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Der Antrag des Verfolgten auf Entschädigung für die in Deutschland erlittene Auslieferungshaft wird zurückgewiesen.
Gründe:
2I.
3Am 10. Dezember 1990 wurde in ... das Spielkasino des Hotels "..." überfallen. Die (letztlich unbekannt) gebliebenen Täter erbeuteten unter Anwendung von (Waffen-)Gewalt ca. 37.000 DM, 42.000 US-Dollar, 2-3000 tschechische Kronen und weitere Kleinbeträge Schweizer Franken, österreichischer Schillinge und italienischer Lira. Die tschechischen Behörden konnten die Täter nicht ermitteln.
4Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der StA ... wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung wurde den deutschen Polizeibehörden durch die Auswertung einer vom Amtsgericht bei verschiedenen Verdächtigen angeordneten Telefonüberwachung bekannt, daß ein Jugoslawe mit Spitznamen "..." an dem Raubüberfall auf das Kasino in Pilsen beteiligt gewesen sein soll. In verschiedenen abgehörten Gesprächen wurde Vorbereitung und Planung des Raubüberfalls näher geschildert. Weitere polizeiliche Erkenntnisse wurden außerdem aus den Vernehmungen von zwei anderen Jugoslawen gewonnen, die unter Schilderung der näheren Einzelheiten einräumten, zusammen mit "..." den Raubüberfall auf das Spielkasino in begangen zu haben. Gegen diese Jugoslawen erging auf Ersuchen der tschechischen Behörden, dem ein am 24. Januar 1991 erlassener Haftbefehl des Kreisgerichts zugrunde lag, zunächst vorläufiger und dann förmlicher Auslieferungshaftbefehl des Senats.
5Die zur Ermittlung der wahren Personalien des "..." weiter geführten Ermittlungen der Polizeibehörden in ... ergaben, daß in eine Person mit diesem Spitznamen unter einer bestimmten Telefon-Nr. zu erreichen war. Bei einem Anruf wurde der Ansagetext eines Anrufbeantworters abgehört. Die sprechende Stimme erschien den Polizeibeamten identisch mit der des Mannes, der aus der Telefonüberwachung unter dem Spitznamen "..." bekannt war. Daraufhin wurde der Verfolgte am 23. Mai 1991 vorläufig festgenommen. Am 24. Mai 1991 wurde vom Amtsgericht ... wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und wegen schweren Raubes, nämlich wegen des Raubüberfalls auf das Spielkasino in ..., Haftbefehl erlassen.
6Die in der Bundesrepublik vorliegenden Erkenntnisse gegen den Verfolgten wurden am 24. Mai 1991 den tschechischen Behörden mitgeteilt. Daraufhin erließ der Vorsitzende des Kreisgerichts in ... gegen den Verfolgten einen Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts des gemeinschaftlichen Raubes im Sinn des § 234 des StGB der Tschechoslowakei. In dem Haftbefehl wurde dem Verfolgten die Mittäterschaft bei dem am 10. Dezember 1990 in begangenen Raubüberfall zur Last gelegt.
7Aufgrund eines Ersuchens der tschechischen Behörden wurde am 5. Juni 1991 gegen den Verfolgten die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet und der Verfolgte in Auslieferungshaft genommen, nachdem am 4. Juni 1991 der Haftbefehl des Amtsgerichts aufgehoben worden war. Die förmliche Auslieferungshaft wurde mit Beschluß vom 23. Juli 1991 angeordnet. Die dagegen vom Verfolgten erhobenen Einwendungen hat der Senat mit Beschluß vom 5. September 1991 und die dagegen gerichteten Gegenvorstellungen mit Beschluß vom 28. Oktober 1991 zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die genannten Beschlüsse bezug genommen.
