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Die Angeklagte ist schuldig der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland als Mitglied in zwei Fällen.
Sie wird zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Es wird davon abgesehen, der Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.
Gründe:
2(abgekürzt nach § 267 Abs. 4 StPO)
Die heute 30 Jahre alte Angeklagte wurde am xx.xx.xxxx in X in Frankreich geboren. Ihre Mutter, O.M., stammt aus Serbien, ihr Vater, J.H., aus Algerien. Als die Angeklagte ein Jahr alt war, zog die Familie nach X. Aus der ersten Ehe ihrer Mutter mit einem französischen Soldaten hat die Angeklagte einen älteren Halbbruder. 1996 heirateten die Eltern der Angeklagten, damit auch ihr Vater die französische Staatsangehörigkeit erwerben konnte. Ende 2001 wurde ihr jüngerer Bruder, Z.H, geboren.
4Die Mutter der Angeklagten ist christlich orthodox erzogen und pflegte einen westlichen Lebensstil. Ihr Vater ist strenggläubiger Muslim. Das Verhältnis zwischen den Eltern der Angeklagten war konfliktreich. Ihr Vater war nicht damit einverstanden, wie sich ihre Mutter kleidete und dass sie rauchte. Die Mutter war ihrerseits nicht damit einverstanden, dass ihr Vater die religiöse Erziehung der Angeklagten übernahm und sie schon ab dem Alter von vier oder fünf Jahren in der arabischen Sprache und dem Koran unterwies. Ihr Vater wurde gegenüber ihrer Mutter immer wieder handgreiflich, wogegen diese sich trotz ihrer körperlichen Unterlegenheit wehrte. Eine dieser Auseinandersetzungen in Gegenwart der Angeklagten führte dazu, dass ihre Mutter einen Bruch der Nase und eines Beins erlitt. Vermittlungsversuche der Angeklagten und ihres Bruders führten dazu, dass diese zwischen die Fronten gerieten und beide Eltern ihnen gegenüber körperliche Gewalt ausübten. Gleichwohl hatte die Angeklagte das bessere Verhältnis zu ihrem Vater, den sie im Verhältnis zu den Kindern als ruhiger empfand. Die Mutter der Angeklagten machte diese für die Probleme in der Familie verantwortlich und wurde gegenüber den Kindern gelegentlich gewalttätig; einmal fügte sie der Angeklagten Verletzungen mit einem Küchenmesser zu. Die Eltern versuchten, die Kinder gegen den jeweils anderen Teil auszuspielen.
5Da beide Eltern berufstätig waren, musste die Angeklagte sich schon frühzeitig um ihren jüngeren Bruder kümmern. Mit zunehmendem Alter machte ihr Vater ihr Vorschriften zu ihrer Kleidung. Sie durfte sich nicht schminken und keine enge Kleidung tragen. Sie durfte auch nicht auf Geburtstagsfeiern gehen und nicht bei anderen übernachten. Auch sonst billigte ihr Vater Kontakte mit ihren Schulkameraden nicht. Er nahm sie regelmäßig mit in die Moschee. Später besuchte sie die Moschee auch allein, weil sie dort ohne Einmischung durch ihren Vater Kontakte knüpfen und Freundinnen finden konnte. X begann die Angeklagte regelmäßig ein Kopftuch zu tragen. Bei einer Veranstaltung des radikalen Predigers Sven Lau lernte sie andere Frauen mit ähnlichen familiären Problemen kennen und meldete sich, um mit diesen in Kontakt zu bleiben, auf Facebook an, wo ihre Radikalisierung begann.
6Im Jahr x legte die Angeklagte in Trier das Abitur ab und schrieb sich an der Universität des Saarlandes für das Studium der vergleichenden Sprach- und Literaturwissenschaft und Translation ein. Das Studium trat sie indes nicht an.
7Nach den schriftlichen Abiturprüfungen im xx.xx.xxxx kam es zu einem heftigen Konflikt mit ihrer Mutter, die sie schlug und ihre Kopftücher zerschnitt. Im Sommer xx.xx.xxxx hatte die Angeklagte über eine Freundin aus der Moschee einen Studenten namens V. kennengelernt, der sich für sie interessierte. Da sie sich zu ihm hingezogen fühlte, sich aber religiös richtig verhalten wollte, arrangierte die Angeklagte auf Vorschlag ihrer Freundin ein Gespräch deren Ehemanns mit ihrem Vater über dieses Thema nach dem Fastenbrechen. Der Vater der Angeklagten lehnte jede Verbindung zu dem Studenten von vorneherein ab, unter anderem weil er sich an dessen marokkanischer Herkunft störte. Er warf der Angeklagten vor, bereits ein Verhältnis zu diesem Mann zu haben, und beschimpfte sie als „Hure“, die seine Ehre beschmutzt habe.
8Die Angeklagte, die sich durch dieses Verhalten ihres Vaters zutiefst gedemütigt fühlte, wandte sich in der Folgezeit vermehrt Aktivitäten auf Facebook zu. Dort lernte sie G. kennen, der zu diesem Zeitpunkt in Syrien Kämpfer bei der Jabhat an-Nusra war. Anfang xx.xx.xxxx reiste sie nach Syrien aus und heiratete ihn nach islamischem Ritus. Sie wurde schnell schwanger, erlitt eine Fehlgeburt und wurde anschließend erneut schwanger. Im xx.xx.xxxx verließ sie zusammen mit ihrem „Ehemann“ Syrien und begab sich nach einem kurzen Aufenthalt in Ankara im Februar alleine nach Deutschland zurück. Dort lebte sie zunächst bei der Mutter und später dem Vater von G. in Köln, wo am xx.xx.xxxx ihr Sohn Ö. geboren wurde. G. blieb in der Türkei. Nach dem endgültigen Zerwürfnis mit ihrem Ehemann nach islamischem Ritus zog die Angeklagte im xx.xx.xxxx wieder zu ihren Eltern nach Trier.
9X lernte die Angeklagte einen neuen Partner kennen, U., mit dem sie von xxxx bis Anfang xxxx in X zusammenlebte und den sie xxxx dort heiratete. Aus dieser Ehe ist der im Juni 2020 geborene Sohn A2 hervorgegangen. Seit Anfang xxxx lebte die Angeklagte erneut in Trier. Von ihrem Ehemann trennte sie sich xxx. Vom xx.xx.xxxx bis zum xx.xx.xxxx befand sich die Angeklagte in dieser Sache in Untersuchungshaft.
