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Der Verfahrenswert einer Ehesache ist unter Einbeziehung von Schonvermögen der Eheleute i. S. des § 115 Abs. 3 ZPO zu bestimmen.
Auf die Beschwerde der Landeskasse wird der Verfahrenswertbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Neuss vom 18.10.2023 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Verfahrenswert für das Scheidungsverfahren wird auf bis 500.000 € festgesetzt.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
2I.
3Durch Beschluss vom 18.10.2023 hat das Amtsgericht die Ehe der Beteiligten geschieden und von der Durchführung des Versorgungsausgleichs abgesehen, da dieser durch notariellen Vertrag vom 04.07.2023 (UR-Nr. 514/2023, Notar N.) ausgeschlossen wurde.
4Das Amtsgericht hat den Verfahrenswert für das Scheidungsverfahren auf 27.000 € und das Versorgungsausgleichsverfahren auf 1.000 € festgesetzt. In der Antragsschrift vom 26.07.2023 hat die Antragstellerin ihr Nettoeinkommen mit 2.500 € und das des Antragsgegners mit 7.000 € angegeben.
5Gegen die Bemessung des Verfahrenswertes wendet sich die Landeskasse. Sie macht geltend, nach § 43 Abs. 1 S. 1 FamGKG seien in die Wertbestimmung auch die Vermögensverhältnisse der Ehegatten einzubeziehen. Diese ergäben sich aus dem notariellen Vertrag vom 04.07.2023, in welchem die Ehegatten ihr Gesamtvermögen mit 9.250.000 € angegeben hätten (4 Immobilien mit insgesamt 7.25 Mio. € und Unternehmensbeteiligungen mit 2 Mio. €). Nach der maßgebenden Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 14.04.2020, II-7 WF 168/19) sei von dem Vermögen ein Freibetrag für jeden Ehegatten von 60.000,00 € abzuziehen und ein Ansatz von 5 % des dann verbleibenden Vermögens vorzunehmen. Der Senat habe in dieser Entscheidung ausdrücklich nicht an der im Beschluss vom 23.05.2017 (II-7 WF 69/17) vertretenen Auffassung festgehalten, wonach Grundbesitz, der unter § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII fällt, nicht verfahrenswerterhöhend zu berücksichtigen sei. Nach Abzug von Freibeträgen für die Eheleute in Höhe von jeweils 60.000 € und bei Ansatz von 5 % des verbleibenden Vermögens ergebe sich ein hierauf entfallender Verfahrenswert von 456.500 €. Unter Hinzurechnung des auf das Einkommen entfallenden Verfahrenswertes von 28.500 € (3 x 9.500 €) betrage der Verfahrenswert der Scheidungssache 485.000 €. Unter Zugrundelegung des dreimonatigen Nettoeinkommens der Ehegatten und der Annahme, dass jeder Ehegatte zumindest ein Anrecht erworben habe, betrage der Verfahrenswert der Folgesache Versorgungsausgleich gemäß § 50 Abs. 1 FamGKG 5.700 € (2 x 2.850 €). Der Verfahrenswert sei daher auf insgesamt 490.700 € festzusetzen.
6Die Vertreter der Antragstellerin machen geltend, das Amtsgericht habe bei der Verfahrenswertbestimmung sein gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 FamGKG bestehendes Ermessen zutreffend ausgeübt und berücksichtigt, dass Beteiligte bei einer einvernehmlichen Scheidung ohne Folgesachen einen möglichst niedrigen Verfahrenswert erwarten dürften. Dass bei der Festsetzung des Verfahrenswertes nur auf das Einkommen der Ehegatten abgestellt worden sei und die Vermögensverhältnisse unberücksichtigt geblieben seien, sei daher nicht zu beanstanden. Wollte man dennoch das Vermögen berücksichtigen, müsse zumindest der Wert selbstbewohnter Immobilien außer Betracht bleiben. Jedenfalls sei bei selbstgenutzten Immobilien höchstens der dreifache Betrag des monatlichen Nutzwertes anzusetzen. Die Bemessung des Verfahrenswertes für das Versorgungsausgleichsverfahrens mit dem Mindestwert von 1.000 € sei ebenfalls nicht zu beanstanden, da die Prüfung der Feststellung , dass ein Versorgungsausgleich aufgrund der nach §§ 6, 8 VersAusglG bindenden Vereinbarung der Ehegatten nicht stattfindet, keinen besonderen Aufwand erfordere.
7Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 01.02.2024 nicht abgeholfen und seine Ermessensausübung gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 FamGKG bestätigt. Insbesondere bei einer einvernehmlichen Scheidung ohne Folgesachen dürften die Beteiligten regelmäßig einen möglichst geringen Verfahrenswert erwarten, so dass die Entscheidung, bei der Festsetzung des Verfahrenswertes lediglich auf das Einkommen der Ehegatten abzustellen und die übrigen Vermögensverhältnisse unberücksichtigt zu lassen, verhältnismäßig sei.
