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§ 64 S. 1 GmbHG a.F., § 17 Abs. 1 InsO, IDW S 11
1.
Zahlungsunfähigkeit und nicht nur eine vorübergehende Zahlungsstockung liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, sich innerhalb von drei Wochen die zur Begleichung der fälligen Verbindlichkeiten benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen und die Liquiditätslücke auf unter 10 % zurückzuführen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist.
2.
Von einer Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit kann nicht ausgegangen werden, wenn ein Schuldner unmittelbar nach der Befriedigung seiner Gläubiger abermals in Rückstand mit seinen Zahlungen gerät. Denn in diesem Fall war er allenfalls an einem bestimmten Stichtag zur Befriedigung seiner Gläubiger in der Lage, aber nicht auf Dauer zu einer allgemeinen Begleichung seiner alsbald fällig werdenden Verbindlichkeiten im Stande.
3.
Ein Warenlager des Schuldners ist kein geldwertes kurzfristig veräußerbares Vermögen, wenn es sich um betriebsnotwendiges Vermögen handelt.
4.
Eine Krise des Schuldners muss dessen Geschäftsleiter erkennen, wenn er sich gezwungen sieht, mit einem erheblichen Teil der Gläubiger des Schuldners Absprachen zu treffen, dass der Schuldner berechtigt sein soll, auf unbestimmte Zeit sämtliche Forderungen der Gläubiger ausschließlich nach der Liquiditätslage des Schuldners zu begleichen.
Die Berufung der Beklagten zu 2) und 3) gegen das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Krefeld vom 17.10.2023, 12 O 63/19, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner. Die Kosten der Streithelferin fallen ihr selbst zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten zu 2) und 3) dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
I.
2Die Parteien streiten um die Geschäftsführerhaftung nach § 64 GmbHG a.F.
3Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren betreffend das Vermögen der A. GmbH (im Folgenden: die Schuldnerin), das auf den Eigenantrag der Schuldnerin vom 08.03.2018 mit Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 01.06.2018 (…) wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet wurde.
4Die 2009 gegründete Schuldnerin war ein internationaler Großhändler, der für den Import und die Verarbeitung von Fisch und Meeresfrüchten bekannt war. Die Schuldnerin belieferte nahezu alle Supermarktketten (u.a. …) und verfügte Ende 2016 über ein Kontraktvolumen in Höhe von 170 Mio. €, das sie 2017 auf ca. 250 Mio. € steigerte.
5Die Beklagte zu 1) war bis zum 27.09.2017 einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der Schuldnerin. Mit Gesellschafterbeschluss vom selben Tag folgte ihr der Beklagte zu 3) als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer nach. Der Beklagte zu 2) war seit dem 31.08.2011 für die Schuldnerin als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer tätig.
6Die Schuldnerin wurde durch verschiedene Kreditinstitute finanziert. Im März 2017 gewährte die F-Bank AG einen Kontokorrentkredit von 15 Mio. €, die K-Bank AG einen Kontokorrentkredit von 12 Mio. €, die R-Bank AG einen Kontokorrentkredit von 12 Mio. € und die Landesbank O. einen weiteren Kontokorrentkredit von 10 Mio. €. Diese bilateralen Kredite wurden durch einen Sicherheitenpoolvertrag besichert, wobei die K-Bank AG als Sicherheitenpoolführerin agierte. Im Herbst 2017 benötigte die Schuldnerin aus zwischen den Parteien streitigen Gründen eine Erweiterung der Kreditlinien. Ab Mitte Oktober 2017 führte die Schuldnerin mit den sie finanzierenden Banken konkrete Vorgespräche, die am 26.10.2017 in schriftlichen Anträgen zur Erweiterung der Kreditlinien um jeweils 2,5 Mio. € mündeten. Schließlich erhöhte die Landesbank O. die Kreditlinie der Schuldnerin am 08.11.2017 um 2,5 Mio. €. Die R-Bank AG sagte die Umfinanzierung ab. Die K-Bank AG bewilligte die bei ihr beantragte Erhöhung der Kreditlinie um 2,5 Mio. € am 06.12.2017 gefolgt von der F-Bank AG, die der Erhöhung der bei ihr bestehenden Kreditlinie um 2,5 Mio. € am 19.12.2017 zustimmte.
7Die Planung der Erweiterung der Kreditlinien wurde für die Schuldnerin durch die E. GmbH und die M. AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (im Folgenden M.) begleitet. Die E. GmbH war von der Schuldnerin seit September 2014 auf der Grundlage eines Maklervertrags (Anl. B 63, Bl. 6169 GA-LG) mit der Verwaltung bestehender bzw. Vermittlung neuer Kreditverträge, insbesondere der Bedarfsermittlung einschließlich Risikoeinschätzung beauftragt. Sie machte auch seit 2016 Reportings für die finanzierenden Banken. Die M. wurde seit September 2016 wiederholt mit der Beratung der Insolvenzschuldnerin in unterschiedlichen Bereichen beauftragt. Gegenstand war dabei unter anderem die Erstellung einer ausführlichen Vendor Due Diligence im Jahr 2016, die auch die Erstellung einer langfristigen integrierten Ertrags- und Bilanzierungsplanung sowie einer Finanzbedarfsplanung erforderte. Ab Februar 2017 war die M. auch dauerhaft mit einer allgemeinen betriebswirtschaftlichen Beratung betraut. Noch im Reporting für das 3. Quartal 2017 wurde zum 30.09.2017 von beiden Gesellschaften auf Basis von Liquiditätsberechnungen bestätigt, dass die Liquidität der Insolvenzschuldnerin gegeben, alle Covenants eingehalten und zudem ein ausreichend finanzieller Spielraum (headroom) vorhanden sei. Die im Rahmen der anstehenden Kreditlinienerweiterung von den Beratern erstellte integrierte Planung zum Stand 31.10.2017 bestätigte, dass die Insolvenzschuldnerin bis September 2017 über ausreichend freie Kreditlinien verfügt hatte. Erst für November und Dezember 2017 setzten die Berater die geplante Linienerhöhung auf 59 Mio. € an.
8Die Schuldnerin unterhielt bei der L-Bank unter der Kontonummer (…) und bei der S-Bank unter der Kontonummer (…) und der Kontonummer (…) jeweils im Guthaben geführte Konten. Von diesen Konten wurden unter der Verantwortung der Beklagten zu 2) und 3) im Zeitraum vom 31.10.2017 bis zum 08.03.2018 Zahlungen in Höhe von insgesamt 5.553.410,71 € veranlasst (vgl. zu den weiteren Einzelheiten Anl. K 13, Bl. 370 ff. GA-LG, K 14, Bl. 375 GA-LG, K 15, Bl. 378 f. GA-LG). Bei der T-Bank AG führte die Schuldnerin ein debitorisches Konto unter der Kontonummer (…). Auf diesem Konto gingen in demselben Zeitraum Zahlungen in Höhe von insgesamt 43.391.128,50 € ein (vgl. zu den Einzelheiten dieser Zahlungen Anl. K 16, Bl. 382 ff. GA-LG).
9Der Kläger hat – nach Zurücknahme seines gegen die Beklagten zu 1) und 2) gerichteten Antrags auf Zahlung von 15 Mio. € - von den Beklagten zu 2) und 3 als Gesamtschuldner als „Teilklage“ Zahlung von insgesamt 33 Mio. € nebst Zinsen sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt. Dabei sollte die Teilklage sämtliche Zahlungen von den mit Guthaben geführten Konten in Höhe von insgesamt 5.553.410,71 € sowie die auf dem Konto bei der T-Bank AG eingegangenen Zahlungen teilweise ausgehend von der jüngsten Zahlung in chronologischer Reihenfolge bis zu einem Betrag von 27.446.589,29 € umfassen. Er hat zuletzt geltend gemacht, die Schuldnerin sei spätestens zum 30.09.2017 zahlungsunfähig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe nach der von seinem Privatgutachter aufgestellten Liquiditätsbilanz unter Berücksichtigung der von der Schuldnerin binnen drei Wochen ab dem Stichtag flüssig zu machenden Mittel und den in dieser Zeit fällig werdenden Verbindlichkeiten eine Liquiditätsunterdeckung von 63,92 % bestanden. Soweit die Beklagte behaupte, dass die Mehrzahl der Gläubiger der Schuldnerin ihre Forderungen nicht ernsthaft eingefordert hätte, handele es sich um eine zu bestreitende Schutzbehauptung, die in eklatantem Widerspruch zur Buchführung der Schuldnerin und der mit den Lieferanten geführten Korrespondenz stehe. Die Geschäftskorrespondenz der Schuldnerin zeige klar, dass sie 2017 durchgehend Probleme gehabt habe, ihre Lieferanten zu bezahlen, die diese Zahlungen auch nachdrücklich und unter Androhung von Konsequenzen eingefordert hätten. Es sei abwegig, dass Lieferanten der Schuldnerin ihre sämtlichen Forderungen auf unbestimmte Zeit nicht ernstlich eingefordert hätten. Die erst im November und Dezember bewilligte Erweiterung der Kreditlinien könne nicht bereits als Aktivum II in der Liquiditätsbilanz zum 30.09.2017 berücksichtigt werden. Schon der Vortrag der Beklagten zu 2) und 3) zum Ablauf und den Gründen für die Erweiterung der Kreditlinien sei nicht nachvollziehbar. Es widerspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die kreditgebenden Banken, schon bevor die Erhöhung der Kreditlinien überhaupt schriftlich beantragt worden waren, bindende mündliche Zusicherungen zur Vergabe der Kredite abgegeben hätten, auf die die Schuldnerin sich hätte verlassen können. Den Beklagten zu 2) und 3) sei schuldhaftes Verhalten bei der Veranlassung der Zahlungen vorzuwerfen. Sie könnten sich nicht durch die Einholung externen Rats entlasten, da sie Gutachten zum Liquiditätsstatus oder der Fortführungsprognose des Unternehmens nie eingeholt hätten, obwohl sie Kenntnis von den Zahlungsschwierigkeiten und der ungewissen Liquiditätslage der Schuldnerin gehabt hätten.
