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I.
2Die Beschwerdeführerin zu 1 ist ein weltweit tätiges Softwareunternehmen, das Produkte zur Erstellung und Bereitstellung digitaler Inhalte anbietet. Die Beschwerdeführerin zu 2 ist die deutsche Tochtergesellschaft der Beschwerdeführerin zu 1. Die Beschwerdeführerin zu 1 bietet u.a. im Bereich Digital Experience mit der X. „eine Reihe von Anwendungen und Diensten“ an, die es „Marken und Unternehmen ermöglichen, Kundenerlebnisse zu schaffen, zu verwalten, zu messen, zu optimieren und zu monetarisieren“. Die Beschwerdeführerin zu 1 erzielte im Jahr 2017 weltweit Umsatzerlöse in Höhe von 6.467 Millionen Euro und in Deutschland Umsatzerlöse in Höhe von 337 Millionen Euro.
3Die Beschwerdeführerin zu 1 übernahm - nach Freigabe durch die US-Behörden - am 19. Juni 2018 sämtliche Anteile der N., zum Preis von 1,48 Milliarden Euro, ohne das Vorhaben zuvor auch beim Bundeskartellamt angemeldet zu haben. N. bot vor der Übernahme und bietet noch heute E-Commerce-Software an, die es Händlern ermöglicht, virtuelle Schaufenster zu erstellen und zu verwalten, einschließlich digitaler Produktkataloge, Einkaufswagen, Empfehlungen und Personalisierung. Die Software wird seit 2008 entgeltlich angeboten, seit 2009 auch in Deutschland. Daneben gab und gibt es eine kostenfreie Open-Source-Version ohne Service, technischen Support oder Hosting durch N., die über X.1 heruntergeladen werden kann. N. verfügte vor der Übernahme über 3.579 zahlungspflichtige Kunden, 135 davon mit Rechnungsadresse in Deutschland. N. hatte zum Zeitpunkt des Vollzugs eine deutsche Tochtergesellschaft, die keine Tätigkeit in Deutschland ausübte und keine Mitarbeiter beschäftigte. Die Webseite von N. verfügte über eine deutsche Übersetzung; die Produkt-Dokumentation der Software war teilweise auf Deutsch verfügbar. N. beschäftigte zum Vollzugszeitpunkt sieben Mitarbeiter für Deutschland, Österreich und die Schweiz, die über eine Personalleasing-Agentur angestellt waren und remote arbeiteten. N. erzielte im Jahr 2017 weltweit Umsatzerlöse in Höhe von 139 Millionen Euro und in Deutschland Umsatzerlöse in Höhe von 3,49 Millionen Euro.
4Das Bundeskartellamt leitete Anfang 2023 ein Entflechtungsverfahren ein, weil es der Auffassung war, dass die Übernahme von N. durch die Beschwerdeführerin zu 1 anmeldepflichtig gewesen wäre. Im Juli 2023 stellte das Amt das Entflechtungsverfahren ein, weil der Zusammenschluss keine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs, insbesondere keine Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung, erwarten lasse. Mit Beschluss vom 19. März 2024 hat es den Beschwerdeführerinnen als Gesamtschuldnerinnen eine Gebühr in Höhe von … Euro für die Einstellung des Entflechtungsverfahrens auferlegt. Zur Begründung hat das Bundeskartellamt ausgeführt, das Zusammenschlussvorhaben sei nach den anwendbaren Vorschriften der deutschen Fusionskontrolle anmeldepflichtig gewesen. Insbesondere sei N. vor dem Zusammenschluss im Sinne von § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB in erheblichem Umfang im Inland tätig gewesen. Dies ergebe sich aus der Existenz von 135 zahlungspflichtigen deutschen Kunden zuzüglich der nicht bezifferbaren Zahl an deutschen Nutzern der Open-Source Version, aus dem Vorhandensein einer deutschen Tochtergesellschaft, in Deutschland tätiger Mitarbeiter und deutscher Übersetzungen des Angebots. Zudem sei nicht ersichtlich, dass die Umsätze von N. das wettbewerbliche Potential des Unternehmens hinreichend widergespiegelt hätten. Denn bei den betroffenen Märkten handele es sich um innovative Märkte mit hohem Wachstumspotential, und das Verhältnis des Kaufpreises zum weltweiten Unternehmensumsatz habe bei 10,6 gelegen. Zudem ergebe sich für den deutschen Teil des Erwerbs ein fiktiver Gegenwert von 39,75 Millionen Euro, und der Umsatzanteil der deutschen an den weltweiten Umsätzen von N. habe mit 2,7% der Größenordnung des deutschen Anteils an der weltweiten Wirtschaftsleistung von 3,2% entsprochen.
5Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, das Bundeskartellamt habe kein Entflechtungsverfahren durchführen dürfen, weil der Erwerb von N. nicht anmeldepflichtig gewesen sei. Die Transaktionswertschwelle des § 35 Abs. 1a GWB sei subsidiär gegenüber der Umsatzwertschwelle des § 35 Abs. 1 GWB und nur anwendbar, wenn die Umsätze des zu erwerbenden Unternehmens seine Markt- und Wettbewerbsposition nicht angemessen reflektieren. Diese Voraussetzungen hätten nicht vorgelegen; im Fall von N. habe der Umsatz die Markt- und Wettbewerbsposition angemessen reflektiert. Zudem habe es an einer Tätigkeit von erheblichem Umfang in Deutschland im Sinne von § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB gefehlt.
6Die Beschwerdeführerinnen beantragen,
7den Kostenbeschluss des Bundeskartellamts vom 19. März 2024 aufzuheben.
8Das Bundeskartellamt beantragt,
9die Beschwerden zurückzuweisen.
10Das Amt verteidigt den angefochtenen Beschluss und tritt dem Beschwerdevorbringen im Einzelnen entgegen.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den angefochtenen Beschluss sowie auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.
12II.
13Die zulässigen Beschwerden haben auch in der Sache Erfolg und führen zur Aufhebung des angefochtenen Gebührenbeschlusses des Bundeskartellamts.
14A. Die Beschwerden sind zulässig. Sie sind gegen die Gebührenentscheidung, die die Kartellbehörde gemäß § 62 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 GWB nach Einstellung des Entflechtungsverfahrens nach § 41 Abs. 3 GWB trifft, gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 GWB, § 7 Abs. 1 KartKostVO statthaft. Die Beschwerden sind auch im übrigen zulässig, insbesondere gemäß § 74 Abs. 1 S. 4 GWB fristwahrend beim Beschwerdegericht eingelegt.
15B. Die Beschwerden sind auch begründet. Das Bundeskartellamt hätte die Gebühren gemäß § 62 Abs. 4 Nr. 2 GWB nicht erheben dürfen, da sie bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Bei richtiger Sachbehandlung hätte das Amt ein Entflechtungsverfahren nach § 41 Abs. 3 GWB schon nicht einleiten dürfen, jedenfalls nach Einstellung des Entflechtungsverfahrens den Beschwerdeführerinnen keine Gebühren auferlegen dürfen, weil das Zusammenschlussvorhaben zum Zeitpunkt des Vollzugs nicht der formellen Zusammenschlusskontrolle gemäß § 35 GWB unterlag.
