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Die Pflichten der Bundesnetzagentur zur Anpassung der regulatorischen Vorgaben an die durch den Ausstieg aus der Erdgasversorgung (voraussichtlich) veränderten Verhältnisse sind in Anlehnung an diejenigen Anpassungs- und Korrekturpflichten zu bestimmen, die den Gesetzgeber selbst treffen können. Insbesondere ist auch ihr ein Anpassungsspielraum in zeitlicher Hinsicht zuzubilligen.
Die Beschwerde gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 8. November 2022 (BK9-22/614) wird zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Bundesnetzagentur.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
2A.
3Die Beschwerdeführerin ist Betreiberin eines Gasversorgungsnetzes. Sie begehrt eine Abänderung des Beschlusses der Bundesnetzagentur vom 8. November 2022 zur Festlegung von kalkulatorischen Nutzungsdauern von Erdgasleitungsinfrastrukturen (BK9-22/614; im Folgenden: Festlegung KANU).
4Die auf § 29 Abs. 1 EnWG und § 30 Abs. 2 Nr. 9 GasNEV gestützte Festlegung KANU eröffnet mit Ziffer 1 ihrer Entscheidungsformel allen Betreibern von Gasversorgungsnetzen die Möglichkeit, im Rahmen der Bestimmung der Abschreibungszeiträume nach § 6 Abs. 5 GasNEV abweichend von der Anlage 1 der GasNEV für alle Anlagegüter in der Gasversorgung (mit Ausnahme von Verwaltungsgebäuden) eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von „2045 minus t Jahre“ zu wählen, sofern nicht die niedrigste in der Anlage 1 bereits vorgesehene Nutzungsdauer kürzer ist. Beim Jahr t handelt es sich um das Jahr der erstmaligen Aktivierung. Die bezeichnete Regelung gilt nach Ziffer 3 Satz 1 der Entscheidungsformel für Anlagegüter, welche ab dem Jahr 2023 als Fertiganlagen aktiviert werden. Für die mit Ziffer 2 der Entscheidungsformel neu eingeführte Anlagengruppe „LNG-Anbindungsanlagen“ sind weitere Besonderheiten vorgesehen.
5Mit der Regelung unter Ziffer 1 der Entscheidungsformel soll ausweislich der Festlegungsbegründung die Möglichkeit gewährleistet werden, die Nutzungsdauern so anzusetzen, dass sie nicht über das Jahr 2045 hinausreichen. Den zeitlichen Orientierungspunkt bildet das in § 3 Abs. 2 Satz 1 KSG formulierte Ziel der Treibhausgasneutralität bis zum Jahre 2045. In der Festlegungsbegründung führt die Bundesnetzagentur hierzu unter anderem aus, dass das System zur Refinanzierung von Erdgasnetzen derzeit auf Betriebsdauern von bis zu 65 Jahren ausgelegt sei, gleichzeitig aber offenkundig sei, dass heute neu errichtete Netzinfrastrukturen zumindest ihre gegenwärtige Funktion schon deutlich vor diesem Zeithorizont verlieren würden. Eine Umrüstung für andere Zwecke - etwa zum Betrieb eines Wasserstoffnetzes - werde in vielen Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich oder nicht sinnvoll sein. Ohne eine Flexibilisierung der Abschreibungszeiträume bestünde das Risiko, dass heute neu errichtete Anlagen kalkulatorisch nicht mehr vollständig in den kalenderjährlichen Erlösobergrenzen berücksichtigt werden könnten, weil der Netzbetrieb nicht mehr ausreichend lange fortgeführt werde.
6Dem Erlass der Festlegung KANU war ein Konsultationsverfahren vorausgegangen. Mit Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung im Juli 2022 hatte die Bundesnetzagentur hierzu einen Entscheidungsentwurf veröffentlicht, dem bereits zu entnehmen war, dass die Festlegung lediglich für sogenannte Neuanlagen Geltung beanspruchen sollte. In den anschließenden Stellungnahmen Dritter wurde die angedachte Erweiterung der Bandbreite der wählbaren Nutzungsdauern für neu aktivierte Anlagegüter im Grundsatz begrüßt, aber als bloßer erster Schritt im Rahmen der notwendigen Anpassung des Regulierungsrahmens bezeichnet. Insbesondere sprachen sich nahezu alle Konsultationsteilnehmer für eine Einbeziehung von Bestandsanlagen aus, weil auch für diese eine vollständige Refinanzierung bis zum Jahre 2045 nunmehr nicht mehr gesichert sei. Der Inhalt dieser Stellungnahmen wird in der Festlegung KANU unter I der Gründe („Sachverhalt“) zusammenfassend referiert. Unter II der Gründe („Rechtliche Würdigung“) geht die Bundesnetzagentur auf die weiterführenden Gesichtspunkte (auszugsweise) wie folgt ein:
7„Weitere im Konsultationsverfahren angesprochene Aspekte wie insbesondere die regulatorische Anerkennung von Sonderabschreibungen und Rückbaurückstellungen sind in dem Rahmen der dafür vorgesehenen individuellen Kostenprüfungsverfahren zu bewerten und keiner Regelung im Rahmen dieser Festlegung zugänglich. …
8…
93.5. Nicht geregelte Sachverhalte
10… Bestandsanlagen sind nicht Gegenstand des vorliegenden Festlegungsverfahrens. Ihre Behandlung bleibt Gegenstand fortgesetzter energiepolitischer Debatten, welche mit diesem Beschluss nicht abgeschnitten werden. Gleiches gilt für eine weitere Flexibilisierung der Nutzungsdaueruntergrenzen für eine kalkulatorische Abschreibung schon vor dem Jahr 2045 und für eine Vielzahl von weiteren aus der Branche vorgebrachten Themen …“
11Mit ihrer Beschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, dass die Bundesnetzagentur in der Festlegung KANU zu Unrecht von einer Einbeziehung der Bestandsanlagen abgesehen habe. Der mit der Beschwerde geltend gemachte Anspruch auf deren Einbeziehung ergebe sich aus § 29 Abs. 1 EnWG in Verbindung mit § 30 Abs. 2 Nr. 9 GasNEV. Die bisherigen Abschreibungszeiträume für vor dem 1. Januar 2023 aktivierte Anlagegüter erwiesen sich bereits nach den von der Bundesnetzagentur selbst herangezogenen Maßstäben als nicht sachgerecht. Bestandsanlagen seien in gleichem Maße wie Neuinvestitionen von den zu erwartenden Stilllegungen und Rückbaumaßnahmen betroffen. Nur eine Gleichbehandlung von Bestandsanlagen und Neuinvestitionen könne den von der Bundesnetzagentur mit der Festlegung KANU verfolgten Zweck erfüllen, den Kapitalgebern die Sicherheit zu bieten, dass die eingesetzten und die zukünftig benötigten Finanzmittel nicht vom Ausfall bedroht seien. Kapitalgeber investierten nicht in einzelne Sachanlagegüter, sondern in das Unternehmen. Eine Regulierung, die eine Refinanzierung vom Investitionszeitpunkt abhängig mache, sei weder rechtskonform noch geeignet, nachhaltig ein Investoreninteresse aufrechtzuerhalten. Allein mittels einer kostenscharfen Refinanzierung werde gewährleistet, dass die regulatorischen Vorgaben keinen rechtswidrigen Eingriff in die geschützten Rechtspositionen der Netzbetreiber darstellten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Mai 2020 - EnVR 59/19).