10Die Beklagten zu 2) und 3) haben erwidert, die Schuldnerin sei zu keinem Zeitpunkt vor ihrem Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zahlungsunfähig gewesen. Die Schuldnerin habe sich als Wachstumsunternehmen konstant ungewöhnlich positiv entwickelt bis Anfang 2018 im Rahmen der Erstellung des Jahresberichts ein Fehlbestand an Waren in ihren Lagern festgestellt worden sei, der zu einer Wertberichtigung in Höhe von rund 43 Mio. € geführt habe. Der Privatgutachter des Klägers habe bei der Aufstellung der Liquiditätsbilanz wesentliche Umstände zu Lasten der Schuldnerin nicht berücksichtigt. So hätten bei den Passiva I zum Stichtag 30.09.2017 nicht ernsthaft eingeforderte Verbindlichkeiten in Höhe von 5.644.000,85 € und bei den Passiva II nicht ernsthaft eingeforderte Verbindlichkeiten von 3.947.674,10 € nicht angesetzt werden dürfen. Es habe eine ganze Reihe von Gläubigern (vgl. zu den Einzelheiten Schriftsatz der Beklagten vom 21.05.2021, Bl. 1265 ff. GA-LG) gegeben, mit denen die Schuldnerin besonders eng zusammengearbeitet habe. Diese Gläubiger hätten ihre sämtlichen Forderungen über den gesamten Zeitraum nur nach Liquiditätslage der Schuldnerin eingefordert, um an dem Wachstumskurs der Schuldnerin zu partizipieren. Das sei bei einem stark wachsenden Unternehmen keineswegs abwegig. Sämtliche Gläubiger hätten die Schuldnerin bis zur Insolvenzantragstellung bedingungslos weiterbeliefert. Die vom Kläger vorgelegten E-Mails aus der Geschäftskorrespondenz der Schuldnerin sprächen nicht gegen Stundungen. Diese E-Mails stünden in einem Kommunikationszusammenhang, in dessen Verlauf auch mal schnellere Zahlungen im Rahmen des Abstimmungsvorgangs verlangt worden seien. Parallel zur E-Mailkorrespondenz habe es Gespräche gegeben, in deren Verlauf stets eine Einigung über die Begleichung der Forderungen erreicht worden sei. Da (faktische) Stundungen fast nie in der Buchhaltung von Unternehmen festgehalten würden, spreche das sich aus der Buchhaltung ergebende Bild nicht gegen den Vortrag der Beklagten zu 2) und 3). Außerdem müssten in den Passiva II die debitorischen Kreditoren in Höhe von 736.022 € abgezogen werden, da bei der Schuldnerin ständig Verrechnungen vorgenommen worden seien, ohne dass eine Aufrechnungslage vorgelegen habe.
11Im Rahmen der Aktiva II müsse die im November und Dezember 2017 erreichte Erhöhung der Kreditlinien um insgesamt 7,5 Mio. € berücksichtigt werden. Der Abschluss großvolumiger neuer Kontrakte mit der Einzelhandelskette Z. im Sommer 2017 habe es im Herbst 2017 erforderlich gemacht, die Warenvorräte im Wert von 61,885 Mio. € zum 31.03.2017 auf 78,052 Mio. € zum 30.09.2017 zu erhöhen. Dies habe die Beschaffung neuer Kreditmittel bedingt. Deshalb habe die Schuldnerin bereits im September 2017 entschieden, dass die Kreditlinien erweitert werden müssten. Die Banken hätten der Schuldnerin mehrfach ihre uneingeschränkte Unterstützung sowie – falls notwendig – eine erweiterte finanzielle Beteiligung zugesichert. Bereits vor offizieller Beantragung der Erhöhung der Kreditlinien im Oktober 2017 habe die Schuldnerin über mündliche Zusicherungen der Banken verfügt, dass diese zur weiteren Finanzierung der Insolvenzschuldnerin bereit seien.
12Ebenfalls als Teil der Aktiva II müssten in die Liquiditätsbilanz kurzfristig liquidierbare Vermögensgegenstände der Schuldnerin eingestellt werden. So habe die Schuldnerin über ein umfangreiches Lager an Vorräten und Rohware verfügt, das sich zum 30.09.2017 auf einen Wert von insgesamt 78,05 Mio. €, zum 30.11.2017 auf einen Wert von 91,20 Mio. € und zum 31.12.2017 auf einen Wert von 97,50 Mio. € belaufen habe. Diese Waren seien jederzeit kurzfristig veräußerbar gewesen, was sich schon daraus ergebe, dass für sämtliche Waren gemäß den mit den Kunden abgeschlossenen Lieferverträgen bereits Abnahmeverpflichtungen vorgelegen hätten.
13Die Schuldnerin habe jedenfalls nach dem 30.09.2017 ihre Zahlungsfähigkeit wiederherstellen können. Dies ergebe eine Auswertung der Privatgutachterin der Beklagten zu 2) und 3) zu den Stichtagen 31.10.2017, 30.11.2017, 31.12.2017 und ferner auch zum 31.01.2018, die diese unter Beachtung der zuvor aufgeführten Prämissen erstellt habe (vgl. hierzu die Übersicht mit Schriftsatz der Beklagten zu 2) und 3) vom 21.03.2023, Bl. 5941 ff. GA-LG).
14Die streitgegenständlichen Zahlungen aus dem Zeitraum 31.10.2017 bis zum 08.03.2018 seien zum großen Teil masseneutrale bzw. privilegierte Zahlungen gewesen. So seien die debitorischen Konten der Schuldnerin mit Sicherheiten unterlegt gewesen, die durch jede Zahlung teilweise frei geworden seien. Eine Haftung entfalle auch bei Zahlungen auf ein debitorisches Konto, wenn die dadurch frei gewordene Kreditlinie für eine Zahlung genutzt worden sei, durch die ein gleichwertiger Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen geflossen sei. Dies sei bei der Schuldnerin regelmäßig der Fall gewesen, da die Zahlungen der Schuldnerin fast ausschließlich für den Einkauf von werthaltiger Rohware bestimmt gewesen seien. Die Beklagten zu 2) und 3) hafteten ebenfalls nicht, wenn nach einer Einzahlung auf das debitorische Konto privilegierte Zahlungen an den Fiskus, Arbeitnehmeranteile an Sozialversicherungsträger, Löhne und Gehälter sowie Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs veranlasst worden seien. Nähere Angaben könnten die Beklagten zu 2) und 3) allerdings erst machen, wenn der Kläger die zur Substantiierung des Vortrags erforderlichen Unterlagen der Schuldnerin auf Anordnung des Gerichts gem. §§ 421, 142 ZPO, die beantragt werde, vorgelegt habe.
15Angesichts der guten Lage der Schuldnerin im Jahr 2017 und ihrer ständigen Beratung durch Fachleute könne den Beklagten zu 2) und 3) kein Verschulden vorgeworfen werden. Für keinen der Beteiligten habe sich im September 2017 eine Krise der Schuldnerin abgezeichnet, so dass ein Auftrag zur Prüfung der Insolvenzreife der Schuldnerin nicht habe erteilt werden müssen.
16Das Landgericht hat mit seinem Beschluss vom 06.07.2021 (Bl. 1641 ff. GA-LG) die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin angeordnet und u.a. darauf hingewiesen, dass das Vorbringen der insofern darlegungs-und beweisbelasteten Beklagten zu den masseneutralen und privilegierten Zahlungen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach bislang nicht hinreichend substantiiert ist. Nach Auffassung der Kammer dürfte den Beklagten durch den Kläger grundsätzlich (nur) Einsicht in zum Zwecke der Verteidigung erforderliche maßgebliche Unterlagen der Schuldnerin zu gewähren sein. Nach Eingang des Gutachtens (vgl. hierzu Bl. 4940 ff. GA-LG) hat das Landgericht mit Verfügung vom 03.03.2023 (Bl. 5922 GA-LG) darauf hingewiesen, dass den Beklagten die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich aller Einwendungen obliegt und konkret die Zahlungen zu bezeichnen wären, die nach der Behauptung der Beklagten keine Masseschmälerung nach sich gezogen haben bzw. privilegiert oder mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar waren. Ebenso wären die Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes konkret zu benennen.
17Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht die Beklagten zu 2) und 3) antragsgemäß verurteilt und ihnen vorbehalten, ihre Gegenansprüche nach Erstattung des Verurteilungsbetrags an die Masse gegen den Kläger als Insolvenzverwalter zu verfolgen. Es hat ausgeführt, der Kläger habe gegen die Beklagten zu 2) und 3) einen Anspruch auf Zahlung von 33 Mio. € aus § 64 S. 1 GmbHG in der Fassung vom 23.10.2008. Die Schuldnerin sei auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Q. spätestens ab dem 30.09.2017 zahlungsunfähig im Sinne des § 17 InsO gewesen. Der Sachverständige habe auf der Grundlage des Beweisbeschlusses der Kammer hinsichtlich der zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten zwei Alternativen berechnet. In der ersten Alternative habe er im Beweisbeschluss aufgeführte Verbindlichkeiten der Schuldnerin als fällige Verbindlichkeiten berücksichtigt. Die Deckungslücke habe sich zum 30.09.2017 auf 88,9% der zu dem Stichtag fälligen Verbindlichkeiten belaufen und habe sich innerhalb des Dreiwochenzeitraums bezogen auf die am Beurteilungsstichtag 30.09.2017 fälligen Verbindlichkeiten auf 114,8 % ausgeweitet. Auch unter Berücksichtigung der Behauptung der Beklagten, die im Beweisbeschluss der Kammer im Einzelnen aufgelisteten Verbindlichkeiten seien nicht ernsthaft eingefordert worden, habe die Deckungslücke in der zweiten Alternative zum Stichtag 88,4 % und zum Ende des folgenden Dreiwochenzeitraums 87,3 % betragen. Angesichts dieser Feststellungen des Sachverständigen bedürfe es keiner weiteren Aufklärung, ob die unter Ziffer 1.4.3 des Beschlusses vom 06.07.2021 aufgeführten Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin fällig, oder wie die Beklagten behaupten, nicht ernsthaft von den Gläubigern eingefordert gewesen seien. Mit ihrem Vortrag, über die im Beweisbeschlusses genannten Verbindlichkeiten hinaus seien weitere Verbindlichkeiten von den Gläubigern nicht ernsthaft eingefordert gewesen und seien somit bei der Ermittlung der Passiva I und II als solche (d.h. die Passiva reduzierend) zu berücksichtigen, drängen die Beklagten nicht durch. Hierzu habe die Kammer darauf hingewiesen, dass der Vortrag zu diesen Verbindlichkeiten nicht ausreichend substantiiert sei, da ihm nicht zu entnehmen sei, welche der streitgegenständlichen Verbindlichkeiten dieser Gläubiger nicht ernsthaft eingefordert sein sollen. Die Beklagten hätten hierzu nicht weiter vorgetragen. Auch der Vortrag der Beklagten, bei den Aktiva II seien die am 26.10.2017 beantragten und am 08.11.2017, 06.12.2017 sowie 19.12.2017 tatsächlich in einer Gesamthöhe von 7,5 Mio. € ausgezahlten Darlehen zu berücksichtigen, verfange nicht. Die Darlehen, über deren Gewährung bis zum 21.10.2017 noch keine Verträge geschlossen worden waren und die dementsprechend auch noch nicht ausgezahlt waren, hingen von der Bereitschaft der angefragten Banken ab, diese Kredite zu gewähren. Die Beklagten hätten die aus der deutlich über 10% liegenden Unterdeckung resultierende tatsächliche Vermutung nicht widerlegt. Letzten Endes seien nur drei der vier Kreditanträge erfolgreich gewesen, während die R-Bank AG „unerwartet und im letzten Moment" ihre beklagtenseits behauptete Zusage zurückgezogen habe. Diese Entwicklung belege, dass die von den Beklagten behaupteten mündlichen Zusicherungen der Banken nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einer Kreditgewährung resultieren würden. Eine Widerlegung der Vermutung folge auch nicht aus der Behauptung der Beklagten, dass die Warenbestände der Schuldnerin jederzeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (auch kurzfristig) hätten veräußert werden können. Die Beklagten, die im Übrigen einen Abwertungsbedarf hinsichtlich der Lagerbestände nicht ausschließen, beschränkten sich hinsichtlich der Verwertungsmöglichkeiten auf den Hinweis, dass sämtliche Vorräte mit konkreten Kaufangeboten von Kunden unterlegt gewesen seien und ein Großteil der Ware jederzeit, auch kurzfristig, hätte veräußert werden können.
18Die Schuldnerin habe ihre Zahlungsfähigkeit nach dem 30.09.2017 nicht wiedererlangt. Eine allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen durch die Schuldnerin trügen die Beklagten bereits nicht vor, sondern verwiesen lediglich pauschal darauf, dass es der Schuldnerin gelungen sei, weitere Liquidität durch Kreditaufnahmen zu generieren sowie Stundungsvereinbarungen mit ihren Gläubigern zu treffen. Der nachträgliche Wegfall der Zahlungsunfähigkeit ergebe sich auch nicht aus den von den Beklagten vorgelegten Berechnungen zu den Stichtagen 31.10.2017, 30.11.2017, 31.12.2017 und 31.01.2018. Aus diesen Berechnungen ergäben sich allerdings die Deckungsgrade zu den jeweiligen Stichtagen ohne Berücksichtigung des Dreiwochenzeitraums, also ohne die Aktiva II und Passiva II. Danach habe der Deckungsgrad zum 31.10.2017 1,6%, zum 30.11.2017 41,8%, zum 31.12.2017 28% und zum 31.01.2018 1,2% betragen. Die Berechnungen zeichneten eine finanzielle Berg- und Talfahrt, wobei zwischen den Zeitpunkten, an denen die Aktiva die Passiva überstiegen, und den Zeitpunkten mit umgekehrtem Liquiditätsstatus gerade einmal 10 Tage gelegen hätten.
19Die im streitgegenständlichen Zeitraum erfolgten Zahlungen aus im Guthaben geführten Konten der Schuldnerin stellten ebenso Zahlungen im Sinne des § 64 S. 1 GmbHG a.F. dar wie die Einzahlungen auf das im Soll geführte Konto. Zu privilegierten Zahlungen hätten die Beklagten trotz Hinweisen der Kammer nicht substantiiert vorgetragen. Eines weiteren Hinweises habe es nicht bedurft. Auch eine Fristsetzung sei entbehrlich gewesen.
20Die Beklagten hätten schuldhaft gehandelt. Auf der Grundlage der Ausführungen zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und der Verschuldensvermutung sei davon auszugehen, dass die Schuldnerin spätestens seit dem 30.09.2017 zahlungsunfähig gewesen sei und dies für die Beklagten erkennbar gewesen sei. Einen Prüfauftrag zur Insolvenzreife hätten die Beklagten ihren langjährigen Beratern jedoch nicht erteilt, sondern die Berechnung eines konkreten Liquiditätsbedarfs für weiteres Wachstum.
21Hiergegen wenden sich die Beklagten zu 2) und 3) mit ihrem Rechtsmittel und berufen sich weiterhin darauf, dass die Schuldnerin nicht zahlungsunfähig gewesen sei bzw. ihre Zahlungsfähigkeit wiedererlangt habe. Das Landgericht gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass die Forderungen einer ganzen Reihe von Gläubigern fällig und ernsthaft eingefordert gewesen seien, obwohl sein Hinweis zur Unsubstanttiertheit des Vortrags zu diesen Forderungen zu allgemein, missverständlich und widersprüchlich gewesen sei. Vielmehr hätte das Landgericht die von den Beklagten zu 2) und 3) beantragte Beweisaufnahme zur Frage der faktischen Stundung der Forderungen durchführen müssen. Die Berechnung der Zahlungsunfähigkeit habe die im Herbst ausgereichten weiteren Darlehen und den Wert des Warenlagers als kurzfristig veräußerbaren Vermögensgegenstand im Rahmen der Aktiva II berücksichtigen müssen. Das Landgericht habe auch fehlerhaft die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit nach dem Stichtag 30.09.2017 abgelehnt, indem es lediglich auf den Deckungsgrad zu den folgenden Stichtagen abgestellt habe, statt in die Betrachtung die Lage nach Ablauf weiterer drei Wochen einzubeziehen. Wenn aber für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit der Drei-Wochenzeitraum einbezogen werde, müsse dies auch für deren Beseitigung gelten. Im Übrigen habe die Wiederaufnahme aller Zahlungen durch die Schuldnerin vorgelegen. Zur Frage der haftungsneutralen bzw. privilegierten Zahlungen habe das Landgericht das Recht auf rechtliches Gehör der Beklagten zu 2) und 3) gem. Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Die Kammer habe in ihrer mündlichen Verhandlung am 06.07.2021 mitgeteilt, dass der Streitstoff hinsichtlich dieser Zahlungen im Einvernehmen beider Parteien gemäß § 139 Abs. 1 S. 3 ZPO zunächst abgeschichtet werde. Danach sei kein Hinweis mehr oder eine Fristsetzung, dass nunmehr vorzutragen sei, erteilt worden. Es sei aber infolge der Stellungnahme der Beklagten zu 2) und 3) zum Sachverständigengutachten zu erwarten gewesen, dass das Landgericht in eine weitere Beweisaufnahme zur Zahlungsunfähigkeit eintreten werde. Der Hinweis des Landgerichts vom 03.03.2023 sei missverständlich gewesen. Jedenfalls habe es auf die Bitte der Beklagten zu 2) und 3) mit Schriftsatz vom 21.03.2023 darauf hinweisen müssen, dass es nunmehr weiteren Vortrag erwartet, und zur Vorbereitung dieses Vortrags gem. §§ 421, 142 ZPO anordnen müssen, dass die hierfür erforderlichen Unterlagen durch den Kläger vorgelegt werden. Die Privatgutachterin der Beklagten habe nunmehr anhand der Buchhaltung der Schuldnerin festgestellt, dass es in großem Umfang den Erwerb von werthaltigen Gegenständen und privilegierte Zahlungen gegeben haben müsse.
22Die Beklagten zu 2) und 3) beantragen,
23die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Krefeld vom 17.10.2023 – Az. 12 O 63/19 – abzuweisen.
24Der Kläger beantragt,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Er verteidigt die Entscheidung des Landgerichts.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die zwischen den Parteien in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
28II.
29Die zulässige Berufung der Beklagten zu 2) und 3) hat aus den mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung eingehend erörterten Gründen in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht der Klage auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Q. zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Stichtag 30.09.2017 ohne weitere Beweisaufnahme zur Frage des nicht ernsthaften Einforderns der Forderungen der Gläubiger der Schuldnerin stattgegeben und dabei eine Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit zu einem späteren Zeitpunkt nicht festgestellt. Auch eines weiteren Hinweises des Landgerichts, dass die Beklagten zu 2) und 3) zu haftungsneutralen oder privilegierten Zahlungen nach Abschluss der Beweisaufnahme zur Frage der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin substantiiert vorzutragen hätten, bedurfte es nicht. Für den Vorwurf der Beklagten zu 2) und 3), das Landgericht habe sich offensichtlich eines umfangreichen Verfahrens und insbesondere einer aufwändigen Beweisaufnahme entledigen wollen, indem es faktisch die Sache in die zweite Instanz verwiesen habe, gibt es schon im Ansatz keinerlei Anhalt.
301.
