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Der Angeklagte ist des Mordes in einem Fall sowie des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier weiteren Fällen schuldig.
Er wird zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt.
Die Schuld des Angeklagten wiegt besonders schwer.
Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung wird angeordnet.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Nebenkläger.
Gründe:
2– abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO –
3Vorbemerkung:
4Der Angeklagte ist militanter Islamist und zur Tötung „Ungläubiger“ im Rahmen des weltweiten Jihad entschlossen. Am 9. April 2023 erstach er in Stadt 1 mit einem Küchenmesser heimtückisch einen Mann auf offener Straße (Tat 1). Am 18. April 2023 stach er in einem Stadt 1er Fitnessstudio in Tötungsabsicht auf vier ebenfalls arg- und wehrlose Männer ein und verletzte sie schwer (Taten 2 bis 5).
5Der Angeklagte hat die Taten eingeräumt und angekündigt, auch in Zukunft „Ungläubige“ zu töten.
6Der Senat hat hinsichtlich des Nebenklägers J. (Tat 4) mit dessen und der Zustimmung des Generalbundesanwalts den Vorwurf der schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) nach § 154a Abs. 2 i.V.m. § 154a Abs. 1 Nr. 1 StPO von der Strafverfolgung ausgenommen und diese auf die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt.
7Das Urteil beruht nicht auf einer Verständigung gemäß § 257c StPO.
8A. Feststellungen
9I. Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten
10Der 27 Jahre alte Angeklagte wurde in der Stadt B. im Südwesten Syriens geboren. Sein Vater leitete eine Grundschule; die 2013 verstorbene Mutter war ebenfalls Lehrerin. Er wuchs als drittes von sechs Kindern im elterlichen Haushalt auf. Seine schulische Ausbildung schloss er 2015 mit dem Abitur ab.
11Um nicht zum Militärdienst in der syrischen Armee herangezogen zu werden, flüchtete er im September 2015 über die sog. Balkanroute nach Deutschland, wo er in Stadt 1 ansässig wurde. Hier lebte er zunächst in einer Gemeinschaftsunterkunft. Im April 2016 stellte er einen Asylantrag. Im Juni 2016 wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ab September 2016 lebte er in einer eigenen Wohnung, zuletzt am Rande der Stadt 1er Innenstadt.
12Seinen Lebensunterhalt finanzierte er weit überwiegend durch staatliche Leistungen; gelegentlich ging er kurzfristigen Aushilfstätigkeiten nach. Er hat Grundkenntnisse der deutschen Sprache, die ihm eine Verständigung im Alltag ermöglichen. Eine seiner Schwestern lebt ebenfalls in Deutschland.
13Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
14II. Feststellungen zur Radikalisierung des Angeklagten
15Der Angeklagte ist sunnitischer Muslim. Er wuchs in einer religiös gemäßigten Familie auf. In den ersten Jahren in Deutschland besuchte er zwar regelmäßig die Moschee, zeichnete sich aber nicht durch besonderen religiösen Eifer aus.
16Etwa ab 2020 beschäftigte er sich intensiver mit der Ideologie des jihadistischen Salafismus. Seine Informationen bezog er nahezu ausschließlich aus dem Internet, überwiegend von Webseiten der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Der IS propagiert die Errichtung eines islamischen Gemeinwesens auf der Grundlage der Scharia und ruft zum gewaltsamen Kampf gegen „Ungläubige“, d.h. Nicht-Muslime und Muslime mit abweichendem Islamverständnis, auf. Der Angeklagte meinte in dieser Ideologie die „wahre“ Religion gefunden zu haben. Ihr folgend lehnt er die säkulare Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland ab und ist entschlossen, alle Nicht-Muslime und Muslime nicht-jihadistischer Strömungen zu bekämpfen.
17Spätestens im April 2023 hatte sich der Angeklagte derart radikalisiert, dass er bereit war, dem Aufruf des IS zum weltweiten bewaffneten Jihad zu folgen. Ohne direkte Anbindung an den IS oder eine andere Gruppierung entschied er sich, willkürlich ausgewählte männliche Bewohner der Bundesrepublik Deutschland zu töten, weil schon deren von ihm vermutete westliche Lebensweise aus seiner Sicht ein hinreichender Beleg ihrer „Ungläubigkeit“ war. Außerdem wollte er Rache für Verbrechen üben, die Muslimen in ihren Heimatländern angeblich durch „den Westen“ angetan wurden. Dass dies nach hiesigen Wertvorstellungen höchst verwerflich ist, war ihm bewusst. Der Angeklagte ging davon aus, bei seinen Taten früher oder später durch Polizeikräfte erschossen zu werden und damit nach seiner Vorstellung als Märtyrer zu sterben.
18Die jihadistische Einstellung des Angeklagten besteht fort. Er sieht es nach wie vor als verbindliche Glaubenspflicht an, willkürlich ausgewählte männliche Bewohner der Bundesrepublik Deutschland zu töten.
19III. Feststelllungen zur Sache
201. Tötung des F. F. am 9. April 2023 (Tat 1)
21Spätestens am Abend des 8. April 2023 entschloss sich der Angeklagte, seinen zuvor allgemein gefassten Plan in die Tat umzusetzen, aus seiner Sicht „Ungläubige“ zu töten.
