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Art. 103 Abs. 1 GG, 64 S. 1 GmbHG i. d. F. vom 23.10.2008, § 17 Abs. 2 InsO, § 36 Abs. 2 Nr. 1 InsO, § 148 Abs. 1 InsO, § 286 ZPO
Werden Teile der von einem Sachverständigen zur Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit herangezogenen Geschäftsunterlagen des Schuldners nach Erstellung des Gutachtens unmittelbar an den Insolvenzverwalter zurückgeleitet und sodann von ihm vernichtet, bevor der verklagte Geschäftsführer und das Gericht diese prüfen konnten, ist das Gutachten nicht verwertbar.
2. Gewährt der Insolvenzverwalter während seines gegen den Geschäftsführer des Schuldners betriebenen Haftungsprozesses diesem auf sein Verlangen hin keine Einsicht in Geschäftsunterlagen, die für dessen Rechtsverteidigung potentiell relevant sind, und lässt er sie sodann vernichten, kann dies zu Lasten des Insolvenzverwalters als Beweisvereitelung gewertet werden.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 10. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 04.09.2020, 40 O 18/14, teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
I.
2Die Parteien streiten um die Geschäftsleiterhaftung nach § 64 GmbHG a.F.
3Der Kläger ist aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Essen vom 01.11.2011 (163 IN 209/11) Insolvenzverwalter über das Vermögen der E. GmbH (im Folgenden Schuldnerin). Der Beklagte war jedenfalls bis zum 13.07.2011 Geschäftsführer der Schuldnerin, die im Bereich des Spezialtiefbaus tätig war.
4Die Schuldnerin erwirtschaftete aus zwischen den Parteien streitigen Umständen 2010 ein negatives Ergebnis. Ein erst während des Insolvenzverfahrens auf der Grundlage von Zerschlagungswerten zum 31.12.2010 erstellter Jahresabschluss wies Verbindlichkeiten in Höhe von rd. 21,1 Mio. € sowie einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von rd. 12,7 Mio. € aus (Anl. 13 zum Gutachten des Sachverständigen Dr. U.). Die Schuldnerin gab Anfang März 2011 auf Verlangen der finanzierenden Banken als Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines weiteren Kredits ein sogenanntes Sanierungskonzept bei einer Unternehmensberatungsgesellschaft in Auftrag, das am 08.04.2011 vorgelegt wurde (Anl. K 23) und im Mai 2011 zur Gewährung eines weiteren Kredits des finanzierenden Bankenpools über insgesamt 2,05 Mio. € führte (Anl. B 7). Ein während der Sanierungsberatung nach Fortführungswerten zum 31.12.2010 erstellter Jahresabschluss wies einen Jahresfehlbetrag von rd. 7,1 Mio. € bei einem Eigenkapital von rd. 1 Mio. € aus (vgl. Anl. B 16 unter TOP 1). Weder der Kredit von Mai 2011 noch die Einschaltung eines auf Geschäftsführerebene eingesetzten weiteren Sanierungsberaters konnten verhindern, dass die Schuldnerin am 06.09.2011 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen musste.
5Der Beklagte veranlasste in der Zeit vom 26.01.2011 bis zum 07.06.2011 von einem kreditorisch geführten Geschäftskonto der Schuldnerin bei der F-Bank Zahlungen von insgesamt 774.000 € auf ein debitorisch von der Schuldnerin bei der Sparkasse A. unterhaltenes Konto. Die dort eingehenden Beträge wurden im Kontokorrent verrechnet.
6Der Kläger hat vom Beklagten Ersatz dieser Zahlungen nebst Zinsen sowie eines weiteren Betrags in Höhe von 30.000 €, der nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, verlangt. Er hat geltend gemacht, die Schuldnerin sei ab dem 31.12.2010 zahlungsunfähig gewesen. Sie habe zu diesem Zeitpunkt ihre Zahlungen eingestellt. Die Zahlungseinstellung könne aus einer Tabelle entnommen werden, in der die in der 14. Kalenderwoche 2011 (= 04.04.2011 bis 10.04.2011) fälligen Verbindlichkeiten einschl. des retrograden Zeitraums ihrer Fälligkeit von der Schuldnerin erfasst worden seien (Anl. K 22). Diese Tabelle sei unstreitig in einem Anfechtungsrechtsstreit von der durch die Schuldnerin beauftragten Unternehmensberatungsgesellschaft vorgelegt worden. Die Schuldnerin habe die Tabelle der Gesellschaft für die Liquiditätsplanung innerhalb des vorzubereitenden Sanierungskonzepts überlassen.
7Der Beklagte hat sich darauf berufen, die Schuldnerin sei während seiner Amtszeit zu keinem Zeitpunkt zahlungsunfähig gewesen. Die vom Kläger verwendeten Unterlagen, insbesondere die Offene-Posten-Listen, seien nicht belastbar und unbekannter Herkunft. Die Buchhaltung der Schuldnerin habe in großem Umfang Forderungen erfasst, die wegen zahlreicher Stundungsvereinbarungen nicht fällig gewesen seien. Außerdem habe die Schuldnerin über kurzfristig liquidierbares, nicht betriebsnotwendiges Vermögen im Millionenbereich verfügt, da der Großteil ihres Maschinenparks aufgrund einer Änderung des Geschäftsmodells nicht mehr benötigt worden sei. Dem Beklagten sei ein Insolvenzgrund nicht erkennbar gewesen. Jedenfalls könne er sich entlasten, da er die Sanierungsberatung habe durchführen lassen.
