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Die Berufung der Beklagten gegen das am 20. Oktober 2022 verkündete Urteil der 14 c. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Az.: 14c O 78/21 - wird zurückgewiesen. Die Widerklage wird abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung in der Hauptsache durch Sicherheitsleistung in folgender Höhe abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet:
Ziffer I.1. (Unterlassen): 110.000,- €;
Ziffer I.3. (Auskunft): 5.500,- €;
Ziffer I.4. (Herausgabe): 5.500,- €.
Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe:
2I.
3Die Klägerin macht mit vorliegender Klage geschmacksmusterrechtliche Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Herausgabe zum Zwecke der Vernichtung, Schadensersatzfeststellung sowie Ersatz von Abmahnkosten nebst Zinsen gegen die Beklagte geltend und stützt diese auf eine Verletzung ihres am 04. September 2012 angemeldeten, am 10. September 2012 eingetragenen und am 27. Dezember 2012 veröffentlichten Gemeinschaftsgeschmacksmusters mit der Nummer … (im Folgenden: Klagemuster), das sich auf „Verriegelungs- und Verschlussvorrichtungen“ bezieht und mit den im angefochtenen Urteil wiedergegebenen Abbildungen bei dem EUIPO eingetragen ist.
4Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, mit dem das Landgericht wie folgt entschieden hat:
5I.
6Die Beklagte wird verurteilt,
71.
8es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an dem Geschäftsführer der Beklagten,
9zu unterlassen,
10das nachfolgend eingeblendete Schlüsselgehäuse in der Europäischen Union zu benutzen, insbesondere dort einzuführen, anzubieten, zu be-werben oder zu vertreiben und/oder dort einführen, anbieten, bewerben oder vertreiben zu lassen oder zu diesen Zwecken zu besitzen, wenn diese nicht mit Zustimmung der Klägerin in den Verkehr gebracht wor-den sind:
112.
14an die Klägerin 2.904,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.11.2021 zu zahlen;
153.
16an die Klägerin wie folgt Auskunft zu erteilen:
17a) über den Umfang, in welchem die Beklagte Schlüsselgehäuse gemäß Ziffer I.1. angeboten, beworben und vertrieben hat, einschließlich des von ihr erzielten Umsatzes und Gewinns, unter Vorlage von Rechnungen und Belegen;
18b) über den Namen und die ladungsfähige Anschrift des Herstellers und/oder Vorlieferanten, von denen sie Schlüsselgehäuse gemäß Ziffer I.1. erhalten hat, jeweils unter Vorlagen von Rechnungen und Lieferbelegen;
19c) über die Namen und die ladungsfähige Anschrift sämtlicher gewerblicher Abnehmer, an welche sie Schlüsselgehäuse gemäß Ziffer I.1. vertrieben hat, jeweils unter Vorlage von Rechnungen und Lieferbelegen;
204.
21sämtliche in ihrem Eigentum oder Besitz befindlichen Schlüsselgehäuse
22gemäß Ziffer I.1. an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.
23II.
24Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen hat, der dieser aus dem Vertrieb von Schlüsselgehäusen gemäß Ziffer I.1. entstanden ist.
25Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch gemäß Art. 19 Abs. 1, 10, 89 Abs. 1 a) GGV, weil diese mit dem Vertrieb des Verletzungsmusters die Rechte der Klägerin aus dem Klagemuster verletzt habe. Die Klägerin sei als Inhaberin des Klagemusters aktivlegitimiert. Die Rechtsgültigkeit des Klagemusters werde gemäß Art. 85 Abs. 1 GGV im Verletzungsverfahren vermutet und könne nur mit einer Nichtigkeitswiderklage, die die Beklagte vorliegend nicht erhoben habe, bestritten werden. Das Klagemuster werde geprägt durch seine schlichte, asymmetrische und geschlossene Form mit seinen teils gerundeten, teils abgeschrägten Kanten, die asymmetrische Durchbrechung an der einen Schmalseite sowie die unterschiedlich untergliederte Vorder- und Rückseite. Es wirke dadurch schlicht, aber nicht langweilig und brav, sondern eher dynamisch modern. Ausgehend von einem jedenfalls durchschnittlichen Schutzbereich wecke das Verletzungsmuster beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck als das Klagemuster. Das Verletzungsmuster übernehme die prägenden Merkmale des Klagemusters in allen Einzelheiten. Der Unterschied, dass auf der Vorderseite Piktogramme vorhanden seien, die das Klagemuster nicht zeige, führe nicht aus dem Schutzbereich heraus. Denn der informierte Benutzer wisse, dass Schlüsselgehäuse üblicherweise mit Piktogrammen versehen würden, um die Funktionen erkennbar zu machen. Es handelt sich um Elemente die für den Gesamteindruck des Gehäuses regelmäßig nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen und entsprechend gering zu gewichten sind. Durch Angebot und Vertrieb des Verletzungsmusters habe die Beklagte eine Benutzungshandlung im Sinne des Art. 19 GGV begangen. Der Klägerin sei der Schutz nicht aufgrund von Art. 110 GGV versagt. Durch die Benutzung des Klagemusters habe die Beklagte die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr begründet. Die geltend gemachten Nebenansprüche seien ebenfalls begründet.
26Hiergegen richtet sich die form- sowie fristgerecht eingelegte und binnen- verlängerter - Frist ordnungsgemäß begründete Berufung, mit der die Beklagte ihr erstinstanzliches Klageabweisungsbegehren vollumfänglich weiterverfolgt; im Wege der Widerklage begehrt sie, das Klagemuster für nichtig zu erklären.
27Die Beklagte führt zur Begründung ihres Rechtsmittels aus, zu Unrecht sei das Landgericht davon ausgegangen, dass das Verletzungsmuster keinen anderen Gesamteindruck erwecke als das Klagemuster. Falsch sei bereits die Einschätzung des Landgerichts, wonach das Klagemuster einen durchschnittlichen Schutzbereich aufweise. Die konkrete Geometrie des Gehäuses werde vom Formenschatz, namentlich von einem Schlüssel für den B.1 ab Baujahr 2005 sowie für den B.2 ab Baujahr 2006, im Wesentlichen vorweggenommen. Bei näherer Betrachtung werde zudem deutlich, dass das Verletzungsmuster ein wichtiges gestalterisches Detail aufweise, dass beim Klagemuster fehle. So finde sich beim Verletzungsmuster im linken Bereich eine deutlich hervortretende Schattenfuge zwischen Rand und der Tastatur, die beim Klagemuster nicht vorhanden sei.
28Im Übrigen sei das Klagemuster auf die Widerklage für nichtig zu erklären, weil die Klägerin zwei unterschiedliche Ausführungsformen zum Gegenstand ihres Musters gemacht habe, die sich nicht miteinander in Übereinstimmung bringen ließen. Während in der Abbildung 0001.1 die Schattenfuge fehle, finde sich diese in Abbildung 0001.6 sehr wohl wieder.
29Auch der Einschätzung des Landgerichts, dass die sogenannte Reparaturklausel gemäß Art. 110 GGV vorliegend keine Anwendung finde, sei entgegenzutreten.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 20. Oktober 2022 - 14c O 78/21 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
32Widerklagend beantragt sie,
33das Gemeinschaftsgeschmacksmuster … für nichtig zu erklären.
34Die Klägerin beantragt,
35die Berufung zurückzuweisen und die Widerklage abzuweisen.
36Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Im Hinblick auf die Widerklage führt sie aus, diese sei bereits unzulässig und überdies auch in der Sache unbegründet. Marginale Unterschiede in den Abbildungen des Klagemusters seien lediglich Ergebnis unterschiedlicher perspektivischer Ansichten auf ein und dasselbe Erzeugnis.
37Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
38II.
39Die zulässige Berufung ist unbegründet; die Widerklage unterliegt der Abweisung.
40A.
