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1.Ein eingeschränkter Rechtsmittelantrag ist für die Bemessung des Streitwerts ohne Bedeutung, wenn er offensichtlich nicht auf die Durchführung des Rechtsmittels gerichtet ist, sondern der Verringerung der Kostenlast dient. § 47 GKG hat nicht den Zweck, einem Rechtsmittelkläger, der sein Rechtsmittel überhaupt nicht durchführen will, zu einer Verringerung der Kostenlast zu verhelfen (Anschluss an BGH, Beschl. v. 14.02.1978 – GSZ 1/77, NJW 1978, 1263).
2.Ob ein Rechtsmittel „offensichtlich“ nicht durchgeführt werden soll, kann zwar in der Regel nur aufgrund eindeutiger objektiver Umstände angenommen werden. Für diese Annahme kann aber schon ein krasses Missverhältnis zwischen der Beschwer des Rechtsmittelführers und der mit dem Rechtsmittelantrag nur noch verfolgten Urteilsabänderung reichen. Eine dementsprechende Bewertung kann ferner auch in anderen Fällen jedenfalls zusammen mit der späteren Rücknahme des krass eingeschränkten Rechtsmittelantrages veranlasst sein.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 500.000,00 EUR festgesetzt.
I.
2Die Klägerin hat die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Patents DE 10 2007 024 XXX (Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung für die Zeit ab dem 02.01.2009, Rückruf, Entfernung aus den Vertriebswegen, Vernichtung sowie Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen.
3Durch Urteil vom 30.10.2024 hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
4Den Streitwert hat das Landgericht in seinem Urteil auf 1.000.000,00 EUR festgesetzt. Auf eine Streitwertbeschwerde der Klägerin vom 19.12.2024 hat es den Streitwert durch Beschluss vom 24.01.2025 abändernd auf 500.000,00 EUR festgesetzt. Diesen Wert hatte die Klägerin in ihrer Klageschrift als Streitwert angegeben.
5Gegen das Urteil des Landgerichts, das ihr am 30.10.2024 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 02.12.2024 form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
6Am 13.12.2024, einem Freitag, hat die Beklagte um 18:03 Uhr einen dreiseitigen Berufungsbegründungsschriftsatz eingereicht. In diesem hat sie angekündigt, den Antrag zu stellen, das Urteil des Landgerichts teilweise abzuändern und die Beklagte hinsichtlich des Zeitraums vom 01.01.2019 bis zum 31.12.2020 zur Auskunft zu verurteilen. Wegen des genauen Wortlauts des Berufungsantrags wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 13.12.2024 verwiesen. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, das Urteil des Landgerichts sei rechtsfehlerhaft, als es ihren Anspruch auf Auskunftserteilung für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 31.12.2020 verkenne. Die Beklagte habe gemäß § 140b PatG über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform Auskunft zu erteilen. Die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatents Gebrauch. Insbesondere verwirkliche sie Merkmal 1 des Patentanspruchs 1. Den „Wert des Beschwerdegegenstands“ hat die Klägerin in der Berufungsbegründung mit 700,00 EUR beziffert.
7Mit am folgenden Montag, den 16.12.2024, um 09:47 eingereichtem Schriftsatz hat die Klägerin ihre Berufung zurückgenommen und darum gebeten, den Streitwert der Berufung auf 700,00 Euro festzusetzen.
8Durch Beschluss vom 16.12.2024 hat der Senat die Klägerin des eingelegten Rechtsmittels der Berufung für verlustig erklärt und ihr die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten auferlegt.
9II.
10Der Streitwert für das Berufungsverfahren war – entsprechend der (geänderten) Streitwertfestsetzung des Landgerichts für die erste Instanz – auf 500.000,00 EUR festzusetzen.
11Der nach Beendigung des Berufungsverfahrens festzusetzende Streitwert richtet sich hier trotz des eingeschränkten Berufungsantrags nach der durch das angefochtene Urteil begründeten Beschwer der Klägerin. Die Vorschrift des § 47 Abs. 1 S. 1 GKG, wonach sich der Streitwert im Rechtsmittelverfahren nach den Anträgen des Rechtsmittelführers bestimmt, und auf die die Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 15.01.2025 in erster Linie hinweist, kommt vorliegend nicht zur Anwendung. Die Beschränkung des Berufungsantrags bleibt bei der Streitwertberechnung außer Betracht, da hier offensichtlich ist, dass der Antrag der Berufungsklägerin nicht auf die Durchführung des Rechtsmittels gerichtet, sondern allein eine Kostenminimierung bezweckt gewesen ist.
