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Die Sache wird dem 1. Senat für Bußgeldsachen in der Be-setzung mit 3 Richtern übertragen, da es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen (§ 80 a Abs. 3 OWiG).
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 3 Abs. 3, 41 (Zeichen 274), 49 StVO, i.V.m. § 24 StVG zu einer Geldbuße von 600,- DM verurteilt. Es hat dazu u.a. folgende Feststellungen getroffen:
2"Der Betroffene befuhr am 9. September 1997 gegen 10.50 Uhr mit dem Pkw des Typs Ford Escort mit dem amtlichen Kennzeichen F die Q-Straße in I-R in Fahrtrichtung Süden. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist in diesem Bereich durch Zeichen 274.1 auf 30 km/h begrenzt. In Höhe der Hausnummer 107 wurde eine Geschwindigkeit von 67 km/h durch das Lasermeßgerät LAVEG Nr. 3297 VL 101 des Fahrzeuges des Betroffenen gemessen. Abzüglich eines Toleranzwertes von 3 km/h ergibt dies eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 34 km/h. Die Messung wurde von dem Zeugen N als Meßbeamten durchgeführt. Das Lasergerät war noch bis zum 31. Dezember 1997 geeicht."
3Der Betroffene stellte die Geschwindigkeitsüberschreitung als solche nicht in Abrede und hat sich im übrigen nach den Feststellungen des Amtsgerichts wie folgt eingelassen:
4"Er habe das Geschwindigkeitsbegrenzungsschild übersehen. Als Fernmeldetechniker trage er gewöhnlich ein Gerät bei sich, durch das er bei Bedarf seitens seiner Dienststelle angefunkt werden könnte. So sei es auch kurz vor dem Tatzeitpunkt gewesen. Ihm sei das Gerät aus der Hand und auf den Boden des Fahrzeuges gefallen. Er habe versucht, das Gerät aufzuheben, weswegen er dann das Geschwindigkeitsbegrenzungsschild übersehen habe."
5Zum Fahrverbot hat das Amtsgericht ausgeführt:
6"Zudem hat der Betroffene eine Ordnungswidrigkeit begangen, die in objektiver Hinsicht eine grobe Pflichtverletzung darstellt. Um das in dem Bußgeldkatalog hierfür vorgesehene Fahrverbot verhängen zu können, muß jedoch hinzukommen, daß der Täter auch subjektiv besonders verantwortungslos handelt. Hierfür spricht der Zweck des Fahrverbots als "eindringliches Erziehungsmittel" und "Denkzettel und Besinnungsmaßnahme". Dieses Mittels bedarf es eines solchen Fahrers nicht, der zwar eine objektiv schwerwiegende Verkehrsordnungswidrigkeit begangen hat, die nicht vorkommen darf, die aber erfahrungsgemäß auch einem pflichtbewußten Kraftfahrer unterlaufen können. Ein Fahrverbot ist zur Einwirkung auf einen Betroffenen nur dann erforderlich, wenn dem Kraftfahrer auch ein erhöhter subjektiver Vorwurf gemacht werden kann. Letzteres ist hier nicht der Fall. Das Übersehen eines 30-Zonen-Begrenzungsschildes innerhalb geschlossener Ortschaft kann für sich allein nicht als grob verkehrswidrig bewertet werden. Dies kann auch (gerade) noch dann gelten, wenn das Übersehen (wie vorliegend bei dem Betroffenen) auf einem Mißgeschick im Zusammenhang mit einem heruntergefallenen Funkgerät führt."
7Das Amtsgericht hat daraufhin zur Einwirkung auf den Betroffenen die nach dem Bußgeldkatalog vorgesehene Geldbuße in Höhe von 200,- DM - unter Berücksichtigung seiner finanziellen Verhältnisse - auf 600,- DM erhöht.
8Die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts ist geboten.