22Am 9. April 2023 ging er gegen 1 Uhr nachts, bewaffnet mit einem handelsüblichen Küchenmesser, das eine etwa 20 Zentimeter lange Klinge hatte, zu dem unweit seiner Wohnung gelegenen K.-Straße am Rande der Stadt 1er Innenstadt. Dort sah er aus der Distanz eine Gruppe von fünf Männern, zu denen auch der 35 Jahre alte F. F. gehörte. Die Männer feierten auf der verkehrsberuhigten L.-Straße, hörten laute Musik und tranken Alkohol. Der Angeklagte hielt sie für geeignete Tatopfer und entschloss sich, sie mit dem Messer zu töten.
23Bevor er sich der Gruppe nähern konnte, entfernte sich der Geschädigte F. von den übrigen Feiernden. Er trat aus deren Blickfeld heraus und bewegte sich in Richtung des Angeklagten, der am Übergang der K.-Straße zur M.-Straße stand.
24Der Angeklagte entschloss sich, diese Situation auszunutzen: Er verbarg das Küchenmesser zwischen seinem rechtem Arm und seinem Oberkörper. Als F. F. unmittelbar an ihm vorbeiging, zog er das Messer und stach ihm in Tötungsabsicht in den Bauch.
25F. F. war von dem Angriff völlig überrascht und konnte ihm daher nichts entgegensetzen. Der Angeklagte fügte ihm in schneller Folge insgesamt 28 Stich- und Schnittverletzungen in Bauch, Brust und Oberschenkel sowie Schnittverletzungen an Hinterkopf und Nacken zu. Die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten nutzte er mit seinem überraschenden Angriff bewusst aus.
26F. F. sackte schwerverletzt zusammen und blieb auf dem Bürgersteig liegen. Kurz darauf wurde die Zeugin N. auf das Geschehen aufmerksam und schrie den Angeklagten von ihrem Balkon aus an. Außerdem hörte er in der Nähe ein Martinshorn. Da der Angeklagte nun seine Entdeckung befürchtete, nahm er von seinem Vorhaben, auch die übrigen Männer zu erstechen, Abstand und ging nach Hause. Um 1:23 Uhr postete er auf Facebook einen Beitrag aus dem IS-Online-Magazin „Y.“, in dem das Fortbestehen des „Islamischen Staates“ und dessen weltweiter Jihad gegen „Ungläubige“ propagiert wurden.
27F. F. wurde wenige Minuten nach der Tat von seinen Freunden, die sich auf die Suche nach ihm gemacht hatten, auf der Straße liegend gefunden. Er war zu dieser Zeit bereits kaum mehr ansprechbar und verstarb trotz der wenig später eingeleiteten intensivmedizinischen Behandlung am Nachmittag desselben Tages an inneren Blutungen infolge der Stichverletzungen.
28Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war während der Tat weder erheblich vermindert noch aufgehoben.
292. Messerangriffe auf H. H., I. I., J. J. und D. D. im Fitnessstudio „X.“ am 18. April 2023 (Taten 2 bis 5)
30a. Tatgeschehen
31Am 18. April 2023 entschloss sich der Angeklagte aufgrund seiner radikal-islamischen Gesinnung, weitere nach seinem Dafürhalten „Ungläubige“ zu töten. Hierfür erschien ihm das unweit seiner Wohnung gelegene Fitnessstudio „X. Fitness“ in der O.-Straße … in Stadt 1 als geeigneter Ort. Der Angeklagte nahm sich vor, dort möglichst viele Männer zu töten. Um 16:53 Uhr postete er auf Facebook ein Video mit der Rezitation einer Koransure, deren Inhalt von Jihadisten zur Legitimation ihres Kampfes gegen „Ungläubige“ verwendet wird. Kurz nach 17 Uhr ging er mit einem Rucksack und dem bereits bei der Tat am 9. April 2023 verwendeten Messer zu dem Fitnessstudio und gab vor, ein Probetraining absolvieren zu wollen. Im Studio lief er in die Herrenumkleide, führte dabei das Messer verborgen mit sich und erweckte den Eindruck, er wolle sich umziehen.
32Auch bei Begehung der nachfolgend im Einzelnen dargestellten Messerangriffe war die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten weder erheblich vermindert noch aufgehoben.
33aa. Angriff auf H. H. (Tat 2)
34Neben ihm in der Umkleide zog sich der Nebenkläger H. H. um. Er beachtete den Angeklagten nicht. Plötzlich trat der Angeklagte von rechts an ihn heran und versetzte ihm in Tötungsabsicht in schneller Abfolge mit dem Messer drei Stiche in die rechte Bauchseite, die rechte Brust und die rechte Leiste sowie einen weiteren Stich in den rechten Unterarm.
35H. H. war von dem Angriff völlig überrascht und konnte ihm daher nichts entgegensetzen. Der Angeklagte hatte seine Arg- und Wehrlosigkeit erkannt und bei seinem überraschenden Angriff bewusst ausgenutzt.
36Als H. H. seine Verletzung realisierte, flüchtete er in den an die Umkleide angrenzenden Duschbereich und von dort weiter zum Haupteingang des Fitnessstudios. Der Angeklagte hielt es insbesondere nach den gezielten Stichen in Bauch und Brust für möglich, dass der Nebenkläger – obwohl er zunächst noch weglaufen konnte – an den Stichverletzungen sterben werde.
37bb. Angriff auf I. I. (Tat 3)
38Der Angeklagte ging nun von der Umkleide in den Duschbereich, wo sich der Nebenkläger I. I. aufhielt. Dieser hatte beim Betreten der hinteren Duschkabine zwar Geschrei vernommen. Er ging aber davon aus, es handele sich um einen Spaß unter Freunden, und wähnte daher keine Gefahr. Als er kurz darauf im Fliesenspiegel seiner Duschkabine einen Schatten wahrnahm und sich zur offenen Seite der Kabine umdrehte, stand ihm der Angeklagte bereits direkt gegenüber, stach unvermittelt und in Tötungsabsicht auf ihn ein und fügte ihm einen Stich am linken Oberbauch sowie an der Innenseite des rechten Oberarmes zu.