8Das Landgericht hat nach der Vernehmung von Zeugen ein schriftliches Sachverständigengutachten zur Frage der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin eingeholt. Der Sachverständige, Diplom-Kaufmann N., hat für die Monate Dezember 2010 bis Juli 2011 jeweils zum Letzten eines Monats Liquiditätsbilanzen erstellt sowie im Rahmen von Liquiditätsplänen die innerhalb von vier Wochen der Schuldnerin zur Verfügung stehenden neuen liquiden Mittel und die fällig werdenden Verbindlichkeiten dargestellt. Einen Zeitraum von vier Wochen für die Liquiditätspläne hat er aus Praktikabilitätsgründen gewählt, da die Buchhaltung in der Regel zum Monatsende erstellt werde (Bl. 413 GA). Im Ergebnis stellte er eine Unterdeckung zwischen 48,5 % und 91,5 % und damit die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin während des gesamten in Rede stehenden Zeitraums fest (Bl. 430 GA). In seinem Ergänzungsgutachten hat der Sachverständige unter Berücksichtigung von Einwendungen des Beklagten korrigierte Liquiditätsbilanzen und Liquiditätspläne vorgelegt, die nunmehr in Unterdeckungen zwischen 31,9 % und 77,5 % resultierten (Bl. 681 ff. GA), hielt aber grundsätzlich an der Ausrichtung der Liquiditätspläne an Vier-Wochen-Zeiträumen fest (Bl. 655, 671 f., 675 GA). Da er aber in Übernahme des Vortrags des Beklagten innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag eingegangene tatsächliche Zahlungen wegen erbrachter Bauleistungen im Liquiditätsplan berücksichtigt hat (vgl. Bl. 681 GA), hat er diesen innerhalb von drei Wochen eingegangenen Zahlungen Verbindlichkeiten gegenüber gestellt, die erst innerhalb von vier Wochen fällig werden sollten (vgl. seine Angaben im Anhörungstermin, Bl. 765 GA). In Vorbereitung des Anhörungstermins habe er allerdings innerhalb von drei Wochen fällige Verbindlichkeiten gegengerechnet mit dem Ergebnis, dass hinsichtlich der deutlichen Unterdeckung keine wesentlichen Veränderungen sichtbar geworden seien (Bl. 765 GA). Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens, des Ergänzungsgutachtens und der Anhörung des Sachverständigen wird auf Bl. 380 ff., 646 ff. GA und das Sitzungsprotokoll des Landgerichts vom 19.06.2020, Bl. 762 ff. GA, verwiesen.
9Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht – soweit für das Berufungsverfahren noch von Interesse – auf der Grundlage der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme den Beklagten zur Zahlung von 774.000 € nebst Zinsen verurteilt.
10Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seinem Rechtsmittel. Er hat insbesondere das Sachverständigengutachten im Hinblick auf die für die Liquiditätspläne verwendeten Zeiträume angegriffen. Dass auch unter Zugrundelegung eines Drei-Wochen-Zeitraums die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin festzustellen sei, habe der Sachverständige nicht hinreichend nachvollziehbar begründet. Auch im Übrigen hält der Beklagte an seinen Einwendungen gegen die Forderung des Klägers fest.
11Der Senat hat zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ein neues Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. U. eingeholt (Beschlüsse vom 20.05.2021, Bl. 1002 f. GA, und vom 15.07.2021, Bl. 1060 f. GA). Dieser ermittelte in seinem Gutachten (separater Gutachtenordner), dass die Schuldnerin zum 31.12.2010 zahlungsunfähig war. Unter Berücksichtigung eines Drei-Wochen-Zeitraums für die Aktiva II und Passiva II stellte er für den Fall, dass konzernangehörige Unternehmen ihre Forderungen gegenüber der Schuldnerin nicht ernsthaft einforderten, eine Unterdeckung von 89,12 % und für den Fall einer ernsthaften Einforderung eine Unterdeckung von 97,30 % fest. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten verwiesen.
12Der Sachverständige hatte zur Vorbereitung des Gutachtens vom Kläger zusätzlich zu den ihm bereits vorliegenden Unterlagen ab September 2021 wiederholt weitere Geschäftsunterlagen der Schuldnerin (vgl. die Liste Bl. 1126 GA) angefordert. Ein Teil dieser Unterlagen ist ihm vom Kläger im Februar/September 2022 – unmittelbar – zugeleitet worden (vgl. Bl. 1195 f. GA und Bl. 1226 GA = 22 Ordner). Es handelt sich um folgende Ordner:
13Steuererklärungen & Steuerbescheide
14Ordner 1 – Körperschaftsteuer
15Ordner 2 – elektronischer Bundesanzeiger, Gewerbesteuer, Umbuchungsmitteilungen, Lohnsteuer, Gewerbesteuer FA, Kapitalertragsteuer
16Ordner 3 – Umsatzsteuersonderprüfung, Umsatzsteuer
17Ordner 4 – Gewerbesteuer Kommune, Grundbesitzabgaben
18Ordner 5 – Schriftverkehr Finanzamt, Schriftverkehr Treuhand, Sonstiges, Altlasten
19L. Kreditoren
20Mahnbescheide Teil 1/3
21Mahnbescheide Teil 2/3
22Mahnbescheide Teil 3/3
23Lohnkonten und Krankenkassen
242011 Lohnkonten Januar bis Juli 2011
252011 Lohnkonten bis einschließlich November
262011 SV Lohnkonten bis einschließlich November
272011 Gehaltsverrechnung
28Geschäftsleitung externer Schriftverkehr A bis Z
292011 Krankenkassen Teil I Beitragslisten bis April
302011 Krankenkassen Teil II Beitragslisten ab Mai
312011 monatliche Listen/Auswertungen
32Kontoauszüge
33Sparkasse A. – Kontonummer … – 26.03.2011 bis 27.04.2011
34Sparkasse A. – Kontonummer … – 28.04.2011 bis 19.05.2011
35Sparkasse A. – Kontonummer … – 20.05.2011 bis 22.06.2011
36Sparkasse A. – Kontonummer … – 23.06.2011 bis 16.08.2011
37F-Bank – Kontonummer … – 2011
38Kreissparkasse Z. – Kontonummer … – 2010 bis 2011
39Nach Erstellung des Gutachtens hat der Sachverständige diese Ordner im Juni 2023 wieder an den Kläger zurückgeschickt, der sie an einen von ihm mit der Aufbewahrung beauftragten Dienstleister weitergeleitet hat. Dieser hat sie auf der Grundlage einer generellen Anweisung des Klägers, Unterlagen nach der gesetzlichen Aufbewahrungspflicht von 10 Jahren zu vernichten, entsorgt, bevor der Beklagte, der die Vorlage der Ordner verlangt hatte, oder der Senat, der die Vorlage der 22 Aktenordner mit Verfügung vom 07.09.2023 angeordnet hatte, Einblick nehmen konnten. Auf der Grundlage dieser Anweisung des Klägers zur Vernichtung der Unterlagen wurden im Übrigen sämtliche rund 17.500 Akten aus dem Insolvenzverfahren, die an fünf verschiedenen Standorten eingelagert waren, im Hinblick auf die für die Masse entstehenden fortlaufenden Einlagerungskosten nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen vernichtet.
