Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes – VK 2-94/23 – BKartA – vom 14.12.2023 aufgehoben.
Der Antragsgegnerin wird untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen und aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das streitgegenständliche Vergabeverfahren in den Stand vor Entscheidung über den Zuschlag zurückzuversetzen.
Von den Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin haben die Antragsgegnerin und die Beigeladene 50% als Gesamtschuldner zu tragen. Die Antragstellerin hat ebenfalls 50% der Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich 50% der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin zu tragen.
Die Antragsgegnerin und die Antragstellerin haben jeweils 50% der Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen einschließlich 50% der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der jeweils anderen Partei.
Gründe:
2I.
3Die Antragstellerin wendet sich gegen die beabsichtigte Zuschlagserteilung auf das Angebot der Beigeladenen.
4Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 12.05.2023 im Verhandlungsverfahren die Vergabe eines Rahmenvertrags über die „…Bewachung …“ europaweit aus (Supplement zum Amtsblatt der europäischen Union …). Die Laufzeit des Vertrags beträgt vier Jahre, beginnend am 31.08.2024, mit der Option einer einmaligen Verlängerung um bis zu drei Jahre (Ziff. II.1.4, Ziff. II.1.5 und Ziff. II.2.1 der Bekanntmachung). Zuschlagskriterien sind neben dem Preis (30%) die Qualität (70%).
5In Ziff. II.2.1 der Bekanntmachung heißt es unter dem Punkt Gesamtmenge bzw. Umfang:
6„ …
7Anforderungen … – personelle Wachleistung, Sicherheitsüberprüfung SÜ2 Sabotageschutz sind erforderlich.
8….“
9Unter Ziff. III.1.5 Angaben zur Sicherheitsüberprüfung wird ausgeführt:
10„Bewerber, die noch keine Sicherheitsüberprüfung absolviert haben, können die Sicherheitsbescheinigung erlangen bis: 31.08.2024.“
11Unter Ziff. III.2.2. Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit von Unterauftragnehmern (die zu deren Ablehnung führen können) heißt es:
12„Auflistung und kurze Beschreibung der Bedingungen:
13- …
14- Eigenverpflichtungserklärung über die Behandlung von Verschlusssachen (VS) des Geheimhaltungsgrades VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (VS-NfD) und Merkblatt BAAINBw-B 096a/04.2015, letzte Seite ausfüllen.
15- Eigenerklärung, dass die Anforderungen gem. Ziff. 2.2 des Geheimschutzhandbuches des BMWI akzeptiert und eingehalten werden
16- …“
17Das Merkblatt (VS) des Geheimhaltungsgrads VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (VS-NfD) war den Vergabeunterlagen beigefügt.
18§ 4 Abs. 2 des den Vergabeunterlagen beigefügten Vertragsentwurfs enthält schließlich folgende Regelung:
19„(2) Jede für den Wacheinsatz vorgesehene Person (einschließlich Kontroll- und Aufsichtspersonal), die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit gem. ZDv A-1130/3 – Militärische Sicherheit/Personeller Geheim- und Sabotageschutz – ausüben soll, ist vorher einer Sicherheitsüberprüfung gemäß Anlage 12 zu unterziehen.
20Die Sicherheitsprüfung muss grundsätzlich vor Aufnahme der Tätigkeit abgeschlossen sein. Der Einsatz ist bereits nach Vorliegen eines vorläufigen Sicherheitsüberprüfungsergebnisses möglich. … .“
21Unter Punkt 2.2 der Anlage 12 war unter den Mindestqualifikationen, die die Wachpersonen erfüllen müssen, angekreuzt, dass eine Sicherheitsüberprüfung SÜ2 VS und eine Sicherheitsüberprüfung Sabotageschutz vorzuliegen haben.
22Anlage 17 zum Vertragsentwurf enthält eine Wertungsmatrix mit 11 Qualitätskriterien, wobei sich in den Wertungskriterien 1.1 und 1.2 (Auftragsspezifische Erfahrung) eine drei- bzw. fünfjährige Berufserfahrung auf die zu erlangenden Wertungspunkte positiv auswirkt.
23Die Beigeladene und die Antragstellerin als aktuelle Bestandsbieterin reichten beide fristgerecht ein Angebot ein.
24Die Beigeladene gab die Eigenverpflichtungserklärung über die Behandlung von Verschlusssachen (VS) des Geheimhaltungsgrads VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (VS-NfD) ab und füllte die letzte Seite des Merkblatts BAAINBw-B 096a/04.2015 aus. Sie gab zudem die Eigenerklärung, dass die Anforderungen gem. Ziff. 2.2 des Geheimschutzhandbuches des BMWI akzeptiert und eingehalten werden, ab und unterzeichnete auch die ebenfalls abzugebende „Erklärung zum Schutz von Verschlusssachen durch Bewerber/Bieter bei Aufträgen nach § 104 Abs. 3 GWB“, die sie wie folgt zum Punkt „II. Bei Verschlusssachen ab VS-Vertraulich zusätzlich:“ ausfüllte:
25„I. Bei Verschlusssachen VS-NfD
26Ich verpflichte mich/Wir verpflichten uns, die Bestimmungen des Merkblatts für die Behandlung von Verschlusssachen (VS) des Geheimhaltungsgrades VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (VS-NfD) – BAAINBw-B 096a einzuhalten.
