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Der Beschluss der Bundesnetzagentur vom 29.06.2023 (Az. BK…) wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin trägt die Bundesnetzagentur.
Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.
G r ü n d e :
2A.
3Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Untersagung der Tätigkeit als Energielieferantin durch die Bundesnetzagentur.
4Die Beschwerdeführerin belieferte im Zeitraum von … bis … Kunden mit Erdgas, zuletzt verfügte sie über knapp … Kunden. Alleiniger Geschäftsführer der Beschwerdeführerin und deren Schwestergesellschaft … (im Folgenden nur: Schwestergesellschaft), die Haushaltskunden mit Strom versorgte, war und ist … . Dieser ist auch alleiniger Geschäftsführer der Komplementärin der Muttergesellschaft der beiden Unternehmen, der … (im Folgenden nur: Muttergesellschaft), und der gemeinsamen Konzern-Muttergesellschaft, der …(im Folgenden nur: Konzern-Muttergesellschaft). Gemeinsam belieferten die Beschwerdeführerin und ihre Schwestergesellschaft Anfang … über … Haushaltskunden.
5Die Beschwerdeführerin beschaffte … . Sie bot Haushaltskunden Verträge mit zwölf Monaten Laufzeit, „eingeschränkter Preisgarantie“ und automatischer Verlängerung um weitere zwölf Monate an, soweit zum Ende der Vertragslaufzeit nicht mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen gekündigt wurde. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Beschwerdeführerin, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 449 ff. des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (VV) verwiesen wird und die – mit den durch den anderen Vertragsgegenstand erforderlichen redaktionellen Anpassungen – inhaltlich den AGB ihrer Schwestergesellschaft (Bl. 444 ff. VV) entsprechen, lauten auszugsweise:
6„§ 4 Gaspreis / Preisbestandteile
7(1) Die Preise und tarifabhängigen besonderen Preisbestandteile richten sich jeweils nach dem vom Kunden gewählten Tarif und der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen Preisliste des Lieferanten. Der vom Kunden für das von ihm verbrauchte Gas zu bezahlende Preis besteht aus einem verbrauchsunabhängigen Bestandteil je Zählpunkt (Grundpreis) und einem verbrauchsabhängigen Bestandteil je Kilowattstunde (Arbeitspreis).
8(2) Im Gaspreis sind folgende Kalkulationsbestandteile enthalten:
9a) die Beschaffungs- und Vertriebskosten sowie die Abrechnungskosten, [...]
10§ 6 Preisänderungen
11(1) Preisänderungen erfolgen im Wege der einseitigen Leistungsbestimmung in Ausübung billigen Ermessens. Der Kunde kann die Billigkeit der Preisänderung zivilgerichtlich überprüfen lassen. Bei der einseitigen Leistungsbestimmung durch den Lieferanten sind ausschließlich Änderungen der Kalkulationsbestandteile nach § 4 Absatz 2 lit. a) bis g) möglich. [...]
12(3) Änderungen der Preise werden erst nach […] Mitteilung an den Kunden […] oder der vertragsgemäßen Bereitstellung […] im Kundenbereich des Internetportals des Lieferanten wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. [...]
13§ 7 Preisgarantien
14Soweit mit dem Kunden eine „eingeschränkte Preisgarantie“ vereinbart ist, findet § 6 Absätze 1 bis 5 während der Laufzeit dieser Preisgarantie in Bezug auf die Kalkulationsbestandteile des § 4 Absatz 2 lit. a) bis c) keine Anwendung; [...]
15Im Jahr 2021 kam es zu einem historischen Anstieg der Gaspreise bei gleichzeitiger starker Volatilität, was im Wesentlichen durch negative Effekte der Corona-Pandemie, wie daraus resultierende Lieferengpässe, und durch die geopolitischen Spannungen bedingt war, die dem am 24.02.2022 begonnenen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine vorausgingen. So lag der Day-Ahead-Preis für Erdgas an der EEX für das Marktgebiet THE am 02.12.2021 in der Tagesspitze knapp 800 % über dem Preis vom 01.01.2021, im Monatsdurchschnitt vom 01.01.2021 bis zum 02.12.2021 um knapp 400 %.
16Am …teilte die Beschwerdeführerin der Marktgebietsverantwortlichen Trading Hub Europe GmbH (im Folgenden nur: THE) mit, … . Die THE mahnte sie deshalb am … ab und forderte sie auf, ihrer vertraglichen Verpflichtung zur Ausgeglichenheit des Bilanzkreises aus § 5 der Anlage 4 zur Kooperationsvereinbarung zwischen den Betreibern von in Deutschland gelegenen Gasversorgungsnetzen (in der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Fassung KoV XII, im Folgenden nur: KoV Gas) nachzukommen. Nachdem die Beschwerdeführerin … , kündigte die THE – wie von der Beschwerdeführerin erwartet – den Bilanzkreisvertrag unter Verweis auf § 37 Abs. 3 lit. a) und hilfsweise auf § 37 Abs. 3 Satz 1 der Anlage 4 KoV Gas mit Wirkung zum … außerordentlich. Durch die Beschaffung von Ausgleichsenergie für den … entstanden der THE Kosten in Höhe von ca. … Euro. Die entsprechende Bilanzkreisabrechnung wurde von der Beschwerdeführerin fristgemäß beglichen. Am … zeigte die Beschwerdeführerin die Beendigung der Energiebelieferung gegenüber der Bundesnetzagentur an. Gegenüber den Haushaltskunden erklärte sie jeweils erst einige Tage später die Kündigung des Gasliefervertrags mit Ablauf des … und teilte mit, zu diesem Termin die Belieferung mit Gas eingestellt zu haben. Zu diesem Zeitpunkt verfügten ca. … % der Kunden über Verträge mit einer eingeschränkten Preisgarantie, bei ca. … % der Kunden war die für das erste Jahr vereinbarte Preisgarantie bereits abgelaufen.
17In gleicher Weise verfuhr ihre Schwestergesellschaft, die mit E-Mail vom … gegenüber der Amprion GmbH (im Folgenden nur: Amprion) mitteilte, …, was Amprion erwartungsgemäß zum Anlass nahm, den Bilanzkreisvertrag mit Wirkung zum Ablauf des … zu kündigen. Auch hier erfolgte die fristlose Kündigung der Lieferverträge zum … gegenüber den Kunden und deren Information über die Einstellung der Versorgung zu diesem Zeitpunkt erst einige Tage später. Zu den von den Kündigungen betroffenen Kunden gehörten auch zwei der drei Mitglieder der Beschlusskammer 7 der Bundesnetzagentur, die die angefochtene Untersagungsverfügung erlassen haben.
18Am … zeigte die Beschwerdeführerin der Bundesnetzagentur die Wiederaufnahme ihrer Geschäftstätigkeit als Energieversorgungsunternehmen an. Die Bundesnetzagentur äußerte mit Schreiben vom … einen Anfangsverdacht in Bezug auf die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowie die Unzuverlässigkeit der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin und gab dieser bis zum … Gelegenheit zur Stellungnahme.
19Am … veröffentlichte die Bundesnetzagentur eine Pressemitteilung mit dem Titel „Bundesnetzagentur untersagt die Tätigkeit der …“, den sie noch am selben Tag eigeninitiativ in „Verfahren zur Untersagung der Tätigkeit der … eingeleitet“ änderte. Im Text der Pressemitteilung heißt es unter anderem:
20„Die Bundesnetzagentur hat ein Verfahren zur Untersagung der Tätigkeit als Energielieferant gegen die … eingeleitet.
21[...]
22Das Verfahren wurde zur Untersagung der Tätigkeit als Energielieferant von Amts wegen eingeleitet, nachdem die … sich erneut als Energielieferant gem. § 5 Abs. 2 S. 1 EnWG bei der Bundesnetzagentur angezeigt hat.
23[...]
24Die Bundesnetzagentur prüft fortlaufend, ob die Lieferanten die energierechtlichen Verpflichtungen einhalten. Sie kann aufsichtsrechtliche Schritte einleiten, wenn der Verdacht besteht, dass Energieunternehmen gegen das Energiewirtschaftsgesetz verstoßen. Dabei wird jeweils berücksichtigt, inwieweit sich Anhaltspunkte für systematische Missstände ergeben. Die Bundesnetzagentur kann das rechtswidrige Verhalten untersagen.“
25Durch den angefochtenen Beschluss vom 29.06.2023 (Az. BK…, im Folgenden: Untersagungsverfügung) hat die Bundesnetzagentur der Beschwerdeführerin gemäß § 5 Abs. 5 Satz 1 EnWG untersagt, ihre Tätigkeit als Energielieferant von Haushaltskunden auszuüben (Tenorziffer 1.) und ihr für den Fall, dass sie entgegen der Untersagung in Tenorziffer 1. die Belieferung erneut aufnimmt, ein Zwangsgeld in Höhe von 150.000 Euro angedroht (Tenorziffer 2.).
26Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass die nach § 5 Abs. 5 Satz 1 EnWG erforderliche Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung nicht gegeben sei. Das Verhalten der Geschäftsleitung in der Vergangenheit lasse nach dem Gesamteindruck nicht darauf schließen, dass zukünftig im Sinne der gesetzlichen Vorschriften gehandelt werde. Es sei zum Zeitpunkt der Untersagung nicht ersichtlich, dass die Geschäftsleitung ihr Verhalten ändern werde. Sie erkenne die Bedeutung ihres Verhaltens für die Versorgungssicherheit nicht an. Auch halte sie das bestehende Geschäftsmodell aufrecht und ergreife keine Maßnahmen, um eine dauerhafte Versorgung der Haushaltskunden sicherzustellen.
27Die Beschlusskammer erkenne in Bezug auf die Unternehmensführung eine Vielzahl von verschieden gelagerten Einzelverstößen, die in ihrer Gesamtanzahl und Schwere auf eine fehlende Rechtstreue der Geschäftsleitung in Bezug auf die Unternehmensführung schließen ließen. So habe die Geschäftsleitung rückwirkende und in Ermangelung eines vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsrechts rechtswidrige Vertragsbeendigungen gegenüber … Energiekunden herbeigeführt, … und durch ihr Verhalten die fristlose Kündigung der Bilanzkreisverträge bewirkt. Darüber hinaus sei sie ihren handelsrechtlichen Berichtspflichten über mehrere Jahre nicht nachgekommen. All diese Verstöße fänden zudem in einem für die Allgemeinheit besonders sensiblen Bereich der Energieversorgung, mithin der Daseinsvorsorge, statt. Die Anzahl der betroffenen Haushaltskunden sei dabei hoch gewesen. Durch das im … an den Tag gelegte Verhalten sei die Annahme, dass die Geschäftsleitung die Gewähr für eine gesetzeskonforme, sichere und verbraucherfreundliche Versorgung der Allgemeinheit biete, nachhaltig erschüttert.
28Darüber hinaus sei auch nicht gewährleistet, dass die Beschwerdeführerin die für die Ausübung ihrer Tätigkeit erforderliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit besitze. Denn der Beschlusskammer sei anhand der vorgelegten Unterlagen eine unabhängige Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin im Einzelnen nicht möglich.
29Die Untersagungsverfügung sei nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich, da keine mildere Maßnahme in Betracht komme, die denselben Erfolg mit der gleichen Sicherheit erziele. Ein wirksamer Schutz der Haushaltskunden sei nicht durch Auflagen, Teiluntersagungen oder eine Abmahnung zu erreichen. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Beschränkung der Berufsfreiheit der Betroffenen sei zum Schutz der Haushaltskunden notwendig, da auf diese Weise Versorgungsstörungen ausgeschlossen würden.
30Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer am 02.08.2023 erhobenen Beschwerde gegen die ihr am 03.07.2023 zugestellte Untersagungsverfügung.
31Am 06.08.2024 hat das Referat … der Bundesnetzagentur ausweislich seines Schreibens an die Beschwerdeführerin vom selben Tag ein Verwaltungsverfahren „zur Überprüfung der personellen, technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie der Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung bei der Tätigkeit als Energielieferant (Wiedergestattungs- und/oder Überprüfungsverfahren)“ eingeleitet und der Beschwerdeführerin unter anderem einen Fragenkatalog vorgelegt. Mit Schreiben vom 30.08.2024 und 13.09.2024 hat die Beschwerdeführerin Angaben zum Stand der Testierung der Jahresabschlüsse, den Veränderungen in der Beschaffungsstrategie, den aktuellen Risikominimierungsmaßnahmen in der Beschaffung, den offenen Gerichtsverfahren und dem Kundendatenschutz gemacht.
32Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die Untersagungsverfügung sei bereits formell rechtswidrig. Die Begleitumstände zum Verwaltungsverfahren begründeten die Besorgnis der Befangenheit der an der Untersagungsverfügung mitwirkenden Mitglieder der Beschlusskammer 7. Diese ergebe sich zunächst aus einem zwischen der Bundesnetzagentur und den Rechtsberatern der Beschwerdeführerin am … geführten Gespräch im Vorfeld der Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit, in dem die Bundesnetzagentur nicht nur auf eine Zuverlässigkeitsprüfung nach § 5 EnWG hingewiesen, sondern unmissverständlich und pauschal zum Ausdruck gebracht habe, dass sich der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin ein anderes Betätigungsfeld suchen solle. Darüber hinaus ergebe sich die Besorgnis der Befangenheit auch aus der Mitwirkung an der am … auf der Internetseite veröffentlichten Pressemitteilung und der insoweit unterlassenen Anhörung. Die dort in der Überschrift erfolgte wahrheitswidrige Darstellung, die Bundesnetzagentur habe bereits eine Untersagungsverfügung erlassen, sei eindeutig präjudizierend. Auch der weitere Inhalt der Presseerklärung sei nicht eindeutig formuliert und deshalb, wie die breitflächige Vorverurteilung in der Öffentlichkeit zeige, nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit auszuräumen. Insbesondere habe die Bundesnetzagentur selbst weder die falsche Überschrift als unwahr widerrufen noch diese ohne Aufforderung von ihrem Account unter der Domain www.pressebox.de gelöscht. Die von der Bundesnetzagentur mit der Replik vorgelegte Behördenkommunikation sei nicht vollständig und schließe insbesondere nicht aus, dass entweder ein Beschlusskammermitglied die beanstandete Überschrift entworfen habe oder diese nach dem … zumindest von der Beschlusskammer 7 final überprüft und freigegeben worden sei. Zudem zeigten die sich hieraus ergebenden Überlegungen zur medialen Wirksamkeit der Presseberichterstattung und das dort offengelegte Ziel der Warnung von Vertriebspartnern der Beschwerdeführerin die mangelnde Objektivität der Bundesnetzagentur und die eindeutig interessengeleitete Behördentätigkeit gegen sie, die Beschwerdeführerin. Sie beantragt deshalb, sämtliche Akten, Vorakten, Beiakten, Gutachten, Auskünfte und interne Kommunikation der Bundesnetzagentur, die im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Pressemitteilungen im Hinblick auf das Verfahren zur Untersagung ihrer Tätigkeit nach § 5 Abs. 5 EnWG stehen, gemäß dem Untersuchungsgrundsatz nach § 82 EnWG von der Bundesnetzagentur anzufordern und nach Beibringung der Unterlagen durch die Bundesnetzagentur die Offenlegung gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß § 84 Abs. 2 Satz 4 EnWG anzuordnen.
33Der Eindruck der Befangenheit der Beschlusskammermitglieder setze sich durch den Inhalt der Untersagungsverfügung und die diesbezügliche Pressemitteilung vom … wegen der im Einzelnen vorgetragenen Diskrepanzen zwischen den dort aufgestellten Behauptungen und der Faktenlage, der pauschalen Diskreditierung der eingereichten Unterlagen bzw. des bewussten Abstellens auf fehlende, nicht angefragte Unterlagen, des umfangreichen Weglassens von für sie positiven Umständen und der Zugrundlegung eines individuellen und wesentlichen höheren Bewertungsmaßstabs als bei ihren Wettbewerberinnen fort. Dass zwei von drei Mitgliedern der Beschlusskammer 7 bis zur Geschäftseinstellung im … Verträge bei der Schwestergesellschaft der Beschwerdeführerin unterhalten hätten, begründe einen absoluten Ausschlussgrund nach § 20 Abs. 1 Satz 2 VwVfG. Die Beschlusskammermitglieder hätten, weil sie, die Beschwerdeführerin, Kunden aus Kulanz teils oberhalb des eigentlichen wirtschaftlichen Schadens entschädigt habe, bei der außergerichtlichen Geltendmachung von Kulanzzahlungen unmittelbare Vorteile. Zudem hätten die Beschlusskammermitglieder dadurch, dass sie geheime Informationen hinsichtlich der Beschaffungsstrategie erlangt hätten, bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Bundesnetzagentur auch im Rahmen der gerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen unmittelbare Vorteile. Dass die betroffenen Beschlusskammermitglieder ohne Vorankündigung mit Ablauf des … unmittelbar dem jeweiligen Ersatzversorger zugeordnet worden und damit unmittelbar von der Geschäftseinstellung betroffen gewesen seien, sei nach dem eigenen Vorbringen der Bundesnetzagentur nicht nur mit finanziellen Nachteilen, sondern auch einem erheblichen Aufwand bei der Suche nach einem neuen Versorger verbunden gewesen. Gerade die rückwirkende Kündigung werde der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft zum Vorwurf gemacht. Es bestehe daher die Möglichkeit, dass die betroffenen Beschlusskammermitglieder eine besondere Abneigung gegen sie entwickelt hätten und die notwendige Distanz vermissen ließen. Eine solche besondere Abneigung kennzeichne das gesamte Verwaltungsverfahren. § 20 Abs. 1 Satz 3 VwVfG sei nicht einschlägig. Ein Rügeverlust sei schon deshalb ausgeschlossen, weil der Ausschlussgrund der Behörde bekannt gewesen sei. Es widerspreche sich, wenn die Bundesnetzagentur den Vortrag der Beschwerdeführerin als unsubstantiiert rüge und gleichzeitig Präklusion geltend mache. Die Bundesnetzagentur habe selbst erstmals die notwendige Tatsachengrundlage für einen Ausschluss bzw. Befangenheitsgrund nach §§ 20, 21 VwVfG geliefert.
34Darüber hinaus liege ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör vor. In ihren Schreiben im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, insbesondere dem nur 1 ½-seitigen Schreiben vom 06.04.2023, habe die Bundesnetzagentur nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen sowie rechtlichen Erwägungen mitgeteilt. Dies gelte etwa für die Einordnung der Kündigungen der Endkunden als rechtswidrig und die Annahme, es handele sich dabei um eine Vielzahl von Verfehlungen, sowie für die Erwägungen zur Verletzung handelsrechtlicher Vorschriften. Eine Heilung über § 45 VwVfG sei nicht erfolgt, da die Bundesnetzagentur das Anhörungsverfahren bis heute nicht nachgeholt habe. Eine Heilung nach § 46 VwVfG komme ebenfalls nicht in Betracht, da es sich um eine Ermessensentscheidung handele.
35Die Untersagungsverfügung sei auch materiell rechtswidrig. Ebenso wenig wie im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung lägen die in § 5 Abs. 5 Satz 1 EnWG aufgeführten Voraussetzungen in dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung als Dauerverwaltungsakt maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor.
36Weder in Bezug auf die Geschäftsleitung noch in Bezug auf die Beschwerdeführerin selbst seien Tatsachen feststellbar, die eine Unzuverlässigkeit begründeten. Es habe in über … Jahren der Geschäftstätigkeit unstreitig keine behördlichen Anordnungen oder Maßnahmen der Bundesnetzagentur gegen sie gegeben, auch seien keine der typischerweise zur Überprüfung der Zuverlässigkeit herangezogenen Kriterien erfüllt, so dass die Geschäftsleitung als zuverlässig anzusehen sei. Eine abweichende Beurteilung aufgrund der von der Bundesnetzagentur behaupteten zivil- und handelsrechtlichen Verstöße sei nicht gerechtfertigt, weil solche Verstöße nicht vorlägen.
37Die außerordentliche Kündigung der bestehenden Lieferverträge zum Ablauf des … gemäß § 313 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage sei rechtmäßig erfolgt. Die Erwartung stabiler politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse im Hinblick auf den Vertragsgegenstand sowie die Vorstellung einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung sei Geschäftsgrundlage, die durch die schwerwiegende Änderung der geopolitischen Verhältnisse im Herbst 2021 insbesondere aufgrund der daraus folgenden Erschütterung des Energiemarkts und des am Markt geltenden Preisgefüges – auch unter Berücksichtigung der vertraglichen Risikoverteilung – gestört worden sei. Die den Kunden in marktüblicher Weise eingeräumten Preisgarantien hätten sich nur auf Basis eines langfristig gefestigten Gasmarktes etabliert. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass eine Veränderung des Preisgefüges um „nur“ 60 % bereits geeignet sei, eine Störung der Geschäftsgrundlage zu begründen. Hier gehe es aber um einen tatsächlichen Preisanstieg um mindestens 591 %, bei der für den Energieeinkauf maßgeblichen taggenauen Betrachtung sogar um knapp 800 %. Ein Festhalten an den Endkundenverträgen sei ihr nicht mehr zumutbar gewesen, weil sie einen Verlust von durchschnittlich mehr als … Cent je kWh erlitten hätte, was ohne sofortige außerordentliche Kündigung eine Existenzgefährdung hätte befürchten lassen. Dass im Streitfall die „große Geschäftsgrundlage“ betroffen sei, folge auch aus der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Störung der Geschäftsgrundlage im Zusammenhang mit der – hinsichtlich der sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen mit der Energiekrise vergleichbaren – Corona-Pandemie. Eine Störung der Geschäftsgrundlage komme nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch auf volatilen Märkten in Betracht, wobei der Gasmarkt in der Vergangenheit ein stabiles Preisniveau aufgewiesen habe. Auf die Entwicklung des Ölpreises könne angesichts der Entkoppelung von Gas- und Ölpreis nicht abgestellt werden.
38Die Verluste hätten sich durch andere Maßnahmen, wie z.B. Preisanpassungen, nicht ausgleichen lassen. Nicht vorwerfbar sei ihr ihre Beschaffungsstrategie, zumal keine Abweichung von etwaigen Marktstandards ersichtlich sei. Einer Teilgeschäftseinstellung hätten gewichtige unternehmerische Gründe entgegengestanden, insbesondere hätte durch eine selektive Kundenclusterung das Hauptziel der Vermeidung einer Insolvenz und einer damit einhergehenden ordentlichen Abwicklung sämtlicher Vertragsverhältnisse nicht erreicht werden können. Eine Einzelprüfung von ca. … Kundenverträgen hätte mehrere Wochen, wenn nicht gar Monate in Anspruch genommen, die Abwicklung dieser Kunden ohne Kündigung des Bilanzkreisvertrags je nach Kündigungszeitpunkt auf Basis der Festlegung GeLi Gas bis zu 1 ½ Monate pro Kunde. Auch in der rückwirkenden Information bzw. Kündigung der Endkunden liege kein vorwerfbares Verhalten. Es sei nicht ihr Ansinnen gewesen, eine rückwirkende Kündigung auszusprechen, sondern lediglich über das Datum der tatsächlichen Geschäftseinstellung zu informieren. Im Übrigen wäre eine rückwirkende Kündigung auch nicht unwirksam, sondern dahingehend auszulegen, dass der Vertrag zum nächstmöglichen Zeitpunkt, hier dem des Zugangs beim Kunden, gekündigt werden sollte. Die Bundesnetzagentur lasse zudem unbeachtet, dass durch die Bilanzkreisvertragskündigung eine Unmöglichkeit der Kundenbelieferung nach § 275 BGB eingetreten sei, also ihre eigenen vertraglichen Pflichten als Energielieferantin mit Ablauf des … erloschen seien.
39Dass sie auf …, begründe keine Zweifel an der zukünftigen ordnungsgemäßen Belieferung von Haushaltskunden. Die Bundesnetzagentur lasse unberücksichtigt, dass diese Entscheidung ausschließlich zugunsten der Kunden und im Rahmen einer sorgfältigen unternehmerischen Abwägung getroffen worden sei. Sie habe sämtliche anderen Möglichkeiten zur Verhinderung einer solchen Kündigung des Bilanzkreisvertrags entweder vorher ausgeschöpft oder als Alternative in ihre Abwägungsentscheidung einbezogen. Preisanpassungen hätten – soweit möglich – angesichts der rasanten Marktentwicklungen unter Berücksichtigung der sechswöchigen Ankündigungsfrist nicht ausgereicht, um den weiteren Anstieg der Marktpreise abzufangen. Eine Weiterbelieferung unter fortlaufenden Preisanpassungen hätte eine verlässliche Kalkulation unmöglich gemacht. Da ohne das sofortige Handeln der Geschäftsleitung gegenüber THE eine Existenzgefährdung nicht hätte ausgeschlossen werden können, habe das … die sicherste Möglichkeit dargestellt, um ihren Geschäftsbetrieb ohne Stellung eines Insolvenzantrags aufrechtzuerhalten. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wäre für die Kunden mit schwerwiegenderen Nachteilen verbunden gewesen als das gewählte Szenario. § 1 InsO ermögliche in der Realität keine gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger eines Schuldners. Die zur Befriedigung der Gläubiger verbleibende Teilungsmasse im Insolvenzverfahren wäre deutlich geringer gewesen als die Liquidität der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Einstellung des Geschäftsbetriebs, die ihr eine Kunden-Befriedigungsquote von … % ermögliche. Die zügige und ordnungsgemäße Abwicklung der bereitflächig geleisteten Kulanzzahlungen wäre mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr möglich gewesen. Derzeit stünden lediglich noch ca. … amtsgerichtliche und ca. … außergerichtliche Verfahren vor der Schlichtungsstelle Energie e.V. offen. Im Übrigen müsse zu ihren Gunsten davon ausgegangen werden, dass Kunden, die keine Forderungen gegen sie geltend gemacht hätten, auch keinen Schaden erlitten hätten, da die Ersatz- bzw. Grundversorgung auch günstiger gewesen sein könne. So sei ausweislich einer Pressemitteilung der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. vom 24.12.2022 die Grundversorgung mitunter die günstigste Alternative.
40Für das Wirksamwerden der Befreiungen von der Offenlegung ihrer Jahresabschlüsse für die Geschäftsjahre 2020 und 2021 fehle es lediglich an der Veröffentlichung des Konzernabschlusses, der unmittelbar bevorstehe. Die Annahme der Bundesnetzagentur, dass es fehlerhafte oder falsche Verweise im Bundesanzeiger gebe, sei demgegenüber unzutreffend. Ihre Muttergesellschaft nehme für ihren Einzelabschluss die Befreiungsvorschrift des § 264b HGB zutreffend in Anspruch, sog. Kettenverweise seien zulässig.
41Selbst wenn vorliegend zivilrechtliche Verstöße vorlägen, seien diese zur Rechtfertigung einer Untersagungsverfügung ungeeignet. Da die Untersagungsverfügung als ultima ratio mit einem erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit verbunden sei, sei bereits auf Tatbestandsebene zu fordern, dass die Verstöße entsprechend gewichtig seien. Es existiere keine bekannte Judikatur, die allein auf die Ausübung eines Gestaltungsrechts und die nicht fristgerechte Veröffentlichung von Jahresabschlüssen abstelle. Die Untersagung könne nach ihrer Schutzrichtung und den hierzu anerkannten Grundsätzen im Gewerberecht nicht auf den Verstoß gegen zivilrechtliche Pflichten gestützt werden. Diese Grundsätze seien auf § 5 Abs. 5 EnWG übertragbar, da die gewerberechtliche Untersagung ebenfalls dem Schutz der Allgemeinheit und nicht etwa partieller Einzelinteressen diene und unter anderem kritische Infrastrukturen mit Systemverantwortung adressiere. Für die Verfolgung privater Kundeninteressen über das „scharfe Schwert“ der Untersagungsverfügung sei kein Raum. Das Privatrechtsverhältnis sei hier gerade nicht – anders als etwa die durch die Bußgeldbewehrung in § 95 EnWG adressierten Tatbestände – energiespezifisch ausgestaltet; Kern der hier in Rede stehenden Kündigungen sei vielmehr eine originäre und ausschließlich an §§ 313, 314 BGB zu messende zivilrechtliche Frage ohne energierechtlichen Bezug. Die Vorschriften der GasGVV fänden auf sie bzw. die hier gegebenen Sonderverträge keine Anwendung. Auch sei die Rechtsstellung des Energielieferanten nicht mit der des Netzbetreibers nach § 4 EnWG, der natürlicher Monopolist sei, vergleichbar. Deshalb seien auch Verstöße mit einem Bezug zur Kündigung des Bilanzkreisvertrags nicht geeignet, die Untersagungsverfügung zu rechtfertigen. Die von der Bundesnetzagentur getroffenen Aussagen zum Systemversagen und zur billigenden Inkaufnahme eines solchen Verhaltens im … seien zu bestreiten und als unsubstantiiert zurückzuweisen. Es habe insbesondere in den Jahren 2021 und 2022 unstreitig eine Vielzahl von kurzfristigen Geschäftseinstellungen und Insolvenzen gegeben, ohne dass es zu einem Systemversagen gekommen wäre.
