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Die Berufung des Klägers gegen das am 20. Januar 1998 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Siegen wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschwer des Klägers: unter 20.000,00 DM.
Entscheidungsgründe:
2I.
3Der Kläger fordert Ersatz des materiellen Schadens, der ihm am 25.03.1996 in L-G dadurch entstanden ist, daß sein Pkw Renault Espace auf einem Bahnübergang bei der Firma C3 mit einer Rangierlok der Deutsche Bahn AG (im folgenden: DB) zusammenstieß.
4Zuvor hatte die Firma C3 mit ihrer Werkslok Rangierarbeiten auf ihrem privaten Gleisanschluß durchgeführt. Da dieser parallel zu dem Gleis der Bundesbahn der Strecke E - L verläuft, wurde der Bahnübergang im gesamten Bahnbereich durch heruntergelassene Halbschranken mit rotem Blinklicht abgesichert. Der Kläger stand zunächst mit seinem Pkw vor der geschlossenen Halbschranke. Als die Rangierarbeiten auf dem privaten Gleisanschluß beendet waren, wollte der Beklagte, der daran als Bediensteter der Firma C3 beteiligt gewesen war, die Halbschranken mittels eines in der Nähe befindlichen Schaltkastens öffnen. Sie ließen sich aber nicht auf diese Weise manuell betätigen, weil sich die Diesellok der DB näherte. Bei Durchfahren eines Zuges der DB werden die beiden Halbschranken und das rote Blinklicht automatisch durch sog. Induktionsschleifen gesichert. Die Sicherungseinrichtungen können dann nicht mehr manuell beeinflußt werden.
5Als er merkte, daß die Schranken sich nicht manuell betätigen ließen, gab der Beklagte in Richtung des Klägers Handzeichen, über deren Bedeutung die Parteien streiten. Der Kläger setzte jedenfalls sein Fahrzeug in Bewegung und versuchte, unter Umfahren der Halbschranken den Bahnübergang zu überqueren. Dabei stieß er mit der Lok zusammen.
6Mit der Behauptung, der Beklagte habe selbst die manuelle Schalteinrichtung für defekt gehalten, habe dies auch vernehmlich geäußert und habe ihn durch eindeutige Handzeichen zum Umfahren der Halbschranken und zum Überqueren des Bahnübergangs aufgefordert, hat der Kläger den Beklagten auf Ersatz von 80 % seines mit 23.831,95 DM bezifferten Schadens, also auf 19.065,56 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen.
7Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, das Umfahren der Halbschranken durch den Kläger sei eine derart ungewöhnliche Reaktion auf die wie auch immer gearteten Winkzeichen des Beklagten gewesen, daß diesem die Schadensfolgen nicht zugerechnet werden könnten.
8Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Schadensersatzbegehren auf der Grundlage einer hälftigen Schadensteilung, also in Höhe von 11.915,97 DM nebst Zinsen unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter und hebt hervor, daß er selbst die Lok nicht habe sehen können; die Äußerungen des Beklagten und seine Winkzeichen seien eindeutig so zu verstehen gewesen, daß die wartenden Verkehrsteilnehmer wegen eines Defekts der Schrankenanlage die Halbschranken umfahren sollten.
9Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
10Der Senat hat die Ermittlungsakten 15 Js 445/96 StA Siegen ausgewertet. Er hat außerdem die Parteien angehört und Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung. Wegen des Ergebnisses wird auf den darüber gefertigten Berichterstattervermerk Bezug genommen.
11II.
12Die Berufung ist nicht begründet.
13Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 BGB.
14Wenn der Kläger selbst den Unfall dadurch verursacht hat, daß er die Halbschranken bei weiterhin blinkendem Rotlicht umfahren hat, würde dies nach Auffassung des Senats zwar nicht von vornherein unter dem Gesichtspunkt mangelnder Zurechenbarkeit eine evtl. quotenmäßig gekürzte Haftung des Beklagten entfallen lassen, sofern dieser durch sein Verhalten die Selbstschädigung des Klägers ausgelöst hat. Im Ergebnis tritt aber der Senat dem Landgericht darin bei, daß der Kläger keinen Schadensersatz beanspruchen kann, weil sein eigener Verantwortungsbeitrag derart bestimmend im Vordergrund steht, daß daneben demjenigen des Beklagten kein haftungsbegründendes Gewicht mehr zukommt (§ 254 BGB).
15Denn es ist nicht bewiesen, daß der Beklagte dem Kläger gezielt solche Winkzeichen gegeben hat, mit denen dieser zum Umfahren der Halbschranken aufgefordert werden sollte. Es ist vielmehr durchaus möglich und mehr läßt sich jedenfalls nicht feststellen , daß die vom Beklagten gegebenen Winkzeichen lediglich ungeschickt und mißverständlich waren, aber keine Aufforderung zum Überqueren des Bahnübergangs trotz geschlossener Schranke enthalten sollten, sondern lediglich einen Hinweis auf die herannahende Lok der DB als Begründung dafür, daß trotz Beendigung der Rangierarbeiten die Schranken nicht geöffnet werden könnten.