8Der Verfolgte wurde am 19. November 1991 an die tschechischen Behörden ausgeliefert. Am 30. Mai 1995 wurde er - zusammen mit den beiden anderen oben erwähnten Jugoslawen - von einer Strafkammer des Kreisgerichts in ... vom Vorwurf des schweren Raubes freigesprochen. Dieses Urteil ist seit dem 24. August 1995 rechtskräftig. An diesem Tag wurde nämlich vom Obergericht ... die Revision der Staatsanwaltschaft ... gegen das vorgenannte Urteil zurückgewiesen. Außerdem wurde die Haftentlassung der Angeklagten angeordnet.
9Mit seinem Antrag vom 16. April 1996 begehrt der Verfolgte Entschädigung für die in dieser Sache erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen, und zwar für die Untersuchungshaft in der Zeit vom 24. Mai bis zum 4. Juni 1991 und für die Auslieferungshaft vom 5. Juni bis zum 18. November 1991. Für die Untersuchungshaft ist dem Verfolgten inzwischen durch Beschluß des Amtsgerichts vom 29. April 1996 dem Grunde nach Entschädigung nach dem StrEG zuerkannt worden. Beim Senat verfolgt er nun noch seine Ansprüche wegen der erlittenen Auslieferungshaft. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Entschädigungsantrag insoweit zurückzuweisen.
10II.
11Der Antrag auf Entschädigung nach dem StrEG für die in der Zeit vom 5. Juni bis zum 18. November 1991 erlittene Auslieferungshaft war - entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwalt - zurückzuweisen. Dem Verfolgten steht für die erlittene Auslieferungshaft eine Entschädigung nach dem StrEG nicht zu.
121.
13Der behauptete Entschädigungsanspruch ergibt sich zunächst nicht unmittelbar aus § 2 Abs. 1 StrEG. Nach § 2 Abs. 1 StrEG kann nur derjenige aus der Staatskasse eine Entschädigung verlangen, der durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder eine andere Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat. Welche anderen Strafverfolgungsmaßnahmen grundsätzlich zu einer Entschädigungsleistung nach dem StrEG führen können, ist in § 2 Abs. 2 StrEG aufgeführt. Die Auslieferungshaft ist nicht erwähnt.
14Das Begehren des Verfolgten ist auch nicht aus § 2 Abs. 3 StrEG gerechtfertigt. Diese Vorschrift erfaßt nur Auslieferungshaft, die ein Verfolgter im Ausland auf Ersuchen einer deutschen Behörde erlitten hat. Nach dem eindeutigen Wortlaut ist von Abs. 3 nicht die auf Ersuchen eines ausländischen Staates in Deutschland gem. §§ 15, 16 IRG angeordnete und vollzogene Auslieferungshaft gemeint.
152.
16Es scheidet auch die - nach Ansicht des Verfolgten über § 77 IRG zulässige - entsprechende Anwendung der Vorschriften des StrEG aus. Inzwischen entspricht es einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, daß im auslieferungsrechtlichen Normalfall, in dem aufgrund eines den formellen gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Ersuchens eines ausländischen Staates die darin bezeichnete Person von den Behörden der Bundesrepublik Deutschland unter den Voraussetzungen der §§ 15, 16 IRG in Auslieferungshaft genommen worden ist, die aufgrund eigener Hoheitsgewalt angeordnete freiheitsbeschränkende Maßnahme keiner entsprechende Anwendung des StrBG bedarf (BGHSt 32, 221 = NStZ 1985, 222 mit zustimmender Anmerkung Schomburg; OLG Düsseldorf NJW 1992, 646; OLG Hamburg NJW 1980, 1239; OLG Stuttgart GA 1979, 72; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1979, 238; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., vor § 1 IRG, Rn. 4 mit weiteren Nachweisen; Gillmeister NJW 1991, 2245; Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, vor § 15 IRG, Rn. 10). Dem ist zuzustimmen, da der ersuchte Staat im Auslieferungsverfahren nur einen eingeschränkten Prüfungsspielraum hat und Einleitung und (Fort-)Gang des Auslieferungsverfahrens im wesentlichen vom ersuchenden Staat nach dessen Willen gestaltet werden. Das war im übrigen auch Auffassung des Gesetzgebers, der in der Begründung zur gesetzlichen Neuregelung des § 77 IRG ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß das StrEG im Bereich der Rechtshilfe nicht anwendbar sei (siehe BT-Drucksache 9/1338, S. 97). Etwas anderes folgt nicht aus einer älteren Entscheidung des BGH (vgl. BGHSt 30, 152 = NStZ 1981, 441). Diese ist nämlich noch zu § 47 DAG ergangen und damit überholt. Im übrigen ist sie vom BGH selbst nicht mehr aufrechterhalten worden (siehe BGHSt 32, 221).