16I. Die Einleitung eines Entflechtungsverfahrens nach § 41 Abs. 3 GWB setzte im vorliegenden Fall voraus, dass es sich bei dem Erwerb der N. durch die Beschwerdeführerin zu 1 um einen Zusammenschluss im Sinne des § 37 GWB handelte, der - im Zeitpunkt des Vollzugs und auch noch bei Einleitung des Entflechtungsverfahrens - die Schwellenwerte des § 35 GWB erfüllte und der Zuständigkeit des Bundeskartellamts unterlag (vgl. Thomas in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 41 GWB Rn. 104; Steinvorth in: Wiedemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 21 Rn. 185). Die Schwellenwerte des § 35 GWB waren indes bereits im Vollzugszeitpunkt nicht erfüllt, so dass das Bundeskartellamt das Entflechtungsverfahren schon nicht hätte einleiten dürfen. Jedenfalls durfte das Amt den Beschwerdeführerinnen nicht nach der Einstellung des Entflechtungsverfahrens gemäß § 62 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 3 GWB Gebühren auferlegen. Denn gemäß § 62 Abs. 6 Nr. 3 GWB darf die Kartellbehörde im Fall der Einstellung eines Entflechtungsverfahrens - nur - demjenigen Kosten auferlegen, der nach § 39 Abs. 2 GWB zur Anmeldung verpflichtet war. Dies waren die Beschwerdeführerinnen nicht. Anmeldepflichtig gemäß § 39 GWB sind nur solche Zusammenschlussvorhaben, die der formellen Zusammenschlusskontrolle nach § 35 GWB unterliegen (vgl. BT-Drs. 13/9720, S. 58; Senat, Beschluss vom 23.11.2022 – VI-Kart 11/21 (V), juris Rn. 60), was vorliegend nicht der Fall war. Daher kommt es nicht darauf an, ob die Beschwerdeführerin zu 2 – bei bestehender Anmeldepflicht – aufgrund der Konzernverbundenheit im Sinne des § 36 Abs. 2 GWB neben der Beschwerdeführerin zu 1 zur Anmeldung verpflichtet gewesen wäre. Ebensowenig kommt es darauf an, ob die Beschwerdeführerin zu 2 dann, wenn das Zusammenschlussvorhaben anmeldepflichtig gewesen wäre und sie aufgrund der Konzernverbundenheit im Sinne des § 36 Abs. 2 GWB neben der Beschwerdeführerin zu 1 zur Anmeldung verpflichtet gewesen wäre, als deutsche Tochtergesellschaft der Beschwerdeführerin zu 1 und an dem Erwerb der N. durch die Beschwerdeführerin zu 1 nicht materiell beteiligtes Unternehmen an dem Entflechtungsverfahren hätte beteiligt werden dürfen.
17II. Das Bundeskartellamt ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass die Anwendung der §§ 35 ff. GWB über die deutsche Fusionskontrolle nicht gemäß § 35 Abs. 3 GWB wegen ausschließlicher Zuständigkeit der Europäischen Kommission nach der FKVO ausgeschlossen war. Denn der gemeinschaftsweite Umsatz von N. erreichte mit … Millionen Euro weder die Schwelle von 250 Millionen Euro des Art. 1 Abs. 2 lit. b) FKVO noch die Schwelle von 100 Millionen Euro des Art. 1 Abs. 3 lit. d) FKVO. Mit Recht hat das Bundeskartellamt weiter angenommen, dass der Erwerb sämtlicher Anteile an N. durch die Beschwerdeführerin zu 1 einen grundsätzlich der deutschen Fusionskontrolle unterliegenden Zusammenschluss darstellt, nämlich einen Kontroll- und Anteilserwerb im Sinne des § 37 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3a GWB. Weiter mit Recht hat das Amt die Umsatzschwellen des § 35 Abs. 1 GWB in der Fassung der 9. GWB-Novelle 2017 nicht als erfüllt angesehen, weil im maßgeblichen letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss, im Jahr 2017, N. mit einem Inlandsumsatz von 3,49 Millionen Euro die damals geltende Inlandsumsatzschwelle von 5 Millionen Euro des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB aF nicht erreicht hat. Hierüber besteht zwischen den Verfahrensbeteiligten auch kein Streit.
18III. Der Zusammenschluss erfüllte jedoch auch nicht den Tatbestand der subsidiären Aufgreifschwelle des § 35 Abs. 1a GWB in der Fassung der 9. GWB-Novelle 2017. Zwar lagen die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1a Nr. 1 bis 3 GWB aF vor. Es lässt sich aber nicht feststellen, dass N. vor dem Zusammenschluss im Sinne von § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB aF in erheblichem Umfang im Inland tätig war.
191. Nach der subsidiären Aufgreifschwelle des § 35 Abs. 1a GWB aF fanden die Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle auch Anwendung, wenn 1. die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Millionen Euro erzielt haben, 2. im Inland im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 25 Millionen Euro erzielt hat und weder das zu erwerbende noch ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von jeweils mehr als 5 Millionen Euro erzielt haben, 3. der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als 400 Millionen Euro beträgt und 4. das zu erwerbende Unternehmen nach Nr. 2 in erheblichem Umfang im Inland tätig ist.
202. Zwar lagen die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1a Nr. 1 bis 3 GWB aF vor, denn die Beschwerdeführerin zu 1 erzielte im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss, im Jahr 2017, weltweit Umsatzerlöse von 6.467 Millionen Euro (Nr. 1), im Inland erzielten im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss, im Jahr 2017, die Beschwerdeführerin zu 1 Umsatzerlöse von 336 Millionen Euro und N. Umsatzerlöse von 3,49 Millionen Euro (Nr. 2) und der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss betrug 1,48 Milliarden Euro (Nr. 3). Es lässt sich aber nicht feststellen, dass N. im Sinne von § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB aF in erheblichem Umfang im Inland tätig war.
21a) Keine Zweifel bestehen allerdings daran, dass N. vor dem Zusammenschluss im Inland tätig war. Eine Tätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB aF wird an dem Ort erbracht, an dem ein Unternehmen am Marktgeschehen teilnimmt. Das ist bei einem Anbieter von Dienstleistungen derjenige Ort, an dem die Kunden bzw. Nutzer ansässig sind. Dieses Verständnis liegt auch dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur 9. GWB-Novelle 2017 zugrunde. In dessen Begründung heißt es: „Die Tätigkeit eines Unternehmens ist dem Ort zuzurechnen, an dem sich der Kunde befindet, also wo er seinen Standort hat. Denn dort findet in aller Regel der Wettbewerb mit alternativen Anbietern statt. Entscheidend ist der Ort der bestimmungsgemäßen Nutzung. Dieser Ort ist in der Regel derjenige, an dem die charakteristische Handlung des fraglichen Rechtsverhältnisses durchgeführt wird, also an dem beispielsweise die Dienstleistungen tatsächlich erbracht oder die Waren tatsächlich ausgeliefert werden.“ (BT-Drs. 18/10207 S. 75; vgl. auch Senat, Beschluss vom 23.11.2022 – VI-Kart 11/21 (V), juris Rn. 64). Nach diesen Maßgaben war N. insoweit im Inland tätig, als das Unternehmen seine Dienstleistung, die darin bestand, es Online-Shop-Händlern mit seiner E-Commerce-Software zu ermöglichen, virtuelle Schaufenster zu erstellen und zu verwalten, einschließlich digitaler Produktkataloge, Einkaufswagen, Empfehlungen und Personalisierung, gegenüber im Inland ansässigen Kunden bzw. Nutzern erbrachte. Dies war jedenfalls seit 2009 der Fall, denn seit diesem Zeitpunkt erbrachte N. seine Dienstleistung entgeltlich in Deutschland; im Zeitpunkt des Zusammenschlusses hatte N. 135 zahlungspflichtige Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland. Ob N. darüber hinaus auch insoweit im Inland tätig war, als in Deutschland ansässige Nutzer die unentgeltliche Open-Source-Version der Software ohne Service, technischen Support oder Hosting durch N. nutzten, lässt sich nicht feststellen, weil die Zahl solcher deutschen Nutzer nicht ermittelt werden konnte, ist aber vor dem Hintergrund der gegebenen entgeltlichen Inlandstätigkeit unerheblich.