41Mit Recht hat das Landgericht entschieden, dass der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß Art. 19 Abs. 1, 10, 89 Abs. 1 a) GGV gegen die Beklagte zusteht.
42Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine abweichende Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.
43Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in den Gründen der angefochtenen Entscheidung verwiesen, denen sich der Senat nach eigener Überprüfung anschließt und die durch das Berufungsvorbringen auch nicht entkräftet werden. Die Ausführungen der Beklagten in zweiter Instanz geben dem Senat lediglich Anlass zu folgenden - bloß ergänzenden, konkret auf die einzelnen Berufungsangriffe zugeschnittenen - Erwägungen:
441.
45Zutreffend hat das Landgericht die Aktivlegitimation der Klägerin bejaht. Hiergegen erhebt Berufung keine Einwendungen.
462.
47Der von der Beklagten erstmals in zweiter Instanz erhobene und im Wege der Widerklage geltend gemachte Einwand fehlender Rechtsbeständigkeit des Klagemusters ist nicht begründet.
48Im Streitfall ist von der für eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster geltenden Vermutung der Rechtsgültigkeit auszugehen (vgl. OLG Düsseldorf GRUR 2022, 1826 - Staubsaugerdüse; GRUR-RR 2012, 200 – Tablet PC). Denn das Klagemuster ist nicht gemäß Art. 25 Abs. 1 a) GGV in Verbindung mit Art. 3 a) GGV wegen fehlerhafter Eintragung nichtig. Aus den für das Klagemuster hinterlegten Abbildungen ergibt sich - jedenfalls im Zusammenhang -, wie das Geschmacksmuster ausgestaltet ist und für welches Design es Schutz beansprucht. Die gegenteiligen Ausführungen der Berufung verfangen nicht.
492.1.
50Die gemäß Art. 24 Abs. 3, 86 Abs. 1 GGV auf die Nichtigerklärung des Klagemusters gerichtete Widerklage ist zulässig. Sie ist sachdienlich im Sinne des § 533 Nr. 1 ZPO, weil deren Zulassung geeignet ist, den Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits auszuräumen und weiteren Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien vorzubeugen. Auch die Voraussetzungen des § 533 Nr. 2 ZPO liegen vor, da die Widerklage auf Tatsachen gestützt wird, die der Senat gemäß § 529 ZPO seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat.
512.2.
52In der Sache hat die Widerklage indes keinen Erfolg. Die Ansicht der Berufung, die hinterlegten Abbildungen zeigten zwei unterschiedliche Ausführungsformen, die sich nicht miteinander in Übereinstimmung bringen ließen, teilt der Senat nicht.
53a. Gegenstand des Geschmacksmusterschutzes ist beim eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster die in der Anmeldung sichtbar wiedergegebene Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon.
54aa. Das Geschmacksmuster muss aus der Eintragung eindeutig erkennbar sein, d.h. aus der Wiedergabe muss sich eindeutig ergeben, welche Merkmale zum geschützten Geschmacksmuster zählen und welche nicht (EuGH, Urteil vom 5. Juli 2018, Rs. C-217/17 - Jägermeister/EUIPO; BGH, GRUR 2016, 803 – Armbanduhr). Die Darstellungen müssen aus sich selbst heraus verständlich sein. Gleichwohl führt nicht jede unklare Wiedergabe zum Schutzrechtsauschluss, denn die hinterlegten Abbildungen können ausgelegt werden (Ruhl, in: Ruhl/Tolkmitt, GGM, 3. Auflage 