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§ 6a, 20 Abs. 1, 32, 36, 38 EnWG; GPKE; §§ 8, 9 UWG; § 123 Abs. 3 UmwG; § 291 ZPO
Bei Ausfall des vertraglichen Lieferanten im Rahmen der Versorgung in einer höheren Spannungsebene und damit außerhalb der Ersatz- und Grundversorgung setzt eine Weiterbelieferung eine entsprechende vertragliche Vereinbarung zwischen dem Letztverbraucher und dem Versorger voraus. Der Letztverbraucher kann entweder vorsorglich einen (aufschiebend bedingten) Ersatzbelieferungsvertrag oder nach Eintritt der Zuordnungslücke unverzüglich einen neuen Stromliefervertrag schließen.
Kann der Strombezug eines solchen Letztverbrauchers dagegen keinem bestimmten Lieferanten oder Liefervertrag zugeordnet werden, darf er grundsätzlich nicht dem Bilanzkreis des örtlich zuständigen Grund- und Ersatzversorgers zugeordnet werden, weil § 38 EnWG weder direkt noch entsprechend anwendbar ist und es an einer zivilrechtlichen Anknüpfung für die bilanzielle Zuordnung der Marktlokation zu dessen Bilanzkreis fehlt. Eine gleichwohl erfolgende Zuordnung zum Grund- und Ersatzversorger verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 EnWG und die GPKE. Ist der Grund- und Ersatzversorger mit dem Netzbetreiber konzernrechtlich verbunden, liegt in der Weitergabe der Daten des Letztverbrauchers zusätzlich ein Verstoß gegen die Regelungen zur sogen. informatorischen Entflechtung (Unbundling), insbes. gegen das Vertraulichkeitsgebot des § 6a Abs. 1 EnWG.
Eine lediglich in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Netzbetreibers vorbehaltene Ermächtigung, die Entnahmestelle eines Letztverbrauchers im Falle des Auftretens einer Versorgungslücke an den zuständigen Grund- und Ersatzversorger zu melden und sie dessen Bilanzkreis zuzuordnen, ist diskriminierend und verstößt gegen § 20 Abs. 1 EnWG, da Grund- und Ersatzversorgern außerhalb des Anwendungsbereichs der Grund- und Ersatzversorgung keine besseren Rechte zukommen, als ihren Wettbewerbern.
§ 32 EnWG enthält für Zuwiderhandlungen gegen das Energiewirtschaftsgesetz im Zusammenhang mit dem Netzanschluss (§§ 17-19a EnWG) und dem Netzzugang (§§ 20-28a EnWG) spezialgesetzlich zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen auf Unterlassung, (Folgen-)Beseitigung und Schadensersatz, und zwar auch für Marktbeteiligte, gegen die sich der Verstoß nicht gezielt richtete, so dass ein Rückgriff auf die Sanktion der §§ 8, 9 UWG ausscheidet.
Ein vorbeugender Unterlassungsanspruch nach § 32 Abs. 1 S. 2 EnWG gegenüber dem Rechtsnachfolger setzt voraus, dass in der Person der betreffenden Mitarbeiter oder Beauftragten Erstbegehungsgefahr besteht. Knüpft diese an den Netzbetrieb an, entfällt sie, wenn der Netzbetrieb nach Rechtshängigkeit ausgegliedert wird. Bei der sich aus dem Handelsregister ergebenden Ausgliederung handelt es sich um eine offenkundige Tatsache i.S.d. § 291 ZPO, die das Berufungsgericht - nach Gewährung rechtlichen Gehörs - seiner Entscheidung zugrunde legen kann.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der III. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund (16 O 53/19 [EnW]) vom 05.05.2022 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I.
1. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit bezüglich des Klageantrags zu 1.a.i., die Beklagte zu 1) zu verurteilen, es zu unterlassen, kundenbezogene Angaben zu einem Letztverbraucher einer Marktlokation, die sich nicht in der Niederspannung befindet, dem Ersatzversorger weiterzugeben, wenn der Energiebezug dieses Letztverbrauchers keinem Bilanzkreis aufgrund eines vertraglichen oder gesetzlichen Lieferverhältnisses zugeordnet werden kann, in der Hauptsache erledigt ist.
2. Es wird weiter festgestellt, dass die Beklagte zu 1) der Klägerin den bereits entstandenen und künftig noch entstehenden Schaden aus der unrichtigen Zuordnung der Marktlokationen der A, (…), der B, (…), der C, (…), der D, (…), und der E, (…), zum Bilanzkreis der J samt Mitteilung der Kundendaten an die J zu ersetzen hat.
3. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin 2.099,76 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.08.2019 zu zahlen.
II.
1. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, der A, der C, der D und der E binnen einer Frist von drei Wochen ab Zustellung dieser Entscheidung in geeigneter Weise mitzuteilen, dass eine Belieferung durch die J im Rahmen eines vertraglichen Verhältnisses im Januar 2019 (A, C, E) bzw. Dezember 2018 bis Februar 2019 (D) nicht vorgelegen hat.
2. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit bezüglich des ursprünglichen Klageantrags zu 3.b., die Beklagte zu 2) zu verurteilen, der rückwirkenden Zuordnung der im Klageantrag zu 2.b. aufgeführten Marktlokationen zum Bilanzkreis der Klägerin durch die Beklagte zu 1) zuzustimmen, in der Hauptsache erledigt ist.
3. Es wird weiter festgestellt, dass die Beklagte zu 2) der Klägerin den bereits entstandenen und künftig noch entstehenden Schaden aus der Akzeptanz der unrichtigen Zuordnung samt Nutzung der von der Beklagten zu 1) erhaltenen Kundendaten sowie der verweigerten Abmeldung der genannten Marktlokationen zum 01. Januar 2019 zu ersetzen hat.
4. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin 2.099,76 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.08.2019 zu zahlen.
III.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
IV.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien wie folgt zu tragen:
Die Klägerin trägt 91 % der Gerichtskosten, 50 % der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 95 % der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2). Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagte zu 1) zu 4 % und die Beklagte zu 2) zu 5 %.
Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
V.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte zu 2) darf die Vollstreckung wegen der Verurteilung gemäß den Tenor zu Ziff. II.1. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Im Übrigen dürfen die Beklagten die Vollstreckung der Klägerin wegen der Verurteilung gemäß dem Tenor zu Ziff. I.3. bzw. II.4. sowie wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
VI.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
2I.
3Die Klägerin macht gegen die Beklagten Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche aufgrund behaupteter energiewirtschaftsrechtlicher und wettbewerbsrechtlicher Verstöße geltend, die aus einer Zuordnung von fünf verschiedenen Letztverbrauchern, die als Gewerbebetriebe an das Mittelspannungsnetz angeschlossen waren, durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1) zu dem Bilanzkreis der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 2) resultieren sollen.
4Die Beklagte zu 1) ist Rechtsnachfolgerin der früheren U GmbH (nachfolgend: U), die unter anderem in den Gemeinden G01, G02, G03 und G04 das Stromnetz in der Mittelspannung betrieben hat und für die Zuordnung der Vertriebsbilanzkreise in der Regelzone des Bilanzkoordinators Amprion GmbH zuständig war. U wurde mit Wirkung zum 01.07.2019 auf die seinerzeit unter J1 GmbH firmierende Beklagte zu 1) verschmolzen, die zunächst Netzbetreiberin war. Im November 2019 hat sie den Geschäftsbereich Verteilnetzbetrieb als Gesamtheit im Wege der Umwandlung durch Ausgliederung auf ihre im März 2019 gegründete und nach der Verschmelzung der U auf die Beklagte zu 1) in U GmbH (nachfolgend: U1) umbenannte 100 %ige Tochtergesellschaft übertragen. Diese ist seitdem Netzbetreiberin in den genannten Gemeinden. Zum 01.10.2020 wurde die Beklagte zu 1) in die Rechtsform einer Aktiengesellschaft (…) umgewandelt.
5Die Beklagte zu 2) hat im Wege der Ausgliederung im August 2020 Teile des Vermögens („Retail Germany“) von der J GmbH mit Sitz in G05 übernommen (nachfolgend: J). Sowohl die Klägerin als auch J sind bzw. waren Stromlieferantinnen und hatten mit U einen Lieferantenrahmenvertrag entsprechend der Festlegung BK6-13-042 der Bundesnetzagentur geschlossen; J war zugleich Grund- und Ersatzversorgerin in den hier in Rede stehenden Gemeinden. J hatte einen eigenen Bilanzkreisvertrag mit dem Übertragungsnetzbetreiber Amprion GmbH. Die Klägerin hat die Befugnis ihrer Muttergesellschaft, der K AG, deren Bilanzkreis bei der Amprion GmbH zum Zweck der Belieferung von Letztverbrauchern zu nutzen.
6An das Mittelspannungsnetz sind aufgrund von Anschlussnutzungsverträgen mit der U bzw. einer Rechtsvorgängerin der U (Anl. B 1 bis B 7) die Letztverbraucher A (zwei Marktlokationen), B, C, E und D angeschlossen. Bestandteil sämtlicher Anschlussnutzungsverträge waren Preisblätter, die u.a. folgenden Inhalt hatten (Anl. B 1, B 3, B 4; Verträge ab 2014):
7bzw. (Anl. B 2; Vertrag von 2012):
9sowie (Anl. B 5, B 7; Verträge aus 2007):
11Die A-Gruppe (A, B und C) sowie E hatten mit der Klägerin Stromlieferungsverträge abgeschlossen, die zum 31.12.2018 endeten. Ab dem 01.01.2019 sollte eine Belieferung durch die T GmbH (im Folgenden: T) erfolgen. D wurde bereits im Dezember 2018 von der T beliefert. Mit Wirkung zum 22.12.2018, 0:00 Uhr, kündigten alle vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber die Bilanzkreise der T, die somit ihre Kunden nicht mehr beliefern konnte und Insolvenz anmeldete. Am 22.12.2018 schloss die Klägerin mit der A-Gruppe einen Stromliefervertrag für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 31.03.2019; mit E schloss sie für den gleichen Zeitraum einen Vertrag bereits am 21.12.2018. D beauftragte die Klägerin am 08.01.2019 mit der Stromversorgung, möglichst rückwirkend zum 22.12.2018, wobei der Vertrag erst am 04.02.2019 schriftlich fixiert wurde. Eine Anmeldung der Kunden durch die Klägerin bei U erfolgte vor dem Jahreswechsel 2018/2019 aufgrund eines systembedingten Fehlers im Bereich der Klägerin nicht.
13Noch am 22.12.2018 ordnete U die Marktlokationen der hier in Rede stehenden Letztverbraucher mit sofortiger Wirkung (D) bzw. ab dem 01.01.2019 (A-Gruppe und E) dem Bilanzkreis von J als Ersatz-/Grundversorger zu. In einem Schreiben vom 27.12.2018 an B (Anl. K 5) teilte sie dieser unter der Überschrift „Überführung in die Ersatzversorgung“ mit, dass der von ihr mit der T abgeschlossene Vertrag über die Belieferung mit Strom ab dem 01.01.2019 wegen der Kündigung des Bilanzkreisvertrages nicht zustande komme, dass die Stromversorgung an ihrer Entnahmestelle jedoch weiterhin unterbrechungsfrei sichergestellt bleibe und dass U „gemäß den gesetzlichen Regelungen […] den für Sie zuständigen Grundversorger mit der Übernahme der Ersatzversorgung zum 01.01.2019 beauftragt“ habe.
14Mit im Wesentlichen gleich lautenden Schreiben vom 04.01.2019 (Anl. B 2) 1) wandte sich J an die hier in Rede stehenden fünf Letztverbraucher, nahm Bezug auf Presseberichte, wonach deren bisheriger Energielieferant T nicht mehr für sie als Energielieferant zur Verfügung stehe, und teilte mit, der örtlich zuständige Netzbetreiber habe J mitgeteilt, dass die Stromversorgung ihrer Lieferstellen ab dem 01.01.2019 (D: ab dem 22.12.2018) nicht mehr durch einen Lieferanten sichergestellt werde. Weiter heißt es in den Schreiben:
15„Sie müssen sich aber keine Sorgen machen. Wir, die J, als ihr örtlicher Grund- und Ersatzversorger, stellen Ihre Energieversorgung sicher, so dass es für Sie zu keinen Unannehmlichkeiten kommen wird.
16Um für Sie auch künftig ein zuverlässiger Partner zu sein würden wir gerne mit Ihnen ein Gespräch über ihre weitere Energieversorgung führen.
17Bis dahin sorgen wir dafür, dass Ihre Stromversorgung dennoch gewährleistet ist. Wir bieten Ihnen die Belieferung mit Strom zu den als Anlage beigefügten Preisen an. Die in der beigefügten Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) enthaltenen Regelungen (sowie die ergänzenden Vertragsbedingungen) sind als Allgemeine Geschäftsbedingungen ebenfalls Bestandteil unseres Vertragsangebots.
18Den zu den vorgenannten Konditionen zu Stande gekommenen Stromliefervertrag können beide Parteien jederzeit mit einer Frist von zwei Wochen schriftlich kündigen. Falls Sie zu einem anderen Lieferanten wechseln möchten, muss dieser die Belieferung zudem bei Ihrem örtlichen Netzbetreiber ordnungsgemäß und fristgerecht anmelden. Dieser Vertrag endet automatisch, ohne dass es einer Kündigung bedarf, spätestens am 31.03.2019. […]
19Gerne unterbreiten wir Ihnen alternativ ein Angebot mit Konditionen für eine längerfristige Stromlieferung.“
20Die Klägerin versuchte zunächst am 07.01.2019, bei U bilateral eine Zuordnung der in Rede stehenden Marktlokationen zur ihrem Bilanzkreis mit Wirkung zum 01.01.2019 zu erreichen. Ab dem 09.01.2019 (hins. A ab dem 23.01.2019) meldete sie die Marktlokationen bei U an; eine Abmeldeanfrage an J wurde von dieser mit der Begründung „Vertragsbindung“ abschlägig beantwortet. Schließlich gelang der Klägerin eine Anmeldung der Marktlokationen B und C zum 28.01.2019, E und A zum 30.01.2019 und D zum 04.02.2019. Für den zwischenzeitlich ab dem 22.12.2018 (D) bzw. 01.01.2019 gelieferten Strom stellte J den fünf Letztverbrauchern insgesamt 594.239,34 € in Rechnung (Anl. K 11). B hat in einem Verfahren vor dem Landgericht Essen (41 O 20/19) die Beklagte zu 2) auf Rückzahlung des von ihr gezahlten Betrages von 85.872,72 € in Anspruch genommen. Das Landgericht Essen hat die Beklagte zu 2) zur Rückzahlung von 66.918,66 € nebst Zinsen an B sowie zum Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten zu 2) ist beim Senat unter dem Aktenzeichen VI-5 U 3/22 [Kart] anhängig.
21Die Klägerin hat U und J unter dem 28.05.2019 (Anl. K 16, K 17) erfolglos abgemahnt.
22Sie hat die Ansicht vertreten, die streitgegenständliche Zuordnung der in Rede stehenden Marktlokationen ab 22.12.2018 bzw. 01.01.2019 zum Bilanzkreis von J durch U und die in diesem Zusammenhang erfolgte Weitergabe von Kundendaten seien unberechtigt erfolgt, da weder die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ersatzversorgung vorgelegen hätten, noch eine Vereinbarung mit J über eine Ersatzbelieferung bestanden habe. Auch aus den Anschlussnutzungsverträgen ergebe sich keine Berechtigung zur Weitergabe der Daten an J. Insoweit stünden ihr als Mitbewerberin von J Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche gegen beide Beklagten nach § 8 i.V.m. §§ 3, 3 a UWG sowie § 32 EnWG zu, weil U gegen §§ 6a, 20 EnWG verstoßen und damit zumindest fremden Wettbewerb gefördert habe. So habe J die von U erhaltenen wettbewerbsrelevanten Kundendaten verwendet, um den Letztverbrauchern ihrerseits ein Vertragsangebot zu unterbreiten. Verträge seien mit den Letztverbrauchern nicht zustande gekommen, auch nicht durch Entnahme von Strom nach Erhalt der Schreiben vom 04.01.2019, da die Letztverbraucher bereits Verträge mit ihr – der Klägerin – abgeschlossen gehabt hätten, so dass ihrem Verhalten nicht der Erklärungswert einer Annahme der in der Bereitstellung von Strom liegenden Realofferte beigemessen werden könne. Die Unterlassungsansprüche bestünden trotz der Rechtsnachfolge auf Beklagtenseite, da Anhaltspunkte für eine konkrete Erstbegehungsgefahr auch unter dem neuen Unternehmensinhaber bestünden. Die Reaktion der Rechtsabteilung von U auf die Abmahnung verdeutliche, dass das angegriffene Verhalten eine Geschäftsstrategie des Netzbetreibers darstelle.
23Die Beklagten haben geltend gemacht, durch die Zuordnung der nicht durch einen Lieferanten versorgten Marktlokation zu dem örtlich zuständigen Grund- und Ersatzversorger habe U entsprechend ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährleistung einer sicheren Versorgung von Letztverbrauchern mit Strom erreichen können, dass die Stromversorgung in den streitgegenständlichen Verbrauchsstellen nicht unterbrochen wird. Zugleich sei damit auch sichergestellt, dass jede Marktlokation immer einem Bilanzkreis zugeordnet sei. Die Zuordnung habe auch im Interesse der betroffenen Letztverbraucher gelegen, denn eine – möglichst kurzfristige – Trennung der Kunden vom Netz hätte zur Folge gehabt, dass die Letztverbraucher erhebliche, potentiell existenzbedrohende Sach- und Vermögensschäden erleiden, zu denen es bei einer Unterbrechung der Stromversorgung unweigerlich komme. Bei der Anmeldung der Marktlokationen durch die Klägerin seien die von der BNetzA festgelegten Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität (GPKE) zwingend einzuhalten. Da nach der Zuordnung der Marktlokationen an J entsprechende Verträge mit den Letztverbrauchern zustande gekommen seien, sei für eine rückwirkende Zuordnung zur Klägerin kein Raum (gewesen).
24Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die tatsächlichen Feststellungen und Sachanträge im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
25Mit Schriftsatz vom 17.11.2021 hat die Beklagte zu 2) u.a. mitgeteilt, dass sie Rechtsnachfolgerin von J sei, und um „zukünftige Berücksichtigung der mitgeteilten Änderungen“ gebeten. Der Ausgliederungs- und Übernahmevertrag hat eine Übertragung der dem übertragenen Geschäftsbereich zuzuordnenden Prozessverhältnisse auf die Beklagte vorgesehen (vgl. Anl. B 2) 5). Nachfolgend wurde die Beklagte zu 2) im Schriftsatz der Klägerin vom 09.12.2021 als Partei aufgeführt.
26Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin stünden gegen die Beklagte zu 1) keine Ansprüche zu, wobei die Frage eines bestehenden Wettbewerbsverhältnisses dahinstehen könne, weil U durch die Zuordnung der fünf Letztverbraucher zum Bilanzkreis von J und die Weitergabe ihrer kundenbezogenen Daten nicht gegen Marktverhaltensvorschriften im Sinne von § 3a UWG verstoßen und sich mithin auch nicht wettbewerbswidrig verhalten habe. Aus der Sicht von U sei bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände die Zuordnung der Marktlokationen zu J die einzige Handlungsmöglichkeit gewesen, die den mutmaßlichen Interessen aller Beteiligten gerecht geworden sei und die sich an objektiven Kriterien orientiert habe. Eine Trennung der Letztverbraucher vom Netz sei bei objektiver Betrachtung aus der damaligen Sicht von U nicht sachgerecht erschienen. Hingegen sei die Zuordnung der Letztverbraucher zu J als Grundversorger schon aus tatsächlichen Gründen sachgerecht erschienen, da davon auszugehen sei, dass der Grundversorger in einem Netzgebiet der leistungsstärkste Energielieferant sei und damit die plötzliche Zuordnung weiterer, auch verbrauchsstarker Kunden am besten verkraften könne. Dabei könne die Frage einer analogen Anwendung des § 38 EnWG dahin stehen, denn U habe die Zuweisung der Letztverbraucher zu J vertraglich vereinbart, was sich aus der Einbeziehung der Preisblätter (Strom) in die Anschlussnutzungsverträge ergebe, in denen auf die „Preise für die Ersatzversorgung“ bzw. „Preise für Grundversorgung [Pflichtversorgung]/Ersatzbelieferung“, bei der die Belieferung des Kunden mit elektrischer Energie durch den Grundversorger sichergestellt werde, hingewiesen werde. Die Zuordnung der Letztverbraucher zum Bilanzkreis der J stelle daher keinen Verstoß gegen § 20 EnWG dar, woran auch der Umstand, dass die Letztverbraucher im Zeitpunkt der Zuordnung zumindest teilweise bereits einen Versorgungsvertrag mit der Klägerin abgeschlossen gehabt hätten, nichts ändere, da mangels rechtzeitiger Anmeldung der Marktlokationen durch die Klägerin aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position von U der Fall der Ersatzversorgung eingetreten sei.
27Auch gegen die Beklagte zu 2) stünden der Klägerin keine Ansprüche zu. Da in den Anschlussnutzungsverträgen mit U jeweils vereinbart gewesen sei, dass bei einem Ausfall des Stromlieferanten die Belieferung durch den jeweiligen Grundversorger sichergestellt werden solle, sei mit der Anmeldung der betroffenen Marktlokationen bei dem Ersatzversorger ein Vertragsangebot der Letztverbraucher auf Abschluss eines Ersatzliefervertrages verbunden, welches von U als Bote an den Ersatzversorger überbracht werde. Spätestens mit der Aufnahme der Belieferung durch den als vertraglicher Ersatzversorger fungierenden Grundversorger komme zwischen den Letztverbrauchern und dem Grundversorger ein Stromliefervertrag zustande. Selbst wenn man dies anders sähe, wäre das Vertragsangebot der J in der Zurverfügungstellung der Energie zu sehen. Dieses Angebot wäre dann konkludent von den Letztverbrauchern angenommen worden, indem sie den Strom entnommen hätten. Aufgrund der zwischen ihr und den Letztverbrauchern zustande gekommenen Lieferverträge habe J die überlassenen Kundendaten benutzen dürfen. Sie habe auch den Lieferantenwechsel zur Klägerin nicht unrechtmäßig blockiert, da die mit den Letztverbrauchern begründeten Vertragsverhältnisse eine zweiwöchige Kündigungsfrist vorgesehen hätten. Spätestens mit den Schreiben vom 04.01.2019 sei den Letztverbrauchern bekannt gewesen, dass die Klägerin die Energielieferung noch nicht übernommen gehabt habe und dass beide Parteien den zwischen ihnen und J zustande gekommenen Stromliefervertrag mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen kündigen konnten. Indem sie weiterhin Strom entnommen hätten, sei spätestens jetzt ein Energieliefervertrag mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen zustande gekommen.
28Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt. Sie macht geltend, zwischen ihr und der Beklagten zu 1) bestehe ein – zumindest potentielles – Wettbewerbsverhältnis, hierfür genüge schon die Förderung fremden Wettbewerbs. In diesem Fall sei der Mitbewerber berechtigt, sowohl gegen den Förderer als auch gegen den Begünstigten vorzugehen. Die Mitteilung der kundenbezogenen Daten durch U habe J, die diese Kunden zuvor nicht beliefert und von deren Betroffenheit durch die Insolvenz der T sie keine Kenntnis gehabt habe, dazu benutzt, sich bei den Letztverbrauchern als neue Stromlieferantin vorzustellen und den Abschluss von Stromlieferungsverträgen anzudienen. Ungeachtet der Stellung als Grund- und Ersatzversorger konkurrierten J bzw. die Beklagte zu 2) und sie, die Klägerin, insoweit um Letztverbraucher zur Belieferung mit elektrischer Energie. U habe die Marktlokationen dem Lieferbilanzkreis von J zugeordnet, ohne dass diese hierfür in irgendeiner Weise oder zu irgendeinem Zeitpunkt (tätig) geworden wäre, während sie von ihr eine fristgerechte Anmeldung der Belieferung nach Maßgabe der GPKE verlangt habe. Hierin liege eine im Grundsatz verbotene Ungleichbehandlung. Im Ausgangspunkt zutreffend habe das Landgericht erkannt, dass der unmittelbare Anwendungsbereich des § 38 Abs. 1 EnWG die streitgegenständlichen Marktlokationen auf der Anschlussnetzebene der Mittelspannung nicht erfasse. Der nationale Gesetzgeber habe das Ersatzversorgungsverhältnis bewusst auf die Letztverbraucher in der Niederspannung begrenzt. Großverbraucher seien nicht in vergleichbarer Weise schutzbedürftig. Die Ungleichbehandlung durch U lasse sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass eine Ersatzbelieferung vertraglich vereinbart gewesen sei. Die Ersatzbelieferung könne nicht wirksam im Netzanschluss‑/Anschlussnutzungsvertrag vereinbart werden. Der Ersatzbelieferungsvertrag als „Energieversicherung“ sei ein regulärer Sondervertrag mit der aufschiebenden Bedingung, dass die Lieferung für den Fall und zu dem Zeitpunkt aufgenommen werden solle, dass der bisherige Lieferant ausfällt. Er dürfe nur zwischen einem wettbewerblich agierenden Lieferanten und dem Letztverbraucher geschlossen werden. Eine Regelung zur Begründung eines Ersatzbelieferungsvertrages in einem Netzanschlussvertrag sei zudem überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB und werde nicht Vertragsbestandteil. Die Bundesnetzagentur gehe davon aus, dass der Letztverbraucher dem Netzbetreiber die Person des Ersatzlieferanten benenne und nicht der Netzbetreiber dem Anschlussnehmer einen Lieferanten durch AGB aufoktroyiere. Letzteres benachteilige die Anschlussnehmer im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB unangemessen.
29Dem Landgericht sei auch nicht darin zu folgen, die vertragliche Bestimmung gieße nur die Regelungen in Vertragsform, welche der Gesetzgeber für die Versorgung in Niederspannung für angemessen gehalten habe. Denn der von U ausgewählte Ersatzlieferant sei in der Ausgestaltung seiner vertraglichen Regelungen gänzlich ungebunden. Davon habe J auch Gebrauch gemacht, indem sie eine in § 38 EnWG nicht vorgesehene zweiwöchige Kündigungsfrist angesetzt habe. Die vom Landgericht vorgenommene Abwägung sei fehlerhaft, denn die Interessen der Beklagten zu 1) bzw. von J seien deutlich zu hoch gewichtet worden. Aus der Sicht der Letztverbraucher (mit Ausnahme von D, die erst am 04.01.2019 – richtig wohl: 08.01.2019 – einen Liefervertrag mit ihr abschlossen habe) habe für diese ab dem 22.12.2018 keine Veranlassung mehr bestanden, sich über die Konsequenzen aus der Bilanzkreiskündigung gegenüber der T Gedanken zu machen. Aus ihrer Sicht hätten sie alles Erforderliche zur Absicherung ihrer Energieversorgung getan, auch die Preise seien mit ihr, der Klägerin, fixiert gewesen, weshalb der Zwang, die Energie von J zu horrenden Lieferpreisen abnehmen zu müssen, nicht im Interesse der Letztverbraucher gelegen habe. Ihre – der Klägerin – Interessen seien überhaupt nicht in die Abwägung eingestellt worden, obwohl sie vom diskriminierenden Verhalten von U unmittelbar betroffen sei. Sie habe im Wettbewerb am schnellsten auf die Kündigung des Bilanzkreises der T reagiert und mit den betroffenen Letztverbrauchern Anschlusslieferverträge vereinbart. In diesen gesicherten Kundenstamm sei J mit Hilfe von U eingebrochen, wodurch sie an der Erfüllung ihrer liefervertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Letztverbrauchern gehindert worden sei. Die erforderlichen Energiemengen für die Belieferung habe sie in ihrem Bilanzkreis ab dem 01.01.2019 vorgehalten.
30Die Letztverbraucher hätten mit dem Abschluss ihrer Lieferverträge dokumentiert, dass eine Belieferung durch sie – die Klägerin – gewünscht gewesen sei. Mittlerweile habe der Gesetzgeber mit dem neu eingeführten § 118c EnWG eine (befristete) gesetzliche Grundlage für die Interimsbelieferung von Letztverbrauchern in Mittelspannung geschaffen, die inhaltlich dem entspreche, was sie – die Klägerin – seit 2018/19 für rechtmäßig halte, nämlich eine Notversorgungspflicht des letzten Energielieferanten, der über die Notwendigkeit vom Netzbetreiber zu informieren sei. Dadurch entfalle für den Verteilernetzbetreiber nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Notwendigkeit, die Versorgung zu unterbrechen. Die Beklagten hätten nicht auf einer formalistischen Einhaltung der GPKE-Regeln bestehen dürfen, die eine rückwirkende Zuordnung von Kunden mit registrierender Leistungsmessung nicht vorgesehen hätten. Seit dem 01.10.2022 sei für den Beginn der Ersatzversorgung ausdrücklich geregelt, dass die Zuordnung einer Marktlokation durch den Netzbetreiber zum Grund-/Ersatzversorger zum Zweck der Gewährleistung einer jederzeitigen Zuordnung einer Marktlokation gem. § 4 Abs. 3 StromNZV sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit, für Netznutzung und Bilanzierung, möglich sei (GPKE 2022 S. 36), wobei es sich nach Auffassung der Bundesnetzagentur (BK6-20-160, S. 13) lediglich um eine Klarstellung handele. Da der Prozess „Beginn der Ersatzversorgung“ analog auf die vereinbarte Ersatzbelieferung anzuwenden sei, gelte eine rückwirkende Zuordnungsmöglichkeit auch für RLM-Kunden in der Mittelspannung. Für die Netzbetreiber erwachse aus der rückwirkenden Zuordnung kein Nachteil, weil der Ersatzbelieferer auch für die in der Vergangenheit entnommenen Energiemengen wirtschaftlich bilanziell einstehe. Eine Bilanzkreiskorrektur sei zu diesem Zeitpunkt möglich.
31Hätte das Landgericht das Wettbewerbsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten zu 1) als Förderung fremden Wettbewerbs zum Vorteil der Beklagten zu 2) bejaht, wäre über § 8 Abs. 3 UWG die Sachlegitimation sowohl für den Rechtsbruchtatbestand aus § 3a UWG als auch die gezielte Wettbewerbsbehinderung nach § 4 Nr. 4 UWG gegeben. In dem von der Beklagten zu 1) nur gegenüber der Beklagten zu 2) gewährten Dispens, die Marktlokationen zur Belieferung anmelden zu müssen, liege eine Ungleichbehandlung zu ihrem Nachteil, für die es bei richtiger Anwendung des Gesetzes keine sachliche Rechtfertigung gebe. Geschütztes Rechtsgut des Kommunikationsverbots zwischen Netzbetreiber und seinem assoziierten Vertrieb (§ 6a Abs. 1 EnWG) seien die Daten derjenigen Letztverbraucher, die mit dem Vertrieb weder über ein vertragliches noch ein gesetzliches Schuldverhältnis zur Belieferung mit elektrischer Energie verbunden seien. Notwendig, aber auch hinreichend für das Kommunikationsverbot sei, dass der Netzbetreiber – wie hier – seinem assoziierten Vertrieb exklusiv Informationen zu Kunden weiterleite, die den Vertrieb in die Lage versetzten, eben diesen Letztverbrauchern Vertragsangebote zu unterbreiten.
32Die Begründung des Landgerichts, weshalb die Beklagte zu 2) nicht zur Unterlassung verpflichtet sei, sei unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mit den §§ 3, 3a, 4 Nr. 4, 8 Abs. 1 Satz 1 UWG vereinbar. Die Auffassung, dass in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten zu 1) zum Netzanschluss‑/Anschlussnutzungsvertrag das Angebot des Anschlussnutzers auf Abschluss eines Stromliefervertrags liegen solle, welches die Beklagte zu 1) als Erklärungsbotin der Beklagten zu 2) überbracht habe, sei mit den Regeln des Allgemeinen Teils des BGB über das Zustandekommen von Verträgen durch Angebot und Annahme unter keinem denkbaren Umstand zu vereinbaren. Schlechterdings nicht vertretbar sei schließlich die alternative Erwägung des Landgerichts, der Stromliefervertrag zwischen den Letztverbrauchern und J sei durch die Bereitstellung der Energie in ihrem Bilanzkreis und der konkludenten Vertragsannahme durch die Letztverbraucher zustande gekommen. Bei entsprechender Anwendung des GPKE-Prozesses „Ersatzversorgung“ auf die vertragliche Ersatzbelieferung habe J zwingend prüfen müssen, ob zwischen dem konkreten Letztverbraucher und ihr ein Ersatzbelieferungsvertrag wirksam abgeschlossen gewesen sei und verneinendenfalls der Zuordnung gegenüber dem Netzbetreiber widersprechen müssen. Die rechtswidrige Zuordnung einer Marktlokation zu einem Bilanzkreis stehe jedenfalls einem konkludenten Vertragsschluss aufgrund einer Realofferte entgegen. Schließlich habe J die Letztverbraucher am 04.01.2019 nicht anschreiben dürfen, um ihnen ein Angebot auf Abschluss eines Stromliefervertrags zu unterbreiten. Die Schreiben hätten nur unter Verwendung der kundenbezogenen Daten erstellt und versandt werden können, die J allerdings nicht zur Kundenakquise habe nutzen dürfen, weil sie diese von U unter Verstoß gegen § 6a Abs. 1 EnWG erhalten habe.
33Die Auslegung des Landgerichts, dass den Letztverbrauchern bei Erhalt des Schreibens vom 04.01.2019 erkennbar gewesen sein musste, dass sie – die Klägerin – die Belieferung noch nicht aufgenommen gehabt habe, verstoße gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze. Ein entsprechendes Erklärungsbewusstsein habe J auch gar nicht gehabt, denn ihr sei allein bekannt gewesen, dass der zuvor ins Auge gefasste Lieferant für die Zeit ab dem 01.01.2019, die T, nicht mehr habe liefern können. Das Informationsschreiben habe auch ausdrücklich nur diesen Lieferanten benannt. Bei verständiger Würdigung hätten die Letztverbraucher das Schreiben nur so verstehen können, dass es sich um einen mittlerweile überholten Sachverhalt handelte. Die Möglichkeit, an den Marktlokationen auch über das Ende des ursprünglichen Liefervertrags hinaus Strom beziehen zu können, habe sich bei verständiger Würdigung aus Sicht der A-Gruppe und E nicht als ein Angebot der Beklagten zu 2) auf Abschluss des Stromliefervertrags dargestellt, da sie unmittelbar nach Bekanntwerden des Umstandes, dass die T die Belieferung zum 01.01.2019 nicht würde aufnehmen können, einen Anschlussliefervertrag mit ihr, der Klägerin, abgeschlossen hätten. Diesen Eindruck habe auch das Schreiben von J nicht rechtswirksam beseitigen können.
34Die Beklagten seien deshalb nicht nur zur Unterlassung und Beseitigung sowie zum Schadensersatz verpflichtet, die Beklagte zu 2) habe auch die von den Letztverbrauchern erhaltenen Zahlungen zu erstatten bzw. die darauf gerichteten Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der angemaßten Eigengeschäftsführung sowie aus Bereicherungsrecht abzutreten, da J über den ihr – der Klägerin – zuzurechnenden Strom als Nichtberechtigte verfügt habe.
