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I. Auf den Antrag der Antragstellerin wird die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Bundeskartellamts vom 29. August 2022 (B9-21/21) bis zur Entscheidung in der Hauptsache angeordnet.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
2I.
3Die Antragstellerin und die mit ihr nach § 36 Abs. 2 GWB verbundenen Unternehmen (fortan auch einzeln oder zusammen: M.) sind eine weltweit operierende Luftverkehrsunternehmensgruppe, die im Geschäftsfeld der Beförderung von Passagieren Kurz-, Mittel- und Langstreckenflüge anbietet. Der M.-Gruppe gehören neben der Antragstellerin auch T., B., F., C., B.1, F.1 und F.2 an. M. bietet Langstreckenflüge u.a. ab … und … an. Den Schwerpunkt des Kurzstreckennetzes von M. bilden Strecken im Gebiet Deutschland, Österreich, Schweiz und Belgien (sogenannte DACHB-Region).
4Die Beigeladene (fortan auch: D.) ist eine Fluggesellschaft, die aus Deutschland Kurz-, Mittel- und Langstreckenflüge anbietet, letztere ab …, … und …. Sie befand sich über viele Jahre im Alleineigentum von M. und war seit 2009 vollständig an die britische U. veräußert. Nach Insolvenzanmeldung im Jahr 2019 werden seit 2021 …% ihrer Anteile von einem britischen Finanzinvestor, die verbleibenden Anteile von einer der Bundesrepublik Deutschland und dem Land … gehörenden Treuhandgesellschaft gehalten.
5D. nutzt Kurzstreckenflüge von M., um sie in Kombination mit eigenen Langstreckenflügen als eine indirekte Gesamtverbindung anzubieten, insbesondere die Strecken …, …, …, … und …. Grundlage für die Kombination der Flüge verschiedener Fluggesellschaften zu indirekten Gesamtverbindungen sind sogenannte Interlining-Abkommen, die auch zwischen M. und D. bestehen. Zusätzlich bestehen zwischen M. und D. kommerzielle Sondervereinbarungen (sogenannte Special Prorate Agreements, fortan: SPAs), die bis in die 1990er Jahre zurückreichen und einer Zeit entstammen, als D. noch zu M. gehörte. Diese SPAs sehen eine interne Preisverrechnung vor, die im Gegensatz zu den Interlining-Abkommen nicht im Verhältnis der Meilen-Anteile der Flüge am Ticketpreis, den die den Gesamtflug verkaufende Fluggesellschaft eingenommen hat, erfolgt, sondern zu festen Preisen pro Meile unterteilt nach verschiedenen Buchungsklassen. Weder in den Interlining-Abkommen noch in den SPAs sind Verfügbarkeiten garantiert. In beiden Fällen werden die kombinierbaren Buchungsklassen in einer Chart 2-Erklärung bei der B.2 hinterlegt.
6Nach Auffassung von M. entfiel mit der vollständigen Veräußerung der D. im Jahre 2009 die ursprüngliche konzerninterne Geschäftsgrundlage der SPAs und lagen die Rahmenbedingungen für ein SPA mit einer nicht konzernangehörigen Fluggesellschaft mangels der erforderlichen Gegenseitigkeit nicht vor, weil nahezu ausschließlich D. Flüge von M. bucht, nicht aber M. Flüge von D.. M. teilte D. mit Schreiben vom 2. März 2020 ihre Absicht mit, die SPAs künftig nicht mehr fortsetzen zu wollen, und erklärte mit Schreiben vom 30. November 2020 die ordentliche Kündigung des zwischen D., M., B. und T. bestehenden SPA vom 15. Mai 2017 zum 1. Juni 2021. Das zwischen D. und C. bestehende SPA-SN vom 22. Juli 2019 sollte nicht über den 28. Februar 2021 hinaus verlängert werden. Während des vom Bundeskartellamt im Januar 2021 eingeleiteten Missbrauchsverfahrens haben M. und D. SPA und SPA-SN bis zum 31. Oktober 2022 verlängert. Die zwischen D. und der M.-Gesellschaft H. am 10. Juli 2014 abgeschlossene Zubringervereinbarung wurde nicht auf F.1 übertragen, als M. im Herbst 2015 Flüge nach … von H. auf F.1 umstellte. Ein weiteres SPA-EN zwischen D. und B.1 ist seit dem 13. Mai 2019 in Kraft und besteht fort.
7Mit Beschluss vom 29. August 2022 hat das Bundeskartellamt in Ziff. I. des Tenors festgestellt, dass M. gegen Art. 102 AEUV, §§ 18, 19, 20 GWB verstößt, indem sie
81. das SPA mit D. zum 31. Oktober 2022 gekündigt hat, das SPA-SN mit D. nur bis zum 31. Oktober 2022 verlängert hat und die Zubringervereinbarung zwischen H. und D. nicht auf F.1 übertragen hat,
92. D. für die Buchung von Zubringerflügen für indirekte Langstreckenverbindungen mit Durchgangsticket nach dem SPA nur fünf und nach dem SPA-SN nur sieben Buchungsklassen zur Verfügung stellt,
103. die Buchung von Zubringerflügen für indirekte Langstreckenverbindungen in den im SPA, im SPA-SN und im SPA-EN vereinbarten Buchungsklassen durch D. nur dann zulässt, wenn die Passagiere auf dem von D. durchgeführten Flug in korrespondierende Buchungsklassen eingebucht sind,
114. die im SPA und SPA-SN aufgeführten Buchungsklassen nicht durchgängig für Buchungen von Zubringerflügen für indirekte Langstreckenverbindungen durch D. öffnet, obwohl diese Buchungsklassen zum Zeitpunkt der Buchungsanfrage für eigene Buchungen der M.-Gesellschaften auf denselben Flügen herangezogen werden.
12In Ziff. II.1. bis 4. des Tenors hat das Amt M. verpflichtet, neue SPAs mit D. nach bestimmten Maßgaben zu schließen, wobei M. spätestens bis zum 28. September 2022 ein Angebot vorlegen muss (Ziff. II.1. des Tenors) und die Verhandlungen mit D. spätestens bis zum 9. November 2022 abgeschlossen sein müssen; diese Frist kann mit Zustimmung von D. bis zum 23. November 2022 verlängert werden (Ziff II.2 des Tenors). Die neuen SPAs haben sich auf alle Buchungsklassen zu erstrecken, welche die M.-Gesellschaften für kommerzielle Passagiere auf ihren Europa-Flügen verwenden, verpflichten M. zur Entgegennahme von Buchungen der D. in geöffneten Buchungsklassen unabhängig davon, welche Buchungsklasse D. für die eigenen Langstreckenflüge verkauft, und haben Übergangsregelungen für vor Inkrafttreten der Vereinbarungen erfolgte Buchungen vorzusehen (Ziff. II.3 des Tenors). M. hat die zu den SPAs vereinbarten Chart 2-Erklärungen innerhalb von maximal drei Arbeitstagen nach Abschluss der SPAs bei der B.2 zu hinterlegen (Ziff. II.4 des Tenors). Sollte bis zum 31. Oktober 2022 die neue Vereinbarung nicht abgeschlossen sein, verpflichtet Ziff. II.5. des Tenors M. vorübergehend, ab dem 1. November 2022 Buchungen der D. unter den Bedingungen der bestehenden SPAs weiterhin entgegenzunehmen. In Ziff. II.6.a) des Tenors wird M. verpflichtet, bis spätestens zum 12. Oktober 2022 ihre konzerninterne Buchungssteuerung so anzupassen, dass D. Buchungen in allen Buchungsklassen vornehmen kann, in denen M. zu diesem Zeitpunkt ihren eigenen Passagieren Buchungen ermöglicht; M. darf sich 5% der auf einem Zubringerflug tatsächlich vorhandenen Sitzplätze allein für die Buchungen eigener Passagiere vorbehalten. Die Umsetzungsfrist wird gemäß Ziff. II.6.c) des Tenors durch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gehemmt. Bis Fristablauf ist M. gemäß Ziff. II.6.b) des Tenors verpflichtet, Buchungen der D. in allen Buchungsklassen entgegenzunehmen, die auf der Grundlage der aktuellen M.-Buchungsklassensteuerung im Zeitpunkt der Buchungsanfrage auf der Grundlage der Vereinbarungen nach Ziff. II.2. bzw. Ziff. II.5. des Tenors geöffnet und buchbar sind. Stellt D. fest, dass auf einem Zubringerflug D.-Passagiere keine Plätze buchen können, obwohl M. auf demselben Flug eigenen Passagieren Buchungen in diesen Buchungsklassen ermöglicht, und teilt D. dies M. mit, so hat M. unverzüglich dafür zu sorgen, dass auf dem Flug verfügbare freie Kapazitäten D. zur Verfügung gestellt werden. Ziff. III. des Tenors verpflichtet M. zur Einhaltung der oben genannten Anordnungen auch für den Fall, dass Zubringerflüge von anderen mit ihr gemäß § 36 Abs. 2 GWB verbundenen Fluggesellschaften durchgeführt werden oder über andere mit ihr gemäß § 36 Abs. 2 GWB verbundene Fluggesellschaften gebucht werden.
13M. hat mit Schriftsatz vom 6. September 2022 gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt. Sie hält die Amtsverfügung in formeller und materieller Hinsicht aus vielfältigen Gründen für rechtswidrig und trägt hierzu im Einzelnen vor. Das Beschwerdeverfahren wird beim Senat unter dem Aktenzeichen VI-Kart 7/22 (V) geführt. Mit ihrem unter dem vorliegenden Aktenzeichen geführten vorläufigen Rechtsschutzbegehren beantragt M.,
14die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde gegen den Beschluss bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache anzuordnen.
15Das Bundeskartellamt beantragt,
16den Antrag zurückzuweisen.
17Es verteidigt den angefochtenen Beschluss.
18D. verteidigt ebenfalls die angefochtene Amtsverfügung.
19Das Amt hat mit Schriftsatz vom 20. September 2022 erklärt, bis zu einer Entscheidung des Senates über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen, mit Ausnahme von Ziff. II.5. des Tenors und der auf Ziff. II.5. bezugnehmenden Teile von Ziff. II.6. i.V.m. Ziff. II.6.b) des Tenors sowie der auf Ziff. II.5. bezugnehmenden Teile von Ziff. III. des Tenors. Mit weiterem Schriftsatz vom 23. September 2022 hat das Bundeskartellamt erklärt, in demselben Umfang auch von der Einleitung eines Bußgeldverfahrens abzusehen. D. hat mit Schriftsatz vom 25. September 2022 erklärt, im Zeitraum bis zur Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde auf Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche aus § 33 Abs. 1 GWB zu verzichten. Der Senat hat daraufhin den Antrag von M. auf vorläufige Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde bis zur Entscheidung über den Eilantrag mit Beschluss vom 28. September 2022 zurückgewiesen.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Akteninhalt einschließlich der Ausführungen in dem angefochtenen Amtsbeschluss Bezug genommen.
21II.
22Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde hat Erfolg.
231. Wie sich aus einem Umkehrschluss zu § 66 Abs. 1 GWB ergibt, hat die Beschwerde gegen eine auf § 32 Abs. 1 und 2 GWB gestützte Abstellungsverfügung der Kartellbehörde keinen Suspensiveffekt. Das Gericht der Hauptsache kann allerdings nach § 67 Abs. 3 S. 3 GWB auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Beschwerde anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen (§ 67 Abs. 3 S. 3 i.V.m. S. 1 Nr. 2 GWB) oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 67 Abs. 3 S. 3 i.V.m. S. 1 Nr. 3 GWB).
24Im Entscheidungsfall ist der Eilantrag jedenfalls deshalb begründet, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 67 Abs. 3 S. 3 i.V.m. S. 1 Nr. 2 GWB liegen dann vor, wenn bei einer summarischen Prüfung erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die angefochtene Verfügung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Die angefochtene Verfügung wird damit keiner umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle unterzogen. „Ernstliche Zweifel“ erfordern nicht die volle gerichtliche Überzeugung von der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung. Ob sich die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der kartellbehördlichen Verfügung aus tatsächlichen Gründen (z.B. einer unzureichenden Sachaufklärung) oder aus rechtlichen (verfahrens- oder materiell-rechtlichen) Erwägungen ergeben, ist unerheblich. Es reicht andererseits nicht aus, wenn die Sach- und Rechtslage bei der gebotenen vorläufigen Beurteilung offen ist (vgl. zum Ganzen BGH 16.01.2024 – KVR 78/23, Rn. 13 – Kartellbehördliche Zuständigkeit; BGH 23.06.2020 – KVR 69/19, juris Rn. 11 – Facebook I; Senat 17.01.2020 – VI-Kart 6/19 (V), juris Rn. 22 – Trockenbaustoffe).
25Nach diesen Maßgaben bestehen sowohl aus verfahrensrechtlichen (dazu nachfolgend unter 2.) als auch aus materiell-rechtlichen Gründen (dazu nachfolgend unter 3.) ernstliche Rechtmäßigkeitszweifel an der Amtsverfügung, so dass diese wahrscheinlich jedenfalls aus den nachfolgend erörterten Gründen keinen Bestand haben wird. Ob darüber hinaus auch die weiteren Rechtsfehler vorliegen, die M. reklamiert, kann auf sich beruhen.
262. Die Amtsverfügung ist voraussichtlich formell rechtswidrig, weil erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Mitglieder der 9. Beschlussabteilung im Zusammenhang mit dem Aktenvermerk vom 18. Dezember 2020 und der weiteren Verfahrensführung die Besorgnis der Befangenheit begründet haben und sich deshalb gemäß § 21 VwVfG einer Sachentscheidung hätten enthalten müssen.
27a) Die Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts haben gemäß § 51 GWB unparteiisch und unabhängig, insbesondere frei von politischer Einflussnahme durch das Bundeswirtschaftsministerium, zu entscheiden (vgl. Stockmann/Picht in Immenga/Mestmäcker, 7. Auflage 2024, § 51 GWB Rn. 14 f.; Zorn in MünchKomm, 4. Auflage 2022, § 51 GWB Rn. 5 ff.). Gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 VwVfG hat derjenige, der in einem Verwaltungsverfahren für eine Behörde tätig werden soll, den Behördenleiter zu unterrichten und sich auf dessen Anordnung der Mitwirkung zu enthalten, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen. Diese Vorschrift ist allerdings auf einen einzelnen Amtsträger zugeschnitten; ob sie daher gemäß § 54 Abs. 1 S. 3 GWB auch im Kartellverwaltungsverfahren anwendbar ist, kann im Ergebnis dahinstehen. Handelt es sich bei einer Beschlussabteilung des Bundeskartellamts um einen Ausschuss i.S.v. § 88 VwVfG, da der Ausschussbegriff dieser Vorschrift jedes Kollegialorgan, das mit einem Mindestmaß an Organisation und Kontinuität aus mehreren Personen besteht und dessen Willensbildung nach dem Kollegialprinzip verläuft, erfasst (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 88 Rn. 5 f.), würde gemäß § 21 Abs. 2 VwVfG für die Mitglieder der Beschlussabteilung die Vorschrift des § 20 Abs. 4 VwVfG entsprechend gelten. Danach hat ein Ausschussmitglied dann, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit auszulösen, dem Ausschussvorsitzenden dies mitzuteilen, und der Ausschuss hat ohne Mitwirkung des betroffenen Mitglieds über dessen Ausschluss zu entscheiden.
28Ein Grund, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen, liegt in beiden oben genannten Fällen des § 21 VwVfG vor, wenn aufgrund objektiv feststellbarer Tatsachen für die Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände die Besorgnis nicht auszuschließen ist, ein bestimmter Amtsträger werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob das Misstrauen tatsächlich gerechtfertigt ist oder sich der Amtsträger für befangen hält. Es genügt der böse Anschein der Parteilichkeit. Entscheidend ist deshalb allein, ob aus der Sicht eines vernünftig und besonnen denkenden Beteiligten unter den gegebenen Umständen des konkreten Falles objektive Gründe bestehen, an der Unvoreingenommenheit des Amtswalters zu zweifeln; die rein subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht nicht aus (vgl. BVerwG 13.10.2011 – 4 A 4001/10, juris Rn. 33; Senat 12.07.2016 – VI-Kart 3/16 (V), juris Rn. 48 – Ministererlaubnis Edeka/Tengelmann; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Auflage 2023, § 21 Rn. 9). Ein unter Mitwirkung eines Amtswalters, gegen den die Besorgnis der Befangenheit besteht, ergangener Verwaltungsakt ist formell rechtswidrig, ohne dass es darauf ankommt, ob der Amtswalter seiner Unterrichtungspflicht nicht nachgekommen ist, ein Mitwirkungsverbot nicht beachtet hat oder ein solches Verbot fälschlicherweise nicht ergangen ist (vgl. BVerfG 09.11.2022 – 1 BvR 2263/21, juris Rn. 28; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Auflage 2023, § 21 Rn. 26).
29b) Nach diesen Maßgaben liegen im Zusammenhang mit dem Aktenvermerk vom 18. Dezember 2020 und der weiteren Verfahrensführung erhebliche Gründe vor, die dafür sprechen, dass gegenüber den Mitgliedern der 9. Beschlussabteilung die Besorgnis der Befangenheit begründet ist.
30aa) Laut der Darstellung des Verfahrensgangs in der Amtsentscheidung und in den Schriftsätzen des Amts im vorliegenden Antragsverfahren übermittelten die Verfahrensbevollmächtigten von D. - nach Kündigung des SPA durch M. mit Schreiben vom 30. November 2020 – im Dezember 2020 der Europäischen Kommission und dem Bundeskartellamt nähere Informationen zur Kündigung und trugen vor, M. missbrauche mit der Kündigung des SPA ihre marktbeherrschende Stellung bei den Zubringerflügen. Nachdem die Europäische Kommission am 22. Dezember 2020 dem Amt mitgeteilt hatte, dass sie kein eigenes Verfahren einleiten werde und das Amt sich daher des Falles annehmen könne, entschied das Amt auf Grundlage der ihm vorliegenden Informationen, sich näher mit dem Vorgang zu befassen, und forderte D. mit Schreiben vom 23. Dezember 2020 auf, eine förmliche Beschwerde einzureichen. Diese ging am 6. Januar 2021 im Bundeskartellamt ein. Das Amt leitete am 21. Januar 2021 das Kartellverwaltungsverfahren sowie ein Zwischenverfahren zur Anordnung einstweiliger Maßnahmen gegen M. ein und führte in der Folge die in der Verfügung im einzelnen dargestellten Ermittlungen durch.
