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Auf die Beschwerde der Klägerin vom 29.4.1999 wird der Beschluß der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 8.3.1999 abgeändert und der Klägerin für die Klage im ersten Rechtszug Prozeßkostenhilfe gewährt, soweit sie die Zahlung von 39.525,- DM begehrt. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Entscheidungen über die Beiordnung eines Rechtsanwalts und die Festsetzung von Ratenzahlungen werden dem Gerichts des ersten Rechtszuges übertragen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
2Die Klage hat zum überwiegenden Teil Aussicht auf Erfolg i.S.v. §114 ZPO.
3Die Klägerin als Versicherungsnehmerin nimmt den Beklagten aus einer vorläufigen Deckungszusage in Anspruch, die der Beklagte ihr anläßlich eines Antrags auf Abschluß einer Lebensversicherung vom 12.9.1996 betreffend den wenig später am 23.9.1996 und noch vor einer Entscheidung des Beklagten über die Annahme des Versicherungsantrags verstorbenen Versicherten Hoezen erteilte. Eine Risikoprüfung fand vor Erteilung der vorläufigen Deckungszusage nicht statt. Der Beklagte erteilt diese ohne weiteres aufgrund eines als "Nr. 15" unter das Unterschriftsfeld in das Antragsformular aufgenommenen Zusatzes. Dieser lautet:
15. Vorläufiger Versicherungsschutz Aufgrund des gestellten Antrags besteht Versicherungsschutz entsprechend den "Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung". |
Die genannten Bedingungen lauten auszugsweise:
§1 Was ist versichert? (1) Der vorläufige Versicherungsschutz erstreckt sich auf die für den Todesfall beantragten Leistungen (2) ... ... §3 Wann beginnt und endet der vorläufige Versicherungsschutz? (1) Der vorläufige Versicherungsschutz beginnt mit dem Tag, an dem Ihr Antrag bei uns eingeht. (2) ... §4 In welchen Fällen ist der vorläufige Versicherungsschutz ausgeschlossen? (1) Unsere Leistungspflicht ist ausgeschlossen für Versicherungsfälle aufgrund von Ursachen, die vor Unterzeichnung des Antrags erkennbar geworden sind, auch wenn diese im Antrag angegeben wurden. (2) ... §5 Was kostet Sie der vorläufige Versicherungsschutz? Für den vorläufigen Versicherungsschutz erheben wir zwar keinen besonderen Beitrag; erbringen wir aber Leistungen aufgrund des vorläufigen Versicherungsschutzes, so behalten wir ein Entgelt ein. Das Entgelt entspricht dem Beitrag für das erste Versicherungsjahr des beantragten Versicherungsvertrages. Bei Einmalbeitragsversicherungen ist dies der einmalige Beitrag. Wir berechnen Ihnen jedoch nicht mehr als den Tarifbeitrag für die Höchstsumme und -rente gemäß §1 Absatz 4. Bereits gezahlte Beiträge rechnen wir an. §6 Wie ist das Verhältnis zur beantragten Versicherung und wer erhält die Leistungen aus dem vorläufigen Versicherungsschutz? (1) Soweit in diesen Bedingungen nichts anderes bestimmt ist, gelten die Allgemeinen Bedingungen für die beantragte Versicherung einschließlich derjenigen für mitbeantragte Zusatzversicherungen. Dies gilt insbesondere für die dort enthaltenen Einschränkungen und Ausschlüsse. (2) Ein im Antrag festgelegtes Bezugsrecht gilt auch für die Leistungen aus dem vorläufigen Versicherungsschutz. |
Der Beklagte hat die Leistung aus der vorläufigen Deckungszusage mit der Begründung verweigert, der Versicherte sei an Herzversagen verstorben. Er sei aber bereits in den Monaten März und April 1996 wegen Herzbeschwerden (dilatativer Kardiomyopathie) fachärztlich behandelt worden. Die Todesursache sei bei Antragstellung am 12.9.1996 deshalb bereits erkennbar gewesen, so daß gem. §4 Abs. 1 der Bedingungen Leistungsfreiheit bestehe. Außerdem habe der Versicherte im Antragsformular diese Behandlungen trotz einer entsprechenden Frage verschwiegen und die Frage nach u.a. Herzbeschwerden wahrheitswidrig mit "nein" beantwortet. Deshalb trete sie von der beantragten Versicherung zurück.
8Die Klägerin zieht den "Herztod" und einen Zusammenhang zwischen der unmittelbaren Todesursache und den Herzbeschwerden, deretwegen der Versicherte behandelt worden sei, in Zweifel. Für die darauf gestützte Klage hat sie die Gewährung von Prozeßkostenhilfe beantragt. Den Antrag hat das Landgericht mit näherer Begründung abgelehnt, weil der Beklagte gem. §4 Abs. 1 der AVB für die vorläufige Deckung leistungsfrei sei.