35Die Klägerin hat zunächst beantragt,
36unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Dortmund vom 05. Mai 2022 (16 O 53/19 [EnW])
371. unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist,
38a. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, es zu unterlassen,
39i. kundenbezogene Angaben zu einem Letztverbraucher einer Marktlokation (insbesondere die Marktlokations-ID, Name, Firma, Straße, PLZ und Ort), die sich nicht in der Niederspannung befindet, dem Ersatzversorger weiterzugeben, wenn der Energiebezug dieses Letztverbrauchers keinem Bilanzkreis aufgrund eines vertraglichen oder gesetzlichen Lieferverhältnisses zugeordnet werden kann, und
40ii. für den Fall der Anmeldung einer Marktlokation oberhalb der Niederspannung durch die Klägerin, welche die Beklagte zu 1) dem Bilanzkreis des Ersatzversorgers zugeordnet hat, ohne dass im Zeitpunkt der Zuordnung eine vertragliche oder gesetzliche Liefervereinbarung bestand, auf die Einhaltung einer form- und fristkonformen Marktmeldung nach GPKE zu bestehen und die rückwirkende Anmeldung und Zuordnung der Marktlokation zum Bilanzkreis der Klägerin zu verweigern,
41b. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, es zu unterlassen,
42i. kundenbezogene Angaben zu einem Letztverbraucher einer Marktlokation (insbesondere die Marktlokations-ID, Name, Firma, Straße, PLZ und Ort), die sich nicht in der Niederspannung befindet und die der Netzbetreiber dem Bilanzkreis der Beklagten zu 2) als Grund- und Ersatzversorger zugeordnet hat, zum Zweck der Vertragsanbahnung für die Belieferung des Letztverbrauchers zu nutzen und
43ii. den Lieferantenwechsel für eine Marktlokation, die sich nicht in der Niederspannung befindet und die der Netzbetreiber dem Bilanzkreis der Beklagten zu 2) als Grund- und Ersatzversorger zugeordnet hat, ohne dass im Zeitpunkt der Zuordnung eine vertragliche oder gesetzliche Liefervereinbarung bestand, zum gewünschten Termin, ggf. auch für die Vergangenheit, jedenfalls mit sofortiger Wirkung und ohne Rücksicht auf die verwendete Marktkommunikation zu behindern, indem sie ihre Zustimmung zum Lieferantenwechsel verweigert,
44wie geschehen gegenüber der A, der B, der C, der E und der D im Dezember 2018 bzw. Januar 2019;
452. a. die Beklagte zu 1) des Weiteren zu verurteilen, der A, der B, der C, der D und der E binnen einer angemessenen, vom Gericht festzusetzenden Frist in geeigneter Weise mitzuteilen, dass es keine gesetzlichen Regeln gibt, nach denen die Beklagte zu 1) den zuständigen Grundversorger mit der Übernahme der Ersatzversorgung beauftragen durfte;
46b. festzustellen, dass der zunächst erhobene Klageantrag, die Beklagte zu 1) zu verurteilen, die Marktlokationen der A, MaLo-ID … und …, der B, MaLo-ID …, der C, MaLo-ID …, der E, MaLo-ID …, sowie die Marktlokation der D, MaLo-ID … rückwirkend zum 01. Januar 2019, hilfsweise die Zuordnung der B, MaLo-ID …, der C, MaLo-ID … rückwirkend zum 07. Januar 2019, der E, MaLo-ID …, rückwirkend zum 08. Januar 2019, sowie die Marktlokation der D, MaLo-ID … rückwirkend zum 09. Januar 2019 und die Marktlokationen der A, MaLo-ID … und …, zum 23. Januar 2019 dem Bilanzkreis der Klägerin, …, in der Regelzone der Übertragungsnetzbetreiberin Amprion GmbH zuzuordnen, erledigt ist;
473. a. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, der A, der B, der C, der D und der E binnen einer angemessenen, vom Gericht festzusetzenden Frist in geeigneter Weise mitzuteilen, dass eine Belieferung im Rahmen der Ersatzversorgung oder eines vertraglichen Verhältnisses nicht vorgelegen hat,
48b. festzustellen, dass der Klageantrag, die Beklagte zu 2) zu verurteilen, der rückwirkenden Zuordnung zum Bilanzkreis der Klägerin durch die Beklagte zu 1) zuzustimmen, erledigt ist;
494. festzustellen, dass die Beklagte zu 1) der Klägerin den bereits entstandenen und künftig noch entstehenden Schaden aus der unrichtigen Zuordnung der Marktlokationen der A, MaLo- ID … und …, der B, MaLo-ID …, der C, MaLo-ID …, der D, MaLo-ID …, und der E, MaLo-ID …, zum Bilanzkreis der Beklagten zu 2) samt Mitteilung der Kundendaten an die Beklagte zu 2) und aus der verweigerten Zuordnung der genannten Marktlokationen zum Bilanzkreis der Klägerin zum 01. Januar 2019 zu ersetzen hat;
505. festzustellen, dass die Beklagte zu 2) der Klägerin den bereits entstandenen und künftig noch entstehenden Schaden aus der Akzeptanz der unrichtigen Zuordnung samt Nutzung der von der Beklagten zu 1) erhaltenen Kundendaten und der Belieferung der A, MaLo-ID … und …, der B, MaLo-ID …, der C, MaLo-ID …, der D, MaLo-ID …, und der E, MaLo-ID …, sowie der verweigerten Abmeldung der genannten Marktlokationen zum 01. Januar 2019 zu ersetzen hat;
516. die Beklagte zu 2) darüber hinaus zu verurteilen,
52a. Auskunft darüber zu erteilen, ob und wenn ja, in welcher Höhe sie Zahlungen von der A, der B, der C, der D oder der E aufgrund der Belieferung der Letztverbraucher erhalten hat,
53b. die entsprechend der Auskunft gemäß Antrag zu Nr. 6 a. erhaltenen Zahlungen an die Klägerin herauszugeben und Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit auf den herauszugebenden Geldbetrag zu zahlen,
54c. soweit die Forderungen noch nicht durch Zahlung erloschen sind, diese an die Klägerin abzutreten;
557. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin 2.099,76 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
568. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin 6.294,51 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
57hilfsweise für den Fall, dass gegen die Bestimmtheit des Antrags zu 1) Bedenken bestehen,
581. die Beklagten zu 1) und 2) zu verurteilen, Auskunft darüber zu geben, welche Daten die Beklagte zu 1) an die Beklagte zu 2) im Dezember 2018 bezüglich der Letztverbraucher A (…), B (…), C (…), E (…) und D (…) nach der Kündigung des Bilanzkreises der T GmbH weitergegeben hat und
592. unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist,
60a. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, es zu unterlassen,
61i. kundenbezogene Angaben gemäß der erteilten Auskunft zu einem Letztverbraucher einer Marktlokation, die sich nicht in der Niederspannung befindet, dem Ersatzversorger weiterzugeben, wenn der Energiebezug dieses Letztverbrauchers keinem Bilanzkreis aufgrund eines vertraglichen oder gesetzlichen Lieferverhältnisses zugeordnet werden kann, und
62ii. für den Fall der Anmeldung einer Marktlokation oberhalb der Niederspannung durch die Klägerin, welche die Beklagte zu 1) dem Bilanzkreis des Ersatzversorgers zugeordnet hat, ohne dass im Zeitpunkt der Zuordnung eine vertragliche oder gesetzliche Liefervereinbarung bestand, auf die Einhaltung einer form- und fristkonformen Marktmeldung nach GPKE zu bestehen und die rückwirkende Anmeldung und Zuordnung der Marktlokation zum Bilanzkreis der Klägerin zu verweigern,
63b. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, es zu unterlassen,
64i. kundenbezogene Angaben gemäß der erteilten Auskunft zu einem Letztverbraucher einer Marktlokation, die sich nicht in der Niederspannung befindet und die der Netzbetreiber dem Bilanzkreis der Beklagten zu 2) als Grund- und Ersatzversorger zugeordnet hat, zum Zweck der Vertragsanbahnung für die Belieferung des Letztverbrauchers zu nutzen und
65ii. den Lieferantenwechsel für eine Marktlokation, die sich nicht in der Niederspannung befindet und die der Netzbetreiber dem Bilanzkreis der Beklagten zu 2) als Grund- und Ersatzversorger zugeordnet hat, ohne dass im Zeitpunkt der Zuordnung eine vertragliche oder gesetzliche Liefervereinbarung bestand, zum gewünschten Termin, ggf. auch für die Vergangenheit, jedenfalls mit sofortiger Wirkung und ohne Rücksicht auf die verwendete Marktkommunikation zu behindern, indem sie ihre Zustimmung zum Lieferantenwechsel verweigert,
66wie geschehen gegenüber der A, der B, der C, der E und der D im Dezember 2018 bzw. Januar 2019.
67Die Beklagten beantragen,
68die Berufung zurückzuweisen.
69Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Die Beklagte zu 1) macht geltend, die Zuordnung der Marktlokationen der betroffenen Letztverbraucher zum Bilanzkreis von J sei rechtmäßig erfolgt, bereits deshalb seien sämtlich gegen sie geltend gemachten Ansprüche unbegründet. Abgesehen davon bestehe zwischen ihr und der Klägerin auch kein Wettbewerbsverhältnis und es fehle auch an einer Förderung fremden Wettbewerbs, denn J sei in dem maßgeblichen Zusammenhang ebenfalls nicht als Mitbewerber der Klägerin tätig geworden. Die Zuordnung der Marktlokationen zu ihrem Bilanzkreis sei nicht aufgrund ihrer Eigenschaft als freier Stromlieferant erfolgt, sondern aufgrund ihrer Grund- und Ersatzversorgertätigkeit, d.h. ihrer „Auffangfunktion“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschl. v. 10.05.2022 – EnZR 54/21, „Goldbuschfeld“). Danach sei der Grund- und Ersatzversorger aufgrund der Auffangfunktion der §§ 36, 38 EnWG auch außerhalb des direkten Anwendungsbereichs der Ersatzversorgung für die Belieferung lieferantenloser Letztverbraucher zuständig. Eine Ausdehnung der Rechtsfigur der Ersatzversorgung über den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 38 EnWG hinaus sei daher geboten und in Fällen, in denen – anders als hier – keine Vereinbarung zwischen dem Letztverbraucher und dem Netzbetreiber über eine Ersatzbelieferung durch einen bestimmten Lieferanten getroffen worden sei, auch alternativlos. Es sei kein nachvollziehbarer Grund dafür ersichtlich, dass die vom Bundesgerichtshof identifizierte Auffangfunktion des Grund- und Ersatzversorgers zwar einerseits über den unmittelbaren Anwendungsbereich der Grund- und Ersatzversorgung hinausgehen, andererseits aber dort enden sollte, wo der Anschluss des betreffenden Nicht-Haushaltskunden einer höheren Spannungsebene zuzuordnen sei.
70Letztlich sei die bilanzielle Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis von J auch deswegen gerechtfertigt gewesen, weil sich U und die fünf Kunden hierauf in den damals abgeschlossenen Anschlussnutzungsverträgen geeinigt hätten. Den Inhalt dieser Vereinbarungen habe das Landgericht vollständig und zutreffend erfasst. Die vertraglichen Vereinbarungen zwischen ihr und den Kunden seien auch hinreichend bestimmt. Der jeweilige Kunde wisse, dass er in dem Zeitpunkt, in dem der Ersatzbelieferungsfall eintrete, durch den zu diesem Zeitpunkt in seinem Gemeindegebiet zuständigen Grund- und Ersatzversorger mit Strom beliefert werde. Die Person des Vertragspartners sei ebenso wie die an den Vertragspartner zu zahlende Vergütung hinreichend bestimmt. Die Inbezugnahme der Szenarien „Grundversorgung/Ersatzversorgung“ zeige dem verständigen, kaufmännisch vorgebildeten Vertragspartner, dass Fälle gemeint seien, in denen die Belieferung der Marktlokation durch einen Lieferanten seiner Wahl (zeitweilig) nicht sichergestellt sei. Die Klägerin verkenne nach wie vor, dass die Entstehung des Schuldverhältnisses zwischen Ersatzversorger und Letztverbraucher in den Fällen, in denen der Netzbetreiber von seiner Ermächtigung aus den Anschlussnutzungsverträgen Gebrauch mache, der Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis des Ersatzversorgers zeitlich nachgelagert sei, mit anderen Worten erst durch die bilanzielle Zuordnung ein Schuldverhältnis zwischen Ersatzversorger und Letztverbraucher begründet werde. Selbst wenn man unterstellen sollte, dass zwischen J und den fünf Kunden weder ein Ersatzversorgungs- noch ein Ersatzbelieferungsverhältnis bestanden hätte, wäre die bilanzielle Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis von J bereits deswegen sachlich gerechtfertigt und daher mit § 20 Abs. 1 EnWG zu vereinbaren gewesen, weil diese Zuordnung aus Sicht von U bei verständiger Würdigung aller Gesamtumstände geboten gewesen sei. Die Alternative der Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis der Beklagten zu 2) hätte in einer Unterbrechung der Stromversorgung in den betroffenen Marktlokationen bestanden. Neben der Tatsache, dass diese erst mit einigem zeitlichen Verzug hätte stattfinden können und sich die Zuordnungsproblematik daher ohnehin gestellt hätte, wäre die Unterbrechung der Stromversorgung zweifellos mit ganz erheblichen wirtschaftlichen Schäden, möglicherweise sogar mit einer Existenzvernichtung für die fünf Industriekunden verbunden gewesen. Die Belange der Klägerin habe das Landgericht in seine Abwägung richtigerweise nicht eingestellt, da die Klägerin im Zeitpunkt der bilanziellen Zuordnung der Marktlokationen aus der allein maßgeblichen Sicht von U überhaupt nicht in den Sachverhalt involviert gewesen sei.
71Die Beklagte zu 2) macht darüber hinaus geltend, die Klägerin lege eine unzulässige ex-post-Betrachtung zugrunde. Weder J noch U hätten zum fraglichen Zeitpunkt gewusst, dass die Klägerin die Belieferung der Marktlokationen für sich reklamieren würde. Die im Anschlussnutzungsvertrag vereinbarte Zuweisung an den Grundversorger bevorzuge J bzw. sie als Rechtsnachfolgerin nicht einseitig, weil die Person des Grundversorgers wechseln könne und im Netzgebiet der U insgesamt 18 verschiedene Grundversorger vorhanden seien. Die Wahlfreiheit der Letztverbraucher werde dadurch nicht eingeschränkt, da sie dem Netzbetreiber jederzeit einen anderen Ersatzbelieferer benennen könnten. Für eine Anfrage des Netzbetreibers beim letzten Lieferanten, ob dieser die Belieferung bei Ausfall des vorgesehenen Lieferanten fortsetzen wolle, bestehe keine Grundlage. Die allein für den Jahreswechsel 2022/23 geschaffene Sonderregelung in § 118c EnWG zeige, dass es sich bei der Notversorgung durch den letzten Lieferanten um eine Ausnahme handele. Sofern die T – wie bei D – mit der Belieferung bereits begonnen gehabt habe, komme dies ohnehin nicht in Betracht. Zwischen den Letztverbrauchern und J seien im Wege des konkludenten Vertragsschlusses Stromlieferverträge zustande gekommen, da diese das in der Zurverfügungstellung des Stroms ab dem 01.01.2019 liegende Angebot (Realofferte) durch die weitere Stromentnahme angenommen hätten, selbst wenn sie teilweise zuvor Lieferverträge mit der Klägerin abgeschlossen gehabt hätten. Da J nach dem Zeitpunkt des angestrebten Lieferbeginns durch die Klägerin mitgeteilt habe, dass sie die Belieferung übernommen habe, hätten die Letztverbraucher nicht davon ausgehen können, dass es sich um einen mittlerweile überholten Sachverhalt handelte. Spätestens nach der Kenntnisnahme des Schreibens von J vom 04.01.2019 sei die Stromentnahme der Letztverbraucher im Bewusstsein der Ersatzbelieferung durch diese erfolgt. Bis dahin sei sie in ihrer Funktion als zuständiger Grund- und Ersatzversorger nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag zur Ersatzbelieferung berechtigt gewesen.
72Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
73Die Bundesnetzagentur hat unter dem 19. und 20.01.2023 Stellung genommen.
74Nachdem der Senat mit Beschluss vom 02.02.2023 darauf hingewiesen hatte, dass die Beklagte zu 1) den Geschäftsbereich Netzbetrieb im Wege der Ausgliederung auf die U neu übertragen hat, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2023 die Klageanträge zu 1.a.i., 1.a.ii., 1.b.i. und 1.b.ii. für erledigt erklärt. Die Beklagten haben sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.
75II.
76Die zulässige Berufung hat aus den mit den Parteien in der Senatssitzung erörterten Gründen in der Sache (nur) teilweise Erfolg. Die Zuordnung der Marktlokationen der Letztverbraucher A, B, C, E und D zum Bilanzkreis von J durch U im Dezember 2018 und die in diesem Zusammenhang an J erfolgte Weitergabe von kundenbezogenen Angaben, verbunden mit der Information, dass die Stromversorgung an den Lieferstellen dieser Kunden ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr durch einen Lieferanten sichergestellt werde, war rechtswidrig, weil U durch die Zuordnung und die gem. § 6a Abs. 1 EnWG verbotene Weitergabe wirtschaftlich sensibler Netzkundendaten gegen das Gebot des § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG verstoßen hat, jedermann nach sachlich gerechtfertigten Kriterien diskriminierungsfrei Netzzugang zu gewähren. Aus diesem Sachverhalt resultieren Ansprüche der Klägerin als Betroffene gegen die Beklagte zu 1) als Rechtsnachfolgerin von U auf Schadensersatz aus § 32 Abs. 3 EnWG und gegen die Beklagte zu 2) als Rechtsnachfolgerin von J auf (Folgen-)Beseitigung und Schadensersatz aus § 32 Abs. 1 und 3 EnWG. Ferner war auch der ursprüngliche Unterlassungsantrag zu 1.a.i. gegen die Beklagte zu 1) bis zur Übertragung des Geschäftsbereichs Netzbetrieb auf die U neu begründet. Wegen der Verwertung der unter Verstoß gegen § 6a Abs. 1 EnWG erlangten Informationen durch J steht der Klägerin als Mitbewerberin insoweit auch ein Beseitigungsanspruch aus § 8 UWG gegen die Beklagte zu 2) zu. Außerdem schulden die Beklagten der Klägerin die Erstattung von Abmahnkosten.
77Wegen der weitergehenden Ansprüche hat das Landgericht die Klage dagegen im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
78Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Beklagten zu 1) vom 15.02.2023 und der Klägerin vom (richtig:) 16.02.2023, die lediglich Rechtsausführungen enthalten, rechtfertigen keine andere Entscheidung.
79A.
80Die Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1), U, hat gegen § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG verstoßen, indem sie nach der Kündigung der Bilanzkreisverträge der T die hier in Rede stehenden sechs Marktlokationen ab dem 22.12.2018 (D) bzw. dem 01.01.2019 (A, B, C und E) dem Bilanzkreis von J als örtlich zuständigem Grundversorger zugeordnet hat, ohne dass hierfür eine gesetzliche oder vertragliche Grundlage bestand. Die damit in Zusammenhang erfolgte Weitergabe von Informationen über die Marktlokationen der betroffenen Letztverbraucher und die Mitteilung, dass die Stromversorgung an diesen Marktlokationen nicht mehr durch einen Lieferanten sichergestellt werde, verstieß deshalb zugleich gegen § 6a Abs. 1 EnWG.
811. Aus § 4 Abs. 3 S. 1 StromNZV und dem Prinzip der Netzstabilität (§ 20 Abs. 1a S. 5 EnWG, vgl. BGH, Beschl. v. 27.10.2020 – EnVR 104/19, BeckRS 2020, 45396 Rn. 20 – Unberechtigt genutzte Lieferstellen) folgt, dass für jede Einspeise- oder Entnahmestelle die Zuordnung zu einem Bilanzkreis erforderlich ist. Hierdurch sollen Zuordnungslücken verhindert werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.11.2019 – VI-3 Kart 801/18 (V), BeckRS 2019, 30159 Rn. 61, 78). Mit Blick auf die Entflechtungsvorgaben der §§ 6 ff. EnWG, die eine Trennung von Erzeugung und Vertrieb von Elektrizität einerseits und dem Betrieb von Energieversorgungsnetzen andererseits vorschreiben, um die Markttransparenz zu erhöhen und den Wettbewerb zu fördern, darf eine Bilanzierung der von Letztverbrauchern entnommenen Strommengen beim Netzbetreiber nicht erfolgen (BGH, Beschl. v. 10.05.2022 – EnZR 54/21, RdE 2022, 404 Rn. 22 – Verbrauchsstelle Goldbuschfeld). Da Bedingung für eine korrekte bilanzielle Erfassung der aus dem Stromnetz entnommenen Strommengen die (zutreffende) Zuordnung einer Verbrauchsstelle zu einem Bilanzkreisverantwortlichen ist, muss der Netzbetreiber für jede Lieferstelle an seinem Netz ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen als zuständigen Bilanzkreisverantwortlichen bestimmen. Dies gilt auch für Lieferstellen, für die weder ein Stromlieferungsvertrag noch ein Grund- oder Ersatzversorgungsverhältnis besteht. Denn auch hier ist – jedenfalls, solange die Lieferstelle nicht gesperrt ist – mit Stromentnahmen zu rechnen, und auch diese sind nach den energiewirtschaftsrechtlichen Vorgaben zwingend einem Bilanzkreis zuzuordnen (BGH, a.a.O. Rn. 21). In der Niederspannung hat die Zuordnung zum Bilanzkreis des zuständigen Grund- und Ersatzversorgers zu erfolgen, weil dieser zuletzt mit dem Nutzer der Verbrauchsstelle über ein (gesetzliches) Lieferverhältnis schuldrechtlich verbunden war. Dem Grund- und Ersatzversorger kommt insoweit eine in den §§ 36, 38 EnWG angelegte Auffangfunktion zu (BGH, a.a.O. Rn. 23; Beschl. v. 27.10.2020, a.a.O. Rn. 19). Für die höheren Netzspannungsebenen hat der Bundesgerichtshof offen gelassen, ob und ggfls. welchem Bilanzkreis die Entnahmestelle zugeordnet werden soll. Jedenfalls folgt die Zuordnung des Stroms zum Bilanzkreis eines Stromlieferanten den zivilrechtlichen Gegebenheiten folgt, so dass eine etwaige fehlerhafte bilanzielle Zuordnung auf die wirtschaftliche und zivilrechtliche Zuordnung des Stroms keinen Einfluss hat (BGH, Beschl. v. 10.05.2022, a.a.O. Rn. 20, 27).
822. Die Entnahme von Strom an den Marktlokationen der Letztverbraucher A, B, C und Hoffman ab dem 01.01.2019 sowie des Letztverbrauchers D ab dem 22.12.2018 erfolgte weder aufgrund eines gesetzlichen noch aufgrund eines vertraglichen Schuldverhältnisses mit J. Die gleichwohl von U am 22.12.2018 vorgenommene Zuordnung dieser Marktlokationen zum Bilanzkreis von J war daher fehlerhaft und verstieß gegen § 20 Abs. 1 EnWG, da J hierdurch ohne sachlichen Grund vor anderen Stromlieferanten – wie der Klägerin – bevorzugt wurde. Die Zuordnung erfolgte zudem unter Verstoß gegen die Festlegung einheitlicher Geschäftsprozesse und Datenformate zur Abwicklung der Belieferung von Kunden mit Elektrizität durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) gem. Beschluss v. 11.07.2006 (BK6-06-009) (Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität [GPKE] in der ab dem 01.10.2017 anwendbaren Fassung; Anlage 1 zum Beschluss BK6-16-200 v. 20.12.2016 – GPKE 2017).
