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Zur Begründung der internationalen Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen gemäß Art. 35 EuGVVO ist es erforderlich, dass zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des Vertragsstaats des angerufenen Gerichts eine „reale Verknüpfung“ besteht.
Macht der Kläger einen Anspruch wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch das beklagte Unternehmen geltend, ist der unionsrechtliche Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO eröffnet, wenn die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Handlung nicht vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten abhängt, sondern hiervon unabhängig nach Deliktsrecht zu beurteilen ist.
Eine in den Allgemeinen Nutzungsbedingungen eines Online-Shops enthaltene Gerichtsstandsklausel, nach der „für alle Ansprüche und allfällige Streitigkeiten aus und auf Grund dieses Rechtsverhältnisses und im Zusammenhang mit seiner Abwicklung“ ein dort benanntes, in einem EU-Mitgliedstaat ansässiges Gericht ausschließlich zuständig ist, erfasst Ansprüche wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nur dann, wenn deutliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich der Vertragspartner dem Vertragsgerichtsstand auch für die Geltendmachung von Ansprüche wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung unterwerfen wollte.
Die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Verfügungsklägerin auferlegt.
G r ü n d e:
2I.
3Die Verfügungsklägerin nimmt nach der Sperrung mehrerer ihrer Kundenkonten durch die Verfügungsbeklagte diese wegen unbilliger Behinderung – hilfsweise wegen gezielter Behinderung als Wettbewerberin und äußerst hilfsweise wegen Vertragsverletzung aufgrund angeblich unberechtigter Kündigung – auf Unterlassung in Anspruch.
4Die Verfügungsbeklagte ist eine nach § 1 ASFINAG-Gesetz errichtete Aktiengesellschaft nach österreichischem Recht, deren Aktien zu 100% von der Republik Österreich gehalten werden. Sie finanziert, plant, baut und erhält Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich. Ihr wurde durch Gesetz das ausschließliche Recht zur Bemautung der Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich eingeräumt. Nach den Bestimmungen des Bundesstraßen-Mautgesetzes bedarf die Benutzung von österreichischen Autobahnen und Schnellstraßen mit Kraftfahrzeugen bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 3,5 t des Erwerbs einer zeitabhängigen Vignette (bis zum 1. Dezember 2023 war das höchstzulässige Gesamtgewicht maßgeblich). Bei schwereren Kraftfahrzeugen fällt eine fahrleistungsabhängige Maut an. Zudem ist auf sechs Autobahnabschnitten in Österreich (u.a. auf dem Brenner) eine gesonderte Gebühr, die sog. Streckenmaut, zu entrichten. Die Preise werden mit Verordnung des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen festgelegt. Ergänzende Regelungen finden sich in der Mautordnung.
5Neben der herkömmlichen, an der Windschutzscheibe des Kraftfahrzeugs anzubringenden Klebeplakette, die an über 6.000 Vertriebsstellen in Österreich, im angrenzenden Ausland im Grenzgebiet an unterschiedlichen Verkaufsstellen sowie in Deutschland in den Verkaufsstellen des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs e.V. („ADAC“) erworben werden kann, bietet die Verfügungsbeklagte im Internet sog. digitale Vignetten zu dem denselben Preis zum Kauf an. In dem von ihr betriebenen Online-Shop,… im Folgenden als „Mautshop“ bezeichnet, vgl. Anlage MJ4,) ist neben der „Digitalen Vignette“ als 1-Tages-, 10-Tages-, 2-Monats- und Jahres-Vignette auch die „Digitale Streckenmaut“ (Anlage MJ9) erhältlich. Die digitale 1-Tages-Vignette und die digitale 10-Tages-Vignette können seit dem 1. Dezember 2023 ebenso wie zuvor bereits die „Digitale Streckenmaut“ online mit sofortiger Gültigkeit erworben werden. Für den Erwerb der digitalen Mautprodukte im Mautshop bedarf es der Angabe des Fahrzeugkennzeichens und einer E-Mail-Adresse. Bei jeder Bestellung eines digitalen Mautprodukts hat der Nutzer zu bestätigen, dass er mit den Regelungen der Allgemeinen Nutzungsbedingungen Mautshop („ANB“) einverstanden ist. Gleiches gilt, wenn er ein Kundenkonto unter der von ihm angegebenen E-Mail-Adresse registrieren lässt. In der vom 8. November 2018 bis zum 2. Februar 2022 geltenden Fassung der ANB (Anlage MJ23) heißt es unter Ziff. 14 und Ziff. 16:
6„14. Verbot der Weiterveräußerung
714.1 Die gewerbliche Weiterveräußerung von bezogenen Produkten der Digitalen Vignetten und der Digitalen Streckenmaut ohne schriftliche Zustimmung seitens der [Verfügungsbeklagten] wird untersagt. (…)
816. Rechtswahl bei Verbrauchern und Unternehmern und Gerichtsstand bei Unternehmern
916.1. Es gilt ausschließlich österreichisches Recht unter Ausschluss der Verweisungsnormen und des UN-Kaufrechtes. Durch diese Rechtswahl wird der Bezieher einer Digitalen Vignette und/oder einer Digitalen Streckenmaut, welcher Verbraucher ist, nicht in seinen zwingenden Rechten seines Heimatsstaats beschränkt.
1016.2. Soweit der Bezieher einer Digitalen Vignette und/oder einer Digitalen Streckenmaut kein Verbraucher ist, ist ausschließlicher Gerichtsstand für alle Ansprüche und allfällige Streitigkeiten aus und auf Grund dieses Rechtsverhältnisses und iZm seiner Abwicklung das für den ersten Bezirk in Wien, Österreich, sachlich zuständige Gericht.“
11Ziff. 14 ANB, die in den letzten Jahren mehrfach geändert wurde, lautet in der aktuellen Fassung (Stand 13. Februar 2024, Anlage MJ21):
12„14. Verbot der Weiterveräußerung von Digitalen Mautprodukten
1314.1. Die gewerbliche Weiterveräußerung der Digitalen Mautprodukte ist ohne ausdrückliche Gestattung der [Verfügungsbeklagten] untersagt.
1414.2. Das Weiterveräußerungsverbot gilt nicht, wenn die Weiterveräußerung an Verbraucher unter Verkürzung bzw. Entfall der Wartefrist von 18 Tagen erfolgt und die [Verfügungsbeklagte] dieses Mautprodukt nicht im (…) Mautshop anbietet. Die Veräußerung dieser von der [Verfügungsbeklagten] nicht angebotenen Produkte darf ausschließlich unter Einhaltung aller gesetzlicher Vorgaben, insbesondere aller fernabsatzrechtlichen Informationspflichten, und unter klarer und eindeutiger Preistransparenz bei jeder Preisangabe (insbesondere gesondertes Ausweisen der Mautgebühr und etwaiger Aufschläge des Weiterveräußerers) erfolgen.“
15Die digitalen Mautprodukte der Verfügungsbeklagten werden außerhalb von Österreich daneben von drei offiziellen Online-Vertriebspartnern vertrieben, die von der Verfügungsbeklagten im Zuge eines Ausschreibungsverfahrens ausgewählt wurden. Einer der offiziellen Online-Vertriebspartner ist der ADAC. Über die ADAC … werden die digitalen Mautprodukte auf der Internetseite … ebenfalls vollständig online unter Angabe des Kraftfahrzeugkennzeichens vertrieben. Wie im Mautshop der Verfügungsbeklagten können dort die 1-Tages- und 10-Tages-Vignette sowie die Streckenmaut vollständig online und auf Kundenwunsch auch mit sofortiger Gültigkeit erworben werden (Anlagen MJ3 und MJ58). Die Preise entsprechen den Preisen im Mautshop. Weitere Kosten, wie z.B. eine Bearbeitungs- und/oder Servicegebühr, fallen bei dem Verkauf durch die offiziellen Online-Vertriebspartner nicht an. Demgegenüber können die 2-Monats- und die Jahres-Vignette beim ADAC nicht vollständig online, sondern nur als Klebevignette über den ADAC-Online-Shop bestellt werden. Hierbei fallen Versandkosten in Höhe von 3,50 € an (Anlage MJ3).
16Die in Köln ansässige Verfügungsklägerin bietet im Internet – ohne offizielle Online-Vertriebspartnerin der Verfügungsbeklagten zu sein – seit Ende 2021 ebenfalls digitale Mautprodukte für die Nutzung von österreichischen Autobahnen und Schnellstraßen an. In dem von ihr betriebenen Online-Shop unter der URL (…) sind wie im Mautshop der Verfügungsbeklagten 1-Tages-, 10-Tages-, 2-Monats- und Jahres-Vignetten als digitale Vignetten sowie die digitale Streckenmaut erhältlich. Daneben betreibt sie weitere Internetseiten zum Erwerb von digitalen Vignetten für die Schweiz, Tschechien, Slowenien, Rumänien und Ungarn.
17Für die Abwicklung der bei ihr online eingegangenen Kundenbestellungen richtete die Verfügungsklägerin Anfang 2022 bei der Verfügungsbeklagten die in den Anträgen namentlich aufgeführten 83 Kundenkonten ein. Bis zu der hier streitgegenständlichen Sperrung der Kundenkonten registrierte die Verfügungsklägerin die Kraftfahrzeugkennzeichen ihrer Kunden unter Verwendung eines Kundenkontos im Mautshop der Verfügungsbeklagten. Hierbei gab und gibt sie gegenüber der Verfügungsbeklagte jeweils an, Unternehmerin zu sein.
18Anders als die Verfügungsbeklagte bietet die Verfügungsklägerin nicht nur die digitale 1-Tages- und 10-Tages-Vignette, sondern auch die digitale 2-Monats- und Jahres-Vignette auf Wunsch ihrer Kunden mit sofortiger Gültigkeit an. Zudem hat sie seit kurzem eine digitale 20-Tages- und 4-Monats-Vignette (Anlage MJ51, Stand 10. April 2024) sowie eine digitale „Kombivignette“ (für bis zu sechs europäische Länder) im Angebot (Anlage MJ64). Darüber hinaus wirbt sie im Zusammenhang mit der 1-Tages- und 10-Tages-Vignette sowie der Streckenmaut mit dem sog. Storno-Schutz (Anlage MJ51, Stand 10. April 2024). Inwiefern sich aus Sicht der Endkunden das Leistungsangebot der Parteien darüber hinaus unterscheidet und welchen Mehrwert dies den Kunden bietet, ist zwischen den Parteien im Einzelnen streitig.
19Bei der Verfügungsklägerin fällt bei Vertragsschluss eine „Bearbeitungsgebühr“ an, die je nach gewähltem digitalen Mautprodukt unterschiedlich hoch ausfällt (wegen der Einzelheiten wird insofern auf Erläuterungen zur „Preiszusammensetzung“ auf der Unterseite „Verbraucherinformationen“ gemäß der Anlage MJ5, Stand 11.03.2024, Bezug genommen). Die Bearbeitungsgebühr wird darüber hinaus in der Bestellübersicht unmittelbar vor Abschluss der Bestellung im Rahmen der Berechnung der Gesamtsumme eingeblendet und gesondert ausgewiesen. Die Darstellung der Bestellübersicht enthält neben einer vor Abschluss des Vertrages anzuklickenden Check-Box mit dem Zusatz „Ich stimme den AGB, der Widerrufsbelehrung und den Verbraucherinformationen zu.“ ein Link zu der Unterseite „Verbraucherinformationen“.