31Die Klage auf Zahlung von 33 Mio. € ist zulässig. Nur zur Klarstellung stellt der Senat fest, dass eine (zulässige) Teilklage bezogen auf die im Zeitraum vom 31.10.2017 bis zum 08.03.2018 auf dem Konto der Schuldnerin bei der T-Bank AG eingegangenen Zahlungen von insgesamt 43.391.128,50 € nicht in Höhe des mit der Klage geltend gemachten Betrags von 27.446.589,29 € vorliegt, sondern allenfalls in Höhe der ältesten ggfls. teilweise verlangten Zahlung. Denn im Rahmen des § 64 S. 1 GmbHG in der Fassung vom 23.10.2008 (im Folgenden a.F.) ist jede Zahlung als einzelner Anspruch zu qualifizieren, der jeweils mit der die Masse schmälernden Zahlung entsteht (BGH, Urt. v. 16.03.2009 - II ZR 32/08 Rn. 20). Es handelt sich nicht nur um unselbstständige Rechnungsposten eines einheitlichen Anspruchs, so dass die jeweils aus einer Auszahlung resultierenden Ansprüche prozessual selbständig sind (BGH, Urt. v. 11.02.2020 - II ZR 427/18, Rn. 29).
322.
33Der Kläger hat als Insolvenzverwalter der Schuldnerin einen Anspruch gegen die Beklagten zu 2) und 3) auf Zahlung von 33 Mio. € aus §§ 80 Abs. 1 InsO, 64 S. 1 GmbHG a.F.
34a) Das Landgericht hat zu Recht die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin (§ 17 Abs. 1 InsO) zum 30.09.2017 festgestellt.
35Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 28.04.2022 – IX ZR 48/21, Rn. 24 m.w.N.; Urt. v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, Rn. 32 f.) liegt Zahlungsunfähigkeit und nicht nur eine vorübergehende Zahlungsstockung vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, sich innerhalb von drei Wochen die zur Begleichung der fälligen Verbindlichkeiten benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen und die Liquiditätslücke auf unter 10 % zurückzuführen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist. Diese Beurteilung ist anhand objektiver Umstände vorzunehmen. Für die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit bedarf es einer geordneten Gegenüberstellung der zu berücksichtigenden fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Mittel des Schuldners, etwa in Form einer Liquiditätsbilanz. In diese sind auf der Aktivseite neben den verfügbaren Zahlungsmitteln (sog. Aktiva I) die innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel (sog. Aktiva II) einzubeziehen und zu den am Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva I) sowie den innerhalb von drei Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) in Beziehung zu setzen.
36aa) Der Sachverständige Q. hat in seinem Gutachten zur Zahlungsunfähigkeit zum Stichtag 30.09.2017 durch Auswertung der Buchhaltung der Schuldnerin Aktiva I in Höhe von 1.494.483,69 € und Passiva I unter Einschluss etwaiger nicht ernsthaft eingeforderter Verbindlichkeiten in Höhe von 13.418.002,75 € ermittelt. Dies ergibt eine Deckungslücke bezogen auf die zum Stichtag fälligen Verbindlichkeiten von 88,9 %. Bis zum Ende des Dreiwochenzeitraums hat er Aktiva II in Höhe von 5.373.022,77 € und Passiva II (wiederum unter Einschluss etwaiger nicht ernsthaft eingeforderter Verbindlichkeiten) in Höhe von 8.859.459,36 € festgestellt. Nunmehr erhöht sich die Deckungslücke bezogen auf die am Stichtag fälligen Verbindlichkeiten auf 114,8 %.
37Alternativ hat der Sachverständige nach den Vorgaben des Beweisbeschlusses des Landgerichts unterstellt, dass die Forderungen der Gläubiger B. plc., C. S.A., D. GmbH, G. Z.o.o., H. A.S., I. GmbH und J. zum Stichtag und binnen des Dreiwochenzeitraums nicht fällig waren. Nunmehr stellte er die Passiva I nur noch mit einem Betrag von 12.888.970,66 € und die Passiva II mit einem Betrag von 5.232.741,51 € fest. Damit ergab sich zum Stichtag eine Deckungslücke in Höhe von 88,4 %, die sich zum Ende des Dreiwochenzeitraums nur auf 87,3 % bezogen auf die zum Stichtag fälligen Verbindlichkeiten reduzierte.
38Mithin war die Schuldnerin auf der Grundlage der überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen in beiden Varianten am 30.09.2017 zahlungsunfähig.
39bb) Die hiergegen mit der Berufung noch gerichteten Einwände der Beklagten zu 2) und 3) greifen teilweise nicht durch, teilweise kommt es auf sie nicht an.
40(a) So kommt es nicht in Betracht, bei den Aktiva II die erst am 08.11.2017 durch die Landesbank O., am 06.12.2017 durch die K-Bank AG und am 19.12.2017 durch die F-Bank AG bewilligte Erweiterung der Kreditlinien um jeweils 2,5 Mio. € zu berücksichtigen. Nach den bereits ausgeführten maßgeblichen Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss eine Deckungslücke über 10 % innerhalb des folgenden Dreiwochenzeitraums geschlossen werden können. Der Zeitraum von drei Wochen entspricht dabei der Zeitspanne, die eine kreditwürdige Person benötigt, um sich einen Kredit zur Schließung der Liquiditätslücke zu beschaffen. Gelingt dem Schuldner dies nicht, muss der in Anspruch genommene Geschäftsführer vortragen, dass ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist. Je näher die konkret festgestellte Unterdeckung dem Schwellenwert kommt, desto geringere Anforderungen sind an das Gewicht der besonderen Umstände zu richten, mit denen die Vermutung entkräftet werden kann. Umgekehrt müssen umso schwerer wiegende Umstände vorliegen, je größer der Abstand der tatsächlichen Unterdeckung von dem Schwellenwert ist (BGH, Urt. v. 28.04.2022, a.a.O.; Urt. v. 27.03.2012 – II ZR 171/10, Rn. 10; Urt. v. 19.07.2007 – IX ZB 36/07, Rn. 30; Urt. v. 24.05.2005 – IX ZR 123/04, Rn. 13, 31 f.).
41Solche Umstände lassen sich anhand des Vortrags der Beklagten zu 2) und 3) nicht feststellen. Es war nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die erhebliche Liquiditätslücke von – je nach Alternative zur Frage der von den Beklagten zu 2) und 3) behaupteten nicht ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten – 114,8 % bzw. 87,3 % durch die Schuldnerin geschlossen werden könnte. Unabhängig davon, dass die Erweiterung der Kreditlinien alleine nicht ausgereicht hätte, um die erheblichen Deckungslücken zu schließen, sondern nur unter Berücksichtigung der weiteren Einwände der Beklagten zu 2) und 3) erfolgreich hätte sein können, konnte im Zeitpunkt des Stichtags 30.09.2017 schon nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Kredite gewährt würden. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten mit den Banken noch nicht einmal konkrete Vorgespräche zur Erweiterung der Kreditlinien stattgefunden, so dass die Kredite auch noch nicht förmlich beantragt waren. Die Vorgespräche, zu deren Inhalt die Beklagten zu 2) und 3) nichts vortragen, wurden erst ab Mitte Oktober 2017 geführt und die Anträge erst am 26.10.2017 gestellt. Soweit die Beklagten zu 2) und 3) bei dieser Sachlage vortragen, die Schuldnerin habe schon zuvor über bindende mündliche Zusicherungen der Banken zu einer erweiterten finanziellen Beteiligung verfügt, liegen hierfür keinerlei Anhaltspunkte vor. Im Gegenteil ergibt sich aus der von den Beklagten zu 2) und 3) vorgelegten Präsentation von M. anlässlich einer Besprechung mit den Finanzierungspartnern der Schuldnerin am 16.11.2017 (Anl. B 53, Bl. 6089 ff. GA-LG) ein ganz anderes Bild. Danach (vgl. Ziff. 7. der Präsentation, Bl. 6144 GA-LG) sei eine schnelle Umsetzung bzw. Bereitstellung der Linien unverändert angestrebt gewesen. Zum aktuellen Sachstand wurde ausgeführt, dass eine bilaterale Vorabinfo an alle Banken bis zum 19.10.2017 erfolgt sei. Die Banken seien um ein grundsätzliches Feedback bis zum 24.10.2017 gebeten worden, ob eine anteilige Linienerhöhung grundsätzlich mitgetragen werde, und falls nicht, ob die Linienerhöhung als solche „toleriert“ werde, wenn diese auf andere Banken verteilt werde. Ein positives Feedback sei erfolgt; der formale Antrag an die Banken und U. Factoring sei am 26.10.2017 versandt worden. Die Mezzanine-Geber seien parallel informiert worden. Die Landesbank O. habe per 13.11.2017 eine „Bridge“ zur Verfügung gestellt, nachdem alle Banken zugestimmt hätten. Zwischenzeitlich seien die formalen Gremienentscheidungen bzw. Zusagen teilweise erfolgt bzw. würden kurzfristig nach der Besprechung erwartet. Die finale Umsetzung aller Verträge sei bis spätestens 30.11.2017 angestrebt. Dieser von M. beschriebene Prozess mit dem Ziel der Erweiterung der Kreditlinien der Schuldnerin entspricht einem gängigen Procedere in Verhandlungen mit Banken – einschließlich der Gewährung eines Überbrückungsdarlehens –, der mit finalen Entscheidungen der Banken und ihrer vertraglichen Umsetzung endet. Irgendwelche bindenden mündliche Vorabzusagen durch die Banken spielen dabei keine Rolle.