832.1. Gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG haben Betreiber von Energieversorgungsnetzen jedermann nach sachlich gerechtfertigten Kriterien diskriminierungsfrei Netzzugang zu gewähren. Die Regelung des § 20 EnWG ermöglicht es, den Transport von Energie über das Netz sowie die dazugehörigen Transaktionen ungehindert und sachgerecht durchführen zu können (vgl. BeckOK EnWG/Sösemann/Assmann, 5. Ed. 1.12.2022, § 20 Rn. 3). Dabei handelt es sich um eine spezielle Regelung des in § 20 GWB festgehaltenen Grundsatzes, dass ein Unternehmen, das den Zugang zu einem Markt vermittelt, zu dem keine ausreichenden und zumutbaren Ausweichmöglichkeiten bestehen, diesen Marktzugang nicht unbillig behindern darf. „Diskriminierungsfrei“ bedeutet in Anlehnung an den Grundgedanken des Art. 2 GG, dass gleiche Sachverhalte gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandelt werden muss (BeckOK EnWG/Sösemann/Assmann, a.a.O. Rn. 8 f.; Kment/Kment, EnWG, 2. Aufl. 2019, § 20 Rn. 10). Das Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG verlangt zunächst eine Gleichbehandlung von externen Lieferanten mit solchen, die mit dem Netzbetreiber gesellschaftsrechtlich verbunden sind (vertikales Diskriminierungsverbot). Daneben ist dem Maßstab der Diskriminierungsfreiheit ein Verbot der unterschiedlichen Behandlung mehrerer gleichartiger „externer“ Energielieferanten zu entnehmen (horizontales Diskriminierungsverbot) (BerlKommEnR/Säcker, 4. Aufl. 2019, § 20 Rn. 38, 40). Die Diskriminierungsfreiheit ist im Zusammenhang mit dem Zugang zu den Energieversorgungsnetzen und damit für das mit § 1 Abs. 2 EnWG verfolgte Ziel des unverfälschten Wettbewerbs von elementarer Bedeutung. Insbesondere bei vertikal integrierten Energieunternehmen hat der Netzbetreiber einen Anreiz, den zur gleichen juristischen Person oder zumindest zur gleichen Unternehmensgruppe gehörenden Lieferanten gegenüber dritten Lieferanten zu bevorzugen. Wenn dies in ungerechtfertigter Weise erfolgt, liegt eine Diskriminierung i.S.d. § 20 Abs. 1 EnWG vor (BeckOK EnWG/Sösemann/Assmann, a.a.O. Rn. 10).
84Eine Präzisierung der Grundsätze eines nach sachlich gerechtfertigten Kriterien diskriminierungsfrei gewährten Netzzugangs enthalten spezielle Normen und Festlegungen der Regulierungsbehörde wie etwa die GPKE, die die für alle Marktteilnehmer gleich geltende Marktkommunikation regeln (BeckOK EnWG/Sösemann/Assmann, a.a.O. Rn. 5). Die GPKE regeln u.a. für den Fall, dass ein Energiebezug weder einer Lieferung noch einem bestimmten Energieliefervertrag zugeordnet werden kann, die Zuordnung von Marktlokationen im Rahmen des Prozesses „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“. Bei Letztverbrauchern, für die keine Ersatzversorgung vorgesehen ist, gilt der Prozess „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“ für den Fall einer vertraglich vereinbarten Ersatzbelieferung entsprechend, sofern der Letztverbraucher dem Netzbetreiber vorab einen Ersatzbelieferer benannt hat (GPKE 2017 S. 38). Bei Marktlokationen außerhalb der Niederspannung kommt danach eine Meldung an den Ersatzbelieferer – soweit vertraglich vereinbart – oder die Unterbrechung des Netzanschlusses in Betracht (GPKE 2017 S. 42).
852.2. Die am 22.12.2018 durch U vorgenommene Zuordnung der Marktlokationen der Letztverbraucher A, B, C, E und D zum Bilanzkreis von J war weder aufgrund eines gesetzlichen Schuldverhältnisses der Ersatzversorgung gem. § 38 Abs. 1 S. 1 EnWG gerechtfertigt, noch aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung zwischen den betreffenden Letztverbrauchern und J.
86Eine Zuordnung zum Bilanzkreis von J aufgrund eines Ersatzversorgungsverhältnisses gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 EnWG, worauf U – wie in ihrem Schreiben vom 27.12.2018 an den Letztverbraucher B (Anl. K 5) – abgestellt hat, schied hier aus, denn § 38 EnWG ist in den Fällen, in denen Letztverbraucher Strom über das Mittelspannungsnetz beziehen, weder direkt noch entsprechend anwendbar. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist nach dem Willen des Gesetzgebers auf Letztverbraucher, die über das Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck Energie beziehen, beschränkt. Der Bezug von Energie über Netze in höheren Spannungsebenen fällt im Falle des Wegfalls des Lieferanten nicht unter den Schutz einer Ersatzversorgung, auch wenn – wie im Fall des § 38 EnWG – dieser Bezug keinem bestimmten Lieferanten oder Liefervertrag zugeordnet werden kann (vgl. Hempel, in: Hempel/Franke, Recht der Energie- und Wasserversorgung, Bd. 1, 148. Lfg. Oktober 2021, § 38 EnWG Rn. 30; BeckOK EnWG/Schnurre, a.a.O., § 38 Rn. 7; Ehring, ER 2019, 223, 224 f.). Eine analoge Anwendung der Vorschrift scheidet angesichts der klaren normativen Beschränkung der Ersatzversorgung auf das Niederspannungsnetz, die auf der besonderen Schutzbedürftigkeit der an diese Netzebene angeschlossenen Kunden beruht und aus deren gesteigertem Interesse an Schutz vor Versorgungsunterbrechungen resultiert, aus (Haun, EnWZ 2023, 29; Tüngler, a.a.O., S. 406 f.; Ehring, a.a.O.; BerlKommEnR/Busche, a.a.O., § 38 EnWG Rn. 2; Kment/Rasbach, a.a.O., § 38 Rn. 2; s.a. Begr. zu § 118c EnWG, BT-Drucks. 20/4915 S. 177).
87Bei der Versorgung in höheren Spannungsebenen darf der keinem bestimmten Lieferanten oder Liefervertrag zuzuordnende Strombezug eines Letztverbrauchers grundsätzlich nicht dem Bilanzkreis des örtlich zuständigen Grund- und Ersatzversorgers zugeordnet werden, weil es an einer zivilrechtlichen Anknüpfung für dessen bilanzielle Zuständigkeit für die Lieferstelle und den dort entnommenen Strom fehlt. Etwas anderes kann auch nicht aus der Notwendigkeit, jede Marktlokation einem Bilanzkreis zuzuordnen, folgen. Die in den §§ 36, 38 EnWG angelegte Auffangfunktion kommt dem Grund- und Ersatzversorger in der Niederspannungsebene (nur) deshalb zu, weil bei Eintritt eines vertragslosen Zustands an einer Verbrauchsstelle gemäß § 38 Abs. 1 EnWG von Gesetzes wegen zwingend zunächst ein Ersatzversorgungsverhältnis begründet wird, bevor die Stromentnahme unberechtigt erfolgt. Aufgrund des zuletzt mit dem Nutzer der Verbrauchsstelle bestehenden (gesetzlichen) Lieferverhältnisses bleibt er bis zum Eintritt eines anderen Stromlieferanten bilanziell zuständig (BGH, Beschl. v. 10.05.2022, a.a.O. Rn. 23). Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 38 Abs. 1 EnWG gilt dies nicht, weil zuletzt kein gesetzliches und – jedenfalls in der Regel – auch kein vertragliches Lieferverhältnis zum Grund- und Ersatzversorger bestand (vgl. auch Köhler, ER 2023, 16, 18). Hier sieht der Gesetzgeber gerade keine Auffangfunktion des Grund- und Ersatzversorgers, wie sich daran zeigt, dass er Anlass gesehen hat, mit § 118c EnWG eine befristete Notversorgung im Januar und Februar 2023 für Letztverbraucher einzuführen, die an das Energieversorgungsnetz in Mittelspannung oder Mitteldruck oder, soweit nicht die Ersatzversorgung nach § 38 EnWG anwendbar ist, in der Umspannung von Nieder- zu Mittelspannung angeschlossen sind.
88Dem können die Beklagten nicht mit Erfolg entgegen halten, dass Letztverbraucher in höheren Spannungsebenen, bei denen es sich meist um energieintensive Unternehmen handelt, ebenfalls ein – u.U. erhebliches – Interesse an einer unterbrechungsfreien Stromversorgung haben, zumal bei einem Produktionsausfall massive wirtschaftliche Schäden drohen können. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass von größeren Letztverbrauchern, die in Mittelspannung oder Mitteldruck angeschlossen sind, grundsätzlich erwartet werden kann, dass sie sich rechtzeitig um einen neuen Energieliefervertrag bemühen, um die Unterbrechung ihrer Versorgung zu verhindern (vgl. BT-Drs. 20/4915 S. 177 zu § 118c EnWG; Haun, a.a.O.). Bei der Versorgung in einer höheren Spannungsebene setzt eine Weiterbelieferung bei Ausfall des vertraglichen Lieferanten eine entsprechende vertragliche Vereinbarung voraus. Der Letztverbraucher kann entweder vorsorglich einen (aufschiebend bedingten) Ersatzbelieferungsvertrag oder nach Eintritt einer Zuordnungslücke – diesen Weg ist die überwiegende Zahl der hier in Rede stehenden, von der Insolvenz der T betroffenen Letztverbraucher gegangen – unverzüglich einen neuen Stromliefervertrag außerhalb der Grundversorgung abschließen (Tüngler, a.a.O., S. 407; Rauch, ER 2022, 135, 138; Köhler, a.a.O.). Eine derartige Vorsorge gegen Unterbrechungen des Netzanschlusses und der Anschlussnutzung mutet das Gesetz dem Letztverbraucher, der in einer höheren Spannungsebene versorgt wird, ohne weiteres zu, da er als weniger schutzbedürftig als ein an das Niederspannungsnetz angeschlossener Letztverbraucher angesehen wird (Haun, a.a.O.; Tüngler, a.a.O.). In der Praxis bieten zahlreiche Energieversorgungsunternehmen, die gleichzeitig Grund- und Ersatzversorger sind, Letztverbrauchern in der Mittelspannungsebene eine sogen. Notenergiebelieferung an (vgl. Köhler, a.a.O.).
89Einen Ersatzbelieferungsvertrag hatte J im Zeitpunkt der Zuordnung der Marktlokationen zu ihrem Bilanzkreis mit keinem der betroffenen Letztverbraucher abgeschlossen.
902.3. Ohne Erfolg machen die Beklagten auch geltend, das Recht zur Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis von J folge aus den zwischen den Letztverbrauchern und U bzw. deren Rechtsvorgängerin geschlossenen Anschlussnutzungsverträgen, weil die darin einbezogenen Preisblätter den Fall der Grundversorgung/Ersatzbelieferung regelten.
912.3.1. Schon in tatsächlicher Hinsicht stellen diese Preisblätter bloß eine – bezüglich der höheren Netzspannungsebenen rechtlich unzutreffende – Information dar, weil für eine analoge Anwendung des § 38 EnWG kein Raum ist. Aus der maßgeblichen Sicht der Letztverbraucher kommt diesen Preisblättern allenfalls eine Mitteilungsfunktion zu, und nicht ein irgendwie gearteter Regelungsgehalt. Durch eine Einbeziehung von lediglich informatorischen Preisblättern in die Anschlussnutzungsverträge kommt weder ein Vertrag zwischen dem Letztverbraucher und dem Grund- und Ersatzversorger zustande, noch ist darin ein Angebot des Letztverbrauchers an den zuständigen Grund- und Ersatzversorger auf Abschluss eines Ersatzbelieferungsvertrages zu sehen, das vom Netzbetreiber mit der Meldung der Marktlokation an den Grund- und Ersatzversorger übermittelt wird, wie es das Landgericht erwogen hat. Vereinbarungen zu Lasten Dritter sind grundsätzlich nicht zulässig. Auch ein Vertragsangebot der Letztverbraucher scheidet aus, denn im Zeitpunkt des Abschlusses des Anschlussnutzungsvertrages ist das potenzielle Ersatzbelieferungsverhältnis aus deren Sicht so wenig konkretisiert, dass es an den wesentlichen Vertragsbestandteilen des abzuschließenden Vertrages fehlt.
92Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine alleinige Vereinbarung im Anschlussnutzungsvertrag des Letztverbrauchers – und erst recht eine bloße Bezugnahme auf Preisblätter des Netzbetreibers, die auf den Grundversorger verweisen – für die Zuordnung einer Marktlokation auch nicht ausreichend. Nichts anderes folgt aus den GPKE, die eine entsprechende Geltung des Prozesses „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“ für den Fall einer vertraglich vereinbarten Ersatzbelieferung vorsehen (GPKE 2017 S. 38). Dies kann nur ein Vertrag mit einem Stromlieferanten sein, bei dem es sich allerdings auch um den Grund- und Ersatzversorger handeln kann. Wie die BNetzA in ihrem Beschluss vom 21.12.2020 (BK6-20-160) – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 10.05.2022, a.a.O. Rn. 20, 27; v. 27.10.2020, a.a.O. Rn. 21 f.) – klargestellt hat, orientiert sich die Einstufung, ob eine Marktlokation rechtlich der Grund- oder der Ersatzversorgung zuzuordnen ist, allein an der zivilrechtlichen Situation zwischen dem Letztverbraucher und dem Grund- und Ersatzversorger und liegt nicht im Zuständigkeitsbereich oder Ermessen des Netzbetreibers (Beschl. v. 21.12.2020, S. 13). Allein schon deshalb könnte eine – hier zudem nicht ersichtliche – Vereinbarung zwischen Netzbetreiber und Letztverbraucher im Anschlussnutzungsvertrag keine ausreichende Grundlage für eine Zuordnung der Marktlokation zum Bilanzkreis des Grund- und Ersatzversorgers sein.
932.3.2. Schließlich, und für den Senat ganz maßgeblich entscheidend, wäre aber eine lediglich in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Netzbetreibers vorbehaltene Ermächtigung, die Entnahmestelle eines Letztverbrauchers im Falle des Auftretens einer Versorgungslücke an den zuständigen Grund- und Ersatzversorger zu melden und sie dessen Bilanzkreis zuzuordnen, diskriminierend und verstieße gegen § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG. Denn Grund- und Ersatzversorgern können außerhalb des Anwendungsbereichs der Grund- und Ersatzversorgung gem. §§ 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 EnWG keine besseren Rechte zukommen, als ihren Wettbewerbern.
94Der Senat verkennt nicht, dass der Netzbetreiber ein Interesse daran haben kann, im Anschlussnutzungsvertrag Regelungen für diejenigen Fälle zu treffen, in denen der Kunde nicht oder nicht mehr durch den Lieferanten seiner Wahl beliefert werden kann. Primäres Ziel sollte es sein, die Entnahmen kurzfristig einem neuen Lieferanten bilanziell zuzuordnen (vgl. zu den möglichen Regelungen Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, Recht der Energiewirtschaft, 5. Aufl. 2021, § 17 Rn. 152 ff.; Theobald/Kühling/Hartmann/Wagner, EnR, 116. EL Mai 2022, § 17 EnWG Rn. 133 ff.). Dabei mag aus Sicht des Netzbetreibers auch eine entsprechende Anwendung der Regelung der Ersatzversorgung naheliegend erscheinen, weil der zuständige Grund- und Ersatzversorger am ehesten auf die kurzfristige Belieferung zusätzlicher Kunden eingerichtet ist. Dem stehen jedoch die Entflechtungsbestimmungen und das Diskriminierungsverbot entgegen. Die beanstandete Vertragsgestaltung würde faktisch auf eine unzulässige Analogie zu den Regelungen der Grund- und Ersatzversorgung hinauslaufen. Dem Grundversorger als Ersatzversorger würden dadurch Kunden nicht nur ohne deren Kenntnis, sondern vor allem ohne entsprechende Chancen dritter Vertriebe zufallen (Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch; Theobald/Kühling/Hartmann/Wagner, jew. a.a.O.). Der mit der Netzentflechtung bezweckte diskriminierungsfreie Netzzugang und damit das in § 1 Abs. 2 EnWG genannte Ziel des unverfälschten Wettbewerbs würde ausgehöhlt.
952.4. Die Weitergabe von Informationen über den Anschluss der Letztverbraucher (nur) an J, ohne dass zwischen dieser und den Letztverbrauchern eine vertragliche Vereinbarung über die Ersatzbelieferung abgeschlossen worden war, ist auch mit den Regelungen zur sogen. informatorischen Entflechtung (Unbundling) – hier dem Vertraulichkeitsgebot des § 6a Abs. 1 EnWG – nicht vereinbar.
962.4.1. Konzernrechtlich verbundene Unternehmen wie die Beklagten zu 1) und 2) bzw. ihre Rechtsvorgängerinnen, von denen einer Tätigkeiten im Geschäftsbereich des Netzbetriebs und der andere Tätigkeiten im Geschäftsbereich Energieerzeugung bzw. -versorgung ausübt, unterliegen als vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen i.S.v. § 3 Nr. 38 EnWG (vgl. BeckOK EnWG/Peiffer, a.a.O., § 3 Nr. 38 Rn. 7) hinsichtlich wirtschaftlich sensibler Daten Dritter, die ihnen in Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit zur Kenntnis gelangt sind, einem grundsätzlichen Verbot der Informationsweitergabe gegenüber Dritten und insbesondere auch gegenüber anderen Unternehmensteilen, sofern nicht diesbezüglich Ausnahmen vorgesehen sind oder der Betroffene zugestimmt hat (vgl. Theobald/Kühling/Heinlein/Büsch, a.a.O., § 6a EnWG Rn. 19, 22; Kment/Knauff, a.a.O., § 6a Rn. 10 f.).
97Bei der Frage, ob Informationen wirtschaftlich sensibel sind, ist vorrangig der Zweck der informationellen Entflechtung zu beachten, nämlich die Gewährleistung des diskriminierungsfreien Netzbetriebs durch vertraulichen Umgang mit wirtschaftlich sensiblen Informationen gem. § 6a Abs. 1 EnWG und die Sicherstellung des diskriminierungsfreien Umgangs mit wirtschaftlich vorteilhaften Informationen gem. § 6a Abs. 2 EnWG als grundlegende Voraussetzung für die Entwicklung eines unverfälschten Wettbewerbs innerhalb der wettbewerbsfähigen Bereiche (vgl. Gemeinsame Richtlinie der Regulierungsbehörden des Bundes und der Länder zur Umsetzung der informatorischen Entflechtung nach § 9 EnWG v. 13.06.2007, S. 3, 5; Gemeinsame Auslegungsgrundsätze der Regulierungsbehörden des Bundes und der Länder zu den Entflechtungsbestimmungen in §§ 6-10 EnWG v. 01.03.2006, S. 23). Die formelle Entflechtung liefe leer, wenn der Netzbetreiber Informationen, die er aus seiner Tätigkeit erlangt, in diskriminierender Weise weitergeben könnte (FK-KartellR/Lange, 103. Liefg. 9/2022, Sonderbereiche: Energiewirtschaft, Rn. 32). Wirtschaftlich sensibel im Sinne des § 6a Abs. 1 EnWG sind nach der Gesetzesbegründung zu § 9 EnWG 2005 (BT-Drucks. 15/3917 S. 54 f.) Informationen, die für einen Wettbewerbsteilnehmer einen wettbewerbsrelevanten Informationsvorsprung auf vor- und nachgelagerten Märkten bedeuten und ihm einen unberechtigten Marktvorteil verschaffen können. Aus dem Netzbereich dürfen deshalb Daten Dritter nicht nach außen dringen, die zu Wettbewerbszwecken unter den Versorgern genutzt werden könnten. Erfasst werden alle Informationen, die Diskriminierungspotenzial enthalten. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn durch Weitergabe solcher Informationen die dem vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen zugehörigen Wettbewerbsbereiche – wie hier – in die Lage versetzt werden, einen Kunden gezielt anzusprechen und ihm ein qualifiziertes, d.h. auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes und sich von den Offerten Dritter abhebendes Angebot zu unterbreiten (vgl. BerlKommEnR/Säcker/Schönborn, a.a.O., § 6a EnWG Rn. 28 f.; BeckOK EnWG/Jenn, a.a.O., § 6a Rn. 16; Theobald/Kühling/Heinlein/Büsch, a.a.O. Rn. 16 f.).
