehe der beteiligten Eltern geschieden, die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder P und B auf den Vater übertragen und ein Umgangsrecht der Mutter geregelt.
3Gegen dieses Urteil hat die Mutter am 22. Juni 1999 Rechtsmittel eingelegt, das sie am 29. Juni 1999 begründet hat. Sie erstrebt eine Abänderung der Sorgerechtsregelung zu ihren Gunsten.
4Das Familiengericht hat auf Antrag des Vaters vom 11. Juni 1999 gemäß § 620 ZPO im Wege einstweiliger Anordnung ohne mündliche Verhandlung angeordnet, daß dem Antragsteller in Abänderung des Beschlusses nach § 1672 BGB a.F. vom 30. März 1998 (8 F 107/98 AG Paderborn) das vorläufige Sorgerecht für die beiden Kinder übertragen wird und die Mutter verpflichtet ist, die Kinder sofort an den Antragsteller herauszugeben.
5Gegen diese Anordnung hat die Mutter am 22. Juni 1999 Beschwerde eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 29. Juni 1999 begründet und die Aufhebung der einstweiligen Anordnung vom 14. Juni 1999 beantragt hat.
6Diese Beschwerde hat der Senat durch Beschluß vom 16. Juli 1999 gemäß § 620 c ZPO als unzulässig zurückgewiesen.
7Mit Schriftsatz vom 21. Juli 1999 hat die Mutter beantragt, die Vollziehung der einstweiligen Anordnung auszusetzen (§ 620 e ZPO) sowie über den Antrag, die einstweilige Anordnung aufzuheben, mündlich zu verhandeln.
8Der Antrag der Mutter nach § 620 b Abs. II ZPO ist zulässig. Über die einstweilige Anordnung ist mündlich zu verhandeln. Die Zuständigkeit des Senats folgt aus § 620 a Abs. 4 ZPO, weil die Folgesache elterliche Sorge, auf die sich die Anordnung bezieht, angefochten und beim Senat anhängig ist (vgl. Zöller-Philippi, ZPO, 21. Aufl., Rdn. 11, 13 zu § 620 a ZPO) und Rechtskraft der Scheidung bei Durchführung der mündlichen Verhandlung noch nicht eingetreten war.
9In der Sache ist das Begehren der Mutter unbegründet.
10Die einstweilige Anordnung des Familiengerichts vom 14. Juni 1999 war aufrechtzuerhalten.
11Bei der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung hat die Anhörung der beteiligten Eltern und der Kinder P und B ergeben, daß es dem Wohl der Kinder unter den gegenwärtig gegebenen Verhältnissen am besten entspricht, wenn sie vorläufig bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache im Haushalt ihres Vaters leben.
12Es ist davon auszugehen, daß beide Eltern in etwa gleicher Weise geeignet und auch in der Lage sind, ihren Kindern angemessene Lebensverhältnisse zu bieten. Während der Vater weiterhin in der nach der Trennung bezogenen Doppelhaushälfte in E-M lebt, ist die Mutter am 21. Juni 1999 nach Q2-F gezogen, wo die Familie bis zu ihrer Übersiedlung nach E im Jahre 1996 gelebt hat. Beide Eltern sind sehr um die Kinder bemüht und bereit, die Erziehungsaufgaben verantwortungs- und liebevoll zu erfüllen. Das gilt ungeachtet der Berufstätigkeit beider Eltern, weil sowohl die Mutter als auch der Vater hinreichend Sorge getragen haben, daß zuverlässige Angehörige, Freunde oder vertraute Hilfspersonen sich bei Verhinderung der Eltern um die Kinder kümmern. Die Eltern haben sich jedenfalls in der Vergangenheit auch grundsätzlich gegenseitig für uneingeschränkt geeignet gehalten, die Sorge für die Kinder zu übernehmen, wie die schriftliche Vereinbarung der Eltern vom 26. Juni 1997, in der sie das Sorgerecht tageweise untereinander aufgeteilt hatten, zeigt. Soweit die Mutter nunmehr Bedenken gegen die Erziehungseignung des Vaters geltend macht und sich auf die Dauer für besser geeignet hält, die Kinder zu versorgen und zu erziehen, hat die Richtigkeit dieses Vorbringens im Anhörungstermin nicht geklärt werden können und muß der abschließenden Beurteilung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Auf Grund der Anhörung der Eltern und Kinder kann jedoch davon ausgegangen werden, daß beide Eltern gleichermaßen an ihren Kindern hängen, die eine starke Bindung an beide Eltern haben und keinen von ihnen missen wollen.