42Die Behauptung solcher Zusagen ist im Übrigen abwegig und daher unschlüssig. Es widerspricht jeder Lebenserfahrung zu Vorgängen im Wirtschaftsleben, dass kreditvergebende Finanzierungsinstitute sich rechtlich bindend zur Ausreichung von Krediten bereit erklären, ohne vorher die erforderlichen Informationen zur Kreditwürdigkeit der betroffenen Person prüfen zu können. Dies ist ihnen im Übrigen bankenrechtlich auch untersagt. Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass im vorliegenden Fall zwischen den Banken und der Schuldnerin bereits eine Geschäftsbeziehung bestand, und die Schuldnerin bereits umfangreiche Kontokorrentkredite von diesen Instituten in Anspruch nahmen. Denn auch jeder Antrag auf Erweiterung einer Kontokorrentkreditlinie wird darauf geprüft, ob die aktuelle wirtschaftliche Situation des Kreditnehmers die Erweiterung rechtfertigt. Sollten Mitarbeiter der die Schuldnerin finanzierenden Kreditinstitute – wie die Beklagten zu 2) und 3) vortragen – im Vorfeld mehrfach ihre uneingeschränkte Unterstützung sowie – falls notwendig – eine erweiterte finanzielle Beteiligung zugesichert haben, konnte die Schuldnerin diese Zusagen nicht als rechtlich bindende Erklärung auf die Gewährung jedweden von ihr für erforderlich gehaltenen Kredits verstehen. Bevor sich die Kreditinstitute wenigstens mit den aktuellen wirtschaftlichen Verhältnissen der Schuldnerin befassen konnten, hatte die Schuldnerin keine Veranlassung davon auszugehen, dass die Erweiterungen der Kreditlinien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewilligt werden würden.
43Damit bedarf es auch keiner Beweisaufnahme zur Frage, ob solche Zusicherungen abgegeben wurden.
44Darüber hinaus moniert der Kläger zu Recht, dass die Beklagten zu 2) und 3) nichts dazu vorgetragen haben, weshalb den Gläubigern der Schuldnerin gerade angesichts der erheblichen Deckungslücke zum Stichtag ein Zuwarten zuzumuten gewesen sein soll.
45(b) Entgegen der Ansicht der Beklagten zu 2) und 3) kann das Warenlager der Schuldnerin, das sie zum Zeitpunkt 30.09.2017 mit einem Wert von 78,05 Mio. € beziffern, nicht im Rahmen der Aktiva II als kurzfristig liquidierbarer Vermögensgegenstand aktiviert werden. Zwar können geldwerte Vermögensgegenstände als verfügbare Zahlungsmittel berücksichtigt werden, wenn sie innerhalb des Dreiwochenzeitraums verkauft werden können (BGH, Urt. v. 03.12.1998 – IX ZR 313/97, Rn. 27; Uhlenbruck/Mock, InsO, 15. Aufl., § 17 Rn. 46; HambKommInsO/Schröder, 10. Aufl., § 17 Rn. 21; FK-InsO/Schmerbach, 9. Aufl., § 17 Rn. 39). Indessen kommt es im vorliegenden Fall auf diese Möglichkeit nicht an, da das Warenlager der Schuldnerin betriebsnotwendiges Vermögen darstellt, das die Schuldnerin also benötigte, um ihren Betrieb fortzuführen. Dieser Umstand wird eindrücklich dadurch bestätigt, dass die Beklagten zu 2) und 3) vorgetragen haben, das zum 30.09.2017 bestehende Warenlager mit einem Wert von 78,05 Mio. € sei durch Kundenkontrakte in Höhe von 254,828 Mio. € gebunden gewesen. Hätte sie also die Waren kurzfristig liquidiert, wäre sie in der Folge nicht mehr in der Lage gewesen, ihren Lieferverpflichtungen insoweit nachzukommen. Dementsprechend sieht auch der vom Fachausschuss Sanierung und Insolvenz des Instituts der Wirtschaftsprüfer verabschiedete IDW S 11 (Stand 13.12.2023, Rn. 37; ebenso Stand 22.08.2016 und 23.08.2021) vor, dass bei den Mittelzuflüssen im Prognosezeitraum nur der Verkauf von nicht betriebsnotwendigem Vermögen berücksichtigt werden kann. Damit ist es unerheblich, ob das Sicherungseigentum der finanzierenden Banken der Verwertung entgegengestanden hätte. Es braucht auch nicht aufgeklärt zu werden, ob ein kurzfristiger Verkauf des Warenlagers möglich gewesen wäre.
46(c) Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen zu (a) und (b) kommt es für die Beurteilung der Frage der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum 30.09.2017 schon rechnerisch nicht entscheidend darauf an, ob – wie von den Beklagten zu 2) und 3) behauptet – bestimmte Gläubiger der Schuldnerin ihre sämtlichen Forderungen nicht ernsthaft eingefordert haben. Allerdings ist den Beklagten zu 2) und 3) zunächst zuzugeben, dass sie auch die vom Landgericht in seinem Beweisbeschluss nicht berücksichtigten Gläubiger jedenfalls zum Stichtag 30.09.2017 bereits mit Schriftsatz vom 21.05.2021 (Bl. 1290 ff. GA-LG) namentlich benannt und die Forderungen beziffert hatten. Dieser Vortrag kann mithin nicht als unsubstantiiert unberücksichtigt bleiben. Aber selbst wenn man den gesamten Vortrag der Beklagten zu 2) und 3) zu den nicht ernsthaft eingeforderten Forderungen bei der Ermittlung der Passiva I und II – teilweise die Feststellungen des Sachverständigen Q. ersetzend, teilweise diese ergänzend – als wahr unterstellt, war die Schuldnerin zum 30.09.2017 zahlungsunfähig. Denn in diesem Fall sind die im Gutachten unter der Alternative II aufgeführten Passiva I von gesamt 13.538.988,21 € um den Korrekturbetrag Gruppenunternehmen von 120.985,46 € und entsprechend dem Vortrag der Beklagten zu 2) und 3) um nicht ernsthaft eingeforderte Forderungen von gesamt 5.644.000,85 € (vgl. Bl. 1290 f. GA-LG) zu bereinigen, so dass Passiva I von 7.774.001,90 € verbleiben. Außerdem sind die vom Sachverständigen Q. ermittelten Passiva II von gesamt 12.653.018,27 € um den Korrekturbetrag Gruppenunternehmen von 4.258.122,35 € und die behaupteten nicht ernsthaft eingeforderten Forderungen von gesamt 3.947.674,10 € (vgl. Bl. 1292 f. GA-LG) zu bereinigen. Unter Berücksichtigung der vom Sachverständigen Q. darüber hinaus festgestellten sonstigen Verbindlichkeiten von 464.563,44 € ergeben sich Passiva II von 4.911.785,20 €. Damit beläuft sich die Deckungslücke zum 30.09.2017 unter Berücksichtigung der vom Sachverständigen Q. ermittelten Aktiva I von 1.494.483,69 € auf 80,78 %. Diese Deckungslücke wird unter Berücksichtigung der Aktiva II von 5.373.022,77 € sowie der Passiva II von 4.911.785,20 € bezogen auf die zum Stichtag fälligen Verbindlichkeiten nur auf eine Unterdeckung von 74,84 % reduziert. Angesichts dieser hohen Unterdeckungsquote spielen die von den Beklagten zu 2) und 3) behaupteten Forderungen sogenannter debitorischer Kreditoren in Höhe von 736.022 € zum 30.09.2017 und von 370.917 € im folgenden Dreiwochenzeitraum, die ebenfalls die Passiva I und II reduzieren sollen, keine entscheidende Rolle.
47b) Entgegen der Ansicht der Beklagten zu 2) und 3) hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass eine Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin nach dem 30.09.2017 bis zur Insolvenzantragstellung am 08.03.2018 nicht festgestellt werden kann.
48aa) Die nachhaltige Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit setzt voraus, dass der Schuldner seine Zahlungen im Allgemeinen wiederaufgenommen hat, also bis auf unwesentliche Ausnahmen alle Zahlungen geleistet werden. Auch zwischenzeitlich neu entstandene Verbindlichkeiten müssen beglichen werden. Wollte man dies bei der Abgrenzung der Zahlungsunfähigkeit zur Zahlungsstockung anders sehen, würde dies zu einem Wertungsbruch zwischen dem Eintritt und der Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit führen (BGH, Urt. v. 10.02.2022 – IX ZR 148/19, Rn. 17; Urt. v. 19.12.2017, a.a.O., Rn. 55; Urt. v. 25.10.2012 – IX ZR 117/11, Rn. 18; Born, Beilage 2 zu WM 2023, 26; HambKommInsO/Schröder, a.a.O., Rn. 42). Somit sind – wie die Beklagten zu 2) und 3) insoweit zurecht geltend machen – bei der bilanziellen Betrachtung der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit auch die Aktiva II und Passiva II zu berücksichtigen. Allerdings kann auch in diesem Fall von einer Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit nicht ausgegangen werden, wenn ein Schuldner unmittelbar nach der Befriedigung seiner Gläubiger abermals in Rückstand mit seinen Zahlungen gerät. Denn in diesem Fall war er allenfalls an einem bestimmten Stichtag zur Befriedigung seiner Gläubiger in der Lage, aber nicht auf Dauer zu einer allgemeinen Begleichung seiner alsbald fällig werdenden Verbindlichkeiten im Stande. Von einer Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit kann deshalb nicht ausgegangen werden, wenn sich der Schuldner durch die Befriedigung seiner gegenwärtigen Gläubiger der Mittel entäußert, die er zur Begleichung seiner künftigen, alsbald fällig werdenden Verbindlichkeiten benötigt (BGH, Urt. v. 25.10.2012, a.a.O., Rn. 19). Darlegungs- und beweisbelastet für die Wiederaufnahme der Zahlungen ist derjenige, der sich darauf beruft (BGH, Urt. v. 24.03.2016 – IX ZR 242/13, Rn. 11; HambKommInsO/Schröder, a.a.O., Rn. 44).