27…
28II. Bei Verschlusssachen ab VS-Vertraulich zusätzlich:
29Es besteht ein Sicherheitsbescheid des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie oder entsprechender Landesbehörden oder einer nationalen Sicherheitsbehörde des Landes, in dem sich der Sitz meines/unseres Unternehmens befindet.
30 JA Umfang:
31 Nein (Nur weiter auszufüllen in den Fällen des § 7 Abs. 6 VSVgV):
32Es besteht die Bereitschaft, alle notwendigen Maßnahmen und Anforderungen zu erfüllen, die zum Erhalt eines Sicherheitsbescheids zum Zeitpunkt der Auftragsausführung vorausgesetzt werden.
33 Ja Nein
34…“
35Mit Schreiben vom 17.10.2023 (Anlage BG 4) forderte die Antragsgegnerin die Beigeladene auf zu bestätigen, dass das zur Bewachung der E. eingesetzte Personal die erweiterte Sicherheitsüberprüfung Ü2 gemäß § 4 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 12 des Mustervertrags besitze.
36Dies bestätigte die Beigeladene mit Schreiben vom 06.11.2023 (Anlage BG 5) wie folgt:
37„hiermit bestätigen wir Ihnen, dass das zur Bewachung der E. eingesetzte Personal gem. § 4 Abs. 2 i. V. m. Anlage 12 des Mustervertrages die erweiterte Sicherheitsüberprüfung Ü2 besitzt.
38Wir wissen um die besonderen Umstände und die Langwierigkeit einer solchen Überprüfung entsprechend der Ü2. Wir wissen, dass wir bereits vor Vertragsbeginn und auch vor möglichem Zuschlag aufgrund der unberechenbaren Zeitdauer dieser Überprüfung damit beginnen müssen / geeignetes Personal dafür vorhalten müssen.“
39Daraufhin wertete die Antragsgegnerin die Angebote mit dem Ergebnis, dass das Angebot der Antragstellerin auf dem zweiten Platz hinter dem Angebot der Beigeladenen lag, und informierte mit Vorabinformationsschreiben vom 09.11.2023 (Anlage BF 3) die Antragstellerin nach § 134 GWB, dass ihr Angebot nicht das wirtschaftlichste sei und beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.
40Mit Schreiben vom 16.11.2023 (Anlage BF 4) rügte die Antragstellerin die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene. Zur Begründung führte sie aus, die Beigeladene erfülle die Voraussetzungen der Ausschreibung nicht, da sie sich nicht in der Geheimschutzbetreuung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (im Folgenden BMWK) befinde. Selbst wenn eine Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung des Bundes bis zum Auftragsstart noch erreicht werden könnte, könne die Beigeladene überprüftes Bewachungspersonal, insbesondere solches, welches gemäß Anlage 17 Ziff. 1.1, 1.2 und 2.2 seit fünf Jahren in der militärischen Bewachung tätig sei, nicht mehr rechtzeitig generieren. Die Beigeladene sei weder im Zeitpunkt der Ausschreibung noch zum Auftragsstart in der Lage, die Vorgaben der Ausschreibung zu erfüllen.
41Mit Schreiben vom 17.11.2023 hat die Antragstellerin darauf die Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens beantragt, zu dessen Begründung hat sie ihre bereits mit Rügeschreiben vom 16.11.2023 vorgebrachten Rügen wiederholt und vertieft sowie mit Schreiben vom 30.11. und 11.12.2023 weiter ausgeführt, dass eine vollständige Überprüfung allen eingesetzten Personals der Beigeladenen bis zum Vertragsbeginn aufgrund der langen Überprüfungszeiten in keinem Fall zu erreichen sei. Die Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung beim BMWK dauere aktuell 9 Monate und erst danach könne die entsprechend Ü2 VS-Schutz Überprüfung, die ebenfalls wiederum zwischen fünf und neun Monate in Anspruch nehme, durch das BMWK beginnen. Sollte eine Ü2-VS Sicherheitsüberprüfung und eine damit verbundene notwendige Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung entgegen den ausdrücklichen Vorgaben der Vergabeunterlagen nicht gefordert worden sein, hätte im Rahmen der Ausschreibung darauf hingewiesen werden müssen, da dies eine kosten- und zeitintensive Überprüfung erspart hätte.
42Die Antragstellerin hat beantragt,
431. ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten;
442. die Antragsgegnerin anzuweisen, die Rechtmäßigkeit des Verfahrens wiederherzustellen und den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen.
45Die Antragsgegnerin hat beantragt,
461. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen und
472. die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.
48Die Antragsgegnerin hat die Ansicht vertreten, die Beigeladene, die die Eigenerklärung über die Einhaltung der Ziff. 2.2 des Geheimschutzhandbuchs unterzeichnet habe, erfülle alle formalen Anforderungen der Ausschreibung. Eine Listung der Bieter beim BMWK sei nicht gefordert worden. Sie, die Antragsgegnerin, habe zudem keine Zweifel, dass die Beigeladene den Vertrag ab Vertragsbeginn am 31.08.2024 ordnungs- und vertragsgemäß erfüllen werde, nachdem die Beigeladene ihr nochmals mit Schreiben vom 06.11.2023 versichert habe, nur Personal einzusetzen, das Ü2-sicherheitsüberprüft sei.