31Bereits zuvor, nämlich unmittelbar nach Eingang der oben erwähnten Informationen zur Kündigung von D. im Dezember 2020, kam es am 18. Dezember 2020 zu einer Telefonkonferenz zwischen den Mitgliedern der 9. Beschlussabteilung und drei Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi), über die ein Mitglied der Beschlussabteilung einen Gesprächsvermerk mit folgendem Wortlaut fertigte und unterzeichnete:
32„Die Telefonkonferenz wurde auf Anregung von B9 geführt und diente dem gegenseitigen Austausch vor dem Hintergrund des Informationspapiers zur Kündigung des Special Prorate Agreement (SPA) mit D. durch M. (hier als Anlage beigefügt).
33Frau L. informierte die Vertreter des BMWi, dass sich D. in dieser Sache an die EU-Kom gewandt habe. Die B9 stehe auch in Kontakt mit den D.-Anwälten und insbesondere mit Herrn U.1. Dieser habe über seine Gespräche im politischen Raum berichtet, darunter auch mit dem BMWi. Am kommenden Dienstag gebe es eine Telefonkonferenz zwischen B9 und EU-KOM, die möglicherweise das Amt für die Angelegenheit gewinnen wolle. Die Abteilung habe über ein solches Szenario noch nicht beraten. Falls der Fall auf das Amt zulaufe, sei ein kartellrechtlich relevanter Vorgang nicht von vornherein zu verneinen. Es gehe nicht darum, dass M. auf den Langstrecken in Wettbewerb zu D. getreten sei, sondern um eine mögliche Abschottung der D. von Zubringerflügen der M. und dadurch eine mögliche Verdrängung von D. von der Langstrecke. Der Sachverhalt müsse noch weiter aufgeklärt werden, wie z.B. das Verhältnis des SPA zum Interlining-Agreement. Das mögliche Argument der M., man benötige die derzeit von D. genutzten Kapazitäten selbst, sei angesichts der uns dargestellten Größenordnung wohl nicht tragfähig. Die B9 müsse nach dem Telefonat mit der EU-KOM ggf. schnell entscheiden, denn seit der Kündigung seien die D.-flüge im Sommer 2021 nicht mehr gemeinsam mit den Zubringerflügen der M. buchbar, und das Ziel müsse sein, diesen Zustand rasch zu beenden. Auch von den Reiseveranstaltern seien Bedenken gegen die SPA-Kündigung zu hören gewesen. Eine einstweilige Anordnung des Amtes könne nur auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts erfolgen und brauche angesichts der noch benötigten Informationen Zeit bis mindestens Februar 2021. Auch nach einem möglichen Eingreifen werde das Grundproblem von D. bestehen bleiben, denn es gebe am Flughafen … keine Slots. Die Beihilfe-Entscheidung der EU-KOM helfe hier nicht. Sie sehe eine Slotabgabe nur zu Gunsten von Newcomern vor.
34Herr L.1 bedankte sich für die Information, die er als extrem hilfreich einschätzte. Man werde die Hausleitung des BMWi entsprechend informieren. Herr T.1 bestätigte die Aktivitäten von Herrn U.1 im politischen Raum und meinte auch, die BMWi-Leitung sei mit dem Thema befasst. StS O. habe das Thema bereits bei der M. angesprochen und deutlich gemacht, dass man in Bezug auf die SPA-Kündigung Erklärungsbedarf sehe. Dabei gebe es die Problematik, dass der Bund M. und D. jeweils mit Corona-Hilfen des Bundes unterstütze, dies aber mit der Aussage verbunden habe, dies diene der finanziellen Stabilisierung, nicht aber der Einmischung in das operative Geschäft. Gleichwohl habe der Bund ein Interesse, dass sich die unterstützen Unternehmen nicht gegenseitig kannibalisierten. Insoweit gebe es eine gewisse Sorge. Etwaige Ermittlungen des Bundeskartellamts seien vor diesem Hintergrund im Interesse von StS O.. Auf die Frage von Herrn I., wie sich die M. StS O. gegenüber eingelassen habe, erläuterte Herr T.1, dass es um ein laufendes Verfahren und ein politisches Gesamtpaket gehe, wie z.B. ein Konjunkturpaket für die Luftfahrt. M. sei ein bekannt schwieriger Ansprechpartner.
35Der Vorschlag von Frau L., gegenüber der M. eine zweigleisige Strategie zu fahren, wurde von Herrn L.1 aufgegriffen. Er wolle dies an StS O. herantragen. Abschließend wurde vereinbart, sich gegenseitig über die weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten.“
36bb) Es sprechen erhebliche Umstände dafür, dass der wiedergegebene Gesprächsinhalt aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Beteiligten die Besorgnis begründet, die Mitglieder der 9. Beschlussabteilung hätten das Verwaltungsverfahren gegen M. von Anfang an nicht unvoreingenommen und ergebnisoffen und nicht frei von politischer Einflussnahme durch das BMWi geführt.
37(1) Der Vermerk erweckt den Eindruck, dass die Mitglieder der Beschlussabteilung sich bereits zu einem Zeitpunkt, als die Zuständigkeit zwischen Europäischer Kommission und Bundeskartellamt noch nicht geklärt war, als zudem lediglich eine Information von D., aber noch keine Stellungnahme von M. vorlag, das Verwaltungsverfahren noch nicht eröffnet war und Ermittlungen noch nicht eingeleitet waren, darauf festgelegt haben, das Verwaltungsverfahren mit dem Ergebnis zu führen, dass die Kündigung des SPA kartellrechtswidrig war und M. zur Vereinbarung eines neuen SPA mit D. verpflichtet ist.
38Aus den ersten Zeilen des Vermerks ergibt sich, dass das Gespräch nur auf der Grundlage der von D. übersandten – und beigefügten – Informationen stattgefunden hat, nicht aber auch aufgrund einer Stellungnahme der M. oder eigener Ermittlungen des Amts, und dass die Mitglieder der Beschlussabteilung mit den D.-Anwälten und „insbesondere“ dem D.-Vorstand Herrn U.1 in Verbindung standen, nicht aber mit Vertretern von M.. Für eine Vorfestlegung der Mitglieder der Beschlussabteilung spricht insbesondere, dass diese bereits zu einem Zeitpunkt, als die Zuständigkeit des Bundeskartellamts noch nicht geklärt war, und vor Einleitung des Verwaltungsverfahrenes aufgrund einseitiger Informationen seitens D. und ohne Gewährung rechtlichen Gehörs gegenüber M. oder eigene Ermittlungen gegenüber den Vertretern des BMWi erklärt haben, „das Ziel müsse sein“, den durch die Kündigung des SPA entstandenen Zustand „rasch zu beenden“. Der Eindruck der Vorfestlegung wird weiter dadurch gestützt, dass die Mitglieder der Beschlussabteilung zwar eine weitere Sachverhaltsaufklärung für erforderlich gehalten haben, beispielhaft jedoch nur das Verhältnis des SPA zum Interlining-Agreement und damit einen Umstand genannt haben, der den Tatbestand der Behinderung oder die Abwägung zur Unbilligkeit der Behinderung betrifft, während sie die Erforderlichkeit der Aufklärung der Marktabgrenzung und Marktbeherrschung nicht erwähnt haben. Hinzu kommt, dass die Mitglieder der Beschlussabteilung bereits zu diesem frühen Zeitpunkt sowie allein auf der einseitigen Grundlage der Informationen von D. und vor einer Stellungnahme der M. sowie eigener Ermittlungen das mögliche Argument, M. benötige die derzeit von D. genutzten Kapazitäten selbst, „angesichts der uns dargestellten Größenordnung“ mit einiger Wahrscheinlichkeit („wohl“) für nicht tragfähig gehalten haben. Hierdurch entsteht der Eindruck, die Mitglieder der Beschlussabteilung seien von der Richtigkeit der Angaben von D. von vornherein und ohne Vorbehalt einer Überprüfung durch Anhörung überzeugt und knüpften bereits eine Bewertung hieran. Für Voreingenommenheit spricht ferner, dass den Mitgliedern der Beschlussabteilung das Grundproblem von D., am Flughafen … keine weiteren Slots bekommen zu können, bekannt war, sie aber einen Zusammenhang zwischen der Kündigung des SPA durch M. und einer Behinderung der D. deshalb nicht in Frage gestellt, sondern gleichwohl die rasche Beendigung des durch die Kündigung des SPA entstandenen Zustands als Ziel benannt haben.
39Von unvoreingenommenen und unparteiischen Mitgliedern einer Beschlussabteilung des Bundeskartellamts wäre demgegenüber zu erwarten gewesen, dass diese zu einem derartig frühen Verfahrenszeitpunkt unmittelbar nach der Kündigungserklärung der M. und dem Eingang einer ersten Information von D. und vor Klärung der eigenen Zuständigkeit, Verfahrenseinleitung, Anhörung von M. und Beginn eigener Ermittlungen entweder noch gar keine Telefonkonferenz mit Vertretern des BMWi durchgeführt oder aber sich auf die Mitteilung beschränkt hätten, im Falle ihrer Zuständigkeit seien der Sachverhalt zu ermitteln, die Rechtslage zu prüfen, und das Ergebnis sei derzeit offen.
40(2) Der Vermerk erweckt zudem den Eindruck, die Mitglieder der Beschlussabteilung würden das weitere Verfahren – neben einer eigenen Vorfestlegung – auch nicht unabhängig und frei von politischer Einflussnahme durch das BMWi führen. Die im Gesprächsvermerk wiedergegebenen Erklärungen der Vertreter des BMWi gegenüber den Mitgliedern der Beschlussabteilung lassen sich objektiv dahin verstehen, dass das BMWi bereits politisch mit der SPA-Kündigung befasst war und diese aufgrund der an M. und D. gewährten Corona-Hilfen – und wohl auch aufgrund der Staatsbeteiligung an D. im übrigen - als problematisch ansah, selbst aber mangels entsprechenden Vorbehalts in den Vereinbarungen zu den Corona-Hilfen keine rechtlichen Möglichkeiten gegenüber M. hatte, so dass etwaige Ermittlungen des Bundeskartellamts vor diesem Hintergrund im Interesse des BMWi seien. Nach dieser Darstellung der Interessenlage des BMWi und seiner auf das Politische beschränkten Möglichkeiten wirken der Vorschlag der Vorsitzenden der 9. Beschlussabteilung, „gegenüber M. eine zweigleisige Strategie zu fahren“, der vom Vertreter des BMWi aufgegriffen wurde, und die Vereinbarung, „sich gegenseitig über die weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten“, für einen Verfahrensbeteiligten wie M. objektiv wie eine Art Verabredung mit dem Inhalt, das BMWi solle auf politischer Ebene und die Beschlussabteilung werde – auch im Interesse des BMWi - kartellrechtlich gegen M. vorgehen, um diese zu einem Neuabschluss eines SPA mit D. zu veranlassen. Ohne dass es für den Anschein der Befangenheit auf die nachträgliche Deutung des Begriffs der „zweigleisigen Strategie“ durch das Amt in seinen Schriftsätzen im vorliegenden Antragsverfahren ankommt, vermag diese auch nicht zu überzeugen. Das Verständnis des Amts, hiermit habe ausgesagt werden sollen, dass das Amt keine Grundlage dafür sehe, dem BMWi den Vortritt zu lassen, findet in dem Inhalt des Gesprächsvermerks keine Stütze, denn das BMWi hat keinen Vortritt für sich reklamiert, sondern umgekehrt erklärt, es habe keine rechtliche Handhabe gegen M., weshalb kartellrechtliche Ermittlungen des Amts in seinem Interesse seien. Auch die weitere Deutung des Amts, die Vorsitzende der Beschlussabteilung habe mit der „zweigleisigen Strategie“ gemeint, „dass dann am besten jeder in seinem eigenen Aufgabenbereich tätig werde, statt jeweils auf den anderen zu hoffen“, lässt sich dem Gesprächsvermerk nicht mit der eine Besorgnis der Befangenheit ausschließenden Sicherheit entnehmen.
41cc) Die weitere Verfahrensführung stützt in der Gesamtschau den Eindruck, dass die Mitglieder der Beschlussabteilung das vorliegende Verwaltungsverfahren nicht unvoreingenommen und nicht frei von politischer Einflussnahme durch das BMWi geführt haben.
42(1) Die Mitglieder der Beschlussabteilung haben den oben zitierten Gesprächsvermerk vom 18. Dezember 2020 zu einer Beiakte mit dem Az. B9–1/20-53 genommen. Nach Darstellung des Amts handelt es sich dabei um die Endfassung des Gesprächsvermerks. Nach Einleitung des vorliegenden Verwaltungsverfahrens am 21. Januar 2021 beantragte M. erstmals mit Schreiben vom 12. März 2021 Akteneinsicht. Im Rahmen der darauf bewilligten Akteneinsicht gewährten die Mitglieder der Beschlussabteilung M. Einsicht in folgende, von der oben zitierten Endfassung abweichende Version des Gesprächsvermerks vom 18. Dezember 2020, die einige Passagen der oben zitierten Endfassung nicht enthält (diese sind im Folgenden eingeklammert und durchgestrichen), die zusätzliche Passagen enthält (diese sind im Folgenden unterstrichen) und die in Teilen geschwärzt ist (im Folgenden geschwärzt). M. hat diese Version im vorliegenden Antragsverfahren als Anlage DLH 12 zu ihrem Schriftsatz vom 20. September 2022 vorgelegt.
43„Die Telefonkonferenz wurde auf Anregung von B9 geführt und diente dem gegenseitigen Austausch [vor dem Hintergrund des Informationspapiers] zur Kündigung des Special Prorate Agreement (SPA) mit D. durch M. [(hier als Anlage beigefügt)].
44Frau L. informierte die Vertreter des BMWi, dass sich D. in dieser Sache an die EU-Kom gewandt habe. Die B9 stehe auch in Kontakt mit den D.-Anwälten und [insbesondere] mit Herrn U.1. Dieser habe über seine Gespräche im politischen Raum berichtet, darunter auch mit dem BMWi. Am kommenden Dienstag gebe es eine Telefonkonferenz zwischen B9 und EU-KOM, die möglicherweise das Amt für die Angelegenheit gewinnen wolle. Die Abteilung habe über ein solches Szenario noch nicht beraten. Falls der Fall auf das Amt zulaufe, sei ein kartellrechtlich relevanter Vorgang jedenfalls nicht von vornherein zu verneinen. Es gehe nicht darum, dass M. auf den Langstrecken in Wettbewerb zu D. getreten sei, sondern um eine mögliche Abschottung der D. von Zubringerflügen der M. und dadurch eine mögliche Verdrängung von D. von der Langstrecke. Der Sachverhalt müsse noch weiter aufgeklärt werden, wie z.B. das Verhältnis des SPA zum Interlining-Agreement. Das mögliche Argument der M., man benötige die derzeit von D. genutzten Kapazitäten selbst, [sei] wäre angesichts der uns dargestellten Größenordnung von Umsteigepassagieren [wohl nicht tragfähig] zu überprüfen. Die B9 müsse nach dem Telefonat mit der EU-KOM ggf. schnell entscheiden, denn seit der Kündigung seien die D.-flüge im Sommer 2021 - so der Vortrag von D. - nicht mehr gemeinsam mit den Zubringerflügen der M. buchbar[, und das Ziel müsse sein, diesen Zustand rasch zu beenden]. Auch von den Reiseveranstaltern seien – so D. - Bedenken gegen die SPA-Kündigung zu hören gewesen. [Eine einstweilige Anordnung des Amtes könne] Sollten die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung des Amtes tatsächlich vorliegen, könne diese nur auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts erfolgen und brauche angesichts der noch benötigten Informationen Zeit bis mindestens [Februar 2021] Februar/März 2021. [Auch nach einem möglichen Eingreifen werde das Grundproblem von D. bestehen bleiben, denn es gebe am Flughafen … keine Slots. Die Beihilfe-Entscheidung der EU-KOM helfe hier nicht. Sie sehe eine Slotabgabe nur zu Gunsten von Newcomern vor.]
45Herr L.1 bedankte sich für die Information, die er als extrem hilfreich einschätzte. Man werde die Hausleitung des BMWi entsprechend informieren. Herr Sawatzki bestätigte die Aktivitäten von Herrn Teckentrup im politischen Raum und meinte auch, die BMWi-Leitung sei mit dem Thema befasst. StS Nußbaum habe das Thema bereits bei der Lufthansa angesprochen und deutlich gemacht, dass man in Bezug auf die SPA-Kündigung Erklärungsbedarf sehe. Dabei gebe es die Problematik, dass der Bund Lufthansa und Condor jeweils mit Corona-Hilfen des Bundes unterstütze, dies aber mit der Aussage verbunden habe, dies diene der finanziellen Stabilisierung, nicht aber der Einmischung in das operative Geschäft. Gleichwohl habe der Bund ein Interesse, dass sich die unterstützen Unternehmen nicht gegenseitig kannibalisierten. Insoweit gebe es eine gewisse Sorge. Etwaige Ermittlungen des Bundeskartellamts seien vor diesem Hintergrund im Interesse von StS Nußbaum. Auf die Frage von Herrn Hauß, wie sich die Lufthansa StS Nußbaum gegenüber eingelassen habe, erläuterte Herr Sawatzki, dass es um ein laufendes Verfahren und ein politisches Gesamtpaket gehe, wie z.B. ein Konjunkturpaket für die Luftfahrt. Lufthansa sei ein bekannt schwieriger Ansprechpartner.