10Die Ehe der Angeklagten mit U. ist mittlerweile geschieden. Die Angeklagte hat ein gutes Verhältnis zu ihrem Ex-Mann. Das Sorgerecht über den gemeinsamen Sohn üben die Eltern gemeinsam aus. Er lebt noch bei seinem Vater in X. Für ihren Sohn Ö. hat die Angeklagte mittlerweile das alleinige Sorgerecht. Derzeit lebt er in einer Wohngruppe. Ab Oktober wird er voraussichtlich zu der Angeklagten zurückkehren. Auf Dauer soll auch der jüngere Sohn der Angeklagten zu ihr kommen.
11Die Angeklagte lebt seit ihrer Haftentlassung von staatlichen Sozialleistungen. Sie hat sich nunmehr für ein Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Trier eingeschrieben und Leistungen nach dem BAFöG beantragt. Zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts beabsichtigt sie, ergänzend einen sogenannten 520 € -Job bei Rewe anzutreten.
12Die Angeklagte ist nicht vorbestraft.
Die Angeklagte beteiligte sich von Anfang xx.xx.xxxx bis xx.xx.xxxx als Mitglied zunächst bis etwa Mitte xx.xx.xxxx in Jarabulus/Syrien an der in Zweck und Tätigkeit unter anderem auf die Begehung von Mord und Totschlag gerichteten Jabhat an-Nusra (JaN). Nachfolgend beteiligte sie sich mitgliedschaftlich an der Vereinigung Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) [im Juni 2014 in Islamischer Staat (IS) umbenannt] mit gleicher Zweckrichtung und Tätigkeit, bis Mitte Januar 2014 zunächst weiterhin in Jarabulus, anschließend in der Türkei und ab Februar 2014 bis Februar 2015 in Deutschland.
141. Die JaN wurde im Jahr 2011 durch eine Gruppe syrischer Mitglieder des Islamischen Staats im Irak (ISI) im Auftrag von Abu Bakr al-Baghdadi, dem Führer des ISI, unter der Führung von Abu Muhammad al-Jaulani in Syrien als dortiger Ableger des ISI mit dem Ziel aufgebaut, am syrischen Bürgerkrieg teilzunehmen. Ihre Gründung gab sie im Januar 2012 per Video bekannt. Ziel der JaN war der Sturz des Regimes von Bashar al-Assad und dessen Ersatz durch einen islamischen Staat auf der Grundlage ihrer Interpretation der Scharia. Dieses Ziel verfolgte die Organisation in ihrer Anfangsphase in erster Linie durch Bombenanschläge auf Einrichtungen und Personal des Regimes sowie durch gezielte Tötungen führender Persönlichkeiten. Sie wuchs schnell und wurde Anfang 2013 zwischenzeitlich zur stärksten jihadistischen Organisation in Syrien. Sie verfügte damals über mehrere tausend Kämpfer und führte auch militärische Operationen durch. In den eroberten Gebieten bemühte sich die Organisation um die Versorgung der Bevölkerung, gleichzeitig aber auch um die Durchsetzung der von ihr propagierten Ordnung durch Polizeikräfte und Scharia-Gerichte und ab 2014 auch um den Aufbau von Verwaltungsstrukturen. Im Gegensatz zum ISI, der später im Islamischen Staat aufging, arbeitete die JaN mit nicht-jihadistischen Aufständischen zusammen und vermied exzessive Gewaltanwendung gegen die Zivilbevölkerung, um diese für sich zu gewinnen. Allerdings war die Organisation durch einen ausgeprägten Hass auf Alawiten und Schiiten gekennzeichnet. Sie war hierarchisch organisiert, ihre Mitglieder wurden in organisationseigenen Trainingslagern an Waffen ausgebildet.
15Im April 2013 kam es zu einem Bruch zwischen der JaN und dem ISI, nachdem dessen Führer al-Baghdadi den Islamischen Staat im Irak und Großsyrien (ISIS) ausgerufen hatte, in dem nach seiner Vorstellung der ISI und die JaN unter seiner Führung aufgehen sollten. Al-Jaulani verweigerte sich einer Unterordnung der JaN und wandte sich an Aiman az-Zawahiri, den Führer des Netzwerks al-Qaida, dem beide Vereinigungen formell angehörten. Dieser ordnete an, dass es bei zwei eigenständigen, jeweils in ihrem Heimatland operierenden Vereinigungen bleiben solle. Das hinderte den ISIS indes nicht daran, seine Operationen auf Teile Syriens auszudehnen. Es kam zum offenen Konflikt und Kämpfen zwischen den Vereinigungen. Die JaN verlor ihre finanzielle Unterstützung aus dem Irak und zahlreiche insbesondere ihrer ausländischen Kämpfer wanderten zum ISIS ab.
16Ab Anfang Januar 2014 beteiligte sich die JaN zusammen mit anderen aufständischen Gruppen an Kämpfen gegen den ISIS, die zu dessen Vertreibung aus Idlib, Latakia und dem Gebiet nördlich von Aleppo führten. Im Februar und ab April 2014 kam es zu weiteren kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen dem ISIS und unter anderem der JaN, die dazu führten, dass die JaN bis zum Juli ihre Hochburgen im Euphrat-Tal südöstlich von Deir ez-Zor verlor. Zu ihrer wichtigsten Hochburg wurde Idlib.
17Die JaN nannte sich seit Juli 2016 offiziell Jabhat Fath al-Sham. Im Januar 2017 ging sie zusammen mit weiteren islamistischen Gruppierungen in der neu gegründeten Vereinigung Hai´a Tahrir al-Sham (HTS, Befreiungskomitee Syriens) auf.
182. Der IS ist eine von der islamischen Glaubensrichtung der Sunniten dominierte Organisation mit militant-fundamentalistischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen den eigenen Vorstellungen entsprechenden autoritären islamischen „Gottesstaat“ im Irak, in Syrien und in den Nachbarstaaten unter Überwindung nationalstaatlicher Grenzen zu etablieren und zu diesem Zweck unter anderem die schiitisch dominierte Regierung im Irak sowie das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. Zudem geht es der Organisation um die Eroberung Jerusalems sowie die physische Vernichtung der Schiiten und Alawiten sowie weiterer religiöser Minderheiten in ihrem Gebiet, wie etwa der Jesiden. Teil des bewaffneten Kampfes ist die Destabilisierung bestehender Ordnungen durch terroristische Anschläge. Wer sich den Ansprüchen der Organisation entgegensetzt, wird als „Feind des Islam“ angesehen. Die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte stellt für den IS ein legitimes Mittel des Kampfes dar.