49Die mit Beschluss vom 21.11.2023 zum Verfahren hinzugezogene Beigeladene hat – ohne einen eigenen Antrag zu stellen – zum Nachprüfungsantrag Stellung genommen und ausgeführt, eine Listung in der Geheimschutzbetreuung des BMWK sei nicht erforderlich, um die Anforderungen der Ausschreibung zu erfüllen. Zudem werde sie zum Vertragsbeginn über ausreichend sicherheitsüberprüftes Personal verfügen. …. Selbst wenn man eine Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung des Bundes für notwendig halten würde, könne dies für die Beigeladene innerhalb weniger Wochen erfolgen. Sie, die Beigeladene, sei selbst einige Jahre geheimschutzbetreutes Unternehmen gewesen und habe die Aufnahme und Überprüfung der Geheimschutzbetreuung vollumfänglich durchlaufen und sei gelistet gewesen. Die formalen und infrastrukturellen Voraussetzungen seien bei ihr nach wie vor gegeben, so dass es sich bei der Wiederaufnahme lediglich um einen formalen Akt handeln würde.
50Mit dem angefochtenen Beschluss vom 14.12.2023 – der Beschwerdeführerin am selben Tag zugestellt – hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beigeladene habe sich nicht bereits im Zeitpunkt der Angebotsabgabe in der Geheimschutzbetreuung befinden müssen. Vielmehr ergebe sich aus der Bekanntmachung, dass die Sicherheitsüberprüfung erst vor Aufnahme der Tätigkeit abgeschlossen sein müsse. Es handle sich bei den vorliegend ausgeschriebenen Bewachungsdienstleistungen um solche des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes nach § 1 Abs. 4 SÜG, für die eine entsprechende Sicherheitsüberprüfung nach Ziff. 2.1 des von der Antragsgegnerin vorgelegten Erlasses des BMVg vom 30.10.2023 durch den Geschäftsbereich des BMVg durchzuführen sei. Vergaberechtsfehlerfrei sei die Antragsgegnerin als öffentlicher Auftraggeber zu der Einschätzung gelangt, dass die Beigeladene in der Lage sein werde Ü2-sabotageschutzgeprüftes Personal bis zum Vertragsbeginn zu stellen. Es erscheine nicht als ausgeschlossen, dass eine Personalakquise sicherheitsüberprüften Personals durch die Beigeladene bis zum Vertragsbeginn Ende August 2024 möglich sein werde. Schließlich führe der Umstand, dass die erfolgreich durchgeführte Sicherheitsüberprüfung erst zum Vertragsbeginn vorliegen müsse, auch nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung. Dies fördere vielmehr den Wettbewerb, da auch Unternehmen, die bei Angebotsabgabe noch nicht über sicherheitsüberprüftes Personal verfügten, sich an dem Wettbewerb beteiligen könnten.
51Hiergegen hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22.12.2023 – eingegangen am selben Tag – sofortige Beschwerde eingelegt. Zu ihrer Begründung führt sie aus, die Beigeladene sei bereits deshalb von dem Vergabeverfahren auszuschließen, weil sie eine falsche Eigenerklärung über die Einhaltung der Ziff. 2.2 des Geheimschutzhandbuchs des BMWK abgegeben habe, denn die Beigeladene wusste, dass sie sich nicht in der Geheimschutzbetreuung des BMWK befinde und eine solche auch nicht bis zum Auftragsbeginn einschließlich einer Sicherheitsüberprüfung ihres Personals würde erlangen können. Zudem sei die Beigeladene auch nicht in der Lage ausreichend Personal zum Auftragsbeginn zu stellen, welches Ü2 VS sicherheitsüberprüft sei. Die Vergabekammer habe vergaberechtswidrig nur darauf abgestellt, ob Ü2 sabotageschutzsicherheitsüberprüftes Personal gestellt werden könne. Hierdurch komme es zu einer Wettbewerbsverzerrung, denn hätte die Antragstellerin ebenfalls davon ausgehen können, bei Zuschlagserteilung ausschließlich die Ü2 Sabotageschutzsicherheitsprüfung einleiten zu müssen, und dass dies durch die Dienststellen der Bundeswehr erfolge, hätte sie einen deutlich geringeren Personalbestand vorhalten müssen, was zu einem niedrigeren Angebotspreis geführt hätte.
52Die Antragstellerin beantragt,
531. den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 14.12.2023 (VK-2- 94/23) aufzuheben;
542. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist;
553. der Antragsgegnerin aufzugeben, den Zuschlag nicht an die Beigeladene zu erteilen;
564. der Antragsgegnerin aufzugeben, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen,
57hilfsweise, die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des angerufenen Gerichts über die Sache erneut zu entscheiden;
585. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen aufzuerlegen.
59Die Antragsgegnerin beantragt,
60die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
61Die Antragsgegnerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer.
62II.
63Die nach §§ 171, 172 GWB zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache teilweise Erfolg.
64a. Der Nachprüfungsantrag ist insgesamt zulässig.