20Die Verfügungsbeklagte mahnte die Verfügungsklägerin mit Schreiben vom 23. Februar 2024 (Anlage MJ14/Anlage HL2) unter Hinweis auf die jüngste Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofs (Beschl. v. 17. Oktober 2023, 4 Ob 51/23p) und des Kartellobergerichts (Beschl. v. v. 30. November 2023, 16 Ok 2/23i) ab und forderte sie unter Fristsetzung bis zum 10. März 2024 zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Zur Begründung verwies sie darauf, dass die Verfügungsklägerin entgegen den ANB und „wohl auch“ den gesetzlichen Bestimmungen sämtliche der von ihr angebotenen Digitalen Mautprodukte auch über ihren Online-Shop (…) vertreibe. Als Drittbetreiberin sei es der Verfügungsklägerin indes untersagt,
21• Jahres-Vignetten mit einer Wartefrist von zumindest 18 Tagen,
22• 2- Monatsvignetten mit einer Wartefrist von zumindest 18 Tagen,
23• 10-Tagesvignetten,
24• 1-Tagesvignetten,
25• sämtliche Streckenmautprodukte und
26• Mehrfahrtenkarten der Streckenmaut zu verkaufen.
27Der Verkauf sonstiger Mautprodukte dürfe nur bei vollständiger Transparenz der Preisauszeichnung (getrennte Auszeichnung der Mautgebühr und des Serviceaufschlags) sowie nach Belehrung und tatsächlicher Gewährung des Widerrufsrechts von Verbraucher-Kunden erfolgen.
28Zwei Tage nach Fristablauf, am 12. März 2024, sperrte die Verfügungsbeklagte die 83 Kundenkonten der Verfügungsklägerin. Seither ist es dieser nicht mehr möglich, sich in die Kundenkonten einzuloggen (vgl. hierzu die Anlagen MJ19 und MJ20). Zuletzt führte die Verfügungsklägerin im Mautshop der Verfügungsbeklagten sog. Gastbestellungen ohne Verwendung eines Kundenkontos durch. Dies war ihr auch noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 15. August 2024 möglich.
29Am 15. März 2024 reichte die Verfügungsklägerin beim Landgericht Düsseldorf einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein.
30Nach Verweisung an das Landgericht Köln hat die dortige Kartellkammer mit Beschluss vom 15. April 2024 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, sowohl der Haupt- als auch der Hilfsantrag seien mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht zulässig. Das in der Ziff. 16.2 ANB benannte Gericht, das für den ersten Bezirk in Wien sachlich zuständige Gericht, sei gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 1 VO (EU) 1215/2012 (im Folgenden: EuGVVO) ausschließlich zuständig. Die Gerichtsstandsklausel sei aufgrund des vor Vertragsschluss erfolgten Hinweises auf die ANB wirksam einbezogen worden. Sie umfasse nach dem Wortlaut und dem zur Anwendung berufenen österreichischen Recht auch den von der Verfügungsklägerin geltend gemachten kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch. Gemäß den §§ 914 ff. des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) sei zunächst auf den Wortsinn abzustellen und der Wille der Parteien zu berücksichtigen (vgl. hierzu die Entscheidungen des OGH unter der Rechtssatznummer RS0017915). Damit umfasse der weite Wortlaut der streitgegenständlichen Klausel, der sich „auf alle Ansprüche und allfällige Streitigkeiten aus und auf Grund dieses Rechtsverhältnisses und iZm seiner Abwicklung“ beziehe, auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung. Gegenteiliges folge auch nicht aus der Entscheidung des BGH in Sachen Wikingerhof (Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17). Anders als dort sei der Anwendungsbereich nach dem Wortlaut nicht auf Streitigkeiten aus dem Vertrag beschränkt, sondern gehe darüber hinaus, wie der Verweis auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Abwicklung des Rechtsverhältnisses zeige. Dies entspreche im Streitfall im Übrigen auch dem Willen und dem Interesse der Beteiligten, auch wenn Streitigkeiten wegen Verstößen gegen das Kartellrecht nicht ausdrücklich in der Klausel erwähnt würden. Da sich der hier geltend gemachte Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in den vertraglichen Beziehungen und in den Vertragsbedingungen manifestieren könne, sei die Erstreckung der Gerichtsstandsvereinbarung auf darauf gestützte Klagen nach der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Apple Sales International (Urt. v. 24. Oktober 2018, C-595/17, NJW 2019, 349, Rn. 22 ff.) auch nicht überraschend. Vielmehr dürfte der Verfügungsklägerin bei Eröffnung der Kundenkonten Anfang 2022 bekannt gewesen sein, dass es sich bei der Verfügungsbeklagten um ein marktbeherrschendes Unternehmen handele, zumal der OGH als Kartellobergericht wenige Monate zuvor am 12. Oktober 2021 über ein marktmissbräuchliches Verhalten der Verfügungsbeklagten befunden habe. Ferner ergebe sich aus der Gerichtsstandsvereinbarung, dass die Parteien auch für den einstweiligen Rechtsschutz auf die gesetzlichen Gerichtsstände verzichten wollten. Zum einen hätten die Parteien eine größtmögliche Rechtssicherheit über das zuständige Gericht angestrebt. Zum anderen weise die begehrte einstweilige Maßnahme eine reale Verknüpfung zu Österreich bzw. zu Wien auf, da die Verfügungsbeklagte dort ansässig und die zu unterlassende Handlung, die Kontensperrung, dort vorgenommen worden sei. Demgegenüber befänden sich in Deutschland keine nennenswerten Vermögensgegenstände der Verfügungsbeklagten.
31Gegen den Beschluss, der ihr am 19. April 2024 zugestellt worden ist, wendet sich die Verfügungsklägerin mit ihrer am 26. April 2024 eingelegten sofortigen Beschwerde, der das Landgericht mit Beschluss vom 29. April 2024 nicht abgeholfen hat.
32Zur Begründung der sofortigen Beschwerde trägt die Verfügungsklägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vor, das Landgericht Köln habe die internationale Zuständigkeit zu Unrecht verneint. Es sei international und örtlich gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zuständig, da die geltend gemachten kartell- und lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsansprüche vom Gerichtsstand der unerlaubten Handlung erfasst würden. Im Übrigen folge die Zuständigkeit im Eilverfahren aus Art. 35 EuGVVO. Die Gerichtsstandsvereinbarung in Ziff. 16.2 ANB stehe dem nicht entgegen. Diese beziehe sich ihrem Wortlaut nach nur auf vertragliche Ansprüche, nicht aber auf kartellrechtliche Ansprüche, insbesondere nicht auf solche wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Nach der Rechtsprechung des BGH dürfe nicht einfach unterstellt werden, dass kartellrechtliche Unterlassungs-ansprüche nach dem übereinstimmenden Regelungswillen der Parteien von der Gerichtsstandsvereinbarung erfasst sein sollen, wenn hierfür – wie im vorliegenden Fall – keine deutlichen Anhaltspunkte vorlägen. Insofern könnten die Erwägungen aus dem Urteil des BGH in Sachen Wikingerhof, das zu einer vergleichbaren in AGB enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung ergangen sei, auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Nichts anderes gelte nach österreichischem Recht, da danach auch zunächst auf den Wortsinn abzustellen sei. Im Übrigen gingen undeutliche Regelungen gemäß § 915 Satz 2 ABGB zu Lasten des Verwenders. Schließlich beträfen die Kontensperrungen maßgeblich den deutschen Markt, weil die überwiegende Mehrzahl ihrer Kunden (insgesamt über 50%, in den Sommerferien sogar über 70%) aus Deutschland kämen.
33Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch stehe ihr gemäß § 33 GWB i.V.m § 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GWB wegen unbilliger Behinderung, hilfsweise aber auch – wie erstinstanzlich geltend gemacht – wegen gezielter Behinderung gemäß § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 3a, 4 Nr. 4 UWG und Verletzung der vertraglichen Pflichten aus dem geschlossenen Nutzungsvertrag zu. Indem die Verfügungsbeklagte ihre Konten willkürlich und ohne sachlichen Grund gesperrt habe, habe sie ihre marktbeherrschende Stellung im sachlich relevanten Markt der Vermittlung von digitalen Vignetten missbraucht. Die marktbeherrschende Stellung ergebe sich daraus, dass die Verfügungsbeklagte als Mautbetreibergesellschaft die digitalen Mautprodukte in Verkehr bringe. Die fortdauernde Sperrung der Kundenkonten sei sachlich nicht gerechtfertigt und daher Ausdruck einer willkürlichen Behinderung. Sie biete neue Produkte im Sinne der in der Abmahnung genannten Entscheidungen der österreichischen Gerichte, der Rechtsprechung des EuGH und der Ziff. 14.2 ANB an. Ihr Produkt- und Serviceangebot gehe gleich in mehrfacher Hinsicht über das Angebot der Verfügungsbeklagten hinaus. So biete sie – insofern unstreitig – abweichend vom Angebot der Verfügungsbeklagten seit kurzem auch 20-Tages- und 4-Monats-Vignetten an (Anlage MJ51 und MJ52). Bei ihr gebe es generell keine Wartefrist bis zur Nutzung der digitalen Vignette. Sofern vom Kunden gewünscht, seien auch die 2-Monats- und Jahres-Vignette sofort nach Abschluss der Bestellung gültig (Anlage MJ35). Zudem gewähre sie ihren Kunden neben dem 14-tägigen Widerrufsrecht einen umfassenden Storno-Schutz, der eine Stornierung der Bestellung nicht nur vor Gültigkeitsbeginn, sondern auch bei Nichtbenutzung nach Eintritt der Gültigkeit bis zum Ende des Gültigkeitszeitraums überwiegend kostenlos ermögliche – ein geringes Entgelt von 0,99 € falle lediglich bei der Stornierung der 2-Monats- und der Jahresvignette an (Anlagen MJ13, MJ49 und MJ50). Außerdem biete sie – insofern ebenfalls unstreitig – mit dem Betrieb weiterer Internetseiten ein länderübergreifendes Angebot auch für Mautprodukte für Tschechien, Slowenien, Rumänien, Ungarn und die Schweiz (Anlage MJ27) an. Kunden könnten bei ihr mit Hilfe eines länderübergreifenden Reiserouten- und Mautplaners automatisch die erforderlichen Mautprodukte anzeigen lassen (Anlage MJ29) und neuerdings auch eine Kombination von digitalen Mautprodukten dieser sechs Länder erwerben (Anlage MJ64). Neben anderen Vorteilen, wie zusätzlichen Zahlungsmöglichkeiten und einer größeren Sprachauswahl, könnten Kunden bei ihr dauerhaft und unkompliziert Bestelländerungen vornehmen (Anlage MJ37), ohne ein Kundenkonto anlegen zu müssen. Im Übrigen stehe ihr im Sinne der Essential-Facility-Doktrin – mit Blick auf die drei Online-Vertriebspartner – ein Anspruch auf diskriminierungsfreie Entscheidung und somit ein Belieferungsanspruch zu.