39I. I. war von dem Angriff derart überrascht, dass er keine Gegenwehr leisten konnte. Der Angeklagte hatte seine Arg- und Wehrlosigkeit erkannt und bewusst für den überraschenden Angriff ausgenutzt.
40Als I. I. zu reagieren vermochte, stieß er den Angeklagten mit durchgestreckten Armen von sich weg, drängte sich an ihm vorbei aus der Duschkabine und flüchtete. Der Angeklagte hielt es nach dem gezielten Stich in den Bauch für möglich, dass der Nebenkläger daran versterben werde.
41cc. Angriff auf J. J. (Tat 4)
42Der Angeklagte ging nun von den Duschen zurück zur Herrenumkleide. Dort hielt sich der Nebenkläger J. J. auf. Er hatte aus dem Duschbereich einen Schrei vernommen und wollte Hilfe leisten, rechnete dabei aber nicht mit einer Gefahr für seine körperliche Unversehrtheit.
43Auf dem Weg zu den Duschen bog er in der Umkleide um eine Ecke und stand dort plötzlich dem Angeklagten gegenüber. Der Angeklagte erkannte in J. J. ein weiteres potentielles Opfer und stach mit seinem Messer unvermittelt und in Tötungsabsicht tief in dessen rechte Flanke.
44J. J. war von dem Angriff völlig überrascht und konnte ihm daher nichts entgegensetzen. Auch in diesem Fall nutzte der Angeklagte die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten bewusst für seinen Messerangriff aus.
45Der durch den Stich schwer verletzte J. J. konnte unmittelbar darauf noch aus der Herrenumkleide in den Trainingsbereich flüchten, brach dort aber infolge des hohen Blutverlustes zusammen und blieb auf dem Boden liegen. Der Angeklagte hielt es nach dem gezielten Stich in den Bauch für möglich, dass der Nebenkläger daran sterben werde.
46Er wandte sich nun in einer der Umkleidenischen mit vorgehaltenem Messer dem Zeugen P. zu. Dieser erkannte die Gefahr und brachte sich durch Umlaufen einer Sitzgelegenheit und Flucht aus der Umkleide unversehrt in Sicherheit, bevor der Angeklagte zu einem Angriff gegen ihn ansetzen konnte.
47dd. Angriff auf D. D. (Tat 5)
48Anschließend verließ der Angeklagte den Umkleidebereich in Richtung der Trainingsfläche. Dort hatte sich inzwischen der Nebenkläger D. D. über den neben einem Butterfly-Trainingsgerät liegenden J. J. gebeugt, um ein Handtuch auf dessen Bauchwunde zu drücken. Er führte die Verletzung auf eine ihn nicht betreffende Auseinandersetzung zurück und rechnete daher nicht mit einem Angriff auf seine Person.
49Der Angeklagte hatte unterdessen den Trainingsbereich erreicht, stand unmittelbar hinter D. D. und stach diesem in Tötungsabsicht mit dem Messer zweimal in den rechten Oberschenkel. Er wusste, dass dort große Blutgefäße verlaufen und der Nebenkläger rasch verbluten würde, wenn er diese Gefäße mit dem Messer verletzte.
50D. D. war von dem Angriff derart überrascht, dass er den beiden Messerstichen nichts entgegensetzen konnte. Der Angeklagte hatte seine Arg- und Wehrlosigkeit erkannt und bewusst zu dem hinterrücks ausgeführten Angriff ausgenutzt.
51Es gelang D. D. trotz seiner Verletzungen, sich mit einem Sprung über den am Boden liegenden J. J. auf Abstand zum Angeklagten zu bringen. Die beiden standen sich nun lediglich durch das Butterfly-Trainingsgerät voneinander getrennt gegenüber, wobei der Angeklagte das Messer gezückt in der Hand hielt und den Nebenkläger D. mit seinem Blick fixierte. Da der Angeklagte nun davon ausging, diesen noch nicht tödlich verletzt zu haben, wollte er weiter auf ihn einstechen. D. D. bewegte sich in dieser Situation zunächst einige Schritte entlang der Trainingsgeräte nach rechts, um mehr Abstand zwischen sich und den Angeklagten zu bringen. Der Angeklagte folgte ihm auf der anderen Seite der Trainingsgeräte. Als D. D. erkannte, dass sein Weg zum Treppenhaus nun kürzer war als derjenige des Angeklagten und dieser ihm den Fluchtweg nicht mehr abschneiden konnte, rannte er unvermittelt zu dem ins Treppenhaus führenden Ausgang und verschwand über die Treppe aus dem Blickfeld des Angeklagten.
52Der hiervon überraschte Angeklagte fühlte sich durch die vorausgegangenen Angriffe und weil er im Ramadan tagsüber gefastet hatte, zu erschöpft, die Verfolgung aufzunehmen. Er ging davon aus, dass sein Vorhaben, D. D. zu töten, durch dessen Flucht gescheitert war.
53ee. Nachtatgeschehen
54Dem Angeklagten gelang es anschließend, das Studio unerkannt zu verlassen. Auf Videoaufnahmen wurde er als Täter wiedererkannt und im Rahmen einer Öffentlichkeitsfahndung durch Bekannte identifiziert. Da er selbst von der Fahndung erfahren hatte, erwartete er, dass ihn die Polizei in seiner Wohnung aufsuchen würde. Er hatte die Absicht, auch die Beamten mit einem Messer anzugreifen, und war bereit, dabei als Märtyrer zu sterben. Hierzu kam es jedoch nicht, weil er bei seiner Festnahme am 23. April 2023 mit Hilfe eines Polizeihundes überwältigt werden konnte. Seit dem Folgetag befand er sich in Untersuchungshaft.