49bb) Nach diesen Maßstäben ist es den Beklagten zu 2) und 3) nicht gelungen, zu einer Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin nach dem 30.09.2017 schlüssig vorzutragen. Sie haben geltend gemacht, ab dem 31.10.2017 habe für jeden folgenden Monat bis zum 31.01.2018 unter Berücksichtigung der Aktiva II und Passiva II eine beträchtliche Überdeckung von 189,8 % (31.10.2017), 211,9 % (30.11.2017), 129,6 % (31.12.2017) und 119,6 % (31.01.2018) vorgelegen. Dabei haben sie die Passiva I und Passiva II um von ihnen behauptete nicht ernsthaft eingeforderte Forderungen in großem Umfang bereinigt sowie bei den Aktiva II die Erweiterung der Kreditlinien durch die Landesbank O., die K-Bank AG und die F-Bank AG sämtlich im Dreiwochenzeitraum bis zum 21.11.2017 berücksichtigt. Die Erweiterung der Kreditlinien haben sie auch im folgenden Dreiwochenzeitraum bis zum 21.12.2017 erneut als Aktiva II angesetzt. Außerdem haben sie in allen auf die Stichtage 31.10.2017, 30.11.2017, 31.12.2017 und 31.01.2018 folgenden Dreiwochenzeiträumen aufgrund einer – wie sie meinen – erwartbaren Zusage eines weiteren Kredits über 2,5 Mio. € zunächst durch die R-Bank AG und nach deren Absage durch die Sparkasse Y. diesen Betrag als Aktiva II berücksichtigt, obwohl auch die Sparkasse Y. diesen Kredit letztlich nicht ausgezahlt hat. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die durch die Beklagten zu 2) und 3) mit Schriftsatz vom 21.03.2023 (Bl. 5941 f. GA-LG) vorgelegte Liquiditätsbilanz verwiesen.
50Der Senat hat auf der Grundlage dieser Liquiditätsbilanz, allerdings unter Korrektur der Aktiva II, die Deckungsgrade zu den Stichtagen 31.10.2017, 30.11.2017, 31.12.2017 und 31.01.2018 unter Einbeziehung der jeweils folgenden Dreiwochenzeiträume berechnet. Danach kann eine nachhaltige Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit nicht festgestellt werden.
51In die Aktiva II sind – die vorstehenden Ausführungen des Senats unter a) bb) (a) betreffend den Zeitpunkt der Berücksichtigungsfähigkeit der bewilligten Erweiterung der Kreditlinien zugrunde legend – die Erweiterung der Kreditlinie durch die Landesbank O. im Dreiwochenzeitraum bis zum 21.11.2017 sowie die Erweiterung der Kreditlinien durch die K-Bank AG und die F-Bank AG jeweils in den Dreiwochenzeitraum bis zum 21.12.2017 einzubeziehen. Außerdem kommt es nicht in Betracht, in den Aktiva II durchgehend aufgrund der Verhandlungen über einen weiteren Kredit mit der R-Bank AG und nachfolgend der Sparkasse Y., der jedoch nie bewilligt und ausgezahlt wurde, diese vage Krediterwartung mit 2,5 Mio. € anzusetzen. Damit stellen sich die Aktiva und Passiva unter Beibehaltung der von den Beklagten zu 2) und 3) behaupteten Stundungen sowie des Abzugs der sogenannten debitorischen Gegenforderungen in den Passiva wie folgt dar:
5231.10.2017 |
30.11.2017 |
31.12.2017 |
31.01.2018 |
|
Aktiva I |
114.179,62 € |
3.384.236,37 € |
2.112.446,77 € |
97.455,20 € (Bl. 5941 GA-LG) |
Passiva I |
7.298.150,73 € |
8.098.779,34 € |
7.555.785,38 € |
7.943.421,44 € |
Aktiva II |
12.800.399,31 € |
21.193.134,03 € |
11.109.626,94 € |
10.105.815,55 € |
Passiva II |
3.455.694,88 € |
4.680.548,19 € |
4.577.546,74 € |
2.691.892,30 € |
Ausgehend davon ergeben sich jeweils zum Stichtag und am Ende des folgenden Dreiwochenzeitraums folgende Deckungsgrade jeweils bezogen auf die zum Stichtag fälligen Verbindlichkeiten:
5431.10.2017 |
30.11.2017 |
31.12.2017 |
31.01.2018 |
|
Stichtag |
Unterdeckung 98 % |
Unterdeckung 58 % |
Unterdeckung 72 % |
Unterdeckung 99 % |
3 Wochen |
Deckung 130 % |
Deckung 246 % |
Deckung 114 % |
Unterdeckung 5 % |
Diese Entwicklung zeigt – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – eine Berg- und Talfahrt zwischen Unterdeckung und Schließung der Deckungslücke, obwohl die Schuldnerin im November und Dezember 2017 erhebliche neue Finanzmittel in Höhe von 7,5 Mio. € durch Erweiterung der bestehenden Kreditlinien einwerben konnte. Jeweils zum Stichtag lag eine hohe Unterdeckung vor, so dass die Schuldnerin auch nicht annähernd ihre zu diesem Zeitpunkt fälligen Verbindlichkeiten begleichen konnte. In den auf die Stichtage 31.10.2017, 30.11.2017 und 31.12.2017 folgenden Dreiwochenzeiträumen konnte die Schuldnerin unter Berücksichtigung der Aktiva II und Passiva II zwar die Deckungslücken bezogen auf die zum Stichtag fälligen Verbindlichkeiten nicht nur schließen, sondern sie verfügte über beachtlich darüber liegende finanzielle Mittel. Dennoch genügten diese Mittel einschließlich der binnen der verbleibenden rund 10 Tage bis zum nächsten Stichtag eingehenden Zahlungen nicht, um die zum nächsten Stichtag fälligen Verbindlichkeiten begleichen zu können. Im Gegenteil entstand wiederum eine hohe Unterdeckung. Schließlich konnte die zum Stichtag 31.01.2018 entstandene Unterdeckung von 99 % in den folgenden drei Wochen nur noch auf eine Unterdeckung von 5 % reduziert werden und am 08.03.2018 sah sich die Schuldnerin gezwungen, Insolvenzantrag zu stellen. Nach den zuvor ausgeführten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann ein solch schwankender Verlauf nicht als nachhaltige Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit angesehen werden. Demgegenüber erreichen die Beklagten zu 2) und 3) die von ihnen errechneten durchgehend hohen Deckungsgrade nur, indem sie die Aktiva II fehlerhaft aufgebläht haben und die Liquiditätsgrade zu den von ihnen selbst gewählten Stichtagen außer Betracht lassen, stattdessen allein auf das Gesamtergebnis nach Ablauf des Dreiwochenzeitraums abstellen. Dass die schwankende Entwicklung der Liquidität der Schuldnerin beispielsweise aufgrund der Auswahl der Stichtage im Zusammenhang mit einem etwaigen zyklischen Geschäft der Schuldnerin ein unzutreffendes Bild der wirtschaftlichen Entwicklung der Schuldnerin wiedergibt, haben die Beklagten zu 2) und 3), die diese Stichtage selbst gewählt haben, nicht vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich.
56cc) Da somit bereits unter Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten zu 2) und 3) zur Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit, insbesondere zu nicht ernsthaft eingeforderten Forderungen bestimmter Gläubiger und der Bereinigung der Passiva um sogenannte debitorische Gegenforderungen, eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht festgestellt werden kann, ist eine Beweisaufnahme durch die Vernehmung von Zeugen zur Frage der (faktischen) Stundung von Verbindlichkeiten oder durch die Einholung eines Ergänzungsgutachtens nicht veranlasst. Ob das Landgericht in diesem Zusammenhang einen Hinweis hätte erteilen müssen, dass der Vortrag der Beklagten zur allgemeinen Wiederaufnahme der Zahlungen unsubstantiiert ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn mit der Verfahrensrüge muss der Rechtsmittelführer gem. §§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 529 Abs. 2 S. 1, 551 Abs. 3 S. 1 Nr. 2a) ZPO im Einzelnen ausführen, was er auf den erforderlichen, aber unterbliebenen Hinweis vorgetragen hätte. Der Vortrag muss seinerseits subsumtionsfähig sein; es genügt nicht, die Rechtsverfolgung oder –verteidigung lediglich ihrer äußeren Form nach darzustellen, ohne diese inhaltlich mit Vortrag zu füllen (BGH, Urt. v. 26.01.2021 – II ZR 391/18, Rn. 32). Diesen Anforderungen sind die Beklagten zu 2) und 3) nicht nachgekommen. Sie haben mit ihrer Berufungsbegründung zwar allgemein angekündigt, dass sie infolge eines Hinweises des Landgerichts nachgewiesen hätten, dass die Schuldnerin durch die Begleichung aller offenen und fälligen Forderungen ihre Zahlungen wiederaufgenommen gehabt habe. Sie haben hierzu jedoch nicht konkret vorgetragen noch entsprechende Beweismittel benannt.
57c) Der Kläger hat nachvollziehbar – und für sich genommen von den Beklagten zu 2) und 3) auch nicht angegriffen – dargelegt, dass im Zeitraum vom 31.10.2017 bis zum 08.03.2018 von den im Guthaben geführten Konten der Schuldnerin bei der L-Bank und der S-Bank Zahlungen in Höhe von insgesamt 5.553.410,71 € veranlasst worden sind.