34Nach alldem seien im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ihre Interessen als Start-Up-Unternehmen an der Fortsetzung ihrer Geschäftstätigkeit höher zu gewichten als die von der Verfügungsbeklagten angeführten Belange und Bedenken. Anhaltspunkte für einen von ihr, der Verfügungsklägerin, begangenen Wettbewerbsverstoß, beispielsweise wegen irreführender Angaben oder eines Verstoßes gegen eine sog. Marktverhaltensregelung (§ 3a UWG), bestünden entgegen der Ausführungen im Abmahnschreiben nicht. Die Preisangaben im Rahmen ihres aktuellen Angebots seien transparent und erfüllten die gesetzlichen Vorgaben zum Fernabsatzrecht ebenso wie diejenigen der Preisangabenverordnung. Der Hinweis auf die anfallende Bearbeitungsgebühr im Rahmen der Bestellübersicht sei hinreichend deutlich. Zusätzliche Transparenz werde durch die gesondert aufrufbaren Verbraucherinformationen und die weiteren, auf ihrer Internetseite verfügbaren Informationen geschaffen. Entgegen der Darstellung der Verfügungsbeklagten gewähre sie allen ihren Kunden, soweit es sich bei ihnen um Verbraucher handele, neben dem Storno-Schutz auch ein 14-tägiges Widerrufsrecht, wie sich der Auflistung der durchgeführten Widerrufe in der Zeit von Oktober 2023 bis März 2024 in Anlage MJ49 entnehmen lasse.
35Im Übrigen könne sich die Verfügungsbeklagte zur Begründung der Kontensperrungen auch nicht auf das Verbot der Weiterveräußerung in Ziff. 14 ANB berufen, weil sie, die Verfügungsklägerin, die digitalen Mautprodukte nicht veräußere, sondern nur vermittele. Soweit die Verfügungsbeklagte die Kontensperrungen auf die aktuelle Fassung der ANB mit Stand 13. Februar 2024 stütze, handele es sich zudem nicht um die maßgebliche Fassung der ANB, die in die Nutzungsverträge einbezogen worden seien. Abzustellen sei insofern auf die bei Eröffnung der Kundenkonten geltende Fassung vom 8. November 2018 (Anlage MJ 23).
36Aufgrund der erfolgten Kontensperrungen drohten ihr signifikante Umsatzeinbußen und ein erheblicher Rückgang der Kundenzahlen, da die österreichischen Mautprodukte ca. zwei Drittel ihrer gesamten Einnahmen ausmachten. Das Wegbrechen des Geschäfts mit den österreichischen digitalen Mautprodukten habe für sie existenzbedrohende Auswirkungen. Sie könne weder auf andere Produkte anderer Anbieter ausweichen, noch stelle die weiterhin bestehende Möglichkeit zur Nutzung der einfachen Bestellmaske im Mautshop ohne Zugang zu den Kundenkonten („Gastbestellung“) eine hinreichende Alternative dar, weil dies die Abwicklung in technischer Hinsicht erheblich erschwere. Zudem habe die Verfügungsbeklagte zuletzt auch die von ihr bei Gastbestellungen verwandten E-Mail-Adressen sukzessive gesperrt, was den technischen und personellen Aufwand zusätzlich erhöht habe. Schließlich sei der Zugang zu den gesperrten Kundenkonten auch erforderlich, um bestimmte von ihr gegenüber ihren Kunden angebotene Serviceleistungen, wie z.B. die Änderung des Kennzeichens und/oder Gültigkeitszeitraums, durchführen zu können.
37Die Verfügungsklägerin verfolgt das ursprüngliche Begehren unter Berücksichtigung der in der ersten mündlichen Verhandlung am 10. Juni 2024 von dem Senat erteilten Hinweise mit sprachlichen Anpassungen im Beschwerdeverfahren weiter. Nach erfolgter Rücknahme des zweiten Hilfsantrags (aus dem Schriftsatz vom 10. April 2024, Bl. 205 ff. d.A.) beantragt sie zuletzt,
381.
39den Beschluss des Landgerichts Köln vom 15. April 2024, Az. 31 O 5/24 (Kart), im Wege der sofortigen Beschwerde dahin abzuändern, dass es der Verfügungsbeklagten bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die an den Vorständen der Verfügungsbeklagte zu vollziehen ist, untersagt ist, die von der Verfügungsklägerin auf der Plattform (…) der Verfügungsbeklagten eingerichteten Nutzerkonten
40sowie alle weiteren von der Verfügungsklägerin auf der Plattform (…) der Verfügungsbeklagten eingerichteten künftigen Nutzerkonten, die auf „(…)“ enden,
41wegen der Weitergabe und Bezahlung von digitalen Mautprodukten der Verfügungsbeklagten für Motorräder und Kraftfahrzeuge bis zu einer technisch zulässigen Gesamtmasse von bis einschließlich 3,5 t an Nutzer der Verfügungsklägerin zu sperren und/oder sperren zu lassen, wenn dies geschieht wie bei der ab 12. März 2024 erfolgten Kontensperrung aus den in der Abmahnung der Verfügungsbeklagten genannten Gründen vom 23. Februar 2024 (Anlage MJ14),
42nämlich wegen der Weitergabe und Bezahlung von Jahresvignetten, 2-Monatsvignetten, 10-Tagesvignetten, 1-Tagesvignetten, Streckenmautprodukten, Mehrfahrtenkarten der Streckenmaut, 20-Tagesvignetten und 4-Monatsvignetten
43sowie hilfsweise:
442.
45den Beschluss des Landgerichts Köln vom 15. April 2024, Az. 31 O 5/24 (Kart), im Wege der sofortigen Beschwerde dahin abzuändern, dass es der Verfügungsbeklagten bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die an den Vorständen der Verfügungsbeklagten zu vollziehen ist, untersagt ist, die von der Verfügungsklägerin auf der Plattform (…) der Verfügungsbeklagten eingerichteten Nutzerkonten
46[Bezeichnung der 83 Kundenkonten]
47sowie alle weiteren von der Verfügungsklägerin auf der Plattform (…) der Verfügungsbeklagten eingerichteten künftigen Nutzerkonten, die auf „(...)“ enden,
48wegen der Weitergabe und Bezahlung von digitalen Mautprodukten der Verfügungsbeklagten für Motorräder und Kraftfahrzeuge bis zu einer technisch zulässigen Gesamtmasse von bis einschließlich 3,5 t an Nutzer der Verfügungsklägerin zu sperren und/oder sperren zu lassen, wenn dies geschieht wie bei der ab 12. März 2024 erfolgten Kontensperrung aus den in der Abmahnung der Verfügungsbeklagten genannten Gründen vom 23. Februar 2024 (Anlage MJ14),
49nämlich wegen der Weitergabe und Bezahlung von Jahresvignetten mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Erwerb,
50der Weitergabe und Bezahlung von 2-Monatsvignetten mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Erwerb,
51der Weitergabe und Bezahlung von 20-Tagesvignetten mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Erwerb
52und/oder
53der Weitergabe und Bezahlung von 4-Monatsvignetten mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Erwerb.
54Die Verfügungsbeklagte beantragt,
551.
56die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Köln vom 15.04.2024, Az. 31 O 5/24 (Kart) zurückzuweisen und der Verfügungsklägerin die Kosten für die erfolgte teilweise Antragsrücknahme aufzuerlegen,
572.
58sowie hilfsweise, für den Fall, dass dem Antrag ganz oder teilweise stattgegeben werden sollte, dass der Verfügungsklägerin eine Frist zur Erhebung der Klage in der Hauptsache gesetzt wird.
59Die Verfügungsbeklagte verteidigt den angefochtenen Beschluss. Die Zurückweisung sei zu Recht aufgrund der fehlenden internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte erfolgt. Mit der Gerichtsstandsvereinbarung in Ziff. 16.2 ANB sei eine ausschließliche und umfassende Zuständigkeit des für den ersten Bezirk in Wien sachlich zuständigen Gerichts begründet worden. Das Landgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass von der Gerichtsstandsvereinbarung angesichts des weiten Wortlauts auch kartellrechtliche Ansprüche wie der hier geltend gemachte Unterlassungsanspruch wegen angeblichen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung erfasst würden. Die von der Verfügungsklägerin begehrte Freischaltung der Kundenkonten betreffe einen Online-Shop mit österreichischer Top-Level-Domain („.at“) und erfordere eine Handlung in Österreich, so dass dem Erlass einer einstweiligen Verfügung insoweit exterritoriale Wirkung zukäme. Zugunsten der weiten Auslegung der Gerichtsstandsklausel spreche auch, dass bei einer umfassenden Zuständigkeit des österreichischen Gerichts divergierende Entscheidungen vermieden würden. Im Übrigen seien die Anträge auch nicht hinreichend bestimmt.
60Die Verfügungsklägerin habe zudem weder das Bestehen eines Verfügungsgrundes noch eines Verfügungsanspruchs glaubhaft gemacht. Sie habe bereits nicht hinreichend dargetan und erst recht nicht glaubhaft gemacht, dass sie sich infolge der Kontensperrungen in einer existenzbedrohenden wirtschaftlichen Notlage befinde. Im Gegenteil zeigten die von ihr ermittelten, der Verfügungsklägerin mit Hilfe der genutzten E-Mail-Adressen und Zahlungsdaten zuordenbaren Käufe von digitalen Mautprodukten, dass diese auf Basis der bekannten Bearbeitungsgebühren allein damit (bezogen auf österreichische digitale Mautprodukte) einen Gewinn (vor Steuern) in Höhe von ca. xxx.000,00 € erzielt habe. Die als Anlage HL10 vorgelegte tabellarische Übersicht für die Verkaufszahlen für die Monate Januar bis Juni 2024 zeige, dass die Kontensperrungen Mitte März 2024 und das spätere „Blacklisting“ von E-Mail-Adressen die Verkaufszahlen nicht geschmälert hätten.