17In Rechtsprechung und Literatur wird allerdings die Auffassung geäußert, daß eine entsprechende Anwendung des StrEG ausnahmsweise dann in Betracht kommen könne, wenn die Behörden der Bundesrepublik Deutschland die unberechtigte Verfolgung des Verfolgten in Form der Auslieferungshaft zu vertreten haben (so BGHSt 32, 221 und dem wohl weitgehend folgend die o.a. Rechtsprechung und Literatur). Es kann dahinstehen, ob diese Auffassung zutreffend ist. Denn selbst, wenn der Senat sich dieser Auffassung anschließen würde, würde das vorliegend nicht zur Zubilligung einer Entschädigung nach dem StrEG führen. Die Zubilligung einer Entschädigung ist nämlich auch in diesem Fall eine Ausnahme und wird nur dann in Betracht gezogen, wenn die deutschen Behörden mitverantwortlich für die unberechtigte Verfolgung des Verfolgten sind. Das wird z.B. angenommen, wenn Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht beachtet worden sind oder im Einzelfall die sich aus § 10 Abs. 2 IRG ergebende Prüfungspflicht nicht beachtet wurde (vgl. Schomburg NStZ 1985, 224).
18Ein solcher Ausnahmefall lag hier nicht vor. Nach den dem Senat im Auslieferungsverfahren von den tschechischen Behörden übermittelten Unterlagen bestanden hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung entsprechend den Vorschriften des IRG keine Bedenken.
19Auch ist hier nicht eine ausnahmsweise nach § 10 Abs. 2 IRG bestehende Pflicht zur Überprüfung des hinreichenden Tatverdachts übersehen worden. Diese besteht nämlich nur, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der ersuchende Staat seinen Anspruch auf Auslieferung mißbräuchlich geltend macht und die Tatverdachtsprüfung darüber Aufschluß geben kann (BGHSt 32, 314; Uhlig/Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 10 IRG Rn. 29). Dafür ist und war hier nichts ersichtlich. Vielmehr sprachen gute Gründe für den von den tschechischen Behörden angenommen hinreichenden Tatverdacht: Der - den Raubüberfall bestreitende - Verfolgte führte den Spitznamen "...". Er wurde von (vermeintlichen) Mittätern belastet. Sowohl in seinem als auch in dem Telefonverzeichnis des einen Mittäters ist die Telefonnummer des jeweiligen anderen aufgeführt. Nach den Angaben in seinem Paß ist er sowohl am 2. Dezember 1990, als der Überfall vorbereitet worden sein soll, als auch am 9. Dezember 1990, am Vortag des Überfalls, in die Tschechoslowakei eingereist. Außerdem lagen die nach § 100b Abs. 5 StPO verwertbaren Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung vor. Gegenüber diesen Indizien kam im Hinblick auf einen hinreichen Tatverdacht dem Umstand, daß die beiden anderen Jugoslawen bei der im Lauf des Ermittlungsverfahrens durchgeführten Lichtbildvorlage den Verfolgten nicht (mehr) erkannt haben (wollen), wenig Bedeutung zu.