121.Nach zutreffender, vom erkennenden Senat geteilter Auffassung ist ein eingeschränkter Rechtsmittelantrag für die Bemessung des Streitwerts ohne Bedeutung, wenn er offensichtlich nicht auf die Durchführung des Rechtsmittels gerichtet ist (vgl. BGH, Beschl. v. 14.02.1978 – GSZ 1/77, NJW 1978, 1263; Beschl. v. 30.09.1997 – VI ZB 29/97, NJW-RR 1998, 355; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.11.2000 – 20 U 14/00, BeckRS 2000, 30142879; Beschl. v. 25.11.2003 – 4 U 72/03, BeckRS 2004, 689 Rn. 4; OLG Koblenz, Beschl. v. 22.12.2004 – 5 U 1332/04, BeckRS 2005, 1369 Rn. 3; OLG Köln, Beschl. v. 16.04.2012 – 16 W 28/11, BeckRS 2013, 750; Beschl. v. 07.01.2011 – 19 U 186/10, BeckRS 2011, 4153; Beschl. v. 16.11.2017 – 4 U 44/17, BeckRS 2017, 135608 Rn. 11; OLG Schleswig, Beschl. v. 25.11.2003 – 4 U 72/03, BeckRS 2004, 689 Rn. 4; OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.07.2022 – 6 U 436/21, BeckRS 2022, 18794 Rn. 3; Zöller/Herget, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 3 Rn. 16.39; Cepl/Voß/Cassardt, 3. Aufl. 2022, ZPO § 516 Rn. 12a; Toussaint/Elzer, 54. Aufl. 2024, GKG § 47 Rn. 9; NK-GK/Peter Fölsch Teil 1: Gerichtskostengesetz (GKG) Anlage 1 (zu § 3 Abs. 2) Kostenverzeichnis Teil 1 Hauptabschnitt 2 Abschnitt 2 KV GKG Nr.1220 Rn. 44; Binz/Dörndorfer/Zimmermann/Dörndorfer, 5. Aufl. 2021, GKG § 47 Rn. 2; BeckOK KostR/Schindler, 47. Ed. 1.10.2024, GKG § 47 Rn. 15). Zwar bestimmt sich der Streitwert gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 GKG in erster Linie nach den Anträgen des Rechtsmittelführers und nach dessen Beschwer gemäß § 47 Abs. 1 S. 2 GKG lediglich dann, wenn das Verfahren endet, ohne dass solche Anträge innerhalb der Frist für die Rechtsmittelbegründung eingereicht werden. Indessen findet die Vorschrift des § 47 Abs. 1 S. 1 GKG nach ihrem Sinn und Zweck keine Anwendung, wenn die Beschränkung des Rechtsmittelantrags offensichtlich nicht auf die Durchführung des Rechtsmittels gerichtet ist, sondern der Verringerung der Kostenlast dient. § 47 GKG hat nicht den Zweck, einem Rechtsmittelkläger, der sein Rechtsmittel überhaupt nicht durchführen will, zu einer Verringerung der Kostenlast zu verhelfen. Deshalb bleibt die Beschränkung der Berufungsanträge bei der Streitwertbestimmung außer Betracht, wenn der Antrag des Berufungsklägers offensichtlich nicht auf die Durchführung des Rechtsmittels gerichtet ist.
13Dies entspricht nicht nur der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sondern – soweit ersichtlich – auch gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung und der herrschenden Meinung im Schrifttum. Die hier vertretene Rechtsansicht fußt auf einer an Sinn und Zweck orientierten Auslegung des § 47 Abs. 1 GKG und beruht auf dem Gedanken des Rechtsmissbrauchs (BGH, NJW-RR 1998, 355, 356). Die Festsetzung des Streitwerts für die gerichtlichen Gebühren nach den Rechtsmittelanträgen gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 GKG findet in Fällen nachträglicher Beschränkung eines Rechtsmittels – wie die Klägerin im Ansatz zutreffend ausführt – ihre sachliche Rechtfertigung darin, dass der Rechtsmittelführer keine Gebührennachteile dadurch erleiden soll, dass er die ihm durch die Begründungsfristen eingeräumte Überlegungsfrist ausnutzt (BT-Drs. 2/2545, 157 zu Nr. 11; BGH, NJW 1978, 1263, NJW-RR 2018, 700 Rn. 23). Die betreffenden Vorschriften (hier: § 520 ZPO) gewähren Überlegungsfristen jedoch nur für die Erklärung, „inwieweit” das Urteil angefochten wird; dagegen betreffen sie nicht die – durch Einlegung des Rechtsmittels bereits vorab entschiedene – Frage, ob das Urteil angefochten werden soll. Der Senat folgt daher der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der gegenteiligen Auffassung der Klägerin vermag er nicht beizutreten.
14Soweit die Klägerin ausführt, der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf habe im Falle einer erheblichen Beschränkung der Berufung und einer sich unmittelbar anschließenden Rücknahme des Rechtsmittels den Streitwert ausschließlich auf Grundlage der Anträge bemessen, hat sie den von ihr angeführten Beschluss (v. 14.03.2016 – I-20 U 14/16), der dem Senat nicht bekannt ist, nicht vorgelegt. Die Klägerin führt auch nicht aus, dass der 20. Zivilsenat in dieser Entscheidung der hier vertretenen Rechtsansicht entgegengetreten sei. In einer veröffentlichten älteren Entscheidungen (Beschl. v. 14.11.2000 – 20 U 14/00, BeckRS 2000, 30142879) hat auch der 20. Zivilsenat angenommen, dass die Beschränkung der Berufungsanträge bei der Streitwertberechnung außer Betracht bleibt, wenn der Antrag des Berufungsklägers offensichtlich nicht auf die Durchführung des Rechtsmittels gerichtet ist.