22b) Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass es sich bei dieser Inlandstätigkeit von N. um eine solche von erheblichem Umfang im Sinne des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB aF handelte. Dies gilt schon deshalb, weil keine Zweifel daran bestehen, dass das wettbewerbliche Potential und die Marktposition von N. in den bisher erzielten Umsätzen zuverlässig reflektiert wurden, so dass für das Vorliegen einer erheblichen Inlandstätigkeit die 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB aF maßgeblich war, die jedoch unterschritten wurde.
23aa) Mit der Einführung der subsidiären Transaktionswertschwelle des § 35 Abs. 1a GWB aF wollte der Gesetzgeber der 9. GWB-Novelle 2017 ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auch solche Zusammenschlüsse der Fusionskontrolle unterwerfen, bei denen Zielunternehmen nur Umsätze unterhalb der 2. Inlandsumsatzschwelle von damals 5 Millionen Euro aufweisen (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB aF), aber zu einem hohen Preis gekauft werden, der in solchen Fällen häufig ein Zeichen für das Vorhandensein innovativer Geschäftsideen mit einem hohen wettbewerblichen Marktpotential sei, so dass ein noch fehlender Umsatz das schon angelegte Marktpotential als niedrig und damit falsch wiedergeben kann. Denn in derartigen Konstellationen spreche die Disproportionalität zwischen fehlendem oder geringem Umsatz, der zunächst eine fehlende oder geringe Marktbedeutung vermuten lasse, und dem gleichwohl auffällig hohen Kaufpreis dafür, dass der Zusammenschluss aus Sicht des Erwerbers durchaus eine wirtschaftliche und wettbewerbliche Relevanz besitze (BT-Drs. 18/10207 S. 70 f.). Gedacht war besonders an neuartige, innovative Geschäftsmodelle im digitalen Bereich, für deren erfolgreiche Markteinführung häufig zunächst primär entscheidend sei, eine große Zahl von Nutzern und damit Netzwerkeffekte zu generieren, wofür wiederum ein unentgeltliches oder preiswertes Angebot förderlich, oft sogar zwingend sei, so dass Unternehmen in dieser Phase dementsprechend keine oder nur sehr geringe Umsätze erzielten. Auf sogenannten mehrseitigen Märkten könne das Geschäftsmodell auch dauerhaft so konzipiert sein, dass ein Angebot an eine Nutzergruppe unentgeltlich erbracht wird und mittelbar über Zahlungen anderer Nutzergruppen finanziert wird. Als weiteres Beispiel nennt die Entwurfsbegründung den Bereich privater Forschung und Entwicklung, etwa im Pharma- und Technologiesektor, in dem sich das Umsatzpotential erst nach der Entwicklung der Technologien oder Produkte verwirklichen werde (BT-Drs. 18/10207 S. 71). Damit dem international geltenden Grundsatz Rechnung getragen wird, wonach ein Staat nur dann die Zuständigkeit für eine fusionskontrollrechtliche Prüfung für sich beanspruchen sollte, wenn die Fusion einen hinreichenden lokalen Bezug („local nexus“) aufweist, wie er auch in dem in § 185 Abs. 2 GWB normierten Auswirkungsprinzip zum Ausdruck kommt, sollte für die genannten Fälle das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Inlandstätigkeit des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB aF an die Stelle der 2. Inlandsumsatzschwelle von damals 5 Millionen Euro (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB aF) treten (BT-Drs. 18/10207 S. 72, 74). Eine Herabsetzung der 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB aF war demgegenüber nicht beabsichtigt.
24Dementsprechend benennt die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung als hypothetischen Anwendungsfall des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB aF den Fall des Erwerbs einer bisher kostenfreien Smartphone-App, die sich grundsätzlich an alle Verbraucher richtet und in Deutschland bereits von über einer Million Nutzer verwendet wird, während eine erhebliche Inlandstätigkeit in dem hypothetischen Fall nicht vorliegen soll, dass in einer seit vielen Jahren durch entgeltliche Austauschbeziehungen und hohe Umsatzvolumina geprägten Branche ein Unternehmen für mehr als 400 Millionen Euro verkauft wird, das einen weltweiten Umsatz von über 300 Millionen Euro und einen deutschlandweiten Umsatz von rund einer Million Euro hat. Denn in diesem Fall würden das wettbewerbliche Potential und die Marktbedeutung des Zielunternehmens in den bisher erzielten Umsätzen zuverlässig reflektiert. Bei Umsätzen von weniger als 5 Millionen Euro erreiche das erworbene Unternehmen daher nicht die Schwelle einer erheblichen Tätigkeit im Inland (BT-Drs. 18/10207 S. 75).
25In vergleichbarer Weise heißt es im „Leitfaden Transaktionswert-Schwellen für die Anmeldepflicht von Zusammenschlussvorhaben (§ 35 Abs. 1a GWB und § 9 Abs. 4 KartG)“ des Bundeskartellamts und der Bundeswettbewerbsbehörde Österreichs vom Januar 2022 auf der Grundlage des § 35 Abs. 1a GWB in der Fassung der 10. GWB-Novelle 2021 mit der auf 17,5 Millionen Euro angehobenen 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB in Rn. 82: „Vor diesem Hintergrund gilt für Deutschland, dass das Bundeskartellamt die Erheblichkeit dann verneinen wird, wenn das Zielunternehmen im Inland Umsatzerlöse erzielte, die unter € 17,5 Mio lagen, und diese Umsatzerlöse die Marktposition und das wettbewerbliche Potenzial angemessen widerspiegeln. Das wird etwa dann der Fall sein, wenn das Unternehmen mit seinen Produkten im Ausland erhebliche Umsatzerlöse erzielt, nicht aber in Deutschland, z.B. weil im Inland (noch) keine Vertriebsstruktur aufgebaut wurde. Die Schwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2, 2. Hs. GWB bleibt insoweit relevant. Der Auffangtatbestand der Transaktionswert-Schwelle soll hier nicht gelten. Eine Anmeldung ist daher nicht notwendig. Anders ist es, wenn die Inlandsumsätze kein angemessener Gradmesser sind, z.B. weil das Unternehmen auf einem Markt tätig ist, der nicht durch Umsätze geprägt ist, oder weil es ein Produkt anbietet, das erst seit kurzem auf den Markt gekommen ist, so dass die bislang niedrigen Umsätze nicht das wettbewerbliche Potenzial widerspiegeln. In einem solchen Fall muss die Bestimmung der Erheblichkeit nach anderen Kriterien i.S. der Rz. 65 ff. vorgenommen werden.“ Die Fassung der früheren Version des Leitfadens auf der Grundlage der Umsatzschwellen des § 35 GWB in der Fassung der 9. GWB-Novelle 2017 und eine noch ältere Entwurfsfassung entsprechen nach den unstreitigen Angaben der Beschwerdeführerinnen ansonsten der hier wiedergegebenen Version.