982.4.2. Bei den Angaben zu den Marktlokationen von Letztverbrauchern und der Information, dass die Stromversorgung der Marktlokation ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht durch einen Lieferanten sichergestellt ist, handelte es sich um wirtschaftlich sensible Information, deren Kenntnis J in die Lage versetzte, den betreffenden Letztverbrauchern Vertragsangebote für eine Ersatzbelieferung sowie auch für eine längerfristige Belieferung mit Strom zu Sonderkonditionen zu unterbreiten. Zu diesem Zweck durfte eine Weitergabe der Informationen jedoch nicht erfolgen.
99Eine Offenlegung von Daten des Netzkunden ist dem Netzbetreiber nach dem Willen des Gesetzgebers nur dann gestattet, wenn die Information offenkundig ohne wirtschaftliche Bedeutung auf den vor- und nachgelagerten Wettbewerbsmärkten ist, wenn der Netzkunde in die diskriminierungsfreie Offenbarung der ihn betreffenden Informationen eingewilligt hat oder wenn eine gesetzliche Verpflichtung besteht (BT-Drucks. 15/3917 S. 55 zur Vorgängerregelung des § 9 EnWG). (Nur) im Falle der Ersatzversorgung gem. § 38 EnWG ist die Weitergabe der dafür benötigten Daten gesetzlich legitimiert. Hier erfolgt die An- und Abmeldung des Letztverbrauchers durch die Betreiber von Energieversorgungsnetzen nach Maßgabe der von der BNetzA veröffentlichten Marktprozesse (GPKE) (vgl. BeckOK EnWG/Schnurre, a.a.O., § 38 Rn. 11). Die Befugnis zur Weitergabe der für die Abwicklung der Ersatzversorgung notwendigen Informationen ergibt sich hier aus den Vorschriften zur Ersatzversorgung, so dass ein Widerspruch zu den Entflechtungsvorschriften nicht besteht. Das ersatzversorgende Vertriebsunternehmen hat dabei sicherzustellen, dass Informationen, die im Zusammenhang mit der Ersatzversorgung erlangt werden, nicht für wettbewerbliche Zwecke genutzt werden (vgl. BNetzA, Beschl. v. 11.07.2006 – BK6-06-009, S. 36).
100Bei der Versorgung von Letztverbrauchern in der Mittelspannungsebene, bei der für eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Ersatzversorgung kein Raum ist, setzt die Weitergabe der Informationen einen (vorherigen) Vertragsschluss mit dem ersatzbeliefernden Versorgungsunternehmen voraus. Das Ziel der informatorischen Entflechtung würde verfehlt, wenn der Netzbetreiber sich – noch dazu in seinen AGB – vom Netzkunden ermächtigen ließe, wirtschaftlich sensible Informationen an einen bestimmten Energielieferanten weiterzugeben, zu dem weder ein gesetzliches noch ein vertragliches Lieferverhältnis besteht, zumal wenn es sich dabei – wie im Fall von J – um ein assoziiertes Unternehmen handelt. Hierdurch würde das Vertriebsunternehmen unter Ausschaltung von Wettbewerbern in die Lage versetzt, dem Letztverbraucher ein Vertragsangebot zu unterbreiten. In Anbetracht der Bequemlichkeit von Kunden und der guten Verhandlungssituation für einen Anschlussvertrag durch die bereits aufgenommene Belieferung zu dem hohen Ersatzversorgungspreis ergäbe sich hierdurch jedenfalls ein großer Wettbewerbsvorteil (Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, a.a.O. Fn. 200). Dies wäre auch durch eine Einwilligung des Letztverbrauchers in die Weitergabe seiner Daten nicht zu rechtfertigen. Die individuelle Einwilligung eines Netzkunden könnte einen Verstoß gegen das Vertraulichkeitsgebot nur dann ausschließen, wenn (alleiniger) Zweck der informationellen Entflechtung der Schutz individueller Kundendaten wäre. Zweck der informationellen Entflechtung ist aber gerade nicht, den Schutz einzelner Kundendaten sicherzustellen, sondern Informationsvorsprünge des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens auszuschließen und so zu einem diskriminierungsfreien Netzzugang und unverfälschtem Wettbewerb beizutragen (Berl-KommEnR/Säcker/Schönborn, a.a.O. Rn. 32). Jede Offenlegung solcher Informationen muss daher in nicht diskriminierender Weise erfolgen, insbesondere dürfen sie den Wettbewerbern der anderen Geschäftsbereiche des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens nicht vorenthalten werden (Wiedemann/Ulrich Scholz, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 34 Energiewirtschaft Rn. 46).
1012.5. U hat sich – ebenso wie J – bei der Zuordnung der Marktlokationen zu deren Bilanzkreis auch im Übrigen nicht GPKE-konform verhalten, denn die Zuordnung ist noch vor der Meldung an J erfolgt. Bei dem Prozess „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“ – sei es in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung – hat der Netzbetreiber in einem ersten Schritt zu prüfen, ob sich die Marktlokation in Niederspannung befindet (Nr. 1). Erst und nur dann, wenn dies der Fall ist, erfolgt (zunächst) die Meldung der Marktlokation durch den Netzbetreiber an den Ersatz-/Grundversorger (Nr. 2). Bei Marktlokationen außerhalb der Niederspannung kommt dagegen eine Meldung an den Ersatzbelieferer (soweit vertraglich vereinbart) oder die Unterbrechung des Netzanschlusses in Betracht. Nach Eingang der Meldung der Marktlokation durch den Netzbetreiber hat der Ersatz-/Grundversorger u.a. zu prüfen, ob es sich bei der Marktlokation um Grund- oder Ersatzversorgung handelt (Nr. 3) und dem Netzbetreiber das Ergebnis der Prüfung mitzuteilen (Nr. 4). Erst danach erfolgt ggfls. die Zuordnung der Marktlokation durch den Netzbetreiber (Nr. 5) (GPKE 2017 S. 42).
102Gegen diese Festlegung hat U verstoßen, indem sie die „vertragslosen“ Marktlokationen der betroffenen Letztverbraucher dem Bilanzkreis von J zugeordnet hat, obwohl weder die Voraussetzungen einer Ersatzversorgung gem. § 38 Abs. 1 EnWG vorlagen, noch eine vertragliche Vereinbarung mit J über eine Ersatzbelieferung bestand. U hat sich dabei – wie auch J – zudem nicht an den Ablauf des Prozesses „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“ gehalten, da die Zuordnung zum Bilanzkreis von J bereits am 22.12.2018 und damit vor der Meldung an J erfolgt ist, so dass eine 4-Augen-Prüfung vor der Zuordnung gar nicht stattgefunden hat. Eine Diskriminierung i.S.v. § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG lag danach vor, weil es hierdurch anderen Lieferanten von vorneherein erschwert – wenn nicht gar unmöglich gemacht – wurde, die betroffenen Letztverbraucher ihrerseits im Rahmen einer vereinbarten Ersatzbelieferung mit Strom zu beliefern.
103B.
104Als Folge dieser Verstöße steht der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) ein Schadensersatzanspruch aus § 32 Abs. 3 EnWG dem Grunde nach sowie ein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten zu. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung den ursprünglichen Unterlassungsantrag zu 1.a.i. einseitig für erledigt erklärt hat, ist zudem festzustellen, dass der Rechtsstreit nach der Übertragung des Geschäftsbereichs Netzbetrieb auf die U1 insoweit in der Hauptsache erledigt ist. Die weitergehend geltend gemachten Ansprüche sind hingegen nicht begründet.
1051. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, soweit die Klägerin beantragt hat, die Beklagte zu 1) zur Unterlassung der Weitergabe kundenbezogener Angaben zu einem nicht in Niederspannung versorgten Letztverbraucher an den Ersatzversorger zu verurteilen, wenn der Energiebezug dieses Letztverbrauchers keinem Bilanzkreis aufgrund eines vertraglichen oder gesetzlichen Lieferverhältnisses zugeordnet werden kann (Klageantrag zu 1.a.i.).
106Die Erledigungserklärung des Klägers, die – wie hier – einseitig bleibt, ist als eine nach § 264 Nr. 2 ZPO privilegierte Klageänderung auszulegen (vgl. BeckOK ZPO/Jaspersen, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 91a Rn. 48; Zöller/Althammer, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 91a Rn. 34). Bei einer einseitigen Erledigungserklärung des Klägers ist die Erledigung der Hauptsache festzustellen, wenn die Klage bis zu dem geltend gemachten erledigenden Ereignis zulässig und begründet war und durch dieses Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 25.10.2022 – XI ZR 44/22, juris Rn. 23). Die Voraussetzungen liegen nach dem vom Senat zugrunde zu legenden Sachverhalt vor. Der Klägerin stand gegen die Beklagte zu 1), die als Rechtsnachfolgerin der U zunächst Netzbetreiberin war, ein auf § 32 Abs. 1 EnWG gestützter Anspruch auf Unterlassung der Weitergabe von kundenbezogenen Angaben in der im Klageantrag bezeichneten Situation zu. Dieser Anspruch ist dadurch entfallen, dass die Beklagte zu 1) nicht (mehr) Netzbetreiberin ist.
1071.1. Die Weitergabe der hier in Rede stehenden kundenbezogenen Angaben im Zusammenhang mit der unberechtigten Zuordnung einer Marktlokation zum Bilanzkreis des Grund- und Ersatzversorgers verstößt gegen § 20 Abs. 1 S.1 i.V.m. § 6a Abs. 1 EnWG, und kann daher (nur) einen Unterlassungsanspruch nach § 32 Abs. 1 S. 1 und 2 EnWG auslösen. Hingegen kommt ein von der Klägerin vorrangig geltend gemachter Anspruch aus § 8 Abs. 1 S. 1 und 2 UWG nicht in Betracht. Dieser wird von § 32 EnWG in seinem Anwendungsbereich verdrängt.
108Mit dem in § 32 EnWG normierten Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch hat der Gesetzgeber verschiedene Instrumente zu Abwehr bzw. zur Sanktion von Rechtsverstößen gegen die dort genannten Rechtvorschriften bzw. Entscheidungen der Regulierungsbehörde geschaffen. § 32 EnWG ist ausweislich der Gesetzesbegründung aus einer Übernahme des durch die 7. GWB-Novelle neu gefassten § 33 GWB entstanden. Die Vorschrift ist Teil des bereits im GWB etablierten „private enforcement“ von Rechtsverstößen und ergänzt das bis zur Einführung der Vorschrift im EnWG vorherrschende System öffentlich-rechtlicher Vollstreckung (BeckOK EnWG/Baumgart, a.a.O., § 32 Rn. 1). Dass wegen eines Gesetzesverstoßes auch anderweitige Sanktionsmöglichkeiten eröffnet sind, steht der lauterkeitsrechtlichen Durchsetzung allein zwar nicht im Wege. Gleichwohl ist anerkannt, dass es Marktverhaltensregelungen gibt, deren spezielles Rechtsfolgenregime abschließend ist und dementsprechend die parallele oder ergänzende Anwendung des § 8 i.V.m. §§ 3, 3a UWG ausschließt. Das ist insbesondere der Fall, wenn durch die parallele Anwendbarkeit eine näher ausdifferenzierte spezialgesetzliche Sanktionsregelung konterkariert würde (Pahlow in: Teplitzky/Peifer/Leistner, UWG, 3. Aufl. 2020, § 3a Rn. 24 f.). Namentlich bei Kartellrechtsverstößen wird § 8 UWG von den §§ 33 ff. GWB verdrängt, weil das GWB die Anspruchsberechtigung für Verstöße gegen das (nationale und europäische) Kartellrecht abschließend regelt und diese Regelung nicht mit Hilfe der §§ 3a, 8 Abs. 3 UWG unterlaufen werden darf (grundlegend: BGH, Urt. v. 07.02.2006 – KZR 33/04, GRUR 2006, 773, 774 Rn. 13 ff. - Probeabonnement; MüKoUWG/Fritzsche, 3. Aufl. 2022, § 8 Rn. 11; Pahlow, a.a.O. Rn. 26; Bechtold/Bosch/Bechtold/Bosch, GWB, 10. Aufl. 2021, § 33 Rn. 43; LMRKM/Kersting, 4. Aufl. 2020, GWB § 33 Rn. 54; FK-KartellR/Roth, a.a.O., Vorbem. zu den §§ 33 ff. GWB Rn. 37). Für Zuwiderhandlungen gegen das Energiewirtschaftsgesetz im Zusammenhang mit dem Netzanschluss (§§ 17-19a EnWG) und dem Netzzugang (§§ 20-28a EnWG) enthält § 32 EnWG spezialgesetzlich zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen auf Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz, und zwar auch für Marktbeteiligte, gegen die sich der Verstoß nichtgezielt richtete (s. § 32 Abs. 1 S. 3 EnWG). Auch insoweit scheidet daher ein Rückgriff auf § 3a UWG und damit die Sanktion der §§ 8, 9 UWG aus (Pahlow, a.a.O. Rn. 32).
1091.2. Der Unterlassungsantrag war entgegen der Rüge der Beklagten zu 1) hinreichend bestimmt. Zwar ist der Begriff „kundenbezogene Angaben“ ausfüllungsbedürftig, das Begehren der Klägerin ergab sich jedoch aus der beispielhaften Aufzählung im Klageantrag, durch eine Bezugnahme auf die hier in Rede stehenden Verletzungshandlungen („wie geschehen gegenüber … im Dezember 2018 bzw. Januar 2019“) und den zur Begründung des Antrags vorgetragenen Tatsachen.
1101.2.1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Unterlassungsantrag – und nach § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO eine darauf beruhende Verurteilung – nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO) nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 14.07.2022 – I ZR 97/21, GRUR 2022, 1336, 1337 Rn. 12 – dortmund.de; v. 09.09.2021 – I ZR 90/20, GRUR 2021, 1400, 1403 Rn. 19 – Influencer I, mwN). Der Gebrauch auslegungsbedürftiger Begriffe im Klageantrag zur Bezeichnung der zu untersagenden Handlung genügt, wenn über ihren Sinngehalt zwischen den Parteien kein Streit besteht und objektive Maßstäbe zur Abgrenzung vorliegen, oder wenn der Kläger den auslegungsbedürftigen Begriff hinreichend konkret umschreibt und gegebenenfalls mit Beispielen unterlegt oder sein Begehren an der konkreten Verletzungshandlung ausrichtet (BGH, Urt. v. 09.09.2021 – I ZR 113/20, GRUR 2021, 1425, 1426 Rn. 12 – Vertragsdokumentengenerator, mwN). Ganz allgemein ist eine hinreichende Bestimmtheit für gewöhnlich gegeben, wenn eine Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung erfolgt oder die konkret angegriffene Verletzungsform antragsgegenständlich ist und der Klageantrag zumindest unter Heranziehung des Klagevortrags unzweideutig erkennen lässt, in welchen Merkmalen des angegriffenen Verhaltens die Grundlage und der Anknüpfungspunkt für den Wettbewerbsverstoß und damit das Unterlassungsgebot liegen soll (BGH, Urt. v. 14.07.2022, a.a.O.; v. 08.11.2018 – I ZR 108/17, GRUR 2019, 627 f. Rn. 15 – Deutschland-Kombi, mwN.). Eine konkrete Verletzungsform ist Gegenstand des Unterlassungsantrags, wenn dieser die zu untersagende Handlung zwar abstrakt umschreibt, dann aber mit einem Vergleichspartikel („wie geschehen …”) oder mit einem entsprechenden Konditionalsatz („wenn dies geschieht wie …”) auf die beanstandete Verhaltensweise Bezug nimmt (BGH, Urt. v. 07.04.2011 - I ZR 34/09, GRUR 2011, 742, 744 Rn. 17 - Leistungspakete im Preisvergleich).
1111.2.2. Nach Maßgabe dessen war der Antrag hinreichend bestimmt. Er nimmt Bezug auf die beanstandete Verhaltensweise („wie geschehen gegenüber …“), und aus der Klagebegründung ergibt sich, dass es der Klägerin um die Weitergabe der „Kontaktdaten der Letztverbraucher zusammen mit der Information über die Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis des Ersatzversorgers“ bzw. die Information darüber, dass eine Marktlokation oberhalb der Niederspannung keinem Bilanzkreis zugeordnet ist, geht (Bl. 20, 25 GA LG). Bei einer Orientierung des Unterlassungsbegehrens an der konkreten Verletzungshandlung genügt es, wenn sich das mit dem selbst nicht hinreichend klaren Antrag Begehrte im Tatsächlichen durch Auslegung unter Heranziehung des Sachvortrags des Klägers eindeutig ergibt und die betreffende tatsächliche Gestaltung zwischen den Parteien nicht in Frage gestellt ist, sondern sich der Streit der Parteien ausschließlich auf die rechtliche Qualifizierung der angegriffenen Verhaltensweise beschränkt (vgl. BGH, Urt. v. 16.06.2016 – I ZR 46/15, GRUR 2017, 194, 197 f. Rn. 36).
112Das war hier der Fall. Im Tatsächlichen ist zwischen den Parteien unstreitig, dass U seinerzeit nach der Zuordnung der betreffenden Marktlokationen zum Bilanzkreis von J dieser Informationen über Lieferstellen (Anschrift, MaLo-ID) der betroffenen Letztverbraucher weitergegeben und – wie sich aus den Schreiben von J an die Letztverbraucher v. 04.01.2019 (Anl. B 2) 1) ergibt – zudem mitgeteilt hat, dass die Stromversorgung an diesen Lieferstellen ab einem bestimmten Zeitpunkt (22.12.2018 bzw. 01.01.2019) nicht mehr durch einen Lieferanten sichergestellt werde. In dem Klageverfahren der B auf Rückzahlung der gezahlten Vergütung (VI-5 U 3/22 [Kart]) hat die hiesige Beklagte zu 2) vorgetragen, es entspreche den üblichen Gepflogenheiten, dass der Anschlussnetzbetreiber zur Vermeidung einer Lieferunterbrechung den zuständigen Grundversorger über Lieferantenausfälle informiere, und vor diesem Hintergrund habe U J am 22.12.2018 gemeldet, dass eine Ersatzversorgung der Abnahmestelle der dortigen Klägerin zum 01.01.2019 erforderlich werde. Damit ist unzweideutig erkennbar, dass Ziel des Unterlassungsantrags die künftige Verhinderung der Weitergabe der für eine Vertragsanbahnung und Abwicklung der Belieferung erforderlichen Netzkundendaten einer „vertragslosen“ Lieferstelle an den Grund- und Ersatzversorger war, sofern zwischen diesem und dem Letztverbraucher kein gesetzliches oder vertragliches Lieferverhältnis vorliegt.