12Die Sache sei spruchreif. Ob die Sachgerechtigkeit von Abschreibungszeiträumen der vollen Überprüfung durch den Senat unterliege oder der Bundesnetzagentur ein Beurteilungsspielraum bzw. Regulierungsermessen zustehe, könne dahinstehen. Denn ihr Entschließungsermessen habe die Bundesnetzagentur bereits ausgeübt und festgelegt, in welcher Weise sie sachgerechte Abschreibungszeiträume gewährleisten wolle. Die Spruchreife ergebe sich aus der Reduzierung des Auswahlermessens auf Null.
13Dass allein die Einbeziehung von Bestandsanlagen ermessensfehlerfrei sei, folge bereits aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere sei es auch bei Bestandsanlagen erforderlich, die Möglichkeit des Ansatzes verkürzter Nutzungsdauern zu eröffnen, um eine vollständige Refinanzierung von Investitionen über die Netzentgelte sicherzustellen. Die Bundesnetzagentur weise in der Festlegungsbegründung selbst darauf hin, dass Zuflüsse von Finanzmitteln Dritter zur Gewährleistung der Refinanzierung im regulatorischen System nicht vorgesehen seien. Die danach notwendige Einbeziehung von Bestandsanlagen sei auch angemessen. Zutreffend habe die Bundesnetzagentur bei der Beurteilung einer verursachungsgerechten Kostentragung die zu erwartende Verringerung der Mengen und Anzahl an Kunden berücksichtigt. Die Erwägung, dass sich die Netzkosten auf immer weniger Netzkunden verteilten, träfe auf Bestandsanlagen aber ebenfalls zu, dies insbesondere infolge der von § 6 Abs. 4 GasNEV vorgegebenen linearen Abschreibungsmethode. Hinzu komme, dass die Bundesnetzagentur in den Verfahren zur Ermittlung des Ausgangsniveaus der Erlösobergrenzen für die vierte Regulierungsperiode die angesetzten Kosten für Buchverluste als nicht anerkennungsfähig qualifiziert habe. Eine Kompensation der aufgrund des vorzeitigen Wegfalls der Betriebsnotwendigkeit von Gasversorgungsanlagen entstehenden wirtschaftlichen Nachteile über die Netzentgelte scheide danach aus. Schließlich spreche auch der Umstand, dass Netzkunden von Bestandsanlagen jahrelang profitiert hätten, dafür, dass deren Interessen gegenüber dem Interesse an einer vollständigen Refinanzierbarkeit von Investitionen in die betreffende Infrastruktur zurückzutreten hätten.
14Die mit der Beschwerde geltende gemachte Ermessenreduzierung ergebe sich außerdem aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die mit der Festlegung KANU verbundene Differenzierung sei unvereinbar mit dem Gebot, die Wirklichkeit realitäts- und sachgerecht zu würdigen. Sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung der identischen Sachverhalte gebe es nicht. Bestätigt werde dies dadurch, dass die Bundesnetzagentur selbst jeden Versuch einer Begründung unterlassen, sondern bloß auf künftige „energiepolitische Debatten“ verwiesen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts müsse eine beantragte Ermessensentscheidung ergehen, wenn ihre Ablehnung nicht durch tragfähige Ermessensgesichtspunkte zu rechtfertigen sei (siehe BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1993 - 11 C 46/92). So liege es hier.
15Außerdem könne eine pflichtwidrige Vernachlässigung eines vorrangigen Sachgesichtspunktes eine Ermessensreduzierung zur Folge haben (siehe BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2016 - 5 C 36/15). Der Umstand, dass Bestandsanlagen in gleicher Weise wie Neuanlagen vom Wegfall der Betriebsnotwendigkeit betroffen seien, sei ein solcher vorrangiger Sachgesichtspunkt. Denn aus Investorensicht sei die Profitabilität des gesamten Netzbetreibers und nicht der Kapitalrückfluss für einzelne Anlagegüter maßgeblich.
16Hilfsweise bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei eine in Ausübung eines Regulierungsermessens getroffene Entscheidung jedenfalls dann zu bestanden, wenn ein Abwägungsausfall, ein Abwägungsdefizit, eine Abwägungsfehleinschätzung oder eine Abwägungsdisproportionalität festzustellen seien. Zwingend auszugehen sei dabei von denjenigen Erwägungen, welche die Bundesnetzagentur selbst angestellt habe. Maßgeblich sei insbesondere das Vorbringen im Rahmen eines Anhörungs- oder Beteiligungsverfahrens. Danach leide die Festlegung KANU an einem Abwägungsausfall. Eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen aus dem Konsultationsverfahren zur Übertragbarkeit der Gründe für eine optionale Verkürzung der Nutzungsdauern auf Bestandsanlagen sei der Festlegung KANU nicht zu entnehmen. Die Bundesnetzagentur habe sich auf eine textliche Wiedergabe der Argumente beschränkt. Das vage Hinauszögern einer Entscheidung in die Zukunft könne einem behördlichen Abwägungsvorgang nicht gleichstehen. Die Bundesnetzagentur habe sich ihrer Abwägungsentscheidung vielmehr entzogen und allenfalls mit der Beschwerdeerwiderung erste Hinweise auf mögliche Abwägungskriterien vorgebracht.
17Jedenfalls sei von einer Abwägungsfehleinschätzung auszugehen. Die Bundesnetzagentur habe die besondere Bedeutung eines von ihr grundsätzlich erkannten Aspektes - namentlich die Auswirkungen der Klimaschutzvorgaben für die Refinanzierbarkeit von Bestandsanlagen - verkannt.
18Der Bundesnetzagentur sei es auch nicht gelungen, diesen Vorwurf zu entkräften. Soweit mit der Beschwerdeerwiderung die Erklärung unterbreitet werde, dass das Festlegungsverfahren nicht mit mehr Themen als unbedingt nötig habe überfrachtet werden sollen, sei dies nicht nachvollziehbar. Anhaltspunkte für eine besondere Eilbedürftigkeit seien dem Beschluss nicht zu entnehmen. Dass eine „überschlägige Berechnung“ vergleichsweise geringe Restwerte für im Jahre 2045 noch nicht abgeschriebene Infrastruktur ergeben habe, werde mit Nichtwissen bestritten, zumal eine solche Berechnung jedenfalls nicht in das Verwaltungsverfahren eingeführt worden sei. Hinzu komme, dass der kalkulatorische Restwert ihrer eigenen Bestandsanlagen zum 31. Dezember 2044 etwa … Euro betragen werde. Schon vor diesem Hintergrund könne von „überschaubaren Restwerten“ keine Rede sein. Widersprüchlich und ein Hinweis auf eine nicht durchdachte Entscheidung sei schließlich, dass die Bundesnetzagentur nunmehr die Außerachtlassung der Bestandsanlagen mit den Folgen einer Verkürzung der Nutzungsdauern, d.h. einer damit verbundenen Mehrbelastung der Verbraucher, rechtfertigen wolle. Denn bei einem zeitlich verzögerten Beginn einer Anpassung würde sich der vorhandene Restwert auf immer weniger Jahre verteilen.
19Die Beschwerdeführerin beantragt,
20den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 8. November 2022 (BK9-22/614) aufzuheben und die Bundesnetzagentur zu verpflichten, den Beschluss ohne Satz 1 der Tenorziffer 3 neu zu erlassen,
21hilfsweise, den Beschluss aufzuheben und die Bundesnetzagentur zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
22Die Bundesnetzagentur beantragt,
23die Beschwerde zurückzuweisen.