61Schließlich liege in der Sache auch kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch unbillige Behinderung oder eine nicht gerechtfertigte ungleiche Behandlung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB vor. Die Kontensperrungen seien rechtmäßig erfolgt. Sie dürfe den Vertrieb der von ihr in den Markt gegebenen digitalen Mautprodukten bestimmten Unternehmen gestatten und eine geschäftliche Zusammenarbeit gegenüber anderen Unternehmen auch verweigern. Ein Kontrahierungszwang bestehe nicht. Selbst bei Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung sei sie grundsätzlich nicht daran gehindert, den Vertrieb der von ihr angebotenen digitalen Mautprodukte nach eigenem Ermessen zu gestalten. Insbesondere sei sie nicht verpflichtet, einen Sekundärmarkt für den Handel mit digitalen Mautprodukten zu eröffnen. Den Online-Vertrieb habe sie nach Durchführung eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens exklusiv den drei ausgewählten Online-Vertriebspartnern gestattet und ihn sich im Übrigen selbst vorbehalten. Wie der OGH in den letzten Jahren in mehreren Verfahren mit ihrer Beteiligung entschieden habe, bestehe ein Belieferungsanspruch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Magill und IMS Health nur dann, wenn es sich um ein neuartiges Produkt handele und eine entsprechende (potentielle) Nachfrage hierfür bei den Endkunden bestehe. Diese Voraussetzungen lägen im Streitfall nicht vor. Denn die Leistungen würden von ihr wenn nicht in identischer Art und Weise, so doch zumindest nahezu identisch bereitgestellt. Der schlichte Weiterverkauf der von ihr verkauften digitalen Mautprodukte – um einen solchen handele es sich bei der von der Verfügungsklägerin angebotenen Dienstleistung – könne nicht als neuartiges Produkt bzw. neuartige Dienstleistung qualifiziert werden. Dies gelte auch für die 20-Tages- und die 4-Monats-Vignette, da es sich hierbei schlicht um eine Kombination von zwei 10-Tages- bzw. 2-Monats-Vignetten handele. Das Angebot von digitalen Vignetten für andere Länder stelle ebenfalls kein neues Produkt in diesem Sinne dar, da entsprechende Angebote in den jeweiligen Ländern bereits existierten. Mit dem länderübergreifenden Mautplaner werde ein bereits existierendes Produkt lediglich promotet. Auch die Sprachauswahl und Zahlungsoptionen seien lediglich zusätzliche Services rund um das Mautprodukt, aber kein eigenständiges, neues Produkt. Nachträgliche Bestelländerungen (Kennzeichen und/oder Gültigkeit) seien auch bei ihr unkompliziert und sogar bis eine Minute vor Gültigkeitsbeginn telefonisch über das Service Center (ohne Anmeldung bzw. Anlegen eines Kundenkontos) möglich. Für den Storno-Schutz bestehe in rein tatsächlicher Hinsicht beim Erwerb von digitalen Vignetten mit sofortiger Gültigkeit, aber auch in rechtlicher Hinsicht unter Berücksichtigung der verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften des österreichischen Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetzes (FAGG) kein Bedarf. Soweit die Verfügungsklägerin ihre Kunden unmittelbar vor Vertragsschluss online auf das Rücktritts- bzw. Widerrufsrecht verzichten lasse, sodann als kostenpflichtigen Service „durch die Hintertür“ über den Storno-Schutz die Möglichkeit zur Loslösung vom Vertrag wieder einräume, würden verbraucherschützende Instrumente bewusst ausgehebelt bzw. umgangen, um vergleichbare Rechte gegen Entgelt einzuräumen. Insgesamt liege somit keine anerkennenswerte (Produkt-)Innovation vor.
62Eine Ungleichbehandlung der Verfügungsklägerin scheide auch deswegen aus, weil sie am 23. Februar 2024 nicht nur die Verfügungsklägerin, sondern zusammen über 100 Anbieter von digitalen Mautprodukten für Österreich ebenfalls wegen Verstoßes gegen Ziff. 14 ANB, unverhältnismäßig hohen Bearbeitungsgebühren und irreführenden Angaben abgemahnt habe. Im Übrigen sei die Sperrung der Kundenkonten der Verfügungsklägerin sachlich gerechtfertigt, weil mit dem Verstoß gegen das gewerbliche Weiterveräußerungsverbot und den Verstößen gegen verbraucherschützende Vorschriften objektive Gründe für eine „Lieferverweigerung“ vorgelegen hätten. Sie habe dadurch den zeitlichen und finanziellen Aufwand, der ihr durch die Kundenbeschwerden (Anlage HL1) entstanden sei, verringern, ihren Ruf als Unternehmen schützen und die Akzeptanz der Mauterhebung unter den Mautkunden bewahren wollen. Als staatliches Unternehmen dürfe und müsse sie ein in eklatanter und gleich mehrfacher Weise irreführendes und intransparentes Verhalten eines anderen Unternehmens im Umfeld ihrer eigenen Dienstleistungsprodukte eindämmen und verhindern können. Bis heute sei die Darstellung der Preisgestaltung auf der Internetseite der Verfügungsklägerin lückenhaft, irreführend und intransparent, die Erläuterungen hierzu seien missverständlich und zum Teil sogar falsch, wie z.B. die Werbung mit günstigen „Ab“-Preisen für digitale Vignetten, die nur für Motorräder gelten, oder die Angaben auf der FAQ-Unterseite des Online-Shops. Dort würden die Bearbeitungsgebühren (weiterhin) nicht gesondert ausgewiesen und es werde der Eindruck erweckt, dass für digitale Vignetten stets ein Aufpreis im Vergleich zur Klebevignette verlangt werde. Zudem seien die Bearbeitungsgebühren teilweise so hoch, dass sie den für die Vignette zu zahlenden Preis überstiegen. Nach alldem gehe zumindest die Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen zu ihren Gunsten aus.
63Der von der Verfügungsklägerin geltend gemachte lauterkeitsrechtliche Unterlassungsanspruch wegen angeblich gezielter Behinderung (§ 4 Nr. 4 UWG) rechtfertige kein anderes Ergebnis, da er lediglich subsidiär greife und nicht weiter als der kartellrechtliche Unterlassungsanspruch reichen könne. Auch ein vertraglicher Unterlassungsanspruch wegen angeblich unberechtigter Kündigung scheide aus, da nicht sie, sondern die Verfügungsklägerin gegen vertragliche Bestimmungen, hier das in Ziff. 14 ANB geregelte gewerbliche Weiterveräußerungsverbot, verstoßen und den Mautshop vertragswidrig genutzt habe. Die insofern für die zuletzt erfolgten Bestellungen maßgebliche aktuelle Fassung der Ziff. 14 ANB berücksichtige inhaltlich den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien (Kartellgericht) vom 27. Januar 2023 (Az. 128 Kt 4/22s-54) und den Beschluss des Obersten Gerichtshofs als Kartellobergericht vom 30. November 2023 (Az. 16 Ok 2/23i) und sei daher auch kartellrechtskonform.
64II.
65Die zulässige sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
661.
67Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist gemäß §§ 567, 569 ZPO zulässig. Über sie hat, nachdem die Kartellkammer des Landgerichts Köln ihr nicht abgeholfen hat (§ 572 Abs. 1 ZPO), der Kartellsenat beim Oberlandesgericht Düsseldorf zu entscheiden (§§ 91, 92 Abs. 2, 93 GWB i.V.m. § 2 der Verordnung über die Bildung gemeinsamer Kartellgerichte und über die gerichtliche Zuständigkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach dem Energiewirtschaftsgesetz vom 30. August 2011). Es liegt eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit gemäß § 87 Satz 1 GWB vor, da die Verfügungsklägerin ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung neben lauterkeitsrechtlichen und vertraglichen Ansprüchen vorrangig auf die Verletzung von kartellrechtlichen Vorschriften (§ 19 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 GWB) stützt. Dies reicht für die Annahme einer Kartellstreitsache aus (vgl. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 87 GWB, Rn. 12 und 16). Über die sofortige Beschwerde ist nicht durch Beschluss, sondern gemäß § 922 ZPO durch Urteil zu entscheiden, da letztere Regelung § 572 Abs. 4 ZPO hier vorgeht (vgl. Cepl, in: Cepl/Voß, 3. Aufl. 2022, § 572 ZPO, Rn. 15 m.w.N.).
682.
69Die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin ist lediglich insoweit begründet, als das Landgericht zu Unrecht seine internationale Zuständigkeit verneint hat.
70a. Der Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Beschwerdeverfahren steht § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht entgegen. Danach kann die Beschwerde zwar nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Diese Regelung gilt indes nicht für die internationale Zuständigkeit (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7. Februar 2008, I-20 W 152/07, Rn. 17, zitiert nach juris; Cepl, in: Cepl/Voß, a.a.O., § 571 ZPO, Rn. 9). Inhaltlich stimmt die Regelung mit derjenigen für das Berufungsverfahren in § 513 Abs. 2 ZPO überein. Insoweit ist anerkannt, dass die internationale Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (BGH, NJW 2019, 2780, Rn. 14).
71b. Das Landgericht Köln ist gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO international und örtlich für die Entscheidung über den geltend gemachten kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch zuständig. Der räumliche, sachliche und zeitliche Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (auch als Brüssel Ia-Verordnung bezeichnet, im Folgenden: EuGVVO) ist eröffnet. Es liegt eine Zivil- und Handelssache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 EuGVVO vor. Ein hinreichender Auslandsbezug ist mit dem Sitz der Verfügungsbeklagte in Österreich gegeben; es liegt kein reiner Inlandsfall vor.
72aa. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt entgegen der Ansicht der Verfügungsklägerin nicht bereits aus Art. 35 EuGVVO i.V.m. dem nationalen Verfahrensrecht (§ 937 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 14 Abs. 2 S. 2 UWG und/oder § 32 ZPO). Danach können die im Recht eines Mitgliedsstaates vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen bei den Gerichten dieses Mitgliedsstaates auch dann beantragt werden, wenn für die Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedsstaates zuständig ist. Folglich kann die internationale Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen – wie hier den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – auch „nur“ auf das nationale Zuständigkeitsrecht gestützt werden (vgl. Geimer in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, Art. 35 EuGVVO, Rn. 6). Zur Begründung der internationalen Zuständigkeit ist es nach der Rechtsprechung des EuGH zur Vorgängernorm im Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (Art. 24 EuGVÜ) über den Wortlaut der Vorschrift hinaus erforderlich, dass zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des Vertragsstaats des angerufenen Gerichts eine „reale Verknüpfung“ besteht (EuGH, Urt. v. 17. November 1998, Rs. C-391/95, Rn. 40 – Van Uden Maritime BV./.Deco-Line, zitiert nach juris). Dadurch soll verhindert werden, dass die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in der Hauptsache durch den einstweiligen Rechtsschutz nach nationalem Recht umgangen und vollendete Tatsachen geschaffen werden (vgl. EuGH, Urt. v. 17. November 1998, a.a.O., Rn. 46; EuGH, Urt. v. 27. April 1999, Rs. C-99/96, Rn. 47 – Hans Hermann Mietz/Intership Yachting Sneek BV, jeweils zitiert nach juris). Was unter einer realen Verknüpfung zwischen dem Gegenstand der beantragten einstweiligen Maßnahme und der gebietsbezogenen gerichtlichen Zuständigkeit zu verstehen ist, ist bislang noch nicht scharf eingegrenzt (vgl. Geimer, in: Zöller, a.a.O., Rn. 7 m.w.N.).