42Zudem handele es sich bei der Kündigung der Endkunden und der Bilanzkreiskündigung um eine natürliche Handlungseinheit, die höchstens als ein Verstoß zu bewerten seien und nicht den Vorwurf einer „besonders hartnäckigen“ Verhaltensweise begründen könnten. Selbst wenn man die Kündigungen als rechtswidrig einstufe, stünde eine falsche unternehmerische Entscheidung … Jahren ordnungsgemäßer Geschäftstätigkeit und einer ordnungsgemäßen Abwicklung der Kundenverhältnisse nach der Geschäftseinstellung gegenüber, so dass sich nicht auf eine generelle charakterliche Ungeeignetheit bzw. eine fehlende Rechtstreue schließen lasse. Auch habe es sich nicht um offensichtlich vertragsverletzende Maßnahmen gehandelt, da die Rechtsprechung zur Kündigung von Energielieferverträgen aufgrund steigender Preise uneinheitlich sei. Soweit ihr die Bundesnetzagentur Uneinsichtigkeit vorwerfe, um eine Unzuverlässigkeit der Geschäftsleitung zu begründen, stelle sie sachfremde Erwägungen an. Die Untersagungsverfügung laufe auf eine „Gesinnungsstrafe“ hinaus, wenn man vor höchstrichterlicher Klärung der Rechtmäßigkeit der Kündigungen eine für sie positive und aus ihrer Sicht überzeugende Rechtsauffassung hierzu pönalisiere. Sachfremd sei es auch, ihr vorzuwerfen, dass ihre Geschäftsstrategie auf eine gewinnbringende Belieferung von Haushaltskunden gerichtet sei.
43Die verspätete Veröffentlichung der bereits erstellten und von einem Wirtschaftsprüfer bestätigten Jahresabschlüsse entgegen § 325 HGB als reiner Transparenzvorschrift, der ohnehin bis zu 90 % der Unternehmen nicht rechtzeitig nachkämen, begründe keine Unzuverlässigkeit der Geschäftsleitung, da ihr nicht das erforderliche Gewicht zukomme und sie ihrer Veröffentlichungspflicht in der Vergangenheit nachgekommen sei. Die Verspätung sei durch mit der Abwicklung der Endkundenverträge verbundene Prioritäten bedingt und auch vom zuständigen Bundesamt der Justiz bislang nicht mit einem Bußgeld geahndet worden.
44Die Bundesnetzagentur hätte unter Berücksichtigung der Wertung von § 35 Abs. 6 GewO i.V.m. Art. 12 GG prüfen müssen, ob die von ihr angenommenen Tatsachen auch nach einem Jahr und acht Monaten weiterhin eine negative Zukunftsprognose erlaubten. Dies hätte sie angesichts des positiven Verhaltens in diesem Zeitraum verneinen müssen. So habe sie, die Beschwerdeführerin, sich mit … und … . Die Schlichtungsstelle Energie e.V. habe ihre Vorgehensweise insoweit als „fair“ bezeichnet. Ein fortwährender „Sühnegedanke“ sei auch dem Gewerberecht fremd.
45Zu berücksichtigen sei zudem, dass der Gesetzgeber zwischenzeitlich mit der am 19.07.2022 in Kraft getretenen EnWG-Novelle durch die Implementierung eines Informations- und Abwicklungsverfahrens in § 5 Abs. 2 und Abs. 3 EnWG ausgeschlossen habe, dass sich die von ihr vorgenommene Geschäftseinstellung in der Art und Weise wiederholen könne.
46Schließlich seien die Voraussetzungen für die Untersagung spätestens im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung entfallen. Hier seien insbesondere die Anpassungen in ihrer Geschäfts- und Risikostrategie, wie sie aus ihrer als Anlage BF 10 vorgelegten Beschaffungsstrategie ersichtlich seien, zu berücksichtigen. Sie habe nach der vorläufigen Einstellung des Geschäftsbetriebs am … den Markt intensiv beobachtet und insbesondere die Gefahren aus den extremen Preisschwankungen sowie potenziellen Gasengpässen analysiert. Anschließend habe sie die Risiken und das Marktumfeld abschließend bewertet und die Entscheidung getroffen, den Geschäftsbetrieb mit einer an die vorliegende Situation angepassten Geschäfts- und Risikostrategie wiederaufzunehmen. Sie habe ihre Kundenbeziehungen ganz überwiegend erfolgreich abgewickelt, die Jahresabschlüsse 2020 und 2021 seien bereits seit September 2021 bzw. August 2023 testiert worden, das Testat für den bereits mit Schreiben vom 19.06.2023 vorgelegten Jahresabschluss 2022 liege nunmehr ebenfalls vor, die Veröffentlichung stehe kurz bevor. Trotz der … habe sie ihre Finanzkraft und ihre Liquiditätskennzahlen ununterbrochen aufrechterhalten; sie verfüge deshalb weiterhin über kurzfristige liquide Mittel in Höhe des Stammkapitals von … Euro. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass angesichts der Ende … eintretenden Verjährungsfrist die wirtschaftlichen Folgen der Einstellung des Geschäftsbetriebs fast vollständig abgewickelt seien.
47Die Bundesnetzagentur habe in der Untersagungsverfügung keine Gründe dargelegt, die geeignet seien, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu verneinen. Bloße Zweifel hieran seien nicht ausreichend; die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die die Prognose der Unzuverlässigkeit rechtfertigten, liege bei der Behörde. Anzeige- und Untersagungsverfahren seien zu unterscheiden. Ihr könne schon faktisch keine Darlegungs- und Beweislast für Tatsachen obliegen, für die es bereits an einem objektiven Maßstab fehle. Es sei Aufgabe der Bundesnetzagentur, zunächst die ihr zustehenden Ermittlungsmaßnahmen auszuschöpfen. Hiervon habe diese keinen Gebrauch gemacht und die entscheidungserheblichen Dokumente nicht angefragt, während sie, die Beschwerdeführerin, ihrer Mitwirkungspflicht durch Einreichung sämtlicher angeforderter Unterlagen nachgekommen sei. Die Bundesnetzagentur hätte mit Blick auf fehlende Testate eigene Wirtschaftsprüfer und Sachverständige einsetzen können, habe aber kein Testat angefordert bzw. die hierfür erforderliche Fristverlängerung verweigert. Weder das Schreiben vom 19.05.2023 noch das Schreiben vom 07.06.2023 stellten – schon wegen Nichteinhaltung der Formvorschriften – Auskunftsverlangen i.S.d. § 69 EnWG dar. Um auszuschließen, dass die Bundesnetzagentur bei ihr, der Beschwerdeführerin, insoweit entgegen Art. 3 Abs. 1 GG einen mit der sonstigen Verwaltungspraxis in keinem Zusammenhang stehenden willkürlichen Maßstab anlege, sei diese durch den erkennenden Senat zur bestehenden Verwaltungspraxis sowie etwaigen internen Verwaltungsvorschriften zur Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu befragen.
48Unabhängig hiervon habe sie ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinreichend nachgewiesen. Sie erfülle sämtliche von der Bundesnetzagentur aufgestellten Kriterien, sowohl im Hinblick auf die in der Anzeige nach § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EnWG geforderten Dokumente als auch in Bezug auf die in der Unterlassungsverfügung „Penny-Strom“ dargestellten – allgemeingültigen – Liquiditätszahlen, die sie mitgeteilt und mit Schreiben vom 19.06.2023 erläutert habe. Dies gelte auch unter Berücksichtigung aktuell geltend gemachter sowie potentieller Ersatzansprüche ehemaliger Kunden. Ein wirtschaftliches Risiko erwachse hieraus nicht, da sie die bereits zu über … % geleistet habe und zuletzt nur noch ca. … amtsgerichtliche und … außergerichtliche Verfahren offen seien. Das Abstellen auf potentielle Schadensersatzansprüche beruhe nicht auf Tatsachen, sondern auf reiner Spekulation, und könne daher nicht Grundlage einer Prognose sein. Zudem räume die Bundesnetzagentur in der Duplik selbst ein, es sei zu ihren, der Beschwerdeführerin, Gunsten zu unterstellen, dass den Kunden, die sich nicht bei ihr bezüglich eines Schadens gemeldet hätten, auch kein finanzieller Schaden entstanden sei. Die Summe potentieller Schadensersatzansprüche bewege sich maximal … . Angesichts eines Stammkapitals von … Euro und eines zum Stichtag 31.12.2022 vorhandenen Umlaufvermögens von ca. … Euro, denen … in Höhe von … Euro gegenübergestanden hätten, verfüge sie über eine ausreichende finanzielle Ausstattung, wie aus dem als Anlage BF 9 vorgelegten, nunmehr testierten Jahresabschlusses 2022 folge. Neben dem Umlaufvermögen sowie dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bestehe … , um etwaige Prognoseungenauigkeiten im Geschäftsplan oder bei der Berechnung der Rückstellung unproblematisch aufzufangen. Im Übrigen habe sie im Rahmen ihrer Risiko- und Geschäftsstrategie diverse Maßnahmen installiert, die eine Wiederholung der eingetretenen Situation ausschlössen.
49Die Untersagungsverfügung sei schließlich auch wegen fehlerhafter Ermessenausübung aufzuheben. Die Bundesnetzagentur habe ihr Ermessen unterschritten, da sie die ihr zustehenden Handlungsmöglichkeiten betreffend den zeitlichen Horizont der Verfügung verkannt habe. Um der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG) bzw. dem nach Art. 14 GG geschützten Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gerecht zu werden, hätte sie zwischen einer unbefristeten und befristeten Untersagungsverfügung abwägen oder die Möglichkeit prüfen müssen, die Untersagungsverfügung mit auflösenden Bedingungen zu versehen, diese von einer turnusmäßigen Überprüfung abhängig zu machen oder die sichere Versorgung von Haushaltskunden durch andere Maßnahmen zu gewährleisten. Der Schutzbereich des Art. 14 GG sei eröffnet, da sie aufgrund des über viele Jahre hinweg etablierten Markennamens „…“, des vorhandenen Know-hows sowie der Kundendatei nach wie vor einen eingerichteten Gewerbebetrieb unterhalte, dem ein eigenständiger Wert beizumessen sei. Der Eigentumsschutz erstrecke sich auf die potentielle Nutzung des Unternehmens, dessen betriebswesentliche Funktionen für die Wiederaufnahme der Tätigkeit sie seit der Geschäftseinstellung aufrechterhalten und in das sie seitdem im Vertrauen auf den Bestand Kosten in … aufgewendet habe. Auch die zur zeitlichen Befristung erstmals im Beschwerdeverfahren angestellten Erwägungen zeigten einen Ermessensausfall. Die Bundesnetzagentur verkenne, dass es keinen Automatismus gebe, nach dem die Untersagungsverfügung nach Wegfall ihrer Voraussetzungen ipso iure – oder jedenfalls infolge eines gesetzlich vorgesehenen Wiedergestattungsverfahrens – erlösche. Die Erwägungen seien zudem verspätet, da § 83 Abs. 4 EnWG keine § 114 Satz 2 VwGO entsprechende Parallelvorschrift enthalte. Letztere Vorschrift sei auch nicht entsprechend anwendbar und erlaube ohnehin nur Ergänzungen, nicht aber die erstmalige Ausübung von Ermessenserwägungen. Die Überlegungen zur zeitlichen Befristung würden die Untersagungsverfügung in ihrem Wesen verändern und auf eine völlig neue Rechtsgrundlage stützen.
50Weiterhin liege ein Ermessensfehlgebrauch vor, weil die Bundesnetzagentur den Sachverhalt weder bezüglich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit noch der von ihr, der Beschwerdeführerin, getroffenen Maßnahmen zur Vermeidung einer Wiederholungsgefahr richtig ermittelt habe. Die Bundesnetzagentur habe zudem wesentliche Aspekte bei der Ermessensausübung unberücksichtigt gelassen, so den Zeitablauf seit der Geschäftseinstellung, das für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr maßgebliche Umlaufvermögen in Höhe von … Euro, die grundlegende Änderung des § 5 EnWG sowie die positive und zügige Abwicklung ehemaliger Kundenverhältnisse im Kontext einer sonst drohenden Insolvenz. Eine Abwägung mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb fehle.
51Die Ermessenausübung sei auch missbräuchlich erfolgt, da die Bundesnetzagentur ihre Entscheidung auf sachfremde Erwägungen stütze und sich dabei von persönlichen Motiven leiten lasse. Die von dieser vorgenommene Ausweitung der Wiederholungsgefahr vom einzelnen Haushaltskunden auf eine potentielle Gefahr für die Systemsicherheit sei sachfremd, weil es keine Anhaltspunkte für tatsächliche Auswirkungen auf die Systemstabilität gegeben habe. Bei einem Marktanteil von zuletzt … % seien solche Auswirkungen abwegig, insoweit wäre eine Beschränkung der Anzahl der Kunden in Betracht gekommen. Der Umstand, dass sie noch keinen Bilanzkreisvertrag abgeschlossen habe, könne nicht zu ihren Lasten gewertet werden, da dies ohne Versorgernummer nicht möglich sei. Würde man das anders sehen, werte man den Schutz von Art. 12 GG pauschal für alle startenden Unternehmen ab.
52Schließlich habe die Bundesnetzagentur das ihr zustehende Ermessen überschritten, da die Entscheidung bereits wegen einer mangelnden zeitlichen Begrenzung unverhältnismäßig und unzweckmäßig sei. Es fehle an einer ordentlichen Abwägung der Interessen, zudem spreche sie ihr von vornherein rechtswidrig den Grundrechtsschutz ab. Für den Schutz der Haushaltskunden wäre es ausreichend und zweckmäßig gewesen, ihr konkrete Auflagen hinsichtlich finanzieller Ausstattung, maximaler Kundenanzahl sowie Eindeckungsgrad zwischen benötigter und beschaffter Energie zu machen. Gegebenenfalls hätte die Bundesnetzagentur gemäß § 65 EnWG auch einen Behördenmitarbeiter auf ihre, der Beschwerdeführerin, Kosten in ihren Unternehmen installieren können. Diese wäre zur Wahrung der Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG verpflichtet gewesen, ihr, der Beschwerdeführerin, unter bestimmten Voraussetzungen die Aufnahme der Tätigkeit in der Zukunft wieder zu gestatten, die Untersagungsverfügung zeitlich zu befristen oder ihren Bestand von einer erneuten Prüfung nach Ablauf einer Karenzzeit abhängig zu machen. Es sei mit Art. 12 und Art. 14 GG nicht vereinbar, dass ein einmaliges Verhalten aufgrund eines punktuell nicht vorhersehbaren Ereignisses für alle Ewigkeiten fortwirke und ihr unbeschränkt die Tätigkeit untersagt werde, zumal § 5 EnWG kein mit § 35 Abs. 6 GewO vergleichbares Wiedergestattungsverfahren vorsehe. Auch der Vortrag im Beschwerdeverfahren zeige, dass die Bundesnetzagentur die sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch des „Wie“ bestehenden Ermessensspielräume verkannt habe, da sie von einer intendierten Entscheidung einer vollständigen Gewerbeuntersagung ausgehe.
53Wegen der von der Bundesnetzagentur im Beschwerdeverfahren gemachten Zugeständnisse und unter Berücksichtigung des testierten Jahresabschlusses 2022 sowie des aktualisierten Beschaffungskonzepts müsse die Untersagungsverfügung hilfsweise ex nunc aufgehoben werden. Entscheidungserheblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit sei der der mündlichen Verhandlung, für die von der Bundesnetzagentur vertretene analoge Anwendung von § 35 Abs. 5 GWB fehle es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. § 35a Abs. 5 GWB werde von der Rechtsprechung auch in anderen spezialgesetzlichen Untersagungsverfahren nicht entsprechend angewendet. Die zügige und faire Abwicklung der ehemaligen Kundenverhältnisse, die umfangreiche Analyse und Aufbereitung der im Zuge der Energiekrise aufgetretenen Situation sowie die Anpassung der zukünftigen Geschäfts- und Beschaffungsstrategie begründeten erhebliche Anstrengungen der Geschäftsleitung, um die eingetretenen negativen Folgen zu kompensieren und eine erneute Einstellung des Geschäftsbetriebs zu verhindern. In der Gesamtschau der positiven Entwicklungen sei die Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung und deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit somit zu bejahen. Äußerst hilfsweise führten die positiven Entwicklungen zumindest zur Unverhältnismäßigkeit einer vollständigen und zeitlich unbeschränkten Untersagungsverfügung. Insbesondere habe sie umfassend dargelegt, dass eine Wiederholung der Situation … bei Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit ausgeschlossen sei, so dass sie eine sichere Versorgung von Haushaltskunden gewährleiste. Die Bundesnetzagentur müsse sich mit den vorgelegten – mittlerweile ergänzten – Informationen und Unterlagen auseinandersetzen und bewerten, ob die Untersagungsverfügung noch aufrechterhalten werden könne.
54Die Beschwerdeführerin beantragt,
55den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 29.06.2023 in dem Verwaltungsverfahren BK… aufzuheben.
56Die Bundesnetzagentur beantragt,
57die Beschwerde zurückzuweisen.
58Sie macht geltend, dass die Untersagungsverfügung formell rechtmäßig sei.
59Eine Befangenheit der Mitglieder der zur Entscheidung berufenen Beschlusskammer 7 liege nicht vor. An dem Gesprächstermin am … hätten ausweislich des Gesprächsprotokolls weder die Kammermitglieder … noch … teilgenommen. Dass zwei der drei Beschlusskammermitglieder bis zur Kündigung im … Verträge bei der Schwestergesellschaft der Beschwerdeführerin abgeschlossen hatten, wobei sie keine Schadensersatzansprüche geltend gemacht hätten, sei unerheblich. Die Geltendmachung des Befangenheitsgrunds erfolge verspätet. Eine mögliche Befangenheit infolge vertraglicher Beziehung sei von der Beschwerdeführerin nur vage geltend gemacht worden und schon deshalb unbeachtlich, jedenfalls hätte dieser Vortrag bereits in das Verwaltungsverfahren eingeführt werden müssen, was der Beschwerdeführerin auch zumutbar gewesen wäre. Wenn man dies anders sähe, käme es darauf an, seit wann die Beschwerdeführerin Kenntnis von entsprechenden Vertragsverhältnissen gehabt hätte, worüber Beweis zu erheben wäre, zumal dies Auswirkungen auf die Prüfung der Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung haben könnte. Abgesehen von der Präklusion lägen die Voraussetzungen der Ausschlussgründe des § 20 bzw. § 21 VwVfG nicht vor. Die Beschlusskammermitglieder hätten durch ihre Amtstätigkeit keinen Vorteil i.S.d. § 20 Abs. 1 Satz 2 VwVfG erlangt, insbesondere komme es für die potentielle Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht auf die Beschaffungsstrategie an und dürften diesbezüglich gewonnene amtliche Erkenntnisse privat ohnehin nicht verwendet werden. Zudem sei die Ausnahme des § 20 Abs. 1 Satz 3 VwVfG einschlägig. Die Bundesnetzagentur wäre schlicht nicht funktionsfähig, wenn bereits die Existenz von Vertragsbeziehungen ihrer Mitarbeiter zu den regulierten bzw. beaufsichtigten Unternehmen Befangenheit auslösen würde. Auch eine Besorgnis der Befangenheit sei nicht begründet. Die Konstellation, dass ein Beschlusskammermitglied über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hätte, aus dem es selbst Ansprüche gegen dieselbe Partei geltend mache, liege nicht vor. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin erschöpfe sich in pauschalen „Ahnungen“, das Stellen von Befangenheitsanträgen scheine ein strategisches bzw. taktisches Verhalten zu sein.
60Die versehentlich fehlerbehaftete Überschrift über der Pressemitteilung vom …, die auf einem Verwaltungsversehen beruhe, wie sich im Einzelnen aus dem Anlagenkonvolut BG 1 zur Duplik ergebe, sei unmittelbar nach Entdeckung beseitigt worden. Aus der behördeninternen Kommunikation gehe eindeutig hervor, dass die zur Entscheidung berufene Beschlusskammer 7 bereits ab dem Moment der Abstimmung des Entwurfs der Pressemitteilung mit der zuständigen Fachabteilung, der noch die richtige Überschrift enthielt, am weiteren Abstimmungs- und Veröffentlichungsprozess nicht beteiligt gewesen sei. Zudem sei für den durchschnittlich aufmerksamen Leser erkennbar gewesen, dass die Überschrift fehlerhaft sei, weil sich aus dem Text unmissverständlich ergebe, dass ein Verfahren lediglich eingeleitet sei. Einen Account bei der Domain www.pressebox.de besitze sie nicht, es handele sich um eine gewerblich betriebene Webseite, auf der unter anderem Pressemitteilungen verbreitet würden.
61Sie habe der Beschwerdeführerin mehrfach rechtliches Gehör zu den relevanten Kriterien der Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gemäß § 67 Abs. 1 EnWG gewährt. Die Beschwerdeführerin, die eine Mitwirkungsobliegenheit treffe, sei mehrfach ausdrücklich zur Nachreichung von Nachweisen zu ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und dem Insolvenzrisiko aufgefordert worden; welche Beweise bzw. Unterlagen sie zu ihrer Entlastung im Rahmen des Anhörungsverfahrens beibringe, sei allein ihr überlassen. Eine Verpflichtung, über die Rechtsgrundlagen hinaus auch ihre rechtlichen Erwägungen mitzuteilen, treffe sie, die Bundesnetzagentur, nicht.
62Im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung sei die Untersagungsverfügung rechtmäßig gewesen. § 35 Abs. 6 GewO, der ein strukturiertes Wiedergestattungsverfahren bei einer Untersagung vorsehe, sei entsprechend anwendbar. Damit sei durch die Rechtsprechung geklärt, dass relevanter Zeitpunkt der der letzten behördlichen Entscheidung über eine Untersagungsverfügung sei.
63Die Unzuverlässigkeit der Geschäftsleitung ergebe sich zunächst aus deren fehlender Rechtstreue. Die ausgesprochenen rechtswidrigen Massenkündigungen stellten kein legitimes Mittel zur Vermeidung einer Insolvenz dar. Es bestehe kein Wahlrecht für oder gegen eine Insolvenz, zumal das Insolvenzrecht einen Mechanismus darstelle, um widerstreitende Interessen im Falle der Zahlungsunfähigkeit einer Partei in einen ausgewogenen Ausgleich zu bringen. Bei der in § 38 Abs. 1 EnWG geregelten Ersatzversorgung, auf der die kurzfristige Aufnahme der entledigten Kunden beruhe, handele es sich um ein reines Übergangsverhältnis, das die Beschwerdeführerin ohne die Not einer Insolvenz wissentlich und rechtsmissbräuchlich ausgelöst habe. Der Fokus der Beschwerdeführerin sei ausschließlich auf eine gewinnbringende Belieferung von Haushaltskunden und nicht auf eine möglichst sichere und verbraucherfreundliche i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 EnWG gerichtet gewesen; ihr mangelndes Verständnis für die äußerst komplexen Zusammenhänge und Erfordernisse der Netz- und Systemstabilität manifestiere sich auch in der Argumentation im Beschwerdeverfahren.
64Der Beschwerdeführerin habe aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses kein außerordentliches Kündigungsrecht gegenüber ihren Kunden zugestanden, was sich auch ersten gerichtlichen Entscheidungen hierzu entnehmen lasse. Aus der Höhe der Preissteigerung folge nicht zwingend ein Recht zur Anpassung der Geschäftsgrundlage. Maßgeblich sei vielmehr die von der Beschwerdeführerin in ihren AGB gewährte freiwillige Preisgarantie, die im diametralen Gegensatz zum Konstrukt der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB stehe. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 BGB sei schon deshalb auf den Streitfall nicht übertragbar, weil staatliche Reaktionen auf die Preisentwicklung auf dem Gasmarkt erst nach den Kündigungen erfolgt seien und die wirtschaftlichen Nachteile der Beschwerdeführerin nicht Folge eines staatlichen Eingriffs, sondern ihres risikoaffinen Geschäftsmodells seien. Aus dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung folge, dass … % der Kunden über keine Preisgarantie verfügten und ihnen gegenüber mit einer Vorlauffrist von einem Monat (bei Haushaltskunden) bzw. zwei Wochen (bei sonstigen Letztverbrauchern) eine Preisanpassung möglich gewesen wäre. Selbst wenn man hypothetisch von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage ausginge, hätte der Beschwerdeführerin allenfalls ein schuldrechtlicher Anspruch auf Zustimmung zu einer Vertragsanpassung zugestanden, indes kein einseitiges Kündigungs- oder Preisanpassungsrecht. Dass die Beschaffungspreise nach § 4 Abs. 2 der AGB maßgeblicher Bestandteil der Preiskalkulation seien, mache diese nicht zur Geschäftsgrundlage, da dies im ausdrücklichen Widerspruch zu der abgegebenen Preisgarantie der §§ 7 i.V.m. § 6 Abs. 5 und 6 der AGB stehe. Aus der Strategie der Beschwerdeführerin, … , resultiere eine Pflicht zur Übernahme der hieraus resultierenden Verantwortung in Gestalt der Schaffung notwendiger Rückstellungen.
65Weiteres maßgebliches Kriterium für die Unzuverlässigkeit der Geschäftsleitung sei die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin in der rückwirkenden Anwendung zivilrechtlicher Gestaltungsrechte, namentlich der rückwirkenden außerordentlichen Kündigung der Endkundenverträge unter Nichteinhaltung zivilrechtlicher Vertragsgestaltungsgrundsätze, ausdrücklich „kein vorwerfbares Verhalten“ sehe. Die Geschäftsleitung habe mit der Kündigung des Bilanzkreisvertrags und der „zwangsläufig stattgefundene(n) Ummeldung der Zählpunkte im Rahmen der energiewirtschaftlichen Marktprozesse“ eine etwaige Unmöglichkeit i.S.d. § 275 BGB selbst verursacht und sei deshalb schadensersatzpflichtig, so dass die Entschädigung von Kunden nicht „aus Kulanz“ erfolgt sei. Die Kündigungsschreiben erschöpften sich auch nicht in bloßen Informationsschreiben.
66Dass sie im öffentlich-rechtlichen Aufsichtsverfahren von einer Rechtswidrigkeit der rückwirkenden fristlosen Kündigung der Haushaltskunden ausgehe und hieran anknüpfend die aus der – gegenläufigen – Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin resultierenden Handlungen derselben als Anknüpfungstatsachen für die Annahme der Unzuverlässigkeit bewerte, beschränke die Beschwerdeführerin nicht in ihren Rechtsschutzmöglichkeiten. Die Annahme der Unzuverlässigkeit folge im Streitfall nicht nur aus den festgestellten zivilrechtlichen Verstößen, sondern deren Anknüpfung an die verbraucherschützenden Vorschriften des EnWG sowie deren Vielzahl und Ausmaß. Auf eine Pönalisierung der entsprechenden Vorschriften im Bußgeldkatalog des § 95 EnWG komme es für die Frage deren energiespezifischer Ausgestaltung nicht an. Die Voraussetzungen einer Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO seien enger als die einer Untersagungsverfügung nach § 5 EnWG. Auch im Gewerberecht gebe es allerdings Fallkonstellationen, bei denen Verstöße gegen das Zivilrecht ausnahmsweise die Unzuverlässigkeit begründen könnten.