24Sie meint, dass die Beschwerde als Verpflichtungsbeschwerde bereits unzulässig sei, weil es die Beschwerdeführerin unstreitig versäumt habe, einen Antrag auf Änderung der Abschreibungszeiträume zu stellen, § 75 Abs. 3 Satz 1 EnWG aber eine Antragstellung voraussetze. Auch eine Anfechtung der Festlegung KANU komme nicht in Betracht. Denn die Festlegung KANU wirke nicht belastend, sondern erlaube der Beschwerdeführerin, die kalkulatorischen Nutzungsdauern für bestimmte Anlagegüter niedriger anzusetzen als es nach dem bisherigen Rechtsrahmen möglich gewesen wäre.
25Die Beschwerde sei aber auch unbegründet. Die Beschwerdeführerin habe keinen Anspruch auf Neuerlass der Festlegung ohne Satz 1 der Tenorziffer 3 oder Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats. Die Regelung des § 30 Abs. 2 Nr. 9 GasNEV ermächtige allein die Regulierungsbehörde zu Festlegungen nach § 29 EnWG. Anhaltspunkte für Ermessensfehler zeige die Beschwerdeführerin nicht auf.
26Die sich aus der GasNEV ergebenden betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauern seien grundsätzlich sachgerecht. In Abweichung von Anlage 1 könnten allerdings Festlegungen zur Gewährleistung sachgerechter Anlagegruppen und Abschreibungszeiträume getroffen werden. Dies bedeute, dass die Regelungen der GasNEV durch derartige Festlegungen unangetastet blieben. Mit einer Festlegung wie der Festlegung KANU werde lediglich für einen genau definierten Regelungsbereich von den verordnungsrechtlichen Bestimmungen abgewichen. Im Entscheidungszeitpunkt habe sich bei neu errichteten Netzinfrastrukturen die Frage gestellt, ob es konkrete Anhaltspunkte dafür gebe, dass Anlagengruppen und Abschreibungszeiträume nicht mehr sachgerecht seien, dies im Hinblick auf die klimapolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung zur Beendigung der Nutzung fossiler Brennstoffe und unter Berücksichtigung des Krieges in der Ukraine, welcher verstärkte Bemühungen zur Erschließung alternativer Erdgasquellen entfacht habe. Insbesondere aufgrund der notwendigen Einbindung neuer LNG-Anlagen habe sich ein Investitionsbedarf herausgestellt, welcher nicht allein die eigentlichen Anbindungsleitungen, sondern auch die gesamte dahinterliegende Infrastruktur betroffen habe. Um die Neuausrichtung der Netze auf die veränderte Situation nicht zu gefährden, sei es essentiell gewesen, eventuelle Investitionshemmnisse schnell und effektiv aus der Welt zu schaffen. Die entsprechenden Anpassungen hätten unmittelbar im Rahmen der Antragsverfahren auf Genehmigung von Kapitalkostenaufschlägen Wirkung entfalten sollen. Der Entscheidungsprozess sei daher als Eilverfahren konzipiert worden, das nicht mit mehr Themen und Diskussionen als unbedingt notwendig habe überfrachtet werden sollen.
27Der Verzicht auf eine entsprechende Regelung für Bestandsanlagen sei danach ermessensfehlerfrei. Eine überschlägige Berechnung im Gaskrisenjahr 2022 habe ergeben, dass bei einer Beibehaltung der bisher angesetzten Nutzungsdauern im Jahre 2045 in der Summe vergleichsweise überschaubare Restwerte verbleiben würden. Unmittelbar zwingender Handlungsbedarf habe sich nicht aufgedrängt. Sollte künftig Handlungsbedarf bestehen, sei dieser in einem größeren Kontext zu sehen. Perspektivisch zeichne sich die Notwendigkeit einer Anpassung der wirtschaftlichen Bedingungen des Netzbetriebs an die in den kommenden Jahrzehnten voraussichtlich bevorstehende Beendigung der Nutzung fossiler Energieträger ab. Die sich verändernden Rahmenbedingungen erforderten allerdings nicht nur eine regulatorische Neubewertung der kalkulatorischen Nutzungsdauern für Neu- und Bestandsanlagen. Es stellten sich vielmehr zahlreiche weitere Fragen, etwa im Hinblick auf die lineare Abschreibungsmethode und Sonderabschreibungen, Rückbaurückstellungen sowie Auflösungsdauern von Netzanschlusskostenbeiträgen und Baukostenzuschüssen. Voraussichtlich sei es spätestens für die fünfte Regulierungsperiode erforderlich, umfangreiche Neuregelungen zu treffen, denen ebenso umfangreiche Konsultationen und Diskussionen mit allen betroffenen Marktakteuren sowie sorgsame Abwägungsprozesse vorauszugehen hätten. Hierzu befinde man sich jedoch noch in konzeptionellen Vorüberlegungen.
28Eine voreilige Entscheidung zur künftigen Behandlung von Bestandsanlagen sei auch deshalb nicht angezeigt gewesen, weil die Ausgangsniveaus und Aufwandsparameter für die vierte Regulierungsperiode im Entscheidungszeitpunkt bereits nahezu vollständig bestimmt gewesen seien. Eine Beeinflussung der zugrunde zu legenden Netzkosten hätte eine rückwirkende Nutzungsdauerverkürzung für das Basisjahr 2020 erfordert. Möglicherweise hätte es sogar eines Eingriffs in die Erlösobergrenzen für die dritte Regulierungsperiode bedurft, weil die Kapitalkosten für das Jahr 2020 im dortigen Kapitalkostenabzug bestimmt worden seien. Abgesehen davon sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Refinanzierung von Bestandsanlagen ernstlich gefährdet sei, weil noch keine Entscheidung über ihre zukünftige regulatorische Behandlung getroffen worden sei.
29Zu Unrecht mache die Beschwerdeführerin geltend, dass die im Konsultationsverfahren vorgebrachten Argumente für eine Einbeziehung von Bestandsanlagen in den Anwendungsbereich der Festlegung KANU an keiner Stelle aufgegriffen worden seien. Die Frage sei im regulatorischen Fokus, aber nicht Gegenstand des Verfahrens. Daher hätte es auch keiner spezifischen Darstellung der Risiken für Bestandsanlagen bedurft. Im Übrigen lasse die Beschwerdeführerin unerwähnt, dass ein schnellerer Kapitalrückfluss wegen niedrigerer Nutzungsdauern zu höheren Netzentgelten führe. Dieser Effekt in Verbindung mit der Gasversorgungskrise habe es gerechtfertigt, lediglich hinsichtlich der Neuanlagen die Möglichkeit des Ansatzes verkürzter Nutzungsdauern zu eröffnen.
30Soweit die Beschwerdeführerin moniere, dass Bestandsanlagen in gleichem Maße wie Neuinvestitionen von Stilllegungen und Rückbaumaßnahmen betroffen seien, sei dies klarstellungsbedürftig. Die Beschwerdeführerin lasse unberücksichtigt, dass sie durch die Festlegung in ihrem Entscheidungsspielraum nicht eingeschränkt werde. Die Festlegung eröffne allen Netzbetreibern die Möglichkeit, ihre Erwartungen an die Betroffenheit ihrer Netze von zukünftigen Dekarbonisierungsmaßnahmen sachgerecht in der Struktur ihres Sachanlagevermögens abzubilden. Auch Netzplanungen, die sich perspektivisch auf andere Weise - etwa durch Umwidmung zu Wasserstoffnetzen - amortisierten, blieben stets möglich. Die Beschwerdeführerin mache auch vergeblich geltend, dass ein Kapitalgeber nicht in einen Netzbetreiber investieren werde, der mit einem hohen Restbuchwert der Bestandsanlagen zum 31. Dezember 2044 einen erheblichen Anteil seines Sachanlagevermögens absehbar nicht mehr vollständig werde refinanzieren können. Die Investitionsentscheidung sei bei Bestandsanlagen bereits gefällt worden, bei Neuanlagen hingegen noch nicht. Letztere seien Gegenstand der Festlegung. Es sei darum gegangen, kurzfristig anstehende Bauprojekte zu fördern und Investitionshemmnisse zu beseitigen.
31Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie das Verhandlungsprotokoll vom 7. Februar 2024 Bezug genommen.
32B.
33Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.
34I. Die Beschwerde ist als Verpflichtungsbeschwerde im Sinne des § 75 Abs. 3 EnWG statthaft. Das für die Statthaftigkeit maßgebliche (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 5. Juli 2023 - VI-3 Kart 29/22, juris Rn. 70 m.w.N.) Rechtsschutzziel der Beschwerdeführerin ist nicht im Wege einer Teilanfechtung der Regelung unter Ziffer 3 Satz 1 der Entscheidungsformel der Festlegung KANU, sondern lediglich mittels eines Verpflichtungsantrags zu erreichen, wie er hier auch ausdrücklich gestellt worden ist.
351. Die Festlegung KANU knüpft an die Bestimmungen in § 6 Abs. 5 Satz 1 GasNEV in Verbindung mit der Anlage 1 an. Mit der genannten Anlage 1 werden die betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauern in der Gasversorgung entweder kalenderjahrgenau vorgegeben oder mithilfe von Zeitspannen umgrenzt. Diese Regelungen sind in erster Linie für die nach § 6 Abs. 5 Satz 1 GasNEV jährlich vorzunehmenden kalkulatorischen Abschreibungen maßgeblich, d.h. die bei der Ermittlung der Netzkosten als eigenständige Position (BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - EnVR 43/14, juris Rn. 16) in Ansatz zu bringende Wertminderung der betriebsnotwendigen Anlagegüter. Die kalkulatorischen Abschreibungen sind zugleich für die Restwerte und damit für die Ermittlung des Eigenkapitals von Bedeutung (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 GasNEV). Mit der Festlegung KANU hat die Bundesnetzagentur unter Ziffer 1 Satz 1 der Beschlussformel allen Betreibern von Gasversorgungsnetzen die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen der Bestimmung der Abschreibungszeiträume abweichend von der Anlage 1 für Anlagegüter eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von „2045 minus t Jahre“ zu wählen, sofern nicht einer der Ausnahmefälle nach Ziffer 1 Sätze 2 und 3 vorliegt. Es handelt sich um eine Festlegung zur Gewährleistung sachgerechter Abschreibungszeiträume nach § 30 Abs. 2 Nr. 9 GasNEV.
362. Gemäß Ziffer 3 Satz 1 der Entscheidungsformel der Festlegung KANU besteht die bezeichnete Wahlmöglichkeit allerdings lediglich für solche Anlagegüter, die ab dem Jahr 2023, d.h. ab Beginn der vierten Regulierungsperiode als Fertiganlage aktiviert werden (sogenannte Neuanlagen). Die Abschreibungszeiträume für Bestandsanlagen sollen sich hingegen unverändert nach den Regelungen in § 6 Abs. 5 Satz 1 GasNEV in Verbindung mit der Anlage 1 richten, an deren zumindest übergangsweisen Fortgeltung sich auch durch das Gesetz zur Anpassung des Energiewirtschaftsrechts an unionsrechtliche Vorgaben und zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften vom 22. Dezember 2023 (BGBl. Teil I Nr. 405, S. 1) nichts geändert hat. Art. 15 Abs. 2 des genannten Gesetzes sieht ein Außerkrafttreten der GasNEV erst mit Ablauf des 31. Dezember 2027 vor.
373. Die Beschwerdeführerin begehrt die Einbeziehung der Bestandsanlagen in die von der Festlegung KANU eröffnete Wahlmöglichkeit. Dieses Rechtsschutzziel ist nicht im Wege einer bloßen Streichung der behördlichen Regelung zum Geltungsbereich der Option, d.h. einer Teilanfechtung der Ziffer 3 Satz 1 der Entscheidungsformel zu erreichen. Statthaft ist vielmehr die Verpflichtungsbeschwerde, weil die Ziffern 1 und 3 der Entscheidungsformel ein Gesamtkonzept bilden, das nicht in seine einzelnen Bestandteile aufgeteilt werden kann (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2017 - EnVR 2/17, N&R 2018, 105 Rn. 22 f.).
38II. Ob die Verpflichtungsbeschwerde auch im Übrigen zulässig ist, kann dahinstehen. Sie ist jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführerin hat weder einen Anspruch auf Neuerlass der Festlegung KANU unter Einbeziehung von Bestandsanlagen noch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats.
391. Der geltend gemachte Anspruch auf Neuerlass der Festlegung mit dem von der Beschwerdeführerin begehrten Inhalt besteht nicht etwa deshalb, weil es mit höherrangigem Recht unvereinbar sei, für sogenannte Bestandsanlagen derzeit noch an den Vorgaben aus § 6 Abs. 5 Satz 1 GasNEV in Verbindung mit der Anlage 1 festzuhalten, ohne auch insoweit die Möglichkeit zur Wahl verkürzter Abschreibungsdauern zu eröffnen. Zwar liegt es nahe, dass ein bloßes Festhalten an den bisherigen Bestimmungen für Bestandsanlagen unter den durch den angestrebten Ausstieg aus der Erdgasversorgung (voraussichtlich) veränderten Verhältnissen auf Dauer nicht mehr den verfassungs- oder unionsrechtlichen Anforderungen genügen wird (dazu B II 1 a und b). Es ist aber gleichwohl unbedenklich, dass die Bundesnetzagentur sich mit der Festlegung KANU auf eine schrittweise Anpassung der regulatorischen Vorgaben beschränkt hat (dazu B II 1 c). Denn soweit sich die Notwendigkeit weitergehender Änderungen abzeichnen mag, ist der Bundesnetzagentur ein Entscheidungsspielraum in zeitlicher Hinsicht zuzubilligen. Die der Bundesnetzagentur jedenfalls zu gewährende Prüf- und Entscheidungsfrist ist selbst im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über die Beschwerde noch nicht abgelaufen, so dass auch dahinstehen kann, ob es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Nichteinbeziehung von Bestandsanlagen auf diesen Zeitpunkt oder denjenigen des Erlasses der Festlegung KANU ankommt (zu dieser Fragestellung siehe Senatsbeschluss vom 30. August 2023 - VI-3 Kart 544/21 [V], N&R 2023, 238 unter B III 8 m.w.N.).
40a) Der Beschwerdeführerin ist zuzugeben, dass das mit der Festlegung KANU adressierte Risiko nicht allein Neuanlagen, sondern - jedenfalls partiell - auch Bestandsanlagen betreffen kann. Denn der Abschreibungszeitraum nach § 6 Abs. 5 Satz 1 GasNEV in Verbindung mit Anlage 1 bemisst sich für einen erheblichen Teil der Anlagegüter in mehreren Jahrzehnten. Unterstellte man eine unveränderte Fortgeltung dieser Bestimmungen bis zu ihrem nunmehr gesetzlich angeordneten Außerkrafttreten mit Ablauf des 31. Dezember 2027 und für die Folgezeit den Erlass einer inhaltsgleichen Festlegung durch die Bundesnetzagentur, könnte somit auch für einen Teil der Bestandsanlagen die Gefahr bestehen, dass der Netzbetrieb nicht mehr ausreichend lange fortgeführt wird, um Kapitalrückflüsse in dem Umfang durch Netzentgelte zu vereinnahmen, der erforderlich wäre, um die bei der Errichtung der Anlagegüter getätigten Investitionen jedenfalls bis zum Jahre 2045 zu decken.