26bb) Daraus ist zu folgern, dass die 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB auch innerhalb des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB dann gelten soll, wenn die Umsätze des Zielunternehmens ein zutreffender Indikator für seine Marktposition und sein wettbewerbliches Potential sind. Wird diese Schwelle in solchen Fällen nicht erreicht, so fehlt es an einer erheblichen Inlandstätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB und unterliegt der Zusammenschluss nicht der deutschen Fusionskontrolle (vgl. Senat, Beschluss vom 23.11.2022 – VI-Kart 11/21 (V), juris Rn. 70; Wessely in: MünchKomm Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 35 GWB Rn. 47 ff.).
27Mit einer solchen Normauslegung ist entgegen der Auffassung des Bundeskartellamts nicht verbunden, dass sogenannte „Killer Acquisitions“ entgegen dem Willen des Gesetzgebers nicht von der deutschen Fusionskontrolle erfasst werden könnten. Nach der Entwurfsbegründung wollte der Gesetzgeber mit der Einführung des § 35 Abs. 1a GWB auch solche Zusammenschlussvorhaben der Fusionskontrolle unterwerfen, in denen größere, etablierte Unternehmen potentielle Wettbewerber mit hohem Innovationspotential mit dem Ziel aufkaufen, das Innovationspotential nicht zu nutzen, sondern konkurrierende Geschäftsmodelle oder Produkte vom Markt zu nehmen (BT-Drs. 18/10207 S. 71). Dies ist mit der vorgenommenen Normauslegung ohne weiteres möglich. Handelt es sich nämlich bei dem Zielunternehmen der sogenannten „Killer Acquisition“ um ein Unternehmen in dem in der Begründung des Gesetzentwurfs beschriebenen Sinne, bei dem die – etwa wegen der Besonderheiten des Geschäftsmodells oder der Neuartigkeit des Produkts noch fehlenden oder erst geringen – Umsätze Marktposition und wettbewerbliches Potential des Unternehmens nicht hinreichend widerspiegeln, so unterfällt ein entsprechendes Zusammenschlussvorhaben - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - der Fusionskontrolle, wenn die 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB unterschritten wird, aber eine erhebliche Inlandstätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1a GWB vorliegt. Nur dann, wenn das Zielunternehmen sein Produkt seit vielen Jahren in entgeltlichen Austauschbeziehungen anbietet und hohe Umsatzvolumina erzielt, so dass die Umsätze Marktposition und wettbewerbliches Potential zutreffend reflektieren, scheidet eine erhebliche Inlandstätigkeit aus, wenn die 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB unterschritten wird.
28cc) Nach den oben genannten Maßgaben bestehen keine Zweifel daran, dass das wettbewerbliche Potential und die Marktposition von N. im Zeitpunkt des Zusammenschlusses in den bisher erzielten Umsätzen zuverlässig reflektiert wurden, so dass es an einer erheblichen Inlandstätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB aF fehlte, weil die maßgebliche 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB aF nicht überschritten war. Denn bei der von N. angebotenen E-Commerce-Software handelte es sich um ein seit vielen Jahren in entgeltlichen Austauschbeziehungen angebotenes und marktreifes Produkt, mit dem hohe Umsatzerlöse erzielt wurden, und weitere Aspekte, wie etwa das Verhältnis zwischen Unternehmenskaufpreis zu Umsatzerlösen, rechtfertigen keine andere Beurteilung.
29(1) N. bot seine E-Commerce-Software Online-Shop-Händlern seit vielen Jahren in entgeltlich geprägten Austauschbeziehungen zum Betrieb ihrer Online-Shops an und erzielte damit weltweit hohe Umsätze. Bei der betroffenen Branche für E-Commerce-Software handelte es sich insgesamt um ein Geschäftsfeld, das seit vielen Jahren bestand und durch entgeltliche Austauschbeziehungen zwischen Softwareanbietern und Online-Shop-Händlern als Kunden geprägt war, mit denen hohe Umsatzerlöse erzielt wurden. Es handelte sich bei E-Commerce-Software weder um ein neues Produkt, das erst seit kurzem auf dem Markt war und/oder das erst noch eine hinreichende Verbreitung finden musste, bevor damit angemessene Umsätze erzielt werden konnten, noch handelte es sich um ein Produkt, das dauerhaft nicht auf einem umsatzgeprägten Markt angeboten, sondern anderweitig monetarisiert wurde, etwa durch Geldzahlungen oder Datenüberlassungen durch andere Nutzergruppen.
30(a) Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beschwerdeführerinnen werden die betroffenen Softwareprodukte schon seit Ende der 1990er Jahre von einer - entsprechend der zunehmenden Bedeutung des Online-Handels - kontinuierlich zunehmenden Zahl von Unternehmen entgeltlich am Markt angeboten. N. bot seine E-Commerce-Software seit 2008 entgeltlich am Markt an, seit 2009 auch in Deutschland, und erzielte im Jahr 2017 erhebliche Umsatzerlöse von weltweit 139 Millionen Euro. Die Branche im allgemeinen wie auch das Angebot von N. war und ist durch entgeltliche Geschäfte gekennzeichnet, bei denen ausschließlich das Unternehmen, das die Softwareprodukte kauft, ein Entgelt zahlt. Bei N. gab es unstreitig keine Finanzierung von dritter Seite, insbesondere nicht durch Werbung und nicht durch Kommerzialisierung von Kundendaten.
31Bei dem Vertrieb von E-Commerce-Software handelte es sich mithin im Zeitpunkt des Zusammenschlusses um ein marktreifes Geschäftsmodell im herkömmlichen Sinne, bei dem die Umsätze des Unternehmens ein zutreffender Indikator für seine Marktposition und sein wettbewerbliches Potential waren und eine erhebliche Inlandstätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB aF ausschied, wenn die 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB aF nicht erreicht wurde, was hier der Fall war. Es handelte sich um dasjenige Geschäftsmodell, das nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur 9. GWB-Novelle 2017 von der subsidiären Aufgreifschwelle des § 35 Abs. 1a GWB nicht umfasst sein sollte, weil ein Bedürfnis für eine umsatzunabhängige Fusionskontrolle nicht besteht (BT-Drs. 18/10207, S. 75), und für das das Bundeskartellamt in seinem oben zitierten Leitfaden die Geltung des Auffangtatbestands der Transaktionswertschwelle und folglich eine Anmeldepflicht ausdrücklich verneint.
32(b) Nichts anderes ergibt sich daraus, dass neben der von N. seit 2008 entgeltlich angebotenen E-Commerce-Software weiterhin eine unentgeltliche Open-Source-Version existiert, die über X.1 heruntergeladen werden kann. Wie die Beschwerdeführerinnen unbestritten vorgetragen haben, ist dieses unentgeltliche Angebot auf die Historie von N. und seiner Gründung als „Open-Source E-Commerce-Plattform“ zurückzuführen; die Gründer hätten den Quellcode jedem auf der Welt kostenlos zur freien Verfügung stellen wollen, was dem Idealismus der Software-Gründer-Szene entsprochen habe. Für diese unentgeltliche Version leistete N. unstreitig keinen Service, technischen Support oder Hosting. Es ist nicht ersichtlich und wird vom Bundeskartellamt auch nicht nachvollziehbar vorgetragen, inwiefern sich aus der Fortexistenz der unentgeltlichen Ursprungsversion der Software, die schon mangels jeglicher Serviceleistungen von N. qualitativ hinter dem seit 2008 entgeltlich angebotenen Produkt zurückbleibt, ergeben könnte, dass die Umsätze des Unternehmens auch im Zeitpunkt des Zusammenschlusses - immer noch - kein zutreffender Indikator für seine Marktposition und sein wettbewerbliches Potential gewesen seien. Dies gilt auch deshalb, weil unstreitig gar nicht ermittelt werden konnte, wieviele Nutzer die unentgeltliche Open-Source-Version – noch – nutzten.