65aa. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 160 Abs. 2 GWB). Sie hat durch die Abgabe ihres Angebots ihr Interesse an dem Auftrag dokumentiert. Sie macht zum einen einen vergaberechtswidrig unterlassenen Ausschluss der Beigeladenen (unter Verstoß gegen § 122 GWB i. V. m § 57 Abs. 1 Alt. 1 VgV) mit der Begründung geltend, die Beigeladene erfülle die Ausschreibungsbedingungen nicht, da sie sich nicht in der Geheimschutzbetreuung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz befinde und somit eine falsche Eigenerklärung abgegeben habe. Zum anderen macht sie geltend, die Beigeladene könne ausreichend geprüftes Bewachungspersonal nicht bis zum Auftragsstart generieren. Hierdurch sei sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt worden, wodurch ihr als zweitplatzierter Bieterin ein Schaden aufgrund der nicht bestehenden Zuschlagschance entstanden sei.
66bb. Die Antragstellerin ist mit ihren Rügen nicht nach § 160 Abs. 3 GWB präkludiert. Sie hat den geltend gemachten Vergaberechtsverstoß gegenüber der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 16.11.2023 rechtzeitig im Sinne des § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB gerügt, nachdem sie durch das Vorabinformationsschreiben vom 09.11.2023 von der beabsichtigten Zuschlagserteilung an die Beigeladene Kenntnis erlangt hatte. Die Rügen waren hinreichend substantiiert.
67An die Geltendmachung einer Rüge sind in der Regel keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Dennoch muss eine Rüge ein Mindestmaß an Substantiierung aufweisen. Zwar ist an Rügen ein großzügiger Maßstab anzulegen (Senat, Beschl. v. 15.01.2020, VII Verg 20/19 Rn 29, BeckRS 2020, 1327; OLG Dresden, Beschl. v.06.06.2002, WVerg 4/02 - juris, Rn. 19; OLG München, Beschl. v. 07.08.2007, Verg 8/07 - juris, Rn. 11 f.; Senat, Beschl. v. 13.04.2011, VII-Verg 58/10 - juris, Rn. 53). Da ein Bieter naturgemäß nur begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens hat, darf er behaupten, was er auf der Grundlage seines - oft nur beschränkten - Informationsstands redlicher Weise für wahrscheinlich oder möglich halten darf, etwa wenn es um Vergabeverstöße geht, die sich ausschließlich in der Sphäre der Vergabestelle abspielen oder das Angebot eines Mitbewerbers betreffen (Senat, Beschl. v. 13.04.2011, VII-Verg 58/10 - juris, Rn. 53; OLG Frankfurt, Beschl. v. 09.07. 2010, 11 Verg 5/10 - juris Rn. 51; OLG Dresden, Beschl. v. 06.06.2002, W-Verg 4/02 - juris Rn. 18 f.).
68Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs genügt das Rügeschreiben inhaltlich den Anforderungen. Die Antragstellerin macht geltend, das Angebot der Beigeladenen sei nicht zuschlagsfähig. Die Beigeladene erfülle die Vorgaben der Ausschreibung nicht und könne dies bis zum Auftragsstart auch nicht erreichen. Sie befinde sich derzeit nicht in der Geheimschutzbetreuung des BMWK und selbst wenn eine solche Aufnahme bis zum Auftragsstart angestrebt werde, könne sie überprüftes Bewachungspersonal wie es nach den Vergabeunterlagen gefordert werde nicht rechtzeitig generieren. Mit diesem Vorbringen beanstandet die Antragstellerin die zu Gunsten der Beigeladenen getroffene Zuschlagsentscheidung, da das Angebot ihrer Meinung nach von der Wertung auszuschließen ist.
69b. Der Nachprüfungsantrag ist teilweise begründet.
70Der Nachprüfungsantrag hat keinen Erfolg, soweit die Antragstellerin geltend macht, die Antragsgegnerin habe es vergaberechtsfehlerhaft unterlassen, das Angebot auszuschließen (siehe unter aa.). Der Nachprüfungsantrag hat hingegen Erfolg, soweit die Antragstellerin einen Vergaberechtsverstoß der Antragsgegnerin damit begründet, dass sie keine Prüfung dahingehend vorgenommen hat, ob die Beigeladene rechtzeitig zum Vertragsbeginn in der Lage sein wird, hinreichend sicherheitsüberprüftes Personal zur Verfügung zu stellen (dazu unter bb.).
71aa. Ein Vergaberechtsverstoß der Antragsgegnerin ist nicht darin begründet, dass sie das Angebot der Beigeladenen nicht von der Wertung ausgeschlossen hat. Es lagen weder die Voraussetzungen für einen zwingenden Ausschlussgrund nach § 122 Abs. 1 GWB i. V. m § 57 Abs. 1 Alt. 1 VgV, noch für einen fakultativen Ausschlussgrund nach § 24 VSVgV i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB vor.
72(1) Die Beigeladene ist nicht mangels Eignung nach § 122 Abs. 1 GWB i. V. m § 57 Abs. 1 Alt. 1 VgV von dem Vergabeverfahren auszuschließen, weil sie sich im Zeitpunkt der Angebotsabgabe nicht in der Geheimschutzbetreuung befunden hat und – wie die Antragstellerin behauptet – eine falsche Eigenerklärung über die Einhaltung der Ziff. 2.2 des Geheimschutzhandbuchs des BMWK abgegeben hat.