20Der Entschädigungsanspruch läßt sich nach Auffassung des Senats auch nicht damit begründen, daß die deutschen Ermittlungsbehörden ihre Ermittlungsergebnisse, insbesondere die Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung und die Vernehmungen der beiden anderen Jugoslawen, den tschechischen Behörden am 24. Mai 1991 zur Verfügung gestellt haben. Zwar verkennt der Senat nicht, daß diese Mitteilung, nachdem die Ermittlungen nach den Tätern des Raubüberfalls in der Tschechoslowakei ins Stocken geraten waren, (mit-)entscheidend zum Erlaß des Haftbefehl des Kreisgerichts vom 29. Mai 1991 beigetragen haben. Dieser Beitrag ist jedoch lediglich im Sinn eines Mitverursachens und nicht, wie offenbar der Verfolgte meint, im Sinn eines (schuldhaften) Vertretens zu werten. Der Verfolgte übersieht nämlich, daß die Erkenntnisse der Telefonüberwachung nach deutschem Recht gemäß § 100b Abs. 5 StPO gegen ihn verwertbar waren. Auch andere Beweisverwertungsverbote sind nicht ersichtlich. Demgemäß haben auch sowohl das Kreisgericht ... in seinem Urteil vom 30, März 1995 und das Obergericht ... in seinem Beschluß vom 24. August 1995 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich bei der Anordnung der Telefonüberwachung nach den strafrechtlichen Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland somit "zweifellos" um eine gesetzliche Maßnahme gehandelt habe. Im tschechischen Strafverfahren sind die Erkenntnisse dann auch nur deshalb nicht verwendet worden, weil nach Auffassung der mit dem Verfahren befaßten Gerichte nur Beweise verwendet werden dürfen, die in Übereinstimmung mit den entsprechenden Bestimmungen der StPO der Tschechischen Republik erbracht worden sind. Da das nicht der Fall war, ist sowohl eine Verwertung der Erkenntnisse der Telefonüberwachung als auch der Vernehmungen der drei Beschuldigten nicht zugelassen worden.
21Dieser Umstand kann den deutschen Behörden nicht angelastet werden. Sie haben den tschechischen Behörden nach deutschen Recht verwertbare Erkenntnisse mitgeteilt. Gründe, die dieser Mitteilung hätten entgegenstehen können, sind nicht ersichtlich. Die Verwertung dieser Erkenntnisse ist dann nicht mehr von den deutschen Behörden zu vertreten. Vielmehr liegt es allein im Verantwortungsbereich des ersuchenden Staates zu prüfen, ob die übermittelten Erkenntnisse nach seiner Rechtsordnung verwertbar sind. Dazu gehört insbesondere auch die Prüfung der Frage, ob die Erkenntnisse mit zur Grundlage eines Haftbefehls gemacht werden können, der zur Begründung eines Auslieferungsersuchens dienen soll. Insoweit greift, da der ersuchte Staat grundsätzlich nicht zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der im ersuchenden Staat ergangenen Haftentscheidung berechtigt ist, der auslieferungsrechtliche Grundsatz ein, daß die Verantwortlichkeit des ersuchten Staates grundsätzlich dort endet, wo ein Vorgang in seinem wesentlichen Verlauf von dem ersuchenden Staat nach des sen Willen gestaltet wird (BGHSt 32, 221).
22Nach allem kommt somit eine Entschädigung des Verfolgten nach dem StrEG für die erlittene Auslieferungshaft nicht in Betracht Soweit der BGH (vgl. BGHSt 32, 221, 227) darauf hingewiesen hat daß der Ausschluß der Entschädigung nach dem StrEG Ansprüche aus Art. 5 Abs. 5 MRK unberührt lasse (vgl. auch OLG Karlsruhe, Die Justiz 1979, 238), hat der Senat darüber nicht zu befinden. Sol ehe Ansprüche - für die hier allerdings unter Berücksichtigung der o.a. Ausführungen nichts ersichtlich ist - sind gegenüber der Landes Justizverwaltung geltend zu machen und müssen ggf. vor den ordentlichen Gerichten eingeklagt werden (vgl. Kleinknecht a.a.O., Art. 5 MRK Rn. 14 mit weiteren Nachweisen; Schätzler NStZ 1981, 443, OLG Düsseldorf NJW 1992, 646