55b. Tatfolgen
56Die Angriffe des Angeklagten hatten für die Nebenkläger schwerwiegende körperliche und psychische Folgen.
57aa. H. H. (Tat 2)
58Bei dem Nebenkläger H. führten die Messerstiche u.a. zu einer Verletzung der Lunge und unter Eröffnung der Bauchhöhle zu einer Schädigung der Leber. Die Verletzungen waren wegen des damit verbundenen Blutverlusts konkret lebensbedrohlich und mussten notoperativ versorgt werden. H. H. befand sich sechs Tage in stationärer Behandlung. Anschließend war er viele Wochen in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Körperlich macht sich der Angriff noch heute durch eine reduzierte Ausdauer und gelegentlichen Wundschmerz bemerkbar.
59Psychisch entwickelte der Nebenkläger eine Anpassungsstörung, die psychotherapeutisch behandelt wird. Er leidet bis heute unter Schlafstörungen, geringer Stress-Resistenz, um die Tat kreisenden Gedanken und Angstattacken. Er ist seit dem Vorfall krankgeschrieben, beabsichtigt aber, seine berufliche Tätigkeit im Januar 2024 wieder aufzunehmen.
60bb. I. I. (Tat 3)
61Der Nebenkläger I. erlitt u.a. eine vier Zentimeter lange, querverlaufende Stichverletzung am linken Oberbauch, die zu einer wegen des Blutverlustes konkret lebensbedrohlichen Eröffnung der Bauchhöhle führte. Dabei wurden die Gallenblase und die Leber verletzt. In einer Notoperation mussten die Blutung gestillt und ein Teil der Leber und der Gallenblase entfernt werden. Der Nebenkläger befand sich eine Woche in stationärer Behandlung. Er nahm seine Arbeit – entgegen ärztlichem Rat – bereits zwei Monate nach der Tat wieder auf. Sport ist ihm bis heute nur eingeschränkt möglich.
62I. I. ist durch die Tat psychisch noch immer schwer belastet. Er leidet unter Schlafstörungen, Alpträumen und hat in größeren Menschenmengen wie auch in unübersichtlichen Situationen große Angst, weshalb er sich sozial zurückzieht. Behandlungen in einer Trauma-Ambulanz haben bislang zu keiner nennenswerten Besserung geführt.
63cc. J. J. (Tat 4)
64Der Nebenkläger J. trug eine drei Zentimeter lange Stichverletzung an der rechten Flanke davon. Diese hatte neben der Eröffnung der Bauchhöhle auch die Verletzung des Dickdarms sowie der rechten Nierenarterie und -vene zur Folge. Er musste notoperativ versorgt werden, weil konkrete Lebensgefahr bestand. Dem Nebenkläger wurden die rechte Niere und ein Teil des Dickdarms sowie die Gallenblase entfernt. Zudem wurde ein künstlicher Darmausgang angelegt. In der Folgezeit kam es zu verschiedenen Komplikationen, die weitere Operationen erforderlich machten. J. J. befand sich mehr als zweieinhalb Monate in stationärer Behandlung.
65Die ihm verbliebene Niere ist infolge der Tat in ihrer Funktion derart eingeschränkt, dass er sich dreimal pro Woche einer mehrstündigen Dialysebehandlung unterziehen muss. Für den Fall, dass die Niere ihre Funktion nicht wieder aufnimmt, ist eine Transplantation vorgesehen. Anfang 2024 soll die Rückverlegung des künstlichen Darmausgangs erfolgen. Insgesamt ist der Geschädigte durch die körperlichen Beeinträchtigungen in seiner Lebensführung stark eingeschränkt. Es ist ihm allerdings gelungen, sein Lehramtsstudium in einem der beiden von ihm gewählten Fächer online fortzusetzen.
66Nach der Tat entwickelte J. J. eine extreme posttraumatische Belastungsstörung. Sein psychischer Zustand hat sich zwischenzeitlich deutlich stabilisiert, es bestehen aber weiterhin erhebliche Beeinträchtigungen: Der Nebenkläger hat seinen vor der Tat bestehenden Optimismus verloren. Er leidet unter Schlafstörungen und Flashbacks. Umstände, die ihn an die Tat erinnern, belasten ihn sehr und lassen ihn entsprechende Situationen meiden.
67dd. D. D. (Tat 5)
68Der Nebenkläger D. befand sich zwei Tage in stationärer Behandlung, wo seine Stichwunden genäht wurden. Die Stiche in den Oberschenkel waren aufgrund der dort verlaufenden zahlreichen, teils großen Blutgefäße potentiell lebensbedrohlich. Konkrete Lebensgefahr bestand indes nicht. Er leidet bis heute an einem Taubheitsgefühl im Bereich der Einstichstellen. Beruflich befindet er sich derzeit in der Phase der Wiedereingliederung.
69Der Geschädigte hat durch die Tat eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten. Er verlässt ungern seine Wohnung und leidet noch heute unter Angst- und Panikattacken. Seine nebenberufliche Tätigkeit als Fotograf hat er aufgegeben. Er schätzt seine Situation wenig optimistisch ein. Die psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung dauert an.