73(a) Dass sich die Bieter im Zeitpunkt der Angebotsabgabe in der Geheimschutzbetreuung des BMWK zu befinden haben, hat die Antragsgegnerin weder in der Bekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen gefordert.
74(aa) Welche Anforderungen an die Eignung gestellt werden, bestimmt der Auftraggeber durch entsprechende Vorgaben in der Ausschreibung. Dort legt er auch die Nachweise fest, anhand derer er die Prüfung vornehmen will (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 01.10.2020 – 11 Verg 9/20, ZfBR 2021, 91, 94). Dabei sind sämtliche Eignungskriterien gemäß § 122 Abs. 4 S. 2 GWB in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen (Senat, Beschl. v. 11.07.2018 – VII Verg 24/18, NZBau 2019, 64 Rn 30), wobei ein Link auf das Formblatt Eigenerklärung zur Eignung, aus dem sich die Eignungsanforderungen ergeben, ausreichend ist, wenn das am Auftrag interessierte Unternehmen durch bloßes Anklicken zu dem Formblatt gelangen kann (Senat, Beschl. v. 11.07.2018 – VII Verg 24/18, NZBau 2019, 64 Rnrn 35, 36). Andere Eignungsanforderungen sind nicht wirksam aufgestellt (Senat, Beschl. v. 14.10.2020 – VII Verg 36/19, ZfBR 2021, 84, 88).
75(bb) Nach Ziff. III.2.2 der Bekanntmachung hatten die Bieter Nachfolgendes einzureichen:
76„- Eigenverpflichtungserklärung über die Behandlung von Verschlusssachen (VS) des Geheimhaltungsgrades VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (VS-NfD) und Merkblatt BAAINBw-B 096a/04.2015, letzte Seite ausfüllen.
77- Eigenerklärung, dass die Anforderungen gem. Ziff. 2.2 des Geheimschutzhandbuches des BMWI akzeptiert und eingehalten werden“
78Auch wenn diese Anforderungen in der Bekanntmachung unter dem Punkt „Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit von Unterauftragnehmern (die zu deren Ablehnung führen können)“ überschrieben mit „Auflistung und kurze Beschreibung der Bedingungen“ aufgelistet waren, handelt es sich hierbei für die Bieter erkennbar um Eignungskriterien betreffend die technische und berufliche Leistungsfähigkeit. Diese von den Bietern geforderten Erklärungen sind daher auch auf dem „Fragebogen zur Eignungsprüfung“ aufgelistet.
79Beide Eigenverpflichtungserklärungen hat die Beigeladene abgegeben. Zudem hat sie auf dem von ihr abzugebenden Formblatt „Erklärung zum Schutz von Verschlusssachen durch Bewerber/Bieter bei Aufträgen nach § 104 Abs. 3 GWB“ zutreffend angegeben, dass kein Sicherheitsbescheid des Bundesministeriums existiere, und dass ihrerseits die Bereitschaft bestehe, alle notwendigen Maßnahmen und Anforderungen zu erfüllen, die zum Erhalt eines Sicherheitsbescheids zum Zeitpunkt der Auftragsausführung vorausgesetzt werden.
80(cc) Dass sich die Beigeladene darüber hinaus bereits im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung in der Geheimschutzbetreuung befunden haben muss, mit der Folge, dass ihre Eigenerklärung zu den Anforderungen gem. Ziff. 2.2 des Geheimschutzhandbuchs falsch gewesen wäre, ergibt sich weder aus der Bekanntmachung noch aus den Vergabeunterlagen. Insbesondere ist nicht Gegenstand der unter Ziff. III.2.2 der Bekanntmachung geforderten „Eigenerklärung, dass die Anforderungen gem. Ziff. 2.2 des Geheimschutzhandbuches des BMWI akzeptiert und eingehalten werden“, dass eine Geheimschutzbetreuung bereits bei Angebotsabgabe besteht. Was mit der Eigenerklärung gefordert war, ergibt sich durch Auslegung. Für die Auslegung von Vergabeunterlagen gelten die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen gemäß §§ 133, 157 BGB (vgl. BGH, Beschl. v. 07.01.2014 – X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn 31 - Stadtbahnprogramm Gera; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 18.07.2017 – 11 Verg 7/17, BeckRS 2017, 121590 Rn 59). Gefordert war nach dem Wortlaut eine Eigenerklärung, dass die „Anforderungen gemäß Ziff. 2.2 des Geheimschutzhandbuches des BMWI“ akzeptiert und eingehalten werden, also eine Anerkennung der Geheimschutzbestimmungen. Nicht gefordert war demgegenüber, eine bereits bestehende Geheimschutzbetreuung durch das BMWK zu bestätigen. Diese Auslegung wird gestützt durch die in Ziff. III.1.5 der Bekanntmachung sowie die in § 4 Abs. 2 des Vertragsentwurfs enthaltenen Regelungen. Ausweislich Ziff. III.1.5 der Bekanntmachung können Bewerber die Sicherheitsbescheinigung bis zum 31.08.2024 erlangen. § 4 Abs. 2 des Vertragsentwurfs regelt, dass die Sicherheitsüberprüfung vor Aufnahme der Tätigkeit abgeschlossen sein müsse, wobei ein Einsatz sogar bei Vorliegen eines vorläufigen Sicherheitsüberprüfungsergebnisses möglich ist. Damit hat die Antragsgegnerin von der Möglichkeit des § 7 Abs. 6 VSVgV Gebrauch gemacht und den Bietern, die noch nicht in der Geheimschutzbetreuung des BMWK sind oder deren Personal noch nicht überprüft und ermächtigt ist, zusätzliche Zeit gewährt.