19Der IS, der diese Bezeichnung seit Juni 2014 führt, hat seine Wurzeln im Irak. Er entstand dort im Oktober 2006 unter der Bezeichnung „Islamischer Staat im Irak“ (ISI) aus der von Abu Musab az-Zarqawi gegründeten Gruppe „al-Qaida im Zweistromland“. Ihr Wirkungsgebiet beschränkte sich zunächst auf den Irak, wo sie, auch nach dem Tod az-Zarqawis im Juni 2006, eine Vielzahl von Anschlägen mit dem Ziel der Destabilisierung des irakischen Staats verübte. Nach dem Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak Ende 2011 erstarkte die mittlerweile von Abu Bakr al-Baghdadi geführte Gruppe. Sie verübte in den Jahren 2012 und 2013 hunderte Anschläge mit Autobomben, denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen, und weitere acht zum Teil spektakuläre Angriffe auf irakische Gefängnisse, bei denen eine Vielzahl von Gefangenen befreit wurde, die sich der Organisation anschlossen.
20Nach der Ausrufung des „Islamischen Staates im Irak und Großsyrien“ (ISIG, auch „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“, ISIS) im April 2013 durch al-Baghdadi und dem anschließenden Bruch mit der JaN, übernahm der ISIS im Frühsommer 2013 mit ehemaligen, zu ihm übergelaufenen Truppen der JaN eine Reihe von deren Stützpunkten im Norden und Osten Syriens. Im Spätsommer/Herbst 2013 kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Kämpfern anderer Rebellenorganisationen, darunter auch der JaN. Im Januar 2014 wurde der ISIS aus der al-Qaida ausgeschlossen.
21Im Sommer 2014 erzielte der ISIS im Irak größere Geländegewinne und nahm im Juni 2014 Mossul ein, die zweitgrößte Stadt des Landes. Daraufhin proklamierte die Organisation – nunmehr ohne räumliche Beschränkung in ihrer Bezeichnung – den „Islamischen Staat“ und rief al-Baghdadi zum Kalifen aus. Eine anschließende, gegen die JaN und die syrische Armee gerichtete Offensive brachte dem IS zudem große Geländegewinne in Syrien, sodass er ab Juni/Juli 2014 ein zusammenhängendes Gebiet in Ostsyrien und dem Nordwestirak kontrollierte. In dieser Zeit bis zum Herbst 2015 erlebte die Organisation ihre Blütezeit. Die Anzahl der Kämpfer war bereits im Jahr 2013 auf rund 10.000 bis 20.000 Mann angewachsen und nahm bis Anfang 2016 auf etwa 20.000 bis 30.000 zu. Dabei verzeichnete der IS – insbesondere nach Ausrufung des Kalifats – auch einen starken Zustrom ausländischer Kämpfer.
22Der IS verlangte von männlichen Mitgliedern regelmäßig die Absolvierung einer militärischen Ausbildung in speziellen Ausbildungslagern. Nach der Absolvierung der Grundausbildung erfolgten die Zuteilung der IS-Rekruten zu einer Kampfeinheit („Katiba“) und die Ausstattung mit einem Sturmgewehr, üblicherweise einer AK 47, nebst Munition. Die Kämpfer erhielten von der Organisation eine zum Lebensunterhalt notwendige Versorgung und einen Sold. Darüber hinaus rekrutierte der IS in den von der Vereinigung eroberten Gebieten gezielt und systematisch Kinder und Jugendliche, um sie in Lagern der Vereinigung auszubilden. Dies entsprach dem seit der Ausrufung des Kalifats veränderten Selbstbild der Vereinigung, die sich nicht mehr als bloße bewaffnete Gruppe, sondern als Staat begriff, der künftige Generationen von „Mudschahidin“ genannten Kämpfern für sein Staatswesen heranzieht. Diese Praxis fand ihre Entsprechung wiederum in der seit Sommer 2014 verfolgten propagandistischen Außendarstellung der Organisation, die nicht mehr primär um Kämpfer warb, sondern nun auch ganze Familien einschließlich Frauen und Kindern anziehen wollte, um in dem neu errichteten „Staat“ zu leben. Damit einher ging die Botschaft, dass der IS diese Kinder im Sinne der Vereinigung erziehen und bilden sowie die Jungen auch zu Kämpfern formen würde. Dementsprechend führten die angeworbenen Frauen den Haushalt, erzogen die Kinder im Sinne der IS-Ideologie und rekrutierten aktiv im Ausland Mitglieder und Unterstützer über soziale Medien.
23Abu Bakr al-Baghdadi stand an der Spitze der hierarchisch gegliederten Organisation und hatte die ideologische Führung inne. Widerständen begegnete er gewaltsam, etwa durch Säuberungsaktionen gegen interne Gegner. Zum weiteren Führungszirkel gehörten sein Stellvertreter sowie jeweils ein Kommandeur für Syrien und für den Irak. Als Entscheidungsorgan bestand ferner ein Schura-Rat für grundlegende Fragen. Nachgeordnet gab es Komitees für verschiedene Angelegenheiten und Provinzgouverneure.
24Der IS nutzte ebenso wie zuvor der ISIS als Erkennungszeichen in Anlehnung an das Logo der irakischen al-Qaida den weißen Kufi-Schriftzug „Es gibt keinen Gott außer Gott“ in arabischer Sprache und darunter das Mohammed zugeschriebene weiße „Prophetensiegel“ mit den arabischen Worten für „Gott, Prophet, Mohammed“ auf schwarzem Grund, teils ergänzt um den Organisationsnamen. Er betrieb eine mehrsprachige Öffentlichkeitsarbeit mit modernen Mitteln, insbesondere durch eigene Medienstellen, die im Internet unzählige Propagandavideos veröffentlichte, unter anderem auch von Hinrichtungen. Die Organisation beging zur Durchsetzung ihrer Ziele – sowohl in Syrien als auch im Irak – eine Vielzahl von Anschlägen, auch auf Zivilisten, und nahm an diversen Kämpfen teil.