70B. Beweiswürdigung
71Der Angeklagte hat sich – mit Ausnahme der Einzelheiten des Angriffs auf den Nebenkläger D., an die er keine konkrete Erinnerung mehr hatte – umfassend geständig eingelassen, soweit die Geschehnisse seiner Wahrnehmung unterlagen.
72I. Die Feststellungen zu seinen persönlichen Verhältnissen (A. I.) und zu seiner Radikalisierung (A. II.) beruhen im Wesentlichen auf seinen glaubhaften Angaben. Sie werden bestätigt und ergänzt durch den zusammenfassenden Bericht von Kriminaloberkommissarin Q., die Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 29. November 2023 und die Erkenntnisse aus der Auswertung der Mobiltelefone und des Tablets des Angeklagten.
73II. Die Feststellungen zur Tötung des F. F. (A. III. 1., Tat 1) beruhen auf dem glaubhaften Geständnis des Angeklagten, das auch Rückschlüsse auf die Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten zuließ. Es steht in Einklang mit den Ergebnissen molekulargenetischer Untersuchungen, die eine DNA-Spur des F. F. an einem Schuh des Angeklagten aufgedeckt haben, und wird durch die Angaben von Zeugen zum Geschehen unmittelbar vor und nach der Tat ergänzt. Das Verletzungsbild und die Todesursächlichkeit der beigebrachten Verletzungen hat der Senat dem Obduktionsbericht vom 10. April 2023 entnommen.
74III. Auch die Feststellungen zum Geschehen im Fitnessstudio (A. III. 2. a.) beruhen im Wesentlichen auf den geständigen Angaben des Angeklagten.
751. Die Angriffe auf die Nebenkläger H. (A. III. 2. a. aa., Tat 2), I. (A. III. 2. a. bb., Tat 3) und J. (A. III. 2. a. cc., Tat 4) hat er im Detail eingeräumt. Seine Angaben korrespondieren mit den Bekundungen der geschädigten Nebenkläger und den Ausführungen der gerichtsmedizinischen Sachverständigen S. und werden durch diese ergänzt. Sie stehen zudem in Einklang mit den Ergebnissen molekulargenetischer Untersuchungen, die DNA-Spuren der Nebenkläger J. und I. an einem Schuh und an Kleidungsstücken des Angeklagten nachgewiesen haben.
762. An den Angriff auf den Nebenkläger D. (A. III. 2. a. dd., Tat 5) vermochte sich der Angeklagte zwar nicht im Einzelnen zu erinnern. Er hat aber auch insoweit seine Täterschaft nicht in Abrede gestellt und seine Tötungsabsicht eingeräumt. Die Feststellungen zum konkreten Ablauf dieses Angriffs beruhen auf den glaubhaften Bekundungen des Nebenklägers und der gerichtsmedizinischen Bewertung des Verletzungsbildes.
77Die Arg- und daraus resultierende Wehrlosigkeit des Nebenklägers im Moment der beiden Stiche war für den von hinten angreifenden Angeklagten offensichtlich.
78Dass der Angeklagte davon ausging, durch die Stiche noch nicht alles zur Herbeiführung des Todes des Nebenklägers getan zu haben, folgt daraus, dass er D. D. nachsetzte, nachdem dieser durch die Stiche in den Oberschenkel nicht nachhaltig beeinträchtigt schien.
79Dass er nicht mehr vermochte, dem flüchtenden Nebenkläger nachzueilen, ergibt sich aus seinen Angaben zum Abbruch seiner Angriffsserie im Fitnessstudio, denn er hat erklärt, er sei aufgrund der vorangegangen Angriffe und des Fastens im Ramadan so erschöpft gewesen, dass er sein Tötungsvorhaben nicht weiter habe ausführen können. Dass er unter diesen Umständen vom Scheitern seines Vorhabens, D. D. zu töten, ausging, liegt auf der Hand.
80IV. Die Feststellungen zu den Folgen der Taten 2 bis 5 für die Nebenkläger H., I., J. und D. (A. III. 2. b.) beruhen auf deren Angaben, den erhobenen ärztlichen Befunden und der sachverständigen Bewertung durch die Gerichtsmedizinerin S.. Zu den Verletzungen und der ärztlichen Behandlung des Nebenklägers J. hat der Senat überdies die behandelnden Ärzte T. und U. als Zeugen vernommen und ein Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen V. eingeholt.
81V. Dass die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten weder erheblich vermindert noch aufgehoben war, hat der Senat den überzeugenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen W. entnommen, denen er sich nach eigener Prüfung angeschlossen hat. Der Sachverständige hat eine forensisch relevante psychiatrische Beeinträchtigung des Angeklagten verneint. Es liegt bereits keines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale vor. Insbesondere handelt es sich bei dem den jihadistischen Vorstellungen des Angeklagten zu Grunde liegenden Glauben an einen gebietenden und strafenden Gott nicht um eine krankhafte seelische Störung in Gestalt eines paranoiden Wahns, sondern um eine normalpsychologisch erklärbare – wenn auch fehlgeleitete – religiöse Überzeugung.
82C. Rechtliche Würdigung
83I. Tötung des F. F. am 9. April 2023 (Tat 1)
84Durch die Tötung des F. F. hat sich der Angeklagte des heimtückischen Mordes aus niedrigen Beweggründen strafbar gemacht (§ 211 Abs. 2 Var. 4 und 5 StGB).
851. Heimtückisch handelt, wer eine zur Tatzeit beim Opfer bestehende Arg- und Wehrlosigkeit bewusst zur Tat ausnutzt. Arglos ist, wer sich eines Angriffs nicht versieht; wehrlos ist derjenige, dessen Verteidigungsfähigkeit aufgehoben oder erheblich eingeschränkt ist. Die Wehrlosigkeit muss sich als Folge der Arglosigkeit darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2016 – 3 StR 120/16, NStZ-RR 2017, 78).