81(2) Nicht festgestellt werden kann, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Angebotsausschluss gemäß § 24 VSVgV i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB vorliegen, also die Beigeladene in Bezug auf die rechtzeitige Bereitstellung des geforderten sicherheitsgeprüften Personals vorsätzlich oder fahrlässig irreführende Angaben gemacht hat, die die Entscheidung über die Zuschlagsentscheidung erheblich beeinflusst haben. Die Antragsgegnerin hat einen Ausschluss des Angebots nach den oben genannten Vorschriften nicht in Erwägung gezogen, obwohl hierfür Anlass bestand.
82(a) Nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB kann der öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn es fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln. Der Begriff der „Informationen“ ist dabei sehr weit gefasst und erfasst sämtliche Angaben des Teilnehmers an einem Vergabeverfahren. Informationen dieser Art können neben den Angebotserläuterungen und vergaberechtlichen Rügen auch Angebotsinhalte sein (OLG Naumburg, Beschl. v. 09.08.2019 – 7 Verg 1/19, NZBau 2020, 327 Rn 46; Opitz, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck‘scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl., § 124 Rn 124). Irreführend ist eine Information, wenn sie bei objektiver Betrachtung geeignet ist, bei dem öffentlichen Auftraggeber einen Irrtum über ihren Inhalt hervorzurufen. Auf die subjektive Einschätzung des öffentlichen Auftraggebers kommt es insoweit nicht an (OLG Naumburg, Beschl. v. 09.08.2019 – 7 Verg 1/19, NZBau 2020, 327 Rn 46; Conrad, in: Müller-Wrede, Vergaberecht, 2016, § 124 GWB Rn 190). § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c GWB erfasst damit auch den Fall, dass ein Bieter zwar ein ausschreibungskonformes Angebot abgibt, er aber schon bei Angebotsabgabe zumindest in Kauf genommen hat (Vorsatz) oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können (Fahrlässigkeit), dass er das Leistungsversprechen nicht wie angeboten wird erfüllen können (vgl. für den Fall eines „geheimen Vorbehalts“ OLG München, Beschl. v. 17.09.2007 – Verg 10/07, juris; Opitz, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck‘scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl., § 124 Rn 124), denn eine solche irreführende Information über die eigene Leistungsfähigkeit oder die Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens ist geeignet, die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich zu beeinflussen. In einem solchen Fall wird der Bieter im Wege einer Ermessensreduzierung auf null auszuschließen sein (vgl. OLG München, Beschl. v. 17.09.2007 – Verg 10/07, juris Rn 29).
83Grundsätzlich darf ein öffentlicher Auftraggeber darauf vertrauen, dass die Bieter ihre vertraglichen Zusagen auch erfüllen werden (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.09.2022 – 15 Verg 8/22, NZBau 2022, 615 Rn 35; Senat, Beschl. v. 15.01.2020 – VII Verg 20/19, juris Rn 70; Senat, Beschl. v. 26.08.2018 – Verg 23/18, BeckRS 2018, 55846 Rn 62; Senat, Beschl. v. 15.07.2015 – VII Verg 11/15, juris Rn 51; KG Berlin, Beschl. v. 21.11.2014 – Verg 22/13, juris Rn 36). Wenn sich allerdings konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dies zweifelhaft ist, ist der öffentliche Auftraggeber – bevor er das Angebot ausschließt – aus Gründen der Transparenz und der Gleichbehandlung der Bieter (§ 97 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GWB) gehalten, durch Einholung ergänzender Informationen die Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens beziehungsweise die hinreichende Leistungsfähigkeit des Bieters zu verifizieren (EuGH, Urt. v.04.12.2003, C-448/01 - juris, Rn 50 - Wienstrom; Senat, Beschl. v. 15.01.2020 – VII Verg 20/19, juris Rn 70; Senat, Beschl. v. 26.08.2018 – Verg 23/18, BeckRS 2018, 55846 Rn 62; KG Berlin, Beschl. v. 21.11.2014 – Verg 22/13, juris Rn 36; vgl. auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.11.2012 – Verg W 10/12, BeckRS 2013, 7532), wobei er in der Wahl seines Überprüfungsmittels im Grundsatz frei ist (Senat, Beschl. v. 15.01.2020 – VII Verg 20/19, juris Rn 73; OLG München, Beschl. v. 11.05.2007 – Verg 4/07, NJOZ 2008, 2351, 2356; Ziekow, in: Ziekow/Völllink, Vergaberecht, 5. Aufl., § 127 GWB Rn 28).
84(b) Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen bestand für die Antragsgegnerin Anlass daran zu zweifeln, ob der Beigeladenen zu Vertragsbeginn am 31.08.2024 ausreichend sicherheitsüberprüftes Personal zur Verfügung stehen wird.
85(aa) Nach den Vergabeunterlagen war eine SÜ2-VS Sicherheitsprüfung und eine Sabotageschutzprüfung der Mitarbeiter gefordert.