33(c) Das Bundeskartellamt hat auch sonst keine besondere Innovativität des Produkts von N. festgestellt, die dafür sprechen könnte, dass die Unternehmensumsätze seine Marktposition und sein wettbewerbliches Potential im Zeitpunkt des Zusammenschlusses nicht hinreichend widergespiegelt hätten. Die Beschwerdeführerinnen haben unbestritten vorgetragen, N. habe im Zeitpunkt der Übernahme nicht an anderen oder neuen Produkten gearbeitet, sondern allein an der Weiterentwicklung und Verbesserung der bestehenden E-Commerce-Software. Dies lässt nicht den Schluss darauf zu, die erzielten Umsätze seien kein zutreffender Indikator für die Marktposition und das wettbewerbliche Potential von N. gewesen, denn mit dem Bestreben nach Weiterentwicklung und Verbesserung eines seit vielen Jahren marktreifen Produkts unterschied sich das Geschäftsmodell von N. nicht von dem seiner Wettbewerber oder dem anderer Branchen. Soweit das Amt auf eine Verschiebung „der Software von On-Premise in die Cloud“ hinweist, fehlt es an einer Begründung dafür, warum hierin eine Innovation liegen sollte, aus der sich ergibt, dass die erzielten Umsätze von N. Marktposition und Potential des Unternehmens nicht zutreffend reflektiert hätten. Dies gilt auch deshalb, weil nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beschwerdeführerinnen andere Unternehmen im Zeitpunkt der Übernahme von N. bereits cloudbasierte Lösungen anboten.
34(d) Nichts anderes ergibt sich auch daraus, dass sich der Online-Handel und damit auch der Markt für E-Commerce-Software weiterhin im Wachstum befand. Aus dem Umstand allein, dass das Zielunternehmen auf einem Wachstumsmarkt tätig ist, kann nicht entnommen werden, dass die erzielten Umsätze die Marktposition und das Potential des Unternehmens nicht widerspiegeln (vgl. Senat, Beschluss vom 23.11.2022 – VI-Kart 11/21, juris Rn. 72). Anderenfalls entstünde auch ein Wertungswiderspruch zu § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB, der nur auf die im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss erzielten Inlandsumsätze abstellt und ebenfalls nicht nach Wachstumsmärkten und gesättigten Märkten differenziert. Es war nicht das gesetzgeberische Ziel der Einführung der Transaktionswertschwelle, generell den Erwerb von wachsenden Unternehmen von der Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB auszunehmen (vgl. Wessely in: MünchKomm Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, § 35 GWB Rn. 50).
35Dass die Umsätze von N. im Zeitpunkt der Übernahme die Marktposition und das wettbewerbliche Potential des Unternehmens zutreffend reflektiert haben, bestätigt sich in der Rückschau auch mit der Umsatzentwicklung auf dem deutschen Markt. Dort betrugen die Unternehmensumsätze im Jahr 2017 3,49 Millionen Euro und – wie die Beschwerdeführerinnen unbestritten vorgetragen haben – im Jahr 2023 10,46 Millionen Euro. Die Steigerung um etwa 200% über den Zeitraum von sechs Jahren liegt unterhalb der vom Bundeskartellamt angenommenen jährlichen Wachstumsrate des Online-Handels (oder des Handels mit E-Commerce-Software?) von 29%, und die Umsätze lagen weiterhin deutlich unter der 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB in der Fassung der 10. GWB-Novelle 2021 von 17,5 Millionen Euro.
36(2) Eine andere Bewertung als diejenige, dass es im Zeitpunkt des Zusammenschlusses an einer erheblichen Inlandstätigkeit von N. im Sinne des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB aF fehlte, weil das wettbewerbliche Potential und die Marktposition von N. in den bisher erzielten Umsätzen zuverlässig reflektiert wurden, so dass es für eine erhebliche Inlandstätigkeit auf die 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB aF von 5 Millionen Euro ankam, die nicht erreicht wurde, ist auch nicht aufgrund des Verhältnisses von Unternehmenskaufpreis zu Unternehmensumsätzen geboten.
37(a) Allerdings ist nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur 9. GWB-Novelle 2017 ein hoher Kaufpreis bei Umsätzen des Zielunternehmens unterhalb der 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB aF häufig ein Zeichen für das Vorhandensein innovativer Geschäftsideen mit einem hohen wettbewerblichen Marktpotential, das durch die bisherigen Umsätze nicht zutreffend reflektiert wird, so dass in entsprechenden Konstellationen die Disproportionalität zwischen fehlendem oder geringem Umsatz, der zunächst eine fehlende oder geringe Marktbedeutung vermuten lässt, und dem gleichwohl auffällig hohem Kaufpreis dafür spricht, dass der Zusammenschluss aus Sicht des Erwerbers durchaus eine wirtschaftliche und wettbewerbliche Relevanz besitzt (BT-Drs. 18/10207 S. 71). Die Entwurfsbegründung nimmt weiter an, dass aufgrund von Stichprobenuntersuchungen in Deutschland durchgeführter Transaktionen das Verhältnis zwischen Jahresumsatz und Wert = Kaufpreis eines Unternehmens, der sogenannte Umsatzmultiplikator, um den Wert 1 schwanke (BT-Drs. 18/10207 S. 74). Es kann schon fraglich sein, ob es dann, wenn nach dem Geschäftsmodell des Zielunternehmens – wie hier – ein Fall vorliegt, in dem für die Frage der erheblichen Inlandstätigkeit auf die 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB abzustellen ist, daneben noch auf einen – und welchen bestimmten – Umsatzmultiplikator ankommt. Denn grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Aufgreifschwellen der formellen Fusionskontrolle klar, verständlich und leicht zu handhaben, insbesondere von den Zusammenschlussbeteiligten ohne große Schwierigkeiten zuverlässig ermittelbar sein müssen, um nicht schon vor einer eventuellen materiell-rechtlichen Prüfung Anwendungsprobleme zu schaffen (vgl. BGH, Beschluss vom 25.09.2007 – KVR 19/07, juris Rn. 25 – Sulzer/Kelmix; Meyer-Lindemann in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 4. Auflage 2020, § 35 GWB Rn. 25). Diese Frage bedarf indes vorliegend keiner Entscheidung.
38(b) Denn aus der Höhe des im Streitfall sich ergebenden Umsatzmultiplikators kann nicht abgeleitet werden, dass für die Bewertung der erheblichen Inlandstätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB aF nicht auf die 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB aF abzustellen gewesen wäre, weil die Umsätze von N. Marktposition und wettbewerbliches Potential des Unternehmens nicht zuverlässig reflektiert hätten.
