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Die Berufung der Kläger gegen das am 5. März 1998 verkün-dete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleis-tung in Höhe von 25.000,00 DM abwenden, falls nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet, die er auch durch die unbedingte und unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlich-rechtlichen Sparkasse oder Genossenschaftsbank erbringen kann.
Tatbestand:
2Der am 14. September 1935 geborene Kläger zu 1) erlitt am 17. Januar 1994 auf einer Zugfahrt von N nach P zwischen den Bahnhöfen B-P2 - planmäßige Abfahrt 17.18 Uhr - und K - planmäßige Ankunft 17.23 Uhr - entweder einen Vorderwandinfarkt oder - wahrscheinlicher - einen Herz-Kreis-lauf-Stillstand infolge Kammerflimmerns. Er fiel um, und seine Pupillen wurden weit und lichtstarr. Zwei Mitreisende begannen sogleich mit einer Reanimation durch Herzmassage und von Mund-zu-Mund verabreichter Atemspende. Vom Bahnhof K wurden der Beklagte, der als niedergelassener Internist seine Praxis in Bahnhofsnähe betreibt, und die Rettungsleitstelle angerufen. Der Beklagte schloß die begonnene Behandlung eines anderen Patienten ab und erschien kurz nach 17.30 Uhr im Zug. Er untersuchte den Kläger zu 1), erklärte ihn für tot und verließ den Bahnhof. Die Reanimation wurde nicht wieder aufgenommen. Um 17.39 Uhr erschien die Notärtzin und stellte im EKG Kammerflimmern fest. Sie begann mit einer Herzdruckmassage und einer Maskenbeatmung. Nach dem Eintreffen des Rettungstransportwagens um 17.44 Uhr erhielt der Kläger zu 1) Suprarenin und wurde intubiert. Eine Defibrillation mit 160 Watt stellte einen stabilen Sinusrhythmus her. Der Kläger zu 1) wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er einige Zeit später nochmals einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitt und reanimiert wurde. Er liegt seit dem 17. Januar 1994 im Dauerkoma.
3Die Kläger haben vom Beklagten Ersatz unterschiedlicher Schäden verlangt und behauptet: Es sei fehlerhaft gewesen, den Kläger zu 1) für tot zu erklären und nicht für eine Fortsetzung der Reanimation zu sorgen; bei deren Fortsetzung wäre die schwere Hirnschädigung des Klägers zu 1) vermieden oder entscheidend vermindert worden. Der Beklagte hat Behandlungsfehler und deren Ursächlichkeit für den Gesundheitsschaden des Klägers zu 1) in Abrede gestellt. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B feststehe, daß der Kläger zu 1) auch bei Fortsetzung der Basisreanimation bis zum Eintreffen der Notärztin eine Hirnschädigung gleichen Ausmaßes erlitten hätte. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Berufung, mit der sie beantragen,
5unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung,
61. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 1) ein angemessene Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
72. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 1) 109.709,30 DM nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
83. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 1) eine Rente in Höhe von monatlich 2.623,42 DM vom 01.01.1997 bis zum 30.09.2000 jeweils im voraus zum 01. des Monats nebst 4 % Zinsen des jeweils fälligen Betrages zu zahlen;
94. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
105. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 3) 7.602,00 DM nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
116. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, den Klägern zu 1) und 2) sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die durch die fehlerhafte ärztliche Behandlung des Klägers zu 1) am 17.01.1994 durch den Beklagten entstanden sind oder noch entstehen, soweit die Ansprüche nicht auf den Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen, zu ersetzen;
127. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zu 3) alle Aufwendungen zu ersetzen, die diesem dadurch entstehen, daß der Beklagte den Kläger zu 1) am 17.01.1994 nicht ordnungsgemäß behandelt hat.
13Der Beklagte beantragt,
141. die Berufung zurückzuweisen;
152. ihm nachzulassen, Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft zu erbringen.
16Die Parteien wiederholen und vertiefen ihren erstinstanzlichen Sachvortrag. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in zweiter Instanz wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.