73Der Senat folgt insoweit der obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach bloße Auswirkungen der einstweiligen Maßnahme im Staat des angerufenen Gerichts, hier eine mögliche Beeinträchtigung von Rechtsgütern der Verfügungsklägerin in Deutschland, für eine reale Verknüpfung nicht ausreichen (so OLG Düsseldorf, Urt. v. 11. März 2021, I-20 U 269/20, n.v. zur Sperrung eines Amazon-Verkäuferkontos; OLG Hamburg, Beschl. v. 4. April 2022, 15 W 18/22, Rn. 22 zur Sperrung eines Verlagskontos bei einem Online-Verlag; Geimer a.a.O., Rn. 7; a.A. E. Peiffer/M. Peiffer in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Werkstand: 66. EL Januar 2023, Art. 35 EuGVVO, Rn. 17). Nach zutreffender Ansicht ist Art. 35 EuGVVO insoweit enger auszulegen als Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Da der EuGH in eigenständiger Terminologie eine „reale Verknüpfung“ zu dem „Gegenstand der beantragten Maßnahmen“ fordert, kommt es auf den Inhalt der begehrten Maßnahme an und nicht auf ihre Auswirkungen bzw. die Auswirkungen einer zuvor begangenen Zuwiderhandlung (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Hamburg, a.a.O., Rn. 22; Geimer a.a.O., Rn. 7). Richtet sich – wie hier – die begehrte einstweilige Maßnahme auf eine Unterlassung bzw. Aufhebung der Sperrung eines Online-Nutzerkontos, besteht eine entsprechende reale Verknüpfung in erster Linie zu dem Land, in dem der Antragsgegner ansässig ist bzw. in dem das zu untersagende Verhalten gesetzt worden ist (OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Hamburg, a.a.O, Rn. 19; Geimer a.a.O., Rn. 7). Mangels abweichender Angaben ist davon auszugehen, dass die Sperrung der Kundenkonten durch die in Wien ansässige Verfügungsbeklagte vor Ort in Österreich vorgenommen worden ist, so dass ein etwaiges Gebot zur Unterlassung (als nichtvertretbare Handlung) auch dort zu erfüllen wäre.
74In Bezug auf die deutschen Gerichte bzw. Deutschland fehlt es hingegen an einer realen Verknüpfung. Denn auch nach der insofern weiten Auslegung, wonach eine reale Verknüpfung – unabhängig von einer tatsächlich bestehenden Möglichkeit zur Realexekution im Mitgliedsstaat des angerufenen Gerichts – bereits dann besteht, wenn in dem betreffenden Mitgliedstaat (Erlassstaat) eine reale Zugriffsmöglichkeit auf den betroffenen Vermögensgegenstand oder zumindest auf das Vermögen des Schuldners gegeben ist, bedürfte es zumindest eines gewissen Vermögens des Unterlassungsschuldners im Erlassstaat, weil Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung des Unterlassungsgebots (in Deutschland die Verhängung von Ordnungsmitteln) ansonsten praktisch leerliefen und das Unterlassungsgebot nicht wirksam durchgesetzt werden könnte. Dass die Verfügungsbeklagte ein entsprechendes Vermögen in Deutschland hat, ist indes weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Hinzu kommt, dass die von der Verfügungsklägerin beantragte einstweilige Verfügung keine einstweilige Maßnahme im Sinne des Art. 35 EuGVVO darstellt, da ein zwischenzeitliches Freischalten der Kundenkonten und das Unterlassung weiterer Kontensperrungen bis zur Entscheidung in der Hauptsache anders als vom EuGH gefordert (vgl. EuGH, Urt. v. 17. November 1998, Rs. C-391/95, Rn. 42 – Van Uden Maritime BV./.Deco-Line und EuGH, Urt. v. 27. April 1999, Rs. C-99/96, Rn. 42 – Hans Hermann Mietz/Intership Yachting Sneek BV) nicht wieder rückgängig gemacht werden könnten (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, a.a.O.).
75bb. Die Zuständigkeit des Landgerichts Köln ist auch nicht durch ein im Verhältnis zur Gerichtsstandsvereinbarung vorrangig zu berücksichtigendes rügeloses Einlassen gemäß Art. 26 Abs. 1 EuGVVO begründet worden, da die Verfügungsbeklagte sogleich in ihrer ersten Stellungnahme im Schriftsatz vom 21.03.2024 (Bl. 97 d.A.) und später erneut im Schriftsatz vom 10.04.2024 (Bl. 195 ff. d.A.) die Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit erhoben hat.
76c. Ziff. 16.2 ANB beinhaltet eine wirksame ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 25 EuGVVO (dazu unter aa.). Der von der Verfügungsklägerin geltend gemachten kartellrechtliche Unterlassungsanspruch wird von der getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung nicht erfasst (dazu unter bb.). Die Klausel schließt – anders als das Landgericht angenommen hat – nicht aus, dass das Landgericht Köln gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO international und örtlich zuständig ist (dazu unter cc.).
77aa. Die Gerichtsstandsklausel in Ziff. 16.2 ANB ist wirksam. Nach ihrem Wortlaut ist das für den ersten Bezirk in Wien (Österreich) sachlich zuständige Gericht „ausschließlicher Gerichtsstand für alle Ansprüche und allfällige Streitigkeiten aus und auf Grund dieses Rechtsverhältnisses und iZm seiner Abwicklung“.
78Gemäß Art. 25 EuGVVO kann, sofern nach den übrigen Vorschriften der EuGVVO keine ausschließliche Zuständigkeit besteht, durch Gerichtsstandsvereinbarung die internationale Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats für eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit begründet werden. Hierbei handelt es sich – sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren – um eine ausschließliche Zuständigkeit (Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuGVO). Gerichtsstands-vereinbarungen können dabei auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart werden.
79Sofern sich mindestens eine Partei auf eine Gerichtsstandsvereinbarung beruft, hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob diese wirksam ist (Mankowski in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Artikel 25 EuGVVO, Rn. 7). Gerichtsstandsvereinbarungen müssen, damit sie wirksam sind, schriftlich (Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a EuGVO) oder in einer der Schriftform gleichgestellten Form geschlossen werden. Das Schriftformerfordernis soll gewährleisten, dass eine Einigung über den Gerichtsstand zwischen den Parteien tatsächlich feststeht. Dem Schriftformerfordernis genügt gemäß Art. 25 Abs. 2 EuGVVO auch, wenn die Willenseinigung im Wege elektronischer Übermittlungen zustande kommt, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarungen ermöglichen. Im elektronischen Geschäftsverkehr kann eine Gerichtsstandsvereinbarung auch über eine Internetseite mittels sog. click wrapping abgeschlossen werden. Bei diesem Verfahren erscheint vor Vertragsschluss eine sog. Check-Box, bei der der Internetnutzer durch Anklicken zu bestätigen hat, dass er mit der Geltung der AGB des Verwenders einverstanden ist. Zudem muss der Nutzer beim click wrapping die Möglichkeit haben, die AGB über einen Link (in einem gesonderten Fenster) aufzurufen, um sie ggfs. speichern zu können (vgl. E. Peiffer/M. Peiffer in: Geimer/Schütze Int. Rechtsverkehr, 66. EL Januar 2023, Art. 25 EuGVVO, Rn. 232; EuGH, Urt. v. 21. Mai 2015, Rs. C-322/14, El Majdoub./. CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH, Rn. 23 ff.). Diese Voraussetzungen werden im Mautshop der Verfügungsbeklagten bei Abschluss einer Bestellung und der Registrierung eines Kundenkontos erfüllt.
80Da die Einbeziehung von AGB sich autonom nach den Formerfordernissen des Art. 25 EuGVVO beurteilt, ist ein Rückgriff auf einzelstaatliche Vorschriften (wie z.B. § 305 BGB) insoweit verwehrt. Auch eine AGB-Inhaltskontrolle nach einzelrechtlichem Maßstab ist im Geltungsbereich von Art. 25 EuGVVO nicht statthaft (E. Peiffer/M. Peiffer in: Geimer/Schütze Int. Rechtsverkehr, Art. 25 EuGVVO, Rn. 103 f.; Schlosser, in: Schlosser/Hess, 5. Aufl. 2021, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 7).
81Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist zwischen den Parteien angesichts der eindeutigen Formulierung („ausschließlicher Gerichtsstand für…“) ausdrücklich ein ausschließlicher Gerichtsstand wirksam vereinbart worden. Ziff. 16.2 ANB ist Ausdruck einer klar und deutlich vorliegenden Einigung der Parteien. Eine entsprechende Willenseinigung ist von den Parteien auch nicht in Zweifel gezogen worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Gerichtsstandsvereinbarung nichtig ist (vgl. Art. 25 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 EuGVVO), sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
82bb. Anders als das Landgericht angenommen hat, erfasst die Gerichtsstandsklausel in Ziff. 16.2 ANB den von der Verfügungsklägerin hier geltend gemachten kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung bzw. unbilliger Behinderung gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 3 GWB i.V. m. Art. 102 AEUV und/oder § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB nicht.
83Die sachliche Reichweite einer Gerichtsstandsvereinbarung, insbesondere ob sie nur vertragliche oder auch konkurrierende nicht-vertragliche, wie z.B. deliktische, Anspruchsgrundlagen erfassen soll, ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17, Rn. 20 – Wikingerhof; BGH, Urt. v. 6. Dezember 2018, IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 Rn. 25; Mankowski, in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 358). Die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung ist – wie der EuGH wiederholt betont hat – Sache des nationalen Gerichts, vor dem sie geltend gemacht wird (vgl. EuGH, Urt. v. 21. Mai 2015, Rs. C-352/13, Rn. 67 – CDC Hydrogen Peroxide; EuGH, Urt. v. 24. Oktober 2018, Rs. C-595/17, Rn. 21 – Apple Sales International u. a./eBizcuss.com).
84Nicht abschließend geklärt ist, ob die Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung nach europäisch-autonomen Maßstäben oder nach nationalem Recht, wie zum Beispiel nach der lex fori prorogati (hier österreichisches Recht), nach der lex fori derogati oder lex fori (hier jeweils deutsches Recht), zu bestimmen ist (vgl. zum Streitstand Mankowski a.a.O., Art. 25 EuGVVO, Rn. 118 und 359). Die Anwendung der lex fori prorogati hat insoweit den Vorteil, dass stets dieselben Auslegungsgrundsätze Anwendung fänden. Zudem kommt es bei der Anwendung der lex fori prorogati zu einem Gleichlauf mit der Regelung in Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EuGVVO zur Nichtigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen. Soweit in diesem Zusammenhang angeführt wird, dass sich die Auslegung idealiter nach einheitlichen europäisch-autonomen Maßstäben richten sollte (so Mankowski, in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, a.a.O., Art. 25 EuGVVO, Rn. 118 u. 358, ähnlich Wurmnest, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2021, Art. 6 Rom II-VO, Rn. 358), steht dem entgegen, dass bislang keine allgemeinen Grundsätze zur Auslegung von Verträgen im europäischen Recht existieren. Bis dahin sind im Rahmen der Auslegung grundsätzlich alle vorgetragenen Aspekte zu berücksichtigen, u.a. auch die weiteren Regelungen im Hauptvertrag, in dem die Gerichtsstandsvereinbarung getroffen worden ist. Dem steht Art. 25 Abs. 5 EuGVVO nicht entgegen, weil es insofern nicht um die Beurteilung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung, sondern zunächst um die Bestimmung ihres genauen Inhalts geht (Mankowski a.a.O., Art. 25 EuGVVO, Rn. 119).