9Die dagegen gerichtete Beschwerde der Klägerin ist begründet. Die Klage hat aus der erteilten vorläufigen Deckungszusage Aussicht auf Erfolg. Es ist dies ein vom Schicksal des angestrebten Hauptvertrages unabhängiges, selbständig zu beurteilendes Vertragsverhältnis (BGH VersR 96, 743; Senat, VersR 92, 995). Allerdings kommt dabei der Frage, woran der Versicherte verstorben ist, hier keine streitentscheidende Bedeutung zu. Denn §4 Abs. 1 der AVB, wofür diese Umstände von Bedeutung wären und der hier zur Leistungsfreiheit führen soll, ist wegen Verstoßes gegen §9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AGBG unwirksam.
101.
11Nach §4 Abs. 1 der AVB sollen Todesfälle aufgrund von Ursachen, die vor Unterzeichnung des Antrags erkennbar geworden sind, in jedem Fall vom Versicherungsschutz ausgenommen werden, auch dann wenn sie im Antrag angegeben werden.
12Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind AVB so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sachzusammenhangs verstehen muß (BGH VersR 96, 743; 93, 957 (958)). Nach dem Wortlaut der Bestimmung sollen hier "Ursachen" für den Eintritt des Versicherungsfalls vom Versicherungsschutz ausgenommen werden, die bei Antragsunterzeichnung "erkennbar" waren.
13Es ist danach bedeutungslos, ob es sich um einen gefahrerheblichen Umstand handelt, denn der Wortlaut der Bestimmung differenziert nicht danach, sondern schließt alle möglichen Ursachen, bekannt oder unbekannt, für den späteren Eintritt des Versicherungsfalls aus, unabhängig davon also, ob der Versicherer, hätte er diese Ursache gekannt und eine Risikoprüfung nach Maßgabe seiner Risikoprüfungsgrundsätze vorgenommen, dies zum Anlaß genommen hätte, den Antrag abzulehnen. Für eine etwaige Absicht, die Bestimmung so verstanden zu wissen, daß es sich nur um gefahrerhebliche Ursachen handeln solle, spricht nichts. In der Bestimmung selbst findet sich darauf kein Hinweis, und zwar auch nicht in dem Nachsatz, wonach Leistungsfreiheit unabhängig davon eintrete, ob die Ursache angegeben worden sei. Dieser bestätigt eher den Ausschluß auch nicht gefahrerheblicher Umstände. Denn durch die Hervorhebung sollen zwar insbesondere angegebene Ursachen ausgeschlossen werden, hinsichtlich derer eine Risikoprüfung hätte stattfinden können. Erfaßt werden aber auch Umstände, die dabei möglicherweise nicht zur Ablehnung geführt hätten.
142.
15Eine Risikoüberprüfung nach Maßgabe der §§16 ff VVG soll nach den vorliegenden, weitgehend den Musterbedingungen entsprechenden AVB nicht stattfinden. An deren Stelle soll die Bestimmung des §4 AVB im Wege einer ex-post-Betrachtung das Risiko begrenzen.
16Eine die gesetzlich vorgesehene Risikoprüfung gem. §§16 ff VVG ersetzende Bestimmung ist aber am gesetzlichen Leitbild zu messen. Bei der Frage, ob eine Abweichung davon unangemessen i.S.v. §9 AGBG ist, ist indessen die besondere Interessenlage zu berücksichtigen. Das gilt auch im Rahmen von §34 a VVG, weil dort Vor- und Nachteile gegenüberzustellen sind bei der Prüfung der Frage, ob die Abweichung von der Regelung der §§16 ff VVG letztlich nachteilig ist.
17a.
18Bei der vorläufigen Deckung bei einer Lebensversicherung handelt es sich um einen Vertrag, der nur für eine kurze Zeit gelten soll. Für eine vorherige umfassende Risikoprüfung ist regelmäßig kaum Zeit. Durch die vorläufige Deckung soll unentgeltlich und deshalb allein den Interessen des Versicherten zugutekommend bis zum Zustandekommen des endgültigen Vertrages Versicherungsschutz gewährt werden, wobei dessen Umfang anstelle der für den Hauptvertrag noch ausstehenden Risikoprüfung vorläufig durch eine AVB-Bestimmung geregelt werden soll.
19Insoweit hat ein Versicherer ein berechtigtes Interesse daran, nicht schlechter zu stehen, als er nach einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung stände. Bedingungen, die entsprechend den sonst angelegten Risikoprüfungsmaßstäben durch den Ausschluß gewisser sich verwirklichender Risiken genau dies erreichen und dabei den endgültigen Vertragsschluß nicht über die für eine ordnungsgemäße Risikoprüfung erforderliche Zeit hinausschieben, sind deswegen keine unangemessenen oder nachteiligen Abweichungen von den §§16 ff VVG und deshalb zulässig. Zumal eine Ablehnung eines Versicherungsantrags auf dem Versicherungsnehmer unbekannte, erst bei einer Risikoprüfung zutagegetretene Umstände gestützt werden kann, erscheint es deswegen auch nicht unangemessen, unabhängig von einer Kenntnis des Antragstellers und seiner Angaben im Antrag auf Umstände abzustellen, die bei einer Risikoprüfung zutagegetreten wären. Das gilt jedenfalls dann, wenn es nur um den unentgeltlichen vorläufigen Deckungsschutz und nicht um den endgültigen Vertrag geht. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende von einem vom BGH zur Reisekrankenversicherung entschiedenen Fall (VersR 94, 545), so daß die dort dargelegten Kriterien hier nicht passen.