39(aa) Hierfür kommt es zunächst nicht darauf an, ob der Umsatzmultiplikator mit dem Bundeskartellamt aus dem Verhältnis des Kaufpreises von 1,48 Milliarden Euro zu den weltweiten Umsätzen von N. im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss, im Jahr 2017, von 139 Millionen Euro zu bilden ist und daher 10,6 beträgt, oder ob der Auffassung der Beschwerdeführerinnen zu folgen ist und der Umsatzmultiplikator aus dem Verhältnis des Kaufpreises zu den für die nächsten 12 Monate prognostizierten Umsätzen zu bilden ist und daher nur 7,8 beträgt. Denn unabhängig von der Berechnungsweise des Umsatzmultiplikators lässt sich nicht feststellen, dass Marktposition und Potential von N. in den erzielten Umsätzen nicht zutreffend reflektiert waren. Die Beschwerdeführerinnen weisen insoweit zutreffend darauf hin, dass bei der Beurteilung die Besonderheiten der betroffenen Branche und im vorliegenden Fall auch der Umstand berücksichtigt werden muss, dass der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit von N. und damit auch der Schwerpunkt der Transaktion in den USA lag, wo N. über 50% des weltweiten Umsatzes erzielte. Ein solches Verständnis liegt auch der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur 9. GWB-Novelle 2017 zugrunde, in der es auf S. 75 heißt: „Die Bemessung der Aktivität in Deutschland und die dafür maßgeblichen, aussagekräftigen Kriterien und Faktoren variieren zwangsläufig beispielsweise je nach Branche oder Marktreife. Eine gesetzliche Fixierung oder Festsetzung absoluter quantitativer Grenzwerte wäre daher nicht sachgerecht.“
40(bb) Danach ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass nach den unwidersprochenen Angaben der Beschwerdeführerinnen N. bereits im Jahr 2011 von F. für ca. 180 Millionen USD und im Jahr 2015 von Q. für ca. 925 Millionen USD erworben wurde, was damals - bei über das Jahr schwankenden Kurswerten einer Größenordnung von durchschnittlich - ca. 850 Millionen Euro entsprach. Es lag wegen der anzunehmenden Renditeerwartung des Verkäufers auf der Hand, dass der Verkaufspreis für N. im Jahr 2018 angesichts seines seit damals 10 Jahren am Markt erfolgreich etablierten Produkts und des zwischenzeitlichen Branchenwachstums deutlich oberhalb des letzten Einkaufspreises von ca. 850 Millionen Euro liegen würde. Schon deshalb kann aus dem Verkaufspreis von 1,48 Milliarden Euro und dem - sich aus dem Verhältnis zu den weltweiten Umsätzen von 139 Millionen Euro im Jahr 2017 oder zu den prognostizierten Umsätzen für 2018 - ergebenden Umsatzmultiplikator nicht geschlossen werden, dass die Umsätze Marktposition und Potential von N. nicht zutreffend widerspiegelten.
41(cc) Es kommt hinzu, dass nach den unbestrittenen Angaben der Beschwerdeführerinnen für die Kaufpreisbildung neben der Umsatzprognose des Zielunternehmens für die kommenden 12 Monate auch das erwartete Wachstum der Branche eine Rolle spielt, so dass in Wachstumsbranchen in der Regel im Verhältnis höhere Kaufpreise erzielt werden als auf weitgehend gesättigten Märkten ohne bedeutende Wachstumserwartungen. Da aber das erwartete Branchenwachstum, wie bereits erwähnt, als solches kein Indikator dafür ist, dass die bisherigen Umsätze des Zielunternehmens dessen Marktposition und wettbewerbliches Potential nicht zutreffend reflektieren, käme eine solche Feststellung allenfalls in Frage, wenn der Umsatzmultiplikator im Fall von N. deutlich oberhalb der Umsatzmultiplikatoren in der Branche gelegen hätte. Dies ist aber nach dem Vortrag der Beschwerdeführerinnen nicht der Fall, und andere Feststellungen hat das Bundeskartellamt nicht getroffen. Danach lag nach der Berechnungsweise, nach der sich für N. ein Umsatzmultiplikator von 7,8 ergab, der Umsatzmultiplikator von N.1 zwischen 2018 und 2022 im N.2 bei 9,8 und derjenige der Beschwerdeführerin zu 1 im Jahr 2021 bei 19,6. Die Beschwerdeführerinnen haben für weitere Zielunternehmen der Softwarebranche zum Zeitpunkt des Erwerbs von N. im Jahr 2018 Umsatzmultiplikatoren von 11,6 und 15,7 angegeben. In diesem Zusammenhang haben die Beschwerdeführerinnen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 5. Februar 2025 zudem eine Übersicht vorgelegt, aus der sich ergibt, dass bei einer Gesamtbetrachtung der größten 500 amerikanischen Unternehmen aufgrund der in den USA für den Kaufpreis maßgeblichen Gewinnerwartung Umsatzmultiplikatoren von 5 normal seien, während bei einer Betrachtung allein der Technologieunternehmen aufgrund höherer Gewinnerwartung in dieser Branche Umsatzmultiplikatoren von 10 normal seien.
42(dd) Angesichts dessen ist die Annahme, aus der Höhe des Umsatzmultiplikators im Fall von N. ergebe sich, dass die Umsätze des Unternehmens dessen Marktposition und Potential im Zeitpunkt des Zusammenschlusses nicht zutreffend reflektiert hätten, obwohl der Zusammenschluss eine seit vielen Jahren durch entgeltliche Austauschbeziehungen und hohe Umsatzvolumina geprägte Branche betraf, nicht gerechtfertigt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Kaufpreisbildung nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beschwerdeführerinnen ferner durch die vorherrschenden Kapitalmarktbedingungen beeinflusst wird dergestalt, dass im Fall niedriger Zinsen für nicht investiertes Kapital und des Vorhandenseins einer begrenzten Zahl attraktiver Investitionsziele die Preise solcher Zielunternehmen steigen, was im Zeitpunkt der Transaktion und weiter bis 2021 der Fall gewesen sei. Auch aus diesem Grund rechtfertigt der hier gegebene Umsatzmultiplikator nicht die Annahme, Marktposition und Potential von N. seien in den Umsätzen nicht zutreffend zum Ausdruck gekommen.
43(3) Nichts anderes ergibt sich vorliegend aus dem fiktiven Gegenwert, den das Bundeskartellamt errechnet hat, indem es anhand des Verhältnisses der Inlandsumsätze von N. zu den weltweiten Umsätzen den auf die inländischen Umsätze fiktiv entfallenden Kaufpreisanteil bestimmt hat. Im letzten Geschäftsjahr vor der Übernahme, im Jahr 2017, betrugen die Inlandsumsätze von N. 3,49 Millionen Euro, was 2,5% der weltweiten Umsätze von 139 Millionen Euro entspricht. Nach der Berechnung des Amts entfallen dementsprechend fiktiv 2,5% des Kaufpreises von 1,48 Milliarden Euro auf die Inlandsumsätze von N., was einem Betrag von 37 Millionen Euro entspricht. Der Herunterrechnung des Verhältnisses des Gesamtkaufpreises zu den weltweiten Umsätzen, des oben beurteilten Umsatzmultiplikators, auf ein inländisches Kaufpreis-/Umsatzverhältnis lassen sich aber keine weitergehenden Erkenntnisse entnehmen, wenn nicht inländische Besonderheiten festgestellt werden, wie etwa zur Inlandsbezogenheit des Kaufpreises oder zum Transaktionsvolumen für Deutschland, aus denen sich Schlussfolgerungen für die Frage ergeben können, ob die Inlandsumsätze die Marktposition und das Potential von N. zutreffend reflektiert haben. Ob solche Besonderheiten ein geeignetes Kriterium der formellen Fusionskontrolle wären, ist fraglich, denn der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur 9. GWB-Novelle 2017 geht ausweislich der Begründung auf S. 75 davon aus, dass eine Inlandsbezogenheit der Gegenleistung sich schwieriger konkretisieren lasse und auch die Ermittlung und Angabe etwa eines Transaktionsvolumens in Deutschland für die Zusammenschlussbeteiligten mit größerem Aufwand verbunden sein könne (BT-Drs. 18/10207). Jedenfalls hat das Bundeskartellamt solche Feststellungen nicht getroffen. Sie können vorliegend auch nicht getroffen werden, weil die Beschwerdeführerinnen angegeben haben, dass der Kaufpreis pauschaliert in einer Gesamtbetrachtung ermittelt worden sei und dass keine Einzelkaufpreisbildung für einzelne Länder erfolgt sei. Dem ist das Amt nicht entgegengetreten.