67Weiteres Indiz für die Annahme der Unzuverlässigkeit sei das Erzwingen der fristlosen Kündigung der Bilanzkreisverträge. Wie bereits in der Untersagungsverfügung ausgeführt, griffen die Ausführungen zu den Nachteilen eines Insolvenzverfahrens ins Leere, da der Beschwerdeführerin insoweit kein Wahlrecht zukomme. Das Energieversorgungssystem würde kollabieren, würde man der Geschäftsleitung von Strom- und Gaslieferanten in „wirtschaftlich herausfordernden Situationen“ das Recht zubilligen, fristlos den Betrieb einzustellen.
68Der Verstoß gegen handelsrechtliche Vorschriften liege – jedenfalls mit Blick auf die noch fehlende Veröffentlichung des Konzernabschlusses – auch von der Beschwerdeführerin unbestritten vor.
69Sie habe ihre Prognoseentscheidung zu Recht auf eine Gesamtschau und die Schwere der begangenen Rechtsverstöße gestützt, die eine fehlende Rechtstreue offenbarten. Hier wiesen die Verstöße gegen die zivilrechtlichen Pflichten einen Bezug zum EnWG bzw. den darauf beruhenden Verordnungen auf. Der Verweis der Beschwerdeführerin auf die Rechtsprechung zur Gewerbeuntersagung greife daher zu kurz. § 52 StGB und der dort geregelte Begriff der natürlichen Handlungseinheit sei nicht ohne Weiteres auf das Energiewirtschaftsrecht übertragbar. Dass die Kündigungsschreiben der Schwestergesellschaft mehrere Wochen später als die der Beschwerdeführerin übersandt worden seien, lasse im Übrigen auf eine erneute Willensbildung der Geschäftsleitung schließen. Zudem komme es maßgeblich auf Umfang und Folgen der ausgesprochenen Kündigungen an. Es sei sachgerecht, auf das Verhalten der Geschäftsleitung in der Vergangenheit abzustellen. Ein etwaiges nachträgliches ordnungsgemäßes Verhalten reiche auch im Anwendungsbereich des § 35 Abs. 6 GewO nicht per se aus, um die in der Vergangenheit liegenden Rechtsverstöße zu nivellieren. Sie habe die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Anhaltspunkte hinreichend in ihre Prognoseentscheidung mit einbezogen. Jedoch sei angesichts der fehlenden Einsicht der Beschwerdeführerin in ihr Fehlverhalten keine positive Prognose zu rechtfertigen. Die erstmals im Beschwerdeverfahren vorgetragene neue Beschaffungsstrategie habe in der Untersagungsverfügung nicht berücksichtigt werden können. Unabhängig von der fehlenden Prüfbarkeit der im Beschwerdeverfahren eingereichten Unterlagen zum Beschaffungskonzept begründe nicht die Beschaffungsstrategie das „besondere Verschulden“, sondern das fehlende Problembewusstsein, das im Verhalten der Geschäftsleitung zum Ausdruck komme. Die Grundversorger hätten zu den Preisen, zu denen die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft nicht zu einer Weiterversorgung ihrer Haushaltskunden bereit gewesen seien, liefern müssen, was keineswegs nur zu „geringfügigen Auswirkungen am Markt“ geführt habe. Die Grundversorgung sei in den Jahre 2010 bis einschließlich Februar 2022 durchweg mehrere hundert Euro teurer gewesen als Sonderverträge, zudem hätten sich die Preise der Grundversorger von September 2021 bis September 2022 verdoppelt. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Grundversorgung sei günstiger gewesen, beruhe auf einer zeitlich nicht einschlägigen Vergleichsbetrachtung. Die erheblichen finanziellen Schäden für … Kunden der Beschwerdeführerin manifestierten sich in den gegen die Beschwerdeführerin geführten Schadensersatzprozessen. Deren mangelnde Einsichtsfähigkeit zeige sich auch in ihrem Verweis auf die Neuregelung von § 5 Abs. 2 und Abs. 3 EnWG. Schon vor dieser Neuregelung hätte sie die einschlägigen zivil- und energiewirtschaftsrechtlichen Vorgaben beachten müssen.
70Eine Änderung der Sach- und Rechtslage sei mit dem Umstand, dass die zivilrechtlichen Verstöße Ende … verjährten, nicht verbunden, da dies keine Auswirkungen auf die hier zu treffende Prognoseentscheidung haben könne.
71Hinsichtlich der Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin sei sie ihren Amtsermittlungspflichten nachgekommen. Der Gesetzgeber habe die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Tätigkeitsanzeige dem anzeigenden Unternehmen auferlegt. Dies folge zudem aus dem Umstand, dass nur den Betroffenen die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich solcher Umstände treffen könne, die in seiner betrieblichen Sphäre lägen. Sie habe den Sachverhalt durch ein Treffen mit Rechtsvertretern der Beschwerdeführerin am …, die Anhörungsschreiben vom 06.04. und 07.06.2023 sowie Nachfragen beim Bundesanzeiger, THE und Amprion umfassend ermittelt. Es stehe ihr frei, konkrete Unterlagen anzufordern oder die Anfrage hinsichtlich des Einreichens entsprechender Nachweise offen zu formulieren, da ihr im Rahmen des Prüfungsverfahrens zweifelsohne auch ein Nachforderungsrecht hinsichtlich bestimmter Unterlagen zustehe. Die Ausübung des Ermessens und die Frage, wie konkret die Nachforderung zu formulieren sei, richte sich insbesondere nach dem im Verwaltungsverfahren gehaltenen Vortrag. Sie sei nicht auf die in § 5 Abs. 4 Satz 3 EnWG ausdrücklich normierten Nachweise beschränkt; hieraus ergebe sich allerdings, dass es Aufgabe des Anzeigenden sei, die Unterlagen von einem Wirtschaftsprüfer testieren zu lassen. Mangels Veröffentlichung im Bundesanzeiger sei es ihr auch nicht möglich gewesen, die teils angeforderten Unterlagen unabhängig von der Mitwirkung der Beschwerdeführerin zu erhalten. Es habe auch keine Notwendigkeit für ein Auskunftsverlangen nach § 69 Abs. 1 Nr. 1 EnWG bestanden, da sie die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß angehört habe und angesichts deren Weigerungshaltung ein solches ersichtlich nicht zielführend gewesen wäre. Die Beschwerdeführerin habe im Laufe des Verwaltungsverfahren in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht verstehe, welche Nachweise sie für ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit habe erbringen sollen.
72Die Beschwerdeführerin habe keine bzw. nur unzureichende Belege für ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erbracht. Die eingereichten Liquiditätskennzahlen reichten – anders als in der Entscheidung „Pennystrom“ – für den Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines am Markt etablierten Unternehmens nicht aus. Auch die Einbeziehung bestehender und zukünftiger Schadensersatzforderungen von Haushaltskunden in die Prognoseentscheidung sei in sachgerechter und rechtmäßiger Weise erfolgt. Da in naher Zukunft mit entsprechenden Gerichtsentscheidungen zu rechnen sei, dürfte im Falle der erwarteten Bestätigung von Schadensersatzforderungen davon auszugehen sein, dass eine Vielzahl weiterer Kunden Schadensersatzansprüche gegen die Beschwerdeführerin vor Ablauf der Verjährungsfrist Ende des Jahres geltend machen werde. Die Rückstellungen in Höhe von … Euro zum … seien in der Stellungnahme vom 19.06.2023 durch einen nur vorläufigen und nicht testierten Jahresabschluss nicht ausreichend nachgewiesen worden, die dort behaupteten „potentiellen Finanzzusagen Dritter“ auch auf Bitte um Vorlage „geeigneter Nachweise“ in keiner Weise belegt.
73Schließlich sei die Untersagungsverfügung ermessensfehlerfrei. Eine Ermessensunterschreitung liege nicht vor, vielmehr habe sie die Möglichkeit einer Teiluntersagung erkannt und gewürdigt. Eine zeitliche Befristung der Untersagungsverfügung sei ebenso wenig zweckmäßig wie eine auflösende Bedingung oder das Vorsehen einer turnusmäßigen Überprüfung. Ihr zeitlicher Geltungsbereich sei aufgrund des Eingriffs in Art. 12 GG darauf beschränkt, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 5 EnWG vorliegen. Auch ein Ermessensmissbrauch liege nicht vor. Sie habe die Gründe, weshalb die potenzielle Gefahr für die Systemstabilität in die Ermessenserwägung einzustellen sei, in der Untersagungsverfügung nachvollziehbar dargestellt. Auf die Systemrelevanz der Beschwerdeführerin komme es nicht an, sondern es gehe um die Frage der Systemstabilität als Teil der Versorgungssicherheit, wobei der Umstand, dass die Beschwerdeführerin ihren Beitrag hierzu immer noch nicht anerkenne, ein deutliches Indiz für die bestehende Wiederholungsgefahr sei.
74Die gewählte Rechtsfolge sei auch im Einzelfall zweckmäßig und der Eingriff in Art. 12 GG gerechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei bei Unzuverlässigkeit und Untersagungserforderlichkeit der Einwand der Verletzung des Übermaßverbots nur in extremen Ausnahmefällen erfolgreich. Dies müsse auch im Streitfall gelten, zumal es sich hier um einen Fall der Unzuverlässigkeit infolge gravierender Verstöße gegen vertragliche und gesetzliche Verpflichtungen sowie einer deutlich zu Tage tretenden fehlenden Einsicht der Geschäftsleitung handele. Weder eine Teiluntersagung noch eine Auflagenerteilung seien deshalb angezeigt gewesen. Die notwendige Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Verbraucherschutzes und der Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin aus Art. 12 GG habe sie umfassend vorgenommen, wie aus der Untersagungsverfügung hervorgehe. Auf Art. 14 GG könne sich die Beschwerdeführerin, die im Zeitpunkt der Untersagungsverfügung schon keine Gewerbetätigkeit mehr ausgeübt habe, nicht berufen.
75Sie könne im Übrigen Ermessenserwägungen entsprechend § 114 Satz 2 VwGO nachschieben, worauf sie sich hilfsweise berufe und was die Beschwerdeführerin nicht in ihren Rechtsschutzmöglichkeiten einschränke. Zudem bestehe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei Dauerverwaltungsakten die Möglichkeit, bei Änderungen der Sach- und Rechtslage wesentliche Ermessenserwägungen für die Zukunft auszutauschen.
76Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 26.06. und 18.09.2024 Bezug genommen.
77B.
78Die Beschwerde ist als Anfechtungsbeschwerde gemäß § 75 Abs. 1, § 78 Abs. 1 und Abs. 2, § 83 Abs. 2 EnWG zulässig und hat in der Sache Erfolg.
79I. Die angefochtene Untersagungsverfügung ist bereits formell rechtswidrig und der Mangel nicht gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich.
801. Die Untersagungsverfügung ist deshalb rechtswidrig, weil an ihr Mitglieder der Beschlusskammer mitgewirkt haben, die nicht an der Entscheidung hätten mitwirken dürfen.
81a) Nach § 20 Abs. 1 Satz 2 VwVfG darf für eine Behörde unter anderem nicht tätig werden, wer durch die Tätigkeit oder durch die Entscheidung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 VwVfG hat, wer in einem Verwaltungsverfahren für eine Behörde tätig werden soll, den Leiter der Behörde oder den von diesem Beauftragten zu unterrichten und sich auf dessen Anordnung der Mitwirkung zu enthalten, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen, oder von einem Beteiligten das Vorliegen eines solchen Grundes behauptet wird. Ein unter Mitwirkung eines befangenen Bearbeiters ergangener Verwaltungsakt ist verfahrensfehlerhaft und damit rechtswidrig (Heßhaus in: BeckOK VwVfG, 65. Ed. 01.10.2024, § 21 Rn. 15; Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 21 Rn. 26, jeweils m.w.N.).
82Ein Grund, der geeignet ist, Misstrauen gegen die unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen, liegt vor, wenn auf Grund objektiv feststellbarer Tatsachen für die Betroffenen bei vernünftiger Würdigung aller Umstände die Besorgnis nicht auszuschließen ist, ein bestimmter Amtsträger werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden; die rein subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht hingegen nicht aus (BVerwG, Urt. v. 20.10.2021 – 6 C 8/20, BeckRS 2021, 44554 Rn. 76; Urt. v. 13.10.2011 − 4 A 4001/10, NVwZ 2012, 432 Rn. 33; Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 21 Rn. 10; vgl. auch BGH, Beschl. v. 12.10.2011 − V ZR 8/10, NJW-RR 2012, 61 Rn. 9).
83b) Aus der Art der Sachbehandlung ergibt sich allerdings, anders als von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren zunächst vornehmlich geltend gemacht, keine Besorgnis der Befangenheit.
84aa) Sowohl bei Zugrundelegung einer unzutreffenden Rechtsauffassung als auch bei fehlerhaften verfahrensleitenden Maßnahmen ist nicht ohne Weiteres die Annahme gerechtfertigt, ein Amtsträger stehe der Sache nicht mehr mit der erforderlichen Unvoreingenommenheit gegenüber. Es bedarf vielmehr besonderer Umstände, die eine solche Annahme rechtfertigen (BGH, Beschl. v. 12.10.2011 − V ZR 8/10, NJW-RR 2012, 61 Rn. 9), namentlich solche, die den Rückschluss auf eine bereits erfolgte Vorfestlegung des jeweiligen Amtsträgers auf ein bestimmtes Ergebnis vor Abschluss der Sachverhaltsermittlung samt Anhörung und Beweiserhebung zulassen (Pautsch in: Pautsch/Hoffmann, VwVfG, 2. Aufl., § 21 Rn. 12). Die (bewusst) fehlerhafte Durchführung eines Verwaltungsverfahrens kann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, sofern aus dem jeweiligen Verfahrensfehler auf eine mangelnde Objektivität und Distanz des Amtsträgers gegenüber dem Beteiligten geschlossen werden kann (Schuler/Harms in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 5. EL November 2024, § 21 VwVfG Rn. 24; vgl. auch BVerwG a.a.O. Rn. 40).
85bb) Ein solcher Schluss kann nicht aus der (kurzzeitig) fehlerhaften Überschrift über der Pressemitteilung vom … gezogen werden.
86Es ist unstreitig, dass die Überschrift über der Pressemitteilung, mit der die Bundesnetzagentur über die Einleitung des Verfahrens zur Untersagung der Tätigkeit der Beschwerdeführerin berichtet hat, am 11.04.2023 lautete: „Bundesnetzagentur untersagt die Tätigkeit der …“. Weiter ist unstreitig, dass diese noch am selben Tag – vor der Intervention der anwaltlichen Vertreter der Beschwerdeführerin – von Amts wegen durch die Überschrift „Verfahren zur Untersagung der Tätigkeit der … eingeleitet“ ersetzt worden ist, verbunden mit dem klarstellenden Hinweis: „Klarstellung der Formulierung. In einer früheren Fassung hatte es geheißen „Bundesnetzagentur untersagt die Tätigkeit der …“. Die Bundesnetzagentur hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass es sich um ein Verwaltungsversehen handelt und diesen Vortrag auf den gerichtlichen Hinweisbeschluss vom 15.05.2024 substantiiert.
87Unter Berücksichtigung ihres Vortrags in der Duplik liegen keine objektiv feststellbaren Tatsachen vor, die bei einer vernünftigen Würdigung aller Umstände in diesem Kontext die Besorgnis begründen, dass Mitglieder der Beschlusskammer voreingenommen waren. Dies gilt schon deshalb, weil der redaktionelle Fehler nicht auf ein Mitglied der Beschlusskammer zurückzuführen ist und deshalb keinerlei Rückschlüsse auf eine möglicherweise gegenüber der Beschwerdeführerin voreingenommene innere Haltung begründen kann. In der von dem zuständigen Fachreferat … übersandten ersten Fassung der Pressemitteilung lautete die Überschrift noch zutreffend „Bundesnetzagentur leitet Verfahren gegen Energielieferanten ein“. Der Änderungsvorschlag wurde sodann – gemeinsam mit anderen Änderungsvorschlägen – vom Pressereferat angeregt und vom Fachreferat … angenommen. Für eine aktive Mitwirkung von Beschlusskammermitgliedern hieran liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat auch keinen Anlass, den Sachverhalt gemäß § 82 EnWG weiter aufzuklären und der Bundesnetzagentur dem Antrag der Beschwerdeführerin folgend aufzugeben, sämtliche Akten, Vorakten, Beiakten, Gutachten, Auskünfte und interne Kommunikation der Bundesnetzagentur, die im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Pressemitteilungen im Hinblick auf das Verfahren zur Untersagung der Tätigkeit nach § 5 Abs. 5 EnWG stehen, vorzulegen. Die Bundesnetzagentur hat die Unterlagen, die im Zusammenhang mit der fehlerhaften Überschrift über die Pressemitteilung vom … stehen und die für die allein entscheidungserhebliche Frage, ob die Besorgnis der Befangenheit hinsichtlich einzelner Mitglieder der Beschlusskammer von Relevanz sein können, vorgelegt. Anhaltspunkte dafür, dass darüber hinaus entscheidungserhebliche tatsächliche Erkenntnisse gewonnen werden könnten, liegen nicht vor. Selbst wenn man unterstellt, dass die fehlerhafte Überarbeitung durch eines oder mehrere Beschlusskammermitglieder „abgenickt“ worden wäre, ließe dies keine Rückschlüsse auf dessen bzw. deren Voreingenommenheit zu, da sich bei verständiger Würdigung aufdrängt, dass hier ein redaktionelles Versehen vorliegt. Hätte ein Beschlusskammermitglied infolge einer inneren Voreingenommenheit die Beschwerdeführerin durch eine fehlerhafte Presseberichterstattung schädigen wollen, hätte dies im Rahmen des Entwurfs der Pressemitteilung aktiv geschehen können. Die Überlegungen, die der Mitarbeiter des Referats … in der E-Mail vom 05.04.2023 bezüglich der erwünschten größtmöglichen medialen Präsenz der Pressemitteilung anstellt, sind den Beschlusskammermitgliedern schon nicht zuzurechnen, im Übrigen aber auch von sachlichen Erwägungen, nämlich der besonderen Brisanz des Verfahrens, getragen. Wollte man daran Anstoß nehmen, dass die Beschwerdeführerin als Energielieferant bezeichnet wird, …, liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die exakte Wortwahl einem Mitglied der Beschlusskammer zuzurechnen ist.
88cc) Auch andere von der Beschwerdeführerin vorgetragene Umstände, die sich auf die Sachbehandlung durch die Mitglieder der Beschlusskammer beziehen, begründen weder für sich betrachtet noch in der Gesamtschau eine Besorgnis der Befangenheit.
89(1) Die zeitlich weitergehende Veröffentlichung der Pressemitteilung mit der fehlerhaften Überschrift auf der Internetseite pressebox.de ist den Mitgliedern der Beschlusskammer schon nicht zuzurechnen. Die ausweislich des Impressums von der unn UNITED NEWS NETWORK GmbH betriebene Internetseite pressebox.de ist ausweislich der dortigen Angaben „der führende Pressedienst im Technologie- und Industrie-Bereich“ (www.pressebox.de/erfahrungen, Abruf am 07.05.2024). Soweit sie im Rahmen der von ihr vermarkteten PR-Arbeit auch einen Einstellservice anbietet, fehlt jeder Anhalt dafür, dass die Bundesnetzagentur sich einer solchen Dienstleistung bedient und die streitgegenständliche Presseerklärung selbst eingestellt hat. Sie hat vielmehr ausdrücklich vorgetragen, dass sie keine Kundin der „pressebox“ sei und derartige Dienstleistungen auch nicht von anderen Anbietern in Anspruch nehme.
90(2) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin lassen sich zudem weder der weitere Inhalt der Presseerklärung noch die am selben Tag durch die Bundesnetzagentur vorgenommene Änderung und „Klarstellung“ zur Begründung oder Verstärkung der Besorgnis einer präjudiziellen Vorfestlegung der Beschlusskammermitglieder heranziehen. Soweit die Bundesnetzagentur über ein „Verfahren zur Untersagung der Tätigkeit als Energielieferant“ berichtet, ist durch den weiteren Inhalt der Presseerklärung unmissverständlich klargestellt, dass es sich um ein Verfahren handelt, in dem erst zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für eine solche Untersagung im Falle der Beschwerdeführerin vorliegen. So heißt es: „Im Rahmen des Verfahrens sind nun die Leistungsfähigkeit des Unternehmens und die Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung zu überprüfen“. Deshalb ist es auch nicht vorverurteilend, dass die Bundesnetzagentur darauf verweist, dass sie „das“ rechtswidrige Verhalten untersagen kann, wobei sich dies ohnehin nicht konkret auf die Beschwerdeführerin, sondern generell auf Energieversorgungsunternehmen, bei denen der Verdacht eines Verstoßes gegen das EnWG besteht, bezieht. Dass sich der Inhalt der Presseerklärung im Sinne der fehlerhaften Überschrift verstehen lässt, ist nach alledem ausgeschlossen.
91Zudem hat die Bundesnetzagentur die fehlerhafte Überschrift nicht nur eigeninitiativ ersetzt, sondern die geänderte Überschrift klarstellend mit einem ergänzenden Hinweis auf die vormalige Überschrift versehen. Auch insoweit finden sich mithin keine Anhaltspunkte dafür, die die Besorgnis, die Beschlusskammermitglieder hätten der Beschwerdeführerin bzw. der Sache im Zusammenhang mit der Pressemitteilung über die Einleitung des Verfahrens nicht neutral gegenübergestanden, begründen oder verstärken könnten.
92(3) Auch dem Inhalt der Untersagungsverfügung selbst lässt sich entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kein verfestigtes Bild einer „Hetzjagd“ entnehmen. Wie aus den nachfolgenden Ausführungen zur materiellen Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung folgt, sind die im Rahmen der Entscheidung angestellten Erwägungen bei verständiger Würdigung weder unverständlich noch offensichtlich unhaltbar, mithin nicht unsachlich oder willkürlich. Nur in einem solchen Fall aber kann eine fehlerhafte Entscheidung die Besorgnis einer Befangenheit begründen (zur Richterablehnung BVerwG, Beschl. v. 23.10.2007 – 9 A 50.07, 4 A 1009/97, juris Rn. 14; BAG, Beschl. v. 29.10.1992 – 5 AZR 377/92, NJW 1993, 879; OVG Münster, Beschl. v. 06.03.2008 – 20 B 2062/07, BeckRS 2008, 36277 Rn. 34).
93dd) Ein Befangenheitsgrund hinsichtlich einzelner oder aller Mitglieder der Beschlusskammer liegt auch mit Blick auf den Inhalt des am … geführten Besprechungstermins zwischen anwaltlichen Vertretern der Beschwerdeführerin und Vertretern der Bundesnetzagentur nicht vor. Dass Mitglieder der Beschlusskammer in diesem Zusammenhang Äußerungen getätigt hätten, die auf ihre Voreingenommenheit bzw. fehlende Neutralität schließen lassen könnten, ist ausgeschlossen, weil keines der Beschlusskammermitglieder, die an der Entscheidung mitgewirkt haben, ausweislich des Gesprächsvermerks (Bl. 886 ff. VV bzw. Anlage zum Schriftsatz der Bundesnetzagentur vom 28.11.2023, Bl. 42 ff. GA) an dem Termin teilgenommen hat.
94c) Die Besorgnis der Befangenheit ist hinsichtlich der Beschlusskammermitglieder, die an der Entscheidung mitgewirkt haben, allerdings aus in ihrer Person liegenden Gründen gerechtfertigt, weil nach dem unstreitig gebliebenen Vortrag der Bundesnetzagentur zwei von drei der Beschlusskammermitglieder im Zeitpunkt der Kündigung der Energielieferverträge im … Kunden der Schwestergesellschaft der Beschwerdeführerin waren, ohne dass sie diesen Umstand bei der Behördenleitung angezeigt hätten.
95aa) Zwar ist nicht ersichtlich, dass diese Beschlusskammermitglieder durch die Mitwirkung an dem Verwaltungsverfahren betreffend eine Untersagungsverfügung nach § 5 Abs. 5 EnWG oder durch die Entscheidung in diesem Verfahren einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen könnten und deshalb bereits nach § 20 Abs. 1 Satz 2 VwVfG wie ein Beteiligter von der Tätigkeit im Verwaltungsverfahren ausgeschlossen wären. Ein unmittelbarer Vorteil könnte nur dann bestehen, wenn entweder die im Verwaltungsverfahren zu erwartenden Erkenntnisse oder aber die Entscheidung selbst dem Beschlusskammermitglied einen Vorteil in einem etwaigen Schadensersatzverfahren gegen die Beschwerdeführerin oder ihre Schwestergesellschaft wegen der Kündigung der Energielieferverträge … verschaffen würde. Der individuelle Vor- oder Nachteil muss dabei bei wertender Betrachtung unter verständiger Würdigung aller Umstände hinreichend wahrscheinlich sein (etwa Schuler-Harms in: Schoch/Schneider, a.a.O., § 20 VwVfG Rn. 67 m.w.N.).
96Da die Entscheidung über die Untersagung der Tätigkeit als Energielieferant nach § 5 Abs. 5 EnWG in keiner Weise für eine Entscheidung in einem etwaigen Schadensersatzprozess vorgreiflich wäre, scheidet ein unmittelbarer Vorteil durch die Entscheidung selbst von vornherein aus. Auch ein Vorteil infolge im Verwaltungsverfahren erworbener, also nicht allgemein zugänglicher Erkenntnisse ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Wie die in solchen Schadensersatzklagen bereits ergangenen Entscheidungen zeigen, beurteilt sich die Frage, ob die von der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft ausgesprochenen fristlosen Kündigungen rechtmäßig waren, nach den allgemeinen schuldrechtlichen Vorschriften der §§ 313, 314 BGB und dabei maßgeblich nach der vertraglichen Risikoverteilung. Die das Vertragsverhältnis zu den Kunden bestimmenden Tatsachen einschließlich der – veröffentlichungspflichtigen – bilanziellen Kenndaten der Beschwerdeführerin stellen im Wesentlichen bereits kein „Geheimwissen“ dar, das nur im Verwaltungsverfahren nach § 5 Abs. 5 EnWG offenbar würde. Soweit Beschlusskammermitglieder durch das Verfahren sonst nicht zugängliche Informationen etwa über die Beschaffungsstrategie der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft erhalten haben, kann offenbleiben, ob solche Informationen in einem etwaigen Schadensersatzverfahren entscheidungserheblich sein könnten. Denn die Bundesnetzagentur hat zutreffend darauf verwiesen, dass die unbefugte Offenbarung der im Rahmen der Amtstätigkeit erlangten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht nur verwaltungsrechtlich nach § 30 VwVfG, sondern auch strafrechtlich durch § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB untersagt ist. Es ist deshalb ohne Weiteres davon auszugehen, dass Beschlusskammermitglieder amtliche gewonnenen Erkenntnisse nicht unter Verletzung dieser Vorgaben privat verwenden werden. Umfassende Darlegungen zur Entschädigungspraxis der Beschwerdeführerin, die einem Beschlusskammermitglied einen überhaupt spürbaren und damit bei wertender Betrachtung hinreichend wahrscheinlichen Vorteil im Rahmen von Vergleichsverhandlungen mit der Beschwerdeführerin oder ihrer Schwestergesellschaft verschaffen könnten, sind im Verwaltungsverfahren schließlich nicht erfolgt, zumal solche Informationen auch aus allgemein zugänglichen Quellen (Gerichtsentscheidungen, Pressemitteilungen von Verbraucherverbänden) erhältlich sind.
97bb) Es begründet jedoch die Besorgnis der Befangenheit i.S.d. § 21 VwVfG, dass zwei der drei Beschlusskammermitglieder, die die angefochtene Untersagungsverfügung erlassen haben, von der fristlosen Kündigung der Energielieferverträge betroffene Kunden der Schwestergesellschaft der Beschwerdeführerin waren. Bei vernünftiger Würdigung sämtlicher Umstände des Streitfalls ist aus Sicht der Beschwerdeführerin Anlass gegeben, deshalb an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung dieser Beschlusskammermitglieder zu zweifeln.