2019, Art. 36 Rn. 16). Die Auslegung ist unter anderem dann geboten, wenn festgestellt werden muss, welche Merkmale zum Geschmacksmuster gehören und welche nicht und wenn sich verschiedene Ansichten des Geschmacksmusters vermeintlich widersprechen (Ruhl, a.a.O., Art. 36 Rn. 82; vgl. auch BGH GRUR 2022, 911 Rn. 16 - Schneidebrett). Bei der Auslegung ist der in der Anmeldung zum Ausdruck kommende wirkliche Wille zu ermitteln, wie er sich anhand der objektiv erkennbaren Umständen des Falls und der Interessenlage des Erklärenden vernünftigerweise ergibt (Meiser, in: Jestaedt/Fink/Meiser, Designgesetz, GGV, 7. Auflage, § 11 Rn. 28; BPatG GRUR-RR 2021, 112 – Eiswürfel). Bei der Ermittlung des in der Anmeldung zum Ausdruck kommenden wirklichen Willen des Anmelders in analoger Anwendung des § 133 BGB kann das designmäßige Originalerzeugnis zur Veranschaulichung verwendet werden, um die anhand der Beschreibung und der Darstellung in der Anmeldung bereits getroffenen Schlussfolgerungen zu bestätigen (vgl. EuGH, GRUR 2012, 506 Rn. 73; BGH GRUR 2018, 832 Rn. 33 – Ballerinaschuh; Meiser in Jestaedt/Fink/Meiser, Designgesetz, GGV, 7. Aufl., § 11 Rn. 28). Es ist für die Auslegung unter Heranziehung der tatsächlichen Ware rechtlich verfehlt, in die Wiedergabe der Eintragung Merkmale hinein zu interpretieren, die sich dort nicht finden, erst recht darf die Darstellung der Eintragung nicht durch die Ware „ersetzt“ und so der Prüfungsgegenstand ausgetauscht werden (Meiser, in: Jestaedt/Fink/Meiser, Designgesetz, GGV, 7. Auflage, § 11 Rn. 28). Zugleich ist allerdings zugunsten des Anmelders zu unterstellen, dass er eine nicht an Widersprüchen leidende und zur Erzielung eines angemessenen Schutzes sinnvolle Anmeldung einreichen wollte. Andererseits muss das Allgemeininteresse berücksichtigt werden, klar erkennen zu können, wofür der Anmelder Schutz beansprucht (vgl. BGH GRUR 2022, 911 Rn 16 – Schneidebrett; GRUR 2012, 1139 Rn. 23 – Weinkaraffe).
55bb. Bei der – für die Bestimmung des Schutzgegenstands – gebotenen Auslegung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters ist auf die Sicht der Fachkreise des betreffenden Sektors sowie ergänzend auf den Personenkreis, der mit Darstellungstechniken für Designs vertraut ist, also insbesondere Rechercheure und Patentanwälte, abzustellen (Meiser, in: Jestaedt/Fink/Meiser, Designgesetz, GGV, 7. Auflage., § 11 Rn. 28). Für die Auslegung ist demnach entscheidend, welchen Schutzgegenstand diese Fachkreise aus den Darstellungen und den weiteren aus dem Register ersichtlichen Informationen entnehmen (BGH GRUR 2022, 911, Rn. 35 – Schneidebrett).
56b. In Anwendung dieser Grundsätze ist das Klagemuster nach dem in der Anmeldung zum Ausdruck kommenden wirklichen Willen, wie er sich anhand der objektiv erkennbaren Umständen des Falls und der Interessenlage des Erklärenden vernünftigerweise ergibt, dahingehend auszulegen, dass die hinterlegten Abbildungen erkennbar die Erscheinungsform „eines“ Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 a) GGV wiedergeben. Die hinterlegten Abbildungen enthalten in ihrer Gesamtschau keine Unklarheiten im Hinblick auf das Vorhandensein einer Schattenfuge auf der Vorderseite des Klagemusters.