44(4) Entgegen der Auffassung des Amts erlaubt auch der Umstand, dass der Inlandsumsatzanteil von N. im Jahr 2017 2,5% seines weltweiten Umsatzes betrug und dass der Anteil der deutschen an der weltweiten Wirtschaftsleistung 3,2% beträgt, keine weiteren Rückschlüsse. Zum einen besteht zwischen beiden Werten eine nicht unerhebliche Diskrepanz von 22%, und zum anderen besagt der deutsche Anteil an der Weltwirtschaftsleistung nichts darüber, ob Unternehmen ihre Umsätze vollständig in Deutschland oder zu welchem Anteil sie diese in Deutschland erzielen und ob dieser Anteil die Voraussetzungen einer erheblichen Inlandstätigkeit erfüllt.
45c) Aber auch dann, wenn anzunehmen wäre, dass Marktposition und wettbewerbliches Potential von N. im Zeitpunkt des Zusammenschlusses in den bisher erzielten Umsätzen nicht hinreichend reflektiert wurden und daher das Vorliegen einer erheblichen Inlandstätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB nicht wegen Unterschreitens der 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB aF ausschied, so kann nicht festgestellt werden, dass die erforderliche erhebliche Inlandstätigkeit gegeben war.
46aa) Für die Ermittlung der Erheblichkeit der Inlandstätigkeit ist allein auf die aktuell im Zeitpunkt des Zusammenschlusses ausgeübte, marktbezogene Tätigkeit des Zielunternehmens abzustellen; zukünftige oder voraussichtliche Tätigkeiten reichen nicht aus (BT-Dr. 18/10207 S. 76; Leitfaden des Bundeskartellamts Rn. 70). Dabei scheiden in der hier unterstellten Konstellation nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur 9. GWB-Novelle 2017 alle objektiven, quantifizierbaren Kriterien zur Bestimmung, ob der „local nexus“ vorliegt, die an Umsätze des Zielunternehmens anknüpfen, aus, und Kriterien wie der Wert des Zielunternehmens sind bereits mittelbar über § 35 Abs. 1a Nr. 1 bis 3 GWB berücksichtigt (BT-Drs. 18/10207, S. 75). Ausweislich der weiteren Entwurfsbegründung soll das zusätzliche Kriterium der Erheblichkeit der Inlandstätigkeit marginale Tätigkeiten ausnehmen, wobei die Bemessung der Aktivität in Deutschland und die dafür maßgeblichen, aussagekräftigen Kriterien und Faktoren zwangsläufig beispielsweise je nach Branche oder Marktreife variieren, so dass eine gesetzliche Fixierung oder Festsetzung absoluter quantitativer Grenzwerte daher nicht sachgerecht wäre; in Betracht kommen bei digitalen Angeboten Nutzerzahlen, wie der „Monthly Active User“ (MAU) oder der „unique visitor“ (BT-Drs. 18/10207 S. 75; vgl. auch Senat, Beschluss vom 23.11.2022 - VI-Kart 11/21 (V), juris Rn. 79). Auch nach dem bereits zitierten Leitfaden des Bundeskartellamts kommen im digitalen Bereich z.B. die Nutzerzahlen („Monthly Active User“) oder die Zugriffshäufigkeit einer Webseite („unique visitor“) als mögliche Indikatoren in Betracht, ebenfalls andere branchenübliche Kennzahlen wie der „Daily Active User“ (Rn. 67). Dabei gilt auch hier, dass die Aufgreifschwellen klar, verständlich und leicht zu handhaben, insbesondere von den Zusammenschlussbeteiligten ohne große Schwierigkeiten zuverlässig ermittelbar sein müssen.
47bb) Eine erhebliche Inlandstätigkeit von N. im Zeitpunkt des Zusammenschlusses kann nach diesen Maßgaben auf der Grundlage der Feststellungen des Bundeskartellamts nicht angenommen werden.
48(1) Allein aus der absoluten Zahl von 135 zahlungspflichtigen Kunden in Deutschland im Jahr 2017, auf die das Amt im angefochtenen Beschluss verweist, kann sich wegen ihrer geringen Größe eine erhebliche Inlandstätigkeit nicht ergeben. Unter Berücksichtigung des Beispiels in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur 9. GWB-Novelle 2017 zu der kostenlosen Smartphone-App, die sich grundsätzlich an alle Verbraucher richtet und von einer Million Nutzern verwendet wird (BT-Drs. 18/10207 S. 75), ist für das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Inlandstätigkeit auch das Verhältnis der Nutzerzahl zur Größe des potentiellen Nutzerkreises von Bedeutung. Auf der Grundlage des entgeltlichen Geschäftsmodells von N., das sich an Betreiber von Online-Shops richtete, kam es dementsprechend auf die Größe des Nachfragerkreises an. Dazu hat das Bundeskartellamt keine Feststellungen getroffen. Nach der Schätzung auf dem Internetportal X.3 gab es im Jahr 2015 rund 550.000 Online-Shops in Deutschland. Würde diese Schätzung zutreffen, würde der Anteil der 135 deutschen Kunden von N. 0,02% betragen. Insoweit würde es sich um eine marginale Tätigkeit handeln, die die Voraussetzungen der erheblichen Inlandstätigkeit nicht erfüllen würde und auch weit hinter dem Prozentsatz der App-Nutzer aus dem oben genannten Beispiel zurückbleibt, der unter Berücksichtigung der gesamten Bevölkerung Deutschlands von rund 83 Millionen im Jahr 2017 bei 1,2% liegen würde. Ob eine zusätzliche Zahl an deutschen Nutzern der kostenlosen Open-Source-Version von N. bei der Bewertung hätte Berücksichtigung finden müssen, kann schon deshalb dahinstehen, weil eine solche nicht ermittelt werden konnte.
49(2) Ob darüber hinaus der umsatzbezogene Marktanteil des Zielunternehmens ein geeigneter Indikator für die Erheblichkeit der Inlandstätigkeit sein kann, hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 23.11.2022 (VI-Kart 11/21 (V), juris Rn. 78) bezweifelt, weil dieser in vielen Fällen nicht ohne große Schwierigkeiten zu ermitteln ist und im Übrigen bei Unternehmen mit innovativen Konzepten zumindest zu Beginn ihrer Tätigkeit nicht unbedingt deren Potential widerspiegelt, weshalb nach der Entwurfsbegründung in der hier unterstellten Konstellation umsatzbezogene Kriterien zur Feststellung der Erheblichkeit der Inlandstätigkeit auch ausscheiden (BT-Drs. 18/10207 S. 75). Der Senat hat die Frage letztlich offen gelassen, weil die im entschiedenen Fall vorgetragenen Marktanteile unerheblich waren. Sie bedarf auch hier keiner Entscheidung, weil ein solcher Marktanteil schon nicht festgestellt ist.