16Welche Geste der Beklagte im einzelnen vollführt hat, ist von den Parteien und Zeugen im Senatstermin unterschiedlich demonstriert worden und konnte nicht mit der erforderlichen Sicherheit rekonstruiert werden. Fest steht allerdings, daß nicht nur der Kläger und seine als Beifahrerin neben ihm sitzende Ehefrau diese Geste als Aufforderung zum Weiterfahren trotz geschlossener Halbschranke verstanden haben, sondern auch der Zeuge L2, der in seinem Lkw hinter ihnen gewartet hatte. Sie haben anscheinend die Bedeutung der Geste daraus abgeleitet, daß der Beklagte den zunächst ausgestreckten Arm anschließend wieder zu sich herangezogen hat. Demgegenüber hat der auf der anderen Seite des Bahnübergangs wartende Zeuge C2 seiner Bekundung zufolge die Geste eindeutig in dem Sinne verstanden, daß der Beklagte als Begründung für die Notwendigkeit weiteren Wartens mit ausgestrecktem Arm in Richtung der DB-Lok gewiesen hat, die sich aus Richtung I näherte. Unter diesen Umständen kann nicht festgestellt werden, daß in dem Winkzeichen eine eindeutige Aufforderung zum Weiterfahren lag; es war möglicherweise nur ungeschickt und in Richtung auf den Kläger nicht hinreichend eindeutig.
17Die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe darüber hinaus auch verbal zu verstehen gegeben, daß die Schranke nach Beendigung des Rangiervorgangs lediglich wegen eines Defekts der manuellen Betätigung geschlossen bleibe, und daß deswegen die wartenden Verkehrsteilnehmer den Bahnübergang trotz geschlossener Halbschranken überqueren sollten, ist nicht bewiesen. Die als Zeugen vernommenen Kraftfahrer C2, L3 und U haben etwas derartiges nicht bestätigt. Die Darstellungen des Klägers und seiner Ehefrau weichen so stark voneinander ab, daß sie keine hinreichende Grundlage für eine gesicherte Feststellung bieten. Möglicherweise hat sich bei ihnen gefördert von Rechtfertigungstendenzen ausgehend von der mißverstandenen Geste ein Erinnerungsbild entwickelt, dessen Übereinstimmung mit dem tatsächlichen Geschehen aber nicht gesichert ist. In der Klageschrift hat der Kläger geschildert, wie der Beklagte, bevor er das Winkzeichen gegeben habe, halblaut über die defekte Anlage geschimpft habe. Im Senatstermin hat er dann darüber hinaus angegeben, der Beklagte sei dann vom Schaltkasten über die Bahngleise zum Pkw an die Seite der Ehefrau des Klägers gekommen; das Fenster sei geöffnet gewesen; der Beklagte habe gesagt: "Ihr müßt drumrum fahren, das Ding ist kaputt." Er sei dann zurückgegangen und habe dann erst plötzlich "Halt" gewinkt, als der Pkw schon auf dem Übergang gewesen sei. Demgegenüber hat die Ehefrau des Klägers als Zeugin den Vorgang in der Weise geschildert, daß der Beklagte nach Beendigung des Rangierens und nach dem vergeblichen Versuch, die Schranke am Schaltkasten zu öffnen, einige Schritte vorgekommen sei, aber nicht bis ans Auto, und dann eindeutige Handzeichen in dem Sinne gegeben habe, daß man um die Schranke herumfahren solle. Damit ist eine verbale Aufforderung zum Umfahren der Schranken nicht bewiesen. Nach alledem bleibt es dabei, daß dem Beklagten allenfalls ein mißverständliches und nicht hinreichend eindeutiges Handzeichen zur Last gelegt werden kann.
18Auf der anderen Seite sind demgegenüber die Betriebsgefahr des Pkw Renault und ein erhebliches Eigenverschulden des Klägers zu berücksichtigen. Angesichts des unbedingten Gebots, vor "Rot" und vor einer heruntergelassenen Bahnschranke zu warten, hätte er nicht einfach auf ein Gestikulieren des Beklagten hin den Bahnübergang überqueren dürfen, sondern hätte sich zumindest durch ausdrückliche und eindeutige verbale Kontaktaufnahme mit dem Beklagten Gewißheit verschaffen müssen (vgl. Jagusch/ Hentschel, § 19 StVO Rdn. 22); dies um so mehr, als § 19 StVO in Bezug auf das Rangierpersonal keine dem § 36 I StVO entsprechende Regelung von der Art enthält, daß Zeichen eines Polizeibeamten den Regelungen durch Lichtzeichenanlage oder Verkehrszeichen vorgehen. Denn das Überqueren eines Bahnübergangs wegen eines vermuteten Defekts der Sicherungsanlage ist bei geschlossenen Schranken und Rotlicht ein ungewöhnlicher und außerordentlich gefährlicher Vorgang. Wenn sich der Kläger hierzu entschloß, ohne sich ausreichend zu versichern, daß sich kein Schienenfahrzeug näherte, und daß die Schranken nur wegen eines Defekts der Schaltanlage weiterhin geschlossen blieben, so erscheint es bei der Abwägung der Verursachungsanteile sachgerecht, daß er seinen Schaden selbst trägt, da auf seiten des Beklagten allenfalls ein ungeschicktes und nicht hinreichend eindeutiges Gestikulieren festgestellt werden kann, nicht aber eine gezielte Aufforderung zum Umfahren der Schranke.
19Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 708 Nr. 10, 713, 546 ZPO.