41b) Droht ein solcher Ausfall oder verwirklichte sich gar dieses Risiko, könnte dies mit höherrangigem Recht unvereinbar sein, etwa dem Gebot der Kostenorientierung (§ 21 Abs. 2 EnWG und Art. 41 Abs. 6 Buchst. a RL 2009/73/EG in Verbindung mit Erwägungsgrund 32) widersprechen oder gegen Art. 3 bzw. Art. 14 GG verstoßen (sollte der Netzbetreiber grundrechtsberechtigt sein). Denn der Gesetzgeber hat den Betreibern von Erdgasversorgungsnetzen Betriebs-, Ausbau- und Netzanschlusspflichten auferlegt (§ 11, § 17 EnWG). In Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben werden sie zudem (mittelbar) unter anderem durch § 6 Abs. 5 Satz 1 GasNEV in ihrer Preisbildung eingeschränkt. Die in berechtigtem Vertrauen auf diese Rechtslage oder aufgrund der genannten gesetzlichen Verpflichtungen getätigten Investitionen dürften angemessen zu berücksichtigen sein, wenn der Gesetzgeber nunmehr auf eine Reduktion bzw. Beendigung des Erdgasverbrauchs hinwirkt und so eine Einstellung des Netzbetriebs (mit-) veranlasst (siehe BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12, 1 BvR 1456/12, ZUR 2017, 161 Rn. 372 [zum sogenannten Atomausstieg] sowie BGH, Beschluss vom 5. Mai 2020 - EnVR 59/19, WM 2021, 88 Rn. 27 [kein rechtlich relevanter „Eingriff in geschützte Investitionen …, solange gewährleistet ist, dass die Netzbetreiber - bei einer typisierenden Gesamtbetrachtung - ihre Kosten refinanzieren können und das eingesetzte Kapital angemessen verzinst wird“]). Netzentgeltunabhängige Ausgleichsmechanismen, etwa steuerfinanzierte staatliche Entschädigungszahlungen, sind gegenwärtig indes weder vorgesehen noch konkret absehbar. Ebenfalls ungewiss ist die Möglichkeit zur Weiterverwendung oder Veräußerung von Anlagegütern anlässlich einer eventuellen Umstellung der Infrastruktur auf die Versorgung mit Wasserstoff. Eine Änderung der Abschreibungsregeln wäre demgegenüber dazu geeignet, das in der Festlegung KANU genannte Risiko auch für Bestandsanlagen auszuschließen oder wenigstens zu minimieren (vgl. auch den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Binnenmärkte für erneuerbare Gase vom 15. Dezember 2021, COM (2021) 804 final, S. 32: „könnte z.B. das Abschreibungsprofil … geändert werden“).
42c) Gleichwohl war und ist es auch derzeit noch rechtlich bedenkenfrei, dass die Bundesnetzagentur sich gemäß Ziffer 3 Satz 1 der Entscheidungsformel der Festlegung KANU auf eine Regelung zu den Abschreibungszeiträumen für Neuanlagen beschränkt hat. Die Bundesnetzagentur ist jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht dazu verpflichtet, mittels einer weitergehenden Anpassung der regulatorischen Vorgaben eine effektive Refinanzierung der Kosten aller Anlagegüter zum mutmaßlichen Zeitpunkt der Einstellung des Erdgasnetzbetriebs zu gewährleisten. Vielmehr ist ihr in Anlehnung an diejenigen Anpassungs- und Korrekturpflichten, die den nationalen oder europäischen Gesetzgeber selbst treffen können, zumindest eine angemessene Zeit zur Prüfung und Vornahme von etwaigen Anpassungsmaßnahmen einzuräumen, die noch nicht verstrichen ist.
43aa) Sowohl das Bundesverfassungsgericht (so etwa BVerfG, Beschlüsse vom 6. November 2012 - 2 BvL 51/06, 2 BvL 52/06, juris Rn. 68; vom 27. Januar 2011 - 1 BvR 3222/09, NZBau 2011, 282 Rn. 51) als auch der Gerichtshof der Europäischen Union (siehe EuGH, Urteile vom 9. Juni 2016 - C-78/16, C-79/16, juris Rn. 50; vom 12. Dezember 2006 - C-504/04, juris Rn. 40) gehen davon aus, dass den Gesetzgeber die Pflicht zur Anpassung einer Regelung an veränderte Gegebenheiten treffen kann. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beruht dabei auf der Erwägung, dass ein ursprünglich verfassungsgemäßes Gesetz wegen Veränderungen der maßgeblichen Umstände verfassungswidrig werden kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Juli 2021 - 1 BvR 2237/14, juris Rn. 121; vom 6. November 2012 aaO). Dieser Grundsatz hat für eine durch Rechtsverordnung getroffene Regelung - hier etwa § 6 Abs. 5 GasNEV in Verbindung mit der Anlage 1 - entsprechend zu gelten (BGH, Urteil vom 27. Juli 2023 - I ZR 144/22, NJW-RR 2023, 1341 Rn. 23; Beschluss vom 15. Januar 2004 - IX ZB 96/03, ZIP 2004, 417 unter II 4 und 5; BayVGH, Urteil vom 22. Juni 1994 - 7 N 92.3197, juris Rn. 23; zur Funktionslosigkeit einer Norm oder Unerfüllbarkeit des Normzwecks siehe auch BVerwG, Urteil vom 21. März 2023 - 4 A 9/21, juris Rn. 39; Panzer/Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht § 47 VwGO Rn. 111 [Werkstand: 44. Ergänzungslieferung] m.w.N.).
44Zeichnet sich ein Anpassungsbedarf ab, ist der Normgeber aber nicht stets zu einem sofortigen Handeln verpflichtet. Vielmehr gebührt dem Gesetzgeber bei der Neuregelung eines komplexen Sachverhalts ein zeitlicher Anpassungsspielraum (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. November 1991 - 1 BvR 1256/89, FamRZ 1992, 157 unter C III 1; siehe auch BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95, juris Rn. 207; Beschluss vom 26. März 1980 - 1 BvR 121/76, juris Rn. 69). Dies gilt insbesondere für umfassende Reformen, die einen hohen Regelungsaufwand erfordern und zahlreiche, im Einzelnen schwer absehbare und möglicherweise nicht in vollem Umfang sofort finanzierbare Folgewirkungen haben können. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers würde unzulässig eingeschränkt, wenn derart komplexe Reformen nur in einem Zuge oder gar nicht erfolgen könnten (BVerfG, Beschluss vom 5. November 1991 aaO).
45bb) Die Pflichten der Bundesnetzagentur zur Anpassung der regulatorischen Vorgaben an die durch den Ausstieg aus der Erdgasversorgung (voraussichtlich) veränderten Verhältnisse sind in Anlehnung an die vorgenannten Grundsätze zu bestimmen. Insbesondere ist auch ihr ein Anpassungsspielraum in zeitlicher Hinsicht zuzubilligen. Denn die sich abzeichnende Stilllegung oder Transformation der bestehenden Infrastruktur gibt Anlass zu komplexen Prüf-, Abwägungs- und Entscheidungsprozessen, innerhalb derer die Bundesnetzagentur infolge ihrer unionsrechtlich vorgesehenen Aufgaben und Kompetenzen bei funktionaler Betrachtung teilweise an die Stelle eines Verordnungsgebers tritt.