85Nach der Rechtsprechung des BGH richtet sich die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung dann, wenn sie Teil einer umfassenderen Vereinbarung ist, regelmäßig nach dem für den Vertrag geltenden Recht, soweit Art. 25 EuGVVO keine Maßstäbe und Vorgaben enthält (BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17, Rn. 20 – Wikingerhof; BGH, NJW 2019, 1300, Rn. 25). Art. 25 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO gibt einschränkend insoweit lediglich vor, dass sich die Gerichtsstandsvereinbarung auf eine bereits entstandene oder eine künftige, aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit bezieht (vgl. EuGH, Urt. v. 7. Juli 2016, Rs. C-222/15, Rn. 33 – Hőszig/Alstom zu Art. 23 Abs. 1 EuGVVO a.F.; Gaier, in BeckOK ZPO, 52. Ed. 1. März 2024, Art. 25 EuGVVO, Rn. 25). Dieses Erfordernis soll vermeiden, dass eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde (EuGH, Urt. v. 24. Oktober 2018, Rs. C-595/17, Rn. 22 – Apple Sales International u. a./eBizcuss.com; EuGH, Urt. v. 21. Mai 2015, Rs. C-352/13, Rn. 68 – CDC Hydrogen Peroxide; BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17, Rn. 18 – Wikingerhof; BGH, Beschl. v. 15. Juni 2021, II ZB 35/20, Rn. 51, zitiert nach juris; Gaier, in: BeckOK ZPO, Art. 25 EuGVVO, Rn. 25.1; Mankowski, in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, a.a.O., Art. 25 EuGVVO, Rn. 276, 280). An die Bestimmtheit der erfassten Rechtsverhältnisse sind dabei keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Wenn die Vereinbarung auch für andere Streitigkeiten als das ursprüngliche Vertragsverhältnis wirksam sein soll, reicht es aus, wenn das diesen anderen Streitigkeiten zugrundeliegende Rechtsverhältnis im Zeitpunkt der Einigung über die Zuständigkeit nach Art und Gegenstand bereits hinreichend bestimmbar ist; zu bestehen braucht es zu dieser Zeit noch nicht (BGH, Urt. v. 6. Dezember 2018, IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300, Rn. 33; Mankowski, in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, a.a.O., Art. 25 EuGVVO, Rn. 165).
86Soweit bei Gerichtsstandsvereinbarungen, die sich in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten „aus dem Vertrag“ beziehen, vereinzelt angenommen wird, dass sich die Abgrenzung im Wesentlichen danach richtet, ob Ansprüche wegen Verstoßes gegen das Kartellverbot oder wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung geltend gemacht werden, da im ersteren Fall (unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 21. Mai 2015, Rs. C-352/13, Rn. 70 – CDC Hydrogen Peroxide) von einer nicht vorhersehbaren Geltendmachung kartellrechtlicher Ansprüche auszugehen sei, nicht aber im letzteren (unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 24. Oktober 2018, Rs. C-595/17, Rn. 24, 27 ff. – Apple Sales International u. a./eBizcuss.com), kann dem nicht gefolgt werden (vgl. zum Streitstand Stadler/Krüger, in: Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, Art. 25 EuGVVO, Rn. 6a m.w.N.). Bei der Annahme entsprechender Auslegungsregeln ist Zurückhaltung geboten. Allgemeine Aussagen dazu, dass Kartellrechtsansprüche von Gerichtsstandsvereinbarungen mitumfasst oder im Zweifel nicht erfasst werden, lassen sich regelmäßig nicht treffen. Die Vorhersehbarkeit des Rechtsstreits (als Bestandteil des Bestimmtheitsgebots) ist ein, aber nicht das allein ausschlaggebende Auslegungskriterium. Die Entscheidung zur Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung hat somit im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung des konkreten Wortlauts der Gerichtsstandsvereinbarung, des anwendbaren materiellen Rechts und der danach anwendbaren Auslegungsgrundsätze sowie der beiderseitigen Interessenlage der Parteien zu erfolgen.
87Dies berücksichtigend ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Gerichtsstandsklausel in Ziff. 16.2 nach österreichischem Recht auszulegen ist. Die mit der Anwendung der lex fori prorogati einhergehenden Vorteile und der sich aus der Rechtswahlklausel (Ziff. 16.1 ANB) ergebende Bezug zum österreichischen Recht gebieten es, die sachliche Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung nach österreichischem Recht und der hierzu ergangenen Rechtsprechung zu bestimmen. Bei der Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung ist, wie das Landgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat, die gesetzliche Regelung zur Vertragsauslegung in § 914 ABGB heranzuziehen. Danach ist bei Auslegung von Verträgen nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Zutreffend hat das Landgericht ferner auf den österreichischen Rechtssatz „RS0017915“ abgestellt. Danach sind Allgemeine Geschäftsbedingungen und Vertragsformblätter, d.h. alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt (RS0123499 [T2, T7]) nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f. ABGB) auszulegen (OGH, Urt. v. 25. Januar 2023, 7Ob136/22h, BeckRS 2023, 2596, Rn. 11). Für die Auslegung einer zwischen dem Verwender und der anderen Partei schriftlich getroffenen Vereinbarung ist der Wortlaut maßgeblich, solange nicht behauptet und bewiesen ist, dass aufgrund außerhalb der Urkunde liegender Umstände sich ein übereinstimmender Parteiwille oder ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichender objektiver Sinn der Erklärung ergibt (RS0043422 [T6, T13], vgl. OGH, Urt. v. 25. Januar 2023, 7Ob136/22h, BeckRS 2023, 2596, Rn. 14). Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 f. ABGB ist daher zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden, zu erforschen (RS0017915). Es ist dabei das gesamte Verhalten der Vertragsteile, das sich aus Äußerungen in Wort und Schrift sowie aus sonstigem Tun oder Nichttun zusammensetzen kann, zu berücksichtigen (RS0017915 [T15, T29, T44]). Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wobei die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen sind (RS0017915, vgl. OGH, Urt. v. 25. Januar 2023, 7Ob136/22h, BeckRS 2023, 2596, Rn. 14).
88Damit unterscheidet sich das österreichische Recht im Wesentlichen nicht von den im deutschen Recht maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen. Sofern ein vorrangiger übereinstimmender Wille – wie vorliegend – nicht festgestellt werden kann, kommt es auf den objektiven Empfängerhorizont an. Danach sind AGB nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zu Grunde zu legen sind.
89Unter Berücksichtigung dieser Auslegungsgrundsätze bietet der Wortlaut der Ziff. 16.2 ANB im Streitfall keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass von der Gerichtsstandsvereinbarung auch kartellrechtliche Ansprüche wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung erfasst werden. Die Gerichtsstandsklausel erfasst ihrem Wortlaut nach „alle Ansprüche und allfällige Streitigkeiten aus und auf Grund dieses Rechtsverhältnisses und iZm seiner Abwicklung“. Dabei setzt die Formulierung „Ansprüche und (…) Streitigkeiten aus diesem Rechtsverhältnis“ voraus, dass der Streit Rechte und Pflichten betrifft, die sich aus dem Vertragsverhältnis ergeben. Denn mit „diesem Rechtsverhältnis“ kann nach verständiger Würdigung nur das zwischen den Parteien begründete Vertragsverhältnis gemeint sein. Das Wort „allfällige“ bringt (wie z.B. „etwaige“) zum Ausdruck, dass eventuell künftig entstehende Streitpunkte erfasst sind, von denen die Parteien bei Vertragsschluss noch keine Kenntnis hatten. Mit dem abschließenden Zusatz „iZm seiner Abwicklung“ wird darüber hinaus ein konkreter (Rück-)Bezug zu eben diesem Vertragsverhältnis gefordert. Es muss ein Anspruch aus der Abwicklung des Vertrags oder eine im Zusammenhang mit der Vertragsabwicklung stehende Streitigkeit betroffen sein. Dabei ist mit der Abwicklung des Rechtsverhältnisses in erster Linie die Erfüllung der (gegenseitigen) vertraglichen Pflichten gemeint – und nicht eine bei Gelegenheit begangene unerlaubte Handlung einer Vertragspartei. Durch die weitere alternative Formulierung „auf Grund des Rechtsverhältnisses“ (statt „aus diesem Rechtsverhältnis“) wird der sachliche Anwendungsbereich nicht erweitert, da diese Alternative ebenso voraussetzt, dass Grundlage für die Streitigkeit die vertraglichen Rechte und Pflichten sind. Ohnehin wird in der Klausel durchgehend die Konjunktion „und“ (und nicht „oder“) verwandt, so dass bei strenger Lesart ohnehin alle Bedingungen kumulativ gegeben sein müssen. Damit erfasst die Klausel, anders als die Verfügungsbeklagte meint, aus der Sicht eines objektiven Dritten nicht sämtliche im Zusammenhang mit der Geschäftsbeziehung später eventuell noch entstehende Rechtsverhältnisse oder Ansprüche.
90Nach der von der Verfügungsklägerin festgelegten Reihenfolge der Geltendmachung der Unterlassungsansprüche ist Gegenstand des hiesigen einstweiligen Verfügungsverfahrens vorrangig ein von dem jeweiligen Online-Konto-Nutzungsvertrag unabhängiger kartellrechtlicher Anspruch auf Unterlassung eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Der Umstand, dass sich der behauptete Verstoß gegen Art. 102 AEUV bzw. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB im Einzelfall auch in vertraglichen Bestimmungen manifestieren kann (EuGH, Urt. v. 24. Oktober 2018, Rs. C-595/17, Rn. 28 – Apple Sales International u. a./eBizcuss.com; BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17, Rn. 12, 24 – Wikingerhof), rechtfertigt nicht die Annahme, dass es sich vorliegend um eine Streitigkeit „aus und aufgrund“ des zwischen den Parteien geschlossenen Vertragsverhältnisses handelt „und [diese] im Zusammenhang mit seiner Abwicklung“ steht. Die Verfügungsklägerin leitet aus dem Nutzungsvertrag für das Online-Konto keine Rechte her. Es ist auch nicht die Verwendung der Klausel Ziff. 14 ANB, die nach ihrem Vorbringen den Vorwurf des missbräuchlichen Verhaltens begründet. Dies sind vielmehr die später erfolgten Kontosperrungen, die nach ihrem Dafürhalten angesichts der Monopolstellung der Verfügungsbeklagten und des daraus folgenden Kontrahierungszwangs zu Unrecht erfolgt sind. Auch inhaltlich stützt sich die Verfügungsklägerin zur Begründung des missbräuchlichen Verhaltens nicht auf das Verbot der gewerblichen Weiterveräußerung von digitalen Mautprodukten oder auf eine sich aus Ziff. 14.2 im Umkehrschluss ausnahmsweise ergebende Zulässigkeit. Sie stellt vielmehr vorrangig auf die Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH in den Sachen Magill und IMS Health ab (EuGH, Urt. v. 6. April 1995, Rs C-241/91 P und C-242/91 P – Magill; Urt. v. 29. April 2004, C-418/01 – IMS-Health).