57Richtig ist zwar, dass das Klagemuster in der hinterlegten Abbildung 0001.1 keine das Tastenfeld umrandende Schattenfuge aufweist, die Abbildung 0001.6 dagegen schon. Dieser Unterschied beruht aber allein auf unterschiedlichen perspektivischen Ansichten: Während die Abbildung 0001.1 das Klagemuster in der frontalen Draufsicht auf die Vorderseite zeigt, gibt die Abbildung 0001.6 eine Schrägsicht auf die Vorderseite. Dies berücksichtigend gibt die Abbildung 0001.1 die Vorderseite des Klagemusters vollständig realitätsgetreu wieder; bei frontaler Draufsicht und den sich aus diesem Blickwinkel ergebenden Lichtverhältnissen ist eine Schattenfuge tatsächlich nicht erkennbar. Dies vermag der informierte Benutzer bzw. eine Person, die mit Darstellungstechniken für Designs hinreichend vertraut ist, ohne weiteres zu erkennen. Aus ihrer Sicht sind die hinterlegten Abbildungen dem konkreten Erzeugnis widerspruchsfrei zuzuordnen; es entsteht daher nicht der Eindruck von zwei unterschiedlichen Erzeugnissen. Auch die weiteren hinterlegten Abbildungen 0001.3, 0001.5 sowie 0001.7, die zur Auslegung des Klagemusters heranzuziehen sind, belegen, dass die Schattenfuge je nach Blickwinkel mal mehr und mal weniger deutlich erkennbar ist. Die hinterlegten Abbildungen spiegeln daher in ihrer Gesamtheit die Realität wider, von der der informierte Benutzer bzw. die Fachkreise Kenntnis haben. Sie sind klar, verständlich und lassen die das Tastenfeld umrandende Schattenfuge auf der Vorderseite des Erzeugnisses hinreichend deutlich erkennen. Es kann demnach kein Zweifel daran bestehen, dass es um ein und denselben Gegenstand handelt.
583.
59Die vom Landgericht vorgenommene Merkmalsanalyse, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, ist nicht zu beanstanden. Hiergegen erhebt auch die Berufung keine Einwendungen.
604.
61Auch die Annahme des Landgerichts, dass die angegriffene Ausführungsform das Klagemuster verletze, hält der Nachprüfung durch den Senat stand.
624.1.
63Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Landgericht dem Klagemuster einen jedenfalls durchschnittlichen Schutzbereich zugestanden hat. Die gegenteiligen Ausführungen der Beklagten in der Berufungsinstanz führen zu keinem anderen Ergebnis. Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, das vorbekannte Muster (Seite 10 des angefochtenen Urteils, linke Spalte, unten rechts) nehme die konkrete Geometrie des Klagemusters vorweg.
64a. Diese Entgegenhaltung ist schon deswegen nicht bei der Ermittlung des Schutzumfangs des Klagemusters zu berücksichtigen, weil die Beklagte die erforderliche Vorveröffentlichung nicht schlüssig dargelegt hat. Sie räumt ein, den exakten Termin, wann diese Entgegenhaltung auf den Markt gebracht worden sei, nicht ermitteln zu können. Ihre Darstellung, es handele sich um den Schlüssel für den B.1 ab Baujahr 2005 sowie für den B.2 ab Baujahr 2006, ist durch nichts belegt.
65b. Die von der Beklagten in Bezug genommene Abbildung (Seite 10 des angefochtenen Urteils, linke Spalte, unten rechts) mag zwar ihre Behauptung stützen, dass die Entgegenhaltung eine vergleichbare Geometrie wie das Klagemuster aufweise. Der Versuch der Beklagten, den Gesamteindruck des Klagemusters auf die Geometrie des Gehäuses zu beschränken, greift aber zu kurz. Der Gesamteindruck eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters erschöpft sich nicht in einer geometrischen Form, sondern ist das Ergebnis sämtlicher prägender Gestaltungsmerkmale und deren Zusammenspiel. Dies berücksichtigend hat die Beklagte nicht nachzuweisen vermocht, dass die Entgegenhaltung das Klagemuster vorwegnimmt. Ihr diesbezügliches Vorbringen ist unzureichend, weil die von ihr in Bezug genommenen Abbildung (Seite 10 des angefochtenen Urteils, linke Spalte, unten rechts) nur die Vorderseite der Entgegenhaltung zeigt. Auf dieser Tatsachengrundlage kann ein übereinstimmender Gesamteindruck nicht festgestellt werden.