25Die Erfolge des IS veranlassten die US-Regierung und ihre europäischen und arabischen Verbündeten ab Herbst 2015 zu verstärkten Luftangriffen. Zudem unterstützten die USA und einige ihrer Verbündeten die Kämpfer der kurdischen PYD. Im Juli 2017 nahm die irakische Armee mit ihren Verbündeten die IS-Hauptstadt Mossul ein; im Oktober 2017 vertrieben die syrischen Kurden mithilfe des US-Militärs den IS aus Raqqa; die Stadt Mayadin wurde durch die syrische Armee zurückerobert. Infolge der Niederlagen gingen auch die meisten neu aufgebauten quasistaatlichen Strukturen verloren, die Verluste an Kämpfern waren sehr hoch, und Rekruten und ihre Familien flohen aus dem IS-Gebiet. Im März 2019 wurde die letzte Bastion des IS in Baghuz eingenommen. Seiter ist der IS, vornehmlich im Irak, wieder im Untergrund tätig. In der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 2019 tötete Abu Bakr al-Baghdadi sich selbst, als er in seinem Landhaus bei Idlib durch US-Spezialkräfte aufgespürt wurde. Als Nachfolger wurde der Iraker Amir al-Maula ernannt, der sodann den Namen Abu Ibrahim Al-Hashimi Al-Qurashi annahm, der durch US-Spezialkräfte am 7. Februar 2022 in der Nähe der türkischen Grenze getötet wurde. Zu dessen Nachfolger wurde am 10. März 2022 Abu al-Hassan bestimmt.
26Nach den Vorstellungen des IS hatten in dem von ihm beherrschten Gebiet neben den sunnitischen Muslimen nur Juden und Christen ein Lebensrecht, da es sich bei ihren Religionen um große monotheistischen Religionen mit einem Offenbarungsbuch handelt, die schon im Koran als solche erwähnt sind. Sie konnten ihre Religion zwar nicht öffentlich praktizieren, durften aber im islamischen Staat leben, sofern sie eine Kopfsteuer zahlten. Schiiten und Angehörige anderer Religionen galten dagegen als Abtrünnige oder Ungläubige, die in der Regel getötet oder versklavt wurden. Mit besonderem Hass verfolgte der IS die Jesiden, eine hauptsächlich in den Regionen Sinjar und Shaikan lebende religiöse Minderheit, die der IS als Teufelsanbeter betrachtet. Der IS beabsichtigte die Vernichtung der jesidischen Religion und Kultur in seinem Herrschaftsgebiet. Zu diesem Zweck überfielen im August 2014 IS-Truppen die Siedlungsgebiete der Jesiden in Sinjar. Dabei töteten die IS-Kämpfer tausende Männer und Jungen und auch viele ältere Frauen. Junge Frauen und Mädchen wurden versklavt und an Kämpfer verteilt oder verkauft, von denen sie vielfach vergewaltigt und weiterverkauft wurden.
27Seit 2014 wurden im Namen des IS auch Anschläge in der westlichen Welt und hierbei besonders häufig in Europa begangen, die zahlreiche Todesopfer forderten.
283. a) Nach dem Besuch einer Veranstaltung des radikal-islamischen Predigers Sven Lau in Dillingen im Jahr 2010 gemeinsam mit Freundinnen aus der Moschee begann die Radikalisierung der Angeklagten. Zu Frauen, die sie dort kennengelernt hatte und die zum Teil ähnliche familiäre Probleme hatten, pflegte sie in der Folgezeit intensiven Kontakt auf Facebook, wo sie zu diesem Zweck selbst ein Profil anlegte. Dort befasste sich die Angeklagte zunehmend auch mit salafistischen Beiträgen. Nach Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011 gab es vermehrt Videos, in denen das Leiden der Muslime thematisiert und teilweise in sogenannten „Nasheeds“ musikalisch-emotional behandelt wurde. Die Angeklagte beschäftigte sich mit diesem Thema und sah dabei auch Videos der Gruppe Millatu Ibrahim aus Solingen mit Beiträgen des radikalen Predigers Mohamed Mahmoud und Videos von Dennis Cuspert. Die Einstellung der Angeklagten radikalisierte sich parallel zu der auch im Netz erfolgenden Stimmungsveränderung nach Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs. Spätestens 2012 gelangte die Angeklagte zu der Auffassung, auch Frauen müssten den Jihad unterstützen, indem sie in ein von jihadistischen Gruppen beherrschtes Gebiet in Syrien ausreisen, dort einen Kämpfer „heiraten“, ihn als „Ehefrau“ unterstützen und Kinder gebären. Diese Auffassung verbreitete sie auch in den sozialen Medien, wo sie zudem über „Sesselmujahideen“ spottete, denen es in Deutschland gut gehe, während andere beim Jihad in Afghanistan und Syrien ihr Leben riskierten. Im Sommer 2012 reduzierte die Angeklagte ihre Internetaktivitäten vorübergehend, um sich auf ihr Abitur vorzubereiten. Nach den schriftlichen Abiturprüfungen im April 2013 nahm sie diese jedoch wieder auf. Die heftigen Konflikte mit beiden Eltern in der Folgezeit führten dazu, dass die Angeklagte vor ihrem Alltag verstärkt in islamistische Facebook-Aktivitäten flüchtete. Auf Facebook wurde spätestens im Sommer 2013 auch das Thema der Ausreise von Frauen in den Jihad thematisiert und entsprechende Protagonistinnen wurden bewundert. Die Angeklagte hängte eine schwarze Flagge mit dem Glaubensbekenntnis, ähnlich der Fahne der JaN, in ihrem Kinderzimmer auf. Zur selben Zeit begann sie damit, beim Verlassen des Hauses Burka und Handschuhe zu tragen.
29b) Die Angeklagte kam im Internet durch Vermittlung in Kontakt zu G., der sich in Syrien der JaN als Kämpfer angeschlossen hatte und dort Wachdienste verrichtete. Dieser machte ihr Komplimente und sie entwickelte Zuneigung zu ihm. Er bestärkte sie in der Vorstellung, die Ausreise in ein islamisches Land und die Unterstützung des Jihad dort seien religiöse Pflichten und übermittelte ihr Dokumente, in denen behauptet wurde, Ausreise und Heirat auch ohne Erlaubnis der Eltern seien in Zeiten des Jihad zulässig und sogar verpflichtend. Wenn sie es ernst meine, solle sie sich an seine in Köln lebende Mutter, R.C., wenden. Nachdem die Angeklagte diese kontaktiert hatte, lud P.C sie nach Köln ein und wirkte bei deren Besuch im xx.xxxx im Sinne einer Entscheidung zur Ausreise auf die Angeklagte ein. Sie schwärmte von ihrem Sohn, erklärte unter Bezugnahme auf eigene Besuche in Syrien, da sei „doch kein Krieg“, und steckte ihr bei der Rückfahrt noch auf dem Bahnsteig in Köln einen Umschlag mit 600 € zu, die, wie G. ihr dann mitteilte, für die Ausreise bestimmt waren.