86Welche Anforderungen die Antragsgegnerin an die Leistung in Bezug auf eine Sicherheitsüberprüfung der Mitarbeiter (als Auftragsausführungsbedingung im Sinne des §128 Abs. 2 GWB) gestellt hat, mithin welcher Erklärungswert den maßgeblichen Teilen der Vergabeunterlagen zukommt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden (BGH, Beschl. v. 07.01.2014 – X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn 31 - Stadtbahnprogramm Gera; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 18.07.2017 – 11 Verg 7/17, BeckRS 2017, 121590 Rn 59). Dabei ist im Rahmen einer normativen Auslegung auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter bzw. Bewerber, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen (BGH, Beschl. v. 07.01.2014 – X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn 31 - Stadtbahnprogramm Gera). Es kommt nicht darauf an, wie die Antragstellerin als einzelne Bewerberin die Unterlagen verstanden hat, sondern wie der durchschnittliche Bewerber des angesprochenen Bewerberkreises sie verstehen musste oder konnte. Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (Senat, Beschl. v. 21.10.2015 – VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn 34 – BSI; Senat, Beschl. v. 05.11.2014, VII-Verg 21/14, BeckRS 2015, 11625; Lampert, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl., § 121 GWB Rn 77). Wie Mitbieter oder -bewerber die Vergabeunterlagen verstanden haben, kann für die normativ zu bestimmende Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen Bieters beziehungsweise Bewerbers von indizieller Bedeutung sein (vgl. BGH, Urt. v. 10.06.2008 – X ZR 78/07, NZBau 2008, 592 Rn 15 - BAB-Leiteinrichtungen; Senat, Beschl. v. 13.10.2017 – VII-Verg 19/17, NZBau 2018, 242 Rn 37 - LKW-Mautsystem III; Lampert, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl., § 121 GWB Rn 77).
87Unter Zugrundelegung dieser Auslegungsmaßstäbe war für einen verständigen, mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Bieter eine SÜ2-VS Sicherheitsprüfung und eine Sabotageschutzprüfung der Mitarbeiter gefordert. Dies folgt aus § 4 Abs. 2 des Vertragsentwurfs in Verbindung mit Ziff. 2.2 der Anlage 12. In Ziff. 2.2 der Anlage 12 zum Vertragsentwurf ist zu den geforderten Sicherheitsüberprüfungen sowohl SÜ2-VS als auch Sabotageschutz angegeben.
88Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass in Ziff. II.2.1 der Bekanntmachung lediglich das Erfordernis einer Sicherheitsüberprüfung SÜ2 Sabotageschutz erwähnt, den Vergabeunterlagen das „Merkblatt für die Behandlung von Verschlusssachen (VS) des Geheimhaltungsgrades VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (VS-NfD) beigefügt ist, und Bewerber nur die Eigenverpflichtungserklärung über die Behandlung von Verschlusssachen (VS) des Geheimhaltungsgrades VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (VS-NfD) abzugeben haben. Zwar könnten diese Angaben in der Bekanntmachung ein Hinweis darauf sein, dass die Bieter im Rahmen der Auftragsausführung einen Kontakt zu Verschlusssachen nur bis zum Geheimhaltungsgrad VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (VS-NfD) erlangen können und es somit einer erweiterten Sicherheitsüberprüfung SÜ2-VS nicht bedürfe. Denn nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SÜG ist eine erweiterte Verschlusssachenprüfung nur für Personen durchzuführen, die Zugang zu als GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten oder sich verschaffen können oder zu einer hohen Anzahl VS-VERTRAULICH eingestufter Verschlusssachen. Für einen verständigen mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Bieter liegt diese Annahme jedoch nicht nahe. Grund hierfür ist die Art der zu bewachenden Einrichtung und der bisher von der Antragsgegnerin für solche Einrichtungen festgelegte Geheimhaltungsgrad. …. Entsprechend war auch bei vorherigen Ausschreibungen – so auch im Bestandsvertrag – für diese Tätigkeit eine Sicherheitsüberprüfung SÜ2-VS gefordert. Sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene sind zudem vorliegend davon ausgegangen, dass neben dem Sabotageschutz auch eine SÜ2-VS Sicherheitsüberprüfung gefordert worden ist. So hat die Beigeladene auf dem Formblatt „Erklärung zum Schutz von Verschlusssachen durch Bewerber/Bieter bei Aufträgen nach § 104 Abs. 3 GWB“, nicht nur eine Erklärung zu Verschlusssachen VS-NfD abgegeben, sondern auch die für Verschlusssachen ab der Stufe VERTRAULICH abzugebende Erklärung wie folgt ausgefüllt hat:
89„I. Bei Verschlusssachen VS-NfD
90Ich verpflichte mich/Wir verpflichten uns, die Bestimmungen des Merkblatts für die Behandlung von Verschlusssachen (VS) des Geheimhaltungsgrades VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (VS-NfD) – BAAINBw-B 096a einzuhalten.
91…
92II. Bei Verschlusssachen ab VS-Vertraulich zusätzlich:
93Es besteht ein Sicherheitsbescheid des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie oder entsprechender Landesbehörden oder einer nationalen Sicherheitsbehörde des Landes, in dem sich der Sitz meines/unseres Unternehmens befindet.