40Der Beklagte hatte schon zuvor im laufenden Berufungsverfahren mit Schreiben vom 27.08.2021 (Anl. BK 8, Bl. 1119 f. GA) vom Kläger Einsicht in die Summen- und Saldenlisten betreffend die Kreditoren und Debitoren der Schuldnerin in den Fassungen zum jeweiligen Ende der Monate Januar bis Juli 2011 verlangt. Diese Einsicht hat der Kläger nachhaltig – auch nachdem der Senat auf das Einsichtsnahmerecht des Beklagten mit Beschluss vom 14.10.2021 (Bl. 1143 GA) hingewiesen hatte – verweigert (vgl. u.a. Schreiben des Klägers vom 08.09.2021, Bl. 1136 f. GA, und vom 28.09.2021, Bl. 1140 GA; Schriftsatz des Klägers vom 28.10.2021, Bl. 1162 f. GA). Der Senat hat mit Beschluss vom 22.09.2023 (Bl. 1357 f. GA) das Gesuch des Beklagten, den Kläger im vorliegenden Verfahren nach Maßgabe der §§ 142 Abs. 1, 421 ff. ZPO zur Vorlage der genannten Summen- und Saldenlisten zu verpflichten, abschlägig beschieden, jedoch wiederum auf das grundsätzlich bestehende Einsichtsrecht des Beklagten hingewiesen. Der Kläger hat schließlich mitgeteilt, dass (auch) eine Einsichtnahme in die Summen- und Saldenlisten tatsächlich nicht mehr möglich sei, da der mit der Aufbewahrung betraute Dienstleister diese ebenfalls nach Ablauf der zehnjährigen Aufbewahrungsfrist vernichtet habe (Schriftsatz des Klägers vom 13.12.2023, Bl. 1533 GA).
41Der Beklagte, der einen Privatgutachter mit der Prüfung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens beauftragt hat, hält das Gutachten des Sachverständigen Dr. U. aufgrund der Vernichtung der genannten Unterlagen für nicht verwertbar und wirft dem Kläger Beweisvereitelung vor. Sein Privatgutachter benötige sämtliche Unterlagen, um seine Prüfung vornehmen zu können.
42Der Beklagte beantragt,
43unter Teilabänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 04.09.2020, 40 O 18/14, die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
44Der Kläger beantragt,
45die Berufung zurückzuweisen.
46Er sieht keine der Verwertung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. U. entgegenstehenden Gründe. Dieser habe an keiner Stelle seines Gutachtens inhaltlich auf die vernichteten Unterlagen Bezug genommen, sondern zur Erstellung des Finanzstatus auf die Kontostände der Finanzbuchhaltungskonten zurückgegriffen. Diese hätten unstreitig schon dem Sachverständigen N. vorgelegen, der sie digital auf einem USB-Stick zur Gerichtsakte gereicht habe. Abgesehen davon erschließe sich dem Kläger nicht, auf welcher rechtlichen Grundlage eine Unverwertbarkeit mit der Folge der Beweisfälligkeit angenommen werden könne. Die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ergebe sich ohnehin aus der vom Kläger vorgetragenen Zahlungseinstellung. Jedenfalls könne der Senat zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ein neues Gutachten einholen, ggfls. auch ein solches, das mehrere taggenaue Liquiditätsbilanzen erarbeite, aus denen ausgehend vom Liquiditätsstatus am Stichtag und weiteren Liquiditätsbilanzen im Prognosezeitraum geschlossen werden könne, dass die Liquiditätslücke an keinem der weiteren Tage im Prognosezeitraum habe geschlossen werden können.
47Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. U. eingeholt, auf die Bezug genommen wird (Bl. 1583 f. GA).
48Nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat trägt der Kläger nunmehr vor, die weitere interne Prüfung habe ergeben, dass ihn hinsichtlich der Vernichtung der 22 vom Sachverständigen Dr. U. zurückgesandten Ordner kein Verschulden treffe. Denn der im Büro des Klägers zuständige Sachbearbeiter habe den einlagernden Dienstleister per E-Mail gebeten, die 22 Ordner beim Kläger abzuholen und sie einzulagern. Dies habe der Dienstleister per E-Mail bestätigt (vgl. Anl. BB 9, Bl. 1628 ff. GA), so dass es für den Kläger nach wie vor nicht vollständig nachvollziehbar sei, wie es trotz der Anweisung zur Einlagerung der Unterlagen zu deren Vernichtung habe kommen können. Anscheinend habe der Dienstleister eine Freigabe des Sachbearbeiters des Klägers zur Vernichtung von Ordnern aus dem Jahr 2012 auch auf die 22 Ordner aus dem Jahr 2011 bezogen.
49Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
50II.
51Die zulässige Berufung des Beklagten hat aus den mit den Parteien in der Senatssitzung erörterten Gründen in der Sache Erfolg.
52Der Kläger kann von dem beklagten Geschäftsführer der Schuldnerin nicht die Zahlung von insg. 774.000 € aus §§ 80 Abs. 1, 64 S. 1 GmbH-Gesetz in der Fassung vom 23.10.2008 (im folgenden a.F.) verlangen. Dass die Schuldnerin zum 31.12.2010 oder danach zahlungsunfähig war, lässt sich nicht feststellen. Das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten des Sachverständigen N. ist unzureichend und das vom Senat in der Berufungsinstanz eingeholte Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. U. nicht verwertbar. Für eine weitere Aufklärung ist kein Raum, nachdem der Kläger die Buchhaltungsunterlagen der Schuldnerin, in welche der Beklagte hinsichtlich der Summen- und Saldenlisten betreffend die Debitoren und Kreditoren der Schuldnerin für die Monate Januar bis Juli 2011 Einsicht begehrt hatte, nach Ablehnung des Einsichtsverlangens hat vernichten lassen.
531.
54Der Schuldner ist gem. § 17 Abs. 2 InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.
55Von einer Zahlungsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 28.06.2022 – II ZR 112/21, Rn. 12, m.w.N.; Urt. v. 28.04.2022 – IX ZR 48/21, Rn. 24, m.w.N.; MünchHdbGesR VII/Born, 6. Aufl. § 109 Rn. 29) regelmäßig auszugehen, wenn die innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr beträgt, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Für die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit bedarf es damit einer geordneten Gegenüberstellung der zu berücksichtigenden fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Mittel des Schuldners, etwa in Form einer Liquiditätsbilanz (BGH, Urt. v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, Rn. 10; MünchHdbGesR VII/Born, a.a.O., Rn. 28).