46(1) Käme es zu der von der Beschwerdeführerin geforderten Erweiterung des Anwendungsbereichs der Festlegung KANU unter Einbeziehung von Bestandsanlagen, handelte es sich nicht um eine isoliert zu betrachtende Maßnahme, sondern vielmehr um eine Teilregelung innerhalb eines komplexen Reformprozesses.
47So weist die Bundesnetzagentur in der Beschwerdeerwiderung mit Recht darauf hin, dass sich anlässlich des angestrebten Ausstiegs aus der Erdgasversorgung nicht lediglich die Frage nach einer regulatorischen Neubewertung der kalkulatorischen Nutzungsdauern stellt. Denn nicht bloß § 6 Abs. 5 GasNEV, sondern der gesamte gegenwärtige rechtliche bzw. regulatorische Rahmen für Erdgasversorgungsnetze beruht im Wesentlichen auf der Annahme eines langfristigen („ewigen“) Netzbetriebs (vgl. etwa Art. 2 Nrn. 4 und 6, Art. 13 Abs. 1 Buchst. a und Art. 25 Abs. 1 RL 2009/73/EG, § 11 Abs. 1 Satz 1 EnWG) und ist damit nicht auf das Szenario eines (nahezu) vollständigen Verzichts auf die Nutzung des Primärenergieträgers Erdgas ausgerichtet. Dies gibt Anlass zur Prüfung einer Vielzahl von in Betracht kommenden Anpassungs- und Reformmaßnahmen mit der Maßgabe, dass deren Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit nur auf unsicherer Tatsachenbasis, insbesondere in Unkenntnis des zukünftigen tatsächlichen Ablaufs des Ausstiegs aus der Erdgasversorgung, beurteilt werden kann.
48Das Ausmaß des denkbaren Anpassungsbedarfs wird schon anhand der Vielzahl an Aspekten deutlich, die in dem der Festlegung KANU vorausgegangenen Konsultationsverfahren von dritter Seite vorgebracht worden sind. Gefordert wurden dort unter anderem ein Übergang zur degressiven Abschreibungsmethode, eine weitere Flexibilisierung der Nutzungsdauern in zeitlicher und räumlicher Hinsicht, eine Änderung der bisherigen Netzanschlusspflichten sowie die regulatorische Berücksichtigung von Rückbaukosten und Anlageabgängen (zur sogenannten Sonder- oder Sofortabschreibung auf den Restwert vgl. Bundesnetzagentur, Beschluss vom 5. Februar 2019 - BK8-17/0464-11, Anlage Aufwandsparameter, S. 24; Sieberg/Schellberg, N&R 2011, 154, 156). Noch weitergehende Reformansätze werden in aktuellen Studien erwogen, etwa Ausgleichsmechanismen in Form von Rückbau- und Stilllegungszuschüssen (vgl. MVV Energie AG, Zukunft der Gasnetze: Empfehlungen für eine koordinierte Wärmewende (2023), S. 39 ff.) und die Definition von „Kipppunkten“, ab deren Erreichen eine Trennung der verbliebenen Kunden vom Netz möglich sein müsse (Agora Energiewende, Ein neuer Ordnungsrahmen für Erdgasverteilernetze (2023), S. 87 f.).
49(2) Die Entscheidung über die vorgenannten Fragen liegt jedenfalls zu einem nennenswerten Teil in der Kompetenz der Bundesnetzagentur. Art. 41 RL 2009/73/EG weist bestimmte Aufgaben und Befugnisse ausschließlich der nationalen Regulierungsbehörde zu. Die damit verbundene unabhängige Entscheidungsfindung darf nicht durch den nationalen Gesetz- und Verordnungsgeber umfangreich vorstrukturiert werden (dazu im Einzelnen EuGH, Urteil vom 2. September 2021 - C-718/18, RdE 2020, 534 Rn. 103 ff.; BT-Drucks. 20/7310, S. 1). Deshalb hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Anpassung des Energiewirtschaftsrechts an unionsrechtliche Vorgaben und zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften vom 22. Dezember 2023 (BGBl. Teil I Nr. 405, S. 1) die Festlegungskompetenzen der Bundesnetzagentur neu gefasst.
50(3) Treten die Entscheidungen der Bundesnetzagentur bei funktionaler Betrachtung an die Stelle exekutiver Rechtssetzung und soll sie dazu im Stande sein, bei ihrem Handeln eine langfristige Perspektive zu verfolgen (vgl. EuGH, Urteil vom 2. September 2021 - C-718/18, RdE 2020, 534 Rn. 112), ist es geboten, ihr bei der Neuregelung eines komplexen Sachverhalts ebenso wie dem Verordnungsgeber (siehe dazu BGH, Beschluss vom 15. Januar 2004 - IX ZB 96/03, ZIP 2004, 417 unter II 4 und 5) einen Anpassungsspielraum auch in zeitlicher Hinsicht zuzubilligen. Denn die Komplexität von Sachentscheidungen der hier in Rede stehenden Art verringert sich nicht dadurch, dass sie von einer unabhängigen Regulierungsbehörde an Stelle des Gesetz- oder Verordnungsgebers zu treffen sind. Dies zeigt sich nicht zuletzt anhand einer vergleichenden Gegenüberstellung der Begründungspflichten der Regulierungsbehörde einerseits und des Normgebers andererseits. Während die Regulierungsbehörde bei der Ausfüllung eines Entscheidungsspielraums der hier in Rede stehenden Art besonderen Begründungsanforderungen unterliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2023 - EnVR 43/22, juris Rn. 12), beziehen sich die aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes grundsätzlich nicht auf seine Begründung, sondern auf die Ergebnisse eines Gesetzgebungsverfahrens (BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, NVwZ 2021, 951 Rn. 241). Nur ausnahmsweise treffen den Gesetzgeber Begründungspflichten (vgl. dazu BVerfG, Urteile vom 15. November 2023 - 2 BvF 1/22, juris Rn. 149; vom 24. Januar 2023 - 2 BvF 2/18, juris Rn. 128; jeweils m.w.N.).
51(4) Hinzu kommt, dass die Bundesnetzagentur für die Bewältigung des Ausstiegs aus der Erdgasversorgung nicht alleinzuständig ist und damit Anlass dazu haben kann, bis zu dem Erlass anderer Rechtsakte zuzuwarten, welche im Zusammenhang mit dem absehbaren oder mutmaßlichen Ende des Verbrauchs fossiler Brennstoffe stehen. Anpassungsfristen, die den gesetzgebenden Organen zuzubilligen sind, können deshalb auch den zeitlichen Spielraum der Bundesnetzagentur beeinflussen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf Änderungen desjenigen detaillierten normativen Rahmens auf Unionsebene, der den Wertungsspielraum der Bundesnetzagentur beschränkt (vgl. EuGH, Urteil vom 2. September 2021 - C-718/18, RdE 2020, 534 Rn. 132), als auch in Bezug auf etwaige Maßnahmen des nationalen Gesetzgebers. So ist die Bundesnetzagentur nicht zuständig für Entscheidungen über Anforderungen an Heizungsanlagen, Vorgaben für die staatliche bzw. kommunale Wärmeplanung oder die Gewährung von Zuschüssen aus Steuermitteln zum Zwecke der Kompensation der finanziellen Lasten, die mit der Einstellung des Gasnetzbetriebs verbunden sein können. Darauf bezogene Akte des Gesetzgebers können jedoch für eine sachgerechte Wahrnehmung der Regulierungsaufgaben von Bedeutung sein, etwa um Widersprüche auszuschließen.