86Der Geschädigte F. versah sich im Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz gegen ihn geführten Angriffs des Angeklagten keines solchen. Daher konnte er dem Angriff nichts entgegensetzen. Dies war dem Angeklagten, der das von ihm geschaffene Überraschungsmoment nutzte, bewusst.
872. Der Angeklagte handelte auch aus niedrigen Beweggründen.
88Beweggründe sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und daher besonders, d. h. in deutlich weitreichenderem Maße als bei einem Totschlag, verachtenswert sind. Die Beurteilung erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren, für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2018 − 1 StR 422/18, NStZ 2019, 204 Rn. 20). Niedrig sind Beweggründe in der Regel dann, wenn dem Opfer allein wegen seiner Zugehörigkeit zu einer politischen, sozialen oder ethnischen Gruppe das Lebensrecht abgesprochen und es in entpersönlichter Weise quasi als Repräsentant einer Gruppe getötet werden soll (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 2003 – 2 StR 531/02, NStZ 2004, 89 Rn. 10; vom 18. Mai 2022 – AK 19/22, juris Rn. 31).
89Gemessen hieran erweist sich die im Rahmen eines weltweiten Jihad begangene Tötung eines willkürlich ausgewählten Bewohners der Bundesrepublik Deutschland, als Mord aus niedrigen Beweggründen. Dass der Angeklagte durch die Tat auch „Rache“ für angebliche „Verbrechen“ nehmen wollte, die Muslimen in ihren Heimatländern durch „den Westen“ angetan wurden, entlastet ihn nicht. Im Gegenteil: Denn auch Akte politisch motivierter Selbstjustiz – zumal an Unbeteiligten und bar jeder individuellen Betroffenheit des Täters – sind als besonders verachtenswert einzustufen (vgl. LK/Rissing-van Saan/Zimmermann, StGB, 13. Auflage, § 211 StGB Rn. 68; MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl. 2021, § 211 Rn. 95; ferner BGH, Beschluss vom 2. Mai 2018 – 3 StR 355/17, juris Rn. 12).
90II. Messerangriffe auf H. H., I. I., J. J. und D. D. im Fitnessstudio „X.“ am 18. April 2023 (Taten 2 bis 5)
91Durch die Messerangriffe auf die Nebenkläger H., I., J. und D. hat sich der Angeklagte des versuchten Mordes in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, strafbar gemacht.
921. Auch in diesen Fällen des versuchten Mordes handelte der Angeklagte heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen (§ 211 Abs. 2 Var. 4 und 5, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB).
932. Bei dem zur Verletzung der Geschädigten eingesetzten Messer handelt es sich um ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 224 Rn. 9 ff. mwN). Die Messerstiche in die Oberkörper der Nebenkläger H., I. und J. waren konkret, die in den Oberschenkel des Geschädigten D. zumindest grundsätzlich lebensbedrohlich im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (vgl. Fischer, aaO, § 224 Rn. 27 mwN).
943. Die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts des Angeklagten vom Versuch des Mordes liegen nicht vor.
95Die Tötungsversuche zum Nachteil der Nebenkläger H., I. und J. waren aus Sicht des Angeklagten beendet, weil er es für möglich hielt, dass die Geschädigten an den Stichverletzungen sterben würden. Bemühungen im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB, den Tod der Geschädigten abzuwenden, hat er nicht entfaltet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2021 – 1 StR 58/21, NStZ-RR 2021, 272; vom 18. Mai 2022 – AK 19/22, juris Rn. 32).
96Bei der Tat zum Nachteil des Nebenklägers D. handelt es sich um einen fehlgeschlagenen Versuch, bei dem für einen Rücktritt kein Raum ist. Der Angeklagte ging davon aus, dass sein Vorhaben, auch D. D. zu töten, durch dessen plötzliche Flucht und das Unvermögen, ihm nachzueilen, gescheitert war (vgl. Fischer, aaO, § 24 Rn. 6 ff.).
974. Die einzelnen Angriffe stehen im Verhältnis zueinander in Tatmehrheit, denn Handlungen, die sich nacheinander gegen höchstpersönliche Rechtsgüter mehrerer Personen richten, werden grundsätzlich weder durch ihre räumlich-zeitlich enge Aufeinanderfolge noch durch einen einheitlichen Plan oder Gesamtvorsatz zu einer natürlichen Handlungseinheit und damit zu einer Tat im Rechtssinn zusammengefasst (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 2012 – 3 StR 422/11, juris Rn. 8 mwN).
98D. Strafzumessung
99I. Vollendeter Mord an F. F. (Tat 1)
100Der Senat hat gegen den Angeklagten für den vollendeten Mord an F. F. gemäß § 211 Abs. 1 StGB
101lebenslange Freiheitsstrafe
102als die gesetzlich vorgesehene absolute und zwingende Rechtsfolge verhängt.
103II. Versuchte Morde an H. H., I. I., J. J. und D. D. (Taten 2 bis 5)
104Hinsichtlich der – in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangenen (vgl. § 52 Abs. 2 StGB) – versuchten Morde an den Nebenklägern H., I., J. und D. hatte der Senat zu entscheiden, ob er auf lebenslange Freiheitsstrafe nach § 211 Abs. 1 StGB erkennt oder die Strafe dem wegen der Nichtvollendung nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB entnimmt, der Freiheitsstrafe von drei Jahren bis zu 15 Jahren vorsieht.