94 JA Umfang:
95 Nein (Nur weiter auszufüllen in den Fällen des § 7 Abs. 6 VSVgV):
96Es besteht die Bereitschaft, alle notwendigen Maßnahmen und Anforderungen zu erfüllen, die zum Erhalt eines Sicherheitsbescheids zum Zeitpunkt der Auftragsausführung vorausgesetzt werden.
97 Ja Nein
98…“
99(bb) Als die Antragsgegnerin durch das Rügeschreiben der Antragstellerin vom 16.11.2023 erfahren hatte, dass die Beigeladene sich scheinbar nicht in der Geheimschutzbetreuung des BMWK befindet, bestanden Zweifel, ob die Beigeladene ihr Leistungsversprechen zu Vertragsbeginn am 31.08.2024 wird erfüllen können und ihre Bestätigung vom 06.11.2023 belastbar ist. Dort hatte sie ausgeführt:
100„hiermit bestätigen wir Ihnen, dass das zur Bewachung der E. eingesetzte Personal gem. § 4 Abs. 2 i. V. m. Anlage 12 des Mustervertrages die erweiterte Sicherheitsüberprüfung Ü2 besitzt.
101Wir wissen um die besonderen Umstände und die Langwierigkeit einer solchen Überprüfung entsprechend der Ü2. Wir wissen, dass wir bereits vor Vertragsbeginn und auch vor möglichem Zuschlag aufgrund der unberechenbaren Zeitdauer dieser Überprüfung damit beginnen müssen / geeignetes Personal dafür vorhalten müssen.“
102In eine weitergehende Prüfung, ob ggfls. die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Angebots nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB erfüllt sind, ist die Antragsgegnerin dennoch nicht eingetreten.
103bb. Bestanden somit konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beigeladene entgegen ihren Erklärungen möglicherweise bis zum Auftragsbeginn nicht in der Lage sein wird, hinreichend sicherheitsüberprüftes Personal zur Verfügung zu stellen, und unter Umständen die Voraussetzungen für einen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB erfüllt sind, war es vergaberechtsfehlerhaft, von einer weiteren Überprüfung des Sachverhalts abzusehen. Dies wird die Antragsgegnerin nachzuholen haben. Dabei wird es unter anderem darauf ankommen, ob der von der Antragstellerin geltend gemachte Zeitaufwand für die Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung des BMWK (ca. 9 Monate) und für die anschließende Sicherheitsprüfung der Mitarbeiter (zwischen 5-9 Monaten) zutreffend ist.
104III.
105Die Kostenentscheidung in Bezug auf das Nachprüfungsverfahren folgt aus § 182 Abs. 3 S. 1, 2 und 5, § 182 Abs. 4 S. 1 und 2 GWB. Demnach entspricht es der Billigkeit, dass die Antragstellerin einerseits sowie die Antragsgegnerin und die Beigeladene als Gesamtschuldner andererseits jeweils 50% der Kosten des Nachprüfungsverfahrens zu tragen haben einschließlich 50% der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der jeweils anderen Partei, denn die Antragstellerin hat mit dem Nachprüfungsantrag nur teilweise Erfolg. Der Nachprüfungsantrag hat keinen Erfolg, soweit die Antragstellerin einen Ausschluss des Angebots der Beigeladenen geltend macht. Er hat lediglich Erfolg, soweit eine unterlassene Prüfung gerügt wird, ob die Beigeladene hinreichend sicherheitsüberprüftes Personal zu Vertragsbeginn wird zur Verfügung stellen können. Die Beigeladenen hat sich vorliegend aktiv durch ihre Stellungnahme im Nachprüfungsverfahren auf Seiten der Antragsgegnerin am Nachprüfungsverfahren beteiligt, so dass sie kostenrechtlich zu beteiligen ist. Eine Kostenhaftung der Beigeladenen entsteht, wenn der Beigeladene auf Seiten der obsiegenden Partei das Verfahren entweder durch einen Antrag oder – wie vorliegend – in sonstiger Weise wesentlich aktiv fördert, sich also schriftsätzlich in relevanter Weise äußert oder an der mündlichen Verhandlung teilnimmt (Senat, Beschl. v. 10.5.2012 – VII-Verg 5/12, BeckRS 2012, 12845; Losch, in: Ziekow/Völlink, VergabeR, 4. Aufl., § 182 Rn 37 m.w.N).
106Die Kostenentscheidung betreffend das Beschwerdeverfahren beruht auf § 175 Abs. 2 i.V.m. § 71 GWB. Demnach entspricht es der Billigkeit, dass die Antragstellerin und die Antragsgegnerin jeweils 50% der Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen haben einschließlich 50% der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der jeweils anderen Partei, denn die Antragstellerin hat mit dem – mit der sofortigen Beschwerde weiter verfolgten – Nachprüfungsantrag aus den zuvor genannten Gründen nur teilweise Erfolg. Die Beigeladene ist in Bezug auf das Beschwerdeverfahren nicht kostenrechtlich zu beteiligen, da sie sich nicht aktiv durch Einlassung zur Sache oder mit Sach- oder Verfahrensanträgen beteiligt hat (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 27.08.2008 – 13 Verg 2/08; Frister, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 175 GWB Rn 26). Eine analoge Anwendung des § 97 Abs. 2 ZPO kommt nicht in Betracht.