52Danach darf die Bundesnetzagentur die Entscheidung über die Vornahme von Anpassungen der regulatorischen Vorgaben an die durch den angestrebten Ausstieg aus der Erdgasversorgung veränderten Verhältnisse zwar nicht auf unabsehbare Zeit - etwa im vagen Vertrauen auf Maßnahmen Dritter - aufschieben. Vielmehr hat die Bundesnetzagentur das Bedürfnis der Netzbetreiber nach Planungssicherheit angemessen zu berücksichtigen. Der Bundesnetzagentur ist aber grundsätzlich die Gelegenheit zu geben, Reform- und Anpassungsprozesse, die von dritter Seite angestoßen werden und sich konkret abzeichnen, effektiv in ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen.
53cc) Nach dem Vorgesagten ist es auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über die Beschwerde unbedenklich, dass die Festlegung KANU allein Neuanlagen erfasst und auch anderweitige Anpassungen der regulatorischen Vorgaben bislang unterblieben sind (vgl. dazu aber die Ankündigungen bzw. Erwägungen im Eckpunktepapier der Bundesnetzagentur vom 18. Januar 2024, S. 18 f.). Denn die Frist zur Prüfung und eventuellen Vornahme derartiger Maßnahmen, etwa in Gestalt der hier geforderten Einbeziehung von Bestandsanlagen in die Festlegung KANU, ist bislang nicht abgelaufen.
54(1) Mehrere gesetzliche Änderungen, die von wesentlicher Bedeutung für eventuelle Anpassungen der regulatorischen Vorgaben an die absehbar veränderten Umstände sein können, stehen noch aus oder sind erst vor kurzer Zeit in Kraft getreten. Dies spricht gegen eine Überschreitung des in zeitlicher Hinsicht anzuerkennenden Entscheidungsspielraums.
55So ist das durch den Vorschlag der Europäischen Kommission vom 15. Dezember 2021 (COM (2021) 803 final) angestoßene Verfahren, das den Erlass einer Richtlinie über gemeinsame Vorschriften für die Binnenmärkte für erneuerbare Gase und Erdgas sowie Wasserstoff zum Gegenstand hat, die an die Stelle der RL 2009/73/EG treten soll, selbst im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde noch nicht abgeschlossen. Erst Ende des Jahres 2023 wurde eine politische Einigung erzielt. Der in diesem Zuge veröffentlichte Kompromisstext (Verfahren 2021/0425/COD) verhält sich unter anderem zu Fragen der Stilllegung des Verteilernetzes einschließlich der Abschreibung von Anlagegüter (vgl. Art. 52b). Es ist grundsätzlich sachgerecht, dass die Bundesnetzagentur dem Erlass dieser Richtlinie nicht zuvorkommt.
56Gegen eine Überschreitung der Prüf- und Entscheidungsfrist spricht im Weiteren, dass erst mit dem Gesetz zur Anpassung des Energiewirtschaftsrechts an unionsrechtliche Vorgaben und zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften vom 22. Dezember 2023 (BGBl. Teil I Nr. 405, S. 1) die Kompetenzen der Bundesnetzagentur neu gefasst und erweitert worden sind, um den durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 2. September 2021 (C-718/18, RdE 2020, 534 Rn. 103 ff.) konkretisierten Anforderungen der RL 2009/73/EG Rechnung zu tragen. Zwar war die Bundesnetzagentur auch schon zuvor nach § 30 Abs. 2 Nr. 9 GasNEV dazu befugt, Festlegungen zur Gewährleistung sachgerechter Abschreibungszeiträume in Abweichung von Anlage 1, d.h. von verordnungsrechtlichen Bestimmungen zu treffen. Angesichts des Umfangs des sich abzeichnenden Anpassungsbedarfs ist der Bundesnetzagentur aber grundsätzlich die Gelegenheit zu geben, in Kenntnis der Neuregelungen die Entscheidung über den Erlass der entsprechenden Maßnahmen zu treffen. Erst die damit verbundenen erweiterten Befugnisse ermöglichen der Bundesnetzagentur sehr weitreichende und zugleich aufeinander abgestimmte Änderungen des regulatorischen Rahmens.
57Hinzu kommt schließlich, dass noch weitere gesetzliche Bestimmungen, die im Zusammenhang mit dem absehbaren Ende des Erdgasverbrauchs stehen und für die Ausgestaltung der künftigen regulatorischen Vorgaben von Bedeutung sein könnten, erst vor kurzer Zeit in Kraft getreten sind. So sind etwa bundesrechtliche Vorgaben zur Wärmeplanung mit dem Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze vom 20. Dezember 2023 (BGBl. Teil I Nr. 394, S. 1) getroffen worden. Eine sachgerechte Entscheidung über eine Verknüpfung von kalkulatorischen Nutzungsdauern mit einer kommunalen Wärmeplanung, wie sie in dem der Festlegung KANU vorausgegangenen Konsultationsverfahren vielfach gefordert worden ist, kann erst in Kenntnis und nach Bewertung einschlägiger gesetzlicher Regelungen erfolgen (vgl. auch Kahl, EnWZ 2023, 433, 434 [„perspektivisch verdichtet sich der regulatorische Handlungsbedarf für einen geordneten Gasausstieg immer mehr“]).
58(2) Ein Entscheidungsspielraum in zeitlicher Hinsicht ist der Bundesnetzagentur auch nicht deshalb zu versagen, weil sich eine Einbeziehung von Bestandsanlagen bereits nach der Begründung der Festlegung KANU offensichtlich aufgedrängt hätte.
59Die von der Bundesnetzagentur in der Festlegung KANU zu (nicht mehr) sachgerechten Abschreibungszeiträumen angestellten Erwägungen mögen zwar auf Bestandsanlagen bzw. einen Teil davon übertragbar sein. Daraus ergibt sich aber nicht eine Pflicht zu deren sofortigen Einbeziehung in den Regelungsbereich der Festlegung im Sinne eines gegenständlich beschränkten Wegfalls der regulierungsbehördlichen Prüf- und Entscheidungsfrist. Denn die von der Bundesnetzagentur vorgesehene Unterscheidung zwischen Neu- und Bestandsanlagen, d.h. die Vornahme eines bloßen „Teilschrittes“ als Stelle eines „vollen ersten Schrittes“, ist nicht willkürlich, sondern sachlich zu rechtfertigen. Je geringer der zeitliche Abstand zwischen einer Investition des Netzbetreibers und dem voraussichtlichen Zeitpunkt des Ausstiegs aus der Erdgasversorgung ist, desto größer ist nach der gegenwärtigen Netzentgeltsystematik die Gefahr einer Nichtrefinanzierung der dazugehörigen Kosten. Investitionshemmende Effekte sind deshalb in besonderer Weise bei aktuellen und zukünftigen Neuanlagen zu verzeichnen.
60Einer daran anknüpfenden Unterscheidung zwischen Neu- und Bestandsanlagen steht - anders als die Beschwerdeführerin meint - auch nicht entgegen, dass ein Kapitalgeber in ein Unternehmen und nicht in ein einzelnes Anlagegut investiert. Es geht hier nicht um die Frage der Zulässigkeit einer generellen Differenzierung zwischen Neu- und Bestandsanlagen, sondern lediglich um die Befugnis der Bundesnetzagentur, sich innerhalb eines Reformprozesses zunächst auf Teilregelungen, etwa die offensichtlich bedeutsamste erste Maßnahme, zu beschränken.
612. Ist der Bundesnetzagentur ein Entscheidungsspielraum in zeitlicher Hinsicht selbst für den Fall zuzubilligen, dass die von der Beschwerdeführerin geforderte Einbeziehung von Bestandsanlagen erforderlich sein wird, um einen Verstoß gegen höherrangiges Recht zu vermeiden, und hat die Bundesnetzagentur diesen Spielraum noch nicht überschritten, ist die Sache ist auch nicht aus den weiteren von der Beschwerdeführerin angeführten Gründen spruchreif.
623. Die Beschwerdeführerin hat auch nicht einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsaufassung des Senats. Die Beschwerdeführerin macht vergeblich geltend, dass die Bundesnetzagentur sich einer Abwägung entzogen, wesentliche Aspekte vollständig unberücksichtigt gelassen oder deren Bedeutung verkannt habe.
63a) Ist die Bundesnetzagentur aufgrund eines Anpassungsspielraums in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich dazu berechtigt, eine bestimmte Entscheidung innerhalb des Reformprozesses „hinauszuzögern“, sind an die Rechtmäßigkeit ihres Entschlusses, zunächst lediglich einen Teilbereich zu regeln, keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Ihre Prüf- und Entscheidungsfrist würde entwertet, verlangte man der Bundesnetzagentur ab, schon bei ihrer ersten Maßnahme sämtliche Sachverhaltskonstellationen, die innerhalb des Reformprozesses zu berücksichtigen sein können, so zu prüfen und so zu bewerten, als wären sie selbst bereits Regelungsgegenstand.
64b) Allerdings bleibt die Bundesnetzagentur der Kontrolle durch die zuständigen Gerichte unterworfen (vgl. EuGH, Urteil vom 2. September 2021 - C-718/18, RdE 2020, 534 Rn. 126). Dies setzt voraus, dass ihre Entscheidung nachvollziehbar ist, etwa um auszuschließen, dass der regulierungsbehördliche Entschluss zu einer bloß schrittweisen Anpassungsmaßnahme auf sachwidrigen Erwägungen beruht. Liegt die Mitregelung eines zunächst ungeregelt gebliebenen Sachverhalts nahe oder drängt sich gar auf, muss überprüfbar sein, aus welchen Gründen die Bundesnetzagentur hiervon zunächst abgesehen hat. Ein begründungsloser Hinweis auf die Möglichkeit eines späteren Tätigwerdens genügt nicht.
65c) Die Kontrolle im vorgenannten Sinn ist hier jedoch gewährleistet. Der Festlegung KANU ist noch hinreichend zu entnehmen, weshalb die Bundesnetzagentur lediglich eine Regelung für Neuanlagen getroffen hat. Die von der Bundesnetzagentur hierzu angestellten Erwägungen sind auch in der Sache nicht zu beanstanden.
66aa) Die Bundesnetzagentur hat ihren Entscheidungsspielraum in zeitlicher Hinsicht erkannt und hiervon Gebrauch gemacht. Sie hat die Festlegung KANU nicht als Maßnahme zur umfassenden Neugestaltung der regulatorischen Vorgaben anlässlich der absehbaren Beendigung des Erdgasverbrauchs konzipiert, sondern die Möglichkeit und Notwendigkeit weitergehender Änderungen erkannt und den anstehenden Reformprozess zumindest schlagwortartig adressiert. Dass die Bundesnetzagentur bei ihrem Verweis auf die „energiepolitischen Debatten“ (Festlegung KANU unter II.3.5.) davon abgesehen hat, diejenigen Umstände näher zu konkretisieren, aus denen sich der Entscheidungsspielraum in zeitlicher Hinsicht ergibt, war angesichts ihrer Offenkundigkeit für alle Betroffenen unschädlich. Im Einklang mit dem so bereits in der Festlegung KANU zum Ausdruck gebrachten Willen zur schrittweisen Anpassung der regulatorischen Vorgaben hat die Bundesnetzagentur im Übrigen in dem nunmehr vorliegenden Eckpunktepapier vom 18. Januar 2024 (dort S. 18 f.) den Handlungsbedarf nochmals anerkannt und die Vornahme entsprechender regulierungsbehördlicher Maßnahmen schon vor Beginn der fünften Regulierungsperiode in Erwägung gezogen.
67bb) Die Entscheidung der Bundesnetzagentur für eine zunächst auf Neuanlagen beschränkte Regelung beruht auch nicht auf sachwidrigen Erwägungen. Für die Bundesnetzagentur war erkennbar ausschlaggebend, dass investitionshemmende Effekte in erster Linie bei aktuellen und zukünftigen Neuanlagen zu verzeichnen seien. Den eigentlichen Anstoß für die Festlegung KANU, d.h. ihr erstes Tätigwerden bildete der Bedarf an Neuinvestitionen im Zuge der krisenhaften Entwicklung im Jahre 2022, was der einleitenden Sachverhaltsdarstellung unter I der Festlegungsgründe hinreichend zu entnehmen ist. Gerade bei heute neu errichteten Infrastrukturen war für die Bundesnetzagentur auch eingedenk der Unvorhersehbarkeit des zukünftigen tatsächlichen Ablaufs des Ausstiegsprozesses „offenkundig“, dass sie ihre gegenwärtige Funktion „schon deutlich vor diesem Zeithorizont wieder verlieren werden“ (Festlegung KANU unter II.3.2.). Die daran anknüpfende Unterscheidung zwischen Neu- und Bestandsanlagen ist - wie bereits aufgezeigt - sachlich zu rechtfertigen.
68Die Bundesnetzagentur hat ihre Entscheidung auch nicht aufgrund fehlerhaft ermittelter Tatsachen getroffen. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob die Bundesnetzagentur - was die Beschwerdeführerin mit ihrer Replik mit Nichtwissen bestreitet - im Vorfeld des Erlasses der Festlegung KANU im Rahmen einer überschlägigen Berechnung zu dem Ergebnis gelangt ist, dass sich bei einer Beibehaltung der bisher angesetzten Nutzungsdauern im Jahr 2045 in Summe „vergleichsweise überschaubare Restwerte“ für bis dahin noch nicht abgeschriebene Erdgasinfrastruktur ergeben würden. Einzelheiten der Restwertermittlung waren für die Entscheidung der Bundesnetzagentur nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Maßgeblich war vielmehr die offensichtlich zutreffende Erwägung, dass bei einer strikten Beibehaltung der bisherigen Regeln zuvörderst für Neuanlagen Refinanzierungsrisiken bestehen.
69C.
70Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 EnWG. Es entspricht der Billigkeit, der Beschwerdeführerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur aufzuerlegen.
71D.
72Der Senat hat die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung zugelassen, weil die streitgegenständlichen Fragen grundsätzliche Bedeutung haben (§ 86 Abs. 2 Nr. 1 EnWG).
73Rechtsmittelbelehrung:
74Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 546, § 547 ZPO). Sie ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 1. Januar 2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 5. Oktober 2021 wird hingewiesen. Die elektronische Form wird durch die Einreichung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und auf einem zugelassenen elektronischen Übermittlungsweg gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERRV) oder von ihr selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, § 55a Abs. 4 VwGO eingereicht wird. Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und Übermittlungswegen sowie zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der ERRV in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Rechtsbeschwerde ist durch einen bei dem Beschwerdegericht oder Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz binnen eines Monats zu begründen. Die Frist beginnt mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde und kann auf Antrag von dem oder der Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Rechtsbeschwerdeschrift und -begründung müssen durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Für die Regulierungsbehörde besteht kein Anwaltszwang; sie kann sich im Rechtsbeschwerdeverfahren durch ein Mitglied der Behörde vertreten lassen (§ 88 Abs. 4 Satz 2, § 80 Satz 2 EnWG).