20b.
21Mit ihren AVB geht die Beklagte über ihre hier berechtigten Interessen, im Ergebnis so gestellt werden, als hätte sie eine ordnungsgemäße Risikoprüfung vorgenommen, dabei die spätere Ursache des Versicherungsfalls als risikoerhöhend erkannt und deshalb das Risiko gar nicht erst oder nur eingeschränkt übernommen, aber hinaus, weil sie nämlich alle und damit nicht nur die nach ihren Risikoprüfungsgrundsätzen gefahrerheblichen Umstände vom Versicherungsschutz ausnimmt, sobald irgendjemand in der Lage gewesen wäre, ihr Vorliegen bereits bei Antragstellung zu erkennen. Neben den bei einer etwaigen Risikoprüfung möglicherweise verkannten wirklich gefahrerheblichen Umständen sind damit vor allem ausgeschlossen die als nicht risikoerhöhend geltenden Erkrankungen oder Beschwerden sowie Bagatellerkrankungen oder Umstände, die dann aber entarten oder sonst tödliche Erkrankungen nach sich ziehen.
22In der Praxis bedeutet dies, daß trotz scheinbar weitergehenden Versicherungsschutzes dieser praktisch nur bei unfallbedingten Versicherungsfällen besteht, wie es in den ab 1977 geltenden Musterbedingungen vorgesehen war (vergl. dazu Brück-Möller/Winter, Anm. C 107). Der Versicherungsschutz ist daher - abgesehen von unfallbedingten Versicherungsfällen - nicht nur unentgeltlich, sondern auch wertlos, insbesondere aber für den Versicherungsnehmer nicht absehbar. Das ist aber gerade mit dem hinter der gesetzlichen Regelung der §§16 ff VVG stehenden Grundgedanken nicht vereinbar. Der Versicherungsnehmer soll wissen, in welchem Umfang und zu welchen Bedingungen er Versicherungsschutz erhält (BGH a.a.O.; Senat, NVersZ 1999, 164).
23Das ist, anders als bei den 1977 genehmigten Musterbedingungen, bei dieser Formulierung der hier vorliegenden AVB nicht der Fall. §4 Abs. 1 der AVB weicht nach alledem zuungunsten des Versicherungsnehmers von §§16 ff VVG ab. Auf für den Versicherungsnehmer ungünstige Abweichungen von diesen halbzwingenden Vorschriften kann sich der Versicherer aber nicht berufen, §34 a VVG. Gleichzeitig liegen damit die Voraussetzungen des §9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG vor.
243.
25Nach dem vorstehenden ist der Ausschluß der Risikoprüfung gem. §§16 ff VVG in Verbindung mit dem Ausschluß des vorläufigen Rechtsschutzes in den genannten Fällen durch §4 der AVB unwirksam. Grundsätzlich kann deshalb der Versicherer auf die allgemeinen Vorschriften zurückgreifen. Im konkreten Fall führt dies aber zu keiner anderen Beurteilung, denn - abgesehen von der auch festzustellenden Verspätung - sowohl der Rücktritt als auch eine etwaige, hier allerdings nicht erfolgte Anfechtung des (auch vorläufigen) Vertrages setzen eine Kausalität, der Angaben des Versicherungsnehmers für die entsprechende Entscheidung voraus. Selbst wenn diese, hier, was naheliegt, bewußt falsch waren, würde dies dem Beklagten aber kein Rücktrittsrecht verschaffen, denn das setzte voraus, daß eine Riskoprüfung überhaupt stattgefunden hat. Das ist nach den Angaben des Beklagten aber nicht geschehen. Vielmehr ist die vorläufige Deckung "automatisch" erteilt worden. Das Verhalten des Antragstellers ist für die Entscheidung des Beklagten nach alledem nicht ursächlich geworden.
264.
27Der Höhe nach hat die Klage nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nur in der im Tenor bezeichneten Höhe Aussicht auf Erfolg. Die Versicherungssumme beläuft sich auf 41.325,- DM; ob der Tarif eine höhere Summe vorsieht, ist nicht erkennbar. Hiervon ist gem. §5 der AVB der vereinbarte Beitrag für das erste Versicherungsjahr in Abzug zu bringen, bei Monatsraten von - soweit ersichtlich - 150,- DM mithin 1.800,- DM.
285.
29Die Kostenentscheidung beruht auf §§97, 118 ZPO.