56a) Eine solche – wenn auch mangelhafte – Liquiditätsbilanz lag im vorliegenden Rechtsstreit jedenfalls mit dem in erster Instanz vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachten des Sachverständigen N. vor. Indessen können auf dieses Sachverständigengutachten der Kritik des Beklagten folgend keine Feststellungen gestützt werden, da es methodische und weitere Mängel enthielt, die der Sachverständige N. in seinem Ergänzungsgutachten nur teilweise korrigiert hat. So hat der Sachverständige N. für den Zeitraum der in der Zukunft zu berücksichtigenden Forderungen (Aktiva II) und Verbindlichkeiten (Passiva II) entgegen der soeben dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf vier statt drei Wochen abgestellt. Diesen Zeitraum hat er allein aus Praktikabilitätsgründen gewählt, da die Buchhaltung in der Regel zum Monatsende erstellt werde. Diese Begründung kann vor dem Hintergrund, dass der Bundesgerichtshof (Urt. v. 27.03.2012 – II ZR 171/10, Rn. 10) in der Regel einen Zeitraum von drei Wochen für angezeigt hält, weil davon auszugehen ist, dass eine kreditwürdige Person in dieser Zeit sich die erforderlichen Mittel beschaffen kann, um eine Liquiditätslücke zu schließen, keinen Bestand haben. Besondere Umstände, die hier einen längeren Zeitraum zur Beschaffung weiterer Mittel rechtfertigen würden, hat der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht vorgetragen. Weder das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen N. noch seine mündliche Anhörung beim Landgericht haben diese Bedenken gegen das Gutachten ausräumen können. Im Gegenteil hat der Sachverständige N. im Ergänzungsgutachten seine neuen Ergebnisse dadurch verzerrt, dass er in den Liquiditätsplan Forderungen aus einem Drei-Wochen-Zeitraum aufgenommen hat, bei den zukünftig fällig werdenden Verbindlichkeiten jedoch beim Vier-Wochen-Zeitraum geblieben ist. Soweit er in seiner mündlichen Anhörung angegeben hat, er habe in Vorbereitung des Termins die innerhalb von drei Wochen fälligen Verbindlichkeiten gegengerechnet mit dem Ergebnis, dass hinsichtlich der deutlichen Unterdeckung keine wesentlichen Veränderungen sichtbar geworden seien, kann der Senat allein hierauf keine tragfähigen Feststellungen stützen. Denn der Sachverständige hat seine neuen Berechnungen nicht dokumentiert, so dass seine Ergebnisse weder vom Senat noch vom Beklagten überprüft werden können.
57b) Das vor diesem Hintergrund im Berufungsverfahren vom Senat zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. U. ist aufgrund der Vernichtung eines Teils der dem Sachverständigen zur Erstellung des Gutachtens vom Kläger zur Verfügung gestellten Geschäftsunterlagen der Schuldnerin nicht verwertbar. Der Senat hat bereits mit seinem Beschluss vom 27.02.2024 (Bl. 1551 f. GA) die Parteien darauf hingewiesen, dass der Verwertung zwei Gesichtspunkte entgegenstehen. Dem Beklagten wird das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) genommen, da er nicht sämtliche dem Gutachten zugrundeliegenden Unterlagen kritisch prüfen kann. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs erfordert es, dass einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweise zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten vorher äußern konnten. Und der Senat kann seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Beweiswürdigung nach § 286 ZPO nicht mehr nachkommen. Denn er darf die Ergebnisse des Gutachtens nicht ungeprüft übernehmen, sondern muss u.a. feststellen, ob der Sachverständige von der zutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 16.09.2014 – VI ZR 118/13, Rn. 6; Urt. v. 12.11.1991 – KZR 18/90, Rn. 32; Senat, Beschl. v. 22.09.2023 in diesem Rechtsstreit, Bl. 1357 f. GA; Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 404a, Rn. 9-11; Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, 5. Aufl., Band 1, Kap. 4, Rn. 27; Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 404a, Rn. 6).
58Die hiergegen gerichteten Einwände des Klägers greifen nicht durch. Aus welchem Grund die vom Sachverständigen ausdrücklich angeforderten und vom Kläger an ihn übermittelten, überwiegend schon ihrer Bezeichnung nach Vorgänge des Jahres 2011 betreffenden Ordner angesichts des Stichtags 31.12.2010 und der erforderlichen Berücksichtigung der Aktiva II und Passiva II in der Liquiditätsbilanz von vorneherein schon aus zeitlicher Sicht nicht relevant sein sollen, ist nicht nachvollziehbar.
59Soweit der Kläger einwendet, dass es für die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit im Haftungsprozess gegen den Geschäftsführer nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 19.12.2017, a.a.O., Rn. 17) nicht auf eine Belegvorlage ankomme, da der Insolvenzverwalter bei der Aufstellung der Liquiditätsbilanz die bei dem Schuldner geführte Buchhaltung zugrunde legen und sich auf deren zutreffende Erfassung der Geschäftsvorgänge bei dem Schuldner verlassen dürfe, greift dieser Vortrag deutlich zu kurz. Denn aus der Verpflichtung des Geschäftsführers einer GmbH, für die ordnungsgemäße Buchführung der Gesellschaft zu sorgen, ergibt sich keine unwiderlegbare Vermutung zu seinen Lasten dahin, der Inhalt einer Buchung gebe die Rechtswirklichkeit zutreffend wieder. Vielmehr steht es dem Geschäftsführer offen, etwa anhand der in den Geschäftsunterlagen verfügbaren Belege vorzutragen und zu beweisen, welche der in der Buchhaltung erfassten Vorgänge in welcher Hinsicht unrichtig sein sollen (BGH, a.a.O., Rn. 22 f.). Das dem Beklagten (auch) in diesem Zusammenhang zustehende Einsichtsrecht in die vom Kläger verwahrten Geschäftsunterlagen der Schuldnerin (BGH, a.a.O., Rn. 24; Urt. v. 19.01.2016 – II ZR 61/15, Rn. 25) hat dieser nicht dadurch verloren, dass er das erstinstanzliche Angebot des Klägers zur Einsichtnahme nicht wahrgenommen hat. Die vom Kläger nunmehr angebotene Vernehmung des Sachverständigen Dr. U. als Zeuge zur Frage, ob die vernichteten Unterlagen den in der Finanzbuchhaltung wiedergegebenen Vorgängen entsprechen, vermag vor dem Hintergrund des dem Beklagten selbst zustehenden Einsichtsrechts seine eigene Prüfung der Unterlagen, aber auch die eigene Prüfung des Senats im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung nicht zu ersetzen.