30In der Folgezeit kommunizierte die Angeklagte mehrfach mit G. über Messenger, telefonierte mit ihm und entschloss sich letztlich zur Ausreise. Yunus Emre buchte für die Angeklagte und für die in der Nähe von Wien lebende O.L. einen Flug von Wien nach Istanbul für den 3. xx.xx.xxxx. L. stammte aus Tschetschenien und sollte ebenfalls nach Syrien ausreisen, um dort G. Bruder T. nach islamischem Ritus heiraten. Die Bezahlung des Flugs erfolgte über das Girokonto der Angeklagten, die G. zum Zweck der Durchführung der Überweisung der Flugkosten die hierfür erforderliche TAN übermittelte.
31Am xx.xx.xxxx fuhr die Angeklagte mit der Bahn nach X zu R.C., welche die Angeklagte sodann mit dem Auto nach Wien fuhr. Die Angeklagte flog mit dem gebuchten Flug nach Istanbul. Die – ebenso wie die Angeklagte – damals minderjährige O.L. folgte kurz darauf, da es bei dem gebuchten Flug zunächst zu Schwierigkeiten aufgrund eines fehlenden Visums kam, die R.C. kurz darauf aber für sie lösen konnte. In Istanbul wurde die Angeklagte durch R.C.´ Ehemann Ä.C. in Empfang genommen. Dieser begleitete am nächsten Morgen sie und die mittlerweile nachgekommene O.L. auf einem Linienflug nach Gaziantep und brachte beide von dort aus zur syrischen Grenze in der Nähe der syrischen Stadt Jarabulus. Dort wurden sie von einem älteren Mann im Auftrag von G. und T. in Empfang genommen und über die Grenze zu einem Fahrzeug mit den Brüdern gebracht. Die beiden jungen Frauen wurde nach Jarabulus gebracht, dort sofort von einem Imam mit G.T.-Brüdern nach islamischem Ritus verheiratet und anschließend in ein ebenfalls in Jarabulus gelegenes Haus gebracht, in dem beide Brüder lebten.
32Die Angeklagte, die von der Mitgliedschaft der G.T.-Brüder bei der JaN wusste, gliederte sich dort ebenfalls ein und übernahm die Rolle als „Ehefrau“ eines Kämpfers. Sie führte den Haushalt für G. und erleichterte ihm auf diese Weise seine Teilnahme an Wachdiensten und sonstigen Tätigkeiten für die Organisation. Dabei war ihr bewusst, dass sie dadurch auch den Belangen der JaN diente. Sie verbrachte anfangs viel Zeit mit O.L., die zusammen mit T. im selben Haus wohnte. Die Angeklagte nahm nach kurzer Zeit auch wieder Aktivitäten im Internet auf. Unter anderem erklärte sie in einer E-Mail Ende September ihrer Freundin Y.F. sinngemäß, dass sie stolz sei, unter der Flagge des Jihad unter Mujahideen zu leben und das Leben in der „kufr demokratie“ beendet zu haben. Ende September stellte sie fest, dass sie schwanger war.
33Anfang xx.xx.xxxx erschien der Vater von O.L. mit einigen tschetschenischen Kämpfern im Haus der G.T.-Brüder und holte seine Tochter ab. Dieser Vorfall führte dazu, dass seitens des örtlichen Emirs der JaN auch die Gültigkeit der ohne väterliches Einverständnis nach islamischem Ritus geschlossenen Ehe der Angeklagten mit G. in Frage gestellt wurde. Die Angeklagte wurde von einem Imam in Begleitung eines Kämpfers abgeholt und zu ihren Eltern und deren Einverständnis mit der Eheschließung befragt. Sie wurde etwa zwei Wochen bei der Frau des Imams untergebracht. Nachdem man die Eltern der Angeklagten in dieser Zeit nicht erreicht hatte, wurde – wohl auch in Anbetracht ihrer Schwangerschaft – eine erneute Eheschließung nach islamischem Ritus mit G. gestattet, die durch einen Richter in Aleppo durchgeführt wurde. Die Angeklagte konnte anschließend in das gemeinsam bewohnte Haus zurückkehren. Gleichwohl wurde G. und T. als Bestrafung die Teilnahme an Kampfeinsätzen auferlegt.
34Die Angeklagte nahm in der Folgezeit auch ihre Aktivitäten auf Facebook wieder auf. Sie berichtete dort von ihrer Ausreise und hatte zudem über WhatsApp intensiveren Kontakt mit der ihr schon vorher über das Internet bekannten 1.2., die sie in deren Ausreiseplänen bestärkte und der sie auf Betreiben von G. eine Ehe nach islamischem Ritus mit T. vorschlug. Die Brüder gaben die Kontaktdaten von Sarah Ournidi an R.C. weiter, die Kontakt zu ihr aufnahm. Letztlich entschloss Sahra Ournidi sich zur Ausreise und begab sich mit Hilfe von A.C über die Türkei nach Syrien, wo sie am xx.xx.xxxx eintraf. Die G.T.-Brüder holten sie zusammen mit der bereits einige Tage zuvor angereisten R.C. und der Angeklagten an der Grenze ab. Die Angeklagte hatte zusammen mit Perihan Semiz zuvor ein Zimmer für 1.2 hergerichtet.
35c) Im xx.xx.xxxx verlor die JaN in Jarabulus an Einfluss und zog sich mit ihren Anhängern langsam zurück. In einem schleichenden Prozess gewann an ihrer Stelle der ISIS dort die Vorherrschaft. G. und T. wollten in Jarabulus bleiben und schlossen sich deswegen im November dem ISIS an. Sie betätigten sich – nunmehr für den ISIS – weiterhin als Wachtposten und hängten am Haus eine ISIS-Flagge auf. Die Angeklagte hatte gegen den Wechsel zum ISIS keine Einwände und förderte die von G. jetzt für den ISIS ausgeübte Wachtätigkeit weiterhin durch die Führung des gemeinsamen Haushalts, wobei ihr auch hierbei bewusst war, dass ihre Tätigkeit dem ISIS zugute kam. G. betätigte sich nicht nur bei Wachdiensten und als Kämpfer, sondern trieb auch Handel und beschaffte in diesem Zusammenhang militärische Ausrüstungsgegenstände für den ISIS. Auch hierbei unterstützte die Angeklagte ihn. So wirkte sie an einer Bestellung von vier Magazinen für das Sturmgewehr M16 mit, indem sie am xx.xx.xxxx R.C. per Chat über die Bestellung informierte und sie unter Mitteilung der Kontodaten aufforderte, den Rechnungsbetrag in Höhe von 41,98 € an die Firma zu bezahlen.
36Ab etwa Mitte November mussten sich die Brüder an Kämpfen mit dem syrischen Militär um die Militärbasis „Liwa 80“ beteiligen. In dieser Zeit blieb die Angeklagte zusammen mit 1.2 in dem Haus in Jarabulus. Am xx.xx.xxxx heirateten T. und 1.2 nach islamischem Ritus. Anschließend waren die G.T.-Brüder für etwa zwei Wochen an Kämpfen um die endgültige Vorherrschaft in Jarabulus beteiligt, welche der ISIS für sich entschied. In dieser Zeit waren die Angeklagte und 1.2 zeitweise bei einer syrischen Familie außerhalb der Stadt und für einige Tage in einem Frauenhaus in Jarabulus untergebracht.
37Die Angeklagte, die nach einer Fehlgeburt mittlerweile wieder schwanger war, wollte nicht, dass ihr Kind in Syrien unter den Umständen des Bürgerkriegs aufwächst. Obwohl sie sich zu diesem Zeitpunkt dem ISIS ideologisch noch verbunden fühlte, überredete sie G. nach Beendigung der Kämpfe deswegen dazu, mit ihr in die Türkei auszureisen. G., der die Gelegenheit sah, sich der Beteiligung an weiteren Kampfhandlungen entziehen zu können, erwirkte unter Verweis auf die Schwangerschaft der Angeklagten eine Ausreiserlaubnis des zuständigen ISIS-Emirs. Am xx.xx.xxxx reisten beide in die Türkei aus, wo sie bei Verwandten von G. in Ankara unterkamen. Die Angeklagte reiste am xx.xx.xxxx nach Deutschland zurück, wo sie zunächst bei R.C. und – nach dem Einzug von Ä.C. dort – bei B2 in Köln wohnte.
38G verblieb in der Türkei und gründete in der Folgezeit die Firma „Warrior Gear“, die unter anderem Ausrüstungsgegenstände für den ISIS in Syrien beschaffte. Die Angeklagte, der dies bekannt war und die sich auch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland noch dem später in IS unbenannten ISIS zugehörig fühlte, unterstützte G. noch bis zum xx.xx.xxxx gelegentlich bei dieser Tätigkeit im Interesse des IS. Bei einem Besuch in der Türkei zwischen dem xx.xx.xxxx brachte sie ihm vier zuvor in Köln zusammen mit R.C. erworbene Mobiltelefone sowie eine von ihr gekaufte Tastatur für seinen Geschäftsbetrieb mit.
39Am xx.xx.xxxx wirkte die Angeklagte an der Bestellung von zwei „USB Power Banks“ mit hoher Kapazität mit. Die Lieferung erfolgte auf ihren Namen an die Adresse von R.C. Die Angeklagte nahm die Lieferung entgegen und überließ sie R.C., wobei sie wusste, dass die Power Banks für das Geschäft von G. bestimmt waren.
40Am xx.xx.xxxx erkundigte sie sich bei der Firma Frankonia nach einer Bestellung von G. von 20 Feldmessern M81 (österreichisches Bundesheer) und vier Leuchtpunktvisieren vom xx.xx.xxxx. Die Ware hatte einen Gesamtnettowert von 891,86 €, war am xx.xx.xxxx bezahlt worden und wurde am xx.xx.xxxx an eine Adresse in Ankara versandt.
41Die Angeklagte überwies nach ihrer Rückkehr nach Deutschland im xx.xx.xxxx bis zum xx.xx.xxxx insgesamt 1.850 € auf das Konto des G. bei der Ziraat Bank in der Türkei, namentlich 360,00 € am xx.xx.xxxx, 1.000 € am xx.xx.xxxx, 390 € am xx.xx.xxxx und 100 € am xx.xx.xxxx. Dabei stammte der Betrag von 1.000 € von R.C.. Der Angeklagten war bewusst, dass die durch die Überweisungen geförderte Geschäftstätigkeit des G. auch dem ISIS/IS zugute kam.
42d) Im xx.xx.xxxx, kurz nach der Geburt ihres Sohnes Ö. am xx.xx.xxxx, nahm die Angeklagte erstmals wieder Kontakt zu ihren Eltern auf, welche sie kurz darauf unangekündigt in X besuchten. Dabei zeigte sich der Vater der Angeklagten zurückhaltend und verständnisvoll und es gelang ihm auf diese Weise, einen guten Kontakt zu der Angeklagten aufzubauen. Auch wenn sie zunächst noch der Ideologie des IS verhaftet blieb, hintertrieb sie eine von R.C und G. gewünschte Reise in die Türkei mit dem gemeinsamen Sohn durch absichtlich erfolglose Beantragung eines Visums ohne die erforderlichen Unterlagen und weigerte sich auch, diesen zusammen mit Verwandten seines Vaters in die Türkei reisen zu lassen. Im xx.xx.xxxx kam es zum endgültigen Bruch mit G., der die Scheidung der islamischen Ehe aussprach. Die Angeklagte sah zu diesem Zeitpunkt auch selbst keine Zukunftsperspektive mit ihm mehr. Sie zog im selben Monat zu ihren Eltern nach Trier. Mit ihrem Vater hatte sie bereits begonnen, zahlreiche Gespräche über religiöse Fragen zu führen, die bei ihr zunächst Zweifel an der Richtigkeit ihrer radikalen Ansichten weckten und in einem längeren Prozess schließlich zu der Einsicht führten, dass es sich bei den Mitgliedern der JaN und des IS um religiöse Extremisten handelt, deren Ideologie sie nicht mehr teilt. Sie hat seit Jahren keinerlei Kontakt mehr zu G.und seiner Familie und lehnt einen solchen auch ab. Sie verfügt über das alleinige Sorgerecht über den gemeinsamen Sohn Ö..
1. Die unter I. getroffenen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten beruhen auf ihren glaubhaften Angaben hierzu und hinsichtlich der fehlenden Vorstrafen ergänzend auf einem aktuellen Auszug aus dem Bundeszentralregister.
442. Die unter II. 1. und 2. getroffenen Feststellungen zur JaN und zum ISIS/IS einschließlich seines Vorgehens gegen die Jesiden beruhen auf den Gutachten des Sachverständigen Dr. T., der für die Stiftung Wissenschaft und Politik tätig ist und sich seit Jahren mit dem Phänomen des islamistischen Terrorismus befasst. Der Sachverständige ist Islamwissenschaftler und ein anerkannter Experte auf dem Gebiet der jüngeren Ereignisse im Nahen Osten und des syrischen Bürgerkriegs. Er ist dem Senat aus zahlreichen Verfahren bekannt; an seiner Fachkunde bestehen keine Zweifel. Die Gutachten sind inhaltlich für den Senat überzeugend.
453. Die unter II. 3. getroffenen Feststellungen beruhen auf dem umfassenden Geständnis der Angeklagten. Die umfangreiche und detaillierte Einlassung der Angeklagten ist schon für sich genommen glaubhaft. Verbleibende Fragen des Senats und des Vertreters des Generalbundesanwalts hat sie überzeugend beantwortet. Widersprüche zu anderen Beweismitteln haben sich nicht ergeben. Die geständige Einlassung wird darüber hinaus auch in nahezu allen Punkten durch weitere Beweismittel bestätigt. Umfangreiche TKÜ-Erkenntnisse, unter anderem Gespräche und Chat-Kommunikation der Angeklagten mit R.C., zahlreiche überwachte Gespräche zwischen R.C und ihren Söhnen sowie auf einem Laptop des B2 befindliche, im xx.xx.xxxx Syrien aufgenommene Bilder, bestätigen den äußeren Ablauf des Tatgeschehens und die festgestellten Aktivitäten der G.T.-Brüder in Syrien und später des G. in der Türkei. Die von der Angeklagten dargestellten Aktivitäten der Sakarya-Brüder, insbesondere des xx.xx.xxxx, werden zudem bestätigt durch die Aussage des Zeugen KHK Carl, der seinerzeit für das PP X maßgeblich an den Ermittlungen gegen R.C. und B2 beteiligt war und dabei insbesondere sehr umfangreiche TKÜ-Ergebnisse ausgewertet hat. Der äußere Tatablauf wird zudem durch weitere polizeiliche Erkenntnisse bestätigt, welche der Zeuge KHK J. als Ermittlungsführer bekundet hat, etwa das Antreffen von R.C. und der Angeklagten bei einer Polizeikontrolle auf dem Weg nach Wien am xx.xx.xxxx. Die vorangegangene Radikalisierung der Angeklagten und ihre innere Einstellung nach ihrer Ankunft in Syrien werden durch eine Auswertung ihrer Facebook-Accounts durch das Bundesamt für Verfassungsschutz, überwachte Telefongespräche und den Inhalt einer nach ihrer Ankunft aus Syrien verschickten E-Mail der Angeklagten an ihre Freundin Y.F. Ende xx.xx.xxxx belegt. Die Beteiligung an der Geschäftstätigkeit des G. einschließlich der Überweisungen auf sein Konto in der Türkei wird ebenfalls durch TKÜ-Erkenntnisse und sichergestellte schriftliche und elektronische Unterlagen bestätigt.
Die Angeklagte hat sich nach den getroffenen Feststellungen der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland als Mitglied in zwei Fällen gemäß § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB in Verbindung mit § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129 Abs. 2, § 53 StGB schuldig gemacht.
471. Die in § 129b Abs. 1 StGB normierten Voraussetzungen für die Anwendung des § 129a StGB auf terroristische Vereinigungen außerhalb der europäischen Union liegen vor. Einen Teil der Tathandlungen hat die Angeklagte in Deutschland begangen, § 129b Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB; zugleich sind für alle Tathandlungen die Voraussetzungen von § 129b Abs. 1 Satz 2 Alt. 4 StGB erfüllt, da die Angeklagte in Trier lebt und sich damit im Inland befindet. Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 3 und 4 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Zusammenhang mit von der JaN begangene Straftaten am xx.xx.xxxx zunächst für in Deutschland aufhältige deutsche Staatsbürger erteilt und am xx.xx.xxxx auf alle im Zusammenhang mit der JaN begangene Straftaten erweitert; für die strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern oder Unterstützern des ISIS hat dieselbe Behörde am xx.xx.xxxx eine Ermächtigung erteilt, die am xx.xx.xxxx an die nunmehr von der Organisation geführte Bezeichnung „IS“ angepasst wurde.
482. Sowohl die JaN als auch der ISIS und nachfolgend der IS sind in Zweck und Tätigkeit auf die Begehung von Mord und Totschlag und weiterer schwerer Straftaten gerichtete Vereinigungen im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Ihre jeweiligen Organisationsstrukturen erfüllen sowohl die Anforderungen des früher in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblichen Vereinigungsbegriffs (BGHSt 18, 296, 299 f.; BGHSt 54, 69 Rn. 216 ff., juris), als auch die hinsichtlich der Organisationsstruktur und Willensbildung geringfügig abgesenkten Anforderungen der Legaldefinition einer Vereinigung in § 129 Abs. 2 iVm § 129a Abs. 1 StGB in der seit dem 22. Juli 2017 gültigen Fassung.
493. Die Angeklagte beteiligte sich nacheinander an beiden Vereinigungen als Mitglied. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt eine mitgliedschaftliche Beteiligung vor, wenn sich der Täter, getragen von beiderseitigem übereinstimmendem Willen und angelegt auf eine gewisse Dauer, in die Organisation eingliedert, sich ihrem Willen unterordnet und eine aktive Tätigkeit zur Förderung ihrer Ziele entfaltet (BGH, Beschluss vom 21. April 2022 – AK 18/22 –, juris, Rn. 4-7 mwN). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Angeklagte reiste bewusst zwecks Unterstützung des Jihads in den Herrschaftsbereich zunächst der JaN und förderte gemäß der von der Vereinigung für Frauen vorgesehenen Rolle die Betätigungshandlungen des Mitglieds G. durch die Haushaltsführung. Darüber hinaus berichtete sie aber auch im Internet von ihrem Leben im Jihad, bestärkte andere, namentlich 1.2., in deren Entschluss zur Ausreise und nahm 2. zusammen mit den G.T.-Brüdern bei ihrer Ankunft in Syrien in Empfang. Ihre Tätigkeiten beschränkten sich damit nicht allein auf ein alltägliches Leben im Herrschaftsgebiet der JaN. Die Angeklagte setzte die Förderung ihres „Ehemannes“ auch nach dessen Wechsel zum ISIS im November 2013 bewusst fort und gliederte sich damit auch in diese Vereinigung ein. Dabei half sie ihm nicht nur durch die Haushaltsführung, sondern auch durch Mitwirkung an seinen geschäftlichen Tätigkeiten für den ISIS und später IS sowie durch die Überweisung sowohl eigenen als auch von R.C. zur Verfügung gestellten Geldes zur Förderung seiner Geschäftstätigkeit.
504. Die Angeklagte handelte vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
515. Die mitgliedschaftliche Beteiligung an der JaN und dem ISIS/IS stehen im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB). Betätigt sich der Täter durch unterschiedliche Handlungen in verschiedenen Organisationen, liegen materiell-rechtlich mehrere selbstständige Organisationsdelikte vor, da für die Strafbarkeit die konkrete Vereinigung ein das Tatbild entscheidend prägendes Merkmal ist (BGH NStZ-RR 2018, 53, 54).
Für die Taten war eine
53Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren
54zur erzieherischen Einwirkung auf die Angeklagte unter Berücksichtigung des Unrechtsgehalts der Taten erforderlich, aber auch ausreichend.
551. Die Angeklagte war zu Beginn des Tatzeitraums im xx.xx.xxxx rund 19 Jahre und drei Monate und an dessen Ende im xx.xx.xxxx rund 20 Jahre und neun Monate alt und damit im gesamten Tatzeitraum Heranwachsende iSv § 1 Abs. 2 JGG. Nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG iVm § 104 Abs. 1 Nr. 1, § 112 JGG war für die Strafbemessung Jungendstrafrecht anzuwenden, da die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit der Angeklagten unter Berücksichtigung der Umweltbedingung ergibt, dass sie während des Tatzeitraums nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung noch einer Jugendlichen gleichstand. Der Senat teilt die diesbezügliche Einschätzung der Jugendgerichtshilfe. Die Kindheit und Jugend der Angeklagten waren durch Entwicklungsbrüche gekennzeichnet, namentlich ständige Konflikte zwischen ihrem eine streng muslimische Erziehung praktizierenden Vater und ihrer Mutter, die damit nicht einverstanden war und eine säkulare Erziehung ihrer Kinder befürwortete. Hinzu kam Gewaltausübung durch beide Eltern. Die Angeklagte war isoliert. Durch die Situation in der Familie wurde die Entwicklungs- und Orientierungsphase der Angeklagten nachhaltig verzögert und ihr wurde durch ihre Erziehung keine hinreichende Resilienz vermittelt. Dass dies zu Reifeverzögerungen geführt hat, wird auch bestätigt dadurch, dass sie bei der Organisation ihrer selbst gewünschten Ausreise eher unselbständig agierte, sie diese in maßgeblichen Teilen G. und seiner Familie überließ und sie auch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland zunächst die Fürsorge seiner Mutter und später seines Vaters in X in Anspruch nahm.
562. Gemäß § 17 Abs. 2 JGG war die Verhängung einer Jugendstrafe geboten. Zwar liegen bei der nicht vorbestraften Angeklagten nach ihrer schon vor Jahren erfolgten Deradikalisierung keine schädlichen Neigungen mehr vor, aber die Verhängung einer Jugendstrafe ist aufgrund der Schwere ihrer Schuld geboten. Bei der Beurteilung der Schwere der Schuld ist auch die Strafandrohung des Erwachsenenstrafrechts heranzuziehen, die gemäß § 129a Abs. 1 iVm § 129b Abs. 1 StGB von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe betrüge. Eine bei geringer Schuld oder Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung nach § 129a Abs. 6 StGB mögliche Strafmilderung käme bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht in Gesamtwürdigung der Tatumstände, insbesondere der Dauer des Tatzeitraums, der vielgestaltigen Beteiligungshandlungen und der seinerzeit gefestigten radikal-religiösen Einstellung der Angeklagten, auch in Anbetracht ihrer positiven Entwicklung seither, nicht in Betracht. Die Verhängung einer Jugendstrafe ist auch aus erzieherischen Gründen noch geboten.
573. Für beide Taten war nach § 31 Abs. 1 Satz 1 JGG eine einheitliche Jugendstrafe festzusetzen. Die Jugendstrafe ist innerhalb des nach § 18 Abs. 1, § 105 Abs. 3 Satz 1 JGG von sechs Monaten bis zu 10 Jahren reichenden Strafrahmens nach § 18 Abs. 2 JGG so zu bemessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Erziehungswirksamkeit als einziger Gesichtspunkt bei der Strafzumessung heranzuziehen ist. Vielmehr sind daneben auch andere Strafzwecke zu beachten. Das Gewicht des Tatunrechts muss gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung der Verurteilten abgewogen werden (BGH, Urteil vom 23. März 2010 – 5 StR 556/09 –, juris), wobei der Erziehungsgedanke in Anbetracht des Alters der Angeklagten von jetzt 30 Jahren nur noch von vermindertem Gewicht ist.
58Im Rahmen der Abwägung hat der Senat zugunsten der Angeklagten maßgeblich ihr umfassendes und von Reue getragenes Geständnis und ihre mittlerweile gefestigte Distanzierung von ihren früheren radikalen Ansichten berücksichtigt. Zu ihren Gunsten sprach darüber hinaus, dass die Angeklagte nicht vorbestraft ist und die Taten mittlerweile rund zehn Jahre zurückliegen.
59Zu Lasten der Angeklagten war dagegen zu berücksichtigen, dass es sich sowohl bei der JaN und noch mehr bei dem ISIS/IS um besonders grausame und gefährliche terroristische Vereinigungen handelt, ferner die Dauer des Tatzeitraums von rund 16 Monaten und der Umstand, dass ihre Beteiligungshandlungen vielfältig und von nicht unerheblichem Gewicht waren.
604. Die Vollstreckung der Einheitsjugendstrafe war nach § 21 Abs. 1 und 2 JGG zur Bewährung auszusetzen, weil zu erwarten ist, dass die Angeklagte auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs keine weiteren Straftaten begehen wird und die Vollstreckung auch im Hinblick auf die Entwicklung der Angeklagten nicht geboten ist. Diese Erwartung ergibt sich aus dem umfassenden und von Reue getragenen Geständnis der Angeklagten, ihrer mittlerweile erfolgten Deradikalisierung und dem Umstand, dass die nicht vorbestrafte Angeklagte seit der Beendigung der letzten Tat, mithin seit gut neun Jahren, ein beanstandungsfreies Leben geführt hat.
Die Kostenentscheidung beruht § 74, § 109 Abs. 2 JGG.
Dem Urteil liegt keine Verständigung nach § 257c StPO zugrunde.