15Ob ein Rechtsmittel „offensichtlich“ nicht durchgeführt werden soll, kann zwar in der Regel nur aufgrund eindeutiger objektiver Umstände angenommen werden (BGH, Beschl. v. 14.02.1978 – GSZ 1/77, NJW 1978, 1263, 1264). Für diese Annahme kann aber schon ein krasses Missverhältnis zwischen der Beschwer des Rechtsmittelführers und der mit dem Rechtsmittelantrag nur noch verfolgten Urteilsabänderung reichen. Eine dementsprechende Bewertung kann ferner auch in anderen Fällen jedenfalls zusammen mit der späteren Rücknahme des krass eingeschränkten Rechtsmittelantrages veranlasst sein (vgl. BGH, Beschl. v. 14.02.1978 – GSZ 1/77, NJW 1978, 1263, 1264; OLG Köln Beschl. v. 16.11.2017 – 4 U 44/17, BeckRS 2017, 135608 Rn. 11).
162.Hiervon ausgehend ist im Entscheidungsfall offensichtlich, dass der von der Klägerin in ihrem Berufungsbegründungsschriftsatz vom 13.12.2024 formulierte Berufungsantrag nicht auf die Durchführung des Rechtsmittels und eine Sachentscheidung gerichtet gewesen ist. Aufgrund eindeutiger objektiver Umstände steht insoweit zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin ihr Rechtsmittel mit dem in der Berufungsbegründung formulierten eingeschränkten Antrag von vornherein nicht durchführen wollte.
17Die Klägerin hat ihre Berufungsbegründung freitags abends eingereicht und bereits am folgenden Montag morgens wieder zurückgenommen. Es liegt ferner ein krasses Missverhältnis zwischen der Beschwer der Klägerin durch das erstinstanzliche Urteil (500.000,00 EUR) und dem von der Klägerin in der Berufungsbegründung angegebenen Wert für das mit dem Berufungsantrag nur noch verfolgte Auskunftsbegehren (700,00 EUR) vor. Der von der Klägerin in der Berufungsbegründung angegebene Wert des mit dem Berufungsantrag noch verfolgten (Auskunfts-)Begehrens entspricht gerade einmal 0,14 % der Beschwer der Klägerin durch das angefochtene Urteil. Ein krasses Missverhältnis liegt insoweit selbst dann vor, wenn der Wert des von der Klägerin noch weiterverfolgten eingeschränkten Auskunftsanspruchs nach § 140b PartG tatsächlich höher zu bewerten sein sollte. Ein sachlicher Grund dafür, dass mit der Berufungsbegründung allein noch ein Anspruch auf Auskunftserteilung nach § 140b PatG, und zwar auch nur für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 31.12.2020, weiterverfolgt worden ist, obgleich mit der Berufungsbegründung die Auslegung des Klagepatents durch das Landgericht beanstandet und eine Verletzung des Klagepatents geltend gemacht worden ist, ist weder dargetan noch ersichtlich. Einen sachlichen Grund – außer der Absicht, Kosten zu sparen – hierfür hat die Klägerin auch auf den entsprechenden Hinweis des Senats vom 16.12.2024 (Bl. 269 eA OLG) nicht liefern können. Es liegt vielmehr eine krasse, willkürlich anmutende Einschränkung der in erster Instanz ohne Erfolg gebliebenen Anträge vor. Schließlich ist die Berufungsbegründung von gerade einmal gut einer Seite in der Sache für eine Berufungsbegründung in einer Patentverletzungsstreitsache, die sich gegen die Auslegung des Klagepatents durch das Landgericht richtet und mit der eine Patentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform geltend gemacht wird, auch vollkommen ungewöhnlich. Keine vernünftige Partei, der es ernsthaft um eine teilweise Abänderung des mit der Berufung angefochtenen Urteils zu ihren Gunsten geht, würde sich mit einer solch knappen und pauschalen Berufungsbegründung in einem Patentverletzungsrechtsstreit begnügen. Darauf, ob die Berufung auf Grundlage dieser Berufungsbegründung hätte durchgeführt werden können bzw. die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO entsprochen hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Entscheidend ist, dass die eingereichte Berufungsbegründung dermaßen knapp gehalten ist, dass sie zusammen mit den vorstehenden angeführten weiteren objektiven Umständen nur den sicheren Schluss zulässt, dass die Klägerin kein vernünftiges sachliches Interesse hatte, die Berufung wenigstens in dem beschränkten Umfang durchzuführen. Es ist vorliegend mit Händen zu greifen, dass die Beschränkung der Anfechtung des landgerichtlichen Urteils ausschließlich auf kostenrechtlichen Erwägungen beruhte und in Wahrheit der Umgehung der Streitwertregelung des § 47 Abs. 1 S. 2 GKG diente.
18F. Dr. F. Dr. M.