60Dass der Sachverständige Dr. U. die angeforderten, später vernichteten Unterlagen für die Erstellung seines Gutachtens überhaupt nicht genutzt habe, sondern allein auf die Finanzbuchhaltung der Schuldnerin zurückgegriffen habe, hat dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28.03.2024 nicht bestätigt. Wenngleich er angegeben hat, dass die Bedeutung der nunmehr vernichteten Unterlagen eher gering gewesen ist, haben sie ihm im Einzelfall doch zur Kontrolle bzw. Plausibilisierung der in elektronischer Form vorliegenden Unterlagen gedient. So sind die Ordner „F-Bank, Kto. …, 2011“ und „Kreissparkasse A., Kto. …, 2010-2011“ wohl zum Abgleich der vorgelegten Bankenspiegel verwendet worden. Die Anlage 11 zum Gutachten ist den vernichteten Steuerordnern entnommen worden. Die übrigen vernichteten Ordner dürften für die Gutachtenerstellung keine Bedeutung gehabt haben respektive haben allenfalls punktuell zur Plausibilitätsprüfung gedient. Eine Garantie, dass nicht noch weitere, einzelne Informationen den Ordnern entnommen worden sind, kann er nicht abgeben, deren Bedeutung hat er aber als eher gering eingestuft. Damit steht fest, dass diese Unterlagen jedenfalls nicht bedeutungslos gewesen sind. Letztlich kommt es aber auch nicht darauf an, welche Unterlagen der Sachverständige Dr. U. für die Erstellung des Gutachtens verwendet hat, sondern entscheidend ist, dass der Sachverständige unstreitig jedenfalls alle Unterlagen gesichtet hat, um dann zu entscheiden, was Grundlage seines Gutachtens wird. Dann können aber auch der Beklagte und der Senat das Gutachten nur umfassend auf die Vollständigkeit der berücksichtigten Grundlagen prüfen, wenn sie auch diese Unterlagen einsehen und darauf prüfen können, ob sich aus ihnen tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, die gegen die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sprechen.
61Der Beklagte muss auch entgegen der Ansicht des Klägers keineswegs einzelne Unterlagen benennen, die ihm fehlen oder konkret dazu vortragen, dass die Unterlagen in den 22 Ordnern einen Entlastungsbeweis für ihn enthalten. Vielmehr muss es ihm möglich sein, sämtliche Unterlagen, die dem Sachverständigen zur Erstellung des Gutachtens zur Verfügung standen, bei der Prüfung des Gutachtens heranzuziehen. Dass der vom Beklagten beauftragte Privatgutachter mithilfe der ihm vorliegenden übrigen Geschäftsunterlagen der Schuldnerin in der Lage war, bereits einzelne Kritikpunkte an dem Sachverständigengutachten herauszuarbeiten, heißt nicht, dass ihm die vernichteten Dokumente nicht für weitere Analysen gefehlt hätten. Dementsprechend betont er auch an mehreren Stellen seines Berichts (S. 10 und 16), dass weitergehende Untersuchungen mangels der vernichteten Unterlagen nicht durchgeführt werden konnten.
62Unabhängig davon hat der Kläger dem Beklagten - wie nachstehend näher ausgeführt wird - aber auch durch die Vernichtung der übrigen eingelagerten Buchhaltungsunterlagen, insbesondere der Summen- und Saldenlisten betreffend die Debitoren und Kreditoren der Schuldnerin für die Monate Januar bis Juli 2011, die Möglichkeit seiner Rechtsverteidigung genommen, was ebenfalls der Verwertung des Gutachtens entgegensteht.
632.
64Die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin lässt sich weder zum Stichtag 31.12.2010 noch zu einem späteren Zeitpunkt feststellen, nachdem der Kläger - trotz des wiederholten Verlangens des Beklagten - diesem keine Einsicht in die Summen- und Saldenlisten betreffend die Debitoren und Kreditoren der Schuldnerin für die Monate Januar bis Juli 2011 gewährt hat und diese schließlich hat vernichten lassen. Bei dieser Sachlage ist für eine weitere Aufklärung kein Raum. Dies gilt sowohl für die vom Kläger geltend gemachte Einstellung der Zahlungen der Schuldnerin als gesetzliche Vermutung für ihre Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 S. 2 InsO) als auch für seinen Antrag, ein weiteres Sachverständigengutachten zur Zahlungsunfähigkeit einzuholen, in dem auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 28.06.2022 - II ZR 112/21, Rn. 14 f.) zum Stichtag ein Liquiditätsstatus sowie für die folgenden drei Wochen mehrere weitere Liquiditätsstatus aufgestellt werden.
65a) Der Kläger hat dem Beklagten die Möglichkeit der Rechtsverteidigung genommen, indem er die Summen- und Saldenlisten betreffend die Kreditoren und Debitoren der Schuldnerin in den Fassungen zum jeweiligen Ende der Monate Januar bis Juli 2011 hat vernichten lassen, obwohl der Beklagte im Berufungsverfahren immer wieder Einsicht in diese Listen verlangt hat, die der Kläger nachhaltig auch schon zu einem Zeitpunkt verweigert hat, als die Listen noch verfügbar waren. Diesen Vorgang würdigt der Senat – wie im Senatstermin mit den Parteien erörtert – als zu Lasten des Klägers gehende Beweisvereitelung.
66aa) Nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. etwa BGH, Urt. v. 07.04.2022 – I ZR 222/20 – Porsche 911, Rn. 80; Urt. v. 23.11.2005 – VIII ZR 43/05, Rn. 23; MünchKommZPO/Prütting, 6. Aufl., § 286 Rn. 85 f.; Zöller/Greger, a.a.O., § 286 Rn. 14b; BeckOKZPO/Bacher, Stand 01.03.2024, § 284 Rn. 89 ff.; Anders/Gehle/Nober, ZPO, 82. Aufl., § 286 Rn. 79) setzt eine Beweisvereitelung in Anwendung des Rechtsgedankens, der den Regelungen in §§ 427, 441 Abs. 3 S. 3, §§ 444, 446, 453 Abs. 2, § 454 Abs. 1 ZPO sowie § 242 BGB zugrunde liegt, in objektiver Hinsicht voraus, dass eine Prozesspartei dem beweisbelasteten Gegner die Beweisführung erschwert oder unmöglich macht, wobei ein Verhalten vor oder während des Prozesses in Betracht kommt, mit dem vorhandene Beweismittel vernichtet oder vorenthalten werden oder ihre Benutzung erschwert wird. Deshalb ist eine Beweisvereitelung nicht anzunehmen, wenn es der beweisbelasteten Partei möglich gewesen wäre, den Beweis - etwa im Wege eines selbständigen Beweisverfahrens - zu sichern (BGH, Urt. v. 11.06.2015 – I ZR 226/13 – Deltamethrin I, Rn. 44).