9Alleinige Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Fahrverbots wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit ist - auch bei Taten, bei denen diese Rechtsfolge nach § 2 Abs. 1 und 2 BKatV in der Regel in Betracht kommt - § 25 Abs. 1 S.1 StVG (BGHSt 38, 125, 127). Nach dieser Vorschrift kann ein Fahrverbot u.a. dann verhängt werden, wenn der Betroffene eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG unter grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat. Die Annahme einer groben Pflichtverletzung setzt zunächst voraus, daß der Zuwiderhandlung in objektiver Hinsicht Gewicht zukommt. Sie ist im allgemeinen nur bei abstrakt oder konkret gefährlichen Ordnungswidrigkeiten gerechtfertigt, die immer wieder die Ursache schwerer Unfälle bilden. Das besondere objektive Gewicht einer Ordnungswidrigkeit vermag indes die Annahme einer groben Pflichtverletzung für sich allein nicht zu tragen. Hinzukommen muß vielmehr, daß der Täter auch subjektiv besonders verantwortungslos handelt. Eine grobe Pflichtverletzung kann ihm nur vorgehalten werden, wenn seine wegen ihrer Gefährlichkeit objektiv schwerwiegende Zuwiderhandlung subjektiv auf groben Leichtsinn, grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit zurückgeht (BVerfG, DAR 1996, 196, 197). Diese Einschränkung folgt schon aus dem Begriff der groben Pflichtverletzung, der verglichen mit dem der Fahrlässigkeit - die für die Verhängung eines Bußgeldes ausreicht (§ 24 Abs. 1 StVG) - ein gesteigertes Maß an Verantwortlichkeit auch in subjektiver Hinsicht enthält. Für sie spricht sodann wesentlich der Zweck des Fahrverbots als "eindringliches Erziehungsmittel" und "Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme". Des Einsatzes eines "eindringlichen Erziehungsmittels" bedarf es nicht zur Einwirkung auf einen Verkehrsteilnehmer, der infolge eines Augenblickversagens fahrlässig eine - objektiv schwerwiegende - Verkehrsordnungswidrigkeit begeht, die nicht vorkommen darf, aber erfahrungsgemäß auch dem sorgfältigen und pflichtbewußten Kraftfahrer unterläuft. Weitere "Denkzettel- und Besinnungsmaßnahmen" sind nicht angezeigt. Im Hinblick darauf gebieten es schließlich auch das verfassungsrechtliche Übermaßverbot und der Schuldgrundsatz, den Begriff der groben Pflichtverletzung dahin auszulegen, daß nur Verhaltensweisen erfaßt werden, die auch subjektiv als besonders verantwortungslos gewertet werden können. Daß ein Fahrverbot wegen grober Pflichtverletzung auch im Fall einer objektiv schwerwiegenden und gefährlichen Straßenverkehrsordnungswidrigkeit nicht angeordnet werden darf, wenn dem Kraftfahrer nur leichte Fahrlässigkeit zur Last fällt, ist nicht die Folge einer Abwägung, ob von dem Fahrverbot unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls abgesehen werden kann. Vielmehr sind schon die gesetzlichen Voraussetzungen für die - bei ihrem Vorliegen in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellte - Anordnungen nicht gegeben (BGH, NJW 1997, 3252).
10Diese Rechtslage wird durch § 2 Abs. 1 BKatV nicht berührt. Nach dieser Vorschrift kommt die Anordnung eines Fahrverbots (§ 25 Abs. 1 S.1 StVG) in der Regel in Betracht, wenn der Betroffene einen der in ihr (i.V.m. den Anlagen) beschriebenen Tatbestände verwirklicht hat. Bei diesen Katalogtaten handelt es sich um Regelbeispiele, deren Verwirklichung das Vorliegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers indiziert (BGHSt 38, 125, 134), die aber dieses gesetzliche Merkmal des § 25 Abs. 1 StVG nicht etwa ersetzen oder abändern. Dementsprechend kann auch eine i.S.d. Regelbeispiele des § 2 Abs. 1 BKatV tatbestandsmäßige Handlung nicht mit einem Fahrverbot geahndet werden, wenn als Ergebnis der gebotenen Würdigung der Umstände des Einzelfalls eine grobe Pflichtverletzung - sei es in objektiver oder in subjektiver Hinsicht - ausscheidet (BGH, NJW 1997, 3252).
11Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat auch das Amtsgericht seiner Entscheidung zugrundegelegt. Obgleich es sodann die Voraussetzungen für die Anordnung eines Fahrverbots gemäß § 25 StVG verneint hat, hat es gleichwohl die in der Bußgeldkatalogverordnung vorgesehene Geldbuße erhöht.
12Es stellt sich danach die Frage, ob in dem Fall, daß bereits die Voraussetzungen für den Ausspruch eines Fahrverbotes nicht vorgelegen haben, eine Erhöhung der Geldbuße zum Ausgleich für das Unterbleiben der Nebenfolge in Betracht kommt. Die Beantwortung dieser Frage dient der Fortbildung des Rechts. Sie ist entscheidungserheblich, da davon abhängig ist, ob im vorliegenden Fall die in der Bußgeldkatalogverordnung für die dem Betroffenen vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung vorgesehene Geldbuße zu erhöhen ist.
13Die aufgeworfene Frage ist auch klärungsbedürftig. Das Oberlandesgericht Jena hat in seinem Beschluß vom 17. Januar 1995 ausgeführt, da bereits die Voraussetzungen für den Ausspruch eine Fahrverbotes gemäß § 25 StVG nicht vorgelegen hätten, habe es keiner Erhöhung der Geldbuße zum Ausgleich für das Unterbleiben der Nebenfolge bedurft (OLG Jena, DAR 1995, 209). Dagegen hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 11. September 1997 (NJW 1997, 3252) in einem obiter dictum ausgeführt, in den Fällen, in denen dem Kraftfahrer nur leichte Fahrlässigkeit zur Last falle, finde das objektive Gewicht seiner Tat in dem erhöhten Bußgeld hinreichend Ausruck. Demgemäß hat auch die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unbegründet zu verwerfen.
14Es ist daher geboten, abstrakt-generell zu klären, ob trotz der Verneinung der Voraussetzungen des § 25 StVG für die Anordnung eines Fahrverbotes die Erhöhung einer Geldbuße in Betracht kommt, weil die Zuwiderhandlung objektiv schwerwiegend ist und von der Verhängung eines Fahrverbotes nur deshalb abgesehen worden ist, weil dem Kraftfahrer nur leichte Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann.
15Gemäß § 80 a Abs. 3 OWiG war daher die Sache dem Senat in der Besetzung mit 3 Richtern zu übertragen.