58Im gleichen Zeitraum ist bei dem von der Schuldnerin bei der T-Bank AG debitorisch geführten Konto insgesamt ein Betrag von 43.391.128,50 € eingegangen, von dem der Kläger die jüngsten Einzahlungen bis zu einem Betrag von 27.446.589,29 € geltend macht. Einzahlungen auf ein debitorisches Konto schmälern die verteilungsfähige Vermögensmasse der Gesellschaft zu Lasten ihrer Gläubiger. Wird eine Forderung der Gesellschaft auf ein debitorisches Konto eingezogen, wird der künftigen Insolvenzmasse zugunsten der kontoführenden Bank die Forderung gegen den Drittschuldner entzogen. Der Geschäftsführer muss in diesem Stadium, wenn er schon seiner Insolvenzantragspflicht nicht rechtzeitig nachkommt, aufgrund seiner Masseerhaltungspflicht wenigstens dafür sorgen, dass entsprechende Zahlungen als Äquivalent für dadurch erfüllte Gesellschaftsforderungen der Masse zugutekommen, nicht dagegen nur zu einer Verringerung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber der Bank und damit zu bevorzugter Befriedigung dieser Gesellschaftsgläubigerin führen. Grundsätzlich gebietet es deshalb die primär auf Masseerhaltung zielende Sorgfaltspflicht des Geschäftsführers gemäß § 64 S. 2 GmbHG a.F., in einer solchen Situation ein neues, kreditorisch geführtes Konto bei einer anderen Bank zu eröffnen und den aktuellen Gesellschaftsschuldnern die geänderte Bankverbindung unverzüglich bekannt zu geben (BGH, Urt. v. 11.02.2020 – II ZR 427/18, Rn. 18; Urt. v. 26.03.2007 – II ZR 310/05, Rn. 12; Born, WM-Beilage II/2023 Rn. 177).
59Das Landgericht hat den Vortrag der Beklagten zu 2) und 3) zu haftungsneutralen Eingängen auf dem debitorischen Konto der Schuldnerin zu Recht als unschlüssig angesehen und auf einen weiteren Hinweis zur erforderlichen Substantiierung verzichtet. Die Beklagten zu 2) und 3) haben sich darauf berufen, dass die debitorischen Konten der Schuldnerin mit Sicherheiten unterlegt gewesen seien, die mit jeder eingegangenen Zahlung teilweise frei geworden seien und somit in diesem Umfang allen Gläubigern zur Verwertung zur Verfügung gestanden hätten (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 28.06.2022 – II ZR 112/21, Rn. 22; Urt. v. 27.10.2020 – II ZR 355/18, Rn. 33; Urt. v. 26.01.2016 – II ZR 394/13, Rn. 39 ff.; Born, a.a.O., Rn. 183). Außerdem entfalle eine Haftung, wenn nach einer Zahlung auf ein debitorisches Konto die dadurch frei gewordene Kreditlinie für eine Zahlung genutzt werde, durch die ein gleichwertiger Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen fließe, so dass ein Aktiventausch vorliege (vgl. nur Born, a.a.O., Rn. 178; ders., MünchHdBGesR VII, 6. Aufl., § 110 Rn. 63; jew. m.w.N.). Die entsprechende Darlegungs- und Beweislast liegt bei dem beklagten Geschäftsführer (BGH, Urt. v. 26.01.2016, a.a.O., Rn. 45). Das Landgericht hat bereits mit seinem Beschluss vom 06.07.2021 zutreffend darauf hingewiesen, dass das Vorbringen der insofern darlegungs-und beweisbelasteten Beklagten zu den masseneutralen und privilegierten Zahlungen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach bislang nicht hinreichend substantiiert gewesen ist. Dies war den Beklagten zu 2) und 3) im Übrigen auch selbst bewusst, hatten sie doch schon mit der Klageerwiderung die gerichtliche Anordnung der Vorlegung verschiedener Geschäftsunterlagen der Schuldnerin beantragt, um ihren Vortrag substantiieren zu können. Wohl unstreitig sind die Parteien und die Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2021 einig gewesen, dass die Beklagten zu 2) und 3) angesichts der vorrangig durchzuführenden Beweisaufnahme zur Frage der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin eine weitere Substantiierung ihres Vortrags zu masseneutralen Zahlungen zunächst zurückstellen durften. Allerdings sind die Beklagten zu 2) und 3) jedenfalls seit dem weiteren Hinweis des Landgerichts vom 03.03.2023 eindeutig dazu aufgefordert gewesen, nunmehr zu diesen Zahlungen weiter vorzutragen. Das Landgericht hat diesen Hinweis gem. § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO nach dem Eingang des Gutachtens des Sachverständigen Q., in dem die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum 30.09.2017 herausgearbeitet worden war, erteilt und wollte damit für die Parteien erkennbar den Prozess weiter fördern. Es ist auch entgegen der Darstellung der Beklagten zu 2) und 3) nicht allein auf ihre Darlegungs- und Beweislast für Einwendungen im allgemeinen eingegangen, sondern hat im nächsten Absatz ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beklagten zu 2) und 3) nunmehr konkret die Zahlungen zu bezeichnen hätten, die nach der Behauptung der Beklagten keine Masseschmälerung nach sich gezogen haben sollen bzw. privilegiert oder mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar gewesen sein sollen. Eines weiteren Hinweises oder einer Fristsetzung für den ausstehenden Vortrag bedurfte es trotz der Bitte der Beklagten zu 2) und 3) nicht. Vielmehr hatten sich die Beklagten zu 2) und 3) nunmehr darauf einzurichten, dass sie umgehend – ggfls. parallel zu weiterem Vortrag zum Sachverständigengutachten – die Substantiierung ihres Vortrags zu masseneutralen Zahlungen vornehmen mussten. Hierzu verblieb ihnen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz am 19.09.2023 ein langer Zeitraum von gut sechs Monaten, den sie nicht genutzt haben.
60Die Beklagten zu 2) und 3) waren an weiterem schlüssigen Vortrag zu haftungsneutralen Zahlungen nicht dadurch gehindert, dass das Landgericht ihren auf §§ 421 ff., 142 ZPO gestützten Anträgen auf Vorlage diverser Geschäftsunterlagen der Schuldnerin durch den Kläger nicht nachgekommen ist. Weder benötigten die Beklagten zu 2) und 3) diese Vorlage noch waren ihre Anträge begründet. Allerdings befinden sich durch den Insolvenzverwalter verklagte Geschäftsführer in der Situation, dass sie zur Vorbereitung ihrer Verteidigung gegen Ansprüche gem. § 64 S. 1 GmbHG a.F. nicht mehr auf die Geschäftsunterlagen des Schuldners zurückgreifen können, da diese mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter übernommen worden sind (§ 148 InsO). Deshalb sind sie berechtigt, zum Zwecke ihrer Beweisführung Einsicht in die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin beim Insolvenzverwalter zu nehmen (BGH, Urt. v. 19.12.2017, a.a.O., Rn. 24; Urt. v. 19.01.2016 – II ZR 61/15, Rn. 25). Das Landgericht hat die Beklagten zu 2) und 3) auch bereits mit Beschluss vom 06.07.2021 unter Ziff. 4. ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kläger grundsätzlich (nur) Einsicht in zum Zwecke der Verteidigung erforderliche maßgebliche Unterlagen der Schuldnerin zu gewähren habe. Die Vorlage, Herausgabe oder besondere Aufbereitung von Unterlagen/Dateien könne von den Beklagten dagegen nicht beansprucht werden. Damit hatten die Beklagten zu 2) und 3) seit Mitte 2021 Zeit, Einsicht beim Kläger zu nehmen und ihren Vortrag zu haftungsneutralen Zahlungen vorzubereiten. Dass sie jemals den Kläger um entsprechende Einsichtnahme gebeten und dieser ihnen diese Einsicht verwehrt hätte, tragen sie schon nicht vor. Unbestritten hat er u.a. die Buchhaltung der Schuldnerin sogar bereits im Juni 2020 im Datenraum zur Verfügung gestellt.
61Soweit die Beklagten zu 2) und 3) der Auffassung sind, im Prozess erfolge die Erfüllung des Einsichtsanspruchs durch Vorlage der Unterlagen durch die Gesellschaft bzw. den Insolvenzverwalter auf einen Antrag nach §§ 421 ff. ZPO hin, kann dem in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Vielmehr müssen die Voraussetzungen für eine Beweisaufnahme nach diesen Vorschriften vorliegen. Zwar knüpft § 422 ZPO an einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch auf Vorlage bzw. Herausgabe einer Urkunde an und wird auch auf Einsichtnahmeansprüche angewendet (Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Aufl., § 422 Rn. 2). Indessen darf die Vorlage nach § 422 ZPO nicht auf eine unzulässige Ausforschung hinauslaufen, so dass die Urkunde selbst und deren angeblicher Inhalt genau bezeichnet werden müssen (BGH, Urt. v. 27.05.2014 – XI ZR 264/13, Rn. 24 f.; Musielak/Voit/Huber/Röß, ZPO, 21. Aufl., § 422 Rn. 1; a.A. MünchKomm/Schreiber, ZPO, 6. Aufl., § 422 Rn. 5), ein Erfordernis, das sich prozessual im Übrigen aus § 424 S. 1 Nr. 1 ZPO ergibt. Diesem Erfordernis sind die Beklagten zu 2) und 3) nicht nachgekommen, indem sie lediglich pauschal die Vorlage sämtlicher Sicherheitenverträge der Schuldnerin bzw. des Sicherheitenpoolvertrags, sämtlicher Kontoauszüge aus dem haftungsrelevantem Zeitraum, sämtlicher den haftungsrelevanten Zahlungen zugrundeliegender Lieferscheine beantragt haben. Die Anordnung der Vorlage der Unterlagen gem. § 142 Abs. 1 S. 1 ZPO scheitert ebenso daran, dass das Gericht zur Amtsaufklärung nicht befugt ist (BGH, Urt. v. 27.05.2014, a.a.O., Rn. 28). Da die Beklagten zu 2) und 3) aufgrund des ihnen auch während des Prozesses zustehenden Rechts auf Einsichtnahme nicht schutzlos gestellt sind, muss der Senat eine großzügigere Auslegung von § 422 ZPO bzw. § 142 ZPO nicht erwägen.
62Der neue, wenn auch ebenfalls nicht substantiierte Vortrag zu masseneutralen Zahlungen mit der Berufungsbegründung ist nach den vorstehenden Ausführungen gem. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO nicht zu berücksichtigen, da er nachlässig im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist.