67Der subjektive Tatbestand der Beweisvereitelung verlangt einen doppelten Schuldvorwurf: Das Verschulden muss sich sowohl auf die Zerstörung oder Entziehung des Beweisobjekts als auch auf die Beseitigung der Beweisfunktion beziehen, also darauf, die Beweislage des Gegners in einem gegenwärtigen oder künftigen Prozess nachteilig zu beeinflussen (BGH, Urt. v. 07.04.2022, a.a.O., Rn. 80). In den Fällen fahrlässiger Beweisvereitelung konzentriert sich die doppelte Verschuldensvoraussetzung auf das Vorliegen einer gesetzlichen oder vorprozessualen Pflicht zur Aufbewahrung oder Schaffung des betreffenden Beweismittels und auf die Erkennbarkeit, dass das Beweismittel für einen (künftigen) Prozess Bedeutung erlangen könnte (Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, 5. Aufl., Kap. 16 Rn. 31). Das Verschulden von Hilfspersonen reicht dabei in entsprechender Anwendung des § 278 BGB aus (Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, 15. Aufl., § 286 Rn. 102; Musielak/Voit/Foerste, ZPO, 21. Aufl., § 286 Rn. 65). Das objektiv beweisvereitelnde und schuldhafte Verhalten muss außerdem unberechtigt und missbilligenswert sein. Daran fehlt es, wenn das Verhalten des Prozessgegners der beweisbelasteten Partei auf triftigen Gründen beruht, die über rein prozesstaktische Erwägungen hinausgehen (BGH, Urt. v. 07.04.2022, a.a.O., Rn. 80).
68Der Anknüpfungspunkt für die dem Kläger vorzuwerfende Beweisvereitelung besteht darin, dass der Beklagte von Beginn des Rechtsstreits an geltend gemacht hat, die Schuldnerin sei zu den verschiedenen Zeitpunkten der von ihm veranlassten Zahlungen nicht zahlungsunfähig gewesen. Seine vom Kläger im Berufungsverfahren begehrte Einsichtnahme in die Summen- und Saldenlisten 2011 der Kreditoren und Debitoren der Schuldnerin in der Fassung der Monate Januar bis Juli 2011 hat er ausdrücklich hiermit begründet (vgl. Schriftsatz des Beklagten vom 13.10.2021, Bl. 1133 f. GA). Da der beklagte Geschäftsführer während des Insolvenzverfahrens nicht mehr über die Geschäftsunterlagen des Schuldners verfügt, muss ihm der Insolvenzverwalter Einsicht in die von ihm aufbewahrten Unterlagen gewähren, damit der Geschäftsführer seiner Darlegungs- und Beweislast zur Widerlegung der Vermutung einer Zahlungsunfähigkeit aufgrund einer Zahlungseinstellung nachkommen kann (BGH, Urt. v. 19.12.2017, a.a.O., Rn. 24). Denn die bloße, unter Sachverständigenbeweis gestellte Behauptung genügt insoweit nicht. Der Beklagte ist als Geschäftsführer, der mit den finanziellen Verhältnissen der insolvent gewordenen GmbH aufgrund seiner Tätigkeit vertraut ist, vielmehr gehalten, zu einer Liquiditätsbilanz, die Zahlungsfähigkeit belegen soll, konkret vorzutragen (BGH, Urt. v. 19.12.2017, a.a.O., Rn. 66). Ein solcher Vortrag wäre – obwohl er erstmals im Berufungsverfahren erfolgt wäre – nicht verspätet gewesen, hat doch der Senat die in erster Instanz begonnene Beweisaufnahme zur Zahlungsunfähigkeit durch die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens fortgesetzt und ist doch die Frage einer Zahlungseinstellung der Schuldnerin in erster Instanz vom Landgericht nicht behandelt worden (§ 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Ob – wie der Kläger geltend macht – eine Verspätung hinsichtlich der erstmals im Berufungsrechtszug vom Beklagten geltend gemachten Wiederaufnahme der Zahlungen durch die Schuldnerin anzunehmen ist, braucht der Senat deshalb nicht zu entscheiden.
69Nach Maßgabe der geschilderten Grundsätze ist dem Kläger eine Beweisvereitelung zulasten des Beklagten vorzuwerfen. Denn wie er selbst eingeräumt hat, sind die von ihm als Teil der Insolvenzmasse (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 1 InsO) gem. § 148 Abs. 1 InsO übernommenen Geschäftsunterlagen der Schuldnerin zwischenzeitlich sämtlich – einschließlich der monatlichen Fassungen der Summen- und Saldenlisten für 2011 – durch den von ihm mit der Einlagerung beauftragten Dienstleister vernichtet worden, bevor der Beklagte Einsicht genommen hat. Die Vernichtung der vom Beklagten zur Einsicht verlangten Summen- und Saldenlisten kann nicht durch den Ablauf der zehnjährigen Aufbewahrungsfristen gem. § 257 Abs. 4 Alt. 1, Abs. 1 Nr. 1 HGB, § 147 Abs. 3 S. 1 Alt. 1, Abs. 1 Nr. 1 AO gerechtfertigt werden. Zwar mag der Insolvenzverwalter grundsätzlich nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen gerade mit Blick auf die für die Masse durch die Einlagerung der Unterlagen entstehenden laufenden Kosten berechtigt sein, die Geschäftsunterlagen vernichten zu lassen (vgl. Uhlenbruck/Hirte/Praß, Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 36 Rn. 49). Anderes muss jedoch gelten, wenn der Insolvenzverwalter über den Zeitpunkt des Ablaufs der Aufbewahrungsfristen hinaus einen Prozess führt, in dem der Prozessgegner wie vorliegend auf die Einsichtnahme in die Unterlagen im Hinblick auf die ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast angewiesen ist. Dann ist der Insolvenzverwalter im Rahmen des zwischen ihm und dem Geschäftsleiter der Schuldnerin bestehenden Prozessrechtsverhältnisses zur weiteren Aufbewahrung verpflichtet. Dem Beklagten stand eine anderweitige Möglichkeit der Sicherung der Summen- und Saldenlisten 2011 nicht zur Verfügung. Insbesondere musste er kein selbständiges Beweisverfahren gem. §§ 485 ff. ZPO gerichtet auf die Inaugenscheinnahme der Summen- und Saldenlisten anstrengen, da der Kläger zu keinem Zeitpunkt in den Raum gestellt hatte, dass mit dem Rechtsstreit zusammenhängende Unterlagen wegen des Ablaufs der handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen zur Vernichtung anstünden. Der Beklagte durfte sich vielmehr darauf verlassen, dass dem Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin seine Pflicht zur Bereithaltung der mit seinem Klageanspruch zusammenhängenden Geschäftsunterlagen zur Einsichtnahme des Beklagten bekannt war.