91Ziff. 14.2 ANB spiegelt demnach lediglich die aus Sicht der Verfügungsbeklagten (der Verwenderin der Klausel) geltende Rechtslage wider, ohne eine konkrete Antwort auf die Frage nach der Zulässigkeit eines neuen, weiterentwickelten Produkts im Einzelfall zu geben. Im Übrigen lässt sich weder dieser Klausel noch einer anderen Klausel der ANB eine ausdrückliche Regelung dazu entnehmen, dass die Verfügungsbeklagte bei einem Verstoß gegen das gewerbliche Weiterveräußerungsverbot unter bestimmten Bedingungen zur Sperrung des Nutzerkontos berechtigt ist. Mit der Einbeziehung der Klausel in Ziff. 14 ANB hat sich die Verfügungsbeklagte auch nicht ausbedungen, in der angegriffenen Weise handeln zu dürfen oder sich im Sinne einer (Erst-)Begehungsgefahr nach § 33 Abs. 2 GWB eines solchen Rechts berühmt.
92Die Geltendmachung von kartellrechtlichen Ansprüchen wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung war aus Sicht der Vertragsparteien bei Vertragsschluss auch nicht vorhersehbar. Im Zeitpunkt der Kontoeröffnungen am 3. Januar 2022 war der Verfügungsklägerin nicht bekannt, dass die Verfügungsbeklagte diese Mitte März 2024 unter Bezugnahme auf das Verbot der gewerblichen Weiterveräußerung sperren würde. Allein aufgrund des Umstands, dass im Zeitpunkt der Einrichtung der Kundenkonten durch die Verfügungsklägerin am 3. Januar 2022 vor österreichischen Gerichten bereits vergleichbare Verfahren anhängig waren, nachdem die Verfügungsbeklagte Kundenkonten anderer Anbieter von digitalen Mautprodukten gesperrt hatte, konnte die Verfügungsklägerin – auch bei Kenntnis dieser Verfahren – nicht vorhersehen, dass auch ihre Kundenkonten mehr als zwei Jahre später gesperrt würden, zumal die maßgeblichen Verfahren – soweit ersichtlich – erst mit den Beschlüssen des OGH vom 17. Oktober 2023 (4 Ob 51/23p) und 30. November 2023 (16 Ok 2/23i) in letzter Instanz abgeschlossen waren. Im Übrigen wurde der Wortlaut der Ziff. 14.2, auf deren Verletzung die Verfügungsbeklagte die Kontosperrungen später u.a. gestützt hat, danach noch verändert. Schließlich ist auch der BGH in der Entscheidung Wikingerhof davon ausgegangen, dass die dortige Klägerin bei Vertragsschluss nicht mit einem Verstoß gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot zu rechnen bauchte (BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17, Rn. 25 – Wikingerhof). Soweit die Verfügungsbeklagte auf die ihrer Ansicht nach gegenläufige Entscheidung des EuGH in Sachen Apple Sales International (Urt. v. 24. Oktober 2018, Rs. C-595/17, Rn. 23 f., 27 ff.) verweist, ist dieser nicht zu entnehmen, dass eine generelle Vorhersehbarkeit für künftige Verstöße gegen Art. 102 AEUV bzw. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB besteht.
93Schließlich spricht auch die Interessenlage der Vertragsparteien, die Rückschlüsse auf den Parteiwillen zulässt, im Streitfall ebenfalls nicht eindeutig für die Einbeziehung kartellrechtlicher Ansprüche in die Gerichtsstandsklausel. Dabei rechtfertigt allein der Hinweis darauf, dass der Verwender der Gerichtsstandsklausel durch die Regelung begünstigt wird, nicht generell den Schluss, dass dies den Interessen der anderen Vertragspartei widerstrebt und damit ein übereinstimmender Parteiwille ausgeschlossen ist. Denn die andere Vertragspartei kann sich im Einzelfall bewusst auf die Klausel eingelassen haben. Indes darf nach der Rechtsprechung des BGH ohne entsprechende deutliche Anhaltspunkte nicht angenommen werden, dass sich der Vertragspartner des Marktbeherrschers dem Vertragsgerichtsstand auch für die Geltendmachung von Ansprüche wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung unterwerfen wollte (vgl. BGH, Urt. v. 10.02.2021, KZR 66/17, Rn. 25 – Wikingerhof). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lassen sich auch den äußeren Umständen bei Vertragsschluss keine deutlichen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sich die Verfügungsklägerin auch für Ansprüchen wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung dem Vertragsgerichtsstand unterwerfen wollte.
94cc. Das Ausgangsgericht ist gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO i.V.m. Art. 63 EuGVVO international und örtlich zuständig.
95Die Verfügungsklägerin macht mit dem kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch einen einer unerlaubten Handlung im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO gleichgestellten Anspruch geltend. Nach dieser Vorschrift kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, verklagt werden, wenn Verfahrensgegenstand eine unerlaubte oder eine ihr gleichgestellte Handlung ist. Die Frage, ob eine unter Vertragspartnern erhobene Klage als vertraglich im Sinne von Art. 7 Nr. 1 EuGVVO oder als deliktisch im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO einzustufen ist, richtet sich dabei nicht nach nationalem Recht, sondern ist autonom unter Berücksichtigung der Systematik und der Ziele der EuGVVO zu entscheiden (vgl. EuGH, Urt. v. 24. November 2020, Rs. C-59/19, Rn. 25 – Wikingerhof; BGH, Urt. v. 14. Januar 2020, VI ZR 495/18, Rn. 12). Da Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nach seinem Wortlaut nicht voraussetzt, dass der Schaden gegenwärtig vorliegt, fällt auch eine Klage, mit der verhindert werden soll, dass sich ein als rechtswidrig angesehenes Verhalten wiederholt, unter diese Bestimmung (vgl. EuGH, Urt. v. 25. Oktober 2011, Rs. C-509/09 und C- 161/10, Rn. 35; BGH, Urt. v. 14. Januar 2020, VI ZR 495/18, Rn. 13). Dies gilt für Unterlassungsbegehren im einstweiligen Verfügungsverfahren entsprechend.
96Soweit der Anspruchsteller – wie hier die Verfügungsklägerin – einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung geltend macht, ist ein Gerichtsstand am Sitz der Verfügungsklägerin (Art. 63 EuGVVO) als demjenigen Ort eröffnet, an dem sich das zu unterlassende Verhalten ihr gegenüber ausgewirkt hat bzw. weiterhin auswirkt (vgl. BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17, Rn. 8 – Wikingerhof). Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt die Verfügungsklägerin die Unterlassung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Verfügungsbeklagte als Betreiberin des Mautshops, in dem digitale Mautprodukten online von der Verfügungsbeklagten erworben werden können. Als missbräuchlich beanstandet sie die durch die Verfügungsbeklagte veranlassten Sperrungen ihrer Kundenkonten, die sie zuvor regelmäßig für die Bestellung von digitalen Mautprodukte genutzt hat. Damit wirkt sich das zu unterlassende Verhalten am Sitz der Verfügungsklägerin im Landgerichtsbezirk Köln aus.
97Das Bestehen einer Vertragsbeziehung zwischen den Parteien schließt die Qualifikation des Begehrens als deliktischer Anspruch nicht aus. Entscheidend für die Abgrenzung des besonderen Gerichtsstands der unerlaubten Handlung gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO von dem besonderen Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ist, ob ein gesetzlicher Anspruch geltend gemacht wird, der unabhängig von einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien besteht (vgl. EuGH, Urt. v. 24. November 2020, Rs. C-59/19, Rn. 33 – Wikingerhof). Dies ist dann der Fall, wenn die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der mit der Klage beanstandeten Handlung des Anspruchsgegners nicht vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten abhängt, sondern hiervon unabhängig nach Deliktsrecht zu beurteilen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 24. November 2020, Rs. C-59/19, Rn. 32 – Wikingerhof).
98So liegt der Fall hier. Die Kartellrechtswidrigkeit der beanstandeten Handlungen hängt allein davon ab, ob der Beklagten eine marktbeherrschende Stellung zukommt und sie diese missbräuchlich ausgenutzt hat. Auf den Inhalt des anlässlich der Kontoeröffnung geschlossenen Nutzungsvertrags kommt es hierfür nicht an, zumal die ANB, wie bereits dargelegt, keine Regelungen zu den Voraussetzungen einer Kontosperrung enthalten. Es ist deshalb im Sinne der Abgrenzungsformel des EuGH (Urt. v. 24. November 2020, Rs. C-59/19, Rn. 35 – Wikingerhof; Urt. v. 13. März 2014, Rs. C-548/12, Rn. 25 – Brogsitter) zur Beurteilung der Begründetheit der Klage auch nicht unerlässlich, den Vertrag zwischen den Parteien auszulegen. Eine solche Auslegung ist allenfalls erforderlich, um das Vorliegen der beanstandeten Handlungsweisen festzustellen (EuGH, Urt. v. 24. November 2020, Rs. C-59/19, Rn. 35 – Wikingerhof). Wenngleich im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung im Einzelfall bei Vorliegen einer Vertragsbeziehung auch die vertragstypischen Rechte und Pflichten und die zwischen den Vertragsparteien getroffenen Regelungen bei der Prüfung nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB zu betrachten sind, so sind diese für die Qualifikation des Klageanspruchs als deliktischen Anspruch ohne Belang, zumal Interessen nicht berücksichtigt werden dürfen, deren Durchsetzung insbesondere nach den kartellrechtlichen Wertungen rechtlich missbilligt werden (vgl. BGH, Urt. v. 10. Februar 2021, KZR 66/17, Rn. 13 – Wikingerhof; BGH, Urt. v 24. Januar 2017, KZR 2/15, Rn. 30 f. – Kabelkanalanlagen).
993.
100Nach der in der mündlichen Verhandlung am 10. Juni 2024 erfolgten Anpassung der Antragsfassung bestehen nunmehr auch keine Bedenken mehr mit Blick auf das Bestimmtheitserfordernis (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die zu unterlassende Verletzungshandlung ist hinreichend konkret beschrieben. Der Verbotsantrag enthält die Merkmale, die das angegriffene Verhalten nach Ansicht der Verfügungsklägerin als kartellrechtswidrig erscheinen lassen, ohne dass auslegungsbedürftige (Rechts-) Begriffe (wie z.B. das Wort „Vermittlung“) verwandt werden, über deren Bedeutung zwischen den Parteien Streit besteht (vgl. BGH, Urt. v. 1. Dezember 1999, I ZR 49/97, NJW 2000, 2195, 2196). Schließlich hat die Verfügungsklägerin für ihr einheitliches (Unterlassungs-)Begehrens, das sie aus mehreren Streitgegenständen herleitet (Kartellrechtsverstoß, Wettbewerbsverstoß und Vertragsverletzung), ein Rangverhältnis vorgegeben und auch insoweit dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt (vgl. dazu BGH, NJW 2018, 1259, Rn. 8 m.w.N.; OLG Hamburg, Urt. v. 31. August 2023, 15 U 18/23 Kart, Rn. 30, zitiert nach juris).