63d) Das für den Erstattungstatbestand nach § 64 S. 2 GmbHG a.F. erforderliche Verschulden der Beklagten zu 2) und 3) liegt vor.
64Nach § 64 S. 2 GmbHG a.F. wird das Verschulden des Geschäftsführers vermutet, wenn er trotz objektiv bestehender Insolvenzreife Zahlungen leistet.
65aa) Dem Geschäftsführer, der die Vermutung schuldhaften Verhaltens zu widerlegen hat, obliegt es, die Gründe vorzutragen und zu erläutern, die ihn gehindert haben, eine tatsächlich bestehende Insolvenzreife der Gesellschaft zu erkennen. Bei der Bewertung dieses Vorbringens ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung für eine Organisation sorgen muss, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht. Der Geschäftsführer ist verpflichtet, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten. Bei Anzeichen einer Krise hat er sich durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen. Greift er dazu auf externen Sachverstand zurück, kann ihn eine Fortführungsempfehlung nur entschuldigen, wenn er sich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einer unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Person hat beraten lassen. In zeitlicher Hinsicht folgt aus Sinn und Zweck des Zahlungsverbots und der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO, dass eine solche Prüfung durch einen unabhängigen Dritten unverzüglich vorzunehmen ist, und der Geschäftsleiter sich nicht mit einer unverzüglichen Auftragserteilung begnügen darf, sondern auch auf unverzügliche Vorlage des Prüfergebnisses hinwirken muss (siehe dazu Born, a.a.O., § 110 Rn. 34 ff. m.w.N.). Die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gebietet es zudem, das Prüfergebnis einer Plausibilitätskontrolle zu unterziehen (BGH, Urt. v. 27.10.2020 – II ZR 355/18, Rn. 53; Born a.a.O., Rn. 185 f.; ders., § 110 Rn. 33 ff., 67).
66Die krisenhafte Lage der Schuldnerin musste sich den Beklagten zu 2) und 3) bereits auf der Grundlage ihres eigenen Vortrags zu den nicht ernsthaft eingeforderten Forderungen einer ganzen Reihe der Gläubiger der Schuldnerin aufdrängen und war mithin erkennbar. Denn sie haben behauptet, sie hätten mit rd. 20 ihrer Gläubiger auf der Grundlage besonders enger Beziehungen Absprachen dahingehend getroffen, dass die Schuldnerin berechtigt gewesen sei, deren sämtliche Forderungen auf unbestimmte Zeit ausschließlich auf der Basis ihrer, der Schuldnerin, Liquiditätslage zu begleichen. Diese Absprachen sollen schon im Januar 2017 bestanden haben. Von den Absprachen waren Forderungen erfasst, die in der Summe je Gläubiger oftmals im sechsstelligen, wenn nicht im siebenstelligen Bereich lagen (vgl. die Aufstellungen der Beklagten zu 2) und 3) zu den Passiva I und II mit Schriftsätzen vom 17.08.2020, Bl. 601 ff. GA-LG und vom 21.05.2021, Bl. 1290 ff. GA-LG). Auslöser für diese gerade in ihrem Ausmaß hinsichtlich der Menge der betroffenen Gläubiger und der Höhe der Forderungen ungewöhnlichen Vereinbarungen können zur Überzeugung des Senats nur größere Liquiditätsschwierigkeiten der Schuldnerin gewesen sein. Diese Lage wird auch von M. in ihrer Präsentation anlässlich einer Besprechung mit den Finanzierungspartnern der Schuldnerin am 16.11.2017 (Anl. B 53, Bl. 6089 ff. GA-LG) skizziert. Ihre Analyse für Ende September 2017 (Ziff. 7, Bl. 6145 GA-LG) zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt die Forderungen der Schuldnerin aus Lieferungen und Leistungen mit 12.951.000 € deutlich unter der Planung von 24.497.000 € lag, während der Lagerwert mit 78.052.000 € deutlich oberhalb des geplanten Werts von 65.672.000 € lag und diese Effekte nicht durch die unter der geplanten Höhe von 33.227.000 € liegenden aktuellen Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen von nur 19.655.000 € ausgeglichen werden konnten, so dass dringender Liquiditätsbedarf bestand. Im Übrigen dürften die von den Beklagten zu 2) und 3) angeführten Absprachen im Wirtschaftsleben ausgesprochen ungewöhnlich sein, zumal die Lieferanten der Schuldnerin ihrerseits geschäftlich tätig waren und deshalb im Zweifel ihre Verbindlichkeiten jedenfalls teilweise aus den Zahlungen der Schuldnerin begleichen mussten. Die Absprachen können auch nicht beschönigend als Lieferantenkredite bezeichnet werden, da solche regelmäßig zu verzinsen sind. Das Bedürfnis für diese Verabredungen zeigt, dass die Schuldnerin nicht über auskömmlich liquide Mittel zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten verfügte, sondern offensichtlich mit den ausstehenden Zahlungen eben je nach Liquiditätslage jonglieren musste. Für die Gläubiger hieß das, zinslose Darlehen in Millionenhöhe mit ungewissem Rückzahlungsdatum zu gewähren. Darauf dürfte sich ein Vertragspartner aber nur einlassen, wenn die Insolvenzeröffnung die Alternative ist. In einer solchen Lage hätte ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter ein Gutachten über den Liquiditätsstatus und die Fortführungsprognose eingeholt.
67Die Beklagten zu 2) und 3) können sich nicht durch die Beratung der E. GmbH, die auf der Grundlage eines Maklervertrags zur Vermittlung von Finanzinstrumenten und der Feststellung des entsprechenden Bedarfs der Schuldnerin tätig war, und der M. entlasten. Zumindest M. dürfte als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft grundsätzlich zur Beratung über eine Insolvenzreife der Schuldnerin fachlich geeignet gewesen sein. Daraus, dass sie nicht mit der Prüfung der Insolvenzreife des Schuldners beauftragt war, folgt auch nicht notwendig, dass eine fortdauernde Überprüfung der Liquiditätslage einen geringeren Erkenntniswert gehabt habe als die bei Zweifeln an der Zahlungsfähigkeit an sich gebotene Aufstellung einer Liquiditätsbilanz. Denn ein Geschäftsführer kann auch durch eine nicht ausdrücklich auf die Prüfung der Insolvenzreife bezogene Auftragserteilung an einen sachkundigen Dritten entlastet werden, wenn er sich nach den Umständen der Auftragserteilung unter Beachtung der gebotenen Sorgfalt darauf verlassen durfte, die Fachperson werde im Rahmen der anderweitigen Aufgabenstellung auch die Frage der Insolvenzreife rechtzeitig prüfen und ihn gegebenenfalls unterrichten (BGH, Urt. v. 26.01.2016 – II ZR 394/13, Rn. 35 f.). Ein solches Bild ergibt sich jedoch aus dem Vortrag der Beklagten zu 2) und 3) nicht. Zu den nach der genannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entscheidenden konkreten Umständen der Auftragserteilung tragen die Beklagten zu 2) und 3) schon nichts vor; sie haben nur die vorherigen Verträge (Anl. B 48 ff. GA-LG) vorgelegt. Jedenfalls zogen die Beklagten zu 2) und 3) M. zur Vorbereitung der Finanzierungsgespräche zur Schließung eines Liquiditätsengpasses hinzu, d.h. ihnen war jedenfalls ein akuter Handlungsbedarf bewusst und dieser war Anlass für die Erteilung des Auftrags an M. Dann kann aber ein hierauf beschränkter Auftrag die Beklagten zu 2) und 3) nicht entlasten, mussten ihnen doch die Umstände, aus denen sich die Notwendigkeit der Prüfung einer Insolvenzreife ergab, bewusst sein. Allein der Umstand, dass M. seit Februar 2017 dauerhaft mit der betriebswirtschaftlichen Beratung der Schuldnerin betraut war sowie mit der E. GmbH die Liquiditätsplanung für die Schuldnerin erstellte und das entsprechende Reporting gegenüber den finanzierenden Banken übernommen hatte, lässt nicht mit der erforderlichen Sicherheit erwarten, dass auch die Frage der Insolvenzreife geprüft werden wird. Im Gegenteil tragen die Beklagten zu 2) und 3) vor, dass eine solche Prüfung aufgrund der ihrer Auffassung nach guten wirtschaftlichen Lage der Schuldnerin gar nicht erforderlich war. Wenn sie selbst schon kein Augenmerk auf diese Frage hatten, kann aber ohne weitere Einzelheiten zum Inhalt des Auftrags nicht davon ausgegangen werden, dass M. die Insolvenzreife rechtzeitig prüfen wird.
68Schließlich haben die Beklagten zu 2) und 3) nichts dazu vorgetragen, dass und wie sie die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderte Plausibilitätskontrolle der Beratung durch M. vorgenommen haben wollen.
69bb) Die Beklagten zu 2) und 3) können sich auch nicht hinsichtlich der von ihnen bislang unsubstantiiert behaupteten privilegierten Zahlungen an den Fiskus, Zahlungen von Arbeitnehmeranteilen an Sozialversicherungsträger sowie Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs entlasten. Insoweit gelten die Ausführungen unter c) sinngemäß. Dass (die) Zahlungen gerechtfertigt waren, weil ernsthafte Sanierungsbemühungen stattfanden und sie daher nötig waren, um die konkrete Chance auf Sanierung und Fortführung nicht zunichte zu machen, ist weder ersichtlich noch geltend gemacht (siehe dazu Born, a.a.O., § 110 Rn. 43 m.w.N.).
703.
71Im Übrigen greifen die Beklagten zu 2) und 3) das Urteil nicht an.
72III.
73Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 S. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
74Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
75Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.
76Der Streitwert für das Berufungsverfahren und – in Abänderung der Streitwertfestsetzung des Landgerichts von Amts wegen – derjenige für den Rechtsstreit in erster Instanz wird auf jeweils 30 Mio. € festgesetzt (§ 39 Abs. 2 GKG).