70Den Kläger trifft den für den Tatbestand der Beweisvereitelung erforderlichen doppelten Schuldvorwurf in der Variante der Fahrlässigkeit. Denn er hat die monatlichen Fassungen der Summen- und Saldenlisten 2011 nach Ablauf der handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen vernichten lassen, obwohl ihm bewusst sein musste, dass er prozessrechtlich zur Aufbewahrung verpflichtet war und dass die Unterlagen im laufenden Rechtsstreit als Beweismittel Bedeutung erlangen konnten. Dabei ist es ohne entscheidende Bedeutung, ob der Kläger eine generelle Anweisung an seinen mit der Einlagerung beauftragten Dienstleister zur Vernichtung der Geschäftsunterlagen der Schuldnerin nach Ablauf der Einlagerungsfristen erteilt hat, ohne hiervon in laufenden Prozessen potentiell relevante Unterlagen auszunehmen, oder ob – worauf der Vortrag des Klägers nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung hindeutet – einer der Mitarbeiter des Klägers jeweils nach Ablauf der zehnjährigen Aufbewahrungsfrist die Freigabe der Unterlagen zur Vernichtung erteilt hat, ohne auf prozessrelevante Unterlagen zu achten. Denn danach ist dem Kläger entweder ein Organisationsverschulden vorzuwerfen oder ein fahrlässiges Verhalten seines Mitarbeiters ist ihm entsprechend § 278 BGB zuzurechnen. Die potentielle Beweiseignung der Summen- und Saldenlisten war dem Kläger erkennbar. Nicht nur betrieb er selbst im Zeitpunkt des Ablaufs der Aufbewahrungsfristen Ende 2021 den vorliegenden Haftungsprozess gegen den Beklagten, der Senat hatte auch schon mit Beschluss vom 12.04.2021 (Bl. 951 ff. GA) angekündigt, dass er aufgrund der Mängel des Gutachtens des Sachverständigen N. beabsichtigt, ein neues Gutachten zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin einzuholen, und die Beweisanordnung selbst mit Beschluss vom 20.05.2021 (Bl. 1002 GA) getroffen. Da sämtliche Geschäftsunterlagen zum Stichtag 31.12.2010 bis zur letzten vom Kläger geltend gemachten Zahlung vom 07.06.2011 möglicherweise für die neue Begutachtung relevant sein konnten, musste der Kläger schon vor diesem Hintergrund die potentielle Relevanz der Geschäftsunterlagen für den Prozess aus dieser Zeit erkennen. Überdies hat der Beklagte durch sein Einsichtsverlangen in die Summen- und Saldenlisten Januar bis Juli 2011 vom 27.08.2021, also wiederum vor Ablauf der Aufbewahrungsfristen Ende 2021, deutlich erkennen lassen, dass er von seinem Einsichtnahmerecht gerade in diese Unterlagen Gebrauch machen wollte. Obwohl der Senat mit Beschlüssen vom 14.10.2021 und vom 22.09.2023 ausdrücklich auf das Einsichtnahmerecht des Beklagten unter Bezugnahme auf die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung hingewiesen hat, hat der Kläger die Einsicht des Beklagten nachhaltig mit nicht zutreffenden Begründungen verweigert und schließlich die Unterlagen vernichten lassen.
71Den Kläger kann nicht entlasten, dass der Beklagte die im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens vom Kläger angebotene Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin nicht wahrgenommen hat. Denn der Kläger musste – solange der Prozess in den Tatsacheninstanzen nicht abgeschlossen war – weiterhin damit rechnen, dass der Beklagte Einblick in bestimmte Unterlagen zu seiner Verteidigung benötigen würde. Auch der bereits erwähnte Beschluss des Senats vom 22.09.2023, in dem der Antrag des Beklagten auf Verpflichtung des Klägers zur Vorlage der Summen- und Saldenlisten zum jeweiligen Ende der Monate Januar bis Juli 2011 zurückgewiesen worden ist, durfte den Kläger entgegen seiner Ansicht nicht in Sicherheit wiegen. Denn dort hat der Senat deutlich zwischen einer etwaigen Pflicht zur Vorlage der Unterlagen und dem Einsichtnahmerecht des Beklagten unterschieden und erneut auf das Bestehen dieses Rechts hingewiesen (Ziff. 2., Bl. 1357 R GA).
72bb) Die Rechtsfolge einer nach den vorstehenden Grundsätzen objektiven, schuldhaften und unberechtigten Beweisvereitelung besteht darin, dass dieses Verhalten im Rahmen der Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) zu Lasten des Vereitelnden gewürdigt werden kann (BGH, Urt. v. 07.04.2022, a.a.O., Rn. 81). Der Tatrichter hat gemäß § 286 ZPO nicht nur das Ergebnis einer Beweisaufnahme, sondern den gesamten Inhalt der Verhandlung zu würdigen. Dazu gehören die Handlungen, Erklärungen und Unterlassungen einer Partei und damit auch ein Verhalten einer Partei, das dazu führen kann, einen Beweis zu verhindern oder zu erschweren und dadurch die Beweisführung des beweispflichtigen Prozessgegners scheitern zu lassen. Ist von einer Beweisvereitelung auszugehen, ist dies im Rahmen der Beweiswürdigung zum Nachteil des Prozessgegners der beweispflichtigen Partei zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 11.06.2015, a.a.O., Rn. 29; MünchKommZPO/Prütting, a.a.O., Rn. 95). So gelten die Voraussetzungen der Insolvenzreife nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung als bewiesen, wenn der Geschäftsführer einer GmbH die ihm obliegende Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Büchern und Belegen nach §§ 238, 257 HGB, § 41 GmbHG verletzt hat und dem Gläubiger deshalb die Darlegung näherer Einzelheiten nicht möglich ist (BGH, Versäumnisurt. v. 24.01.2012 – II ZR 119/10, Rn. 16; Senat, Beschl. v. 27.06.2022 – I-12 W 4/22, Rn. 4; MünchHdbGesR VII/Born, a.a.O., Rn. 64; Prütting/Gehrlein/Laumen, a.a.O., Rn. 100; Zöller/Greger, a.a.O., § 286 Rn. 14c; Musielak/Voit/Foerste, a.a.O., Rn. 66; Baumgärtel/Laumen/Prütting, a.a.O., Rn. 7; Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Aufl., § 11 Rn. 105). Die Würdigung des beweisvereitelnden Verhaltens in dem hier vorliegenden umgekehrten Fall, dass der Insolvenzverwalter pflichtwidrig die von ihm während des Insolvenzverfahrens aufbewahrten Geschäftsunterlagen der Schuldnerin hat vernichten lassen, so dass der Geschäftsführer im Haftungsprozess die ihn entlastenden Umstände nicht vortragen kann, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Damit lässt sich nicht feststellen, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig war.