17Der Senat hat die Klägerin zu 2), den Kläger zu 3) und den Beklagten angehört, den Sachverständigen Prof. Dr. B zur Erläuterung seines in erster Instanz für das Landgericht, den Sachverständigen Privatdozent Dr. Y zur Erläuterung eines von Prof. Dr. M für die Staatsanwaltschaft Münster erstatteten Gutachtens veranlaßt. Insoweit wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 11. Januar 1999 Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Den Klägern stehen gegen den Beklagten keine Schadensersatzansprüche aus den §§ 823 Abs. 1, 847 BGB zu. Der Senat kann auch nach weiterer Beweisaufnahme nicht feststellen, daß die gesundheitliche Schädigung des Klägers zu 1) auf eine fehlerhafte Behandlung durch den Beklagten zurückzuführen ist. Beweiserleichterungen kommen den Klägern in diesem Zusammenhang nach Auffassung des Senats nicht zugute.
20Allerdings hält der Senat es für fehlerhaft, daß der Beklagte nicht für eine Wiederaufnahme der Basisreanimation gesorgt und sich an ihr nicht bis zum Eintreffen der Notärztin bei Bedarf beteiligt, sie vielmehr dadurch verhindert hat, daß er den Kläger zu 1) als tot bezeichnet hat. Eine dahingehende Feststellung war dem Beklagten mit den für ihn verfügbaren Mitteln nicht möglich. Das hat der weitere Gang der Dinge unwiderlegbar gezeigt. Unter diesen Umständen verstieß es gegen die Leitlinien für Wiederbelebung und Notfallversorgung, die Reanimation nicht fortzuführen oder fortführen zu lassen. Darin stimmen letztlich beide Sachverständigen überein, mag auch ihre weitere Wertung dieses Verhaltens unterschiedlich sein. Mögen die Leitlinien für den nicht am organisierten Notfalldienst beteiligten Beklagten auch nicht unmittelbar verbindlich sein, so zeigen
21sie doch die überwiegende Überzeugung maßgeblicher ärztlicher Kreise von der Richtigkeit einer Fortsetzung der Reanimation in einem solchen Falle. Dann aber dürfte sich der Arzt im Einzelfall allenfalls dann anders verhalten, wenn er mit den ihn verfügbaren Mitteln die sichere Überzeugung gewinnen konnte, daß eine Schwerstschädigung des Gehirns - wie sie beim Kläger zu 1) jetzt vorliegt - schon eingetreten oder auch bei Fortsetzung der Reanimation mit Gewißheit unvermeidbar wäre. Das war hier nicht der Fall. Der Senat macht sich dazu die Feststellungen des Sachverständigen Dr. Y, die ihm im Gegensatz zu den in diesem Zusammenhang stehenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B überzeugen, zu eigen. Danach konnte der Beklagte bei seinem Eintreffen gerade nicht sicher feststellen, wie lange sich der Kläger zu 1) in einem Zustand relevanter Minderversorgung des Gehirns mit Sauerstoff befand. Weder die Blauverfärbung noch die lichtstarren Pupillen noch die Angaben der Mitreisenden boten dafür eine verläßliche Grundlage. Auch konnte er nicht feststellen, was die Ursache des Herz-Kreislauf-Stillstands war. Einem Kammerflimmern - um das es sich hier wohl tatsächlich gehandelt haben dürfte - konnte ein für Laien nicht sicher unterscheidbarer Zustand von geringerer Relevanz für die Versorgung des Gehirns vorangegangen sein. So wenig ex post die sichere Feststellung möglich ist, ab wann genau ein irreversibler Hirnschaden des jetzt gegebenen Ausmaßes eingetreten war, so wenig konnte der Beklagte dies ex ante zuverlässig beurteilen. Die anderslautende Beurteilung durch den Sachverständigen Prof. Dr. B beruht nach dem Eindruck des Senats auf einer Überbewertung der Verläßlichkeit von Laienan-
22gaben im konkreten Fall und der Brauchbarkeit äußerer Eindrücke für eine exakte Beurteilung des medizinischen Geschehens.