46[Der Vorschlag von Frau L., gegenüber der M. eine zweigleisige Strategie zu fahren, wurde von Herrn L.1 aufgegriffen. Er wolle dies an StS O. herantragen.] Abschließend wurde vereinbart, sich gegenseitig über die weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten.“
47In dieser der M. im Rahmen der Akteneinsicht zugänglich gemachte Version des Gesprächsvermerks fehlen zu Beginn alle Formulierungen, die darauf hinweisen, dass das Gespräch und sein Inhalt allein auf der Grundlage der von D. erteilten Informationen zustande gekommen ist und dass die Beschlussabteilung „insbesondere“ mit dem D.-Vorstand Herrn U.1 in Kontakt stand. Im Folgenden fehlen des weiteren alle Hinweise auf eine Vorfestlegung der Mitglieder der Beschlussabteilung, indem etwa eine Ergebnisoffenheit und ein größerer Prüfbedarf durch das Amt dargestellt wird („kartellrechtlich relevanter Vorgang jedenfalls nicht von vornherein zu verneinen“, „wäre … zu überprüfen“), indem im Original als sicher wiedergegebene Tatsachenschilderungen der Beschlussabteilung als solche von D. dargestellt werden („so der Vortrag von D.“, „so D.“), indem die Formulierung, „das Ziel müsse sein, diesen Zustand rasch zu beenden“, fehlt, indem offener formuliert wird, ob die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung vorliegen, ein längerer Prüfungszeitraum bis März 2021 in Aussicht gestellt wird und die Passage über das Grundproblem D.s mit fehlenden Slots nicht vorhanden ist. Ferner fehlen infolge Schwärzung oder Nichtvorhandensein alle Hinweise auf das Interesse des BMWi an einem Vorgehen gegen M. und der Vorschlag der Vorsitzenden der Beschlussabteilung zu einer „zweigleisigen Strategie“ nebst Reaktion des BMWi.
48Es begründet erst Recht die Besorgnis der Befangenheit gegenüber den Mitgliedern der Beschlussabteilung, dass diese der M. im Rahmen der Akteneinsicht eine Version des Gesprächsvermerks zugänglich gemacht haben, die die Formulierungen, aus denen sich die Besorgnis der Befangenheit ergibt, nicht enthält. Hierfür kommt es auch nicht darauf an, ob die Beschlussabteilung der M. Einsicht in eine zum Zwecke der Akteneinsicht nachträglich veränderte Version des Vermerks gewährt hat, wie M. behauptet, oder ob es sich um eine Vorversion des Vermerks handelt, wie das Amt geltend macht. Entscheidend ist, dass für einen vernünftig und besonnen denkenden Beteiligten unter den gegebenen Umständen die Besorgnis nicht auszuschließen ist, ihm sei die Endfassung des Vermerks bewusst vorenthalten worden. So liegt es hier, zumal das Amt nach seinem Vortrag im Schriftsatz vom 13. Oktober 2023 (dort S. 119) nicht mehr aufklären kann, warum M. Einsicht in die Vorversion gewährt worden sei, da doch die Endfassung ausweislich der handschriftlichen Datierung auf S. 3 des Gesprächsvermerks bereits am 18. Dezember 2020 fertiggestellt gewesen sei.
49Hinzu kommt, dass M. im Verwaltungsverfahren mehrfach, zuerst am 12. März 2021, Akteneinsicht in sämtliche Akten beantragt hat, „die mit dem Gegenstand des Verfahrens in Zusammenhang stehen“, dass die Beschlussabteilung aber im Zusammenhang mit der Akteneinsichtsgewährung gegenüber M. im März 2021, bei der dieser auch die zuletzt zitierte Version des Gesprächsvermerks vom 18. Dezember 2020 zugänglich gemacht wurde, die Existenz der Beiakte, in der sich die zuerst zitierte Endfassung des Gesprächsvermerks befindet, nicht offengelegt hat und mit Schreiben vom 15. Juli 2022 an M. formuliert hat:
50„… erschließt sich der Beschlussabteilung zunächst nicht, welche weiteren Akten Sie als ‚mit dem Gegenstand des Verfahrens in Zusammenhang stehen(d)‘ sehen könnten. Ich kann die Umstände, die Sie zu der Annahme veranlassen, die Beschlussabteilung führe sonstige mit dem Verfahrensgegenstand verbundene Akten, von denen Sie nichts wissen, nicht nachvollziehen. Derartige ‚Nebenakten‘ gibt es nicht.“
51Diese Vorgehensweise lässt den Eindruck entstehen, die Beschlussabteilung habe die Endfassung des Gesprächsvermerks, aus der sich die Gründe für die Besorgnis der Befangenheit ergeben, M. bewusst nicht zugänglich gemacht, um M. keine Gelegenheit zu geben, von diesen Gründen Kenntnis zu nehmen. Hierfür kommt es nicht darauf an, dass das oben zitierte Schreiben der Beschlussabteilung vom 15. Juli 2022 die Antwort auf den zuvor zuletzt gestellten Akteneinsichtsantrag von M. vom 13. Juli 2022 war und ob M. diesen allein wegen der Übersendung eines geänderten Entwurfs für den Entscheidungstenor durch das Amt gestellt hat. Tatsächlich hat das Amt erst im vorliegenden Antragsverfahren mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2022 (dort S. 4, GA 848) die Existenz der genannten Beiakte erwähnt, später diese auf Anforderung des Senats vorgelegt und der Einsichtnahme durch M. in eine bereinigte Fassung – und damit auch in die ungeschwärzte Endfassung des Gesprächsvermerks vom 18. Dezember 2020 – zugestimmt. Soweit das Amt im Schriftsatz vom 20. Dezember 2022 (dort S. 4, GA 848) vorträgt, es habe bislang keinem Beteiligten Einsicht in die Beiakte gewährt, und im Rahmen der Akteneinsichtsgewährung im Verwaltungsverfahren sei M. nur infolge eines Büroversehens Einsicht in den Gesprächsvermerk vom 18. Dezember 2020 – sowie in zwei weitere Gesprächsvermerke aus der Beiakte – gewährt worden, vermag dies den Eindruck, M. habe von den Umständen, die die Besorgnis der Befangenheit begründen, keine Kenntnis erlangen sollen, nicht zu entkräften. Denn träfe der Vortrag zu, hätte M. in den Gesprächsvermerk in keiner der vorhandenen Versionen Einsicht erhalten sollen, was den Eindruck stützt, die Beschlussabteilung habe M. die Gründe für die Besorgnis der Befangenheit ihrer Mitglieder vorenthalten wollen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das Amt im vorliegenden Antragsverfahren noch nach Einräumung der Existenz der Beiakte, aber vor der Übersendung von deren bereinigter Fassung in seinem Schriftsatz vom 7. März 2023 (dort S. 18, GA 934; S. 25, GA 941) aus der der M. im Verwaltungsverfahren zugänglich gemachten unbedenklicheren Version des Gesprächsvermerks vom 18. Dezember 2020 zitiert, dabei aber auf die Fundstelle der Endfassung dieses Vermerks in der Beiakte verweist und mithin den Eindruck aufrechterhält, es existiere nur die der M. bereits zugänglich gemachte Version des Gesprächsvermerks und die in der Beiakte enthaltene Fassung sei damit identisch. Nicht überzeugend ist die Begründung des Amts, man habe dem Senat mit der Angabe der Fundstelle das Auffinden des Vermerks in der Beiakte erleichtern wollen; dies erklärt nicht, warum dann nicht auch aus der eigens herausgesuchten Fundstelle zitiert wird.
52Das Vorbringen des Amts im vorliegenden Antragsverfahren, es habe sich in seinem Verfahren und in seiner Entscheidung ausschließlich auf Informationen gestützt, die es ab dem Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde und der anschließenden Einleitung des eigenen Verfahrens B9-21/21 erhalten habe und die dort veraktet wurden, vermag die Besorgnis der Befangenheit nicht auszuräumen. Zweifel an diesem Vorbringen bestehen schon deshalb, weil das Amt M. Akteneinsicht in den Gesprächsvermerk vom 18. Dezember 2020 und zwei weitere Dokumente aus der Beiakte gewährt und nach seinem Vortrag im Schriftsatz vom 13. Oktober 2023 (dort S. 116) offenbar ohnehin keine unterschiedlichen Akten, sondern lediglich einzelne elektronische Dokumente geführt hat. Aus der Sicht eines vernünftigen und besonnenen Verfahrensbeteiligten ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass die in der Endfassung des Gesprächsvermerks vom 18. Dezember 2020 zum Ausdruck kommende Vorfestlegung bei der Führung und Entscheidung des Verwaltungsverfahrens eine Rolle gespielt hat.
53(2) Die weitere Verfahrensführung stützt auch den durch den oben zitierten Gesprächsvermerk vom 18. Dezember 2020 begründeten Eindruck, dass die Mitglieder der Beschlussabteilung das Verfahren nicht unbeeinflusst von den politischen Interessen des BMWi geführt haben. Es steht nämlich durchaus in Einklang mit der darin vorgeschlagenen „zweigleisigen Strategie“, dass die Bundesregierung - wie die Mitglieder der Beschlussabteilung von M. wussten – M. eindringlich gebeten hatte, D. bis zum Ende der Wintersaison 2021/2022 und damit bis zum möglichen Ende des Verfahrens in der Hauptsache Buchungen nach dem SPA zu ermöglichen, und dass die Mitarbeiter des BMWi sich laut der Verfahrensakte zwischen Januar 2021 und Februar 2022 insgesamt 20mal per Email oder Telefon beim Bundeskartellamt über den Stand des Verfahrens erkundigten (Anlage DLH 35 zur Antragsbegründung vom 22. November 2022) und dabei wiederholt auf die Eilbedürftigkeit des Verfahrens und die Bedeutung der Beendigung des SPA für die Gewährung weiterer Tranchen der Kfw-Darlehen an D. hinwiesen (etwa Email vom 15. Januar 2021: „Aufgrund seiner Schadensminderungspflicht ist der Bund vor der Freigabe allerdings verpflichtet zu prüfen, ob eine weitere Auszahlung haushaltsrechtlich vertretbar ist. … Die Kündigung des SPA-Abkommens durch die M. könnte jedoch geeignet sein, … Ohne diese Zubringerflüge wäre die Kreditnehmerin nach eigenen Aussagen nicht in der Lage weiterhin Interkontinentalflüge anzubieten …“; Email vom 24. März 2021 über ein Gespräch vom Vortag: „BMWi hat eine Prüfungspflicht, ob der Empfänger noch die Voraussetzungen für die Leistung erfüllt … . Sie waren daher insbesondere an einer Zeitperspektive für ein Verfahren des Amtes interessiert.“). Häufigkeit und Inhalt dieser Kontakte lassen es aus Sicht eines vernünftig und besonnen denkenden Beteiligten angesichts der von der Vorsitzenden der Beschlussabteilung am 18. Dezember 2020 selbst vorgeschlagenen „zweigleisigen Strategie“ mit vereinbarter gegenseitiger Information nicht ausgeschlossen erscheinen, die Mitglieder der Beschlussabteilung hätten bei ihrer Entscheidung auch die fiskalischen Interessen des BMWi berücksichtigt. Unter den gegebenen Umständen trägt auch die Tatsache, dass Mitglieder der Beschlussabteilung laut Gesprächsvermerk vom 8. März 2021 – der nach dem Vorbringen des Amts fehldatiert sein und tatsächlich vom 10. Dezember 2020 stammen soll – und Email vom 10. Dezember 2020 schon vor Verfahrensbeginn in ihrer externen Korrespondenz nicht nur mit den Verfahrensbevollmächtigten von D., sondern auch mit dem Vorstand von D. Herrn U.1 selbst das BMWi als „Mutterbehörde“ und „Mutterhaus“ bezeichnet haben (Anlage DLH 35.7 zur Antragsbegründung vom 22. November 2022; Bl. 86 der Beiakte B9–1/20-53), für einen anderen Verfahrensbeteiligten wie M. objektiv zur Besorgnis eines mit der in § 51 GWB verankerten Selbständigkeit des Bundeskartellamts und Unabhängigkeit der Beschlussabteilung nicht vereinbaren Näheverhältnisses bei. Diese Bezeichnungen erwecken objektiv den Eindruck, dass das Amt möglicherweise sich mit den fiskalischen Partikularinteressen des BMWi, wie sie sowohl im Gesprächsvermerk vom 18. Dezember 2020 als auch in den Emails und Telefonkontakten später zum Ausdruck kommen, identifizieren und diese in die Entscheidung einfließen lassen könnte.
54c) Die aus der Besorgnis der Befangenheit resultierende Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsverfahrens der 9. Beschlussabteilung ist nicht ausnahmsweise nach § 46 VwVfG unbeachtlich.
55aa) Nach der genannten Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Von Bedeutung ist daher, ob auch dann, wenn der Amtswalter, gegen den die Besorgnis der Befangenheit besteht, am Verfahren nicht mitgewirkt hätte, keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Der Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensmangel und Entscheidung ist gegeben, wenn im Einzelfall die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensmangel die angegriffene Entscheidung anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG 18.12.1987 – 4 C 9/86, juris Rn. 40; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Auflage 2023, § 21 Rn. 26). Dies ist hier der Fall.
56bb) Bei der vorliegenden Abstellungsverfügung nach § 32 Abs. 1 und 2 GWB handelt es sich nicht um eine gebundene Verwaltungsentscheidung, bei der eine andere als die getroffene Entscheidung rechtlich nicht zulässig gewesen wäre, sondern um eine Ermessensentscheidung. Die genannte Vorschrift räumt der Kartellbehörde sowohl ein Aufgreifermessen dahin ein, ob sie bei einer kartellrechtlichen Zuwiderhandlung überhaupt tätig wird, als auch ein Auswahlermessen im Hinblick auf die dem betroffenen Unternehmen aufzuerlegenden Abhilfemaßnahmen, so dass die angefochtene Entscheidung nicht schon aus Rechtsgründen alternativlos war. Auch bei Ermessensentscheidungen kann die Kausalität des Verfahrensfehlers fehlen, wofür aber offensichtlich sein muss, dass die Behörde bei Vermeidung des Verfahrensfehlers dieselbe Entscheidung getroffen hätte (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Auflage 2023, § 46 Rn. 73 ff.). Der Senat müsste dazu aufgrund einer hypothetischen Beurteilung zweifelsfrei und ohne jede Spekulation davon ausgehen können, dass die Entscheidung ohne den Verfahrensfehler genauso ausgefallen wäre (vgl. BVerwG. 09.05.2019 – 2 C 1/18, juris Rn. 72). Eine solche unzweifelhafte Feststellung des Behördenwillens ist vorliegend nicht möglich. Vielmehr besteht ohne weiteres die konkrete Möglichkeit, dass das Amt ohne den Verfahrensfehler zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Dies reicht aus, zumal § 46 VwVfG im Grundsatz von der Relevanz des Fehlers ausgeht und nur dann zu dessen Unbeachtlichkeit führt, wenn offenkundig ist, dass der Fehler im Entscheidungsprozess der Behörde keine Rolle gespielt hat; bleiben Zweifel, ist die Vorschrift des § 46 VwVfG nicht anwendbar. Schon eine denkbare Alternative oder gar die Möglichkeit eines Nichterlasses des Verwaltungsakts schließen die Anwendung von § 46 VwVfG aus (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 46 Rn. 27).
573. Auch aus materiell-rechtlichen Gründen bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung. Ernstlichen Zweifeln begegnet bereits die Feststellung der Normadressateneigenschaft von M. i.S.v. Art. 102 AEUV, §§ 19, 20 GWB, und zwar sowohl im Hinblick auf die Marktabgrenzung als auch bezüglich der Marktbeherrschung gemäß Art. 102 AEUV, § 18 Abs. 1 GWB und der unternehmensbedingten Abhängigkeit i.S.d. § 20 Abs. 1 GWB (dazu nachfolgend unter a)). Ernstlichen Zweifeln begegnet darüber hinaus, dass M. durch die im Tenor zu Ziff. I. 1. bis 4. der angefochtenen Verfügung festgestellten Verhaltensweisen im Hinblick auf die mit D. geschlossenen Vereinbarungen zu Zubringerflügen gegen das Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV, §§ 18, 19, 20 GWB verstoßen habe und deshalb zu den vom Amt unter Ziff. II. und III. des Tenors der Verfügung angeordneten Maßnahmen verpflichtet ist (dazu nachfolgend unter b)). Deshalb bedarf es auch nicht der vom Amt unter Ziff. II.5. und II.6. des Tenors der angefochtenen Verfügung angeordneten Übergangsregelungen (dazu nachfolgend unter c)).
58a) Die Feststellung des Amts, M. sei Normadressatin des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots aus Art. 102 AEUV, §§ 19, 20 GWB, begegnet ersthaften Rechtmäßigkeitsbedenken. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Marktabgrenzung (dazu nachfolgend unter aa)) als auch bezüglich der Marktbeherrschung i.S.v. Art. 102 AEUV, § 18 Abs. 1 GWB (dazu nachfolgend unter bb)) und der unternehmensbedingten Abhängigkeit gemäß § 20 Abs. 1 GWB (dazu nachfolgend unter cc)).
59aa) An der sachlichen und räumlichen Marktabgrenzung des Amts bestehen erhebliche Rechtmäßigkeitszweifel, weil die relevanten Märkte grundsätzlich nicht flugnetzbezogen, sondern streckenbezogen abzugrenzen sind.
60(1) Das Amt ist in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis gelangt, dass M. Normadressatin des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots aus Art. 102 AEUV, §§ 19, 20 GWB sei, weil sie marktbeherrschend i.S.v. Art. 102 AEUV, § 18 Abs. 1 GWB sei und weil D. außerdem von M. abhängig i.S.v. 20 Abs. 1 GWB sei. Sachlich und räumlich relevanter Markt sei der Markt für Zubringerflüge mit Durchgangsticket, der ein mindestens europaweites Netz an Flugstrecken umfasse, die jeweils einen Endpunkt an einem europäischen Flughafen und den anderen Endpunkt an zumindest den Drehkreuzflughäfen von D. …, … oder … haben, und alle Fluganbieter aus dem EWR und der Schweiz umfasse. Europäische Flughäfen seien alle Flughäfen im EWR einschließlich Albanien, Belarus, Bosnien-Herzegowina, Moldau, Montenegro, Russische Föderation, Serbien, Türkei, Ukraine und Vereinigtes Königreich. Mit dem Begriff der Zubringerflüge sei sowohl die Beförderung von Passagieren auf der Hinreise vom Ausgangspunkt der Reise zum Umsteigeflughafen sowie ihre Beförderung auf der Rückreise vom Umsteigeflughafen zurück zum Ausgangspunkt der Reise gemeint, für die zusammen mit dem Langstreckenflug ein einheitliches Ticket für die Gesamtreise (Durchgangsticket) ausgestellt wird, so dass der Passagier sein Gepäck vom Abflug- zum Zielflughafen durchchecken kann, bereits am ersten Abflughafen seine Bordkarten für die Gesamtreise bekommt und im Fall von Verspätung und Ausfall eines Fluges eine nicht abdingbare gesetzlich geschützte Weiterbeförderungsgarantie hat.