113Der Einwand der Beklagten zu 1), sie könne nicht in allen Fällen abschließend überblicken, ob ein vertragliches oder gesetzliches Lieferverhältnis bestehe, greift nicht durch. Ihre Rechtsvorgängerin hat den Ausfall der T bei den betroffenen Letztverbrauchern als „Ersatzversorgungsfall“ behandelt. Dies setzt bereits von Gesetzes wegen die Prüfung voraus, ob ein Energiebezug nicht einer Lieferung oder einem bestimmten Liefervertrag zugeordnet werden kann. Entsprechend sieht nach den GPKE der Prozess „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“ die Feststellung des Netzbetreibers vor, dass eine Marktlokation keinem Lieferanten zugeordnet ist (GPKE 2017 S. 43; ebenso GPKE 2022 gemäß Beschluss der BNetzA BK6-20-160 vom 21.12.2020). Bei Letztverbrauchern, für die keine Ersatzversorgung vorgesehen ist, gilt der Prozess „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“ für den Fall einer vertraglich vereinbarten Ersatzbelieferung entsprechend, sofern der Letztverbraucher dem Netzbetreiber vorab einen Ersatzbelieferer benannt hat (GPKE 2017 Nr. 4.1, S. 38; entspr. GPKE 2022 Nr. 5.1, S. 37). Auch diese Prüfung hat der Netzbetreiber vorzunehmen.
1141.3. Ursprünglich lagen die Voraussetzungen eines – hier allein geltend gemachten – vorbeugenden Unterlassungsanspruchs in der Person der Beklagten zu 1) vor.
115Gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 EnWG ist derjenige, der gegen eine Vorschrift der Abschnitte 2 und 3 des 3. Teils des EnWG (§§ 17 – 28c EnWG), eine auf Grund der Vorschriften dieser Abschnitte erlassene Rechtsverordnung oder eine auf Grundlage dieser Vorschriften ergangene Entscheidung der Regulierungsbehörde verstößt, dem Betroffenen zur Beseitigung einer Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet. Der Anspruch besteht bereits dann, wenn eine Zuwiderhandlung droht (§ 32 Abs. 1 S. 2 EnWG).
1161.3.1. Die Klägerin ist als Marktteilnehmerin Betroffene i.S. der Vorschrift, da sie durch die ungerechtfertigte Besserstellung des Grund- und Ersatzversorgers (hier: J) durch Zuordnung der Marktlokation zu dessen Bilanzkreis und die im Zusammenhang damit erfolgte Weitergabe der Netzkundendaten in ihren (wirtschaftlichen) Rechten negativ berührt worden ist.
117Wie sich aus § 32 Abs. 1 S. 3 EnWG ergibt, müssen die Betroffenen grundsätzlich Marktbeteiligte sein. Eine weitergehende Definition des Begriffs trifft das EnWG nicht. Da § 32 EnWG aus einer Übernahme des durch die 7. GWB-Novelle neu gefassten § 33 GWB entstanden ist, kann für die Auslegung die Definition in § 33 Abs. 3 GWB herangezogen werden; entsprechend ist betroffen, wer als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist (BeckOK EnWG/Baumgart, a.a.O., § 32 Rn. 2; BerlKommEnR/Weyer, a.a.O., § 32 EnWG Rn. 13; Kment/Wahlhäuser, a.a.O., § 32 Rn. 5 f.). Anders als § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG setzen die Ansprüche nach § 32 EnWG danach ein konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG i.d. bis 27.05.2022 geltenden Fassung) nicht voraus, so dass es schon aus diesem Grund nicht darauf ankommt, dass zwischen den Parteien kein unmittelbares Wettbewerbsverhältnis besteht, weil die Beklagte zu 1) selbst keinen Strom vertreibt. Der Begriff des Marktbeteiligten wird im GWB nicht definiert, auch nimmt das GWB keinen Bezug auf den vergleichbaren Begriff des Marktteilnehmers in § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG aF). Insoweit liegt jedoch angesichts der sachlichen und zeitlichen Nähe zwischen UWG und GWB nahe, zumindest für eine erste Annäherung auf diesen Begriff zurückzugreifen (vgl. Kment/Wahlhäuser, a.a.O. Rn. 6). Marktteilnehmer sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG alle Personen neben den Mitbewerbern und den Verbrauchern, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind. Die Betroffenheit der Klägerin ergibt sich hier daraus, dass sie in den hier in Rede stehenden Fällen eines Lieferantenausfalls auf einer höheren Spannungsebene wegen der erforderlichen Ersatzbelieferung der Letztverbraucher mit dem örtlich zuständigen Grund- und Ersatzversorger konkurriert. Der Ersatzbelieferungsvertrag, auch wenn er mit dem Grund- und Ersatzversorger abgeschlossen wird, ist ein freier Stromlieferungsvertrag, denn es besteht gerade kein Kontrahierungszwang.
1181.3.2. Mit Blick auf die zwischenzeitlich erfolgte Verschmelzung der U auf die Beklagte zu 1) hat die Klägerin zu Recht (nur) einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch (§ 32 Abs. 1 S. 2 EnWG) geltend gemacht, der eine Erstbegehungsgefahr bei der Beklagten zu 1) voraussetzt.
1191.3.2.1. Unterlassungsansprüche setzen regelmäßig voraus, dass bereits ein Verstoß vorliegt, der eine Wiederholungsgefahr begründet. § 32 Abs. 1 S. 2 EnWG bezieht ausdrücklich aber auch vorbeugende Unterlassungsansprüche ein, wenn Erstbegehungsgefahr besteht (vgl. BerlKommEnR/Weyer, a.a.O. Rn. 15; BeckOK EnWG/Baumgart, a.a.O. Rn. 8). Ein auf Erstbegehungsgefahr gestützter vorbeugender Unterlassungsanspruch besteht, wenn ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, der Anspruchsgegner werde sich in naher Zukunft in der fraglichen Weise rechtswidrig verhalten (st. Rspr. zu § 8 UWG; vgl. BGH, Urt. v. 20.10.2021 – I ZR 96/20, GRUR 2021, 1531, 1534 Rn. 35 – Kurventreppenlift, mwN). Insoweit kann auf die von der Rechtsprechung zu § 8 UWG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden.
120Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist ein tatsächlicher Umstand, der nach den Verhältnissen in der Person des in Anspruch Genommenen zu beurteilen ist. Wettbewerbsverstöße, die Organe oder Mitarbeiter einer auf einen anderen Rechtsträger verschmolzenen Gesellschaft begangen haben, begründen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Wiederholungsgefahr für die Rechtsnachfolgerin. Aus der Verschmelzung des Unternehmens, in dem ein Wettbewerbsverstoß begangen worden ist, folgt allein auch keine Erstbegehungsgefahr bei dem übernehmenden Rechtsträger (BGH, Urt. v. 07.03.2019 – I ZR 184/17, GRUR 2019, 746, 750 Rn. 38 - Energieeffizienzklasse III, mwN). Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob den neuen Unternehmensinhaber eine originäre Haftung – hier aus § 32 Abs. 1 S. 2 EnWG – im Hinblick auf die früher begangenen Wettbewerbsverstöße von Mitarbeitern oder Beauftragten treffen kann. Für den Unterlassungsanspruch genügt es aber nicht, dass es früher im Unternehmen von Mitarbeitern oder Beauftragten zu einem Wettbewerbsverstoß gekommen ist und in ihrer Person noch Wiederholungsgefahr besteht. Vielmehr muss, soweit es die Haftung des neuen Unternehmensinhabers aus § 32 Abs. Abs. 1 S. 2 EnWG angeht, in der Person der betreffenden Mitarbeiter oder Beauftragten Erstbegehungsgefahr bestehen. Die bloße Tatsache des Unternehmensübergangs und der Fortführung des Betriebs selbst mit identischem Personal reicht dafür nicht aus (BGH, Urt. v. 06.12.2012 – III ZR 173/12, BeckRS 2013, 684 Rn. 15; BeckOGK/Rieckers/Cloppenburg, 1.10.2022, § 20 UmwG Rn. 111; Schmitt/Hörtnagl/Winter, UmwG, 9. Aufl. 2020, § 20 Rn. 60; Kierstein, in: Maulbetsch/Klumpp/Rose, UmwG, 2. Aufl. 2017, § 20 Rn. 52). Vielmehr müssen dafür konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass die Mitarbeiter oder Beauftragten auch unter dem neuen Unternehmensinhaber vergleichbare Wettbewerbsverstöße begehen. Zumindest müssen die betreffenden Mitarbeiter oder Beauftragten in mehr oder weniger unveränderter Funktion für den neuen Unternehmensinhaber tätig sein und der gegen sie persönlich bestehende Unterlassungsanspruch muss weiterbestehen, weil sie die Wiederholungsgefahr nicht durch Unterwerfung ausgeräumt haben. Für eine Erstbegehungsgefahr spricht es, wenn Verstöße wiederholt begangen wurden und die Geschäftsstrategie, die derartige Verstöße begünstigt, nicht geändert wird (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 8 Rn. 2.53a).
1211.3.2.2. Nach Maßgabe dessen lag nach der Verschmelzung von U auf die Beklagte zu 1) zunächst eine Erstbegehungsgefahr in deren Person vor. Denn sie führte den Geschäftsbetrieb der auf sie verschmolzenen U in personeller und wirtschaftlicher Kontinuität fort. Sie wurde seinerzeit von U unter der Überschrift „Umstrukturierung U“ gegenüber den Anschlussnutzern als Rechtsnachfolgerin, auf die die bestehenden Verträge automatisch übergehen, und neue Netzbetreiberin vorgestellt (wie Anl. K 4, Schreiben v. 17.06.2019 an A u. „Kontaktdatenblatt Netzbetreiber“). Verbunden wurde dies mit dem Hinweis, dass alle bekannten Ansprechpartner, Telefonnummern, E-Mail Adressen sowie die Marke „U“ erhalten bleiben. Nach der unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Klägerin bestand personelle Kontinuität sowohl auf der Ebene der Geschäftsführer und Prokuristen, als auch auf der Ebene der Sachbearbeiter. Ausweislich der Handelsregistereintragungen waren drei der Geschäftsführer von U, Dr. F, Dr. G und Dr. H, zunächst Geschäftsführer bei der Beklagten zu 1) (seinerzeit noch J1 bzw. J2). Die ersten beiden sind seit November 2019 Geschäftsführer bei der U1, während Letzterer seit der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft dem Vorstand der Beklagten zu 1) angehört.
122Bei der beanstandeten Vorgehensweise handelte es sich nicht um einen Einzelfall, sondern um fünf Letztverbraucher, deren Marktlokation von dem Ausfall der T betroffen waren und deren Daten nach Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis des Grund- und Ersatzversorgers – in diesem Fall J – an diesen weitergegeben worden sind. Der Vermutung der Klägerin, dass die geltend gemachten Verstöße auch weitere Letztverbraucher in derselben Situation betrafen, ist die Beklagte zu 1) ebenfalls nicht entgegengetreten. Das – bereits in Kenntnis der beschlossenen Verschmelzung erfolgte – Schreiben der Rechtsabteilung von U vom 14.06.2019 (Anl. K 18) zeigt, dass das angegriffene Verhalten eine Geschäftsstrategie des Netzbetreibers darstellt, denn darin heißt es:
123„Wir haben uns für einen anderen Weg entschieden und dafür Sorge getragen, dass diese Kunden, die nach unseren … Informationen keinen für sie zuständigen Lieferanten hatten, weiterhin versorgt werden. Zwar mag sich dies nicht unmittelbar aus der GPKE ergeben, einen gesetzlichen Verstoß vermögen wir allerdings auch hier nicht erkennen.“
124Daraus ergab sich, dass ein Abweichen von der bisherigen Geschäftspraxis auch für die Zukunft nicht beabsichtigt war. Auch dem ist die Beklagte zu 1) nicht entgegengetreten. Ihrem Sachvortrag ist zu entnehmen, dass auch sie selbst in den mit ihr geschlossenen Anschlussnutzungsverträgen die hier streitgegenständlichen Preisblätter verwendet hat, aus denen sie meint, eine Berechtigung zur Zuweisung „vertragsloser“ Lieferstellen zum Bilanzkreis des Grund- und Ersatzversorgers herleiten zu können, auch wenn zu diesem weder ein gesetzliches noch vertragliches Lieferverhältnis des betroffenen Letztverbrauchers besteht. Auch die U1 verwendet aktuell Preisblätter wie seinerzeit die Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1), in denen unter der Überschrift „Preise für Grundversorgung/Ersatzbelieferung“ die Sicherstellung der Belieferung des Kunden mit elektrischer Energie durch den Grundversorger thematisiert ist (Preisblatt 13 der U GmbH, gültig ab 01.01.2023). Das Preisblatt unterscheidet sich in Aufmachung und Inhalt nur marginal von den seinerzeit von U verwendeten Preisblättern (z.B. Anl. B 4), die ebenfalls auf der Internetseite der U1 (…) abrufbar sind. Die in Kenntnis der Verschmelzungsbeschlüsse erfolgte Ablehnung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung am 14.06.2019 war deshalb aus Sicht der Klägerin nur so zu verstehen, dass sowohl U als auch die Beklagte zu 1) das angegriffene Verhalten nicht abstellen wollten.
1251.3.3. Die Erstbegehungsgefahr in der Person der Beklagten zu 1) ist nach Rechtshängigkeit entfallen. Das folgt zwar nicht aus der Umwandlung der J2 (vormals J1) in die V AG (§ 190 Abs. 1 UmwG), denn die Änderung der Rechtsform lässt die Identität des Rechtsträgers unberührt (§ 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Schuldrechtliche Beziehungen bestehen nach einem Formwechsel unverändert fort (Lutter/Hoger, UmwG, 6. Aufl. 2019, § 202 Rn. 33, 44; Kallmeyer/Meister/Klöcker/Berger, UmwG, 7. Aufl. 2020, § 202 Rn. 14). Der Formwechsel hat daher keinen Einfluss auf den gesetzlichen Unterlassungsanspruch (vgl. Büscher in: FS Harte-Bavendamm (2020), 471, 481).
126Auch bei der Ausgliederung, wie sie hier im Dezember 2019 hinsichtlich des Geschäftsbereichs Verteilnetzbetrieb erfolgt ist, bleibt der übertragende Rechtsträger bestehen und der gesetzliche Unterlassungsanspruch gegen ihn erlischt grundsätzlich nicht (vgl. Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann, UWG, 5. Aufl., § 8 Rn. 183 f.; Büscher, a.a.O., S. 480 f.). So entfällt eine Wiederholungsgefahr noch nicht dadurch, dass der Schuldner sein Unternehmen veräußert. Vielmehr muss jede Wahrscheinlichkeit für eine Wiederaufnahme eines gleichartigen Wettbewerbsverstoßes ausgeschlossen sein (Köhler, WRP 2000, 921; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm, a.a.O. Rn. 1.51). Auf eine Wiederholungsgefahr hat die Klägerin ihren Klageantrag – zu Recht – jedoch nicht gestützt. Soweit sie in ihrem Schriftsatz vom 01.02.2023 nunmehr darauf abstellt, dass die Wiederholungsgefahr (durch den Formwechsel) nicht entfallen sei, ist dies schon deshalb unerheblich, weil eine Wiederholungsgefahr bei der Beklagten zu 1) als Rechtsnachfolgerin der U infolge Verschmelzung nicht vorlag. Ein Wegfall der Erstbegehungsgefahr ist bei der Veräußerung des Unternehmens hingegen denkbar, wenn nur aufgrund der Inhaberschaft der betreffende Wettbewerbsverstoß begangen werden kann (Köhler, a.a.O.). So liegt der Fall auch hier. Die Ausgliederung betraf den Betrieb der ehemaligen U GmbH. Dieser und damit der Netzbetrieb ist auf die U1 übergegangen, die auch im Marktstammdatenregister der BNetzA (MaStR-Nummer: …) (…) als Netzbetreiberin eingetragen ist.
127Der Senat ist entgegen der im Schriftsatz der Klägerin vom 03.02.2023 geäußerten Auffassung nicht gem. § 529 Abs. 1 S. 1 ZPO an die Feststellung des Landgerichts gebunden, dass die Beklagte zu 1) Netzbetreiberin ist. Die Tatsachenfeststellungen des Erstrichters binden das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO nicht, soweit an deren Vollständigkeit oder Richtigkeit auf Grund konkreter Anhaltspunkte Zweifel bestehen und deshalb eine erneute Feststellung geboten ist. Zweifel an der Vollständigkeit oder Richtigkeit der festgestellten Tatsachen sind auch dann begründet, wenn der Erstrichter Erfahrungs-, offenkundige oder gerichtsbekannte Tatsachen nicht berücksichtigt hat (Musielak/Voit/Ball, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 529 Rn. 4 f.; Gerken in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2023, § 529 Rn. 20; Goldkamp, jurisPR-FamR 10/2021 Anm. 6). Im Übrigen gilt der Ausschluss neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsrechtszug, auch soweit sie im ersten Rechtszug aus Nachlässigkeit nicht geltend gemacht worden sind, nicht für unstreitige Tatsachen. Aus der die Zwecke des Zivilprozesses und der Präklusionsvorschriften berücksichtigenden Auslegung der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 ZPO ergibt sich, dass unter „neue Angriffs- und Verteidigungsmittel” i.S. des § 531 ZPO lediglich streitiges und beweisbedürftiges Vorbringen fällt. Nicht beweisbedürftiges Vorbringen hat das Berufungsgericht gem. § 529 Abs. 1 ZPO seiner Entscheidung ohne Weiteres zu Grunde zu legen (BGH, Urt. v. 20.05.2009 - VIII ZR 247/06, NJW 2009, 2532, 2533 Rn. 15).
128Dass Netzbetreiberin die im März 2019 gegründete U GmbH (U1) ist, hat die Klägerin ebensowenig bestritten, wie die im Jahr 2019 erfolgte Ausgliederung des Geschäftsbereichs Verteilnetzbetrieb aus der Beklagten zu 1). Als Stromlieferant, der ständig mit dem Netzbetreiber zu tun hat, kann ihr dieser Umstand auch nicht verborgen geblieben sein. Abgesehen davon handelt es sich auch um offenkundige Tatsachen (§ 291 ZPO), da sie sich aus dem Handelsregister sowie dem Marktstammdatenregister der BNetzA ergeben. Offenkundig sind Tatsachen etwa dann, wenn sie allgemeinkundig sind. Das sind Ereignisse oder Zustände, die von einer beliebigen Zahl von Personen ohne besondere Sachkunde jederzeit wahrgenommen werden können, sei es unmittelbar, sei es durch Zugriff auf allgemein zugängliche, zuverlässige Quellen (BeckOK ZPO/Bacher, a.a.O., § 291 Rn. 3; Assmann in: Wieczorek/Schütze, a.a.O., § 291 Rn. 9; Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, 14. Aufl. 2022, § 291 Rn. 2; Musielak/Voit/Huber, a.a.O., § 291 Rn. 1; Baudewin in: Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl. 2020, § 291 Rn. 4). Zu den offenkundigen Tatsachen im Sinne des § 291 ZPO gehören auch solche, die das Gericht dem Internet entnommen hat (BGH, Beschl. v. 27.01.2022 – III ZR 195/20, juris Rn. 8; s.a. Assmann, a.a.O. Rn. 13 f.). Der Inhalt öffentlicher Register ist auch dann offenkundig iSv § 291 ZPO, wenn er einer amtlichen Veröffentlichung im Internet entnommen wurde (BeckOK ZPO/Bacher, a.a.O. Rn. 5; vgl. für das Handelsregister: LG Bonn, Beschl. v. 07.11.2014 – 6 T 308/14, BeckRS 2015, 5374). Einigkeit besteht darüber, dass das Gericht nicht vorgetragene offenkundige Tatsachen jedenfalls dann heranziehen muss, wenn sie in Widerspruch zu Tatsachenvortrag einer Partei (BAG, Urt. v. 09.12.1997 - 1 AZR 319/97, NZA 1998, 661, 663) oder zu einem Geständnis (vgl. BGH, Urt. v. 29.06.1979 – III ZR 156/77, juris Rn. 12) stehen (Assmann, a.a.O.; BeckOK ZPO/Bacher, a.a.O. Rn. 9; Zöller/Greger, a.a.O., § 291 Rn. 2). Der Senat hat den Parteien hierzu mit Beschluss vom 02.02.2023 rechtliches Gehör gewährt. An tatsächliche Feststellungen, die im Widerspruch zu offenkundigen Tatsachen stehen, ist nicht einmal das Revisionsgericht gebunden (BAG, Urt. v. 19.01.2022 – 5 AZR 217/21NJW 2022, 1403, 1406 Rn. 29 ff.; Assmann in: Wieczorek/Schütze, a.a.O., § 291 Rn. 29); erst recht muss dies für das Berufungsgericht gelten.