98(1) Offenbleiben kann, ob dies bereits unmittelbar aus den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Ablehnung von Richtern wegen Befangenheit gemäß § 42 Abs. 2 ZPO in den Klageverfahren gegen Kfz-Hersteller wegen manipulierter Abgassteuerungen, den sog. „Diesel-Fällen“, entwickelten Grundsätzen folgt.
99Danach kann eine Ablehnung begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche geltend macht, kann Anlass zu der Befürchtung entstehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (BGH, Beschl. v. 10.12.2019 – II ZB 14/19, juris Rn. 10). Entsprechendes gilt, wenn der Richter Ansprüche gegen die Partei bislang nicht geltend gemacht hat, dies aber noch ernsthaft in Erwägung zieht (BGH, Beschl. v. 28.07.2020 – VI ZB 94/19, juris Rn. 8). Denn in einem solchen Fall sprechen objektive Gründe dafür, dass der Richter auf Grund eines eigenen wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht (vgl. BGH a.a.O. Rn. 7, 10).
100Im streitgegenständlichen Untersagungsverfahren haben die Beschlusskammermitglieder – wenn auch in unterschiedlicher rechtlicher Einkleidung – ebenso wie in etwaigen Schadensersatzprozessen gegen die Beschwerdeführerin die Frage zu beantworten, ob die durch die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft im … massenhaft ausgesprochenen fristlosen Kündigungen von Energielieferverträgen rechtswidrig waren. Ein die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigendes mittelbares wirtschaftliches Interesse läge nach der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung also dann vor, wenn die betreffenden Beschlusskammermitglieder Schadensersatzansprüche geltend machen oder dies jedenfalls ernsthaft in Erwägung ziehen. Ersteres ist nach dem Vorbringen der Bundesnetzagentur im Schriftsatz vom 24.06.2024 nicht der Fall, zu letzterem haben sich die betroffenen Beschlusskammermitglieder nicht geäußert. Eine Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist angesichts der erst zum Jahresende … eintretenden Verjährung auch noch ohne Weiteres möglich. Einer diesbezüglichen Sachverhaltsaufklärung durch den Senat bedurfte es indes nicht.
101(2) Unabhängig vom Bestehen eines wirtschaftlichen Interesses der betroffenen zwei Beschlusskammermitglieder am Ausgang des Rechtsstreits rechtfertigen die besonderen Umstände des Streitfalls bei vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit.
102Zwar folgt aus der bereits zitierten Rechtsprechung, dass in Fällen, in denen ein Richter bzw.– wie hier – Amtsträger von einem sog. Massenschaden betroffen ist, dieser Umstand allein bei objektiver Betrachtung noch nicht die Besorgnis begründet, er werde deshalb der schädigenden Partei in einem Verfahren nicht mehr unvoreingenommen entgegentreten. Dass dem Richter bzw. Amtsträger die Partei als potentieller Schädiger vorbekannt ist, führt danach nicht dazu, dass man ihm die erforderliche Distanz zu Partei bzw. Prozessstoff nicht mehr zutraut.
103Allerdings weist der Streitfall gegenüber den Fallkonstellationen, wie sie den höchstrichterlich entschiedenen „Diesel-Fällen“ zugrunde liegen, Besonderheiten auf.
104Im Streitfall waren die Kunden der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft durch das Verhalten ihres Vertragspartners, nämlich die Information über die rückwirkende Beendigung der Energielieferverträge, in erheblicher Weise konkret und unmittelbar betroffen. Sämtliche Kunden einschließlich der betreffenden zwei Beschlusskammermitglieder haben rückwirkend die Mitteilung erhalten, schon seit mehreren Tagen in die – wie noch aufzuzeigen wird – deutlich teurere Grundversorgung gefallen zu sein. Allein dieser Umstand ist geeignet, bei sämtlichen Kunden eine spürbare Unzufriedenheit mit dem Verhalten der Geschäftsleitung zu begründen. In den sog. „Diesel-Fällen“ schränkt das Vorhandensein einer manipulierten Abgasmessung die Funktionsfähigkeit des betroffenen Kfz hingegen regelmäßig nicht ein, so dass das Ausmaß einer Betroffenheit oder Schädigung von den Betroffenen subjektiv unterschiedlich wahrgenommen werden wird.
105Hinzu tritt, dass es in den „Diesel-Fällen“ auch deshalb naheliegt, die Befürchtung einer Voreingenommenheit oder Parteilichkeit des Richters daran anzuknüpfen, ob dieser eigene Schadensersatzansprüche geltend macht oder dies ernsthaft in Erwägung zieht, weil in diesen Fällen vor allem Eintritt und Höhe eines etwaigen Schadens streitig und Gegenstand komplexer rechtlicher Beurteilungen sind. Bei einem Richter, der die Verfolgung eigener Ansprüche nicht ernstlich in Erwägung zieht, besteht kein Anlass, im Hinblick auf diese komplexen Erwägungen eine Voreingenommenheit zu vermuten. Im Streitfall haben die Beschlusskammermitglieder hingegen nicht lediglich über parallele Schadensersatzklagen gegen die Beschwerdeführerin bzw. ihre Schwestergesellschaft und damit über die Rechtsfrage zu befinden, ob die im … ausgesprochenen fristlosen Kündigungen rechtswidrig waren. Sie haben vielmehr im Rahmen eines – erheblich grundrechtsrelevanten – Untersagungsverfahrens nach § 5 Abs. 4 EnWG genau dieses Verhalten der Geschäftsleitung ihrer vormaligen Vertragspartnerin rechtlich einzuordnen und eine daran anknüpfende prognostische Entscheidung dahingehend zu treffen, ob das Verhalten, von dem sie unmittelbar nachteilig betroffen waren, die Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung dauerhaft in Zweifel zieht. Sowohl hinsichtlich des „Ob“ und „Wie“ (Entschließung und Auswahl) steht ihnen im Rahmen des § 5 Abs. 4 EnWG ein – gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbares – Ermessen zu (Säcker in: BerlK-EnR, 4. Aufl. 2019, § 5 EnWG Rn. 44; Theobald in: Theobald/Kühling, Energierecht, Werkstand 126. EL Juli 2024, § 5 EnWG Rn. 34 m.w.N.). Gerade wegen der in diesem Rahmen zu treffenden Wertungen und bestehenden Ermessensspielräume liegt die Besorgnis näher als in anderen Fallkonstellationen, dass eine etwaige persönliche Enttäuschung und Verärgerung über das Verhalten der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft dazu führt, dass der zur Entscheidung berufene Amtsträger sich von sachfremden Erwägungen leiten lässt.
106Letztlich kann offenbleiben, ob bereits diese objektiven Tatsachen die Besorgnis der Befangenheit begründen. Hinzu tritt, dass die beiden Beschlusskammermitglieder den Umstand, dass sie von den im … ausgesprochenen Kündigungen betroffene Kunden der Schwestergesellschaft der Beschwerdeführerin waren, pflichtwidrig nicht gegenüber der Behördenleitung angezeigt haben. Dass keine Anzeige gegenüber der Behördenleitung erfolgt ist, haben die Vertreter der Bundesnetzagentur in der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2024 auf Nachfragen des Senats klargestellt.
107Für die Verpflichtung der Beschlusskammermitglieder, objektive Umstände anzuzeigen, welche die Besorgnis der Befangenheit aus Sicht der Parteien nahelegen können, kommt es nicht darauf an, ob ein materieller Grund für die Annahme der Befangenheit gegeben ist und ob eine Befangenheit tatsächlich besteht (zur richterlichen Befangenheit vgl. BGH (Dienstgericht des Bundes), Urt. v. 07.05.2009 – RiZ (R) 1/08, NJW 2009, 2828, 2829 f.). Auch setzt die Anzeigepflicht keine Rüge durch die Beschwerdeführerin voraus, da Ablehnungsgründe unabhängig hiervon zu berücksichtigen sind (Heßhaus in: BeckOK VwVfG, 65. Ed. 01.10.2024, § 21 Rn. 1). Hier lagen wie aufgezeigt Umstände vor, die jedenfalls eine Besorgnis der Befangenheit nahegelegt haben und eine Unterrichtung der Behördenleitung zur Herbeiführung einer Entscheidung über die Mitwirkung der betroffenen Beschlusskammermitglieder erforderlich machten. Dies gilt schon deshalb, weil die Frage, ob eine Befangenheit wegen eigener wirtschaftlicher Interessen vorliegt, Erklärungen der Beschlusskammermitglieder mit Blick auf eine bereits erfolgte oder jedenfalls noch ernstlich in Erwägung gezogene gerichtliche Geltendmachung eigener Schadensersatzansprüche zwingend erfordert hätten. Gleichwohl ist dies unterblieben und erst auf den Hinweis der Vorsitzenden, wonach aus Sicht des Senats Ausführungen der Bundesnetzagentur zu etwaigen Kundenbeziehungen der Mitglieder der Beschlusskammer zur Beschwerdeführerin bzw. deren Schwestergesellschaft spätestens im Termin zur mündlichen Verhandlung veranlasst seien (siehe die Verfügung vom 20.06.2024, Bl. 346 GA), im Beschwerdeverfahren erfolgt. Angesichts der dargestellten Intransparenz ist der Verdacht, dass der Beschwerdeführerin die Kundenstellung der beiden betroffenen Beschlusskammermitglieder bewusst „verheimlicht“ werden sollte, nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Dieser nicht auszuschließende Verdacht ließe, wenn er zuträfe, wiederum den Schluss zu, dass es den betreffenden Beschlusskammermitgliedern gerade darum ging, aktiv an dem Untersagungsverfahren gegen die Beschwerdeführerin beteiligt zu sein, was nach den Gesamtumständen eine der Beschwerdeführerin gegenüber bestehende negative Grundeinstellung impliziert.
108Jedenfalls in der Gesamtschau sind die vorstehend aufgeführten objektiven Tatsachen deshalb geeignet, bei vernünftiger Betrachtung den „bösen Schein“ einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit der Beschlusskammermitglieder, die von den Kündigungen der Energielieferverträge durch die Schwestergesellschaft der Beschwerdeführerin im … betroffen waren, zu begründen.
109(3) Die hiergegen von der Bundesnetzagentur hierzu angebrachten Überlegungen führen zu keinem anderen Ergebnis.
110Die Bundesnetzagentur kann sich nicht erfolgreich auf das sog. Gruppenprivileg nach § 20 Abs. 2 Satz 3 VwVfG berufen, wonach ein Vor- oder Nachteil unschädlich ist, wenn er auf der gemeinsamen und undifferenzierten Betroffenheit einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe beruht. Hinter dieser Vorschrift steht die Erwartung, dass Amtsträger bei der Entscheidung konkreter Angelegenheiten von ihren allgemeinen Gruppeninteressen abstrahieren können (Fehling in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 20 VwVfG Rn. 45). Unabhängig davon, ob die Kunden der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft als undifferenziert betroffene Gruppe im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden können, greift das Gruppenprivileg dann nicht ein, wenn ein Gruppenmitglied im Einzelfall zu erkennen gegeben hat, dass es nicht mehr unbefangen entscheiden kann; in einem solchen Fall greift § 21 VwVfG ein (Fehling in: Fehling/Kastner/Störmer, a.a.O.; Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 20 Rn. 47). Ein solcher Fall liegt hier gerade vor.
111Der Senat verkennt deshalb auch nicht, dass die Bundesnetzagentur schlicht nicht funktionsfähig wäre, wenn die Existenz von Vertragsbeziehungen zu Unternehmen, die Adressaten regulatorischer Entscheidungen sind, zu einer Befangenheit der für die Bundesnetzagentur tätigen Mitarbeiter führen würde. Hier liegen indes gerade besondere Umstände vor, die weit über das allein durch eine vertragliche Beziehung im Bereich der Daseinsvorsorge übliche Verhältnis zwischen dem einzelnen Amtsträger und dem Erbringer regulierter Lieferungen und Leistungen, das lediglich eine unschädliche einfache Sozialbefangenheit bzw. Gruppenbetroffenheit begründet, hinausgehen.
112cc) Die Beschwerdeführerin ist mit der von ihr im Rahmen der ihr zukommenden Erkenntnismöglichkeiten hinreichend konkret geäußerten Besorgnis der Befangenheit auch nicht präkludiert.
113Es ist unschädlich, dass sie die Besorgnis der Befangenheit der Mitglieder der Beschlusskammer wegen ihrer (möglichen) Kundenstellung nicht bereits im Verwaltungsverfahren geäußert hat. Eine diesbezügliche Rügeobliegenheit der Beschwerdeführerin besteht nicht schon deshalb, weil diese Beteiligte des Verwaltungsverfahrens war. Vielmehr sind hierzu gesetzlich und richterrechtlich Fallgestaltungen identifiziert worden, in denen eine Rügeobliegenheit besteht und von denen keine im Streitfall einschlägig ist.
114(1) § 71 Abs. 3 VwVfG, der für das förmliche Verwaltungsverfahren vor einem Ausschuss den Grundsatz normiert, dass eine nachträgliche Ablehnung wegen Befangenheit unzulässig ist, wenn sich jemand auf eine Verhandlung einlässt, ohne einen ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, findet auf das streitgegenständliche Untersagungsverfahren vor der Beschlusskammer keine unmittelbare Anwendung. Bei den Beschlusskammern als unselbstständigen Organisationseinheiten innerhalb der Bundesnetzagentur handelt es sich zwar um Ausschüsse i.S.d. § 88 VwVfG (BVerwG, Urt. v. 20.10.2021 – 6 C 8.20, BeckRS 2021, 44554 Rn. 76), allerdings sieht das Gesetz insoweit kein förmliches Verwaltungsverfahren vor, was nach § 63 VwVfG Voraussetzung der Anwendung der diesbezüglichen Vorschriften der §§ 63 bis 71 VwVfG ist.
115Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift bzw. des dahinterstehenden Rechtsgedankens auf den Streitfall kommt nicht in Betracht.
116Die Vorschrift ist Ausdruck des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, dass ein Beteiligter mit der Person des zur Entscheidung berufenen Richters, Beamten oder Ausschussmitglieds einverstanden ist, wenn er sich vor diesem trotz eines ihm bekannten Ablehnungsgrunds in eine Verhandlung einlässt oder Anträge stellt (BVerwG, Urt. v. 02.07.1992 – 5 C 51.90, BeckRS 1992, 30440201, vgl. auch VGH Mannheim, Beschl. v. 03.02.2014 – 9 S 885/13, BeckRS 2014, 47666). Dabei korrespondiert die in § 71 Abs. 3 Satz 3 VwVfG ausdrücklich normierte Rügeobliegenheit mit dem den Verfahrensbeteiligten in § 71 Abs. 3 Satz 1 VwVfG gleichzeitig eingeräumten Ablehnungsrecht. Das Bundesverwaltungsgericht geht deshalb davon aus, dass Regelungen des besonderen Verwaltungsverfahrensrechts, die zwar ein Ablehnungsrecht konstituieren, aber keine Aussage über korrespondierende Rügeobliegenheiten enthalten, in dem vorstehend dargestellten allgemeinen Rechtsgrundsatz eine lückenfüllende Ergänzung finden (BVerwG a.a.O.).
117Nach diesen Grundsätzen bestand keine Rügeobliegenheit der Beschwerdeführerin. Weder hat sich die Beschwerdeführerin im regulierungsbehördlichen Beschlusskammerverfahren in dem von dem allgemeinen Rechtsgrundsatz adressierten formalisierten Sinne auf eine Verhandlung eingelassen bzw. Anträge gestellt, noch steht ihr im Rahmen des § 21 VwVfG ein Ablehnungsrecht zu (Fehling in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 21 VwVfG Rn. 22; Huck in: Huck/Müller, VwVfG, 3. Aufl., § 21 Rn. 1; Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 21 Rn. 4), das es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung rechtfertigen würde, ihr korrespondierend hierzu eine (ungeschriebene) Rügeobliegenheit aufzuerlegen. So geht auch das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 20.10.2021 – 6 C 8.20, BeckRS 2021, 44554 Rn. 76) für den Fall, dass eine konstitutive Entscheidung der Beschlusskammer über den Ausschluss von Mitgliedern – dort erkennbar mangels entsprechender Rüge durch die Beteiligten – unterblieben ist, davon aus, dass der Einwand, es habe ein Ausschussmitglied mitgewirkt, bei dem die Besorgnis der Befangenheit bestehe, auch (erst) im Zusammenhang mit der Anfechtung der Endentscheidung gelten gemacht werden kann.
118(2) Auf den Streitfall nicht übertragbar ist weiterhin die gefestigte Rechtsprechung zu Prüfungsverfahren, wonach die rechtliche Unerheblichkeit der nachträglich erhobenen Befangenheitsrüge anerkannt ist: Von einem Prüfling, der schon vor der Prüfung Anlass hat, eine Befangenheit des Prüfers zu besorgen, muss im Regelfall erwartet werden, dass er dies geltend macht, bevor er sich der Prüfung stellt, jedenfalls aber bevor er deren Ergebnis erfährt (BVerwG, Urt. v. 22.06.1994 – 6 C 37/92, NVwZ 1995, 492; OVG NRW, Urt. v. 23.03.1993 – 15 A 1163/91, BeckRS 1993, 3664 Rn. 28 ff. m.w.N.). Die Rügeobliegenheit dient insoweit der Gewährleistung der Chancengleichheit: Einerseits soll ein Prüfling, der in Kenntnis des Verfahrensmangels die Prüfung zunächst fortsetzt, sich keine ihm nicht zustehende weitere Prüfungschance verschaffen, andererseits soll der Prüfungsbehörde eine eigene, möglichst zeitnahe Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur und rechtzeitige Kompensation des Mangels ermöglicht werden (BVerwG a.a.O.).
119Eine vergleichbare Situation liegt bei einem einen einzigen Energielieferanten betreffenden regulierungsbehördlichen Untersagungsverfahren ersichtlich nicht vor.
120(3) Eine Rügeobliegenheit der Beschwerdeführerin bestand auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben.
121Zwar trifft die Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens nach § 26 Abs. 2 VwVfG eine Mitwirkungslast, so dass sie jedenfalls nur ihnen, nicht aber der Behörde bekannte Bedenken, insbesondere Gründe, die geeignet sind, im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsführung zu rechtfertigen, unverzüglich mitzuteilen haben, soweit ihnen dies nach Lage der Dinge möglich und zumutbar ist; ein Beteiligter, der dieser Rügeobliegenheit nicht nachkommt, hat die sich aus seinem Verhalten ergebenden Nachteile grundsätzlich hinzunehmen (VGH München, Beschl. v. 20.05.2009 – 22 ZB 08.2230, BeckRS 2009, 36295 Rn. 3 m.w.N.).
122Anerkannt ist dieser Grundsatz indes nur für Fallgestaltungen, in denen der Befangenheitsgrund unentdeckt geblieben ist, weil eine zumutbare Rüge unterlassen wurde (so auch Fehling in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 21 VwVfG Rn. 22). Der Senat sieht schon keinen Anlass, Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens darüber hinausgehend nach Treu und Glauben zu verpflichten, Befangenheitsgründe, die wie hier ausschließlich in der Sphäre der Behörde liegen und dort positiv bekannt sind, zu rügen, um sich ihr Rügerecht im gerichtlichen Verfahren zu erhalten.
123Dies gilt in besonderem Maße in einem Fall, in dem einem Verfahrensbeteiligten der Befangenheitsgrund nicht einmal positiv bekannt ist, sondern er– jedenfalls bei Einhaltung der einschlägigen Datenschutzvorgaben – dessen Vorliegen lediglich ins Blaue hinein behaupten müsste. So hat die Bundesnetzagentur im Beschwerdeverfahren selbst geltend gemacht, dass der in der Replik erstmalig geäußerte Verdacht, Mitglieder der Beschlusskammer könnten vertragliche Beziehungen zur Beschwerdeführerin bzw. deren Schwestergesellschaft – insbesondere in zeitlicher Nähe zur jeweiligen Einstellung des Geschäftsbetriebs – unterhalten haben, nur vage und deshalb unbeachtlich sei.
124Im Übrigen kommt es aus den vorstehenden Erwägungen nicht darauf an, ob die Beschwerdeführerin bereits im Verwaltungsverfahren positive Kenntnis von der Kundeneigenschaft der beiden Beschlusskammermitglieder hatte, weil sie ihre bzw. die Kundendatenbanken ihrer Schwestergesellschaft bewusst nach den Namen der Beschlusskammermitglieder durchsucht hat, um diese Informationen für Befangenheitsvorwürfe zu verwenden. Anlass zur weiteren Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen bzw. in Umsetzung des konkreten Beweisantrags der Bundesnetzagentur besteht deshalb nicht. Es kann somit auch dahinstehen, ob der Beweisantrag der Bundesnetzagentur bereits mangels Substantiierung als unzulässiger Beweisermittlungsantrag zu qualifizieren ist.
1252. Die Beschwerdeführerin hat wegen des aufgezeigten, die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Untersagungsverfügung begründenden Mangels einen Anspruch auf deren Aufhebung.
126Der Aufhebungsanspruch ist nicht durch § 46 VwVfG ausgeschlossen, wonach die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die Beschwerdeführerin kann die Aufhebung deshalb nur dann beanspruchen, wenn der Verfahrensfehler für das sie belastende Ergebnis des Untersagungsverfahrens kausal war. Kausalität setzt die nach den Umständen des Falles bestehende konkrete Möglichkeit voraus, dass die angefochtene Entscheidung ohne den Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre (vgl. zur st. Rspr. BVerwG, Urt. v. 21.01.2016 – 4 A 5/14, NVwZ 2016, 844 Rn. 39 m.w.N.).
127Diese konkrete Möglichkeit besteht im Streitfall. Die Untersagungsentscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Bundesnetzagentur. Zwar wird in der Literatur angenommen, dass eine Ermessensreduzierung auf Null dann vorliegt, wenn von einem weiteren Marktauftritt eines nicht (mehr) leistungsfähigen oder unzuverlässigen Vertriebsunternehmens erhebliche Gefahren für die Versorgungssicherheit der Haushaltskunden ausgehen (Säcker in: BerlK-EnR, a.a.O., § 5 EnWG Rn. 44). Ein solcher Fall, bei dem insbesondere das Auswahlermessen im Sinne einer uneingeschränkten Untersagungsverfügung auf Null reduziert wäre, liegt hier jedoch nicht vor. Zwar erweist sich die behördliche Entscheidung, wie noch ausgeführt werden wird, als seinerzeit ermessenfehlerfrei. Insbesondere war die Untersagungsverfügung im Zeitpunkt der Behördenentscheidung nicht unverhältnismäßig. Dies schließt aber nicht aus, dass die Bundesnetzagentur im Rahmen der ihr eröffneten Ermessenentscheidung ermessensfehlerfrei nicht auch andere, wenngleich zur Erreichung der gesetzlich vorgesehenen Zwecke weniger geeignete Maßnahme wie Auflagen an die Beschwerdeführerin, etwa hinsichtlich ihres Geschäftsmodells oder der Kundenzahl, hätte ergreifen können.
1283. Der von der Beschwerdeführerin gerügte Verstoß gegen das rechtliche Gehör liegt hingegen nicht vor.
129a) Gemäß § 67 EnWG muss der Energielieferant vor Erlass der Untersagungsverfügung angehört werden (Säcker in: BerlK-EnR, a.a.O., § 5 EnWG Rn. 50; Schex in: Kment, EnWG, 3. Aufl. 2024, § 5 Rn. 26). § 67 Abs. 1 EnWG verpflichtet die Regulierungsbehörde, allen Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Vorschrift ist Ausprägung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör bzw. auf ein faires Verfahren (zur verfassungsrechtlichen Verortung vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.01.2000 – 1 BvR 321/96, juris Rn. 24 ff.) und lex specialis gegenüber dem allgemeinen Anhörungsrecht des § 28 VwVfG (Senat, Beschl. v. 02.12.2020 – VI-3 Kart 177/20 [V], BeckRS 2020, 38567 Rn. 72 m.w.N.). Die Bundesnetzagentur muss die Beteiligten so umfassend über möglicherweise entscheidungserhebliche Tatsachen und ihre rechtlichen Erwägungen informieren, dass es ihnen möglich ist, sich zu allen tatsächlich oder rechtlich relevanten Punkten zu äußern (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 18.01.2000 – 1 BvR 321/96, juris Rn. 29; zu § 67 EnWG: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 20.10.2011 – Kart W 10/09, juris Rn. 95). Hieraus folgt, dass die Bundesnetzagentur nicht sämtliche in Betracht kommende rechtliche Erwägungen mitzuteilen hat, sondern nur solche, die nicht offenkundig sind oder mit denen die Beteiligten nicht rechnen müssen (Elspas/Heinichen in: Elspas/Graßmann/Rasbach, EnWG, 2. Aufl. 2023, § 67 Rn. 3).
130b) Nach diesen Grundsätzen hat die Bundesnetzagentur den Anforderungen des § 67 Abs. 1 EnWG genügt.
131Sie hat bereits in ihrem ersten Anhörungsschreiben vom 06.04.2023 darauf hingewiesen, dass Gegenstand des von ihr eingeleiteten Verfahrens nach § 5 Abs. 5 EnWG zum einen der Verdacht einer Unzuverlässigkeit der Geschäftsleitung ist. Diesbezüglich hat sie auf die Belieferungs- und Vertragsbeendigung aller durch die Beschwerdeführerin und ihre Schwestergesellschaft belieferten Kunden ohne gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsgrund und vertragswidrige fehlende Bilanzkreisbewirtschaftung verwiesen und die maßgeblichen Anknüpfungstatsachen hierfür benannt. Zum anderen hat sie auf ihre Bedenken hinsichtlich der fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hingewiesen und die hierfür maßgeblichen Überlegungen (insbesondere zu ausreichenden Rückstellungen zur Befriedigung von Schadensersatzansprüchen) mitgeteilt. Mit Schreiben vom 19.05.2023 hat sie um die Übersendung weiterer Unterlagen ersucht, namentlich zum Beleg der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unter Bezugnahme auf konkretes Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme und zum Nachweis des von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Insolvenzrisikos unter genauer Bezeichnung der hierfür erforderlichen Unterlagen. Auch der Nachweis der Höhe der gebildeten Rückstellungen und die Berechnungsgrundlage waren Gegenstand des Anhörungsschreibens. Damit war der Beschwerdeführerin der Verfahrensgegenstand sowohl in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in der Detailtiefe bekannt, die es ihr ermöglicht, ihr Anhörungsrecht sinnvoll auszuüben und auf das Verfahrensergebnis Einfluss zu nehmen. Insbesondere bedurfte es keiner dezidierten Darlegung der Erwägungen, die zur Annahme der Rechtswidrigkeit der Kündigungen der Haushaltskunden führen können. Allein durch die Mitteilung der Bundesnetzagentur, wonach sie kein vertragliches oder gesetzliches Kündigungsrecht erkenne, war es der Beschwerdeführerin möglich, umfänglich zu den Tatsachen vorzutragen, aus denen sie ein solches Kündigungsrecht herleitet, und ihre diesbezüglichen Rechtsansichten mitzuteilen.
132Hinsichtlich der Gewährung rechtlichen Gehörs zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird ergänzend auf die nachstehenden Ausführungen zur materiellen Rechtmäßigkeit unter II. 1. c) verwiesen.
133II. Hilfsweise wäre die angefochtene Untersagungsverfügung – allerdings lediglich ex nunc – aufzuheben, weil sie in dem für die Prüfung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat, anders als noch zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung, nicht mehr materiell rechtmäßig ist. Anlass für Ausführungen zur materiellen Rechtmäßigkeit trotz fehlender Entscheidungserheblichkeit besteht vor allem deswegen, weil die Bundesnetzagentur zwischenzeitlich ein „Wiedergestattungs- und/oder Überprüfungsverfahren“ eröffnet hat. Dort stellen sich dieselben Rechtsfragen zu § 5 Abs. 5 EnWG wie im hiesigen Verfahren, ohne dass hierzu bislang einschlägige Rechtsprechung ergangen wäre. Dies gilt insbesondere für die Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen und die Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin im … .