61Nach den Feststellungen des Amts bietet D. Individualreisenden, Reiseveranstaltern und Kreuzfahrtunternehmen Langstreckenflüge insbesondere zu touristischen Zielen ab … sowie in geringerem Umfang ab … und … an. Dabei buchten Reiseveranstalter und Kreuzfahrtanbieter in der Regel jeweils für eine ganze Flugsaison in bestimmtem Umfang Sitzplätze bei D.. D. habe daher den Bedarf, Reisende aus ganz Europa mit nahtlosen Umsteigeverbindungen zu diesen Flughäfen befördern zu lassen. Da D. selbst keine innerdeutschen Flugverbindungen und auch keine Zubringerverbindungen aus anderen Regionen Europas unterhalte, frage sie bei anderen Fluggesellschaften die Möglichkeit nach, deren Flüge mit ihren eigenen Langstreckenflügen über ein Durchgangsticket zu kombinieren. Dabei richte sich die Nachfrage auf ein ganzes Netz aus Flugstrecken zu den deutschen Hubs von D. und nicht auf einzelne Flugstrecken. Ein solches Netz an Zubringerflügen sei nicht durch Bahnfahrten zum Abflughafen des eigenen Langstreckenflugs austauschbar, weil die in einer Entfernung von etwa 200 bis 300 Straßenkilometer vom Abflughafen des Langstreckenflugs oder noch weiter entfernt wohnenden Passagiere Zubringerflüge und nicht die Eisenbahn zum Flughafen nutzten. Dabei hätten in den einzelnen Saisons von Winter 2018/2019 bis Winter 2020/2021 jeweils zwischen 20% und 40% der D.-Langstreckenpassagiere Umsteigeflugverbindungen genutzt. Die Zahl der Passagiere, die von den M.-Partnern auf der Grundlage des SPA mit Durchgangsticket zu D.-Langstreckenflügen befördert wurden, habe in den Wintersaisons 2018/2019, 2019/2020 und 2020/2021 jeweils einen Anteil von über 80% der Umsteigepassagiere ausgemacht, in den Sommersaisons 2019 und 2021 jeweils über 75%. Dabei seien in den Saisons Winter 2018/2019 und Sommer 2019 rund 35% aller mit M.-Zubringerflügen beförderten D.-Langstreckenpassagiere aus Deutschland gekommen, insgesamt rund 25% aus Österreich, der Schweiz und Belgien, weitere rund 35% aus 20 weiteren EU-Ländern, darunter insbesondere Italien, Frankreich, Spanien und den Niederlanden und weitere rund 3% aus europäischen Ländern außerhalb der EU (Vereinigtes Königreich, Norwegen, Serbien). Langstreckenpassagiere, die 200 bis 300 km und mehr vom Langstreckenflughafen entfernt wohnten, könnten auch mit einem Busangebot nicht erreicht werden. Die Anreise mit dem motorisierten Individualverkehr gehöre nicht zum relevanten Markt. Dasselbe gelte für Flüge mit separatem Ticket, die für die Kunden von D. im Hinblick auf Komfort und Sicherheit nicht als Alternative zu Durchgangstickets in Betracht kämen.
62(2) An dieser sachlichen und räumlichen Abgrenzung eines Netzmarktes bestehen ernstliche Rechtmäßigkeitszweifel, weil die relevanten Märkte grundsätzlich streckenbezogen abzugrenzen sind.
63(a) Ziel der – sachlichen und räumlichen – Marktabgrenzung ist es, diejenigen Wettbewerbskräfte zu ermitteln, denen das zur Beurteilung stehende Unternehmen ausgesetzt ist. Ausgangspunkt für die Marktabgrenzung ist das Bedarfsmarktkonzept. Danach gehören zu einem Markt alle Waren oder gewerblichen Leistungen, die sich aus Sicht der Marktgegenseite nach ihren Eigenschaften, ihrem wirtschaftlichen Verwendungszweck und ihrer Preislage so nahestehen, dass sie als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs gleichermaßen geeignet betrachtet und funktional als gegeneinander austauschbar angesehen werden (vgl. BGH 23.06.2020 – KVR 69/19, juris Rn. 23 – Facebook I; BGH 08.10.2019 – KZR 73/17, juris Rn. 23 – Werbeblocker III). Beim Angebotsmarkt ist maßgebliche Marktgegenseite der jeweilige Nachfrager der betreffenden Ware oder Leistung, wobei die funktionale Austauschbarkeit nach objektivem Maßstab (vgl. BGH 05.10.2004 – KVR 14/03, juris Rn. 18 – Staubsaugerbeutelmarkt) und nach der Beurteilung des überwiegenden Teils der Abnehmer (vgl. BGH 16.01.2008 – KVR 26/07, juris Rn. 57 – Kreiskrankenhaus Bad Neustadt) zu bewerten ist. Abweichende Präferenzen Einzelner oder kleiner Nachfragegruppen bleiben als Randungenauigkeit ebenso außer Betracht wie Sortimentsüberschneidungen im Randbereich (vgl. Senat 05.12.2018 – VI-Kart 3/18 (V), juris Rn. 35 – Ticketvertrieb I; Senat 23.08.2017 – VI-Kart 5/16 (V), juris Rn. 58 – Fusionsuntersagung EDEKA/Tengelmann). Zu berücksichtigen ist auch eine etwaige Angebotsumstellungsflexibilität, wenn die Anbieter ähnlicher Produkte und Dienstleistungen bereit und in der Lage sind, ihr Leistungsangebot kurzfristig und mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand umzustellen (vgl. BGH 23.06.2020 – KVR 69/19, juris Rn. 26 – Facebook I).
64Bei der Prüfung einer marktbeherrschenden Stellung auf einem Angebotsmarkt ist regelmäßig das Geschäftsmodell der Marktgegenseite und die sich daraus ergebende Nachfrage als gegeben hinzunehmen (vgl. BGH 08.10.2019 – KZR 73/17, juris Rn. 29 – Werbeblocker III). Geht es um die Nachfrage nach Vorleistungen, so ist auf die Verhältnisse auf diesem dem Endkundenmarkt vorgelagerten Markt abzustellen, auf dem sich die Nachfrager und Anbieter der Vorleistungen gegenüberstehen. Die Verhältnisse auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt können aber Auswirkung auf die Abgrenzung des vorgelagerten Vorleistungsmarkts haben. Hat der Nachfrager der Vorleistung keine wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit, ohne die begehrte Vorleistung auf dem nachgelagerten Markt tätig zu werden, so beschränkt sich der relevante Markt auf diese Vorleistung. Sind verschiedene Vorleistungen gegeneinander austauschbar, gehören sie alle zum relevanten Vorleistungsmarkt (vgl. zum Ganzen BGH 23.01.2018 – KZR 48/15, juris Rn. 23 – Zulassung als Vertragswerkstatt; BGH 26.01.2016 – KZR 41/14, juris Rn. 22 – Jaguar-Vertragswerkstatt; BGH 30.03.2011 – KZR 6/09, juris Rn. 12 ff. – MAN-Vertragswerkstatt).
65(b) Nach diesen Maßgaben sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die sachliche und räumliche Marktabgrenzung des Amts unzutreffend ist.
66(aa) Keinen Bedenken begegnet nach den obigen Ausführungen allerdings die Annahme des Amts, dass für die Marktabgrenzung von dem Geschäftsmodell D., Langstreckenverbindungen von den Flughäfen …, … und … anzubieten und keine eigenen Zubringerflugverbindungen zu unterhalten, auszugehen und es daher unerheblich ist, ob D. ihre Langstreckenverbindungen von anderen Flughäfen betreiben oder Zubringerflugverbindungen aufnehmen könnte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Marktabgrenzung grundsätzlich nicht allein mit dem autonomen Verhalten eines einzelnen Marktteilnehmers begründet werden kann (vgl. BGH 06.10.2015 – KZR 87/13, juris Rn. 52 – Porsche-Tuning). Ein solcher Fall könnte etwa dann vorliegen, wenn es branchenunüblich wäre und allein auf einer freiwillig selbst gewählten Spezialisierung beruhte, Langstreckenverbindungen von bestimmten Flughäfen anzubieten und Zubringerflüge anderer Fluggesellschaften nachzufragen. Dies ist aber nicht der Fall, wie die diversen vom Amt wie von M. erwähnten Vereinbarungen über die Verbindung von Flügen mehrerer Fluggesellschaften zeigen.
67(bb) Zutreffend ist auch die Annahme des Amts, dass die individuelle Anreise der D.-Langstreckenpassagiere mit dem Auto nicht zum relevanten Markt zählt, auf dem D. Zubringerverbindungen zu ihren Langstreckenflügen nachfragt, um sie als indirekte Langstreckenverbindung an ihre Endkunden abzusetzen, und es daher nicht darauf ankommt, ob D. mehr Kunden aus dem unmittelbaren Einzugsgebiet des Flughafens … akquirieren könnte. Denn insoweit handelt es sich um einen Nachfrageverzicht, der für die Marktabgrenzung unerheblich ist (vgl. BGH 08.10.2019 – KZR 73/17, juris Rn. 29 – Werbeblocker III). Daher gehören auch alle anderen von den Langstreckenpassagieren der D. selbst organisierten Anreisen – sei es per Bahn, Bus oder individuell gebuchten Flügen - zu den Abflugflughäfen nicht zum relevanten Markt, denn insoweit fragt D. bei anderen Anbietern keine Zubringerverbindung nach, um ihren Kunden einen indirekten Langstreckenflug anzubieten.
68(cc) Ernstlichen Zweifeln begegnet nach den vorgenannten Maßgaben aber die Abgrenzung eines netzbezogenen Marktes für Zubringerflüge; sie widerspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts (EuG) und der Praxis der Europäischen Kommission.
69((1)) Bei netzbezogener Marktabgrenzung bliebe entgegen dem maßgeblichen Bedarfsmarktkonzept unbeachtet, dass die Nachfrage der Endkunden von D., die auch für die Abgrenzung des vorgelagerten Vorleistungsmarkts zu berücksichtigen ist, sich jeweils auf die Strecken von den Ausgangspunkten ihrer Reisen zum Endziel – z.B. von … nach …/USA – richtet (sogenannte Origin & Destination-Verbindung, O&D-Verbindung), mit denen andere Strecken grundsätzlich nicht austauschbar sind. Dies gilt sowohl für die Individualreisenden, die einen Anteil von 40% bis 50% in der Wintersaison und 70% bis 80% in der Sommersaison an den bei D. gekauften Tickets ausmachen, als auch für die Reiseveranstalter und Kreuzfahrtanbieter, die ihren Bedarf wiederum von ihren Endkunden ableiten. Die Nachfrage des Anbieters von Langstreckenflügen nach Zubringerverbindungen richtet sich daher ebenfalls auf bestimmte Strecken, nämlich vom Ausgangspunkt der Reise des Endkunden zum Abflugflughafen des Langstreckenflugs – z.B. von … nach … -, mit denen andere Strecken ebenfalls grundsätzlich nicht austauschbar sind. Es würden bei flugnetzbezogener Marktabgrenzung daher auch Zubringerflugstrecken in den relevanten Markt einbezogen, die D. möglicherweise nicht nachfragt, weil Endkunden sie nicht nutzen, da sie entweder so nah an den Abflughäfen von D. wohnen, dass für einen Zubringerflug kein Bedarf besteht, oder weil sie so weit entfernt davon wohnen, dass sie keine Langstreckenflüge von D. buchen, sondern Langstreckenflüge anderer Fluggesellschaften von näher gelegenen Flughäfen. Es kommt hinzu, dass bei einer flugnetzbezogenen Marktabgrenzung die Wettbewerbskräfte nicht zuverlässig ermittelt werden können, denen M. als Anbieter von Zubringerflügen ausgesetzt ist. Es bliebe nämlich unberücksichtigt, dass auf einzelnen Strecken auch andere Fluggesellschaften, die kein ganzes Flugnetz betreiben, Zubringerflüge anbieten können, die mit denjenigen von M. austauschbar sind, oder dass anstelle von Zubringerflügen Bahn- oder Busfahrten in Betracht kommen, die der Anbieter des Langstreckenflugs durch Kooperation mit Bahn- und Busunternehmen als Teil des indirekten Langstreckenflugs seinen Endkunden anbieten kann, wie es etwa mit den Rail&Fly- oder Express Rail-Angeboten der E. der Fall ist.
70Dementsprechend bildet nach der Rechtsprechung des EuG und der Praxis der Europäischen Kommission jede Kombination eines Ausgangs- und eines Zielorts (O&D-Verbindung) – z.B. von … nach …/USA – einen separaten Markt, dem alle Beförderungsarten angehören, die aus Verbrauchersicht austauschbar sind, um vom Ausgangs- zum Zielort zu gelangen (vgl. EuG 13.05.2015 – T-162/10, juris Rn. 138 ff. m.w.N. – Niki Luftfahrt GmbH/Kommission; Europäische Kommission 05.07.2019 – M.9287 Rn. 48, 107 f. – CONNECT AIRWAYS/FLYBE; Europäische Kommission 14.07.2015 – M.7541 Rn. 14, 113 m.w.N. - IAG/AER LINGUS; Europäische Kommission 27.02.2013 – M.6663 Rn. 49 ff. – RYAN AIR/AER LINGUS III; Europäische Kommission 30.03.2012 – M.6447 Rn. 80 – IAG/BMI). Korrespondierend damit bildet entsprechend der Praxis der Europäischen Kommission im Fall der Nachfrage von Zubringerverbindungen durch den Anbieter eines indirekten Langstreckenflugs auch jede Verbindung zwischen dem Ausgangsort und dem Abflugflughafen des Langstreckenflugs – z.B. … - einen separaten Markt, dem alle Beförderungsarten angehören, die aus Sicht des Anbieters des Langstreckenflugs, für die die Sicht seiner Endkunden von Bedeutung ist, austauschbar sind, um vom Ausgangsort zu diesem Flughafen zu gelangen (vgl. Europäische Kommission 05.07.2019 – M.9287 Rn. 180 ff. – CONNECT AIRWAYS/FLYBE; Europäische Kommission 14.07.2015 – M.7541 Rn. 113 ff. – IAG/AER LINGUS; Europäische Kommission 30.03.2012 – M.6447 Rn. 81 ff. – IAG/BMI). Die Austauschbarkeit von Flügen und landbasierten Transportmitteln hängt von der Beschaffenheit des jeweiligen Marktes ab. In der Entscheidung IAG/BMI hat die Kommission aufgrund einer Marktuntersuchung die Austauschbarkeit von Flügen von Flughäfen innerhalb des Vereinigten Königreichs nach London Heathrow mit Bahnfahrten verneint, weil die zusätzliche Dauer des Transfers von einem Bahnhof in London zum Flughafen London Heathrow zu lang sei, aber darauf hingewiesen, dass auf anderen Märkten eine Austauschbarkeit von Flügen und landbasierten Transportmitteln in Betracht kommt (Europäische Kommission 30.03.2012 – M.6447 Rn. 83 f. – IAG/BMI).
71Warum diese Grundsätze im vorliegenden Fall keine Anwendung finden, wird vom Bundeskartellamt nicht begründet und ist auch sonst nicht ersichtlich; das Amt setzt sich weder in seiner Entscheidung noch in seinen Schriftsätzen im vorliegenden Antragsverfahren mit der Rechtsprechung des EuG und der Praxis der Europäischen Kommission auseinander.
72((2)) Würde der relevante Markt gleichwohl flugnetzbezogen abgegrenzt und auf dieser Grundlage eine marktbeherrschende Stellung von M. angenommen, so würde – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen eines Missbrauchstatbestands – M. zum Abschluss eines auf ihr gesamtes Netz bezogenen SPA verpflichtet, obwohl D. möglicherweise nicht alle dazugehörigen Zubringerstrecken nachfragt oder aber M. nicht auf allen dazugehörigen Zubringerstrecken marktbeherrschend ist oder einen Missbrauchstatbestand erfüllt. Dementsprechend hat auch die Europäische Kommission in ihrer Fusionskontrollentscheidung IAG/AER LINGUS (14.07.2015 – M.7541) eine mögliche Behinderung von Wettbewerbern von IAG auf Langstrecken dadurch, dass IAG diesen den Zugang zu Zubringerflügen von Aer Lingus erschwert, im Hinblick auf bestimmte Verbindungen zwischen bestimmten Flughäfen in Irland und bestimmten Flughäfen auf dem europäischen Festland festgestellt (Rn. 516 f.) und Verpflichtungszusagen für ausreichend erachtet, die sich auf die Vereinbarung von SPAs für diese konkreten Verbindungen beziehen (Rn. 618 ff.).
73((3)) Eine flugnetzbezogene Marktabgrenzung lässt sich entgegen der Auffassung des Amts auch nicht damit rechtfertigen, dass sowohl Interlining-Abkommen als auch SPAs zwischen verschiedenen Fluggesellschaften grundsätzlich nicht streckengebundene, sondern netzbezogene Vereinbarungen sind. Dass Fluggesellschaften sich aufgrund vertraglicher Vereinbarungen zur gegenseitigen Netzerweiterung Zugriff auf ihre gesamten Netze gewähren, ist für die Frage unerheblich, ob sie von der Kartellbehörde im Wege einer missbrauchsaufsichtsrechtlichen Abstellungsverfügung dazu verpflichtet werden können; dies kommt nur in Betracht, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen.
74((4)) Ebensowenig ist eine flugnetzbezogene Marktabgrenzung deshalb geboten, weil D. generell mit Einzelstrecken unterschiedlicher Fluggesellschaften die für nahtlose indirekte Langstreckenflüge erforderliche präzise Verknüpfung zwischen Zubringerflug und Langstreckenflug nicht herstellen könne, da solche Fluggesellschaften nicht auf schnelle Umsteigeprozesse an Drehkreuzflughafen von D. ausgerichtet seien. Dass Zubringerflüge anderer Fluggesellschaften als M. für D. Langstreckenangebot nicht generell ausscheiden, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass nach den Feststellungen des Amts je nach Saison etwa 20% bis 25% der Umsteigepassagiere von anderen Fluggesellschaften als den M.-Partnern zu den Flughäfen von D. gebracht werden. Es ist vielmehr eine Frage der Marktabgrenzung für jede einzelne Zubringerstrecke, ob dort auch andere Fluggesellschaften als M. Zubringerflüge anbieten, mit denen die Langstreckenflüge von D. erreicht werden können und die deshalb aus Sicht von D. – und deren Endkunden – als austauschbar anzusehen sind.
75(dd) Auf der Grundlage der danach voraussichtlich gebotenen streckenbezogenen Marktabgrenzung kann – mangels geeigneter Feststellungen des Amts - nicht festgestellt werden, dass alle Strecken von den europäischen Flughäfen zu den Flughäfen …, … und … zu den vorliegend relevanten Märkten gehören. Es kann auch nicht festgestellt werden, welche bestimmten Strecken von europäischen Flughäfen zu den Flughäfen …, … und … insgesamt zu den hier relevanten Märkten gehören. Deshalb kann auch nicht für alle relevanten Strecken-Märkte im einzelnen festgestellt werden, ob und welche anderen Zubringerleistungen dort in Betracht kommen, die als mit Zubringerflügen von M. austauschbar anzusehen sind und deshalb auch zu diesen Märkten gehören.
76((1)) Sollen die relevanten Märkte alle Flugstrecken zwischen einem europäischen Flughafen und den Flughäfen …, … und … umfassen, so müssten M. von allen europäischen Flughäfen nach …, … und … Flüge anbieten und D. diese nachfragen. Dabei kann unterstellt werden, dass sich die Nachfrage D. weiterhin auf Zubringerflüge von M. nach … und … richtet, obwohl D. von diesen Flughäfen nach den Feststellungen des Amts derzeit keine oder nur wenige Langstreckenflüge durchführt. Die Feststellung, dass M. von allen europäischen Flughäfen Flüge nach …, … und … anbietet und D. diese nachfragt, lässt sich schon deshalb nicht treffen, weil das Amt nicht festgestellt hat, dass D. Flüge aus allen europäischen Ländern nach …, … und … nachfragt. Das Amt hat als Herkunftsländer der von M. während der Geltung der SPAs beförderten D.-Zubringerpassagiere Deutschland, Österreich, Schweiz, Belgien, Italien, Frankreich, Spanien, Niederlande, Vereinigtes Königreich, Norwegen und Serbien benannt, zudem 16 nicht namentlich genannte EU-Länder sowie die Russische Föderation, Belarus und die Ukraine. Dementsprechend richtet sich der Bedarf von D. offenbar nicht auf M.-Zubringerflüge aus vier nicht namentlich genannten EU-Ländern und aus weiteren, der EU nicht angehörigen europäischen Ländern wie Island, Türkei oder aus den weiteren Balkan-Ländern Albanien, Bosnien-Herzegowina, Moldau und Montenegro, weshalb nicht angenommen werden kann, alle Flugstrecken zwischen einem europäischen Flughafen und …, … und … gehörten zu den relevanten Märkten. Dass D. im Falle eines SPAs mit M., das für sie günstigere Konditionen als die bisherigen SPAs enthält, Reisende aus diesen Ländern generieren würde, hat das Amt nicht dargelegt.
77((2)) Für diejenigen Länder, aus denen die von M. beförderten D.-Zubringerpassagiere stammen, benennt das Amt die Flughäfen, von denen M. Flüge nach …, … und … durchführt und D. diese nachfragt, im wesentlichen nicht. Deshalb kann auch nicht insgesamt festgestellt werden, welche bestimmten Flugstrecken zu den relevanten Märkten gehören. Den Ausführungen des Amts zur Marktabgrenzung und Marktbeherrschung in der angefochtenen Entscheidung lässt sich entnehmen, dass M. 153 europäische Destinationen von … bedient, 121 von … und 98 von …, nicht aber im einzelnen, von welchen Ausgangsflughäfen diese Strecken nach …, … und … geflogen werden, und daher auch nicht, in welchem Umfang diese zu den relevanten Märkten gehören, auf denen D. Zubringerflüge nachfragt. Mit Sicherheit lässt sich aufgrund der Ausführungen des Amts nur annehmen, dass M. die innerdeutschen Strecken von …, …, …, …, … …, …, …, … und … nach …, alle Inlandsverbindungen außer von … nach … und die innerdeutschen Strecken von …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, … und … nach … bedient, ebenso Strecken aus dem europäischen Ausland etwa von …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, … und … nach …, von …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, … und … nach …, von …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, … und … nach …. Weitere Ausgangsflughäfen führt das Amt in seiner Entscheidung nicht auf.
78((3)) Mangels entsprechender Ausführungen des Amts lässt sich auch nicht insgesamt feststellen, welche anderen Zubringerleistungen auf den einzelnen Strecken-Märkten aus Nachfragesicht mit den Zubringerflügen von M. austauschbar sind und deshalb zum selben Markt gehören.
79((a)) Nach den Feststellungen des Amts ist davon auszugehen, dass M. alle innerdeutschen Flugverbindungen nach …, … und … als einzige Fluggesellschaft im Linienverkehr bedient, so dass auf diesen Märkten keine alternativen Fluganbieter vertreten sind. Aufgrund der Ermittlungen des Amts ist aber anzunehmen, dass auf Strecken-Märkten, auf denen die Entfernung zwischen einem Abflugflughafen des Zubringerflugs und den Flughäfen …, … und … etwa bis zu 300 Straßenkilometer beträgt, Bahn- oder Busfahrten, die D. durch Kooperation mit der E. oder Busunternehmen ihren Kunden im Rahmen eines indirekten Langstreckenflugs als Zubringer zum Langstreckenflug anbieten kann, mit Zubringerflügen austauschbar sind. So haben bei der Befragung durch das Amt 38% der Reiseveranstalter eine Austauschbarkeit bei einer Entfernung bis zu 200 km und weitere 20% eine Austauschbarkeit bis zu 300 km angegeben. Dies entspricht den Auswertungen von M., nach denen in den Jahren 2019 und 2020 jeweils 90% bis 95% der mit dem Angebot „M. Express Rail“ zum Flughafen … beförderten Passagiere eine Entfernung bis 300 km zurückgelegt haben, aber nur 5% bis 10% eine Entfernung von mehr als 300 km.
80Soweit das Amt zusätzlich auf die Dauer einer Zugfahrt abstellt, kann nicht pauschal angenommen werden, dass Fahrten von längerer Dauer als 60 bis 90 Minuten von den Endkunden nicht mehr als austauschbar mit Flügen angesehen werden. Dies ergibt sich auch nicht aus der Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission; die von dieser angenommene Grenze von 100 km/1 Stunde bezieht sich nicht auf die Austauschbarkeit von Zubringerflügen und landbasierten Transportmitteln, sondern auf die Austauschbarkeit von mehreren Flughäfen am Ausgangsort (oder auch am Zielort) einer Reise untereinander im Hinblick auf die Frage, ob diese zum selben Markt gehören (vgl. Europäische Kommission 05.07.2019 – M.9287 Rn. 61 f. – CONNECT AIRWAYS/FLYBE; Europäische Kommission 27.02.2013 – M.6663, Rn. 82 – RYANAIR/AIR LINGUS III). Maßgebend ist - diese Feststellungen können die Mitglieder des Senats, die zu dem betreffenden Nachfragerkreis gehören, aufgrund eigener Lebenserfahrung selbst treffen (vgl. BGH 16.01.2007 – KVR 12/06, juris Rn. 15 – National Geographic II) – das Verhältnis der Gesamtpreise eines indirekten Langstreckenflugs mit Zubringerflug einerseits und landbasierter Anreise andererseits und weiter, ob eine Bahn- oder Busfahrt vergleichbar lang dauert wie der Zubringerflug zuzüglich einer Zeit von etwa zwei Stunden, die der Reisende sich vor Abflug des Zubringerflugs am Flughafen einzufinden hat. Da alle innerdeutschen Flüge maximal etwa 1,5 Stunden dauern, stellen dementsprechend jedenfalls landbasierte Transporte mit einer Dauer von etwa 3,5 Stunden geeignete Substitute zu Zubringerflügen dar. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass der Bahnreisende zwei Stunden vor Abflug des Langstreckenflugs am Flughafen ankommen muss, während der einen Zubringerflug nutzende Reisende diese Zeit zum Teil einspart, weil er sein Gepäck schon aufgegeben und die Sicherheitskontrollen schon passiert hat. Denn nach der Erfahrung der Mitglieder des Senats haben auch Zubringerflüge oft Verspätung, so dass Reisende sich nicht auf solche Zubringerflüge verlassen können, die relativ kurze Zeit vor dem geplanten Abflug des Langstreckenflugs landen und etwa die vom Flughafen … angegebene Umstiegszeit von 45 Minuten nicht oder unwesentlich überschreiten. Denn bei solchen Flügen besteht die realistische Gefahr, dass der Anschlussflug nicht erreicht oder das Gepäck nicht umgeladen werden kann.
81Landbasierte Transporte sind daher zum einen jedenfalls für die Strecken … und … eine geeignete Alternative. Dies bestätigen die Feststellungen des Amts, nach denen die Flugverbindungen von … und … nach … zusammen in den beiden Saisons Winter 2020/2021 und Sommer 2021 jeweils weniger als 1% aller Zubringerflugpassagiere von D. ausgemacht haben. Auf der Grundlage der oben genannten Maßstäbe kommen nach der Auswertung des Amts in den Tabellen auf S. 144 und 154 seiner Entscheidung landbasierte Zubringerleistungen aber auch auf den innerdeutschen Strecken von …, …, …, …, … und … nach … als Substitute zu Flügen in Betracht. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass auch alle diese Flughäfen jeweils über ein Einzugsgebiet verfügen, aus dem die Reisenden zum Flughafen kommen. Denn dies ändert nichts an dem Ergebnis, dass D.-Passagiere nach den Feststellungen des Amts Zubringerflüge von … und … nach … praktisch nicht nutzen und erklärt sich naheliegend damit, dass Reisende, die ohnehin mit der Bahn zu einem Abflugflughafen eines Zubringerflugs reisen müssten, dort nicht auf einen Zubringerflug umsteigen, sondern mit der Bahn zum Abflugflughafen des Langstreckenflugs weiterfahren, wenn die Weiterfahrt ähnlich lange dauert wie der Zubringerflug zuzüglich der Wartezeit am Flughafen vorher. Diese Erwägungen gelten auch für die anderen genannten Flughäfen. Etwas anderes folgt vorliegend auch nicht aus dem Gesichtspunkt, dass bei der Marktabgrenzung an sich bestehende Bezugsalternativen nicht zu berücksichtigen sind, wenn sie von den Nachfragern – aus welchen Gründen auch immer – tatsächlich nicht oder kaum wahrgenommen werden (vgl. BGH 16.01.2008 – KVR 26/07, juris Rn. 65 – Kreiskrankenhaus Bad Neustadt). Das Amt hat bezüglich der neben … und … oben genannten Strecken nicht mitgeteilt, in welchem Umfang D.-Passagiere dort Zubringerflüge oder Bahnreisen in Anspruch nehmen. Daraus, dass 60% bis 80% der D.-Langstrecken-Passagiere keine Zubringerflüge nutzen, ist zu schließen, dass landbasierte Anreisemittel auf mehreren Strecken nach … geeignete Alternativen sind, die auch tatsächlich wahrgenommen werden. Deshalb stellt es offensichtlich auch keinen Hinderungsgrund dar, dass bei indirekten Langstreckenverbindungen mit landbasiertem Zubringer die Reisenden ihr Gepäck anders als bei Zubringerflügen erst am Abflugflughafen der Langstrecke einchecken. Beförderungsgarantien, wie sie der Anbieter des indirekten Langstreckenflugs mit Durchgangsticket für den Zubringerflug übernimmt oder gesetzlich zu übernehmen verpflichtet ist, können ohne weiteres auch übernommen werden, wenn die Zubringerleistung in einer Bahn- oder Busfahrt besteht.
82Demgegenüber scheiden landbasierte Zubringerleistungen auf den Strecken von … und … nach … angesichts der vom Amt ermittelten Entfernungen und Reisezeiten als geeignete Substitute zu Flügen eher aus. Für die Flughäfen … und … lässt sich mangels entsprechender Ausführungen des Amts nicht feststellen, auf welchen Strecken – außer … – landbasierte Zubringerleistungen als Alternative zu Flügen anzusehen sind.
83((b)) Nach den weiteren Feststellungen des Amts ist M. die einzige Fluggesellschaft, die Flüge von …, …, …, …, …, …, …, …, … und … nach … anbietet. Landbasierte Transportmittel kommen insoweit aufgrund der Ermittlungen des Amts zu Entfernungen und Reisezeiten im wesentlichen für die Strecken von …, … und … nach … als Substitute zu Zubringerflügen in Betracht, von … und … nach … dagegen nicht. Nach den Feststellungen des Amts fliegt M. auch als einzige Fluggesellschaft von …, …, …, …, … und … nach … und von …, …, …, …, … und … nach …. Auch für einige dieser Strecken kommen der Entfernung nach landbasierte Transportmittel als Substitute in Betracht; an entsprechenden Amtsermittlungen dazu fehlt es. Den Feststellungen des Amts zur Marktbeherrschung ist zu entnehmen, dass zahlreiche ausländische Fluggesellschaften von zahlreichen europäischen Flughäfen ebenfalls …, … und … anfliegen. Deren Flüge kommen auf den einzelnen Strecken-Märkten grundsätzlich als Substitut für Zubringerflüge von M. in Betracht. Dabei kann mit dem Amt davon ausgegangen werden, dass nur solche Zubringerflüge in Betracht kommen, für die D. ein Durchgangsticket ausstellen kann, so dass die Reisenden ihr Gepäck nur einmal einchecken müssen, dabei beide Bordkarten und eine Beförderungsgarantie erhalten. Eine Substituierbarkeit der M.-Flüge mit den Flügen anderer Fluggesellschaften scheidet jedenfalls nicht deshalb aus, weil diese Fluggesellschaften keine ganzen Flugnetze nach …, … und … anbieten und dort nicht in die Umsteigelogistik eingebunden seien. Dass Zubringerflüge anderer Fluggesellschaften als M. aus Nachfragesicht grundsätzlich als mit den M.-Flügen austauschbar anzusehen sind, zeigt sich schon darin, dass etwa 20% bis 25% der D.-Langstreckenpassagiere, die Zubringerflüge nutzen, mit anderen Fluggesellschaften als M. fliegen. Entscheidend für die Frage der Austauschbarkeit ist, ob auf einem konkreten Strecken-Markt auch andere Fluggesellschaften Flüge anbieten, mit denen der jeweilige Langstreckenflug von D. in vergleichbarer Weise wie mit einem M.-Flug erreicht werden kann. Dazu hat das Amt keine Feststellungen getroffen.
84bb) Auf der Grundlage der voraussichtlich gebotenen streckenbezogenen Marktabgrenzung kann im wesentlichen nicht festgestellt werden, dass und auf welchen bestimmten Strecken im einzelnen M. marktbeherrschend ist.
85(1) Marktbeherrschend ist ein Unternehmen nach § 18 Abs. 1 GWB, wenn es als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt ohne Wettbewerber ist, keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat. Nach der Definition des Europäi-schen Gerichtshofs ist mit der marktbeherrschenden Stellung die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens gemeint, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu ver-hindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, sei-nen Abnehmern und schließlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennens-werten Umfang unabhängig zu verhalten. Das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung ergibt sich im allgemeinen aus dem Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die jeweils für sich genommen nicht ausschlaggebend sein müssen. Vielmehr muss die Beurteilung der Marktstellung eines Unternehmens auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller gegebenen Umstände erfolgen (vgl. zum Ganzen EuGH 17.02.2011 – C-52/09, juris Rn. 23 – Telia Sonera; EuGH 14.02.1978 – C-27/76, juris Rn. 63/66 – United Brands; BGH, 23.06.2020 – KVR 69/19, juris Rn. 37 – Facebook I; BGH 05.05.2020 – KZR 36/17, juris Rn. 57 – FRAND-Einwand). Bei der Gesamtbetrachtung kommt dem Marktanteil eine besondere Bedeutung zu, wenn er absolut gesehen hoch ist und der Abstand zu den Wettbewerbern beträchtlich ist (vgl. BGH 23.06.2020 – KVR 69/19, juris Rn. 39 – Facebook I; BGH 04.03.2008 – KVR 21/07, juris Rn. 27 – Soda Club II; BGH 16.01.2007 – KVR 12/06, juris Rn. 21 – National Geographic II). Geht es um die Nachfrage nach einer Vorleistung, so reicht es für die Annahme einer beherrschenden Stellung auf dem Vorleistungsmarkt nicht aus, dass ein Anbieter über eine Ressource verfügt, die Voraussetzung für die Erbringung einer marktrelevanten Leistung ist. Erforderlich ist vielmehr, dass es sich um eine Ressource handelt, ohne die der Zugang zu dem nachgelagerten Markt nicht oder jedenfalls nicht sinnvoll möglich ist. (vgl. BGH 30.03.2011 – KZR 6/09, juris Rn. 21 – MAN-Vertragswerkstatt).
86(2) Nach diesen Maßgaben kann eine marktbeherrschende Stellung von M. nur für diejenigen oben genannten Strecken-Märkte festgestellt werden, auf denen sie als einzige Fluggesellschaft Flüge nach …, … und … anbietet und eine Austauschbarkeit von Zubringerflügen mit landbasierten Zubringerdiensten wegen der Entfernung und der Reisedauer ausscheidet. Auf denjenigen Strecken-Märkten, auf denen landbasierte Zubringerdienste mit Flügen austauschbar sind oder auf denen neben M. andere Fluggesellschaften Flüge anbieten, kann eine Marktbeherrschung dagegen nicht festgestellt werden.
87Hierfür genügt es nicht, dass die M.-Gesellschaften nach den Feststellungen des Amts im Jahr 2021 jeweils rund 80% der Zubringerflüge mit Durchgangsticket zwischen … und europäischen Destinationen und zwischen … und europäischen Destinationen und rund 65% der Zubringerflüge mit Durchgangsticket zwischen … und europäischen Destinationen durchgeführt haben. Dabei ist schon unklar, ob das Amt diesen Volumina diejenigen Zubringerflüge zurechnet, die die M.-Gesellschaften für konzerneigene Gesellschaften erbringen. Solche Vorleistungen, die das zu prüfende Unternehmen selbst verwendet („captive sales“), werden aber in das Marktvolumen grundsätzlich nicht einberechnet, weil es insoweit nicht als Anbieter auftritt (vgl. BGH 21.02.1978 – KVR 4/77, juris Rn. 45 – Kfz-Kupplungen). Soweit M. unter Ausschluss von „captive sales“ bei allen Fluggesellschaften einen eigenen Anteil von … % der Zubringerflüge nach … berechnet, trifft diese Berechnung allerdings nicht zu, weil sie nicht auf Basis der indirekt von … abfliegenden Passagiere erfolgt, sondern auf Basis aller indirekt und direkt von … abfliegenden Passagiere zusammen. Tatsächlich kommt es darauf an, ob auf den einzelnen Strecken-Märkten zwischen einem europäischen Flughafen und …, … und …, auf denen M. Zubringerflüge anbietet und D. diese nachfragt, auch andere Fluggesellschaften Flüge anbieten, die D. mit ihren Langstreckenflügen zu indirekten Langstreckenverbindungen mit Durchgangsticket kombinieren kann. Dies scheitert jedenfalls nicht grundsätzlich daran, dass andere Fluggesellschaften kein ganzes Netz an Flügen nach …, … oder … anbieten, sondern es bedarf der Betrachtung jedes einzelnen Strecken-Markts. Hierzu hat das Amt keine geeigneten Feststellungen getroffen.
88cc) Aus denselben Erwägungen lässt sich für diejenigen Strecken-Märkte, auf denen sich eine marktbeherrschende Stellung von M. nicht feststellen lässt, gleichfalls nicht feststellen, dass D. i.S.v. § 20 Abs. 1 GWB in der Weise von M. abhängig ist, dass für D. ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf dritte Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen, und ein deutliches Ungleichgewicht zur Gegenmacht von D. besteht. Das Amt hat auch keine Feststellungen dazu getroffen, dass D. sich bei der Nachfrage nach Zubringerleistungen zu ihren Langstreckenflügen in der Weise durch vertragliche Vereinbarungen oder autonome Bezugskonzentration auf M. spezialisiert habe, dass ihr ein Ausweichen auf andere Anbieter nicht zumutbar wäre (vgl. BGH 06.10.2015 – KZR 87/13, juris Rn. 54 – Porsche-Tuning).
89b) Ernstlichen Zweifeln begegnet darüber hinaus, dass M. durch die im Tenor zu Ziff. I. 1. bis 4. der angefochtenen Verfügung festgestellten Verhaltensweisen im Hinblick auf die mit D. geschlossenen Vereinbarungen zu Zubringerflügen gegen das Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV, §§ 18, 19, 20 GWB verstoßen habe und deshalb zu den vom Amt unter Ziff. II. und III. des Tenors der Verfügung angeordneten Maßnahmen verpflichtet ist. Das Amt geht zwar grundsätzlich vom zutreffenden Prüfungsmaßstab aus (dazu nachfolgend unter aa)). Danach bestehen aber erhebliche Zweifel daran, dass M. durch die Beendigung des SPA und des SPA-SN mit D. und durch den Nichtabschluss eines Nachfolge-SPA in Bezug auf F.1 den Tatbestand des Behinderungsmissbrauchs gemäß Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 GWB erfüllt und verpflichtet ist, mit D. neue SPAs zu vereinbaren (dazu nachfolgend unter bb)). Ernstlichen Zweifeln begegnet auch, dass M. dadurch, dass sie D. nach dem SPA nur 5 Buchungsklassen und nach dem SPA-SN nur 7 Buchungsklassen zur Verfügung stellt, gegen das Missbrauchsverbot aus Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 GWB verstößt und verpflichtet ist, Buchungen von D. in allen Buchungsklassen zuzulassen (dazu nachfolgend unter cc)). Ernstliche Zweifel bestehen zudem im Hinblick auf die Annahme, M. verstoße dadurch gegen Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 GWB, dass sie die Buchung von Zubringerflügen auf der Grundlage des SPA, des SPA-SN und des SPA-EN nur dann zulasse, wenn die Passagiere auf dem von D. durchgeführten Langstreckenflug in bestimmten, korrespondierenden D.-Buchungsklassen eingebucht sind (Buchungsklassenkombinatorik), und sei deshalb dazu verpflichtet, D. die Buchung unabhängig davon zu ermöglichen, welche Buchungsklassen D. für die eigenen Langstreckenflüge verkauft (dazu nachfolgend unter dd)). Erheblichen Zweifeln begegnet schließlich die Annahme, M. verstoße dadurch gegen das Missbrauchsverbot aus Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 GWB, dass sie D.-Buchungen auf Flügen verweigere, obwohl Kunden der M.-Gruppe auf demselben Flug in diesen Buchungsklassen einen Sitz buchen können, und M. sei daher verpflichtet, Buchungen von D. in allen Buchungsklassen entgegenzunehmen, in denen M. zum Zeitpunkt der Buchungsanfrage ihren eigenen Passagieren die Buchung auf dem betreffenden Zubringerflug ermöglicht (dazu nachfolgend unter ee)).
90aa) Zutreffend geht das Amt davon aus, dass im vorliegenden Fall für die Prüfung des Missbrauchstatbestands nicht von dem Maßstab auszugehen ist, den die Rechtsprechung für die Verweigerung der Aufnahme und den Abbruch von Geschäftsbeziehungen entwickelt hat, sondern vielmehr die Bedingungen zu prüfen sind, unter denen M. D. Zugang zu ihren Zubringerflügen gewährt. Denn M. bricht mit der Beendigung der SPAs und der Nichtübertragung des früher mit H. bestehenden SPA auf F.1 die Geschäftsbeziehung zu D. nicht ab, sondern hat D. den Kauf fester Sitzplatzkontingente angeboten; zudem bestehen die Interlining-Abkommen und das SPA-EN fort.
91(1) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs handelt ein Unternehmen, das auf einem nachgelagerten Markt tätig ist und den Vorleistungsmarkt beherrscht und das einem anderen Unternehmen den Zugang zu seinen Vorleistungen verweigert, in der Regel nur dann missbräuchlich i.S.v. Art. 102 AEUV, wenn die Verweigerung der Vorleistung zum einen geeignet wäre, jeglichen Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt durch denjenigen, der die Vorleistung begehrt, auszuschalten, und nicht objektiv zu rechtfertigen wäre, und zum anderen die Vorleistung selbst für die Ausübung der Tätigkeit des Wettbewerbers in dem Sinne unentbehrlich wäre, dass kein tatsächlicher oder potentieller Ersatz für die Vorleistung bestünde (vgl. EuGH 12.01.2023 – C-42/21 P, juris Rn. 79 – Gleisabbau in Litauen; EuGH 25.03.2021 – C-152/19 P, juris Rn. 44 ff. – Breitbandkabelmarkt Slowakei I; EuGH 26.11.1998 – C-7/97, juris Rn. 41 – Bronner). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch der Normadressat der §§ 19, 20 GWB grundsätzlich nicht daran gehindert, seine Geschäftstätigkeit und sein Absatzsystem nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie er dies für wirtschaftlich sinnvoll und richtig erachtet. Dies umfasst das Recht des Normadressaten, eine bestehende Geschäftsbeziehung zu beenden. Den berechtigten Interessen des Abnehmers wird insoweit in der Regel durch Gewährung einer angemessenen Übergangsfrist ausreichend Rechnung getragen. Anders kann es aber liegen, wenn die vom Normadressaten beabsichtigte Vertriebsumstellung ihm ein Monopol auf einem nachgelagerten Markt verschafft, auf dem bisher von ihm unabhängige Unternehmen aufgrund eigener, erheblicher Wertschöpfung ein eigenes Leistungsergebnis anbieten, für das die bisher vom Normadressaten bezogene Ware Voraussetzung ist (vgl. BGH 06.10.2015 – KZR 87/13, juris Rn. 59, 64 f. – Porsche-Tuning; BGH 31.01.2012 – KZR 65/10, juris Rn. 29 ff. – Werbeanzeigen; BGH 29.06.2010 – KZR 31/08, juris Rn. 29 f. – GSM-Wandler).
92(2) In Fällen, in denen ein marktbeherrschendes Unternehmen Zugang zu seiner Infrastruktur gewährt, den Zugang aber unangemessenen Bedingungen unterwirft, kommen die oben genannten Voraussetzungen nicht zur Anwendung. Verhaltensweisen, die keine Zugangsverweigerung darstellen, können eine Form des Missbrauchs sein, wenn sie geeignet sind, zumindest potentielle wettbewerbswidrige Wirkungen oder gar Ausschlusswirkungen auf den betreffenden Märkten zu erzeugen; das Fehlen der Unerlässlichkeit des Zugangs ist in solchen Fällen für die Prüfung von potentiell missbräuchlichen Verhaltensweisen eines marktbeherrschenden Unternehmens als solches nicht ausschlaggebend (vgl. EuGH 25.03.2021 – C-152/19 P, juris Rn. 50 ff. – Breitbandkabelmarkt Slowakei I). Dabei erfordert die Annahme eines Missbrauchstatbestands nicht zwingend die Feststellung tatsächlicher Auswirkungen. Es reicht vielmehr, wenn ein wettbewerblicher Aktionsparameter zur spürbaren Beeinträchtigung der Marktverhältnisse objektiv geeignet ist (vgl. EuGH 12.05.2022 – C-377/20, juris Rn. 102 – ENEL/AGCM; BGH 23.06.2023 – KVR 69/19, juris Rn. 83 – Facebook I). Zudem muss der Missbrauch sich nicht auf dem vom Normadressaten beherrschten Markt auswirken. Es genügen Auswirkungen auf Drittmärkten, die vom Normadressaten nicht beherrscht sein müssen (vgl. EuGH 25.03.2021 – C-152/19 P, juris Rn. 50 – Breitbandkabelmarkt Slowakei I; BGH 30.03.2004 – KZR 1/03, juris Rn. 10 – Der Oberhammer; BGH 04.11.2003 – KZR 38/02, juris Rn. 22 – Strom und Telefon II). Im Hinblick auf den erforderlichen Zusammenhang zwischen Marktbeherrschung und Missbrauch ist nicht erforderlich, dass dem Normadressaten das entsprechende Verhalten nur aufgrund seiner marktbeherrschenden Stellung möglich war; es genügt ein Wirkungszusammenhang dergestalt, dass das entsprechende Verhalten wegen der Marktbeherrschung des Normadressaten auf dem beherrschten Markt wettbewerbsschädliche Auswirkungen auf dem Drittmarkt hat (vgl. EuGH 15.05.2022 – C-377/20, juris Rn. 76 – ENEL/AGCM; vgl. auch Regierungsentwurf zur 10. GWB-Novelle, BT-Drs. 19/23492 S. 70 ff.)
93bb) Nach diesen Maßgaben bestehen aber erhebliche Zweifel daran, dass M. durch die Beendigung des SPA und des SPA-SN mit D. und durch den Nichtabschluss eines Nachfolge-SPA in Bezug auf F.1 den Tatbestand des Behinderungsmissbrauchs gemäß Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 GWB erfüllt und verpflichtet ist, mit D. neue SPAs zu vereinbaren. Ernstlichen Zweifeln begegnet dabei sowohl die Feststellung der Behinderung (dazu nachfolgend (1)) als auch diejenige der Missbräuchlichkeit oder Unbilligkeit der Behinderung (dazu nachfolgend (2)).
94(1) Es bestehen erhebliche Zweifel daran, dass M. D. durch die Beendigung der SPAs und die Nichtübertragung des mit H. bestehenden SPA auf F.1 i.S.v. Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 GWB in ihren Wettbewerbsmöglichkeiten auf den Märkten für (indirekte oder direkte) Langstreckenflüge behindert. Das Amt hat insbesondere nicht ausreichend berücksichtigt, dass M. D. den Kauf fester Sitzplatzkontingente angeboten hat und die Interlining-Abkommen zwischen M. und D. fortbestehen.
95(a) Nach den Feststellungen des Amts bietet D. Langstreckenflüge insbesondere zu Urlaubsdestinationen an, die sie hauptsächlich vom Flughafen …, in geringerem Umfang von den Flughäfen … und … durchführt. Ihre Kunden sind direkt buchende Passagiere, Reiseveranstalter und Kreuzfahrtanbieter, wobei der Anteil der an Reiseveranstalter verkauften Sitzplätze je nach Saison zwischen etwa 20% und 60% liegt. Neben direkten Langstreckenflügen, die je nach Saison von etwa 60% bis 80% der Passagiere genutzt werden, bietet D. ihren Kunden auch indirekte Langstreckenflüge an, die je nach Saison von etwa 20% bis 40% der Passagiere genutzt werden, und fragt dazu Zubringerflüge bei M. nach. Die Zubringerflüge von M. sind ein Jahr im Voraus buchbar. Reiseveranstalter und Kreuzfahrtanbieter buchen in der Regel jeweils für eine ganze (Sommer- bzw. Winter-)Flugsaison in bestimmtem Umfang Sitzplätze bei D.. D. bietet den Reiseveranstaltern zum einen Fix-Charterverträge an, mit denen die Reiseveranstalter eine feste Zahl an Sitzplätzen buchen, jeden gebuchten Platz zahlen und das Risiko tragen, die gebuchten Plätze nicht belegen zu können, zum anderen nicht fixe Charterverträge, mit denen die Reiseveranstalter sich den Zugriff auf ein bestimmtes Sitzplatz-Kontingent sichern, aber nur die Sitze bezahlen, die sie auch tatsächlich vor Abflug gebucht haben, und dynamische Charterverträge, mit denen Reiseveranstalter zu besonderen Bedingungen auf das Einzelplatzangebot von D. zugreifen können. Bei D. entfallen ca. 75% bis 80% aller Buchungen auf die Economy-Class, 10% bis 15% auf die Premium Economy Class und 5% bis 10% auf die Business Class.
96D. konnte auf der Grundlage des SPA bisher Zubringerflüge mit Durchgangsticket in 5 von 17 Buchungsklassen, die M. auf Flügen innerhalb Europas für kommerzielle Kunden nutzt, buchen, und zwar in 4 Buchungsklassen der Economy Class (S, V, H und M) und in der Buchungsklasse Z der Business Class. Auf der Grundlage des SPA-SN konnte D. Flüge mit Durchgangsticket in 7 von 17 Buchungsklassen buchen, und zwar in 6 Buchungsklassen der Economy Class (S, V, H und M, W und T) und in der Buchungsklasse Z der Business Class. Auch auf der Grundlage des nicht auf F.1 übertragenen SPA mit H. konnte D. Zubringerflüge nach … buchen. In allen SPAs werden Verfügbarkeiten für Sitzplätze nicht garantiert und erfolgt die Abrechnung nach festen Preisen pro Meile des Zubringerflugs, nicht nach dem Anteil der Meilen des Zubringerflugs am eingenommenen Preis für den (indirekten) Gesamtflug, wie dies bei Interlining-Abkommen der Fall ist. Zudem konnte D. auf der Grundlage der SPAs gebuchte Flüge wieder stornieren und brauchte nur Tickets für solche Flüge zu bezahlen, die auch angetreten wurden.
97(b) Aus dem Wegfall der oben genannten SPAs und der Nichtübertragung des mit H. bestehenden SPA auf F.1 lässt sich nicht schließen, dass M. D. in deren Langstreckengeschäft i.S.v. Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 GWB behindert.
98(aa) Zweifel ergeben sich schon daraus, dass das Amt den betroffenen nachgelagerten Markt, auf dem sich Behinderungswirkungen zu Lasten von D. ergeben sollen, nicht abgegrenzt hat. So bleibt offen, ob das Amt von getrennten Märkten für direkte und indirekte Langstreckenflüge ausgeht, oder ob direkte und indirekte Langstreckenflüge einen einheitlichen Markt bilden sollen. Bei streckenbezogener Marktabgrenzung wäre zudem zu berücksichtigen, dass eine potentielle Behinderungswirkung durch Nichtzubringung von Passagieren aus der Russischen Föderation, Belarus und der Ukraine, die nach der Berechnung des Amts auf S. 127 der angefochtenen Entscheidung zusammen bis zu 2% der von M. zugebrachten D.-Langstreckenpassagiere ausgemacht haben dürften, im Hinblick auf die zeitlich nicht absehbare Sperrung des Luftraums ausscheidet, und eine Eignung zur spürbaren Behinderung im Hinblick auf Strecken aus dem Vereinigten Königreich, Norwegen und Serbien näher zu untersuchen wäre, weil der von M. zugebrachte Anteil an Langstreckenpassagieren der D. aus diesen Ländern zusammen nur bei rund 3% liegt. Weitere Zweifel ergeben sich daraus, dass M. nach eigenen Angaben während des Bestehens des SPA zwischen H. und D. zwischen dem 10. Juli 2014 und dem 31. Oktober 2015 nur 74 Passagiere aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Belgien (DACHB-Region) zusammen nach … zu einem Langstreckenflug von D. befördert hat und dass D. nach Angaben von M. auch nach Beendigung des SPA Langstreckenflüge von … durchgeführt hat.
99(bb) Ernstliche Zweifel am Vorliegen des Behinderungstatbestands ergeben sich aber vor allem daraus, dass M. der D. mit Schreiben vom 3. August 2022 (Anlage DLH 7) eine Vereinbarung über den Kauf fester Sitzplatzkontingente nebst einer Übergangsregelung für die Phase des Übergangs von den SPAs auf eine solche Vereinbarung angeboten hat und die Interlining-Akommen zwischen M. und D., die ebenfalls die Buchung von Zubringerflügen mit Durchgangstickets vorsehen, fortbestehen. Laut dem Inhalt des Schreibens vom 3. August 2022 ist eine solche Vereinbarung offenbar auch in dem eine Woche zuvor erfolgten Gespräch von M. und D. mit dem Präsidenten des Bundeskartellamts als Alternative zu den SPAs vor dem Hintergrund erörtert worden, dass nach der wiedergegebenen Aussage des Präsidenten des Bundeskartellamts die besondere Beziehung zwischen M. und D. in Form der SPAs perspektivisch zu einem Ende kommen solle.
100((1)) Mit einer Vereinbarung über ein festes Sitzplatzkontingent würde D. gesicherte Kapazitäten auf zu vereinbarenden Flügen zu ebenfalls zu vereinbarenden Preisen mit Durchgangstickets erhalten, während die SPAs keine Kapazitäten garantieren. Dies würde auch dem vom Amt festgestellten Interesse D.s entsprechen, der erheblichen Zahl an Reiseveranstalter- und Kreuzfahrtanbieterkunden zu Beginn der jeweiligen Saison verlässliche Buchungskontingente zu stabilen Preisen anzubieten, damit diese ihrerseits ihren Kunden die Pauschalreisen für die gesamte Saison zu festen Preisen anbieten können. Mit diesem Angebot von M. setzt das Amt sich nicht hinreichend auseinander. Der Hinweis darauf, dass weder D. mit M. eine solche Vereinbarung getroffen noch M. ein konkretes Angebot hierzu vorgelegt habe, trägt nicht, weil D. nach vom Amt nicht widerlegten Angaben M.s kein Interesse an der Aufnahme von Gesprächen über einen Sitzplatzkontingentvertrag oder der Erarbeitung anderer Lösungen gezeigt habe. Soweit das Amt ausführt, auch mit einer solchen Vereinbarung würden die Buchungsmöglichkeiten von D. unter den SPAs nicht wiederhergestellt, denn diese gäben D. die Freiheit, nach ihrem eigenen Geschäftsmodell zu entscheiden, inwieweit sie ihren Reiseveranstalterkunden ad hoc-Buchungen bzw. fixe oder nicht fixe Charterverträge anbietet, während D. bei einem Kontingentvertrag auf das Modell der fixen Charterverträge beschränkt sei, lässt sich auch hieraus nicht auf eine Behinderungswirkung schließen. Denn D. ist auch bei einem Kontingentvertrag mit M. nicht gezwungen, ihren Reiseveranstalterkunden lediglich fixe Charterverträge anzubieten, mit denen diese ebenfalls ein festes Kontingent abnehmen und bezahlen müssen, sondern weiterhin darin frei, ihren Kunden auch stornierbare Buchungsmöglichkeiten zu eröffnen. D. trägt im letzten Fall allerdings selbst das Risiko, mehr Kapazitäten einzukaufen, als sie an ihre Kunden absetzen kann. Dabei handelt es sich aber um ein generelles Risiko, das jeder Unternehmer und insbesondere auch M. trägt und das D. auf der Grundlage der SPAs auf M. abgewälzt hatte. Mit der Übertragung dieses Risikos auf D. lässt sich eine kartellrechtlich missbräuchliche Wettbewerbsbehinderung nicht begründen.
101((2)) Soweit D. mehr Zubringerflüge absetzen kann, als sie mit einem Kontingentvertrag von M. gekauft hat, steht ihr weiterhin die Möglichkeit offen, auf der Grundlage der Interlining-Abkommen mit M. zusätzliche Zubringerflüge mit Durchgangsticket zu buchen. Insoweit verweist das Amt darauf, dass D. nach den Interlining-Abkommen Zubringerflüge in der Economy Class nur in der Buchungsklasse L und in der Business Class nur in der Buchungsklasse Y buchen könne, so dass ihr wesentlich geringere Verfügbarkeiten offen stünden als nach den SPAs, die 5 bzw. 7 Buchungsklassen für D. vorsehen. Eine Stichprobe von D. habe ergeben, dass die Buchungsklasse L auf weniger als 2% der Zubringerflüge geöffnet gewesen sei, während die Buchungsklasse Y allerdings immer geöffnet gewesen sei. Aus einer von M. vorgelegten Auswertung ergebe sich, dass die Buchungsklasse L im Zeitraum zwischen 50 und 3 Tagen vor Abflug nur auf wenig mehr als 10% der Flüge geöffnet sei, im Zeitraum von 2 bis 0 Tagen sogar auf weniger als 10%. Eigene Ermittlungen hat das Amt insoweit offenbar nicht durchgeführt. Auf der Grundlage der Angaben D. und M. lässt sich die Annahme einer kartellrechtlich missbräuchlichen Behinderung D.s indes schon deshalb nicht rechtfertigen, weil das Amt die Bedingungen, unter denen D. nach den Interlining-Abkommen Zubringerflüge buchen kann, nur im Verhältnis zu den Bedingungen der SPAs untersucht hat und insoweit zu dem Ergebnis gekommen ist, die Bedingungen der Interlining-Abkommen gäben D. und ihren Reiseveranstalterkunden nicht die benötigte gesicherte Grundlage im Hinblick auf die verfügbaren Zubringerflüge und Tarife wie unter dem SPA. Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass dann, wenn D. einen festen Sitzplatzkontingent-Vertrag mit M. schließt und lediglich für eine sich darüber hinaus ergebende Nachfrage ad hoc zusätzliche Zubringerflüge buchen will, die Bedingungen der Interlining-Abkommen nicht ausreichen, um D. wettbewerblich nicht zu behindern. Solches ergibt sich jedenfalls nicht allein daraus, dass nach den Interlining-Abkommen erst zum Zeitpunkt der Buchung geprüft werden kann, ob ein Flug verfügbar und zu welchem Preis er erhältlich ist, so dass D. ein langfristiges, verbindliches Angebot an die Reiseveranstalter nicht möglich ist, weil D. die Preise nicht vorab einschätzen kann. Denn zu einem langfristigen und verbindlichen Angebot ist D. dann in der Lage, wenn es den weit überwiegenden Anteil der Sitzplätze durch einen Kontingentvertrag einkauft. Im Übrigen wird vom Amt nicht erläutert, warum D. auf der Grundlage der Interlining-Abkommen die Preise für die Zubringerflüge nicht berechnen kann, wenn diese sich doch nach dem Meilenanteil des Zubringerflugs am von ihr verkauften (indirekten) Gesamtflug richten. Ohne ausschlaggebende Bedeutung ist auch, dass die Interlining-Abkommen mit einer Frist von 30 Tagen kündbar sind, weil eine Kündigung aus kartellrechtlichen Gründen ggf. eine längere Übergangsfrist erfordern kann.
102(2) Unabhängig von der Frage der Behinderungswirkung bestehen auf der Grundlage des Angebots eines Kontingentvertrags und der Fortgeltung der Interlining-Abkommen jedenfalls auch ernstliche Zweifel an der Missbräuchlichkeit bzw. Unbilligkeit der Beendigung der SPAs.
103(a) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der Prüfung der Frage, ob die Verhaltensweise eines Unternehmens in beherrschender Stellung i.S.v. Art. 102 AEUV missbräuchlich ist, allen besonderen und relevanten Umständen des Falles Rechnung zu tragen (vgl. EuGH 12.05.2022 – C-377/20, juris Rn. 72 – ENEL/AGCM; EuGH 25.03.2021 – C-152/19 P, juris Rn. 42 – Breitbandmarkt Slowakei I). Nach der Rechtsprechung des BGH erfordert die Beurteilung, ob ein Normadressat des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB ein anderes Unternehmen unbillig behindert, eine umfassende Abwägung der beteiligten Interessen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB. Ausgangspunkt dieser Abwägung ist bei vertriebsbezogenen Sachverhalten der aus der unternehmerischen Handlungsfreiheit abzuleitende Grundsatz, dass das Behinderungsverbot des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB den Normadressaten grundsätzlich nicht daran hindert, seine geschäftliche Tätigkeit und sein Absatzsystem nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie er dies für wirtschaftlich sinnvoll und richtig erachtet. Die Freiheit des Normadressaten zur Gestaltung seines Absatzsystems besteht aber nur innerhalb der durch das Kartellrecht gezogenen Grenzen. Sie ist ausgeschlossen, wo sie missbraucht wird oder zu einer Beschränkung des Wettbewerbs führt, die mit der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes unvereinbar ist. Im Rahmen der Interessenabwägung sind an die Schutzwürdigkeit der von einem Normadressaten verfolgten Belange mit zunehmender Abhängigkeit der Marktgegenseite von seinem Angebot in gleichem Maße steigende Anforderungen zu stellen (vgl. BGH 08.10.2019 – KZR 73/17, juris Rn. 36 – Werbeblocker III; BGH 06.10.2015 – KZR 87/13, juris Rn. 59 – Porsche-Tuning; BGH 31.01.2012 – KZR 65/10, juris Rn. 29 f. - Werbeanzeigen).
104(b) Nach diesen Maßgaben sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die Interessen von M., die SPAs mit D. zu beenden und D. feste Sitzplatzkontingente aufgrund eines Vertrags sowie weitere Buchungen aufgrund der fortbestehenden Interlining-Abkommen zu ermöglichen, die Interessen D.s am Fortbestand bzw. Neuabschluss von SPAs überwiegen und das Amt die Interessen der Beteiligten nicht ausreichend gewürdigt hat.
105(aa) Wie bereits erwähnt, ist auch der Normadressat des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots nicht daran gehindert, innerhalb der kartellrechtlichen Grenzen seine geschäftliche Tätigkeit und sein Absatzsystem so zu gestalten, wie er dies für wirtschaftlich sinnvoll und richtig erachtet. Dabei gilt der Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, einen Wettbewerber zum eigenen Schaden zu fördern, der allerdings jedenfalls dort seine Grenze findet, wo Wettbewerber daran gehindert werden, ihre eigene wertschöpfende Leistung angemessen am Markt präsentieren zu können (vgl. BGH 06.10.2015 – KZR 87/13, juris Rn. 59, 66 – Porsche-Tuning).
106((1)) M. hat das schützenswerte Interesse, ihre Flüge möglichst vollständig und mit maximalem Gewinn auszulasten. Dazu gehört das Interesse, einerseits die eigenen direkten und indirekten Mittel- und Langstreckenflüge vollständig besetzen zu können und nicht auf Passagiere verzichten zu müssen, weil keine ausreichenden Zubringerkapazitäten zur Verfügung stehen, und andererseits auch die eigenen Kurzstreckenflüge mit Zubringer- wie mit Direkt-Passagieren vollständig besetzen zu können. Diesem Interesse kommt umso mehr Bedeutung zu, als M. coronapandemiebedingt ihre Kurzstreckenflotte reduziert hat, nach der Pandemie eher mit einer Wiederzunahme des touristischen als des Geschäftsreiseverkehrs rechnet und daher eine Ausweitung ihres touristischen Mittel- und Langstreckenangebots anstrebt, als weiter auch aus klimapolitischen Gründen dauerhaft mit einer Begrenzung des Kurzstreckenangebots zu rechnen ist und als D. ebenfalls eine Ausweitung ihres touristischen Langstreckenangebots anstrebt. M. hat daher ein schützenswertes Interesse daran, im Hinblick auf die angekündigte Expansion D.s und die damit der Erwartung nach steigende Nachfrage an Zubringerflügen genügend Zubringerkapazitäten für die eigenen, ebenfalls in der Erweiterung begriffenen Mittel- und Langstreckenangebote vorzuhalten, jedenfalls aber leere Sitzplätze auf Zubringerflügen zu vermeiden.
107((2)) Vor diesem Hintergrund liegt es im schützenswerten Interesse M., die SPAs mit D. zu beenden und D. stattdessen feste Sitzplatzkontingente und Buchungen über Interlining-Abkommen anzubieten. Denn SPAs ermöglichen es dem Vertragspartner, im vorliegenden Fall D., bereits gebuchte Tickets zu stornieren, ohne sie bezahlen zu müssen, und sehen eine Zahlungspflicht nur für den Fall vor, dass der Passagier zum Flug erscheint. Aus den verschiedensten Gründen erscheine aber jährlich eine große Zahl an gebuchten Passagieren nicht („No-shows“). Das Amt führt unter Bezugnahme auf einen Zeitungsartikel aus, dass im Jahr 2006 rund 6,3 Millionen Passagiere der M. nicht erschienen seien. Nach Angaben von M. lag der Durchschnitt von „No-shows“ bzw. Buchungsstreichungen von D.-Kunden im Jahr 2020 bei … Fällen pro Tag und im Jahr 2022 bei … Fällen pro Tag. M. geht damit das Risiko ein, dass SPA-Partner ihre Buchungen von Zubringerflügen kostenlos stornieren oder sie wegen „No-shows“ nicht bezahlen müssen und dass M. diese Plätze nicht mehr besetzen kann. M. begrenzt für Buchungen ihrer eigenen Kunden dieses Risiko, indem sie zum Teil nicht stornierbare Tickets verkauft, die auch dann bezahlt werden müssen, wenn der Passagier den Flug nicht antritt. M. geht dieses Risiko ausbleibender Zahlung und leerbleibender Plätze bei SPA-Partnern ein, weil SPAs grundsätzlich auf Gegenseitigkeit beruhen in dem Sinne, dass nicht nur der SPA-Partner Zubringerflüge bei M. buchen kann, sondern auch M. zur eigenen Netzerweiterung Zubringerflüge des SPA-Partners buchen kann, so dass auch das Risiko der Stornierung oder von „No-shows“ ein beiderseitiges Risiko darstellt, das beide SPA-Partner gleichermaßen tragen. Diese Situation besteht mit D. nicht, weil nahezu ausschließlich D. Zubringerflüge von M. bucht, nicht aber M. Zubringerflüge von D., so dass M. nach der vollständigen Ausgliederung D.s aus ihrem Konzern ein schützenswertes Interesse daran hat, sich vor nicht bezahlten und leer bleibenden Sitzkapazitäten wegen Stornierungen von D. oder „No-shows“ von D.-Kunden zu schützen. Diesem Interesse trägt das Angebot fester Kontingent-Verträge, nach denen D. die gebuchten Tickets in jedem Fall bezahlen muss, und weiterer ad hoc-Buchungsmöglichkeiten auf der Grundlage der Interlining-Abkommen Rechnung. Hiermit wird das Risiko, die gekauften Kapazitäten nicht absetzen zu können, das D. mit den SPAs auf M. überwälzt hatte, auf D. übertragen. Dabei handelt es sich aber um ein normales unternehmerisches Risiko, das auch der Abnehmer des Normadressaten zu tragen hat. M. kann entgegen der Auffassung des Amts dagegen nicht gezwungen werden, sich vor den genannten Risiken ausschließlich durch Überbuchung ihrer Flüge zu schützen, weil M. damit auferlegt würde, das normale unternehmerische Risiko von D. unter Inkaufnahme von eigenen Reputationsverlusten und erhöhtem organisatorischen und wirtschaftlichen Aufwand für die Fälle zu tragen, in denen doch zu viele Passagiere zum Flug erscheinen.
108((3)) Eine andere Beurteilung der Interessen M.s ist entgegen der Auffassung des Amts nicht deshalb gerechtfertigt, weil bei M. der Sitzladefaktor im Jahr 2019 in Europa bei …% lag und deshalb keine Kapazitätsengpässe bestünden, die eine Beendigung der SPAs rechtfertigen würden. Hierbei handelt es sich um einen Durchschnittswert aus der Zeit vor der Corona-Pandemie, der nichts darüber aussagt, wie ausgelastet die Maschinen M.s nach der Corona-Pandemie bei der jetzigen – nach Angaben M. von … auf … Maschinen reduzierten - Kurzstreckenflottenstärke und auf den Flügen sind, die D. vor allem nachfragt, insbesondere also aus der DACHB-Region. Dabei ist auch noch die aufgrund der angekündigten Expansion von D. der Erwartung nach steigende Nachfrage zu berücksichtigen. Bereits nach den Feststellungen des Amts in der angefochtenen Entscheidung lag die Auslastung auf der Strecke … in der Zeit zwischen 2019 und 2021 in den Sommermonaten bei 90% bis 95%.
109Ebenso wenig aussagekräftig ist im Hinblick auf das mit Stornierungen und „No-shows“ verbundene Risiko die vom Amt angegebene Zahl der insgesamt pro Flug beförderten D.-Reisenden von weniger als vier Passagieren. Hierbei handelt es sich um einen Durchschnittswert bezogen auf die DACHB-Region und die Zeit von April bis August des Corona-Pandemie-Jahres 2021, dem sich keine belastbare Aussage für die Situation nach der Corona-Pandemie bei verkleinerter Kurzstreckenflotte und zu erwartender steigender Nachfrage von D. entnehmen lässt. M. gibt demgegenüber für das Jahr 2019 die Anzahl der D.-Passagiere auf ihren Flügen von …, …, … und … nach … mit durchschnittlich acht bis neun und von … nach … mit durchschnittlich 12 Passagieren an, so dass sie hier rechnerisch täglich einen vollen Airbus A319 nur für D.-Langstreckenpassagiere betrieben habe. Das mit „No-shows“ und Buchungsstornierungen verbundene Verlustrisiko ist daher beträchtlich.
110(bb) Demgegenüber wird dem Interesse D.s daran, weiterhin Reisenden, Reiseveranstaltern und Kreuzfahrtanbietern direkte und indirekte Langstreckenflüge von europäischen Flughäfen zu ihren Langstreckendestinationen zu verlässlichen Konditionen anbieten zu können, durch eine Vereinbarung über ein festes Sitzplatzkontingent und die Möglichkeit der Buchung weiterer Flüge mit Durchgangsticket über Interlining-Abkommen hinreichend Rechnung getragen. Nichts anderes ergibt sich für die vom Amt festgestellten öffentlichen Interessen und Interessen von Reisenden, Reiseveranstaltern und Kreuzfahrtanbietern. Das normale unternehmerische Risiko D.s, die erworbenen Sitzplatzkontingente nicht absetzen zu können, steht hinter dem Interesse M.s, das Risiko leerbleibender und nicht bezahlter Plätze von D.-Kunden nicht tragen zu müssen, zurück.
111Gegenüber der Annahme einer Unbilligkeit der Behinderung bestehen im übrigen auch deshalb erhebliche Zweifel, weil das Amt bei seiner Interessenabwägung zudem nicht berücksichtigt hat, ob D. in der Lage ist, eventuelle Wettbewerbsnachteile durch die Beendigung der SPAs auf den – vom Amt nicht näher abgegrenzten – separaten direkten und indirekten Langstreckenmärkten oder den gemeinsamen direkten und indirekten Langstreckenmärkten dadurch auszugleichen, dass sie, wenn sie denn wegen der Slot-Situationen in …, … und … keine eigenen Zubringerflüge durchführen kann, weitere Kunden aus den direkten Einzugsgebieten der Flughäfen …, … und … gewinnt oder Langstreckenflüge auch von anderen Flughäfen, wie etwa … oder …, durchführt (vgl. BGH 31.01.2012 – KZR 65/10, juris Rn. 35 f. – Werbeanzeigen).
112cc) Es bestehen auch ernstliche Zweifel daran, dass M. dadurch, dass sie D. unter dem SPA nur die Verwendung von 5 Buchungsklassen und unter dem SPA-SN nur die Verwendung von 7 Buchungsklassen ermöglicht, gegen Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 GWB verstößt und verpflichtet ist, D. Buchungen in allen aktuell 17 Buchungsklassen zu ermöglichen, die M. auf ihren Europa-Flügen für kommerzielle Passagiere verwendet. Dies gilt sowohl unter dem Gesichtspunkt des Behinderungsmissbrauchs (dazu nachfolgend unter (1)) als auch unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung (dazu nachfolgend unter (2)).