66Die Gestaltung und Gliederung der Rückseite des Musters bleibt auch nach dem weiteren Vorbringen der Berufung offen. Soweit die Beklagte ihrem Vortrag weitere Abbildungen (Seite 5 der Berufungsbegründung vom 18. Januar 2023) unterlegt und hierzu vorträgt, diese zeigten das Gehäuse in seiner tatsächlichen Gestaltung, wie es tatsächlich auf den Markt gelangt sei, dringt sie damit nicht durch. Die Beklagte trägt selbst vor, dass sich die Abbildungen nicht auf das von ihr in Bezug genommene Muster beziehen, sondern auf ein Fremdersatzteil (Aftermarkt-Produkt). Sie räumt ein, dass es ihr nicht gelungen sei, eine Abbildung des Musters von hinten zu finden. Der von der Klägerin bestrittene Beklagtenvortrag, die Entgegenhaltung sei exakt in der bildlich wiedergegebenen Gestaltung des Fremdersatzteils lange am Markt verfügbar gewesen, bleibt pauschal und ohne die notwendige Substanz.
67c. Aber selbst wenn die in Rede stehende Entgegenhaltung - entgegen dem Vorgesagten - bei der Ermittlung des Schutzumfangs des Klagemusters zu berücksichtigen wäre, ändert dies nichts an einem jedenfalls durchschnittlichen Schutzumfang des Klagemusters, denn der Abstand zum Klagemuster ist groß. Die Gegenüberstellung (Seite 9 der Berufungserwiderung vom 03. April 2023) zeigt, dass das Klagemuster eine weniger schlanke Grundform mit einer erkennbar bauchigeren Linienführung aufweist. Sie gibt weiter Aufschluss darüber, dass der Schlüsselanhänger deutlich unterschiedlich ausgestaltet sind: Während der Schlüsselanhänger bei der Entgegenhaltung aufgesetzt ist, ist er beim Klagemuster Ergebnis einer Aussparung im Gehäuse. Die Entgegenhaltung wirkt dadurch weniger schlicht als das Klagemusters und mutet nicht so kompakt, sondern dekorativ-verspielter an.
684.2.
69Unter Zugrundelegung eines jedenfalls durchschnittlichen Schutzbereichs erweckt das Verletzungsmuster für den informierten Benutzer denselben Gesamteindruck im Sinne von Art. 10 Abs. 1 GGV wie das Klagemuster. Der Senat schließt sich insoweit den in jeder Hinsicht überzeugenden und erschöpfenden Ausführungen des Landgerichts in den Gründen der angefochtenen Entscheidung an, die sich der Senat zu eigen macht. Die von der Berufung vertretenen Ansicht, das Klagemuster wirke „etwas gedrungener“ als das Klagemuster, teilt der Senat nicht; aus der Gegenüberstellung (Seite 6 der Berufungsbegründung vom 18. Januar 2023 ergibt sich dies nicht. Auch im Übrigen bleiben die Angriffe der Berufung ohne Erfolg.
70a. Die Argumentation der Beklagten, ein abweichender Gesamteindruck ergebe sich aus der das Tastenfeld des Verletzungsmusters umrandenden Schattenfuge, geht fehl. Auch das Klagemuster weist - wie dargetan - eine entsprechende Schattenfuge auf.
71b. Gleiches gilt für den kontrastierenden silbernen Kopf der Verletzungsform, denn auch das Klagemuster verfügt in der oberen linken Ecke der Vorderseite einen hervorstehenden Knopf. Darauf, dass dieser Knopf beim Verletzungsmuster kontrastierend silberfarben ausgestaltet ist, kommt es nicht an, denn das Klagemuster beansprucht Schutz unabhängig von einer konkreten Farbgebung.