129Da die Erstbegehungsgefahr an den Netzbetrieb anknüpft, ist diese in der Person der Beklagten zu 1) entfallen. Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte zu 1) in naher Zukunft erneut als Netzbetreiber tätig werden wird und sich in der beanstandeten Weise verhalten wird. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2023 geltend gemacht hat, § 32 EnWG setze anders als § 8 UWG nicht voraus, dass die Erstbegehungsgefahr von dem in Anspruch genommenen Unternehmen selbst ausgehe, kann dahin stehen, ob für eine Konzernhaftung, wie sie bei § 33 GWB erwogen wird (vgl. LMRKM/Kersting, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 33 GWB Rn. 17), auch im Anwendungsbereich des § 32 EnWG Raum ist. Denn die Klägerin hat schon keine Tatsachen vorgetragen, aufgrund derer eine Haftung der Beklagten zu 1) für eine etwa nunmehr in der Person der U1 bestehende Erstbegehungsgefahr in Betracht käme.
1302. Keinen Erfolg hat die Klage insoweit, als die Klägerin mit dem Klageantrag zu 1.a.ii.) das Ziel verfolgt hat, die Beklagte zu 1) solle es unterlassen, „in Fällen, in denen sie Marktlokationen unrechtmäßig der Beklagten zu 2) zuordnet, den Lieferantenwechsel zu erschweren“ und die rückwirkende Anmeldung und Zuordnung der Marktlokation zu ihrem – der Klägerin – Bilanzkreis zu verweigern. Insoweit scheidet die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache aus, denn die Klage war von Anfang an unbegründet.
131Die Klägerin hat diesbezüglich die Voraussetzungen für einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch (§ 32 Abs. 1 S. 2 EnWG), insbesondere eine ursprünglich bestehende konkrete Erstbegehungsfahr eines Verstoßes gegen § 20 Abs. 1 EnWG in der Beklagten zu 1), bereits nicht hinreichend dargelegt. Das Klageziel war – wie sich aus der Berufungsbegründung ergibt – auf „die Fehlerbeseitigung einer rechtswidrig erfolg(t)en Bilanzkreiszuordnung von Entnahmestellen“ gerichtet. Eine – ggf. rückwirkende – Zuordnung von Energiemengen einer Entnahmestelle zu einem Lieferanten bzw. zu dem von diesem benannten Bilanzkreis im Rahmen der Bilanzkreisabrechnung ist nach den Marktregeln für die Durchführung der Bilanzkreisabrechnung Strom (MaBiS) (Anlage zum Beschluss der BNetzA v. 10.06.2009, in der ab 01.04.2012 geltenden Fassung gem. Beschluss der BNetzA v. 28.10.2011 – BK6-11-150) innerhalb der Fristen für eine Korrektur der Bilanzkreisabrechnung (nur) im Wege einer bilateralen Vereinbarung zwischen Lieferant und Verteilnetzbetreiber möglich (MaBiS S. 4 f., 12). Ist die Entnahmestelle einem anderen Lieferanten zugeordnet, ist dies jedoch allein mit dessen Zustimmung möglich (vgl. Stellungnahme der BNetzA v. 20.01.2023). Ob die Zuordnung rechtmäßig erfolgt ist oder nicht, ist hierfür entgegen der Auffassung der Klägerin unerheblich. Ausweislich einer E-Mail der Klägerin vom 23.01.2019 (Anl. B 2) 2) hat U seinerzeit mitgeteilt, dass sie einer Rückabwicklung zustimmen werde. Dies ist dann lediglich an der fehlenden Zustimmung von J gescheitert. In Anbetracht dessen war ohnehin für die Annahme einer konkreten Erstbegehungsgefahr in der Person der Beklagte zu 1) kein Raum. Darauf, dass sie inzwischen nicht mehr Netzbetreiber ist, kommt es deshalb nicht mehr an.
1323. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte zu 1) den seinerzeit betroffenen Letztverbrauchern A, B, C, D und E mitteilt, dass es keine gesetzlichen Regeln gibt, nach denen sie den zuständigen Grundversorger mit der Übernahme der Ersatzversorgung beauftragen durfte (Klageantrag zu 2.a.).
1333.1. Als Gesamtrechtsnachfolgerin von U wäre die Beklagte zu 1) zwar für einen Beseitigungsanspruch aus § 32 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 EnWG passivlegitimiert, da ein etwaiger Anspruch vor der Verschmelzung entstanden und auf die Beklagte zu 1) übergegangen wäre (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG; vgl.Schmitt/Hörtnagl/Winter, a.a.O., § 20 Rn. 27). Die Anspruchsvoraussetzungen liegen aber nicht vor.
134Die Zuordnung der „vertragslosen“ Marktlokationen der betroffenen Letztverbraucher zum Bilanzkreis von J verstieß allerdings gegen § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG und die Festlegung GPKE der BNetzA. Der Beseitigungsanspruch ist jedoch allein auf die Beseitigung einer in der Zukunft fortwirkenden Störungsquelle gerichtet (vgl. Theobald/Kühling/Boos, a.a.O., § 32 EnWG Rn. 19; Berl-KommEnR/Weyer, a.a.O. Rn. 15; Kment/J. Wahlhäuser, a.a.O., Rn. 22). Hier fehlt es an einer fortdauernden Beeinträchtigung. Die Klägerin macht diesbezüglich geltend, die Störung aus der unberechtigten Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis von J beeinträchtige sie nach wie vor, weil die Beklagte zu 2) aus der Zuordnung der Marktlokationen zu ihrem Bilanzkreis nach wie vor Forderungen gegen ihre Kunden erhebe und damit den Eindruck erwecke, sie, die Klägerin, sei zur Liquidierung ihrer Leistungen nicht berechtigt. Dies ist jedoch keine Folge der unberechtigten Zuordnung zum Bilanzkreis von J.
135In der Berufungsbegründung beruft sich die Klägerin ausdrücklich darauf, der störende Zustand gehe von dem Schreiben von U an die Letztverbraucher vom 27.12.2018 (wie Anl. K 5) aus, in dem es heißt, U habe „gemäß den gesetzlichen Regelungen“ den zuständigen Grundversorger mit der Übernahme der Ersatzversorgung beauftragt. In dem Schreiben äußert U eine unzutreffende Rechtsauffassung. Dass diese irgendeine Auswirkung auf die betroffenen Letztverbraucher hatte, ist nicht hinreichend dargetan. Es handelt sich bei ihnen um Kaufleute und energieintensive Unternehmen, die in der Regel über ein professionelles Energiemanagement verfügen und ohne Weiteres beurteilen können, ob eine gesetzliche Ersatzversorgung vorliegt. Auch ein Einfluss auf die Geltendmachung von Ansprüchen durch J ist nicht ersichtlich. Diese hat sich der Rechtsauffassung von U nicht angeschlossen, sondern sämtlichen hier betroffenen Letztverbrauchern mit Schreiben vom 04.01.2019 (Anl. B 2) 1) den Abschluss eines zeitlich befristeten Stromlieferungsvertrages angeboten, mit der Option, alternativ ein Angebot über einen Laufzeitvertrag mit günstigeren Konditionen anfordern zu können. Damit musste den Empfängern der Schreiben ohne Weiteres klar sein, dass ein gesetzliches Ersatzversorgungsverhältnis nicht vorlag.
1363.2. Ein weitergehender Anspruch folgt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus § 8 Abs. 1 S. 1 UWG i.V.m. §§ 3, 5 Abs. 1 UWG. Es ist schon zweifelhaft, ob der Anwendungsbereich des § 8 UWG überhaupt eröffnet ist oder ob wegen des engen Zusammenhangs mit dem energiewirtschaftsrechtlichen Verstoß der unberechtigten Zuordnung der Marktlokationen § 32 EnWG die Anwendung des Lauterkeitsrechts ausschließt. Jedenfalls lägen auch die Anspruchsvoraussetzungen nicht vor, denn das Schreiben der U vom 27.12.2018 stellte keine irreführende geschäftliche Handlung i.S. des § 5 Abs. 1 UWG (i.d. bis 02.05.2022 geltenden Fassung) dar.
137Das Irreführungsverbot setzt eine geschäftliche Handlung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG voraus. Diese muss geeignet sein, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung setzt voraus, dass die Handlung bei objektiver Betrachtung darauf gerichtet ist, durch Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer den Absatz oder Bezug von Waren oder Dienstleistungen des eigenen oder eines fremden Unternehmens zu fördern (vgl. BGH, Urt. v. 10. 1. 2013 – I ZR 190/11, GRUR 2013, 945, 946 Rn. 17). Daran fehlt es hier. Die Beklagte zu 1) weist zu Recht darauf hin, dass das Schreiben lediglich informatorischen Charakter hatte und nicht dazu diente, geschäftliche Entscheidungen von Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern zu beeinflussen. Die Klägerin legt auch nicht dar, welche anderenfalls nicht getroffene geschäftliche Entscheidung der Letztverbraucher das Schreiben hätte beeinflussen können.
1384. Der Antrag, festzustellen, dass der ursprüngliche Klageantrag auf rückwirkende Zuordnung der in Rede stehenden sechs Marktlokationen zum Bilanzkreis der Klägerin erledigt ist (Klageantrag zu 2.b.), ist ebenfalls unbegründet. Die ursprüngliche Klage war insoweit bereits unbegründet, weil die Klägerin im Zeitpunkt des Ablaufs der Frist für eine Korrektur der Bilanzkreisabrechnung keinen Anspruch aus § 32 Abs. 1 S. 1 EnWG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG gegen die Beklagte zu 1) als Rechtsnachfolgerin der U auf unmittelbare Vornahme einer rückwirkende Zuordnung der an den fraglichen Entnahmestellen entnommenen Strommengen zu ihrem Bilanzkreis hatte.
1394.1. Der Anspruch scheitert entgegen der Auffassung der Beklagten allerdings nicht daran, dass die Klägerin eine rechtzeitige GPKE-konforme Anmeldung der Marktlokationen zum 01.01.2019 versäumt hat. Eine solche Anmeldung ist zwar in den Fällen, die in den GPKE geregelt sind, grundsätzlich erforderlich. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos.
140Einzelheiten der gemäß § 4 Abs. 3 S. 1 StromNZV erforderlichen Zuordnung der Entnahmestellen zu einem Bilanzkreis sind in den GPKE sowie den MaBiS geregelt. Grundlage der Zuordnung ist danach im Regelfall die GPKE-konforme Anmeldung der Entnahmestelle beim Netzbetreiber (inklusive Anmeldebestätigung). Die GPKE sehen vor, dass für Marktlokationen, die auf Basis von Viertelstundenwerten bilanziert werden, An- und Abmeldedatum nur nach dem Eingangsdatum liegen können, während für Marktlokationen, die auf Basis von Standardlastprofilen bilanziert werden auch rückwirkende An- und Abmeldungen zulässig sind, wenn nicht der Fall eines Lieferantenwechsels vorliegt. Der Netzbetreiber hat sicherzustellen, dass rückwirkende Lieferanmeldungen nur in Fällen stattfinden, in denen bisheriger und neuer Anschlussnutzer nicht identisch sind (GPKE 2017 Ziff. 2.2. Nr. 2 u. 4, S. 21 f.). Der hier vorliegende Fall, dass Letztverbraucher außerhalb der Niederspannung, deren Strombezug keinem Lieferanten zugeordnet werden kann, und die nicht vorsorglich einen Ersatzbelieferungsvertrag abgeschlossen und dem Netzbetreiber den Ersatzbelieferer mitgeteilt haben, ist in der GPKE nicht geregelt. Hierzu heißt es bei der detaillierten Beschreibung des Prozesses „Lieferende“:
141„Nr. 4: Der NB beendet die Zuordnung des LFA zur Marktlokation zum Abmeldedatum.
142Ist eine Marktlokation infolge der Abmeldung künftig weder dem E/G noch einem sonstigen LF zugeordnet, kann eine Unterbrechung des Netzanschlusses nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften in Betracht kommen.“
143In der einführenden Geschäftsprozessbeschreibung der GPKE heißt es ausdrücklich, dass die abgebildeten Prozesse die überwiegende Zahl der Marktprozesse abdecken und dass zwischen den Marktteilnehmern weitere Regelungen zu Marktprozessen getroffen werden können, soweit sie nicht im Widerspruch zu den GPKE stehen und Dritte nicht diskriminiert werden (GPKE 2017 Ziff. II. 1., S. 5). Damit stehen die GPKE einer individuellen Lösung des Zuordnungsproblems in diesen Fällen nicht entgegen, und zwar in der Weise, dass nach Anmeldung eines Ersatzbelieferers im Einvernehmen der Beteiligten – jedenfalls innerhalb der Fristen für eine Korrektur der Bilanzkreisabrechnung – auch eine rückwirkende Bilanzierung auf den vom Lieferanten genannten Belieferungsbeginn möglich ist. Auch die MaBiS stehen dem nicht entgegen. Sie sehen ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass der Lieferant (ggf. in Abstimmung mit dem Bilanzkreisverantwortlichen) und der Verteilnetzbetreiber abweichend von dem Erfordernis fristgemäßen Anmeldung bilateral die Zuordnung von Energiemengen einer Entnahmestelle zum Lieferanten vereinbaren. Eine Vereinbarung über die zuzuordnenden Energiemengen ist dabei auch bei Kunden mit registrierender Lastgangmessung (RLM-Kunden) – wie hier – zulässig (MaBiS Ziff. 1.1. Bindungswirkung der Datenlage aus den GPKE-Prozessen, S. 4 f.). Die zuzuordnenden Energiemengen können sich auch aus einer ordnungsgemäß durchgeführten Korrektur-Bilanzkreisabrechnung ergeben, die längstens bis zum Ende des 8. Monats nach dem Liefermonat erfolgen kann (MaBiS Ziff. 2.7, S. 12) (s.a. Stellungnahme der BNetzA v. 20.01.2023, S. 2).
1444.2. Die ursprüngliche Klage auf rückwirkende Zuordnung zum Bilanzkreis der Klägerin war jedoch unbegründet, weil hierzu eine – tatsächlich nicht vorliegende – Zustimmung von J erforderlich war. Entgegen der Auffassung der Klägerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 16.02.2023 folgt nichts anderes daraus, dass die Zuordnung zum Bilanzkreis von J zu Unrecht erfolgt war. Denn nach der unberechtigten Zuordnung der Marktlokationen zu deren Bilanzkreis waren diese „blockiert“ und es war eine Abmeldung durch J erforderlich. Das folgt entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1) zwar nicht aus den monatlich vom Netzbetreiber zu übersendenden Zuordnungslisten, denn diese haben nur informatorischen Charakter (GPKE 2017 Ziff. II. 4., S. 9 f.). Für die Frage der Zuordnung einer Entnahmestelle zu Lieferanten und Bilanzkreisen sind nur die ausgetauschten Einzelmeldungen maßgeblich (BNetzA, Beschl. v. 28.10.2011 - BK6-11-150, S. 24). Bei dem Prozess „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“ erfolgt die Anmeldung durch den Netzbetreiber. Der Wechsel erfolgt nach dem Prozess „Lieferbeginn“. Ist die Marktlokation zum Anmeldedatum noch einem anderen Lieferanten (LFA) zugeordnet und liegt keine korrespondierende Abmeldung vor, ist eine Abmeldeanfrage erforderlich. Eine Zuordnung zum Bilanzkreis des neuen Lieferanten erfolgt nur, wenn der alte Lieferant nach Prüfung der Vertragslage seine noch bestehende Zuordnung dergestalt abmeldet, dass der neue Lieferant zum gewünschten Anmeldedatum die Belieferung der Marktlokation aufnehmen kann (GPKE 2017 S. 32, 35). Da es sich um ein formalisiertes Verfahren handelt, bei dem der Netzbetreiber nicht zu überprüfen hat, ob ein Vertrag zwischen dem alten Lieferanten und dem Letztverbraucher vorliegt, kommt eine Abweichung hiervon selbst dann nicht in Betracht, wenn die Zuordnung der Marktlokation zuvor unrechtmäßig erfolgt ist. Eine rückwirkende Zuordnung der an den betroffenen Marktlokationen entnommenen Strommengen zum Bilanzkreis der Klägerin ab dem 01.01.2019 wäre daher nur aufgrund einer dreiseitigen Vereinbarung (bzw. vierseitigen Vereinbarung, da die Klägerin keinen eigenen Bilanzkreis unterhielt und daher nicht BKV war) möglich gewesen. Die Beklagte zu 1) hätte die rückwirkende Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis der Klägerin nur vornehmen können, nachdem J die Zustimmung erteilt hätte bzw. deren Willenserklärung gem. § 894 ZPO fingiert worden wäre. Beide Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt des Fristablaufs für die Korrektur-Bilanzkreisabrechnung nicht vor.
145Dem hat der ursprüngliche Klageantrag nicht Rechnung getragen, da er auf unmittelbare Vornahme der Zuordnung gerichtet war. U bzw. die Beklagte zu 1) hätte tatsächlich aber nur verurteilt werden können, neben J an einer Vereinbarung über die rückwirkende Zuordnung mitzuwirken. Eine entsprechende Umstellung des Klageantrags ist bis zum Ablauf der Clearingfrist nicht erfolgt.
1465. Der Klageantrag zu 4.), mit dem die Klägerin die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten zu 1) für bereits entstandene und künftig entstehende Schäden aus der unrichtigen Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis von J samt Mitteilung der Kundendaten einerseits und aus der verweigerten Zuordnung zu ihrem Bilanzkreis zum 01.01.2019 andererseits begehrt, ist hinsichtlich des ersten Teils begründet, im Übrigen jedoch nicht.
1475.1. Die Klägerin kann das Schadensersatzbegehren im Wege der Feststellungsklage verfolgen. Ein Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist mit Blick auf die wegen des Grundsatzes der Schadenseinheit drohende Verjährung schon dann zu bejahen, wenn im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs der Eintritt weiterer Schadensfolgen als möglich voraussehbar war (vgl. BGH, Urt. v. 22.02.2018 – VII ZR 253/16, NJW 2018, 2056, 2057 Rn. 18). Das gilt selbst dann, wenn die Klägerin einen Schaden bereits teilweise beziffern kann, die Schadensentwicklung aber noch nicht abgeschlossen ist (BGH, Urt. v. 19.04.2016 – VI ZR 506/14, NJW-RR 2016, 759 Rn. 6). Hier spricht jedenfalls eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Klägerin ein Schaden entstanden ist, weil sie entsprechend den mit den Letztverbrauchern abgeschlossenen Verträgen Energie beschafft und in ihrem Bilanzkreis zur Verfügung gestellt hat, hierfür aber nur eine Vergütung nach Preisen für Ausgleichsenergie erhalten hat. Ob und in wieweit sie vertragliche Ansprüche gegen ihre Kunden noch wird durchsetzen können, ist zumindest offen. Darüber hinaus steht nach Darstellung der Klägerin noch nicht fest, ob und in welcher Höhe ihre Kunden sie wegen der fehlgeschlagenen Anmeldung im Januar 2019 auf Schadensersatz in Anspruch nehmen werden. Dem ist die Beklagte zu 1) auch nicht entgegengetreten.