105Die Frage einer Verschiebung des Strafrahmens wegen Versuchs ist aufgrund einer Gesamtschau der Tatumstände im weitesten Sinne sowie der Persönlichkeit des Täters zu entscheiden. Dabei kommt den wesentlich versuchsbezogenen Umständen jedoch besonderes Gewicht zu, namentlich der Nähe der Tatvollendung, der Gefährlichkeit des Versuchs und der aufgewandten kriminellen Energie, weil sie die wichtigsten Kriterien für die Einstufung von Handlungs- und Erfolgsunwert einer nur versuchten Tat liefern (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2016 – 4 StR 94/16, BeckRS 2016, 11934 Rn. 4). Sieht der Regelstrafrahmen lebenslange Freiheitsstrafe vor, so müssen besonders gewichtige Umstände dafür sprechen, trotz Vorliegens eines vertypten Milderungsgrundes von der Strafrahmenverschiebung abzusehen (vgl. Fischer, aaO, § 49 Rn. 3 mwN).
1061. Nach diesen Maßstäben hat der Senat mit Blick auf die Nebenkläger H., I. und J. (Taten 2 bis 4) von einer Strafrahmenverschiebung abgesehen und in jedem dieser drei Fälle – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass gegen den Angeklagten Sicherungsverwahrung angeordnet wird (siehe nachfolgend unter E.) –
107lebenslange Freiheitsstrafe
108verhängt.
109Dabei hat der Senat zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er die Taten eingeräumt hat und nicht vorbestraft ist.
110Demgegenüber fiel zu seinen Lasten die Nähe zur Tatvollendung ins Gewicht, die auch Ausdruck in der tateinheitlichen Verwirklichung der vollendeten gefährlichen Körperverletzung gefunden hat: Der Angeklagte brachte den Geschädigten durch die Messerstiche in Brust- bzw. Bauchraum Verletzungen bei, die deren Leben konkret bedrohten und eine zeitnahe notoperative Versorgung erforderlich machten, um ihre Leben zu retten. Hinzu kommt, dass der Angeklagte mit Tötungsabsicht handelte und in jedem der drei Fälle zwei Mordmerkmale verwirklichte. Schließlich fallen die schwerwiegenden Folgen der Taten für die Nebenkläger ins Gewicht.
1112. Für die Tat zu Lasten des Nebenklägers D. (Tat 5) hat der Senat aufgrund der gebotenen Gesamtschau die Strafe dem nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB entnommen. Denn diese Tat unterscheidet sich von den Angriffen auf die übrigen Nebenkläger dadurch, dass der Angeklagte den D. D. „nur“ in den Oberschenkel stach und für diesen im Ergebnis keine konkrete Lebensgefahr bestand.
112Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat der Senat die bereits genannten Gesichtspunkte erneut gegeneinander abgewogen und wegen dieser Tat auf eine Freiheitstrafe von
113acht Jahren
114erkannt.
115III. Gesamtstrafe
116Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 StGB hat der Senat auf
117lebenslange Freiheitsstrafe
118als Gesamtstrafe erkannt.
119IV. Besondere Schwere der Schuld
120Die Schuld des Angeklagten wiegt besonders schwer im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB.
121Die Entscheidung der Frage, ob die besondere Schuldschwere zu bejahen ist, ist unter Abwägung der im Einzelfall für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände zu treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2018 – 3 StR 408/18, NStZ 2019, 202 Rn. 5). Sie setzt voraus, dass das gesamte Tatbild einschließlich der Täterpersönlichkeit von den erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Mordfällen so sehr abweicht, dass eine Strafaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach 15 Jahren auch bei dann günstiger Täterprognose unangemessen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 435/08, juris Rn. 8). Bei Verhängung einer Gesamtstrafe ist diese Anknüpfungspunkt für die Prüfung der Schuldschwere (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 – 4 StR 354/08, NStZ 2009, 203, 204; LK/Rissing-van Saan/Zimmermann, aaO, § 211 Rn. 182).
122Gemessen hieran erweist sich die Schuld des Angeklagten – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass gegen ihn Sicherungsverwahrung angeordnet wird (siehe nachfolgend unter E.) – als besonders schwer. Zwar hat er die Taten eingeräumt und ist nicht vorbestraft. Er hat jedoch neben dem vollendeten Mord vier weitere versuchte Morde begangen. Zudem hat er durchweg in Tötungsabsicht gehandelt und zwei Mordmerkmale verwirklicht. Die tateinheitlich mit den versuchten Morden begangenen gefährlichen Körperverletzungen hatten für die Geschädigten schwerwiegende Folgen.
123E. Anordnung der Sicherungsverwahrung
124Der Senat hat die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
125I. Formelle Voraussetzungen
126Die formellen Voraussetzungen einer solchen Anordnung liegen sowohl nach § 66 Abs. 2 StGB als auch nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB vor (zur parallelen Anwendbarkeit beider Vorschriften vgl. Fischer, aaO, § 66 Rn. 38 unter Verweis auf § 66 Abs. 3 Satz 3 StGB).
1271. Der Angeklagte wird im Sinne des § 66 Abs. 2 StGB wegen (mehr als) drei Straftaten der in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) StGB genannten Art, das heißt Straftaten „gegen das Leben [und] die körperliche Unversehrtheit“, verurteilt, nämlich wegen vollendeten Mordes in einem Fall und versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier weiteren Fällen. Zugleich erfolgt die Verurteilung wegen (mehr als) zwei Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB, wozu sowohl das Verbrechen des versuchten Mordes als auch die gefährliche Körperverletzung zählen.