8II.
9Die zulässige Beschwerde der Landeskasse gegen die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Scheidungsverfahren ist begründet. Sie führt zu einer Wertfestsetzung für das Scheidungsverfahren auf bis 500.000 €.
101. Nach § 43 Abs. 1 S. 1 FamGKG ist in Ehesachen der Verfahrenswert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach Ermessen zu bestimmen.
11a) Das für den Bemessungsfaktor der Einkommensverhältnisse nach § 43 Abs. 2 FamGKG maßgebliche in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Beteiligten beläuft sich auf ([7.000 € + 2.500 €] x 3 =) 28.500 €.
12b) Was die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse bei der Bemessung des Verfahrenswertes für die Ehesache anbelangt, weist der Beschwerdeführer zutreffend darauf hin, dass der Senat seine frühere Rechtsprechung, wonach Grundbesitz, der unter § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII fällt, nicht verfahrenserhöhend zu berücksichtigen ist (Beschluss vom 23.05.2017, II-7 WF 69/17 – juris), zwischenzeitlich geändert hat (vgl. Beschluss vom 14.04.2020, II-7 WF 168/19 – nicht veröffentlicht). Auch nach erneuter Überprüfung verbleibt der Senat bei seiner (geänderten) Rechtsprechung, dass die für den Bemessungsfaktor der Vermögensverhältnisse maßgebliche Bezugsgröße ein angemessener Teilbetrag des Gesamtvermögens der Beteiligten ist, wobei für eine Differenzierung zwischen verschiedenen Vermögensarten – bezogen auf die Bemessung des Gegenstandswerts – keine sachliche Rechtfertigung besteht, so dass insbesondere auch selbstgenutztes Wohneigentum in die Wertberechnung einzubeziehen ist (vgl. Türck-Brocker in: Schneider/Volpert/Fölsch, FamGKG, 4. Auflage, § 43 Rn. 29, 37).
13Der Senat erachtet die Berücksichtigung eines Freibetrages von 60.000 € je Ehegatten und des Ansatzes von 5 % des verbleibenden Vermögens für angezeigt (vgl. OLG Hamm FF 2019, 169; OLG Hamburg JurBüro 2019, 260; OLG Bamberg FamRZ 2017, 1082; FamRZ 2017, 1771; OLG Stuttgart FamRZ 2016, 164).
14Ihr Gesamtvermögen haben die Beteiligten im notariellen Vertrag vom 04.07.2023 mit insgesamt 9.250.000 € angegeben. Nach Abzug von Freibeträgen für die Eheleute in Höhe von jeweils 60.000 € und bei Ansatz von 5 % des verbleibenden Vermögens ergibt sich ein hierauf entfallender Verfahrenswert von 456.500 €.
15c) Der Gesamtverfahrenswert für die Ehesache beträgt mithin 485.000 €.
16Abweichend von den Ausführungen des Amtsgerichts im Nichtabhilfebeschluss veranlassen der Umfang und die Bedeutung der Sache vorliegend kein Herabsetzung des nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der früheren Ehegatten zu bestimmenden Wertes.
17Als Maßstab dafür, ob der gerichtliche Verfahrensaufwand wertmindernd oder –erhöhend zu berücksichtigen ist, gilt der durchschnittliche Aufwand gleichartiger Verfahren. Die einvernehmliche Scheidung ist der statistische Regelfall und rechtfertigt deshalb keinen Abschlag (OLG Brandenburg, Beschluss vom 30.12.2020, 9 WF 285/20 – juris; OLG Hamm, FF 2019, 167). Ein Abschlag käme in Betracht, wenn sich das Verfahren durch alsbaldige Rücknahme des Scheidungsantrags oder Ruhen mit wenig Aufwand erledigt (OLG Brandenburg, a.a.O.), was hier nicht der Fall ist.
182. Auf die streitige Frage, wie der Verfahrenswert für die Folgesache Versorgungsausgleich gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 FamGKG festgesetzt wird, kommt es aufgrund des Verfahrenswertes für die Ehesache von bereits 485.000 € nicht an, da kostenrechtlich eine Addition der Verfahrenswerte erfolgt. Angesichts der identischen Gebühren bei Verfahrenswerten zwischen 470.000 € und 500.000 € ist es unerheblich, ob man bei dem vorgetragenen in drei Monaten erzielten Nettoeinkommen der Beteiligten von insgesamt 28.500 € und (unterstellter mindestens) zwei verfahrensgegenständlicher Anrechte einen Wert von 5.700 € (20 % von 28.500 €) oder entsprechend der angefochtenen Entscheidung lediglich den Mindestwert von 1.000 € ansetzt.
19III.
20Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 59 Abs. 3 FamGKG.
21Die Entscheidung ist unanfechtbar, §§ 59 Abs. 1 Satz 5, 57 Abs. 7 FamGKG.
22Rake Dr. Moritz Röder