73b) Daraus folgend kann es schon im Ansatz nicht weiter darauf ankommen, ob – wie der Kläger unter Rückgriff auf sein erstinstanzliches Vorbringen meint – sich die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schon aus der Einstellung der Zahlungen ergibt (§ 17 Abs. 2 S. 2 InsO). Ungeachtet dessen aber reicht sein diesbezügliches Vorbringen auch für sich betrachtet nicht für die Feststellung aus, dass die von dem Beklagten im Zeitraum vom 26.01. bis 07.06.2011 veranlassten Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin erfolgten und dem Kläger daher der geltend gemachte Ersatzanspruch gegen den Beklagten i.H.v. 774.000 € zusteht.
74aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 28.04.2022, a.a.O., Rn. 27 f.; Urt. v. 26.01.2016 – II ZR 394/13, Rn. 14 m.w.N.; MünchHdbGesR VII/Born, a.a.O., Rn. 3 ff.) ist die Zahlungseinstellung dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus. Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Maßgeblich ist das Gesamtbild, d.h. ob der Schuldner einen wachsenden Berg von Verbindlichkeiten vor sich hergeschoben hat und demzufolge ersichtlich am wirtschaftlichen Abgrund operierte.
75bb) Mit der Klage hatte der Kläger zu den tatsächlichen Grundlagen einer Zahlungseinstellung nur geltend gemacht, zum 31.12.2010 sei bei der Schuldnerin ein Jahresfehlbetrag von rund 7,01 Mio. € zu verzeichnen gewesen. Dies allein erfüllt indessen nicht die von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen an eine Zahlungseinstellung.
76cc) Unergiebig ist auch der erstinstanzliche Vortrag des Klägers, aus der Anlage K 22 lasse sich die Zahlungseinstellung der Schuldnerin entnehmen (Schriftsatz vom 18.08.2015, Bl. 221 f. GA). Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass aus der Anlage K 22 erste Anhaltspunkte für eine Zahlungseinstellung abgeleitet werden können, dies allerdings nicht für den gesamten Zeitraum vom 26.01. bis 07.06.2011, sondern erst für die Zeit ab dem 04.04.2011. Da es sich bei der Anlage K 22 unstreitig um eine Übersicht zu fälligen Forderungen in der 14. Kalenderwoche 2011 (04.04. bis 10.04.2011) handelte, die die Schuldnerin der Sanierungsberaterin für die Erstellung der Liquiditätsplanung übergeben hatte, konnte der Beklagte als Geschäftsführer der Schuldnerin deren Inhalt nicht - wie erstinstanzlich erfolgt - mit Nichtwissen bestreiten, sondern hätte sich entsprechende Kenntnisse durch Einsichtnahme in die Buchführung der Schuldnerin verschaffen müssen (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 138 Rn. 16). Indessen lassen sich dieser Übersicht nur Verbindlichkeiten der Schuldnerin in Höhe von insgesamt 7.078.790 € entnehmen, die sich in über drei Monate überfällige, bis drei Monate überfällige, bis zwei Monate überfällige, bis einen Monat überfällige und fällige Verbindlichkeiten aufgliedern, so dass sich zum Zeitpunkt der 14. Kalenderwoche ein Gesamtteilbetrag von 3.366.796 € ergibt. Schon insoweit reicht es aber entgegen der Ansicht des Klägers nicht aus, den Teilbetrag von 3.366.796 € ins Verhältnis zu den ausstehenden Gesamtverbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 7.078.790 € zu setzen. Vielmehr hätte der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger zu den weiteren tatsächlichen Voraussetzungen der Zahlungseinstellung vortragen müssen, nämlich in welcher Höhe die Schuldnerin tatsächlich Zahlungen hierauf erbracht hat, denn insoweit reichen die in der Übersicht enthaltenen Angaben zu den ex ante geplanten Zahlungen nicht aus.
77Zu einer weiteren Aufklärung insoweit und Ergänzung des Vorbringens besteht indessen kein Anlass, weil der Beklagte - wie bereits ausgeführt - nach der Vernichtung der Summen- und Saldenlisten durch den Kläger nicht mehr die Möglichkeit hat, eine etwaige sich dann zu Gunsten des Klägers ergebende Vermutung der Zahlungsunfähigkeit durch den Nachweis zu widerlegen, dass eine Liquiditätsbilanz im maßgebenden Zeitraum für die Schuldnerin eine Deckungslücke von weniger als 10 % ausweist (BGH, Urt. v. 19.12.2017, a.a.O., Rn. 66; MünchHdbGesR VII/Born, a.a.O., Rn. 52).
78c) Auch dem Antrag des Klägers auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin, in dem auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 28.06.2022, a.a.O., Rn. 14 f.) zum Stichtag ein Liquiditätsstatus sowie für die folgenden drei Wochen mehrere weitere Liquiditätsstatus aufgestellt werden sollen, ist nicht zu entsprechen. Denn auch die durch ein solches Gutachten ggfls. festgestellte Zahlungsunfähigkeit wird nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung wegen der Vernichtung der monatlichen Summen- und Saldenlisten für Januar bis Juli 2011 keinen Bestand haben können.
79III.
80Es bedarf keiner Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. §§ 156 Abs. 2 Nr. 2, 580 Nr. 7b ZPO aufgrund des neuen Vortrags des Klägers mit seinem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz vom 25.04.2024 (Bl. 1605. ff. GA) zu den Umständen der Vernichtung der 22 Aktenordner. Denn wie sich aus den Ausführungen unter II. 1. b) ergibt, kommt es für die Frage der Verwertbarkeit des Gutachtens des Sachverständigen Dr. U. auf ein Verschulden des Klägers nicht entscheidend an. Demgegenüber stützt der Senat die verschuldensabhängige Beweisvereitelung des Klägers auf die Vernichtung der monatlichen Summen- und Saldenlisten für Januar bis Juli 2011 (vgl. die Ausführungen unter II. 2. a), deren Hintergründe nicht Gegenstand des neuen Vortrags sind.
81IV.
82Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
83Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
84Es besteht keine Veranlassung, die Revision gem. § 543 ZPO zuzulassen, da ein Einzelfall zu entscheiden war, der nicht von allgemeiner Bedeutung ist, und die Entscheidung des Senats nicht von einer anderen höchst- oder obergerichtlichen Entscheidung abweicht.
85Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 774.000 € festgesetzt.