1282. Der Angeklagte hat für jede dieser Taten eine Freiheitsstrafe verwirkt, die das in § 66 Abs. 2 StGB vorgesehene Mindestmaß von einem Jahr und das in § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB vorgesehene Mindestmaß von zwei Jahren übersteigt, nämlich in vier Fällen lebenslange Freiheitsstrafe und in einem Fall Freiheitsstrafe von acht Jahren.
1293. Auch die weitere Voraussetzung des § 66 Abs. 2 bzw. § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB, dass der Täter wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird, ist damit erfüllt.
130II. Materielle Voraussetzungen
131Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung liegen ebenfalls vor, denn die Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten hat ergeben, dass er infolge eines Hangs zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB).
1321. Das Merkmal des Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Das Vorliegen eines solchen Hangs ist unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände zu prüfen (vgl. BGH, Urteil vom 9. September 2021 – 3 StR 327/20, BeckRS 2021, 34257 Rn. 13).
133Gemessen hieran liegt bei dem Angeklagten ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vor. Er ist – auch nach Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen W. – im Sinne einer stabilen Persönlichkeitsdisposition aufgrund seiner radikal-islamischen Gesinnung dauerhaft dazu entschlossen, als jihadistischer Einzeltäter willkürlich ausgewählte Männer zu töten, um hierdurch eine vermeintliche Glaubenspflicht zu erfüllen.
134Der Angeklagte hat diese Absicht glaubhaft eingeräumt. An der Richtigkeit seines Bekenntnisses bestehen angesichts der begangenen Taten und der in der Hauptverhandlung zu Tage getretenen extremen ideologischen Positionierung keine Zweifel. Die zur Verurteilung gelangten Taten belegen als vorläufiger Höhepunkt der mehrjährigen Radikalisierung des Angeklagten dessen seit spätestens April 2023 bestehenden Hang. Allein die Festnahme des Angeklagten stand der Begehung weiterer Messerattentate entgegen.
1352. Der Angeklagte ist infolge seines Hanges zu erheblichen Taten auch für die Allgemeinheit gefährlich, denn es besteht eine bestimmte Wahrscheinlichkeit dafür, dass er auch in Zukunft Straftaten begehen wird und diese eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen (vgl. BeckOK StGB/Ziegler, 59. Ed. 1.11.2023, StGB § 66 Rn. 16 mwN). Der Senat stimmt auch insoweit mit der Einschätzung des Sachverständigen W. überein: Der Hang des Angeklagten lässt die Begehung weiterer Tötungsdelikte aus identischer Tatmotivation ernsthaft besorgen, zumal er diese in der Hauptverhandlung bereits angekündigt hat. Weder das Verfahren noch die Untersuchungshaft haben zu einer Änderung der Einstellung des Angeklagten geführt.
136III. Ermessensentscheidung
137Der Senat hat das ihm nach § 66 Abs. 2 bzw. Abs. 3 Satz 2 StGB zustehende Ermessen dahin ausgeübt, die Sicherungsverwahrung anzuordnen; ein Absehen hiervon kann nicht verantwortet werden. Überdies erweist sich die Anordnung als verhältnismäßig (§ 62 StGB).
1381. Es bestehen – auch nach Einschätzung des Sachverständigen – keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass sich der nicht vorbestrafte, aber in seiner Ideologie extrem gefestigte und den Rechtsstaat und seine Einrichtungen ablehnende Angeklagte die Strafverbüßung hinreichend zur Warnung dienen lassen und seine kriminelle Einstellung im Strafvollzug ändern wird.
139Der Sachverständige hat zwar nicht ausgeschlossen, dass eine langfristig angelegte Einzelgesprächstherapie durch eine kulturell sensible Person zu einer Veränderung der Einstellung des Angeklagten führen könnte. Er hat sich jedoch insoweit trotz der langen Vollstreckungsdauer und der mit zunehmendem Lebensalter möglicherweise verbundenen Haltungsänderungen skeptisch gezeigt. Hinzu kommt, dass der Angeklagte auch im vorgerückten Alter körperlich in der Lage sein wird, ähnliche Angriffe unter Ausnutzung eines Überraschungseffekts durchzuführen.
1402. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist auch neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe (und der Feststellung besonderer Schwere der Schuld) erforderlich, obwohl es wegen des Gleichlaufs des Prüfungsmaßstabs bei der Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB bzw. der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB aller Voraussicht nach nicht zu einer Vollstreckung der Maßregel kommen wird. Deren Anordnung ist zum Schutz des bedrohten Rechtsguts des menschlichen Lebens gleichwohl erforderlich. Denn allein sie ermöglicht durch Eintritt der Führungsaufsicht (§ 67c Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 StGB) eine ggf. längere und – auch nach Einführung von § 56c Abs. 2 Nr. 6 StGB durch das Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts vom 26. Juli 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 203) – gezieltere und intensivere, teils strafbewehrte (§ 145a StGB) Überwachung des Angeklagten im Falle bedingter Entlassung aus dem Strafvollzug (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2017 – 2 StR 178/16, juris Rn.12 ff.). Dieser den Angeklagten durch Anordnung der Sicherungsverwahrung belastende Umstand geht zudem einher mit Vorteilen im Vollzug, die die Schwere des dem Angeklagten auferlegten Sonderopfers mildern (vgl. BGH, Urteile vom 28. Juni 2017 – 2 StR 178/16, juris Rn. 22 ff.; vom 28. Juni 2017 – 5 StR 8/17, juris Rn. 14).
141F. Kostenentscheidung
142Die Kostenentscheidung folgt aus den § 465 Abs. 1 Satz 1, § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO.