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Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17.11.1998 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer der Klägerin erreicht die Revisionssumme nicht.
(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.)
2Entscheidungsgründe
3Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
41.
5Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Erstattungsanspruch oder Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 2 S. 1, erster Halbsatz VOB/B zu.
6a)
7Entgegen der vom Landgericht vertretenen Ansicht ist zwischen den Parteien kein Werkvertrag über die Verlegung von Versorgungsleitungen bei dem Bauvorhaben "Neubau eines Mischwasserkanals" in der Straße D in T zustande gekommen.
8Das Angebot der Beklagten vom 15.04.1997 über das Verlegen von Versorgungsleitungen zum Preis von 70.380,01 DM zzgl. Mehrwertsteuer war bereits erloschen, als die Klägerin ihr am 7.5.1997 den Zuschlag für die Verlegungsarbeiten erteilte. Zumindest war die Beklagte zu diesem Zeitpunkt an ihr Angebot gebunden. Die Klägerin war zudem nicht berechtigt, die Beklagte an ihrem Angebot festzuhalten, da sie die unklare Ausschreibung zu vertreten hatte. Die Stadt T hatte den Auftrag für den Bau des Mischwasserkanals in der Straße D zu diesem Zeitpunkt bereits anderweitig vergeben. Die nachfolgende Übergabe des Teilauftrags der Klägerin an die Beklagte konnte gegen den Willen der Beklagten nicht mehr wirksam vorgenommen werden.
9Die Beklagte hatte nämlich unter dem 15.4.1997 sowohl die Verlegung der Gas-, Wasser- und Stromleitungen als auch die erforderlichen Tiefbauarbeiten zum Bau eines neuen Mischwasserkanals in der Straße D in T angeboten. Die Klägerin mußte diese Angebote als Gesamtangebot auffassen mit der Folge, daß der Auftrag für die Verlegung der Versorgungsleitungen und den Bau des Mischwasserkanals nur einheitlich vergeben werden konnte. Dies entspricht dem in § 4 Nr. 1 VOB/A zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken der einheitlichen Übergabe und Ausführung von Bauleistungen, die einem Gewerbezwei zuzuordnen sind.
10Bei der Auslegung der Angebote der Beklagten ist die gemeinsam von der Stadt T und der Klägerin durchgeführte Ausschreibung der Arbeiten zugrundezulegen. Es handelt sich hierbei um eine Ausschreibung im Vergabeverfahren nach der VOB/A. Bei einer solchen Ausschreibung ist Grundlage der Auslegung der objektive Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, wobei dem Wortlaut besondere Bedeutung zukommt, weil die Ausschreibung auf das möglichst einheitliche Verständnis des Empfängerkreises hin zu formulieren ist (§ 9 Nr. 1 VOB/A), um so einen gleichen und fairen Wettbewerb der Bieter zu gewährleisten (BGH NJW-RR 1993, 1109, 1110 = BauR 1993, 595, 596). Daneben sind auch die Umstände des Einzelfalles, z.B. die konkreten Verhältnisse des Bauwerks, die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 1994, 1108, 1109 = BauR 1994, 625, 626); OLG Düsseldorf OLGR 1998, 257, 258).
11Aus der Sicht der potentiellen Bieter war die Ausschreibung der Tiefbauarbeiten zum Bau eines neuen Mischwasserkanals und der Verlegung der Versorgungsleitungen zumindest mehrdeutig. Sie konnte so verstanden werden, daß die Arbeiten einheitlich vergeben werden sollten, der Erklärungsempfänger also nicht mit einer getrennten Auftragsvergabe rechnen mußte.
12aa)
13In den beiden regionalen Tageszeitungen von T erfolgte nur eine öffentliche Ausschreibung für das gesamte Bauvorhaben. In den Submissionsanzeigen war kein Hinweis auf eine getrennte Auftragsvergabe enthalten. Es heißt dort lediglich:
14"Die Stadt T - das Tiefbauamt - beabsichtigt, in Auftragsverwaltung der X GmbH, E einen neuen Mischwasserkanal in der Straße D zu verlegen.
15Die Leistungen bestehen im wesentlichen aus:
161900 m3 Bodenaushub Klasse 3-6
17442 m Steinzeugrohre DN 300
1849 m Stahlbetonrohre DN 500
191050 qm Straßenwiederherstellung
20(Gas-, Wasser-, Stromleitungen für Stadtwerke)."
21Die Bieter konnten die gesamten Ausschreibungsunterlagen gegen Zahlung einer Gebühr von 30,00 DM vom Tiefbauamt der Stadt T anfordern. Eine gesonderte Anforderung der Unterlagen für die Verlegung der Versorgungsleitungen von der Klägerin war offensichtlich nicht möglich.
22Weiterhin wurde für die Öffnung der Angebote ein gemeinsamer Termin bestimmt, nämlich der 16.4.1997, 11.00 Uhr.
23bb)
24Der Bieter, der die Ausschreibungsunterlagen vom Tiefbauamt der Stadt T angefordert hatte, erhielt zwar eine Aufforderung der Stadt T zur Abgabe eines Angebots über die Ausführung von Tiefbauarbeiten sowie eine Aufforderung der Klägerin zur Abgabe eines Angebots über das Verlegen der Versorgungsleitungen, wobei jeder Anforderung ein gesondertes Leistungsverzeichnis beigefügt war. Auf dem Deckblatt der Angebotsunterlagen war aber lediglich die Stadt T als Auftraggeber bezeichnet. Zudem war eine Gesamtangebotssumme genannt, und es war eine Spalte für einen "Nachlaß Gesamtangebot der Stadt T" vorgesehen.
25cc)
26Die Klägerin führte keine gesonderte Vergabeverhandlung für die von ihr in Auftrag gegebenen Arbeiten durch. In der Verdingungsverhandlung des Tiefbauamtes der Stadt T vom 16.04.1997 wurden die Endbeträge bei Angebotsöffnung verlesen. Dabei wurde bezüglich des Angebots der Beklagten lediglich die Gesamtangebotssumme von 550.509,01 DM genannt.
27dd)
28Unerheblich ist, daß aus den Ausschreibungsunterlagen ersichtlich war, daß die Vergabe der Aufträge für die Tiefbauarbeiten zum Bau eines neuen Mischwasserkanals und für das Verlegen der Versorgungsleitungen durch 2 verschiedene Auftraggeber erfolgen sollte und die in Auftrag gegebenen Arbeiten dementsprechend auch getrennt abgerechnet werden sollten. Denn ein einheitliches Rechtsgeschäft kann auch bei mehreren Auftraggebern angenommen werden. Wenn die Parteien bei Vertragsschluß nicht ausdrücklich eine Vereinbarung über die Einheit aller Leistungen getroffen haben, ist im Wege der Auslegung festzustellen, ob nach den Vorstellungen der Vertragschließenden die Vereinbarungen nicht für sich allein gelten, sondern "miteinander stehen und fallen" sollen (BGH NJW 1990, 3011; BGH NJW 1988, 406). Ausreichend ist, daß der Einheitlichkeitswille bei einer der Parteien vorhanden, dies der anderen Partei erkennbar ist und von ihr vorbehaltlos hingenommen wird. Indiz für einen Willen zur rechtlichen Einheit und nicht nur zur wirtschaftlichen Verknüpfung ist die Anzahl der verwendeten Vertragsurkunden. Ein Einheitlichkeitswille ist immer dann zu vermuten, wenn die Teilleistungen in einer Vertragsurkunde niedergelegt sind.
29Ein derartiger Einheitlichkeitswille ist im vorliegenden Fall zu vermuten. Wie bereits ausgeführt, gab die Beklagte auf dem von der Stadt T übersandten Angebotsblankett ein Gesamtangebot für die Tiefbauarbeiten zum Bau eines neuen Mischwasserkanals und für das Verlegen der Versorgungsleitungen ab. Dabei kalkulierte sie die Angebotspreise auf der Basis, daß sie beide Aufträge erhielt. Das war auch für die Klägerin erkennbar. Denn in dem Leistungsverzeichnis der Klägerin war z.B. keine Position für das Aufstellen eines Gerätecontainers sowie von Baucontainern für die Bauarbeiter enthalten. Die Kosten für Baustelleneinrichtung waren lediglich im Leistungsverzeichnis der Stadt T aufgeführt. Dementsprechend kalkulierte die Klägerin die Kosten für die Baustelleneinrichtung nur bei dem Angebot der Stadt T. Dies konnte sie aus ihrer Sicht als Empfängerin des Leistungsverzeichnisses - ohne Verstoß gegen Sorgfaltspflichten - auch tun.
30Die getrennte Auftragsvergabe und Abrechnung der Tiefbauarbeiten für den Bau des Mischwasserkanals einerseits und das Verlegen der Versorgungsleitung andererseits ist lediglich darauf zurückzuführen, daß die Klägerin und die Stadt T selbständige juristische Personen sind. Die Klägerin ist aber auch nach der rechtlichen Verselbständigung weiterhin eng mit der Stadt T verflochten. Diese ist die einzige Gesellschafterin der Klägerin.
31Die Tatsache, daß die Ausschreibung für die Tiefbauarbeiten zum Bau eines neuen Mischwasserkanals und für das Verlegen der Versorgungsleitungen unter verschiedenen Nummern geführt und die Stadt T und die Klägerin teilweise unterschiedliche Geschäftsbedingungen hatten, spricht nicht dagegen, daß letztlich ein einheitliches Rechtsgeschäft gewollt war.
32b)
33Selbst wenn ein Werkvertrag über das Verlegen von Versorgungsleitungen zwischen den Parteien zustande gekommen wäre, hätte die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung von 12.060,84 DM aus § 8 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B. Denn ein Erstattungsanspruch nach § 8 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B setzt voraus, daß der Auftraggeber die schriftliche Kündigung des Vertrages erklärt hat (§ 8 Nr. 5 VOB/B) und er den noch nicht vollendeten Teil der Arbeiten nach Entziehung des Auftrages durch einen Dritten hat ausführen lassen. Die Einhaltung der Schriftform ist zwingend, d.h. sie ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die rechtlichen Folgen einer Kündigung (vgl. Ingenstau/Korbion, VOB, 13. Aufl., B § 8 Rdnr. 148 f. m.w.N.). Wird die Schriftform nicht eingehalten, ist die Kündigung gemäß § 125 S. 2 BGB nichtig. Die Klägerin hat nicht dargelegt, daß sie die schriftliche Kündigung des Vertrages erklärt hat, bevor sie die Arbeiten durch die Firma K GmbH ausführen ließ. Mit Schreiben vom 02.06.1997 teilte sie der Beklagten lediglich nachträglich mit, daß sie den Auftrag inzwischen wegen der Dringlichkeit an eine Drittfirma vergeben habe.
342.
35Weiterhin steht der Klägerin kein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung aus § 326 Abs. 1 BGB zu. Da hier § 8 Nr. 3 VOB anwendbar ist, ist ein Anspruch aus § 326 BGB ausgeschlossen (vgl. Ingenstau/Korbion, a.a.O. vor B §§ 8 und 9 Rdnr. 22 f.). Nach der "Anlage zum Angebot über die Ausführung von Tiefbauarbeiten für die T GmbH" sollten der Ausführung der Baumaßnahme, dem Aufmaß und der Abrechnung die Richtlinien der VOB/B zugrunde liegen, sofern in dem Leistungsverzeichnis nichts besonderes vorgeschrieben war. Damit hat die Klägerin in ihren Vertragsbedingungen im Zweifel auf die Regelung der VOB/B zu den Ausführungsfristen in § 5 Nr. 4 VOB/B und auf die Rechtsfolgen nach § 8 Nr. 3 VOB/B verwiesen. Die besonderen Vertragsbedingungen der Klägerin enthalten keine Sonderregelungen über Ausführungsfristen und die Rechtsfolgen, wenn der Auftragnehmer den Beginn der Ausführung verzögert. Der Hinweis auf die Geltung der VOB/B reicht für die Einbeziehung in den Vertrag aus, da die Parteien Vollkaufleute sind.
36Nach alledem war das angefochtene Grundurteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
373.
38Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 281 Abs. 3, 269 Abs. 3 ZPO.
39Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.