72c. Der einzig verbleibende Unterschied zwischen den ansonsten nahezu identischen sich gegenüberstehenden Ausführungsformen sind damit die auf dem Tastenfeld des Verletzungsmusters angebrachten Piktogramme. Der Senat stimmt mit dem Landgericht darin überein, dass die Piktogramme aus der maßgeblichen Sicht des informierten Benutzers erkennbar einen rein funktionalen Zweck erfüllen und nicht Ergebnis einer ästhetischen Entscheidung sind, weshalb sie für den Gesamteindruck nur von untergeordneter Bedeutung sind. Hiergegen bringt die Berufung nichts Substantielles vor; sie wiederholt lediglich ihren abweichenden Rechtsstandpunkt.
735.
74Die Beklagte kann sich nach den hier gegebenen Umständen nicht mit Erfolg auf die Schutzschranke des Art. 110 Abs. 1 GGV berufen.
755.1.
76Nach dieser Vorschrift besteht bis zu dem Zeitpunkt, zu dem auf Vorschlag der Kommission Änderungen zu dieser Verordnung in Kraft treten, für ein Muster, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses im Sinne des Artikels 19 Absatz 1 mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, kein Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster.
775.2.
78Mit Recht hat das Landgericht für den Streitfall eine Schutzeinschränkung in Anwendung des Art. 110 Abs. 1 GGV verneint. Dabei hat die Kammer alle Argumente für und gegen eine Anwendung der Reparaturklausel umfassend und erschöpfend erörtert. Sie hat diese Argumente in ihrer Entscheidung sorgfältig und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung zutreffend gewürdigt. Die Berufung wiederholt und vertieft ihre bereits erstinstanzlich vorgetragenen Argumente; sie trägt keine neuen Gesichtspunkte vor, die zu einer abweichenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage führen.
79a. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union kommt es für die Anwendung des Art. 110 GGV entscheidend darauf an, ob ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses vorliegt (vgl. EuGH GRUR 2018, 284 Rn. 66 - Acacia).
80aa. Ein komplexes Erzeugnis setzt voraus, dass es aus einer Mehrzahl von Bauelementen besteht, welche ersetzbar sind; das komplexe Erzeugnis muss also auseinander- und wieder zusammenbaubar sein. Dabei müssen die Bauelemente in einer Beziehung zueinanderstehen, aus der sich ein Gesamtgegenstand ergibt. Das ist so zu verstehen, dass die einzelnen Bauelemente eine Funktionseinheit bilden müssen, sie also in einem einheitlichen Gegenstand aufgehen und dort ihre Funktion als Teil des Gesamtgegenstands erfüllen.
81bb. In Anwendung dieser Grundsätze stellt sich das in Rede stehende Schlüsselgehäuse nicht als Bauelement des komplexen Erzeugnisses „Fahrzeug“ dar, weil es nicht mit diesem auseinander- und zusammengebaut wird. Das Schlüsselgehäuse bildet nach dem Verständnis des informierten Benutzers keine Funktionseinheit mit dem Fahrzeug, sondern wird als Zubehör mit eigener Funktion wahrgenommen. Bei dem Schlüsselgehäuse handelt sich selbst um ein komplexes Erzeugnis, da es - bestehend aus einer Mehrzahl von Bauelementen - auseinander- und (mit einem ausgetauschten Bauelement) wieder zusammenbaubar ist.
82Das Schlüsselgehäuse stellt sich insbesondere nicht als Bauelement des Schlüssels dar, da in dem Schlüsselgehäuse alle prägenden und schutzfähigen Merkmale des komplexen Erzeugnisses Schlüssel verkörpert sind. Der Schlüsselbart dürfte als „must-match“-Element bereits gemäß Art. 8 GGV außer Acht zu lassen sein; jedenfalls vermag er das äußere Erscheinungsbild des Gesamtprodukts „Schlüssel“ nicht entscheidend mitzuprägen. Mit dem Schlüsselbart wird insbesondere kein anderer Gesamteindruck erzielt. Die weiteren Komponenten, wie die Elektronik (Platine) und die Batteriezelle, sind als inne liegenden Komponenten designrechtlich nicht schutzfähig, Art. 4 Abs. 2 b) GGV.