113(1) Das Amt meint, dass M. D. in ihrem Langstreckengeschäft dadurch missbräuchlich bzw. unbillig behindert, dass sie D. durch die Begrenzung der buchbaren Buchungsklassen weniger Sitzplätze zur Verfügung stellt und damit den von D. ausgehenden Wettbewerbsdruck begrenzt. M. ermöglicht Buchungen ihrer Flüge nach einer internen Buchungsklassensteuerung, die sie als ihr Geschäftsgeheimnis im wesentlichen nicht offengelegt hat. Grundsätzlich bietet sie Buchungen in der Business Class in den Buchungsklassen J, C, D, Z und P an und in der Economy Class in den Buchungsklassen Y, B, M, U, H, Q, V, W, S, T, L und K. D. kann in der Business Class nach dem SPA und dem SPA-SN die Buchungsklasse Z nutzen, in der Economy Class nach dem SPA und dem SPA-SN die Buchungsklassen M, H, V und S, nach dem SPA-SN zusätzlich die Buchungsklassen W und T. Dabei sind den Buchungsklassen von links nach rechts absteigende Preise zugeordnet. Die Buchungen erfolgen dabei mit der zum Buchungszeitpunkt jeweils niedrigsten geöffneten Buchungsklasse. Dabei öffnet und schließt M. während der Zeit von der Einstellung eines Fluges in die Buchungssysteme bis zum Abflug Buchungsklassen nach dem Prinzip, Flüge Frühbuchern günstiger und im Verlauf der Zeit entsprechend der Nachfrage teurer zu verkaufen und dabei mit einem Flug den maximal möglichen Profit zu erzielen, wobei außerdem dem Umstand Rechnung getragen wird, dass Passagiere mit einem indirekten Lang- oder auch Mittelstreckenflug stärker zum Unternehmensgewinn beitragen als eigene und fremde Kurzstreckenpassagiere.
114Dass M. D. missbräuchlich oder unbillig zu geringe Kapazitäten zur Verfügung stellt, ergibt sich aus der Buchungsklassenbegrenzung nicht per se. Nach den Feststellungen des Amts entfallen rund 90% der Zubringerflugbuchungen von D. auf die Buchungsklassen S und V, nach Angaben von M. rund 42% allein auf die Buchungsklasse S. Darüber hinaus stehen D. in der Economy Class nach dem SPA und dem SPA-SN die Buchungsklassen H und M und nach dem SPA-SN zusätzlich die Buchungsklassen T und W zur Verfügung. Dass D. einen Bedarf habe, der auch mit den zusätzlichen Buchungsklassen nicht gedeckt werden könnte, hat das Amt nicht dargelegt. Gleiches gilt für die Buchungsklasse Z in der Business Class. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die überwiegend touristischen Kunden von D., insbesondere Reiseveranstalter und Kreuzfahrtanbieter, ihre Kontingente früh buchen und dass bei D. etwa 85% bis 95% der Flüge in der Economy Class und Premium Economy Class und nur 5% bis 10% der Flüge in der Business Class gebucht werden.
115Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass M. D. mit der Buchungsklassenbegrenzung missbräuchlich oder unbillig zu teure Kapazitäten anbietet. Das Amt hat auch nicht dargelegt, wieso M. bei der Öffnung der Buchungsklassen zugunsten von D. nicht berücksichtigen darf, dass ein Kurzstreckenpassagier weniger zum Unternehmensgewinn von M. beiträgt als ein indirekter Langstrecken- oder Mittelstreckenpassagier, und zugunsten von D. etwa für die aus Sicht von M. reinen Kurzstreckenpassagiere auch die günstigsten Buchungsklassen K und L öffnen müsste. Das Amt hat nicht einmal dargelegt, dass M. ihren eigenen Kurzstreckenpassagieren diese Buchungsklassen öffnet. M. weist mit Recht darauf hin, dass D. dann, wenn ihr alle günstigsten Buchungsklassen zur Verfügung stünden, ggf. alle ihre Zubringerflüge in diesen Buchungsklassen buchen könnte, obwohl solche Flüge am wenigsten zu M.s Unternehmensgewinn beitragen, dass M. dann ggf. ihren eigenen Passagieren die günstigsten Buchungsklassen nicht mehr anbieten könnte, wenn der Flug maximal profitabel durchgeführt werden soll, und zusätzlich das Risiko einginge, die Tickets bei Stornierungen oder „No shows“ von D.-Kunden gar nicht mehr verkaufen zu können.
116Im Ergebnis können diese Fragen auf sich beruhen. Denn jedenfalls bestehen angesichts des Angebots eines festen Sitzplatzkontingents mit der Möglichkeit der Buchung weiterer Zubringerflüge mit Durchgangsticket nach den Interlining-Abkommen keine greifbaren Anhaltspunkte für die Annahme, M. würde D. dadurch missbräuchlich oder unbillig in ihrem Langstreckengeschäft behindern, dass sie Buchungen nur in der genannten Zahl von Buchungsklassen zulässt.
117(2) Insoweit liegen auch die Voraussetzungen des Diskriminierungsverbots des Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 GWB nicht vor. Nach Art. 102 Abs. 1 S. 2 lit. c) AEUV kann der verbotene Missbrauch insbesondere in der Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern liegen, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden. Entsprechend liegt nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB ein Missbrauch insbesondere vor, wenn der Normadressat ein anderes Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar anders behandelt als gleichartige Unternehmen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
118M. gewährt auch anderen konzernexternen Fluggesellschaften nach ihrem Vortrag die vom Amt geforderten Bedingungen nicht, und das Amt hat Gegenteiliges nicht festgestellt. Soweit M. ihren konzernangehörigen Gesellschaften Buchungen in weiteren Buchungsklassen einräumt, handelt es sich dabei nach der Rechtsprechung des BGH nicht um gleichartige Unternehmen (vgl. BGH 31.01.2012 – KZR 65/10, juris Rn. 14 – Werbeanzeigen; BGH 24.10.2011 – KZR 7/10, juris Rn. 31 - Grossistenkündigung). Nichts anderes ergibt sich aufgrund der Rechtsprechung des EuG. Zwar hat dieses in einem H.1 betreffenden Fall die Ungleichbehandlung des eigenen Preisvergleichsdienstes und der konkurrierenden Preisvergleichsdienste auf seiner Suchseite als Missbrauch angesehen; dem lag allerdings zugrunde, dass derzeit keine tatsächliche oder potentielle Alternative zur Verfügung steht, die es ermöglichen würde, die Suchseite von H.1 auf dem Markt auf wirtschaftlich tragfähige Weise zu ersetzen (vgl. EuG 10.11.2021 – T-612/17, juris Rn. 223 ff. – Google Shopping). Ein vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor. Dass D. ohne die weiteren Buchungsklassen nicht in der Lage wäre, ihr Langstreckengeschäft auf wirtschaftlich tragfähige Weise auszuüben, hat das Amt nicht dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich, zumal D. in der Vergangenheit unter Geltung der vom Amt beanstandeten SPA-Bedingungen wirtschaftlich erfolgreich im Langstreckengeschäft tätig war. Darüber hinaus bestehen auch aufgrund des Angebots eines Kontingentvertrags durch M. und der weiteren Buchungsmöglichkeiten aufgrund der Interlining-Abkommen keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche oder unbillige Diskriminierung von D. durch M..
119dd) Ernstlichen Zweifeln begegnet zudem die Annahme, M. verstoße dadurch gegen Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB, dass sie die Buchung von Zubringerflügen auf der Grundlage des SPA, des SPA-SN und des SPA-EN nur dann zulasse, wenn die Passagiere auf dem von D. durchgeführten Langstreckenflug in bestimmten, korrespondierenden D.-Buchungsklassen eingebucht sind (Buchungsklassenkombinatorik), und sei deshalb dazu verpflichtet, D. die Buchung unabhängig davon zu ermöglichen, welche Buchungsklassen D. für die eigenen Langstreckenflüge verkauft. Auch dies gilt sowohl im Hinblick auf einen Behinderungsmissbrauch (dazu nachfolgend unter (1)) als auch auf eine missbräuchliche Diskriminierung (dazu nachfolgend unter (2)).
120(1) Die in den SPAs vereinbarte Buchungsklassenkombinatorik sieht vor, dass D. etwa in der Economy Class insgesamt 5 ihrer eigenen niedrigen Buchungsklassen mit der niedrigen M.-Buchungsklasse S kombinieren darf und in den Fällen, in denen die Buchungsklasse S nicht mehr verfügbar ist, auch mit den höheren Buchungsklassen V, H oder M. D. darf hingegen nicht eigene höherwertige Buchungsklassen mit niedrigeren Buchungsklassen von M. kombinieren. Dies mag den Preissetzungsspielraum von D. auf den von ihr angebotenen indirekten Langstreckenverbindungen beschränken. Vor dem Hintergrund, dass M. und D. die SPAs mit diesen Bedingungen seit Jahren praktiziert haben, ohne dass dadurch nach den Feststellungen des Amts in der Vergangenheit die Wettbewerbsfähigkeit D.s in ihrem Langstreckengeschäft beeinträchtigt worden ist, sind aber entgegen den Ausführungen des Amts keine greifbaren Gesichtspunkte für die konkrete Gefahr ersichtlich, dass in Zukunft D.s auf M. ausgehender Wettbewerbsdruck deutlich geschwächt und dadurch der Wettbewerb zu Lasten der Reiseveranstalter und der Reisenden insgesamt nachteilig verändert wird. Dies gilt auch deshalb, weil nach den Feststellungen des Amts die Folge der Buchungsklassenkombinatorik, dass D. mit teureren Langstreckenflügen keine günstigeren Zubringerflüge verbinden kann, nur etwa 10% bis 20% der Buchungen betrifft, und weil M. nach eigenen Angaben konzernintern ebenfalls eine Buchungsklassenkombinatorik durchführt, und zwar eine strikte 1:1-Buchungsklassenkombinatorik, bei der nur dieselben Buchungsklassen kombiniert werden dürfen, und mit konzernexternen Fluggesellschaften ebenfalls eine feste Buchungsklassenkombinatorik vereinbart.
121Bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit oder Unbilligkeit der Behinderung hat das Amt zudem das Interesse M.s nicht gewürdigt, mit dem verkauften Kurzstreckenflug an der Wertigkeit des gesamten indirekten Langstreckenflugs partizipieren zu wollen. Ebensowenig hat das Amt berücksichtigt, ob D. in der Lage ist, eine eventuell dadurch sich ergebende Benachteiligung bei der Gesamtpreissetzung, dass sie eigene teurere Langstreckenflüge nicht mit günstigeren Zubringerflügen verknüpfen darf, dadurch auszugleichen, dass sie ihre Langstreckenflüge verbilligt. Jedenfalls werden eventuell bestehende wettbewerbliche Bedenken durch das Angebot eines festen Sitzplatzkontingents mit der zusätzlichen Möglichkeit, Tickets auf der Grundlage der Interlining-Abkommen zu buchen, ausgeräumt.
122(2) An einer missbräuchlichen Diskriminierung infolge der Buchungsklassenkombinatorik fehlt es schon deshalb, weil M. eine solche nach ihren Angaben auch mit anderen konzernexternen Fluggesellschaften vereinbart; etwas Gegenteiliges hat das Amt nicht festgestellt. Soweit M. ihren konzerninternen Gesellschaften deshalb eine weitergehende Buchungsklassenkombinatorik ermöglicht, weil diesen alle 17 Buchungsklassen zur Verfügung stehen, erfüllt die Ungleichbehandlung zur wirtschaftlichen Einheit gehöriger Unternehmen, wie oben ausgeführt, nicht den Tatbestand kartellrechtlich missbräuchlicher Ungleichbehandlung.
123ee) Schließlich bestehen auch insoweit erhebliche Zweifel, als das Amt annimmt, M. behindere D. dadurch missbräuchlich oder unbillig i.S.v. Art. 102 AEUV, §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 20 GWB, dass sie D.-Buchungen auf Flügen verweigere, obwohl Kunden der M.-Gruppe auf demselben Flug in diesen Buchungsklassen einen Sitz buchen können, und M. sei daher verpflichtet, Buchungen von D. in allen Buchungsklassen entgegenzunehmen, in denen M. zum Zeitpunkt der Buchungsanfrage ihren eigenen Passagieren die Buchung auf dem betreffenden Zubringerflug ermöglicht.
124Der Vorwurf des Amts besteht konkret darin, dass M. D. nach den SPAs für einen Zubringerflug als Teil einer indirekten Langstreckenverbindung zu einem bestimmten Zielort, z.B. …/Dom.Rep., andere Buchungsmöglichkeiten gewährt als auf demselben Zubringerflug als Teil einer indirekten Langstreckenverbindung zu einem anderen Zielort, z.B. …/Jamaika, obwohl die entsprechenden Buchungsklassen für M.-Kunden auf demselben Flug – sei es als Direktflug oder als Teil einer indirekten Langstreckenverbindung zu einem oder mehreren, nicht notwendig mit den von D. angeflogenen Zielen identischen Zielen - noch verfügbar sind. Die möglichen Unterschiede in der Buchbarkeit der Buchungsklassen resultieren daraus, dass M. die Nachfrage von D. in ihre der Erlösoptimierung dienende Buchungsklassensteuerung einordnet und deshalb dann, wenn sie eigenen Passagieren für einen Zubringerflug als Teil einer indirekten Langstreckenverbindung zu einem bestimmten Ziel andere Buchungsmöglichkeiten anbietet als für denselben Zubringerflug als Teil einer indirekten Langstreckenverbindung zu einem anderen Ziel oder für denselben Flug als Direktflug, entsprechend auch D. unterschiedliche Buchungsmöglichkeiten auf demselben Zubringerflug einräumt. Das Amt will M. dazu verpflichten, ihre Buchungsklassensteuerung so zu ändern, dass D. für einen Zubringerflug als Teil einer indirekten Langstreckenverbindung die gleichen Buchungsmöglichkeiten erhält unabhängig davon, ob ihre Langstreckenflüge zu verschiedenen Zielen führen und unabhängig davon, ob M. diese ihren eigenen Passagieren auf demselben Zubringerflug als Teil einer indirekten Langstreckenverbindung zu denselben Zielen anbieten würde.
125Ob M. D. dadurch, dass sie ihre Buchungsklassensteuerung so, wie beschrieben, betreibt, missbräuchlich oder unbillig behindert, ist indes zweifelhaft, weil es M. auch dann, wenn sie Normadressatin des Missbrauchsverbots ist, grundsätzlich vorbehalten ist, ihre Buchungsklassensteuerung so auszurichten, wie sie dies aus wirtschaftlichen Gründen für geboten hält, und weil das Amt nicht festgestellt hat, dass die bisherige, seit Jahren bestehende Handhabung D. in ihrem Langstreckengeschäft beeinträchtigt hat, so dass nicht festgestellt oder sonst ersichtlich ist, welche Gefahr der wettbewerblichen Behinderung D.s hierdurch für die Zukunft zu besorgen ist. M. weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine Buchungsklassensteuerung, in der D. in der geforderten Weise unabhängig behandelt würde, mit den gegenwärtigen Systemen nicht möglich und vollkommen industrieuntypisch wäre, zumal M. eine solche Buchungssteuerung mit keinem anderen Partner unterhalte und ihr auch nicht bekannt sei, dass ein derart weitreichender Eingriff in die Organisation des Netzes durch eine konzernexterne Fluggesellschaft in der Branche jemals im Rahmen einer Partnerschaft in Betracht gezogen oder gar implementiert worden wäre. Im Ergebnis können diese Fragen dahinstehen, weil D. von M. feste Sitzplatzkontingente erhalten und weitere Buchungen aufgrund der Interlining-Abkommen vornehmen kann, womit eine Abhängigkeit ihrer Buchungsanfrage von dem Umstand, ob M. ihren eigenen Passagieren auf dem betroffenen Zubringerflug gleiche Buchungsmöglichkeiten anbietet, aufgehoben wäre.
126c) Da ernstliche Zweifel daran bestehen, dass M. zum Neuabschluss von SPAs mit D. mit dem in Ziff. II. und III. des Tenors der angefochtenen Verfügung angeordneten Inhalt verpflichtet ist, bedarf es auch nicht der Übergangsregeln für die Zeit bis zur Vereinbarung neuer SPAs, wie das Amt sie in Ziff. II.5 und II.6. des Tenors verfügt hat.
127III.
128Einer Entscheidung gemäß § 70 Abs. 2 S. 4 GWB über den Antrag von M. vom 17. April 2023 auf weitergehende Offenlegung der Beiakte B 9-1/20-53 bedarf es für das vorliegende Eilverfahren nicht.
129Eine gesonderte Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Sie erfolgt mit der Beschwerdeentscheidung nach den Vorgaben des § 71 GWB, da das Verfahren nach § 67 GWB und das Hauptsacheverfahren gebührenrechtlich eine Einheit darstellen (vgl. nur Senat, 17.01.2020 – VI-Kart 6/19 (V), juris Rn. 56 – Trockenbaustoffe).
130Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 77 Abs. 2 GWB liegen nicht vor.
131Breiler Poling-Fleuß Dr. Wesselburg
132Rechtsmittelbelehrung
133Die Entscheidung kann nur aus den in § 77 Abs. 4 GWB genannten absoluten Rechtsbeschwerdegründen mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Rechtsbeschwerde ist durch einen beim Beschwerdegericht oder Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz binnen zwei Monaten zu begründen. Diese Frist beginnt mit der Zustellung dieses Beschlusses und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Beschwerdeentscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Die Rechtsbeschwerdeschrift und die Rechtsbeschwerdebegründung müssen durch einen zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein; dies gilt nicht für Rechtsbeschwerden der Kartellbehörden. Es gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über den elektronischen Rechtsverkehr.
134Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist die Nichtzulassungsbeschwerde gegeben. Diese ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf einzulegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist durch einen beim Oberlandesgericht Düsseldorf oder beim Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz binnen zwei Monaten zu begründen. Diese Frist beginnt mit der Zustellung dieses Beschlusses und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Beschwerdeentscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Die Nichtzulassungsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Beschwerdeentscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruht. Die Nichtzulassungsbeschwerdeschrift und –begründung müssen durch einen zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein; dies gilt nicht für Nichtzulassungsbeschwerden der Kartellbehörden. Es gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über den elektronischen Rechtsverkehr.