13Derzeit erscheint es demnach offen, ob die Beschwerde der Mutter in der Hauptsache Erfolg haben wird oder die zugunsten des Vaters ergangene Sorgerechtsentscheidung des Familiengerichts Bestand hat.
14Für die Hauptsacheentscheidung bedarf der Senat, wie im Termin vom 02.08.1999 erörtert, ergänzender sachverständiger Hilfe. Zunächst wird der erstinstanzlich eingeschaltete Sachverständige Prof. Dr. P2 sein Gutachten unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens der Mutter zu ergänzen haben. Ob danach weiterer Aufklärungsbedarf besteht, kann zuverlässig erst nach Vorliegen der weiteren Stellungnahme des Sachverständigen beurteilt werden. Bei dem derzeitigen Erkenntnisstand ergibt sich auf Grund des Sachverständigengutachtens P2 vom 15.04.1999 sowie der Stellungnahme des Kreisjugendamtes Q2 vom 29.09. und 19.10.1998 eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Sorgerechtsentscheidung erster Instanz und der zugunsten des Vaters erlassenen einstweiligen Anordnung nach § 620 Zif. 1 und 3 ZPO. Dafür, die Kinder bis zur Entscheidung der Hauptsache in die Obhut des Vaters zu geben, spricht aber auch das Ergebnis der Anhörung der Kinder, insbesondere des Sohnes P. Dabei ist sich der Senat bewußt, daß der von Kindern im Alter von P und B geäußerter Wille von augenblicklichen Gefühlen bestimmt sein kann und möglicherweise auf bewußter oder unbewußter Übernahme von Erlebnissen, Äußerungen der Eltern oder ihrer Erziehungseinflüsse beruht. So hat P freimütig berichtet, er habe mit dem Vater darüber gesprochen, wo er leben wolle. Der Junge hat aber von sich aus erklärt, er habe sich zusätzlich eigene Gedanken gemacht, lange überlegt und sei zu dem Ergebnis gekommen, er wolle weiterhin in M beim Vater bleiben, dort in die Schule gehen und seine gewohnte Umgebung und das Zuhause mit den Freunden U und N, die in der anderen Doppelhaushälfte wohnen, nicht verlassen. Da P einen sehr sensiblen, für sein Alter recht nachdenklichen und ernsthaften Eindruck hinterlassen hat, ist nicht davon auszugehen, daß der geäußerte Wille vordergründig oder durch Beeinflussung bestimmt ist. Es entspricht nach Überzeugung des Senats vielmehr dem derzeit wirklichen Wunsch P, in M zu bleiben, das ihm seit dem Umzuge der Familie von F im Jahre 1996 zum "Zuhause" geworden ist. Die Ernsthaftigkeit seines geäußerten Willens kam auch dadurch zum Ausdruck, daß er auf den Vorhalt, die Mutter sei sicher traurig und werde ihn vermissen, erwiderte, er werde sie öfters anrufen und Briefe schreiben, und zwar über den üblichen häufigen Umgang hinaus.
15Für B, die sich an den Äußerungen ihres großen Bruders orientiert, ergeben sich keine erkennbaren Probleme. Für sie ist selbstverständlich, daß sie mit P zusammenbleibt. Sie geht davon aus, daß sie ständigen Kontakt und Umgang mit der Mutter hat, was vom Vater gefördert werden muß.
16Da die Entscheidung in der Hauptsache offen ist, für die Begründetheit der Beschwerde der Mutter jedenfalls keine größere Wahrscheinlichkeit als für die Richtigkeit der angefochtenen Sorgerechtsentscheidung besteht und P sich nachhaltig ein Verbleiben in M wünscht, konnte im Anordnungsverfahren keine vom Familiengericht abweichende Entscheidung getroffen werden.
17Ein dringendes Regelungsbedürfnis im Sinne von § 620 Ziff. 1 und 3 ZPO ist gegeben. P wird am 03.08.1999 eingeschult; für die Wohnorte der Eltern, die ca. 12 km voneinander entfernt liegen, sind unterschiedliche Schulen zuständig. Es muß deshalb im Wege einstweiliger Anordnung entschieden werden, wo P zunächst lebt. Da für die Eltern und Kinder eindeutig ist, daß eine auch vorübergehende Trennung der Kinder nicht in Betracht kommt, war das Regelungsbedürfnis auch für B zu bejahen.
18Die Nebenentscheidung folgt aus § 620 g ZPO.