83b. Hinzu kommt, dass die Reparaturklausel nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nur Handlungen erfasst und privilegiert, die das Ziel haben, die Reparatur des komplexen Bauteils zu ermöglichen. Daran fehlt es vorliegend, weil die Beklagte mit ihrem Verletzungsmuster das Schlüsselgehäuse in Gänze neu erschafft.
84aa. Nach dem Wortlaut des Art. 110 GGV ist der Nachweis der Absicht zur Benutzung als Reparaturaustauschteil durch den Ersatzteilhersteller zu führen. Dabei kann der Ersatzteilhersteller eine derartige Absicht nur nachweisen, indem er darlegt, wie er sicherstellen kann, dass das von ihm gelieferte Teil nur als Reparaturaustauschteil verwendet wird (vgl. Ruhl, in: Ruhl/Tolkmitt, GGV, 3. Auflage, Art. 110 Rn. 30).
85bb. Dieser Nachweis ist der Beklagten nicht gelungen. Auf Grundlage ihres Vorbringens ist nicht feststellbar, dass sie das Verletzungsmuster mit dem Ziel anbietet und vertreibt, die Reparatur eines komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen.
86(1) Aus den bereits dargelegten Gründen stellt sich der Austausch eines Schlüsselgehäuses aus Benutzersicht nicht als Reparatur des Fahrzeugs dar. Der informierte Benutzer erkennt in dem Angebot und Vertrieb des Verletzungsmusters auch nicht die Absicht, das ursprüngliche Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses „Fahrzeug“ wiederherzustellen. Hier findet die Reparaturklausel ihre Grenze.
87(2) Die Beklagte hat nicht schlüssig dargetan, wie sichergestellt ist, dass ihr Erzeugnis nur für Reparaturzwecke benutzt wird.
88(a) Entsprechende Darlegungen dürfte ihr kaum möglich sein, denn sie bietet mit dem Verletzungsmuster - wie dargetan - kein bloßes Ersatzteil an, mit dem ein beschädigtes Schlüsselgehäuse repariert werden kann, sondern sie tauscht die Gesamtdesignleistung in ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild vollständig aus. Damit hat sie die Schutzrechtslücke überschritten und bei diesem Ansatz das Schutzrecht in von Art. 110 Abs. 1 GGV nicht mehr gedeckter Weise verletzt.
89(b) Soweit die Beklagte im Senatstermin argumentiert hat, sie bediene mit dem Erzeugnis deshalb nur Reparaturfälle, weil sich kein Mensch vernünftigerweise die Mühe, den Schlüsselbart aus dem Schlüsselgehäuse zu entfernen und in ein neues Schlüsselgehäuse einzubauen, wenn das Schlüsselgehäuse noch intakt sei, vermag der Senat dieser Argumentation nicht zu folgen. Es ist durchaus möglich und keineswegs fernliegend, dass sich der Fahrer eines älteren W.-Fahrzeugmodells, der dementsprechend über ein älteres Schlüsselgehäuse verfügt, aus rein ästhetischen Gründen - ohne die Notwendigkeit einer Reparatur - für den Erwerb des Verletzungsmusters entscheidet. Dafür spricht, dass ein Schlüsselgehäuse nicht nur einen funktionalen Zweck erfüllt, sondern daneben durchaus auch als Statussymbol begriffen wird, weil das Schlüsselgehäuse nach allgemeinem Verständnis einen Rückschluss auf das dazugehörige Fahrzeugmodell erlaubt und zugleich - am Schlüsselbund befestigt - in Alltagssituationen für Dritte (bewusst) sichtbar gemacht werden kann. Ist ein Mensch bemüht, sich durch den Erwerb eines Statussymbols aufzuwerten, so wird er kaum die Mühe scheuen, den alten Schlüsselbart in das neue Schlüsselgehäuse einzubauen.
90III.
911.
92Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
932.
94Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO in Verbindung mit § 709 Satz 2 ZPO.
953.
96Die Revision ist nicht zuzulassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
974.
98Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 180.000,- € (= Klage: 120.000,- € + Widerklage: 60.000,- €) festgesetzt.