50(3) Dass eine über die Anzahl der Kunden und ggf. die mit ihnen erzielten Umsätze hinausgehende Gewichtung der Kunden, etwa nach deren Größe und Bedeutung auf dem Markt, auf dem das Zielunternehmen tätig ist, oder auf den Märkten, auf denen dessen Kunden tätig sind, schon wegen der damit verbundenen Ermittlungsschwierigkeiten für die Zusammenschlussbeteiligten nicht in Betracht kommt, hat der Senat bereits entschieden (Beschluss vom 23.11.2022 – VI-Kart 11/21 (V), juris Rn. 81). Für eine andere Beurteilung besteht vorliegend schon deshalb kein Anlass, weil das Amt insoweit keinerlei Feststellungen getroffen hat.
51(4) In dem oben zitierten Beschluss vom 23.11.2022 (VI-Kart 11/21 (V), juris Rn. 75) hat der Senat für die Ermittlung der Erheblichkeit der Inlandstätigkeit als erstes auf das - nicht unmittelbar auf den Inlandsmarkt bezogene - Kriterium des Verhältnisses des Umfangs der Inlandstätigkeit zum Umfang der Tätigkeit des Zielunternehmens insgesamt abgestellt, weil sich daran am ehesten ablesen lasse, inwieweit die Inlandstätigkeit von Bedeutung für den hohen Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss sei. Solches scheidet vorliegend schon deshalb aus, weil die Beschwerdeführerinnen unwidersprochen angegeben haben, dass der Kaufpreis pauschaliert in einer Gesamtbetrachtung ermittelt worden sei und dass keine Einzelkaufpreisbildung für einzelne Länder erfolgt sei, so dass auch nicht festgestellt werden kann, welche Bedeutung die Inlandstätigkeit für den Kaufpreis hatte. Selbst wenn dieses Kriterium zu berücksichtigen wäre, so wäre zu konstatieren, dass die Zahl der deutschen Nutzer von 135 im Verhältnis zur Gesamtzahl der Nutzer von 3.579 3,8% betrug und N. mit diesen im Jahr 2017 Umsatzerlöse von 3,49 Millionen Euro und damit nur 2,5% seiner Gesamtumsatzerlöse von 139 Millionen Euro erzielte. Der Umstand, dass N. mit einem absolut gesehen geringen Kundenanteil von 3,8% einen noch um ein Drittel und damit erheblich dahinter zurückbleibenden Umsatzanteil von nur 2,5% erzielte, spricht dagegen, der Inlandstätigkeit eine besondere Bedeutung für die Transaktion und damit eine Erheblichkeit im Sinne des § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB beizumessen.
52(5) Auch die weiteren vom Bundeskartellamt herangezogenen Kriterien konnten eine erhebliche Inlandstätigkeit von N. nicht begründen. Dass N. zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses eine deutsche Tochtergesellschaft hatte, genügte insoweit nicht, weil diese nach den unbestrittenen Angaben der Beschwerdeführerinnen keine Tätigkeit in Deutschland ausübte und keine Mitarbeiter beschäftigte. Ebensowenig reichte es aus, dass N. über eine Personalleasing-Agentur sieben Mitarbeiter beschäftigte, denn diese waren nicht allein für Deutschland, sondern zudem für Österreich und die Schweiz tätig und machten nach dem unstreitigen Vortrag der Beschwerdeführerinnen unter 1% der zum Zeitpunkt des Vollzugs weltweit für N. tätigen Mitarbeiter aus. Auch das Vorhandensein einer deutschen Übersetzung der Webseite von N. und von Teilen der Produkt-Dokumentation der Software rechtfertigte angesichts des im übrigen geringen Tätigkeitsumfangs im Inland nicht die Annahme einer Erheblichkeit der Inlandstätigkeit im Zeitpunkt des Zusammenschlusses.
53IV. Da mithin die Aufgreifschwellen des § 35 GWB schon im Zeitpunkt des Zusammenschlusses nicht erfüllt waren, was sich sowohl aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur 9. GWB-Novelle 2017 als auch aus dem eigenen Leitfaden des Bundeskartellamts ergab, hätte das Amt das Entflechtungsverfahren nicht einleiten, jedenfalls aber nach dessen Einstellung den Beschwerdeführerinnen keine Verfahrensgebühren auferlegen dürfen, weil diese gemäß § 62 Abs. 4 Nr. 2 GWB bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären. Dabei kann offen bleiben, ob eine unrichtige Sachbehandlung nur bei einem offensichtlichen und schwerwiegenden Gesetzesverstoß anzunehmen ist (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 23.11.2022 – VI-Kart 11/21 (V), juris Rn. 87 ff. m.w.N.). Denn ein solcher ist vorliegend zu bejahen, weil das Amt entgegen der Begründung des Gesetzentwurfs und entgegen seinem eigenen Leitfaden angenommen hat, dass die 2. Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB unbeachtlich wäre, obwohl nach dem Geschäftsmodell von N. davon auszugehen war, dass im Zeitpunkt des Zusammenschlusses seine Umsätze seine Marktposition und sein wettbewerbliches Potential zutreffend reflektierten, und auch unabhängig davon eine erhebliche Inlandstätigkeit bejaht hat, obwohl eine solche unter Berücksichtigung der Begründung des Gesetzentwurfs und des Leitfadens gerade nicht angenommen werden konnte.
54III.
55A. Die Kostenentscheidung beruht auf § 71 S. 1 GWB.
56B. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 77 Abs. 2 GWB liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht. Soweit der Senat im Beschluss vom 23.11.2022 (VI-Kart 11/21 (V), juris Rn. 101) die Rechtsbeschwerde mit Blick auf die Frage zugelassen hat, ob bei dem Tatbestandsmerkmal der erheblichen Inlandstätigkeit gemäß § 35 Abs. 1a Nr. 4 GWB auch Kriterien herangezogen werden können, die zwar nicht nach dem aktuellen Geschäftskonzept des zu erwerbenden Unternehmens, aber nach den Plänen der Erwerberin für das Erzielen von Umsätzen im Inland von Bedeutung sind, rechtfertigt dies im vorliegenden Fall schon deshalb keine Zulassung der Rechtsbeschwerde, weil vom aktuellen Geschäftskonzept des Zielunternehmens abweichende Pläne der Beschwerdeführerin zu 1 nicht Gegenstand des Verfahrens sind.
57C. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO.
58Poling-Fleuß Dr. Wesselburg Prof. Dr. Niehaus
59Rechtsmittelbelehrung
60Die Entscheidung kann nur aus den in § 77 Abs. 4 GWB genannten absoluten Rechtsbeschwerdegründen mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Rechtsbeschwerde ist durch einen beim Beschwerdegericht oder Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz binnen zwei Monaten zu begründen. Diese Frist beginnt mit der Zustellung dieses Beschlusses und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Beschwerdeentscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Die Rechtsbeschwerdeschrift und die Rechtsbeschwerdebegründung müssen durch einen zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein; dies gilt nicht für Rechtsbeschwerden der Kartellbehörden. Es gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über den elektronischen Rechtsverkehr.
61Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist die Nichtzulassungsbeschwerde gegeben. Diese ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf einzulegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist durch einen beim Oberlandesgericht Düsseldorf oder beim Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz binnen zwei Monaten zu begründen. Diese Frist beginnt mit der Zustellung dieses Beschlusses und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Beschwerdeentscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Die Nichtzulassungsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Beschwerdeentscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruht. Die Nichtzulassungsbeschwerdeschrift und –begründung müssen durch einen zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein; dies gilt nicht für Nichtzulassungsbeschwerden der Kartellbehörden. Es gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über den elektronischen Rechtsverkehr.