134Nach § 5 Abs. 5 Satz 1 EnWG ist die Bundesnetzagentur befugt, einem Energielieferanten die Ausübung seiner Tätigkeit jederzeit ganz oder teilweise zu untersagen, wenn die personelle, technische oder wirtschaftliche Leistungsfähigkeit oder die Zuverlässigkeit (der Geschäftsleitung) nicht gewährleistet ist. Zwar lagen diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vor und hat die Bundesnetzagentur auch das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens gilt dies aber infolge einer veränderten Tatsachengrundlage nicht mehr im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.
1351. Die Bundesnetzagentur hat in ihrer Entscheidung zutreffend angenommen, dass weder die Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin als Energielieferantin i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 EnWG noch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gewährleistet waren. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren lässt sich jedoch die Annahme, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sei nicht gewährleistet, nicht aufrechterhalten.
136a) Für die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Untersagungsverfügung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EnWG ist Folgendes zu beachten:
137aa) Bei der Unzuverlässigkeit der Geschäftsleitung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Energieversorgungsunternehmens i.S.d. § 5 EnWG handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die vom Gericht voll überprüfbar sind; es besteht kein Beurteilungsspielraum der Bundesnetzagentur, insbesondere kein eigener Prognosespielraum hinsichtlich der zukünftigen Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit (Assmann in: BeckOK EnWG, 12. Ed. Stand 01.09.2024, § 5 Rn. 62; Theobald in: Theobald/Kühling, Energierecht, 126. EL Juli 2024, § 5 EnWG Rn. 36; Hermes in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, EnWG, 4. Aufl. 2023, § 4 Rn. 18; Rauch, IR 2011, 26, 29). Dies entspricht der ganz herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur zur gewerberechtlichen Untersagungsverfügung nach § 35 GewO (BVerwG, Urt. v. 29.03.1966 – I C 62/65, BeckRS 1966, 30433301; Brüning in: BeckOK GewO, 63. Ed. 01.09.2024, § 35 Rn. 24; Marcks/Heß in: Landmann/Rohmer, GewO, 92. EL Dezember 2023, § 35 Rn. 29b, jeweils m.w.N.). Die gegenteilige Auffassung, die der Bundesnetzagentur unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zu Beurteilungsspielräumen wegen der Ungewissheiten und Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit Prognoseentscheidungen und Risikobewertungen insbesondere im Bereich des Umwelt- und Technikrechts einen Beurteilungsspielraum einräumen will, weil diese mit dem Ziel der Gefahrenabwehr eine Zukunftsprognose („auf Dauer“) in Bezug auf die Beurteilung der Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit durchführe (Wachovius in: Elspas/Graßmann/Rasbach, EnWG, 2. Aufl. 2023, § 4 Rn. 21), überzeugt nicht. Denn die in Bezug genommenen Entscheidungen betreffen im Wesentlichen Fallgestaltungen, bei denen die Behörde komplexe wissenschaftliche Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung zu bewerten hat (etwa BVerwG, Urt. v. 19.12.1985, 7 C 65/82, NVwZ 1986, 208, 212 f.), was bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit etwa von Gewerbetreibenden, Netzbetreibern und Energielieferanten nicht der Fall ist. Es liegen auch sonst keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber der Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde einen eigenen Prognosespielraum hätte einräumen wollen (für § 4 EnWG Assmann in: BeckOK EnWG, a.a.O., § 4 Rn. 51). Die Bundesnetzagentur hat sich somit darauf zu beschränken, die im Einzelfall zu treffende Entscheidung nach strengem Legalitätsprinzip allein durch Unterordnung eines bestimmten Sachverhalts unter die in § 5 Abs. 5 EnWG gesetzlich vorgeschriebenen festgelegten Tatbestandsmerkmale zu gewinnen (so für § 35 GewO auch Marcks/Heß in: Landmann/Rohmer, a.a.O., § 15 Rn. 29b).
138bb) Entscheidungserheblicher Zeitpunkt, auf den es für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ankommt, ist der der mündlichen Verhandlung (a.A. Rauch, IR 2011, 26, 28, wonach sich die Untersagungsverfügung im Verwaltungsprozess an der Sach- und Rechtslage zu messen hat, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung anzuwenden war).
139Nach der gesicherten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich der maßgebliche Zeitpunkt, auf den im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Rechtmäßigkeitsprüfung eines Verwaltungsakts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzustellen ist, in erster Linie nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (etwa BVerwG, Urt. v. 29.05.2019 – 6 C 8/18, juris Rn. 16; vgl. auch Schübel/Pfister in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 55; Riese in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 45. EL Januar 2024, § 113 VwGO Rn. 236, jeweils m.w.N.). Dies gilt auch für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung, bei denen aber regelmäßig – wenn sich aus dem maßgeblichen materiellen Recht nichts anderes ergibt – auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist (BVerwG, a.a.O.; Urt. v. 04.12.2020 – 3 C 5/20, juris Rn. 11; Beschl. v. 11.07.2012 – 3 B 78/11, juris Rn. 8, jeweils m.w.N.; vgl. auch Senat, Beschl. v. 27.05.2009 – VI-3 Kart 45/08 [V], juris Rn. 33; OLG Düsseldorf, 5. Kartellsenat, Beschl. v. 19.12.2013 – VI-5 Kart 25/13 [V], juris Rn. 22; van Rossum in: BeckOK EnWG, 12. Ed. Stand 01.09.2023, § 83 Rn. 23; Laubenstein/Bourazeri in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, EnWG, 4. Aufl. 2023, § 83 Rn. 18; Klawa/Göge in: Elspas/Graßmann/Rasbach, EnWG, 2. Aufl. 2023, § 83 Rn. 21). Demgemäß hat der Bundesgerichtshof für kartellrechtliche Verbotsverfügungen mit Dauerwirkung bereits mehrfach entschieden, dass für die Tatsachenfeststellung an sich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht maßgeblich ist (BGH, Beschl. v. 07.10.1997 – KVR 14/96, juris Rn. 44 – Selektive Exklusivität; Beschl. v. 04.10.1983 – KVR 2/82, juris Rn. 23 – Elbe Wochenblatt II; Beschl. v. 24.06.2003 – KVR 14/01, juris Rn. 36 – HABET/Lekkerland).
140Aus dem materiellen Recht lassen sich im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür ableiten, ausnahmsweise nicht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.
141(1) Die Gründe, aus denen das Bundesverwaltungsgericht in gefestigter Rechtsprechung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO als einer mit der Untersagungsverfügung nach § 5 Abs. 5 EnWG vergleichbaren wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Untersagungsbefugnis (vgl. Hermes in: Bourwieg/Hellermann/Hermes/Hermes, EnWG, 4. Aufl. 2023, § 5 Rn. 41) auf den Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung und nicht den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz abstellt (siehe nur BVerwG, Beschl. v. 23.11.1990 – 1 B 155/90, NVwZ 1991, 372, 373; Urt. v. 15.4.2015 – 8 C 6/14, NVwZ 2015, 1544, 1547 Rn. 16, jeweils m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsprechung BVerfG, Beschl. v. 14.03.1995 – 1 BvR 1639/91, NVwZ 1995, 1096), sind auf die Untersagungsverfügung nach § 5 Abs. 5 EnWG nicht übertragbar. Denn das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Rechtsprechung mit der Überlegung, dass seit Inkrafttreten der Neufassung des § 35 Abs. 6 GewO am 01.05.1974 eine deutliche Trennung zwischen dem Untersagungsverfahren einerseits und dem dort geregelten, antragsgebundenen Wiedergestattungsverfahren andererseits mit der Folge besteht, dass ein Gewerbetreibender, dem die Gewerbeausübung wegen Unzuverlässigkeit untersagt worden ist, eine während des Anfechtungsprozesses eintretende günstige Änderung der Verhältnisse nicht im anhängigen Anfechtungsprozess geltend machen kann, sondern zunächst einen Wiedergestattungsantrag nach § 35 Abs. 6 Satz 1 GewO an die Behörde richten muss (BVerwG, jeweils a.a.O.). Eine mit § 35 Abs. 6 GewO vergleichbare, besondere verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung eines antragsgebundenen Wiedergestattungsverfahrens hat der Gesetzgeber bei der Untersagung der Ausübung der Tätigkeit als Energielieferant nach § 5 Abs. 5 EnWG allerdings nicht getroffen.
142Anhaltspunkte dafür, dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke besteht, liegen nicht vor. Vielmehr existieren eine Vielzahl vergleichbarer Untersagungstatbestände, bei denen es an der in § 35 Abs. 1 und Abs. 6 GewO angelegten Trennung zwischen Untersagungsverfahren einerseits und Wiedergestattungsverfahren andererseits fehlt. Auch diesbezüglich geht die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung davon aus, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der der mündlichen Verhandlung vor Gericht und die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 35 GewO nicht übertragbar ist (etwa OVG Münster, Urt. v. 07.05.2015 – 20 A 2670/13, BeckRS 2015, 48273 Rn. 41 ff. zu § 18 Abs. 5 Satz 2 Alt. 1 KrWG; OVG Lüneburg, Urt. v. 03.11.2022 – 14 LC 4/22, BeckRS 2022, 34565 Rn. 23 zu § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AMG).
143Der Verweis der Bundesnetzagentur auf die Möglichkeit eines Antrags auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschrift des § 51 VwVfG geht in diesem Zusammenhang fehl, da ein solcher Antrag – anders als bei dem spezielleren § 35 Abs. 6 GewO – nur zulässig ist, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Unter einem „früheren Verfahren“ in diesem Sinne ist auch ein gerichtliches Verfahren zu verstehen, das sich tatsächlich an das Verwaltungsverfahren anschließt (BVerwG, Urt. v. 13.09.1984 – 2 C 22/83 , NJW 1985, 280, 281), so dass eine nachträglich günstige Änderung der Verhältnisse durch den Adressaten bei Anwendung der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften – anders als im besonderen Verfahrensrecht der Gewerbeordnung – gerade im Rahmen des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Untersagungsverfügung zu suchen ist.
144Änderungen der Sach- und Rechtslage, die erst nach der (letzten) Behördenentscheidung ergehen, im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen, entspricht nicht nur der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu § 35 GewO vor Einführung des gesonderten Wiedereinsetzungsantrags (BVerwG, Urt. v. 29.03.1966 – I C 62/65, BeckRS 1966, 30433301), sondern trägt vor allem der Grundrechtsrelevanz der Untersagungsverfügung in angemessener Weise Rechnung. Denn der in einer Untersagung als subjektiver Berufszulassungsregelung, die das „Ob“ der beruflichen Tätigung regelt (vgl. zur grundrechtlichen Einordnung zu den netzbetreiberbezogenen Regelungen in § 4 Abs. 1 und 2 EnWG Säcker/Steffens in: BerlK-EnR, 4. Aufl. 2019, § 4 EnWG Rn. 9 ff.) liegende Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG kann immer nur so lange gerechtfertigt sein, wie die Untersagungsvoraussetzungen vorliegen (Säcker in: BerlK-EnR, a.a.O., § 5 EnWG Rn. 47).
145(2) Dass die Prüfung, ob die Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit eines Energieversorgungsunternehmens gewährleistet ist, prognostische Elemente enthält, weil von der Bundesnetzagentur eine Wertung von Tatsachen, verbunden mit einer Prognose über das künftige Verhalten des Energieversorgungsunternehmens verlangt wird (zur Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO Brüning in: BeckOK GewO, 63. Ed. 01.09.2024, § 35 Rn. 20; siehe auch BVerwG, Urt. v. 29.03.1966 – I C 62/65, BeckRS 1966, 30433301), führt ebenfalls nicht dazu, dass auf den Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung abzustellen wäre.
146Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es in Fallgestaltungen, bei denen die angefochtene Verwaltungsentscheidung im Wesentlichen prognostischen Charakter hat, für die Rechtmäßigkeit auch eines Dauerverwaltungsakts auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung ankommt (für die gerichtliche Kontrolle eines Luftreinhalteplans Beschl. v. 11.07.2012 – 3 B 78/11, juris Rn. 11; für Planfeststellungsbeschlüsse Beschl. v. 17.01.2013 – 7 B 18/12, juris Rn. 27 m.w.N. und für Verpflichtungsklagen auf Einstellung in das Beamtenverhältnis Urt. v. 24.06.2004 – 2 C 45/03, juris Rn. 18). Diese Fallgestaltungen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Behördenentscheidung auf einem prognostischen Akt wertender Erkenntnis beruht, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist. Der Senat hat deshalb bezogen auf die Festlegung der Eigenkapitalverzinsung der Strom- und Gasnetzbetreiber als ein Argument für ein Abstellen auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung den im Wesentlichen prognostischen Charakter der Entscheidung angeführt (etwa Beschl. v. 30.08.2023 – VI-3 Kart 129/21 [V], BeckRS 2023, 24559 Rn. 278), letztlich aber den maßgeblichen Zeitpunkt mangels Entscheidungserheblichkeit offengelassen.
147Bei der Untersagungsverfügung nach § 5 Abs. 5 EnWG steht aber gerade nicht – wie bei einer Planungsentscheidung – der prognostische Charakter der Entscheidung im Vordergrund. Vielmehr handelt es sich bei den festzustellenden Tatbestandsvoraussetzungen der fehlenden personellen, technischen oder wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit oder der Unzuverlässigkeit der Geschäftsleitung um unbestimmte Rechtsbegriffe, die gerichtlich voll überprüfbar sind. Es besteht also kein Beurteilungsspielraum der Bundesnetzagentur, insbesondere kein eigener Prognosespielraum hinsichtlich der zukünftigen Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit (vgl. vorstehend unter aa)). Damit besteht kein Anlass, die dargestellten Grundsätze der Rechtsprechung auf den Streitfall zu übertragen.
148b) Die Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin war im Zeitpunkt der Behördenentscheidung und ist auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht gewährleistet.
149aa) Der gesetzlich nicht näher definierte unbestimmte Rechtsbegriff der Unzuverlässigkeit i.S.d. § 5 Abs. 5 Satz 1 EnWG ist ausfüllungsbedürftig. Dass es allein um die Unzuverlässigkeit der Geschäftsleitung des Energieversorgungsunternehmens geht, folgt aus dem eindeutigen Wortlaut von § 5 Abs. 4 Satz 1 EnWG (Wachovius in: Elspas/Graßmann/Rasbach, EnWG, 2. Aufl. 2023, § 5 Rn. 43, Säcker in: BerlK-EnR, 4. Aufl. 2019, § 5 Rn. 42).
150Im Ausgangspunkt kann für die Auslegung des Begriffs der Unzuverlässigkeit auf die Ausformung zurückgegriffen werden, die der Begriff der (gewerberechtlichen) Unzuverlässigkeit in § 35 GewO durch Rechtsprechung und Literatur erfahren hat und wonach gewerberechtlich unzuverlässig ist, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben wird (etwa BVerwG, Beschl. v. 09.04.1997 – 1 B 81/97, BeckRS 1997, 31222266; Urt. v. 02.02.1982 – 1 C 146/80, NVwZ 1982, 503; Brüning in: BeckOK GewO, 63. Ed. 01.09.2024, § 35 Rn. 19; Marcks/Heß in: Landmann/Rohmer, GewO, 92. EL Dezember 2023, § 35 Rn. 29). Der Begriff der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit bestimmt sich dabei nach dem Schutzzweck der in Betracht kommenden gesetzlichen Vorschrift und nach dem Gewerbe, das betrieben werden soll (BVerwG, Urt. v. 27.06.1961 – I C 34/60, NJW 1961, 1834).
151Demgemäß ist auch bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unzuverlässigkeit i.S.d. § 5 Abs. 5 EnWG maßgeblich der Telos der Vorschrift heranzuziehen. Die Untersagungsverfügung dient ausweislich der Gesetzesbegründung dazu, zur Gewährleistung eines hinreichenden Schutzes von Haushaltskunden solchen Energiehändlern die Ausübung ihrer Tätigkeit zu untersagen, die nicht über die notwendige Leistungsfähigkeit verfügen, um die Energieversorgung entsprechend den Zielen und Vorschriften dieses Gesetzes auf Dauer zu gewährleisten (BT-Drs. 15/3917, S. 50). Zu diesen Zielen, zu deren Beachtung Energielieferanten als Energieversorgungsunternehmen i.S.d. § 3 Nr. 18 EnWG bereits gemäß § 2 Abs. 1 EnWG ausdrücklich verpflichtet sind, zählt nach § 1 Abs. 1 EnWG unter anderem die möglichst sichere und verbraucherfreundliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Strom und Gas. Diese Anforderungen berücksichtigend hat die Bundesnetzagentur bereits im Jahr 2007 zutreffend ausgeführt, dass Unzuverlässigkeit angenommen werden muss, wenn das in der Vergangenheit seitens der Geschäftsleitung gezeigte Verhalten berechtigten Grund zu der Annahme gibt, dass diese das Energieversorgungsunternehmen nicht im Sinne der gesetzlichen Vorschriften führt und aufgrund dieser Geschäftsführungspraxis ein Schaden für die zu beliefernden Haushaltskunden nicht auszuschließen ist (BNetzA, Beschl. v. 26.06.2007, BK-6-07-008, S. 14 ff.).
152Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit können sich in erster Linie aus Verstößen gegen solche Rechtspflichten ergeben, die spezifisch auf die Energielieferung bezogen sind (entsprechend mit Bezug auf den Betrieb von Energieversorgungsnetzen für § 4 EnWG: Hermes in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, EnWG, 4. Aufl. 2023, § 4 Rn. 29; Assmann in: BeckOK EnWG, 12. Ed. 01.09.2024, § 4 Rn. 48). Solche Rechtspflichten können sich auch aus Verträgen und Normen des Privatrechts ergeben, wenn diese energierechtlich ausgeformt sind oder einen spezifisch energierechtlichen Bezug aufweisen (Frank/Schütte in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 5. Aufl. 2021, § 3 EnWG Rn. 23, Rn. 44; Hermes in: Bourwieg/Hellermann/Hermes a.a.O.; Wachovius in: Elspas/Graßmann/Rasbach, EnWG, 2. Aufl. 2023, § 4 Rn. 25).
153Hieraus folgt, dass es auf die von der Beschwerdeführerin umfangreich zitierte Judikatur zu den Voraussetzungen einer Unzuverlässigkeit i.S.d. § 35 GewO wegen der unterschiedlichen Zweckrichtung des gewerberechtlichen Untersagungsverfahrens und des Untersagungsverfahrens nach § 5 Abs. 5 EnWG nicht maßgeblich ankommt. Es hat vielmehr eine Bewertung der Implikationen, die sich aus dem vergangenen Verhalten der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin ergeben, anhand der Zielsetzungen des EnWG zu erfolgen.
154bb) Die Bundesnetzagentur hat zu Recht eine Vielzahl von Rechtsverstößen der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin in der Vergangenheit festgestellt.
155(1) Die fristlose Kündigung von ca. … Gas- bzw. Stromlieferverträgen im … durch die Beschwerdeführerin bzw. ihre Schwestergesellschaft, deren alleiniger Geschäftsführer der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin in diesem Zeitraum war, war rechtswidrig.
156Dass ihr bzw. ihrer Schwestergesellschaft ein vertragliches außerordentliches Kündigungsrecht zugestanden hätte, macht auch die Beschwerdeführerin nicht geltend. Nach ihren AGB und den im Wesentlichen inhaltsgleichen AGB ihrer Schwestergesellschaft gilt in Ermangelung einer abweichenden (Individual-)Vereinbarung eine Erstlaufzeit von 12 Monaten mit 6-wöchiger Kündigungsfrist, sodann verlängert sich der Vertrag jeweils um 12 Monate bei gleicher Kündigungsfrist (§ 16 der AGB, Bl. 449 ff. bzw. 444 ff. VV). Eine Änderung der in § 4 Abs. 2 AGB aufgeführten Kalkulationsbestandteile wie des Beschaffungspreises berechtigt nicht zu einer Kündigung, sondern nur zu einer Preisanpassung nach den Maßgaben der §§ 6, 7 AGB.
157Es bestand aber auch kein gesetzliches Kündigungsrecht.
158(a) Der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft stand jeweils kein gesetzliches Kündigungsrecht nach § 314 Abs. 1 BGB zu.
159Hiernach kann jeder Vertragsteil Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Bezugsverträge über Strom und Gas sind Dauerschuldverhältnisse im Sinne dieser Vorschrift (etwa BGH, Urt. v. 14. 03.2012 − VIII ZR 202/11, NJW-RR 2012, 1333 Rn. 18; Martens in: BeckOGK, Stand 01.10.2024, § 314 BGB Rn. 20 m.w.N.). § 314 BGB geht nach zutreffender herrschender Ansicht bei Dauerschuldverhältnissen den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB vor, soweit es – wie hier – um die Auflösung des Vertrags geht (vgl. BGH, Urt. v. 09.10.1996 – VIII ZR 266/95, DtZ 1997, 50; Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 313 Rn. 14; i.E. str., zum Meinungsstand Finkenauer in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, § 313 Rn. 170).
160Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dies ist im Allgemeinen nur dann anzunehmen, wenn die Gründe, auf die die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen. Wird der Kündigungsgrund hingegen aus Vorgängen hergeleitet, die dem Einfluss des Kündigungsgegners entzogen sind und aus der eigenen Interessensphäre des Kündigenden herrühren, rechtfertigt dies nur in Ausnahmefällen die fristlose Kündigung. Die Abgrenzung der Risikobereiche ergibt sich dabei aus dem Vertrag, dem Vertragszweck und den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen (BGH, Urt. v. 11.11.2010 − III ZR 57/10, NJW-RR 2011, 916 Rn. 9; Urt. v. 09.03.2010 – VI ZR 52/09, NJW 2010, 1874 Rn. 15, jeweils m.w.N.; de Wyl in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 5. Aufl. 2021, § 11 Rn. 410). Das Kündigungsrecht trägt damit auch dem Umstand Rechnung, dass sich bei einem auf Dauer angelegten Vertragsverhältnis im Laufe der Zeit unvorhergesehene Umstände einstellen können, die die Parteien – wären sie ihnen bekannt gewesen – bei Vertragsschluss berücksichtigt hätten (BGH a.a.O.). Die Abgrenzung der Risikosphären kann insoweit nach den zum Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB anerkannten Grundsätzen erfolgen (Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 314 Rn. 9).
161Danach lag kein wichtiger Grund vor, der die Beschwerdeführerin oder ihre Schwestergesellschaft, für die die nachstehenden Ausführungen infolge der parallelen Entwicklungen auf dem Strommarkt und der in den streitentscheidenden Punkten identischen Vertragsausgestaltungen entsprechend gelten, zur Kündigung der Lieferverträge berechtigt hätte.
162(aa) Die erheblichen Preissteigerungen bzw. -schwankungen auf den Beschaffungsmärkten für Gas stellen keinen solchen Grund dar, da das Beschaffungsrisiko auch in einem solchen Fall unter Berücksichtigung der konkreten Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse die Beschwerdeführerin trägt.
163(aaa) Das dispositive Recht geht grundsätzlich von einer bindenden Preisvereinbarung der Parteien aus. Der Verkäufer trägt dabei das Risiko einer auskömmlichen Kalkulation und auch das Risiko, dass sich die verwendete Berechnungsgrundlage als unzutreffend erweist (st. Rspr., zum Gasliefervertrag etwa BGH, Urt. v. 23.01.2013 – VIII ZR 80/12, NJW 2013, 991 Rn. 43 m.w.N.).
164Diese gesetzliche Wertung wird durch die konkrete Ausgestaltung der Gaslieferverträge mit den Haushaltskunden bestärkt. In den AGB der Beschwerdeführerin finden sich eindeutige Vorgaben zum Umgang mit dem Risiko einer Beschaffungspreiserhöhung: Nach § 7 ist das Risiko einer Änderung der Beschaffungskosten im Falle einer eingeschränkten Preisgarantie vollumfänglich der Beschwerdeführerin zugewiesen, weil das Recht zur Preisanpassung bei einer Änderung der Beschaffungskosten – anders als bei Änderung anderer, gesondert aufgeführter Kosten – ausgeschlossen ist. Da im Energiesektor Vertragsanpassungsklausen üblich sind, kann bereits aus ihrem Fehlen auf eine Risikoübernahme durch den Schuldner in Bezug auf etwaige Kostensteigerungen geschlossen werden (Lorenz in: BeckOK BGB, 71. Ed. 01.08.2024, § 313 Rn. 45). Erst recht gilt dies, wenn wie im Streitfall für bestimmte Kostensteigerungen wie die hier streitgegenständliche Steigerung der Beschaffungskosten das vertragliche Preisanpassungsrecht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Denn mit Sinn und Zweck der Regelung in § 7 AGB wäre es nicht vereinbar, dass die Kunden bei einer Erhöhung der Beschaffungskosten zwar vor Preisanpassungen geschützt sein sollten, nicht aber davor, dass der Vertrag stattdessen – fristlos – beendet wird (so bereits zu einer identischen AGB-Gestaltung LG Düsseldorf, Urt. v. 01.03.2023 – 14d O 3/22, BeckRS 2023, 44703 Rn. 35).
165Bei den Verträgen, bei denen keine eingeschränkte Preisgarantie (mehr) greift, besteht lediglich die Möglichkeit der Preisanpassung nach § 6 AGB, was – der Wertung des § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB folgend – die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung ausschließt, sofern der Beschwerdeführerin die Preisanpassung nicht möglich oder zumutbar wäre (vgl. LG Düsseldorf a.a.O. Rn. 36). Dass eine Preisanpassung nicht möglich wäre, hat die Beschwerdeführerin schon nicht geltend gemacht. Dass eine solche unzumutbar wäre, hat sie ebenfalls nicht hinreichend substantiiert aufgezeigt, da es an konkreten Darlegungen dazu fehlt, wie sich eine vertragsgemäße, fristgerechte Kündigung der Verträge in den Fällen, in denen dies vorgesehen ist, auf ihr wirtschaftliches Ergebnis ausgewirkt hätte.
166(bbb) Gründe, der Beschwerdeführerin entgegen der eindeutigen vertraglichen Regelungen zum Umgang mit dem Risiko von Beschaffungspreissteigerungen gleichwohl ein fristloses Kündigungsrecht zuzuerkennen, liegen nicht vor.
167Dies gilt zunächst mit Blick auf die Höhe der Steigerung der Beschaffungskosten. Eine Anpassung nach § 314 BGB kann ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn durch Umstände außerhalb des Einfluss- und Risikobereichs des Schuldners ein so krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung entsteht, dass ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar ist.
168Wann dies der Fall ist, bestimmt sich nach der Risikoverteilung in dem jeweils zugrundeliegenden Vertragsverhältnis, so dass es nicht auf die absolute Höhe der Preissteigerung ankommt und der Verweis der Beschwerdeführerin auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, der in anderen Fallkonstellationen bereits bei deutlich geringeren Preissteigerungen als der hier streitgegenständlichen von einer Äquivalenzstörung ausgegangen ist (vgl. etwa die Nachweise bei Grüneberg in: Grüneberg: BGB, 83. Aufl. 2024, § 313 Rn. 32, Finkenauer in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, BGB § 313 Rn. 58 und de Wyl in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 5. Aufl. 2021, § 11 Rn. 410), nicht verfängt. So hat der Bundesgerichtshof mit Blick auf Ölpreissteigerungen infolge der Ölkrise im Jahr 1973 ausdrücklich in Erwägung gezogen und letztlich offengelassen, ob die in einer Festpreisabrede liegende Risikoübernahme durch den Schuldner auf „normale“ Preisschwankungen beschränkt ist oder auch weit über 100 % hinausgehende Preissteigerungen umfasst (BGH, Urt. v. 08.02.1978 – VIII ZR 221/76, BeckRS 1978, 31119358). Das Risiko von Marktpreissteigerungen verschiebt sich allerdings deutlich zulasten des Versorgers, wenn dieser – wie die Beschwerdeführerin im Streitfall im ersten Bezugsjahr – ausdrücklich eine Garantie auf den Festpreis verspricht (Dietzel, IR 2022, 306, 309), da unter einer Garantie ganz allgemein das Versprechen des Schuldners zu verstehen ist, für einen bestimmten Erfolg oder für sonstige Umstände unabhängig von einem Verschulden einstehen zu wollen (Stöber in: BeckOGK, Stand 01.10.2024, § 442 BGB Rn. 55 m.w.N.).
169Im Streitfall lässt sich dafür, dass auch die sehr außergewöhnliche Steigerung der Beschaffungspreise für Gas im Jahr 2021 von dem von der Beschwerdeführerin vertraglich übernommenen Risiko erfasst ist, zunächst anführen, dass die Abhängigkeit der Energiepreise von äußeren Faktoren wie namentlich der geopolitischen Lage offenkundig hoch ist. Dass sich die Preise auf dem Beschaffungsmarkt aufgrund von Rohstoffknappheit – etwa infolge einer kriegsbedingten Ressourcenverknappung – erhöhen, stellt ein typisches Risiko des Energiemarktes dar (etwa Kalle/Borgards/Schubert, JA 2024, 8, 14). Dies gilt nicht nur für den Ölpreis, der sich in der Vergangenheit immer wieder stark volatil entwickelt hat, sondern auch für den Gaspreis. Das Risiko einer krisenhaften Entwicklung der Gasversorgung und dementsprechend steigender Gasbeschaffungspreise war insbesondere in den vergangenen Jahren spätestens mit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 und den damit verbundenen geopolitischen Spannungen deutlich erkennbar. Auch andere Faktoren, etwa die nach dem Ende der COVID-19-Pandemie deutlich steigende Rohstoffnachfrage, die potentiell starken Einfluss auf Beschaffungspreise haben konnten, waren für die Vertragsparteien absehbar. Es kann deshalb nicht angenommen werden, dass diese bei Abschluss des Gasliefervertrags in der festen Erwartung einer krisen- und katastrophenfreien Entwicklung auch starke Preissteigerungen von vornherein für ausgeschlossen gehalten hätten.
170Hinzu tritt maßgeblich, dass die Beschwerdeführerin das Risiko, von kurzfristigen, erheblichen Beschaffungspreiserhöhungen betroffen zu sein, durch ihre unternehmerische Entscheidung maßgeblich beeinflussen kann. Der Umfang der Betroffenheit von kurzfristigen Steigerungen der Beschaffungskosten hängt von der Beschaffungsstrategie des Energielieferanten ab und lässt sich durch langfristig geschlossene Lieferverträge minimieren. Wenn sich die Beschwerdeführerin entscheidet, …, muss sie auch die durch dieses Geschäftsmodell entstehenden Risiken tragen. Entsprechendes gilt für die Entscheidung der Beschwerdeführerin, Neukunden trotz der Verschärfung der Ukraine-Krise und der Steigerung von Beschaffungspreisen noch im Laufe des Jahres 2021 Verträge mit einjähriger eingeschränkter Preisgarantie anzubieten.
171(ccc) Diese Bewertung der Risikoverteilung steht im Einklang mit der gesetzgeberischen Wertung, die im Regelungsgehalt des mit Wirkung zum 22.05.2022 durch das Gesetz zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes 1975 und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften“ vom 20.05.2022 (BGBl. I S. 730) eingeführten § 24 Abs. 1 EnSiG zum Ausdruck kommt. Im Falle der Ausrufung der Alarm- oder Notfallstufe erhalten danach alle von der Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland unmittelbar oder mittelbar betroffenen Energieversorgungsunternehmen das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen (§ 24 Abs. 1 Satz 3 EnSiG). Der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf nimmt an, dass der Gesetzgeber hierdurch die Folgen des Preisanstieges im Gas- und infolgedessen auch im Strommarkt umfassend spezialgesetzlich geregelt hat und der von ihm für angemessen erachtete Interessenausgleich nicht durch die Anwendung allgemein gehaltener Vorschriften umgangen werden darf, die Vorschrift also – jedenfalls in ihrem zeitlichen Anwendungsbereich – die Anwendung von § 313 (bzw. § 314) BGB sperrt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.03.2023 − 20 U 318/22, EnWZ 2023, 273 Rn. 30, 31; zustimmend Martens in: BeckOGK, Stand 01.10.2024, § 313 BGB Rn. 260; AG München, Urt. v. 27.10.2023 – 173 C 13388/23, EnWZ 2023, 476; ablehnend Kalle/Borgards/Schubert, JA 2024, 8, 14 Fn. 69; Thole/Schlesinger, IR 2023, 180, 181). Unabhängig davon, ob man sich dieser Auffassung anschließt, ist jedenfalls festzustellen, dass der Gesetzgeber ein Regelungsbedürfnis aus Anlass der Gaskrise nur mit Blick auf die Schaffung eines Preiserhöhungsrechts, nicht aber auch eines außerordentlichen Kündigungsrechts erkannt hat, und dies auch nicht anknüpfend allein an die Entwicklung der Gaspreise im Allgemeinen, sondern vielmehr an die durch die Verknappung der Gasimporte hervorgerufene Steigerung der Gaspreise, die Ende … noch nicht zu verzeichnen war.
172Im Übrigen wird auch in der bisherigen Rechtsprechung der Instanzgerichte in vergleichbaren Fallkonstellationen ein Kündigungs- bzw. bereits ein Preisanpassungsrecht ganz überwiegend abgelehnt (LG Offenburg, Beschl. v. 26.09.2022 – 5 O 19/22 KfH, BeckRS 2022, 33307; LG Düsseldorf, Urt. v. 23.11.2022 – 12 O 247/22, BeckRS 2022, 33631; AG München, Urt. v. 27.10.2023 – 173 C 13388/23, EnWZ 2023, 476).
173(bb) Die Einstellung eines Betriebs zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens stellt ebenfalls keinen wichtigen Grund dar, der die außerordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses rechtfertigt, da es sich bei der finanziellen Lage des Lieferanten, der Rentabilität und dem Fortbestand seines Unternehmens um Umstände handelt, die grundsätzlich in dessen Risikobereich fallen (BGH, Urt. v. 07.10.2004 – I ZR 18/02, NJW 2005, 1360, 1362 f. m.w.N.).
174Es kommt also nicht darauf an, ob der Vortrag der Beschwerdeführerin, dass bei einer vertragsgemäßen Abwicklung der Lieferverträge ein Insolvenzrisiko bestanden habe, hinreichend substantiiert ist. Da ihr nach ihrem eigenen Vorbringen in … % der Vertragsverhältnisse ein vertragliches Preisanpassungsrecht infolge der gestiegenen Beschaffungskosten zustand, liegt dies keineswegs allein wegen der Höhe der Steigerung der Beschaffungskosten auf der Hand.
175(cc) Schließlich rechtfertigt auch die Kündigung der Bilanzkreisverträge durch den zuständigen Marktgebietsverantwortlichen bzw. Netzbetreiber gegenüber der Beschwerdeführerin mit Ablauf des … und gegenüber ihrer Schwestergesellschaft mit Ablauf des … keine fristlose Kündigung der mit den Kunden bestehenden Energielieferverträge.
176Die Bundesnetzagentur hat in der Untersagungsverfügung zutreffend darauf abgestellt, dass die Beschwerdeführerin bzw. ihre Schwestergesellschaft unstreitig … und deshalb die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung durch den Marktgebietsverantwortlichen bzw. Netzbetreiber nach dem Bilanzkreisvertrag (§ 37 Abs. 4 der Anlage 4 KoV Gas bzw. Ziffer 30.3 lit. a des Bilanzkreisvertrags Strom) geschaffen haben. Ein eigenes Verschulden des Kündigenden schließt ein Kündigungsrecht unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 323 Abs. 6 BGB jedenfalls dann aus, wenn der Gläubiger wie hier die Unmöglichkeit ganz zu vertreten hat (Gaier in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, § 314 Rn. 27; Martens in: BeckOGK, Stand 01.10.2024, § 314 BGB Rn. 28; jeweils m.w.N.).
177(b) Aus den vorstehenden Gründen war die von der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft im … erklärte Kündigung des Gas- bzw. Stromliefervertrags auch nicht nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BGB) gerechtfertigt.
178Auch im Anwendungsbereich des § 313 BGB gilt, dass grundsätzlich jede Partei ihre aus dem Vertrag ersichtlichen Risiken selbst trägt (etwa BGH, Urt. v. 30.04.2009 – I ZR 42/07, NJW-RR 2010, 960 m.w.N.). Erst wenn der durch Auslegung bestimmte Risikorahmen des Vertrags überschritten ist und eine Vertragslücke vorliegt, kommt § 313 BGB zur Anwendung (Martens in: BeckOGK, Stand 01.10.2024, § 313 BGB Rn. 61). Hier entspricht es aber der vertraglichen Risikoverteilung, der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft das Risiko einer – auch außergewöhnlich hohen – Veränderung der Beschaffungspreise aufzuerlegen. Hinzu kommt, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Partei sich dann nicht auf ein untragbares, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarendes und damit ihr nicht zumutbares Ergebnis berufen kann, wenn sie die Möglichkeit hatte, ein solches Ergebnis zu vermeiden (zu § 313 BGB: BGH, Urt. v. 08.02.21978 – VIII ZR 221/76, BeckRS 1978, 31119358). Wie bereits ausgeführt, hätte die Beschwerdeführerin ihre Betroffenheit von kurzfristigen Beschaffungspreiserhöhungen durch eine entsprechende Geschäftsstrategie verringern können. Unabhängig davon, dass ein Kündigungsrecht nach § 313 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BGB ohnehin nur dann in Betracht kommt, wenn eine Vertragsanpassung nicht möglich oder nicht zumutbar ist und – wie nicht – diese Voraussetzungen von der Beschwerdeführerin dargelegt sind, liegt mit Blick auf die erhöhten Beschaffungspreise deshalb kein Wegfall der Geschäftsgrundlage vor.
179Nichts anderes gilt aus den zu § 314 BGB bereits angestellten Überlegungen mit Blick auf eine etwaige Insolvenzgefahr und den Umstand, dass die Vertragsdurchführung infolge der von der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft provozierten fristlosen Kündigung des Bilanzkreisvertrags unmöglich geworden war. Auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage kann sich nicht berufen, wer die entscheidende Änderung der Verhältnisse selbst bewirkt hat (BGH, Urt. v. 24.09.2002 – XI ZR 345/01, NJW 2002, 3695, 2698; Urt. v. 03.05.1995 – XII ZR 29/94, NJW 1995, 2028, 2031).
180(c) Im Zusammenhang mit den Kündigungserklärungen aus … stellt es einen weiteren Verstoß gegen zivilrechtliche Vorschriften dar, dass die Beschwerdeführerin bzw. ihre Schwestergesellschaft die Energielieferverträge mit ihren Kunden jeweils nicht nur grundlos, sondern auch rückwirkend außerordentlich gekündigt haben.
181Die Kündigung der Bilanzkreisverträge erfolgte mit Ablauf des … im Falle der Beschwerdeführerin bzw. des … im Falle ihrer Schwestergesellschaft. Damit korrespondiert die Anzeige der Beendigung der Energiebelieferung gegenüber der Bundesnetzagentur. Gleichzeitig erfolgte die Kündigung gegenüber den Kunden erst einige Tage später rückwirkend zum vorgenannten Zeitpunkt. So heißt es in den Kündigungsschreiben der Beschwerdeführerin, die Bestandteil des Verwaltungsvorgangs sind und frühestens auf den … datieren: „Wir kündigen hiermit den zwischen uns bestehenden Gasliefervertrag mit Ablauf des … . Zu diesem Termin haben wir die Belieferung mit Gas eingestellt“.
182Die rechtsgestaltende Wirkung der Kündigungsschreiben stellt die Beschwerdeführerin selbst ebenso wenig in Frage wie die Tatsache, dass die rückwirkende Ausübung eines Gestaltungsrechts nicht zulässig ist. Das Dauerschuldverhältnis wird mit Wirksamwerden der Kündigungserklärung mit Wirkung für die Zukunft beendet (etwa BGH, Urt. v. 21.02.1979 – VIII ZR 88/78, NJW 1979, 1288, 1289). Wäre die außerordentliche Kündigung, wenn ein Kündigungsgrund vorgelegen hätte, demnach erst mit Zugang der Kündigung wirksam geworden, so hätte die Beschwerdeführerin zwischen dem von ihr erklärten Kündigungszeitpunkt und dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung jedenfalls ihre Vertragspflichten aus dem Energieliefervertrag verletzt. Sie kann sich nicht darauf berufen, dass ihr dies nicht vorwerfbar sei, weil mit dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der fristlosen Kündigung des Bilanzkreisvertrags Unmöglichkeit gemäß § 275 BGB eingetreten sei; es sei ihr objektiv unmöglich gewesen, die konkrete Entnahmestelle, die ab diesem Zeitpunkt dem Bilanzkreis eines Ersatzversorgers zuzurechnen war, mit Energie zu versorgen. Denn die fristlose Kündigung der Bilanzkreisverträge und damit die Unmöglichkeit der Leistungserbringung ist einseitig von der Beschwerdeführerin herbeigeführt worden.
183(2) Die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin hat des Weiteren die ihr aus den mit THE (im Falle der Beschwerdeführerin) und Amprion (im Falle ihrer Schwestergesellschaft) geschlossenen Bilanzkreisverträgen resultierenden Pflichten zur Ausgeglichenheit des Bilanzkreises (§ 5 der Anlage 4 KoV Gas bzw. 5g und 5.2. des Standardbilanzkreisvertrags Strom) verletzt, indem sie – entsprechend ihrer jeweiligen Vorankündigung am Vortrag – …, um damit eine fristlose Kündigung der Bilanzkreisverträge durch den jeweiligen Vertragspartner zu provozieren.
184(3) Schließlich hat die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin gegen ihre Aufstellungs- und Offenlegungspflicht aus § 264 Abs. 3 HGB i.V.m. § 325 HGB verstoßen.
185Im Bundesanzeiger gibt die Beschwerdeführerin an, dass sie die Befreiungsvorschriften des § 264 Abs. 3 HGB dahingehend in Anspruch nehme, dass aufgrund ihrer Einbeziehung als Tochterunternehmen in den Konzernabschluss der Muttergesellschaft zum 31.12.2021 auf die Aufstellung und Prüfung des Anhangs und des Lageberichts sowie auf die Offenlegung des Jahresabschlusses verzichtet werde. Für das Jahr 2019 erfolgte die Veröffentlichung nicht bei der Muttergesellschaft, sondern bei der Konzern-Muttergesellschaft. Weder die Muttergesellschaft noch die Konzern-Muttergesellschaft haben seit 2020 einen (Konzern-)Abschluss veröffentlicht. Dies räumt auch die Beschwerdeführerin ein, die lediglich auf die mittlerweile für die Jahre 2020 bis 2022 vorliegenden Testate und die unmittelbar bevorstehende Veröffentlichung verweist. Damit liegen die Voraussetzungen für die Befreiung der Beschwerdeführerin von der Aufstellungs- und Offenlegungspflicht jedenfalls aus diesem Grund nicht vor. Denn hierfür ist nach § 264 Abs. 3 Nr. 3, Nr. 5 lit. c HGB die Einbeziehung des Tochterunternehmens in den aufgestellten, geprüften und insoweit offengelegten Konzernabschluss des Mutterunternehmens erforderlich.
186Ob – wie die Bundesnetzagentur meint – die Voraussetzungen des § 264 Abs. 3 HGB auch aus anderem Grund wegen eines unvollständigen und im Übrigen unzulässigen Kettenverweises der Mutter- auf die Konzern-Muttergesellschaft nicht vorliegen, kann dahinstehen. Hierauf hat die Bundesnetzagentur in der angefochtenen Untersagungsverfügung nicht abgestellt, sondern ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin „unabhängig von der Frage der mehrfach verwendeten Verweise im Bundesanzeiger“ ihren Pflichten seit dem Jahr 2020 entgegen den handelsrechtlichen Vorgaben nicht nachkomme. Damit hat sie in der Sache allein die fehlenden Konzernabschlüsse der Konzern-Muttergesellschaft in Bezug genommen.
187cc) Die soeben dargestellten vertraglichen Rechtsverstöße rechtfertigen die Annahme, die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin werde auch in Zukunft die Tätigkeit als Energielieferant nicht ordnungsgemäß, d.h. den Zielen und Vorschriften des EnWG entsprechend, ausüben.
188(1) Die von der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin begangenen Vertragspflichtverletzungen weisen den erforderlichen spezifisch energierechtlichen Bezug auf.
189(a) Für die Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Bilanzkreisbewirtschaftung folgt dies für den Gasbereich daraus, dass die Bilanzkreisverträge letztlich der Umsetzung der den Marktgebietsverantwortlichen obliegenden Pflichten aus § 20 Abs. 1b EnWG i.V.m. § 8 Abs. 6 GasNZV zur Abwicklung netzübergreifender Transporte zwecks transparenten, diskriminierungsfreien, effizienten und massengeschäftstauglichen Netzzugangs zu angemessenen Bedingungen dienen. Dies gilt auch im Strombereich (§ 20 Abs. 1a EnWG i.V.m. § 26 StromNZV).
190(b) Der erforderliche spezifisch energierechtliche Bezug liegt auch mit Blick auf die fristlosen Kündigungen der Energielieferverträge vor.
191Zwar richtet sich deren Rechtmäßigkeit nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorgaben der §§ 313 und 314 BGB. Ausreichend für die Annahme eines energierechtlichen Bezugs ist aber, dass die Beendigung von Energielieferverträgen gegenüber Letztverbrauchern durch Kündigung in den Vorschriften des 4. Teils des EnWG (§§ 36 bis 42b EnWG), die in Umsetzung der Zielvorgaben des § 1 Abs. 1 EnWG Regelungen zu Energielieferverträgen mit Letztverbrauchern treffen, eine energiespezifische Ausgestaltung erfahren hat. § 41 EnWG enthält zwingende Vorgaben für Energielieferverträge mit Letztverbrauchern, die einheitlich für Verträge außerhalb und innerhalb der Grundversorgung gelten und zu denen Vorgaben zum konkreten Inhalt der Verträge und zu den diesbezüglichen Informationspflichten des Energielieferanten, insbesondere zu Kündigungsterminen und Kündigungsfristen, zählen (§ 41 Abs. 1, Abs. 4 EnWG) § 41b Abs. 1 Satz 1 EnWG sieht ein Textformerfordernis für Energielieferverträge mit Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung und deren Kündigung durch den Energielieferanten vor. Die Vorgaben, die die allgemeinen zivilrechtlichen Vorgaben ergänzen, denen Energielieferverträge unterworfen sind, dienen dabei jeweils dem Schutz von Haushaltskunden (BT-Drs. 19/27453, S. 125 f.). Wenn der Gesetzgeber dem erhöhten Schutzbedürfnis der Haushaltskunden im Zusammenhang mit der Kündigung des Vertrags durch den Energielieferanten durch besondere Informationspflichten über Kündigungsmodalitäten und Formvorgaben Rechnung trägt, so erstreckt sich dieses Schutzbedürfnis naturgemäß auch auf die Einhaltung der ergänzend hinzuzuziehenden (Mindest-)Vorgaben des allgemeinen Zivilrechts. Nicht nur die Verletzung solcher Informationspflichten und Formvorgaben läuft dann dem Gebot der verbraucherfreundlichen Versorgung mit Energie zuwider, sondern bereits die rechtswidrige Kündigung an sich.
192(2) Die von der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin ausgesprochenen rechtswidrigen, rückwirkenden Kündigungen stellen ein in hohem Maße verbraucherunfreundliches Verhalten dar, das der Zielsetzung des § 1 Abs. 1 EnWG zuwiderläuft.
193Haushaltskunden haben in erster Linie ein Interesse daran, dass ein Energielieferant die ihnen gegenüber übernommene primäre Vertragspflicht, die Lieferpflicht, ordnungsgemäß erfüllt. Hiergegen verstößt die fristlose Kündigung eines Energieliefervertrags ohne rechtlichen Grund. Die Beschwerdeführerin kann sich demgegenüber nicht erfolgreich darauf berufen, durch ihre Vorgehensweise trotz ihres vertragswidrigen Vorgehens ausnahmsweise den Interessen ihrer Haushaltskunden gedient zu haben, sich also gleichwohl verbraucherfreundlich verhalten zu haben. Ihre Argumentation, dass sie hierdurch eine Insolvenz vermieden und damit eine ordentliche Abwicklung der Kundenverhältnisse ermöglicht hätte, überzeugt nicht. Dies gilt unabhängig davon, dass die Beschwerdeführerin schon nicht substantiiert dargetan hat, dass eine solche Gefahr konkret bestanden hat und ihr insbesondere nicht – als milderes Mittel zur Weiterführung ihrer Geschäfte – vertragsgemäße Preisanpassungen möglich gewesen wären.
194(a) Die Auswirkungen der fristlosen, rückwirkenden Kündigung waren für die betroffenen Kunden erheblich nachteilig.
195(aa) Die Bundesnetzagentur hat in der angefochtenen Untersagungsverfügung (dort S. 29) zu Recht darauf verwiesen, dass die Kunden im Zeitraum der unangekündigten Einstellung der vertraglich vereinbarten Leistung der Energielieferung bis zum Zugang des Kündigungsschreibens diese weder erkennen noch ihr entgegenwirken konnten. Weder kannten sie den Preis der von ihnen in Anspruch genommenen Energie noch den Anbieter der Ersatzversorgung. Zudem ist davon auszugehen, dass sie für die Ersatzversorgung einen deutlich höheren als den mit der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft vereinbarten Preis zahlen mussten. Dies folgt daraus, dass das Preisniveau der Ersatz- bzw. Grundversorgung üblicherweise höher liegt als das bei Sonderverträgen. Dies ist den Senatsmitgliedern nicht zuletzt aus der regelmäßigen Nutzung von Energiepreisvergleichsportalen bekannt und wird zudem durch die von der Bundesnetzagentur als Anlage 10 zur Duplik vorgelegten Übersicht zu den durchschnittlichen Preisen der Grundversorgung gegenüber den durchschnittlichen Preisen für Sonderverträge für einen Musterhaushalt mit einem Verbrauch von 20.000 kW bestätigt. Zwar mag es im Zuge der Gaskrise infolge des erhöhten Absicherungsbedürfnisses für die Anbieter von Sonderverträgen hiervon zu Abweichungen gekommen und die Ersatzversorgung im Einzelfall günstiger gewesen sein. Dies gilt indes nicht für den hier streitgegenständlichen Zeitraum. Die wirtschaftliche Mehrbelastung der Kunden wird nicht dadurch nivelliert, dass wegen der rechtsgrundlosen fristlosen Kündigung Schadensersatzansprüche gegen die Beschwerdeführerin bzw. ihre Schwestergesellschaft in Höhe der entstandenen Mehrkosten in Betracht kommen. Denn diese setzen eine eigeninitiative Geltendmachung gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner voraus, die mit einem Aufwand verbunden ist, den viele Kunden, sofern sie überhaupt von den in Betracht kommenden Ansprüchen erfahren, nicht auf sich nehmen. Dies wird eindrücklich durch den Streitfall illustriert. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Bundesnetzagentur in der Beschwerdeerwiderung, die auf eine Auskunft der Schlichtungsstelle Energie e.V. und der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. verweist, sind zwischen … und … nur etwa … Beschwerden bzw. Schlichtungsanträge wegen der fristlosen Kündigung der Gaslieferverträge durch die Beschwerdeführerin eingegangen, was lediglich … % der ca. … Gaskunden der Beschwerdeführerin entspricht. Selbst wenn man annimmt, dass sich noch weitere Kunden angesichts der … zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen entscheiden werden, wird aller Voraussicht nach nur ein … Anteil der Kunden Schadensersatzansprüche geltend machen.
196(bb) Hinzu tritt, dass die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin durch ihre Vorgehensweise die durch den starken Anstieg der Bezugspreise für Gas und Strom bedingte wirtschaftliche Belastung, in der sich ein grundsätzlich von ihr übernommenes und durch ihr Geschäftsmodell erhöhtes Risiko realisiert hat, auf die Grundversorger verlagert, die gesetzlich nach § 38 Abs. 1 Satz 3 EnWG verpflichtet waren, die von der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin fristlos gekündigten … Kunden kurzfristig im Rahmen der Ersatzversorgung zu den stark gestiegenen Preisen mit Energie zu versorgen. Die hierdurch entstandenen Mehrkosten, die die Beschwerdeführerin bzw. ihre Schwestergesellschaft hätten tragen müssen, waren damit in vielen Fällen – schon wegen der großen Zahl der betroffenen Kunden – letztlich von den Kunden des Grundversorgers zu tragen. Diesbezüglich kann auf die Begründung des Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung vom 19.07.2022 (BT-Drs. 20/1599, S. 2) verwiesen werden, in der der Gesetzgeber zusammenfassend darstellt, dass infolge der in den letzten Monaten stark gestiegenen Energiepreise auf den Großhandelsmärkten einzelne Energielieferanten die Energieversorgung ihrer Kunden kurzfristig eingestellt hätten. Davon betroffene Kunden seien in die vertragliche Grundversorgung oder das gesetzliche Schuldverhältnis der Ersatzversorgung gefallen und würden weiter mit Energie versorgt, was abhängig von der Anzahl kurzfristig neu zu versorgender Kunden und der Höhe der bereits beschafften Energiemengen dazu geführt habe, dass Grundversorger dafür zusätzliche Mengen am Großhandelsmarkt zu den jeweils geltenden Preisen eingekauft und infolge gestiegener Beschaffungskosten ihre Endkundenpreise erhöht bzw. unterschiedliche Grundversorgungspreise für Alt- und Neukunden eingeführt hätten. Der Gesetzgeber nimmt insoweit erkennbar (auch) auf die von der Beschwerdeführerin und ihrer Schwestergesellschaft ausgesprochenen Kündigungen Bezug, die schon wegen der … Anzahl betroffener Kunden für erhebliche Aufmerksamkeit gesorgt hatten.
197Auch diese Auswirkungen sind erkennbar verbraucherfeindlich. Dies ist auch zu Lasten der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen, da ihre Geschäftsleitung infolge der Verpflichtung, zu einer verbraucherfreundlichen Versorgung der Allgemeinheit mit Energie beizutragen, nicht nur die Interessen ihrer eigenen Kunden in den Blick nehmen durfte.
198(b) Demgegenüber wiegen die Vorteile, die die Kunden aus einer Abwendung einer Insolvenz der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Schwestergesellschaft erlangt hätten, deren Eintritt ohnehin ungewiss gewesen wäre, keinesfalls schwerer. Ihre Weiterversorgung mit Gas bzw. Strom wäre im Rahmen der Ersatz- bzw. Grundversorgung gewährleistet gewesen. Allenfalls hätte sich die Abwicklung der Vertragsverhältnisse im Zuge eines Insolvenzverfahrens langwieriger darstellen können und wäre die Wahrscheinlichkeit, ein unter Berücksichtigung der erbrachten Abschlagszahlungen noch bestehendes Guthaben vollständig ausgezahlt zu bekommen, geringer als bei einer Vertragsabwicklung außerhalb einer Insolvenz.
199Vor allem aber hat die Bundesnetzagentur in diesem Zusammenhang zu Recht darauf verwiesen, dass das Insolvenzrecht einen Mechanismus darstellt, um widerstreitende Interessen im Falle einer Zahlungsunfähigkeit einer Partei in einen ausgewogenen Ausgleich zu bringen. Ein „Wahlrecht“ für oder gegen eine Insolvenz ist im Insolvenzrecht nicht vorgesehen, so dass die Absicht, ein Insolvenzverfahren zu vermeiden, keine Vertragspflichtverletzungen, wie rechtswidrige, rückwirkend ausgesprochene Massenkündigungen, legitimieren kann.
200(3) Gleichzeitig hat die Geschäftsleitung durch ihr Verhalten im … auch die Sicherheit der Energieversorgung als weitere Zielsetzung des § 1 Abs. 1 EnWG verletzt.
201Indem die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin THE bzw. Amprion am … bzw. … mitgeteilt hat, …, hat sie entgegen der gesetzlichen Zielsetzung der sicheren Energieversorgung i.S.d. § 1 Abs. 1 EnWG, der die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung von Bilanzkreisen dient, gehandelt. Das Kriterium der Energiesicherheit umfasst auch die Versorgungssicherheit im Sinne einer stets ausreichenden und ununterbrochenen Befriedigung der Nachfrage nach Energie (Säcker in: BerlK-EnR, 4. Aufl. 2019, § 1 EnWG Rn. 5 ff; Hellermann/Hermes in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, EnWG, 4. Aufl. 2023, § 1 Rn. 33; Theobald in: Theobald/Kühling, Energierecht, 126. EL Juli 2024, § 1 EnWG Rn. 17). Durch die kurzfristige Einstellung der Belieferung … ist dieser Zweck jedenfalls potentiell gefährdet. Zwar existieren innerhalb des komplexen Energieversorgungssystems mehrere Sicherungsmechanismen, die verhindern sollen, dass sich die Nichterfüllung von Handlungspflichten durch einzelne Akteure zulasten der Versorgung der Allgemeinheit auswirkt. Diese haben auch im … gegriffen. Würden aber alle Energielieferanten, die sich in einer wirtschaftlich angespannten Situation befinden, in der sie eine Entwicklung hin zu einer Existenzgefährdung nicht ausschließen können, die Versorgung ihrer Kunden von einem auf den anderen Tag einstellen, ist nicht auszuschließen, dass es – jedenfalls in Zeiten stark steigender Energiepreise – zu erheblichen Verwerfungen in diesem komplexen Energieversorgungssystem kommt. Zudem ist es nicht die Funktion der Ersatzversorgung nach § 38 Abs. 1 EnWG als einem Übergangsverhältnis für einen vertragslosen Zustand, Kunden von Energielieferanten, die eine Geschäftsfortführung nicht für tunlich halten, „aufzufangen“ und hierdurch die Energieversorgungssicherheit für den individuellen Kunden aufrechtzuerhalten.
202(4) Der vorstehenden Einordnung als schwerwiegende Verstöße gegen die Zielsetzungen der Verbraucherfreundlichkeit und Energieversorgungssicherheit entspricht auch die Wertung, die in der durch das Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung vom 19.07.2022 (BGBl. I 2022, S. 1214) eingeführten Neuregelung von § 5 Abs. 2 und Abs. 3 EnWG zum Ausdruck kommt. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3, Abs. 3 EnWG muss ein Energielieferant nunmehr die Beendigung der Liefertätigkeit gegenüber der Bundesnetzagentur mindestens drei Monate vor dem geplanten Beendigungstermin anzeigen und zeitgleich auch die betroffenen Haushaltskunden und Netzbetreiber informieren; er darf sodann die Liefertätigkeit – außer im Insolvenzfall – nicht vor diesem Termin beenden. Dass sich der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 20/1599, S. 2) „zur Schaffung rechtlicher Klarheit“ und zu dem Zweck, der kurzfristigen Konfrontation von Kunden mit der Einstellung der Belieferung durch ihre Energielieferanten vorzubeugen, veranlasst gesehen hat, zeigt, dass auch er die Gefahren für die Erreichung der übergeordneten energiewirtschaftsrechtlichen Zielsetzungen durch die Vorgehensweise der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin im … .als einem wegen der Vielzahl betroffener Kunden besonders prominenten Fall der kurzfristigen Geschäftseinstellung buchstäblich „von einem Tag auf den anderen“ erkannt hat.
203(5) Bei der gebotenen umfassenden Würdigung des Verhaltens der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin ist das Vertrauen darin, dass diese die Gewähr für eine … und sichere Versorgung der Haushaltskunden mit Gas und Strom bietet, durch ihr Verhalten im … erschüttert.
204(a) Die darin liegende vielfache Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen durch die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin ist nach dem Vorgesagtem sowohl qualitativ als auch quantitativ als schwerwiegend einzuordnen. Dies folgt einerseits aus den aufgezeigten Folgen für die hiervon betroffenen, schutzwürdigen Haushaltskunden, andererseits aber auch aus … der betroffenen Vertragsverhältnisse, ohne dass es darauf ankäme, ob die Kündigung der Vertragsverhältnisse als natürliche Handlungseinheit i.S.d. § 52 StGB anzusehen ist. Maßgeblich ist allein die … Anzahl gleichlautender Einzelverstöße und der Umfang der dadurch geschädigten Kunden sowie die Qualität und Tragweite der Verstöße.
205Die Prognose der Unzuverlässigkeit knüpft dabei maßgeblich daran an, dass die aufgezeigten Vertragspflichtverletzungen zeigen, dass die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin der besonderen Gemeinwohlverantwortung, die ihr als Energielieferantin und damit als Energieversorgungsunternehmen im entflochtenen Energiemarkt zukommt (BT-Drs. 15/3917, S. 48; siehe auch Ludwigs in: Elspas/Graßmann/Rasbach, EnWG, 2. Aufl. 2024, § 2 Rn. 4; Säcker in: BerlK-EnR, 4. Aufl. 2019, § 2 EnWG Rn. 3 f. m.w.N.; Winkler/Kelly in: BeckOK EnWG, 12. Ed. 01.09.2024, § 2 Rn. 4), nicht gerecht geworden ist. Dieser innere Umstand ist berücksichtigungsfähig, da er sich durch das nach außen getretene Verhalten der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin manifestiert hat (vgl. zur gewerberechtlichen Untersagungsverfügung Brüning in: BeckOK GewO, 63. Ed. 01.09.2024, § 35 Rn. 20), und erschüttert das Vertrauen in ihre Zuverlässigkeit nachhaltig. Denn selbst wenn man der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin zugutehält, dass sie angenommen habe, zu einer fristlosen Kündigung der Vertragsverhältnisse mit sämtlichen Kunden unabhängig vom Bestehen eines vertraglichen oder – über § 313 BGB – gesetzlichen Preisanpassungsrechts berechtigt gewesen zu sein, so musste ihr klar sein, dass die …, ohne die Kunden hierfür informieren zu können, in mehrfacher Hinsicht grob vertragswidrig war und der ihr obliegenden Gemeinwohlverantwortung zuwiderläuft. Ihr Verhalten, sich wirtschaftlich unter Außerachtlassung grundlegender Pflichten zu optimieren, zeigt eindrücklich, dass es ihr ausschließlich um eine möglichst gewinnbringende Führung ihrer Geschäfte ging und nicht gleichzeitig und – im Konfliktfall vorrangig – um eine möglichst sichere und verbraucherfreundliche Belieferung ihrer Haushaltskunden.
206(b) Umstände, die trotz dieser Würdigung des Verhaltens der Geschäftsleitung im … gleichwohl Anlass für ein Vertrauen in deren Zuverlässigkeit begründen könnten, liegen sowohl bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung der Bundesnetzagentur als auch den – maßgeblichen – Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht vor.
207(aa) Zwar weist die Beschwerdeführerin zutreffend darauf hin, dass die typischerweise zur Überprüfung der Zuverlässigkeit herangezogenen Kriterien, die Anlass zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung geben, im Streitfall nicht vorliegen. So ist keines der Kriterien erfüllt, die Gegenstand des Muster-Anzeige-Formulars der Bundesnetzagentur waren, das sie im Anzeigeverfahren nach § 5 EnWG verwendet (Bl. 369 ff. VV). Weder hat der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin Vorstrafen, Eintragungen im Gewerbezentralregister noch liegen Steuerschulden oder eine negative Schufa-Auskunft vor. Ein Strafverfahren gegen die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin, das die Bundesnetzagentur angeregt hatte, ist von der zuständigen Staatsanwaltschaft vielmehr eingestellt worden. Die insoweit verlangten Angaben dienen jedoch lediglich als Orientierungshilfe (vgl. Wachovius in: Elspas/Graßmann/Rasbach, EnWG, 2. Aufl. 2023, § 5 Rn. 35) und sind keinesfalls abschließend. Es handelt sich also – worauf die Bundesnetzagentur in der Untersagungsverfügung (dort. S. 32) zutreffend hinweist – um gesetzlich vorgesehene Mindestanforderungen. Allein ihre Einhaltung vermag für sich betrachtet kein Vertrauen in die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin zu begründen.
208(bb) Soweit Umstände vorliegen, die eine Wiederholung des konkret vorgeworfenen Verhaltens ausschließen oder jedenfalls weniger wahrscheinlich machen, beziehen sich diese ausschließlich auf die konkreten Rechtsverstöße. Die begründete Befürchtung, dass die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin erneut – in einer anderen Sachverhaltskonstellation – eine für die Allgemeinheit schädigende Verhaltensweise zeigt, wird dadurch nicht ausgeräumt.
209Die (erstmalige) Vorlage eines geänderten Beschaffungskonzepts als Anlage BF 10 reduziert zwar die wirtschaftlichen Auswirkungen eines kurzfristig starken Anstiegs von Beschaffungspreisen auf die Beschwerdeführerin und damit die Gefahr, dass sich eine Situation, wie sie sich im Zuge der (beginnenden) Gaskrise für die Beschwerdeführerin ergeben hat, wiederholt. Allerdings knüpfen die Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Beschwerdeführerin nicht an deren damaliges Beschaffungskonzept an, sondern an der grundlegenden Missachtung der ihr als Energielieferantin obliegenden Gemeinwohlverantwortung.
210Nichts anderes gilt unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten Neuregelung des § 5 Abs. 2 und Abs. 3 EnWG (hierzu bereits unter (3)). Diese mag zwar die Wahrscheinlichkeit verringern, dass die Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin bei einer vergleichbaren Lage wie … erneut von einem auf den anderen Tag ihre Liefertätigkeit einstellt, da dies nunmehr gesetzlich explizit untersagt ist, räumt aber nicht die Befürchtung aus, dass die Geschäftsleitung künftig unter Außerachtung der ihr obliegenden Gemeinwohlverantwortung zum Zwecke der eigenen wirtschaftlichen Optimierung ihr obliegende, gewichtige energiespezifisch ausgestaltete Pflichten verletzt.
211Zudem bietet der Vortrag der Beschwerdeführerin sowohl im Verwaltungs- als auch im Beschwerdeverfahren, in dem sie das eigene Fehlverhalten und das ihrer Schwestergesellschaft für nach wie vor berechtigt erachtet, keinen Anlass für die Annahme, dass sie sich künftig ihrer Gemeinwohlverantwortung entsprechend verhalten wird. Zwar steht es der Beschwerdeführerin frei, für sie günstige Rechtsansichten zu vertreten. Gleichwohl kann die eigene Würdigung ihres vergangenen Verhaltens für die Prognose relevant sein, ob die vom Senat festgestellten vergangenen Rechtsverstöße auch für die Zukunft weitere Rechtsverletzungen befürchten lassen und aus diesem Grund die Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung nicht gewährleistet ist. Deshalb sind die vorstehenden Überlegungen weder sachfremd noch dienen sie einer unzulässigen „Bestrafung“ des vergangenen Verhaltens der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin.
212(cc) Vor diesem Hintergrund ermöglicht auch das Verhalten der Beschwerdeführerin nach Geschäftseinstellung, namentlich die von ihr vorgetragene Endabrechnungsabwicklung, die Auszahlung von Restguthaben und die Entschädigungsquote, keine positive Prognoseentscheidung. Daraus, dass sich die Beschwerdeführerin nunmehr im Rahmen der Abwicklung der in rechtswidriger Weise beendeten Kundenverhältnisse rechtskonform verhält, lässt sich – auch in Verbindung mit ihrer unstreitig zuverlässigen Geschäftsleitung im Zeitraum bis zu den Geschehnissen im … – nicht schließen, dass sich die Geschäftsleitung nunmehr ihrer spezifischen Pflichtenstellung als Energielieferant bewusst wäre und zukünftig danach handeln wird.
213(6) Schließlich sind künftige Verstöße auch hinreichend wahrscheinlich, was für eine Untersagungsverfügung unter Berücksichtigung des auf den Schutz der Haushaltskunden ausgerichteten Sinn und Zwecks des § 5 Abs. 5 EnWG für eine Untersagungsverfügung erforderlich ist (vgl. zur gewerberechtlichen Untersagungsverfügung Brüning in: BeckOK GewO, 63. Ed. 01.09.2024, § 35 Rn. 20 m.w.N.).
214Dies setzt nicht voraus, dass der Eintritt einer Schädigung gewiss ist oder unmittelbar bevorsteht. Für die Annahme der Unzuverlässigkeit genügt es vielmehr, wenn bei der künftigen Ausübung der Tätigkeit als Energielieferant irgendwann in überschaubarer Zukunft mit einer Gefährdung oder Schädigung von Rechtsgütern hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden muss. Im Rahmen der Zuverlässigkeitsprognose sind – wie allgemein bei der Gefahrenprognose im Ordnungsrecht – an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (zum differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstab i.E. BVerwG, Urt. v. 26.06.1970 – IV C 99/67, NJW 1970, 1890, 1891; VGH Mannheim, Beschl. v. 26.07.1993 – 14 S 1311/93 NVwZ-RR 1994, 20 m.w.N.).
215Hier ist der drohende Schaden erheblich, da er gewichtige Rechtsgüter betrifft. Die verbraucherfreundliche und sichere Energieversorgung stellt einen allgemeinen Gesetzeszweck i.S.d. § 1 Abs. 1 EnWG dar. Dass es sich hierbei um besonders bedeutsame Gemeinwohlzwecke handelt, folgt schon aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die die Energieversorgung der öffentlichen Daseinsvorsorge zuordnet, da sie zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich ist (BVerfG, Beschl. v. 20.03.1984 – 1 BvL 28/82, NJW 1984, 1872; Beschl. v. 16.05.1989 – 1 BvR 705/88, NJW 1990, 1783).
216Ein Schadenseintritt ist deshalb nur dann nicht hinreichend wahrscheinlich, wenn er tatsächlich ausgeschlossen werden kann. Dies ist aber nicht der Fall, weil eine Vielzahl von Situationen denkbar ist, in denen die wirtschaftlichen Interessen der Beschwerdeführerin in einen Konflikt mit ihrer Gemeinwohlverantwortung treten, ohne dass hierfür zwingend zu verlangen wäre, dass die Auswirkungen so gravierend sind wie im … . Deshalb führt der Umstand, dass sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Situation wie im … wiederholt, durch das geänderte Beschaffungskonzept der Beschwerdeführerin sowie die zwischenzeitlich erfolgten gesetzlichen Neuregelungen reduziert hat, nicht dazu, dass die Befürchtung, es werde zukünftig zu Schäden für Haushaltskunden kommen, ausgeräumt wäre.
217(7) Auf die Verstöße der Geschäftsleitung gegen die handelsrechtlichen Vorschriften kommt es nach alledem nicht maßgeblich an. Hiervon ist auch die Bundesnetzagentur in der Untersagungsverfügung ausgegangen, die die Annahme der fehlenden Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung ausschließlich mit deren vertraglichen Pflichtverletzungen begründet (dort S. 31 f.).
218c) Die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung nicht zu beanstandende Würdigung der Bundesnetzagentur, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht gewährleistet ist, lässt sich unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren weiter vorgelegten Unterlagen, konkret des nunmehr testierten Jahresabschlusses 2022, nicht aufrechterhalten, so dass die auch auf die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin gestützte Untersagungsverfügung materiell rechtswidrig geworden ist.
219aa) Die Bundesnetzagentur ist in der angefochtenen Untersagungsverfügung allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass angesichts der von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen eine belastbare Prüfung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nicht möglich und deshalb zu deren Lasten davon auszugehen war, dass die erforderliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht gewährleistet ist.
220(1) Es ist zunächst nicht zu beanstanden, dass die Bundesnetzagentur nach Amtsermittlung und Anhörung der Beschwerdeführerin noch verbleibende Zweifel an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu deren Lasten berücksichtigt.
221Für das Vorliegen der in § 5 Abs. 5 Satz 1 EnWG normierten Untersagungsgründe ist zwar grundsätzlich die Bundesnetzagentur darlegungs- und beweisbelastet.
222Etwas anderes folgt entgegen der von der Bundesnetzagentur vertretenen Ansicht nicht daraus, dass nach § 5 Abs. 4 Satz 1 EnWG mit der Anzeige der Aufnahme der Tätigkeit als Energielieferant das Vorliegen der personellen, technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie der Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung darzulegen ist. Die Untersagungsverfügung nach § 5 Abs. 5 EnWG stellt eine spezialgesetzliche Eingriffsermächtigung dar, die unabhängig von dem in den vorangehenden Paragraphen geregelten Anzeigeverfahren besteht. Wie bei dem in § 4 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EnWG geregelten Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, bei dem die Behörde grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Versagungsgründe trägt, weil die Erlaubnis nur bei Vorliegen eines der gesetzlich normierten Gründe versagt werden darf (Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 5. Aufl. 2021, § 3 EnWG Rn. 19 m.w.N.), muss die Bundesnetzagentur auch im Rahmen des § 5 Abs. 5 Satz 1 EnWG die Untersagungsgründe grundsätzlich darlegen und beweisen.
223Für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Energielieferanten gilt dies aber nur eingeschränkt: Da sich diese nur aus in seiner betrieblichen Sphäre liegenden Umständen ergeben kann, wird die grundsätzliche Beweislastverteilung nach zutreffender Ansicht in der Literatur unter dem Gesichtspunkt der Zuordnung nach Verfügungs- und Verantwortungssphären modifiziert und obliegt es dem Energielieferanten, im Rahmen seiner gesetzlichen Mitwirkungslasten nach § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwVfG deren Vorliegen darzutun (vgl. zu § 4 EnWG Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, § 3 Rn. 19; Hermes in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 3. Aufl. 2023, § 4 Rn. 34; Kment in: Kment, EnWG, 3. Aufl. 2024, § 4 Rn. 10). Es kommt insoweit zwar nicht zu einer vollständigen Beweislastumkehr zulasten des Energielieferanten, d.h. die Bundesnetzagentur ist nicht von ihrer Amtsermittlungspflicht entbunden. Wenn aber ausreichende Feststellungen nicht möglich sind, beurteilt sich die Frage, zu welchen Lasten die Nichterweislichkeit geht, nach der materiellen Beweislast, die es von ihren Zielvorstellungen her rechtfertigt, Ungewissheiten und Unklarheiten bei der Beweislastentscheidung zum Nachteil desjenigen ausgehen zu lassen, in dessen Verantwortungs- und Verfügungssphäre diese fallen (etwa BVerwG, Urt. v. 30.03.1978 – 5 C 20/76, NJW 1978, 2047, 2049; Schneider in: Schoch/Schneider, VwVfG, 5. EL Juli 2024, § 26 Rn. 36; Kallerhoff/Fellenberg in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 24 Rn. 28; jeweils m.w.N.).
224Danach hat die Beweislastentscheidung zulasten des Energielieferanten auszufallen, wenn die Bundesnetzagentur ihrer eigenen Amtsermittlungspflicht im Rahmen des § 68 Abs. 1 EnWG genügt, indem sie die ihr bzw. allgemein zugänglichen Informationsquellen, z.B. öffentliche Register, ausschöpft, und dem Energielieferanten gleichzeitig Gelegenheit zur Wahrnehmung seiner Mitwirkungslast nach § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwVfG gibt, ohne dass dieser ihr im erforderlichen Umfang nachkommt. Die Anhörung des Energielieferanten gemäß § 67 Abs. 1 EnWG trägt insoweit zur Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen bei (Senat, Beschl. v. 02.12.2020 – VI-3 Kart 177/20 [V], BeckRS 2020, 38567 Rn. 72). Eines Auskunftsverlangens im förmlichen Verfahren nach § 69 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnWG bedarf es hierfür nicht. Es ist in das Ermessen der Bundesnetzagentur gestellt, ob sie von den dort normierten besonderen Ermittlungsbefugnissen Gebrauch macht, da die Anhörung nach § 67 EnWG dem Beteiligten in vergleichbarer Weise die Möglichkeit eröffnet, der ihm obliegenden Mitwirkungslast vollumfänglich nachzukommen. Ein Vorrang der besonderen Ermittlungsbefugnisse gegenüber der Anhörung zur Sachverhaltsaufklärung ist gesetzlich nicht vorgesehen, so dass der mitwirkungsbelastete betroffene Energielieferant nicht geltend machen kann, seiner Mitwirkungslast erst bei Ausübung von Ermittlungsbefugnissen nach § 69 EnWG nachkommen zu müssen.
225(2) Hiernach ist die Bundesnetzagentur zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung zu Recht davon ausgegangen, dass die Zweifel an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Allgemeinen und wegen der bestehenden Schadensersatzansprüche von Kunden im Besonderen nicht vollständig ausgeräumt werden konnten.
226(a) Die finanzielle Leistungsfähigkeit ist gegeben, wenn das Energieversorgungsunternehmen über genügend Eigen- und Fremdkapital verfügt, um seine Verbindlichkeiten gegenüber Energieerzeugern und Netzbetreibern zu begleichen, und damit die Belieferung der Haushaltskunden gewährleisten kann (Säcker in: BerlK-EnR, 4. Aufl. 2019, § 5 EnWG Rn. 42; Assmann in: BeckOK EnWG, 12. Ed. 01.09.2024, § 5 Rn. 48; Rauch, IR 2011, 26, 27, vgl. auch Bundesnetzagentur, Beschl. v. 26.06.2007 – BK6-07-008, S. 12 „Pennystrom“: „Ein Energieversorgungsunternehmen ist [...] als wirtschaftlich leistungsfähig einzustufen, wenn es über ausreichend finanzielle Ressourcen verfügt, um seinen eingegangenen und einzugehenden vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen.“). Allerdings ist bezüglich der konkreten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen, dass zur Ausübung einer reinen Vertriebstätigkeit i.S.d. § 5 Satz 1 EnWG weder eine bestimmte technische Ausstattung erforderlich ist noch ein dem Netzbetrieb vergleichbar hoher Kapitalbedarf für die Aufnahme der Tätigkeit besteht; die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit zur Energiebelieferung sind dementsprechend geringer (Säcker in: BerlK-EnR, a.a.O.).
227Für die Frage, wann genügend Eigen- und Fremdkapital für die genannten Zwecke zur Verfügung steht, und in welcher Weise dies nachzuweisen ist, kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an.
228Dass sich hierzu bereits eine etablierte Verwaltungspraxis herausgebildet hätte, ist nicht anzunehmen. Die bereits im Jahr 2007 durch die Bundesnetzagentur (Beschl. v. 26.06.2007 – BK 6-07-008 „Pennystrom“) erlassene Untersagungsverfügung führt die Voraussetzungen auf, die von einem am Beginn seiner Geschäftstätigkeit stehenden Energieversorgungsunternehmen zu erfüllen sind und ist schon deshalb auf die langjährig am Markt tätige Beschwerdeführerin nicht übertragbar. Dies gilt namentlich für den Umstand, dass die Bundesnetzagentur in dieser Entscheidung maßgeblich auf betriebswirtschaftliche und branchenabhängige Liquiditätskennzahlen abgestellt hat. Es ist auch nicht ersichtlich, dass angesichts der geringen Anzahl von Verfahren zur Untersagung der Tätigkeit als Energielieferant hierzu – unveröffentlichte und von der Bundesnetzagentur selbst nicht in Bezug genommene – Verwaltungsvorschriften existieren, so dass auch insoweit kein Anlass für die von der Beschwerdeführerin angeregte Sachverhaltsaufklärung durch den Senat bestand.
229Im Streitfall kommt es für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin vielmehr insbesondere darauf an, dass sichergestellt ist, dass ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, um Schadensersatzansprüche von durch die fristlosen Kündigungen im … betroffenen Kunden zu befriedigen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin eine Insolvenz bei einer Weiterführung des Geschäftsbetriebs im … nicht hätte ausgeschlossen werden können, so dass den Folgen kurzfristig stark steigender Beschaffungspreise auf den Geschäftsbetrieb der Beschwerdeführerin ebenfalls besondere Aufmerksamkeit zu schenken war.
230(b) Die Bundesnetzagentur hat bereits in ihrem Anhörungsschreiben vom 06.04.2023 explizit auf die bereits anhängigen und die noch drohende Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch Kunden verwiesen und Gelegenheit gegeben, Nachweise beizubringen, aus denen sich unter anderem ergibt, inwieweit das Unternehmen über Rückstellungen für zukünftig noch zu bedienende Ansprüche verfügt. Sie hat in diesem Zusammenhang bereits konkret darauf verwiesen, es sei unklar, ob das angezeigte Eigenkapital von … Euro für die angemeldeten und zukünftigen Ansprüche ausreiche. In ihrer Stellungnahme vom 25.04.2023 hat die Beschwerdeführerin sodann ausschließlich auf Liquiditätskennzahlen und die ihrer Ansicht nach fehlende Berechtigung von Schadensersatzansprüchen verwiesen, ohne weitere Nachweise vorzulegen, weshalb die Bundesnetzagentur mit dem weiteren Anhörungsschreiben vom 19.05.2023 unter anderem Nachweise zu dem konkret durch Angabe von Seitenzahlen in Bezug genommenen allgemeinen Vortrag zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angefordert hat. Weiter heißt es: „Bitte legen Sie dar, inwieweit Rückstellungen für die Schadensersatzforderungen der Haushaltskunden gebildet wurden. Belegen Sie etwaige Rückstellungen durch geeignete Nachweise und fügen Sie bitte die Berechnungsgrundlage bei“. Nachdem innerhalb der gesetzten Frist keine Stellungnahme erfolgt war, hat die Bundesnetzagentur sie mit weiterem Schreiben vom 07.06.2023 letztmalig unter Fristsetzung dazu aufgefordert, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch Vorlage geeigneter Unterlagen wie des in § 5 Abs. 4 EnWG genannten Jahresabschlusses und, sofern der Abschluss von einem Abschlussprüfer geprüft worden ist, des Prüfungsberichts sowie des Bestätigungsvermerks oder Versagungsvermerks des Abschlussprüfers zu belegen. Vorsorglich hat sie darauf hingewiesen, dass die Beschlusskammer die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als nicht gewährleistet ansehe, wenn aussagekräftige Unterlagen in der gesetzten Frist nicht eingingen. Daraufhin hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 19.06.2023 fristgerecht neben den Liquiditätskennzahlen unter anderem eine Darstellung, wie sie die Höhe der zum … gebildeten Rückstellungen in Höhe von … Euro ermittelt hat, sowie einen vorläufigen Jahresabschluss für das Jahr 2022 (Bilanz und GuV) vorgelegt. Aus der Bilanz ergeben sich dabei die vorgetragenen Rückstellungen, aus der GuV ein Ergebnis nach Steuern von … Euro, das vollständig einer Gewinnabführung unterliegt. Die Bundesnetzagentur hatte den weitergehenden Fristverlängerungsantrag der Beschwerdeführerin, der unter anderem damit begründet war, dass die gewünschten Unterlagen vom Steuerbüro und nachfolgend beauftragten Wirtschaftsprüfer nicht vor August 2023 bereitgestellt werden könnten, zurückgewiesen.
231(c) Die in der Anlage 1 zum Schreiben vom 19.06.2023 vorgetragenen Liquiditätskennzahlen wecken – unstreitig – keinen Zweifel an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sie weisen vielmehr eine überdurchschnittliche Liquiditätsausstattung aus. Wegen der aufgezeigten Besonderheiten des Einzelfalls begründen sie aber noch nicht die Annahme, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, insbesondere unter Berücksichtigung der Schadensersatzforderungen von Kunden, sei gewährleistet.
232(d) Auch die weiter zum Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Verwaltungsverfahren vorgelegte Darstellung der Ermittlung der Höhe der zu bildenden Rückstellungen für Schadensersatzansprüche von Kunden und der vorgelegte ungeprüfte, vorläufige Jahresabschluss für das Jahr 2022 reichen für eine solche Annahme nicht aus.
233(aa) Zwar hat die Bundesnetzagentur keine Einwendungen gegen die Ermittlung der Höhe der zu bildenden Rückstellungen erhoben und sind diese in sich schlüssig. Es ist aber erkennbar unzureichend, als einzigen Nachweis für die finanzielle Ausstattung einen einzelnen ungeprüften Jahresabschluss betreffend die Beschwerdeführerin vorzulegen. Insoweit hat die Bundesnetzagentur insbesondere moniert, dass die Mutter- bzw. Konzern-Muttergesellschaft der Beschwerdeführerin zur Aufstellung und Prüfung eines konsolidierten Jahresabschlusses verpflichtet sei und die testierten Jahresabschlüsse der Vorjahre bzw. des Jahres 2021, auf dem der des Jahres 2022 aufsetze, nicht vorgelegen hätten und auch nicht veröffentlicht seien, anhand derer Rückstellungen objektiv und unabhängig hätten geprüft werden können.
234(bb) Der Einwand der Beschwerdeführerin, es sei unklar gewesen, welche konkreten Nachweise vorzulegen gewesen seien, hat keinen Erfolg, da nicht ersichtlich ist, dass sie ihrer Mitwirkungslast nicht angemessen hätte nachkommen können.
235Es begegnet grundsätzlich keinen Bedenken, wenn die Bundesnetzagentur die Auswahl der geeigneten Nachweise der insoweit gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 VwVfG mit einer Mitwirkungslast belasteten Beschwerdeführerin überlässt. Maßgeblich ist allein, ob für die Beschwerdeführerin im Rahmen der durchgeführten Anhörung erkennbar war, welcher Vortrag zu den aus ihrer betrieblichen Sphäre stammenden Umständen erforderlich war und welche Nachweise hierfür in Betracht kommen. Dies ist hier der Fall, da aus den Anhörungsschreiben, spätestens dem konkret an den Sachvortrag der Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 25.04.2023 anknüpfenden Schreiben vom 19.05.2023, hinreichend deutlich hervorgegangen ist, dass sowohl der Vortrag zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit allgemein als auch zur Bildung von Rückstellungen in einer darzulegenden angemessenen Höhe nachzuweisen ist. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass seitens der Beschwerdeführerin Unklarheit darüber bestanden hätte, welche Nachweise hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beizubringen gewesen wären, da sie diesbezüglich keinerlei Nachfragen im Verwaltungsverfahren gestellt hat.
236(cc) Auch der Einwand der Beschwerdeführerin, die Bundesnetzagentur hätte den vorgelegten vorläufigen Jahresabschluss 2022 selbst, etwa durch Hinzuziehung eines Wirtschaftsprüfers, prüfen lassen können, verfängt nicht. Zum einen waren hierdurch erkennbar keine weiteren Erkenntnisse im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Situation der Beschwerdeführerin gerade im Verhältnis zur Mutter- und Konzern-Muttergesellschaft, mit denen Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge bestanden und die potentielle Finanzzusagen erteilt hatten, zu gewinnen. Die bestehenden Zweifel wären also nicht vollständig ausgeräumt worden. Auch begrenzt eine unterbliebene mögliche und zumutbare Mitwirkung die Amtsermittlungspflicht der Behörde insofern, als dass diese regelmäßig nicht verpflichtet ist, alle erdenklichen anderen Erkenntnisquellen auszuschöpfen (Elspas/Heinichen in: Elspas/Graßmann/Rasbach, EnWG, 3. Aufl. 2024, § 68 Rn. 6; Burmeister in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, EnWG, 4. Aufl. 2023, § 68 Rn. 8). Zudem wird die Amtsermittlungspflicht durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt, so dass unter sachgerechtem und rationellem Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel diejenigen Maßnahmen zu treffen sind, die der Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können (Senat, Beschl. v. 02.12.2020 – VI-3 Kart 177/20 [V], BeckRS 2020, 38567 Rn. 75; Beschl. v. 06.06.2012 – VI-3 Kart 269/07 [V], juris Rn. 34). Hier erscheint es erkennbar unverhältnismäßig, eine externe Prüfung des Jahresabschlusses durchzuführen, zumal die Beschwerdeführerin die Belastbarkeit des Jahresabschlusses, wenn schon aus zeitlichen Gründen nicht durch ein Testat, so jedenfalls durch die Vorlage der testierten Jahresabschlüsse der Vorjahre hätte sicherstellen können.
237(3) Unter Berücksichtigung des nunmehr vorgelegten testierten Jahresabschlusses für das Jahr 2022 ist allerdings für den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine andere Beurteilung gerechtfertigt. Die Bundesnetzagentur kann nicht länger davon ausgehen, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht gewährleistet ist.
238Wie bereits ausgeführt, sind die Überlegungen zur Höhe etwaiger Schadensersatzansprüche plausibel, so dass die gebildeten Rückstellungen in Höhe von … Euro ausreichend sein dürften. Die Beschwerdeführerin hatte zuletzt darauf hingewiesen, … . Der Streitwert der von der … geführten Klage (…) liegt bei … Euro. Angesichts des Umstands, dass bislang weniger als … % der Kunden Schadensersatzansprüche geltend gemacht haben, ist bei der gebotenen realistischen Betrachtung auch nicht mehr mit einer sehr starken Welle geltend gemachter Ansprüche vor Eintritt der Verjährung … zu rechnen.
239Auf die von ihr angekündigte Prüfung des testierten Jahresabschlusses für das Jahr 2022 hat die Bundesnetzagentur keine Einwendungen mehr erhoben, so dass sie selbst die Belastbarkeit der hierin testierten Angaben nicht mehr in Zweifel zieht. Damit ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin nunmehr – anders als noch im Zeitpunkt der Behördenentscheidung – im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat hinreichend dargetan.
2402. Auch die Ermessensentscheidung der Bundesnetzagentur, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung fehlerfrei gewesen ist, ist unter Berücksichtigung der weiteren tatsächlichen Entwicklungen im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr tragfähig.
241a) Den Umfang der gerichtlichen Ermessenskontrolle regelt § 83 Abs. 5 EnWG. Danach ist für die Reichweite der gerichtlichen Kontrolle auf die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätze (§ 40 VwVfG, § 114 VwGO) zurückzugreifen, so dass eine Ermessensentscheidung gerichtlich nur daraufhin überprüfbar ist, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten (Ermessensüberschreitung), ihr Ermessen überhaupt nicht ausgeübt (Ermessensnichtgebrauch) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Ermessensfehlgebrauch; BGH, Beschl. v. 03.06.2014 – EnVR 10/13, RdE 2015, 29 Rn. 15 – Stromnetz Homberg; Beschl. v. 23. 01. 2018 − EnVR 5/17, EnWZ 2018, 123 Rn. 25 – Stadtwerke Wedel GmbH; Senat, Beschl. v. 17.2.2016 – VI-3 Kart 134/12 [V], BeckRS 2016, 8116 Rn. 65).
242b) Ein Ermessensnichtgebrauch bzw. -ausfall ist nicht festzustellen.
243Ein solcher liegt vor, wenn die Behörde das ihr zustehende Ermessen gar nicht ausübt, etwa weil sie nicht erkennt, dass ihr überhaupt ein Ermessen zusteht oder weil sie es absichtlich unterlässt; erkennt die Behörde dagegen, dass ihr Ermessen zusteht und geht nicht von einer gebundenen Entscheidung aus, liegt kein Ermessensausfall vor Senat, Beschl. v. 09.03.2016 – VI-3 Kart 157/14 [V], BeckRS 2016, 7425 Rn. 36).
244Die Bundesnetzagentur hat zunächst das ihr sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch des „Wie“ der Untersagungsverfügung zukommende Ermessen erkannt und ausgeübt. Insbesondere hat sie die ihr zustehenden Handlungsspielräume in zeitlicher Hinsicht erkannt und ausgeübt.
245In der angefochtenen Untersagungsverfügung (dort Rn. 124) heißt es:
246„Die Maßnahme ist auch erforderlich, da keine mildere Maßnahme in Betracht kommt, die denselben Erfolg mit gleicher Sicherheit erzielt. Ein wirksamer Schutz der Haushaltskunden ist nicht durch Auflagen, Teiluntersagungen oder eine Abmahnung zu erreichen. Insbesondere wäre ein Teiluntersagung der Belieferung bezogen auf neue Haushaltskunden nicht gleich erfolgreich, (…).“
247Von der Bezugnahme auf mildere Maßnahmen und insbesondere Teiluntersagungen ist eine zeitliche Befristung als ein Weniger zur vollständigen Untersagung begrifflich erfasst. Aus dem Umstand, dass die Bundesnetzagentur sodann beispielhaft („insbesondere“) lediglich den konkreten Fall einer Beschränkung der inhaltlichen Reichweite der Untersagungsverfügung näher in den Blick genommen hat, lässt sich nicht schließen, dass sie nicht auch andere Fälle, insbesondere zeitliche Beschränkungen, bedacht hätte. Da die von ihr angenommenen Zweifel an der Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin vor allem auf dem Vorwurf der fehlenden Anerkennung ihres Beitrags für die Gewährleistung der Systemstabilität bzw. Versorgungssicherheit gründen, liegt es nahe, als milderes Mittel lediglich eine inhaltliche Beschränkung der Reichweite, nicht aber eine zeitliche Beschränkung in Betracht zu ziehen.
248Soweit die Bundesnetzagentur im Beschwerdeverfahren darauf verwiesen hat, dass eine zeitliche Befristung der Untersagung bzw. die Aufnahme einer auflösenden Bedingung oder die turnusmäßige Überprüfung nicht zweckmäßig seien, weil der zeitliche Geltungsbereich der Untersagungsverfügung wegen des Eingriffs in Art. 12 GG durch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 5 EnWG begrenzt sei, zeigt dies nicht, dass sie rechtsirrig davon ausgeht, ihr diesbezüglich kein Ermessen zukommt. Vielmehr hat sie sich gerade mit der Frage der Zweckmäßigkeit solcher Maßnahmen auseinandergesetzt.
249c) Ein Ermessensfehlgebrauch ist ebenfalls nicht festzustellen.
250aa) Zunächst hat die Bundesnetzagentur ihrer Ermessensausübung einen vollständig ermittelten Sachverhalt zugrunde gelegt.
251Für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit folgt dies aus den vorstehenden Ausführungen unter 1. c).
252Auch mit Blick auf die Wiederholungsgefahr, auf deren Feststellung sich das erst im Beschwerdeverfahren vorgelegte Beschaffungskonzept auswirken kann, liegt ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vor. Es lag angesichts des Verfahrensgegenstands für die Beschwerdeführerin auf der Hand, dass Umstände, die die Gefahr einer Wiederholung der konkret von der Bundesnetzagentur beanstandeten Situation verringern, für sie entlastend wirken würden. Die Bundesnetzagentur durfte deshalb davon ausgehen, dass die Beschwerdeführerin sie insoweit entlastende Umstände von sich aus vortragen würde; Anlass für eine eigenständige Erforschung solcher Gründe bestand nicht.
253bb) Die Bundesnetzagentur hat auch nicht wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen.
254(1) Mit dem Geschäftsgebaren der Beschwerdeführerin nach Einstellung des Geschäftsbetriebs hat sich die Bundesnetzagentur zutreffend bereits im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals der fehlenden Gewährleistung der Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung auseinandergesetzt, es mithin im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung gewürdigt. Bereits aus den in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen (siehe vorstehend unter 1. b) cc) (4) (b) (cc)) folgt, dass das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht erheblich ist. Entsprechendes gilt aus den vorstehend unter 1. b) cc) (4) (b) (bb) dargestellten Gründen für die zum 29.07.2022 erfolgte Änderung von § 5 EnWG.
255(2) Nicht zu beanstanden ist zudem, dass die Bundesnetzagentur im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten der Beschwerdeführerin nur deren Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 GG, nicht aber auch den Eigentumsschutz aus Art. 14 GG berücksichtigt hat, weil letzterer im Streitfall nicht einschlägig ist.
256Die Eigentumsgarantie soll dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sichern und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens ermöglichen. Sie schützt den konkreten Bestand an vermögenswerten Gütern vor ungerechtfertigten Eingriffen durch die öffentliche Gewalt. Ob und wieweit der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb als tatsächliche Zusammenfassung der zum Vermögen eines Unternehmens gehörenden Sachen und Rechte in eigenständiger Weise von der Gewährleistung der Eigentumsgarantie erfasst wird, hat das Bundesverfassungsgericht bislang offengelassen (vgl. die Nachweise bei Papier/Shirvani in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 104. EL April 2024, Art. 14 Rn. 200, Fn. 2).
257Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Eigentumsschutz hinsichtlich des Gewerbebetriebs lediglich das Recht auf Fortsetzung des Betriebs aufgrund der schon getroffenen betrieblichen Veranstaltungen zum Gegenstand; es muss sich um einen Eingriff in bereits vorhandene, konkrete, im Rahmen des Betriebs wirkende Werte handeln (BGH, Urt. v. 14.07.1965 – III ZR 2/64, NJW 1965, 2101 m.w.N.). Dem Unternehmer wirtschaftlich günstige (rechtliche oder tatsächliche) Rahmenbedingungen sowie Umsatz- und Gewinnchancen werden unter dem Gesichtspunkt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs nicht von der Eigentumsgarantie erfasst (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 – 1 BvR 558/91 u.a., NJW 2002, 2621, 2625 – Glykolwein m.w.N.), sondern nur Eingriffe in dessen Substanz. Dies setzt voraus, dass in den Betrieb als wirtschaftlichen Organismus („Sach- und Rechtsgesamtheit“) eingegriffen und damit das ungestörte Funktionieren dieses Organismus unterbunden oder beeinträchtigt wird (st. Rspr., etwa BGH, Urt. v. 31.01.2019 – III ZR 186/17, NJW 2019, 1682 Rn. 13; Urt. v. 03.08.2023 – III ZR 54/22, NVwZ 2024, 96 Rn. 36 f.). Der Betriebsinhaber muss gehindert werden, von dem Gewerbebetrieb als der von ihm aufgebauten und aufrechterhaltenen Organisation sachlicher und persönlicher Mittel bestimmungsgemäßen Gebrauch zu machen (BGH a.a.O. m.w.N.).
258Infolge der Geschäftseinstellung „wirken“ die von der Beschwerdeführerin in Bezug genommenen immateriellen Werte wie gewerbliche Schutzrechte, Know-how und Kundendatei allerdings nicht im Betrieb. Dies folgt aus einer wertenden Betrachtung unter Einbeziehung der vom Bundesverfassungsgericht vorgenommenen Abgrenzung der Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG einerseits und Art. 12 Abs. 2 GG andererseits: Wegen der „objektbezogenen“ Gewährleistungsfunktion schützt Art. 14 Abs. 1 GG nur Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, insbesondere schützt er keine Chancen und Verdienstmöglichkeiten; Art. 14 Abs. 1 GG schützt – anders ausgedrückt – das Erworbene, das Ergebnis der Betätigung, Art. 12 Abs. 1 GG dagegen den Erwerb, die Betätigung selbst. Greift somit ein Akt der öffentlichen Gewalt eher in die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit ein, ist der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG berührt; begrenzt er mehr die Innehabung und Verwendung vorhandener Vermögensgüter, kommt der Schutz des Art. 14 GG in Betracht (BVerfG, Beschl. v. 16.03.1971 – 1 BvR 52/66 u.a., NJW 1971, 1255, 1260; BGH, Urt. v. 07.06.1990 – III ZR 74/88, NJW 1990, 3260, 3262).
259Auch die Literatur geht im Übrigen davon aus, dass es sich bei der Untersagung der Tätigkeit als Energielieferant nicht um einen Eingriff in den Erwerb und damit in den Schutzbereich des Art. 14 GG (für die Untersagung eines bereits bestehenden Netzbetriebs gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 EnWG Säcker/Steffens in: BerlK-EnR, 4. Aufl. 2019, § 4 EnWG Rn. 12, „da es sich nicht um einen Zugriff auf das Substrat eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs handelt“), sondern (ausschließlich) um einen solchen in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit handelt (Säcker in: BerlK-EnR, a.a.O., § 4 EnWG Rn. 47; für die Untersagungsverfügung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EnWG Säcker/Steffens in: BerlK-EnR, a.a.O., § 4 EnWG Rn. 9 ff.; für die Untersagungsverfügung nach § 35 GewO Marcks/Heß in: Landmann/Rohmer, GewO, 92. EL Dezember 2023, § 35 Rn. 18).
260cc) Die Ermessensentscheidung beruht auch nicht auf sachfremden Erwägungen.
261Woher die Bundesnetzagentur die von ihr angenommene, aus dem Verhalten der Geschäftsleitung erwachsende potentielle Gefahr für die Systeminstabilität herleitet, hat sie in der Untersagungsverfügung dargelegt. Die diesbezüglichen Erwägungen sind, wie aus den vorstehenden Ausführungen unter 1. b) bb) (2) folgt, nicht sachfremd. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Bundesnetzagentur in den Ermessenserwägungen darauf verweist, die Beschwerdeführerin habe noch nicht alle notwendigen Voraussetzungen für die Aufnahme des Geschäftsbetriebs erfüllt, insbesondere noch keinen neuen Bilanzkreisvertrag abgeschlossen. Hiermit berücksichtigt die Bundesnetzagentur letztlich, dass die Beschwerdeführerin noch nicht am Markt für Energielieferungen an Haushaltskunden tätig ist. Für die Bewertung der Schwere des Eingriffs ist es durchaus von Bedeutung, ob ein Unternehmen die Aufnahme von Energielieferungen erst plant oder bereits durchführt. Die Annahme, dass neu (oder wie im Streitfall erneut) in den Markt eintretende Unternehmen von vornherein nicht schutzwürdig wären, ist hiermit nicht verbunden.
262dd) Die Bundesnetzagentur hat das ihr zustehende Ermessen allerdings überschritten, weil die Untersagungsverfügung unter Berücksichtigung des Vorbringens im Beschwerdeverfahren nicht mehr verhältnismäßig, d.h. geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist. Das von der Verwaltungsbehörde angewendete Mittel muss dabei zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet sein und darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten (BVerfG, Beschl. v. 07.04.1964 – 1 BvL 12/63, BeckRS 1964, 1242; BVerwG, Urt. v. 24.02.1966 – I C 37/65, VerwRspr 1967, 348).
263(1) Geeignet ist die jeweilige Maßnahme dann, wenn der gesetzlich angestrebte Zweck erreicht oder zumindest gefördert werden kann. Hier liegt es auf der Hand, dass die Untersagung der Tätigkeit als Energielieferant den bezweckten Schutz von Haushaltskunden vor einer Gefährdung der Versorgungssicherheit infolge eines vertrags- oder gesetzeswidrigen Verhaltens der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin, die nach dem Vorgesagten keine Gewähr für ihre diesbezügliche Zuverlässigkeit bietet, ermöglicht.
264(2) Die Erforderlichkeit ist unter Berücksichtigung der sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ergebenden Sachlage indes nicht mehr gegeben.
265(a) Die Bundesnetzagentur hat das mildeste Mittel zu wählen, das zur einer wirksamen Abwehr des beanstandeten Verstoßes führt (Assmann in: BeckOK EnWG, 12. Ed. Stand 01.09.2024, § 5 Rn. 56). Dies ist nicht in dem Sinne zu verstehen, dass die Untersagung nur dann erforderlich ist, wenn eine andere Möglichkeit schlechthin nicht denkbar ist. Es ist vielmehr ausreichend, dass andere Mittel zur Abwehr der Gefahren bei vernünftiger Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte nicht mehr vertretbar sind (zur gewerberechtlichen Untersagungsverfügung Marcks/Heß in: Landmann/Rohmer, GewO, 92. EL Dezember 2023, § 35 Rn. 78).
266(b) Im Streitfall war im Zeitpunkt der Behördenentscheidung zwar keine mildere Maßnahme ersichtlich, die denselben Erfolg mit der gleichen Sicherheit erzielt.
267Insoweit hat die Bundesnetzagentur insbesondere darauf abgestellt, dass eine Teiluntersagung der Belieferung bezogen auf neue Haushaltskunden nicht gleich erfolgreich sei, da die Gefahr von Versorgungsstörungen für Altkunden weiterhin bestehe. Zudem hat sie die Untersagungsverfügung zum Schutz der Haushaltskunden für notwendig erachtet, da auf diese Weise Versorgungsstörungen ausgeschlossen würden, und insoweit insbesondere an die befürchtete Wiederholung der Kündigung von Haushaltskunden bei Preissteigerungen angeknüpft. Durch welches andere geeignete Mittel gerade einer Wiederholung der Geschehnisse aus …vorgebeugt werden könnte, ist nicht ersichtlich, zumal sich die Beschwerdeführerin hierzu nach wie vor für berechtigt erachtet. Dies gilt jedenfalls, solange sie keine Vorkehrungen trifft, die geeignet sind, einer solchen Situation entgegenzuwirken.
268Gegen die Geeignetheit einer Abmahnung hat die Bundesnetzagentur zudem fehlerfrei darauf abgestellt, dass durch eine solche der im vergangenen Verhalten liegende Grund der Unzuverlässigkeit nicht ausgeräumt werden könne.
269Eine zeitliche Beschränkung ist schon deshalb ungeeignet, weil die Grundlage für die Annahme der Unzuverlässigkeit aus der Natur der Sache heraus nicht allein durch einen bestimmten Zeitablauf entfällt. Der Hinweis der Bundesnetzagentur darauf, dass die Untersagungsverfügung mit Entfallen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Untersagung rechtswidrig werde, ist dabei als Hinweis darauf zu verstehen, dass die Beschwerdeführerin durch die fehlende Befristung der Untersagungsverfügung nicht rechtsschutzlos gestellt ist. Soweit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 5 EnWG im weiteren Verlauf entfallen sollten, kann die Beschwerdeführerin dies mit einem Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geltend machen, in dem die Untersagungsverfügung dann aufzuheben wäre.
270(c) Allerdings hat sich durch die Vorlage des geänderten Beschaffungskonzepts in Verbindung mit den diesbezüglichen Erläuterungen, die die Beschwerdeführerin im zwischenzeitlich von der Bundesnetzagentur eingeleiteten „Wiedergestattungs- und/oder Überprüfungsverfahren“ abgegeben hat, die Sachlage geändert.
271Ein geändertes Beschaffungskonzept hat unmittelbar Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Gefährdung der zu schützenden Haushaltskunden durch zukünftige Rechtsverstöße der Geschäftsleitung der Beschwerdeführerin zu besorgen ist. Die Bundesnetzagentur hat gerade auf die Wiederholungsgefahr als Kriterium für die Notwendigkeit der Untersagung abgestellt. Es bedürfte deshalb im Rahmen der Ermessenserwägungen einer Auseinandersetzung damit, welche konkreten Gefahren für die Versorgung der Haushaltskunden angesichts des geänderten Beschaffungskonzepts (noch) bestehen. In diesem Zusammenhang müsste auch geprüft werden, ob es gegenüber einer unbefristeten Volluntersagung weniger eingriffsintensive Mittel gibt, die geeignet sind, die Kunden in gleicher Weise zu schützen (etwa Überwachungsmaßnahmen im Hinblick auf die Umsetzung des Beschaffungskonzepts und/oder quantitative Kundenbeschränkungen).
272Die Bundesnetzagentur hätte ihre diesbezüglichen Ermessenserwägungen in entsprechender Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO zwar ergänzen können (Johanns/Roesen in: BerlK-EnR, 4. Aufl. 2019, § 83 EnWG Rn. 7; Laubenstein/Bourazeri in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, EnWG, 4. Aufl. 2023, § 83 Rn. 6; van Rossum in: BeckOK EnWG, 12. Ed. 01.09.2024, § 83 Rn. 52). Dies setzt in Anlehnung an die gefestigte verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung voraus, dass die nachträglich angegebenen Gründe schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser durch die nachgeschobenen Gründe nicht in seinem Wesen geändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung unzumutbar beeinträchtigt wird (BGH, Beschl. v. 23.06.2020 − KVR 69/19, NZKart 2020, 473 Rn. 131 – Facebook II; BVerwG, Beschl. v. 21.09.1987 – 8 B 55/87, BeckRS 1987, 31243424; Laubenstein/Bourazeri in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, a.a.O. Rn. 4; jeweils m.w.N.). Erstere Voraussetzung entfällt, wenn wie im Streitfall der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist, da in diesem Fall das Gericht bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung die nach Klageerhebung bzw. Beschwerdeeinlegung eingetretenen neuen Tatsachen von Amts wegen zu berücksichtigen hat, so dass der Behörde ermöglicht werden muss, ihrer Verpflichtung zur verfahrensbegleitenden Ergänzung der Ermessenserwägungen nachzukommen (Riese in: Schoch/Schneider, VwGO, 44. EL März 2023, § 114 Rn. 261 m.w.N.).
273Die Bundesnetzagentur hat jedoch von der Möglichkeit, ihre Ermessenserwägungen im hiesigen Verfahren zu ergänzen, abgesehen. Sie hat sich vielmehr entschieden, die geänderte Sachlage im Rahmen des von ihr eröffneten „Wiedergestattungs- und/oder Überprüfungsverfahrens“ zu adressieren. Damit erfüllt die weiterhin allein auf die in der Untersagungsverfügung angestellten Erwägungen gestützte Ermessensentscheidung nicht mehr die rechtlichen Anforderungen.
274(3) Im Übrigen war die angefochtene Untersagungsverfügung nicht bereits deshalb im Zeitpunkt der Behördenentscheidung unverhältnismäßig, weil ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vorgelegen hätte.
275Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist zu bejahen, wenn die Schwere der durch die Entscheidung ausgelösten Belastung nicht außer Verhältnis zu dem Nutzen für den mit der Maßnahme verfolgten Zweck steht (Johanns/Roesen in: BerlK-EnR, 4. Aufl. 2019, § 83 EnWG Rn. 31).
276Ein unmittelbarer Rückgriff auf die Rechtsprechung zur gewerberechtlichen Untersagungsverfügung, wonach nur in extremen Ausnahmefällen trotz Unzuverlässigkeit und Untersagungserforderlichkeit der Einwand der Verletzung des Übermaßverbots mit Erfolg erhoben werden kann (etwa BVerwG, Urt. v. 16.03.1982 – 1 C 124/80, BeckRS 1982, 31242915; VGH München, Beschl. v. 24.10.2012 – 22 ZB 12/853, BeckRS 2012, 59757), kommt zwar nicht in Betracht. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Gewerbeuntersagung gemäß § 35 GewO anders als die Untersagung nach § 5 Abs. 5 EnWG als gebundene Entscheidung ausgestaltet ist. Auch wenn insoweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz gilt (Marcks/Heß in: Landmann/Rohmer, GewO, 92. EL Dezember 2023, § 35 Rn. 79 m.w.N.; siehe auch BT-Drs. 7/111, S. 5), ist die darin liegende grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers für ein Verbot als Regelfolge zu beachten.
277Gleichwohl muss für die Untersagungsverfügung nach § 5 Abs. 5 EnWG jedenfalls gelten, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen und der Erforderlichkeit der Untersagung zum Zwecke des Schutzes der Haushaltskunden besondere Umstände vorliegen müssen, die eine Interessenabwägung zugunsten des Energielieferanten rechtfertigen können. Solche sind im Streitfall nicht ersichtlich. Insbesondere kann sich die Beschwerdeführerin – neben dem zwangsläufig mit der Untersagungsverfügung verbundenen Eingriff in die Berufsfreiheit – nicht auf zusätzliche Gemeinwohlaspekte (etwa eine Vielzahl von Arbeitslosigkeit betroffener Mitarbeiter) berufen.
278C.
279I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 EnWG. Da die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde Erfolg hat, sind der Bundesnetzagentur die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens und die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin aufzuerlegen.
280II. Den Beschwerdewert hat der Senat bereits im Verhandlungstermin am 18.09.2024 auf … Euro festgesetzt. Die Festsetzung findet ihre Grundlage in § 50 Abs. 1 Nr. 2 GKG, § 3 ZPO.
281D.
282Der Senat hat die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung zugelassen, weil die entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat und zudem die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 86 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 EnWG).
283Rechtsmittelbelehrung:
284Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§§ 546, 547 ZPO). Sie ist binnen einer Frist von einem Monat schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 05.07.2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen. Die elektronische Form wird durch die Einreichung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und auf einem zugelassenen elektronischen Übermittlungsweg gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERRV) oder von ihr selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, § 55a Abs. 4 VwGO eingereicht wird. Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und Übermittlungswegen sowie zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der ERRV in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieser Beschwerdeentscheidung. Die Rechtsbeschwerde ist durch einen bei dem Beschwerdegericht oder Rechtsbeschwerdegericht (Bundesgerichtshof) einzureichenden Schriftsatz binnen eines Monats zu begründen. Die Frist beginnt mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde und kann auf Antrag von dem oder der Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Abänderung oder Aufhebung beantragt wird. Rechtsbeschwerdeschrift und -begründung müssen durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Für die Regulierungsbehörde besteht kein Anwaltszwang; sie kann sich im Rechtsbeschwerdeverfahren durch ein Mitglied der Behörde vertreten lassen (§ 88 Abs. 4 Satz 2, § 80 Satz 2 EnWG).