1014.
102Der Erlass einer einstweiligen Verfügung ist gleichwohl nicht gerechtfertigt, weil die insofern darlegungs- und glaubhaftmachungsbelastete Verfügungsklägerin den erforderlichen Verfügungsgrund bereits nicht hinreichend dargelegt hat.
103a. Die ZPO unterscheidet zwischen Sicherungsverfügungen (§ 935 ZPO), für die ein Verfügungsgrund grundsätzlich vorliegt, wenn ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung die Verwirklichung eines Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, und Regelungsverfügungen (§ 940 ZPO), durch die wesentliche Nachteile abgewendet werden können. Für eine Leistungsverfügung als Unterfall der Regelungsverfügung, mit der eine vorläufige Befriedigung eines Anspruchs begehrt wird, gelten insofern strengere Voraussetzungen. Eine Leistungsverfügung (Befriedigungsverfügung) ist – weil sie zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen Vorwegnahme der Hauptsache führt – nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Nach ständiger Rechtsprechung des OLG Düsseldorf und anderer Oberlandesgerichte genügt es nicht, dass ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung die Verwirklichung eines Anspruchs des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 935 ZPO) oder der nachgesuchte einstweilige Rechtsschutz erforderlich ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 940 ZPO). Eine Leistungsverfügung kommt nur bei bestehender oder zumindest drohender Notlage des Antragstellers in Betracht. Dieser muss so dringend auf die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs angewiesen sein oder ihm müssen so erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen, dass ihm ein Zuwarten bei der Durchsetzung seines Anspruchs oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht zuzumuten ist. Eine Unterlassungsverfügung entspricht demgegenüber regelmäßig einer Sicherungsverfügung und ist kein Unterfall der Leistungsverfügung, wenn sie abwehrenden Charakter hat, mag sie auch praktisch zu einer Befriedigung des Unterlassungsanspruchs führen (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 13. März 2024, VI-U (Kart) 2/23, Rn. 121 – FIFA-Fußball-Spielervermittler-Reglements II und OLG Düsseldorf, Urt. v. 14. November 2018, VI-U (Kart) 7/18, Rn. 118 m.w.N. – MQB-Hintersitzlehnen m.w.N. auch zur Rechtsprechung anderer Obergerichte, jeweils zitiert nach juris).
104Danach handelt es sich sowohl bei dem Hauptantrag als auch bei dem Hilfsantrag inhaltlich jeweils um eine Leistungsverfügung. Denn im Fall eines Erlasses der begehrten einstweiligen Verfügung käme es – jedenfalls in der Zwischenzeit bis zu einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung – zu einer Vorwegnahme der Hauptsache. Das Begehren der Verfügungsklägerin beschränkt sich, wenngleich es als Unterlassungsantrag formuliert ist, nicht auf die bloße Sicherung des gegenwärtigen Zustands, sondern diese begehrt mit der Aufhebung der derzeit vorliegenden Kontensperrungen den Erlass einer einstweiligen Verfügung, die auf die Vornahme einer Handlung (Freischaltung der Konten) und damit auf Befriedigung gerichtet ist (vgl. OLG München, Beschl. v. 12. Dezember 2018, 18 W 1873/18, Rn. 23 ff., zitiert nach juris für eine Kontosperrung bei „Facebook“). Die Verfügungsklägerin könnte im Erfolgsfall alle ihre 83 sowie etwaige zukünftige Kundenkonten bis zur Entscheidung über die Hauptsache wieder nutzen. Ihr Ziel ist somit eine vom derzeitigen status quo abweichende Regelung, die mit einer Erweiterung der Nutzungsmöglichkeiten des Online-Shops der Verfügungsbeklagten verbunden ist.
105b. Bei Vorliegen einer Leistungsverfügung ist dem Interesse der antragstellenden Partei an einer Gewährung effektiven Rechtsschutzes durch Erlass der Leistungsverfügung das schutzwürdige Interesse der Gegenseite gegenüberzustellen, in einem mit nur eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten ausgestatteten summarischen Verfahren nicht zur Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs angehalten zu werden. In die erforderliche Abwägung der beiderseitigen Belange sind ferner die Erfolgsaussichten des Verfügungsantrags einzubeziehen. Ist die Rechtslage eindeutig und lässt sich die Berechtigung des verfolgten Anspruchs zweifelsfrei feststellen, so ist der Antragsgegner weniger schutzbedürftig und es überwiegt im Zweifel das Interesse des Antragstellers daran, dass ihm der Anspruch bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zuerkannt wird. Die dargestellten Beurteilungskriterien stehen dabei in einer Wechselbeziehung zueinander. Ist die Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs eindeutig und/oder liefe die Versagung einer Leistungsverfügung auf eine endgültige Rechtsverweigerung hinaus, so sind geringere Anforderungen an die wirtschaftliche Notlage zu stellen. Umgekehrt ist die Schwelle für die zu fordernde Notlage höher anzusetzen, sofern die Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers nicht völlig zweifelsfrei und/oder eine spätere Geltendmachung von Schadensersatz zumutbar ist (OLG Düsseldorf, Urt. v. 14. November 2018, VI-U (Kart) 7/18, Rn. 118 – MQB-Hintersitzlehnen).
106Hierbei trägt der Antragsteller eines Verfügungsverfahrens für das Vorliegen der die Annahme eines Verfügungsgrundes tragenden Tatsachen die Last der Darlegung und Glaubhaftmachung (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 14. November 2018, VI-U (Kart) 7/18, Rn. 119 – MQB-Hintersitzlehnen; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03. April 2018, VI-W (Kart) 2/18, Rn. 46 – Herausgabe von Beweismitteln I).
107Die Verfügungsklägerin hat die von ihr erzielten Umsätze mit digitalen Mautprodukten für Österreich im Zeitraum unmittelbar vor und nach den hier in Rede stehenden Kontosperrungen Mitte März 2023 trotz des gerichtlichen Hinweises vom 25. Juni 2024 (Bl. 721 f. d.A.) bereits nicht hinreichend dargelegt. Die Verfügungsklägerin ist unstreitig auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 15. August 2024 weiterhin am Markt tätig gewesen und hat erhebliche Einnahmen aus dem Verkauf von digitalen Mautprodukten für Österreich erzielt. Die Verfügungsklägerin räumt selbst ein, dass sie trotz Sperrung der Kundenkonten bislang mit Hilfe von Gastbestellungen unter Verwendung einer Vielzahl von E-Mail-Adressen weiterhin in der Lage ist, etwaige Verluste in Grenzen zu halten. Dass dies einen höheren technischen Aufwand erfordert, als dies bei Bestellungen mit Hilfe der gesperrten Kundenkonten der Fall gewesen wäre, rechtfertigt nicht die Annahme einer existenzbedrohenden Notlage. Der von ihr angeführte zusätzliche finanzielle Aufwand, der seit den Kontosperrungen erforderlich ist, ist im Vergleich zu den von der Verfügungsbeklagten recherchierten Zahlen zu Umsatz und Gewinn („Rohertrag“ aus den Bearbeitungsgebühren), der auf den Verkauf von bei ihr bezogenen digitalen Mautprodukten für Österreich entfällt (vgl. Anlage HL 10), verhältnismäßig gering. Die Verfügungsbeklagte hat im Zusammenhang mit der Vorlage der tabellarischen Übersicht gemäß Anlage HL 10 auch nachvollziehbar dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie die von ihr recherchierten Zahlen zu Umsatz und Gewinn der Verfügungsklägerin anhand der verwandten E-Mail-Adressen und den Zahlungsdaten der Verfügungsklägerin zuordnen konnte. Diesem Vorbringen ist die Verfügungsklägerin nicht substantiiert entgegengetreten. Im Ergebnis hat die Verfügungsklägerin die von ihr behaupteten „erheblichen Umsatzeinbußen“ trotz der von der Gegenseite vorgelegten und zuletzt mit Schriftsatz vom 14. August 2024 (dort Seite 9) aktualisierten Zahlen nicht konkret beziffert. Soweit die Verfügungsklägerin im Schriftsatz vom 13. August 2024 (dort Seiten 17 ff.) unter Vorlage von betriebswirtschaftlichen Auswertungen von 2023 und 2024 (Anlagen MJ 71 und MJ 72) vorrechnet, dass ihr ein Verlust drohe, bezieht sich diese Rechnung nach ihrem eigenen Vorbringen auf ein etwaiges künftiges Szenario, nicht aber auf ihre jetzige Geschäftssituation. Danach „wäre ohne die Vermittlung der Vignetten für Österreich ein Betriebsergebnis von –xxx € in dem Zeitraum Mai 2023 bis April 2024 zu verzeichnen gewesen“. Der verwandte Konjunktiv („wäre“) zeigt insofern bereits, dass diese Berechnung nicht auf der tatsächlichen Umsatzentwicklung fußt. Ferner fällt auf, dass die als Anlage MJ 70 vorgelegte summarische Excelauswertung ebenso wie die beiden vorerwähnten betriebswirtschaftlichen Auswertungen nur den Zeitraum bis April 2024, nicht aber auch die Monate Mai, Juni und Juli betreffen, obwohl gerade diese Monate weiteren Aufschluss über die Geschäftsentwicklung gegeben hätten. Die von der Verfügungsbeklagten in der Tabelle auf Seite 9 ihres Schriftsatzes vom 14. August 2024 zuletzt genannten Roherträge (Einnahmen aufgrund der vereinnahmten Bearbeitungsgebühren) liegen in der Zeit ab März 2024 im Durchschnitt deutlich im sechsstelligen Bereich und lassen im Vergleich zu den Monaten Januar bis März 2024 – auch unter Berücksichtigung der urlaubsbedingt höheren Nachfrage im Sommer – keinen „erheblichen Einbruch“ erkennen.
108Angesichts dieses unzureichenden Vortrags der Verfügungsklägerin ist ein weiteres Eingehen auf die Erfolgswahrscheinlichkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entbehrlich. Insoweit kann dahinstehen, ob es sich bei den von der Verfügungsklägerin angebotenen Produkten um „neue Produkte“ im Sinne der EuGH-Rechtsprechung handelt, und, ob und inwiefern die vom Senat in der mündlichen Verhandlung aufgezeigten Bedenken an der transparenten Darstellung des Geschäftsmodells der Verfügungsklägerin im Internet einem etwaigen Belieferungsanspruch entgegenstehen. Insofern ist die die Rechtslage im Sinne der vorzitierten Rechtsprechungsgrundsätze jedenfalls weder eindeutig noch lässt sich die Berechtigung des verfolgten Anspruchs zweifelsfrei feststellen.
109III.
110Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.