23Trotz seines Behandlungsfehlers ist der Beklagte den Klägern nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Denn die Ursächlichkeit dieses Fehlers für den Schaden des Klägers zu 1) läßt sich nicht mit dem erforderlichen hohen Maß an Wahrscheinlichkeit feststellen. Beide Sachverständigen stimmen darin überein, daß es auch bei Fortsetzung der Basisreanimation zum derzeitigen irreversiblen Schadensbild hätte kommen können und daß dies auch nicht etwa sehr unwahrscheinlich war. Während der Sachverständige Prof. Dr. B sogar als sicher davon ausgeht, daß der Kläger bei Fortsetzung der Reanimation nicht besser da stünde als jetzt, hält der Sachverständige Dr. Y eine Festlegung im Einzelfall für zu spekulativ. So wenig sich der genaue Eintritt einer für eine Hirnschädigung relevanten Sauerstoffunterversorgung sicher feststellen läßt, so wenig läßt sich ausschließen, daß er ab etwa 17.20 Uhr bestanden und trotz Basisreanimation fortbestanden hat, damit aber schon bei Eintreffen des Beklagten einen irreversiblen Schwerstschaden der jetzt vorliegenden Art verursacht haben konnte.
24Daß sich die Ursächlichkeit des Fehlers für den Schaden nicht beweisen läßt, geht zu Lasten der Kläger. Beweiserleichterungen kommen ihnen dabei nicht zugute. Zwar greifen für den Geschädigten ausnahmsweise Beweiserleichterungen bis zur Beweislastumkehr ein, wenn der Fehler des Arztes rechtlich als grob zu werten ist. Das ist der Fall, wenn der Arzt gegen elementare Behandlungsregeln und elementare Erkenntnis der Medizin verstoßen hat, wenn sein Fehler aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich ist, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rn. 515, 522 m.w.N.). So bewertet der Senat den Fehler des Beklagten nicht. Zwar wußte der Beklagte, daß eine Notärztin und ein Rettungstransportwagen mit weitergehenden Möglichkeiten der Reanimation in Kürze vor Ort eintreffen mußten. Andererseits war der Kläger zu 1) bei Eintreffen des Beklagten nach den Feststellungen auch des Sachverständigen Dr. Y klinisch tot. Es gab gewisse, wenn auch nicht hinlänglich sichere Anhaltspunkte dafür, daß dieser Zustand über etwa eine Viertelstunde angehalten hatte und durch die Basisreanimation nicht hatte günstig beeinflußt werden können. Über die Reanimationsgrundsätze gibt es, wie nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Y die Herabstufung von Richtlinien zu Leitlinien zeigt, eine gewisse Diskussion, und es ist bekannt, daß - wie der Sachverständige Prof. Dr. B in seinem schriftlichen Gutachten detailliert aufgezeigt hat - auch bei erfolgreicher Wiederherstellung von Herzfunktion und Kreislauf nach einer gewissen Zeit schwerste Schädigungen des Gehirns mit entsprechenden Funktionseinbußen jedenfalls häufig sind. All das läßt dem Senat den Behandlungsfehler des Beklagten nicht als Verstoß gegen elementare Regeln oder als unverständlich erscheinen.
25Die Sachverständigen schätzen die medizinische Sachlage, die bei dieser Bewertung zu berücksichtigen ist, nicht anders ein. Der Sachverständige Prof. Dr. B hat das Verhalten des Beklagten dahin charakterisiert, daß er das Beste, was er habe tun können, getan habe und daß er, der Sachverständige - der dem Senat als anerkannter Anaesthestiologe und Notfallmediziner mit reicher Erfahrung bekannt ist - sich nicht anders verhalten hätte. Das spricht durchaus, wenn auch die entsprechende Bewertung nicht dem Sachverständigen, sondern dem Richter obliegt, gegen die Annahme eines groben Fehlers. Auch der Sachverständige Dr. Y, der das Verhalten des Beklagten deutlich skeptischer beurteilt, hat es - bei einem Nicht-Notfallmediziner - nicht in die Kategorie schwerster Fehler einordnen wollen und es nicht für medizinisch unverständlich angesehen; dies wegen der den niedergelassenen Ärzten bekannten oft ungünstigen Reanimationsergebnisse.
26Danach muß es bei der Abweisung der Klage bleiben. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Das Urteil beschwert die Kläger mit mehr als 60.000,00 DM.