1485.2. Der Klägerin steht ein Ersatzanspruch aus § 32 Abs. 3 S. 1 EnWG zu. Danach ist, wer einen Verstoß nach § 32 Abs. 1 EnWG vorsätzlich oder fahrlässig begeht, zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
149Die Zuordnung der in Rede stehenden Marktlokationen der Letztverbraucher A, B, C, E und D ab dem 22.12.2018 bzw. 01.01.2019 zum Bilanzkreis von J durch U und die anschließend erfolgte Weitergabe von kundenbezogenen Angaben zu den Marktlokationen sowie die Mitteilung, dass diese nicht durch einen anderen Stromlieferanten beliefert wurden, verstießen gegen § 20 Abs. 1 (i.V.m. § 6a Abs. 1) EnWG und die zu § 20 EnWG ergangene Festlegung GPKE. U handelte dabei jedenfalls fahrlässig, da sie ohne Weiteres erkennen konnte, dass die gesetzlichen Voraussetzungen einer Ersatzversorgung, auf die sie sich in ihren Schreiben vom 27.12.2018 an die Letztverbraucher berufen hat, schon deshalb nicht vorlagen, weil die Marktlokationen nicht in Niederspannung versorgt wurden. Darüber hinaus entsprach das Vorgehen von U auch nicht der Festlegung GPKE zum Prozess „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“, da die Zuordnung unmittelbar erfolgt ist, bevor J überhaupt eine Prüfung vornehmen konnte, ob die Marktlokation ihr als Ersatz-/Grundversorger (bzw. Ersatzbelieferer bei der hier allein in Betracht kommenden entsprechenden Anwendung des Prozesses) zuzuordnen ist (GPKE 2017 S. 43).
150Darauf, dass „jedenfalls eine erhebliche Rechtsunsicherheit bezüglich des Umgangs mit den hier streitgegenständlichen Fällen“ bestanden habe und die von U gewählte Lösung am ehesten im Interesse der Kunden und in ihrem Interesse als Netzbetreiberin gelegen habe, kann sich die Beklagte zu 1) nicht mit Erfolg berufen. Da die Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs dem Normzweck des § 32 EnWG entsprechend eine wirksame Sanktionierung von Rechtsverletzungen fördern soll, ist das Verschulden im Falle eines Rechtsirrtums nur unter strengen Voraussetzungen auszuschließen. Ein Rechtsirrtum kommt nur in Betracht, wenn der Schädiger bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen gerichtlichen Beurteilung nicht zu rechnen brauchte. Der Schädiger trägt das Risiko der zweifelhaften Rechtslage (vgl. BerlKommEnR/Weyer, a.a.O., § 32 EnWG Rn. 17; Britz/Hellermann/Hermes/Robert, EnWG, 3. Aufl. 2015, § 32 Rn. 32; BGH, Urt. v. 10.10.1989 – KZR 22/88, juris Rn. 23 – Neugeborenentransporte, zu § 33 GWB).
151Hier scheidet die Berufung auf einen Rechtsirrtum schon angesichts der Nichteinhaltung des einschlägigen Prozesses der GPKE aus. Die GPKE sehen die entsprechende Anwendung des Prozesses „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“ nur im Fall einer vertraglich vereinbarten Ersatzbelieferung vor. Dass damit nicht ein Vertrag mit dem Netzbetreiber gemeint sein konnte, erschließt sich schon daraus, dass dem Netzbetreiber wegen der Entflechtungsvorgaben der §§ 6 ff. EnWG ausschließlich der Transport fremden Stroms, nicht aber die Lieferung von Strom an Kunden erlaubt ist (BGH, Beschl. v. 10.05.2022 a.a.O. Rn. 22). U war auch klar, dass ein Vertrag zwischen den Letztverbrauchern und J nicht bestand. Die Beklagte zu 1) macht selbst geltend, dass die Entstehung des Schuldverhältnisses zwischen Ersatzversorger und Letztverbraucher in den Fällen, in denen der Netzbetreiber von seiner vermeintlichen „Ermächtigung“ aus den Anschlussnutzungsverträgen Gebrauch mache, der Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis des Ersatzversorgers zeitlich nachgelagert sei. In dieser Situation kam indessen nach den GPKE (nur) die Unterbrechung des Netzanschlusses in Betracht. Zu einer derartigen Unterbrechung ist der Netzbetreiber, da er die fortgesetzte Energieentnahme wegen der entflechtungsrechtlichen Bestimmungen durch eine (vorherige) bilanzielle Zuordnung einer Verbrauchsstelle zum eigenen Bilanzkreis nicht dulden darf, nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet (Tüngler, EnWZ 2022, 404, 409). Das Recht dazu ergibt sich zumindest entsprechend § 17 Abs. 2 S. 1 EnWG, weil dem Netzbetreiber eine Entnahme von Strom, ohne dass die Marktlokation einem Bilanzkreis zugeordnet ist, wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Darauf, dass diese Unterbrechung nicht im Interesse der Letztverbraucher gelegen habe und daher als einzige Handlungsalternative die Zuweisung der Marktlokationen zum Bilanzkreis des Grund- und Ersatzversorgers in Betracht gekommen sei, kann sich die Beklagte zu 1) ebenfalls nicht berufen. Denn mögliche Unterbrechungsschäden der Letztverbraucher, die sich nicht beizeiten um einen Ersatzbelieferungsvertrag gekümmert haben, rechtfertigen nicht die diskriminierende Zuordnung zum Grund- und Ersatzversorger, der in diesem Bereich eben nicht in dieser Eigenschaft, sondern nur aufgrund eines entsprechenden Vertrages – und damit in Wettbewerb zu allen anderen Lieferanten – tätig werden darf.
152Schließlich kann sich die Beklagte zu 1) nicht mit Erfolg darauf berufen, durch die Zuordnung zum Bilanzkreis von J sei die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt worden, da im Zeitpunkt der Zuordnung gar nicht bekannt gewesen sei, dass die Klägerin die Belieferung der Letztverbraucher für sich in Anspruch nehme. Für den Schadensersatzanspruch ist nicht erforderlich, dass es sich bei der Vorschrift, gegen die verstoßen wurde, um ein Schutzgesetz handelt (Theobald/Kühling/Boos, a.a.O., § 32 EnWG Rn. 30). Insbesondere muss sich der Verstoß nicht gezielt gegen die Klägerin richten. Vielmehr ist der Kreis der möglichen Gläubiger eines Schadensersatzanspruches in seiner Weite identisch mit dem Kreis der Gläubiger des Unterlassungs- und Beseitigungsanspruches nach § 32 Abs. 1 S. 1 und 3 EnWG (Britz/Hellermann/Hermes/Robert, a.a.O., § 32 Rn. 30).
153Dass die Beklagte zu 1) sich auf eine Haftungsbegrenzung in § 12 des Lieferantenrahmenvertrages berufen hat, ist für die Feststellungsklage unerheblich und erst im Höheverfahren von Bedeutung.
1545.3. Soweit die Klägerin außerdem die Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen der „verweigerten Zuordnung der genannten Marktlokationen zu ihrem Bilanzkreis zum 01. Januar 2019“ begehrt, ist die Klage unbegründet. Da J einer rückwirkende Zuordnung nicht zugestimmt hatte, fehlt es insoweit jedenfalls an einem Verschulden.
1556. Begründet ist die Klage auch hinsichtlich des mit dem Klageantrag zu 7) geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz der Kosten für die Abmahnung vom 28.05.2019 (Anl. K 16).
156Der Anspruch folgt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG (in der bis 01.12.2020 geltenden Fassung [aF]; jetzt: § 13 Abs. 3 UWG). Da der Schwerpunkt der Abmahnung in der unberechtigten Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis von J lag, ist für die Abwehransprüche § 32 EnWG einschlägig. Dieser enthält keine dem § 12 Abs. 1 S. 2 UWG (aF) entsprechende Regelung über den Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für eine berechtigte Abmahnung. Insoweit besteht jedoch ein auf die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag gestützter Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten, der voraussetzt, dass dem Abmahnenden gegenüber dem Abgemahnten zum Zeitpunkt der Abmahnung ein Unterlassungsanspruch zustand und die Abmahnung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Abgemahnten entsprach (vgl. BGH, Urt. v. 17.07.2008 - I ZR 219/05, GRUR 2008, 996 Rn. 11 – Clone CD). Die durch eine Verletzungshandlung veranlasste Abmahnung dient i.d.R. dem wohlverstandenen Interesse beider Parteien, da sie das Streitverhältnis auf einfache, kostengünstige Weise vorprozessual beenden und einen Rechtsstreit vermeiden soll (KG, Urt. v. 19.09.2013 – 2 U 8/09 Kart, juris Rn. 96 mwN).
157Ein Unterlassungsanspruch stand der Klägerin gegen U im Zeitpunkt der Abmahnung zu. Die durch den bereits begangenen Verstoß begründete tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr kann regelmäßig nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden (BGH, a.a.O., S. 999 Rn. 33). Eine solche hat U nicht abgegeben. Da die Klägerin U auch gerichtlich auf Unterlassung der Zuordnung der Marktlokationen von nicht in der Niederspannung versorgten Letztverbrauchern an den Grund- und Ersatzversorger hätte in Anspruch nehmen können, wenn ein gesetzliches oder vertraglich begründetes Lieferverhältnis nicht vorliegt, entsprach die Abmahnung dem Interesse und dem mutmaßlichen Willen von U (BGH, a.a.O. Rn. 34).
158Soweit die Klägerin bei der Höhe der Abmahnkosten einen Auffangstreitwert von 50.000 € zugrunde gelegt hat, ist die Beklagte zu 1) dem nicht entgegengetreten.
159C.
160Gegenüber der Beklagten zu 2), die erstinstanzlich aufgrund eines gewillkürten Parteiwechsels anstelle von J in den Prozess eingetreten ist, stehen der Klägerin die mit den Klageanträgen zu 3.a) und 3.b.) geltend gemachten Beseitigungsansprüche aus § 32 Abs. 1 S. 1 EnWG bzw. aus § 8 Abs. 1 S. 1 UWG überwiegend sowie dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch (Klageantrag zu 5.) und ein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten (Klageantrag zu 8.) zu. Die weitergehende Klage ist hingegen unbegründet.
1611. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2023 die gegen die Beklagte zu 2) gerichteten Unterlassungsanträge einseitig für erledigt erklärt hat, konnte eine Feststellung der Hauptsacheerledigung schon deshalb nicht erfolgen, weil die ursprüngliche Klage unbegründet war. Deshalb kommt es nicht darauf an, dass auch nicht ersichtlich ist, auf welches vermeintlich erledigende Ereignis die Klägerin in Bezug auf die Beklagte zu 2) ausgeht.
162Die Klägerin hatte weder einen Anspruch gegen die Beklagte zu 2) darauf, dass diese es unterlässt, kundenbezogene Angaben zu einem Letztverbraucher einer Marktlokation außerhalb der Niederspannung, die vom Netzbetreiber als Grund- und Ersatzversorger ihrem Bilanzkreis zugeordnet worden sind, zum Zwecke der Vertragsanbahnung für die Belieferung der Letztverbraucher zu nutzen (Klageantrag zu 1.b.i.), noch auf Unterlassung der Behinderung eines Lieferantenwechsels einer unrechtmäßig ihrem Bilanzkreis als Grund- und Ersatzversorger zugeordneten Marktlokation durch Zustimmungsverweigerung (Klageantrag zu 1.b.ii.). In Betracht kommt insoweit allein ein vorbeugender Unterlassungsanspruch aus § 32 Abs. 1 S. 1 und 2 EnWG oder § 8 Abs. 1 S. 2 UWG, da es sich bei der Beklagten zu 2) um eine Rechtsnachfolgerin der ursprünglich verklagten J handelt. Erforderlich ist danach in jedem Fall eine konkrete Erstbegehungsgefahr bei dem Rechtsnachfolger.
163Dies kann hier nicht festgestellt werden. Bei der Abspaltung nach § 123 Abs. 2 UmwG sowie der – hier vorliegenden – Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 UmwG wird für den aufnehmenden Rechtsträger nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Wiederholungsgefahr begründet, und es besteht auch ohne besondere, in der Person des aufnehmenden Rechtsträgers eine eigenständige Erstbegehungsgefahr begründenden Umstände keine Erstbegehungsgefahr für eine Zuwiderhandlung (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann, a.a.O., § 8 Rn. 183 f.; Büscher in: FS für Harte-Bavendamm (2020), 471, 481, 483). Solche besonderen Umstände hat die Klägerin in Bezug auf die Beklagte zu 2) nicht vorgetragen, insbesondere ist nichts zu einer personellen Kontinuität vorgetragen. Eine Erstbegehungsgefahr kann zwar auch begründen, wer sich des Rechts berühmt, bestimmte Handlungen vornehmen zu dürfen. Die Tatsache allein, dass sich ein Beklagter gegen die Klage verteidigt und dabei die Auffassung äußert, zu dem beanstandeten Verhalten berechtigt zu sein, ist jedoch nicht als eine Berühmung zu werten, die eine Erstbegehungsgefahr begründet. Eine Rechtsverteidigung kann erst dann eine Erstbegehungsgefahr begründen, wenn nicht nur der eigene Rechtsstandpunkt vertreten wird, um sich die bloße Möglichkeit eines entsprechenden Verhaltens für die Zukunft offenzuhalten, sondern den Erklärungen bei Würdigung der Einzelumstände des Falls auch die Bereitschaft zu entnehmen ist, sich unabhängig von dem Ausgang des gerichtlichen Verfahrens unmittelbar oder in naher Zukunft in dieser Weise zu verhalten (vgl. BGH, Urt. v. 17.08.2011 – I ZR 57/09, GRUR 2011, 1038, 1042 Rn. 44 f.). Hierfür ist nichts ersichtlich.
164Über die hilfsweise für den Fall, dass Bedenken gegen die Bestimmtheit des Antrags zu 1) bestehen, gestellten Anträge war nicht zu entscheiden, da die prozessuale Bedingung nicht eingetreten ist.
1652. Die Klägerin hat einen Anspruch (nur) darauf, dass die Beklagte zu 2) den im Klageantrag zu 3a) genannten Letztverbrauchern A, C, E und D mitteilt, dass eine Belieferung durch J im Rahmen eines vertraglichen Verhältnisses nicht vorgelegen hat. Der Anspruch ergibt sich aus § 8 Abs. 1 S. 1 i.V.m. §§ 3, 5 Abs. 1 UWG, weil J durch irreführende Angaben den Anschein erzeugt hat, dass zu den genannten Letztverbrauchern ein vertragliches Lieferverhältnis bestand. Der weitergehende Antrag ist hingegen unbegründet.
1662.1. Ansprüche nach § 8 Abs. 1 S. 1 UWG sind insoweit nicht durch § 32 EnWG ausgeschlossen, da dieser nur Rechtsverstöße im Zusammenhang mit dem Netzanschluss und dem Netzzugang sanktioniert. Rechtsverstöße im Zusammenhang mit der Energielieferung an Letztverbraucher sind im Energiewirtschaftsgesetz nicht selbständig sanktioniert, so dass eine lauterkeitsrechtliche Durchsetzung eröffnet ist (Pahlow in: Teplitzky/Peifer/Leistner, UWG, 3. Aufl. 2020, § 3a Rn. 35). Dasselbe gilt, wenn ein kartellrechtswidriges Verhalten zugleich einen eigenständigen lauterkeitsrechtlichen Tatbestand verwirklicht, etwa eine gezielte Behinderung (§ 4 Nr. 4 UWG), oder wenn der Kartellverstoß zugleich eine andere Marktverhaltensregelung als das bloße Kartellverbot verletzt (Pahlow, a.a.O. Rn. 26; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, a.a.O., § 3a Rn. 1.37; MüKoUWG/Schaffert, 3. Aufl. 2020, § 3a Rn. 24).
167Der Klägerin geht es in der Sache darum, klarstellen zu lassen, dass eine Lieferbeziehung zwischen den betroffenen Letztverbrauchern, die sämtlich einen Stromliefervertrag mit ihr geschlossen hatten, und J nicht bestand und den diesbezüglich von J gesetzten Rechtsschein zu beseitigen. Es handelt sich um ein Verhalten im Zusammenhang mit der Energielieferung an Letztverbraucher, die nicht von § 32 EnWG erfasst ist. Soweit es um den Letztverbraucher B geht, fehlt allerdings das Rechtsschutzbedürfnis, weil dieser seine Rechte in dem Verfahren VI-5 U 3/22 [Kart] – mit der Klägerin als Streithelferin – selbst wahrnimmt und insoweit keiner Richtigstellung durch die Beklagte zu 2) bedarf.
1682.2. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 UWG kann, wer eine nach § 3 UWG oder § 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Unzulässig sind unlautere geschäftliche Handlungen (§ 3 Abs. 1 UWG). Unlauter handelt gem. § 5 Abs. 1 S. 1 UWG (i.d.F. bis 27.05.2022 [aF], entspr. § 5 Abs. 1 UWG nF), wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
1692.2.1. Die Klägerin ist als Mitbewerberin i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG anspruchsberechtigt.
170Das Landgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass die Eigenschaft als Mitbewerber gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG ein konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG i.d. bis 27.05.2022 geltenden Fassung) erfordert. Das ist gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen und daher das Wettbewerbsverhalten des einen den anderen beeinträchtigen, d.h. im Absatz behindern oder stören kann. Da im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes grundsätzlich keine hohen Anforderungen an das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zu stellen sind, reicht es hierfür aus, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt (BGH, Urt. v. 24.02.2022 – I ZR 128/21, GRUR 2022, 729, 730 Rn. 13 - Zweitmarkt für Lebensversicherungen II; v. 05.11.2020 – I ZR 234/19, GRUR 2021, 497, 499 Rn. 15 - Zweitmarkt für Lebensversicherungen I). Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist anzunehmen, wenn zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann und die von den Parteien angebotenen Waren oder Dienstleistungen einen wettbewerblichen Bezug zueinander aufweisen (BGH, Urt. v. 24.02.2022, a.a.O.; v. 05.11.2020, a.a.O.).
171Zwischen der Klägerin und J bestand entgegen der Auffassung des Landgerichts ein solches Wettbewerbsverhältnis. Beide belieferten Letztverbraucher aufgrund entsprechender Kaufverträge (Stromlieferverträge) mit Strom. Dass J für das Gebiet der hier in Rede stehenden Marktlokationen auch der örtlich zuständige Grund- und Ersatzversorger i.S.d. §§ 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 EnWG war, steht dem nicht entgegen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Grund-oder Ersatzversorgung lagen bei den in der Mittelspannung versorgten Letztverbrauchern nicht vor, vielmehr konkurrierten die Klägerin und J wegen der erforderlichen Ersatzbelieferung – wie bereits ausgeführt – um den Abschluss eines entsprechenden Vertrages.
1722.2.2. Indem J sich gegenüber den Anmeldungen der in Rede stehenden Marktlokationen durch die Klägerin auf eine Vertragsbindung berufen und nachfolgend den Letztverbrauchern Rechnungen über die Stromlieferungen (Anl. K 11) erteilt hat, hat sie eine irreführende geschäftliche Handlung i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 (1. Fall) UWG (aF) vorgenommen.
173Nach § 5 Abs. 1 S. 1 UWG (aF) handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist gem. § 5 Abs. 1 S. 2 UWG irreführend, wenn sie unwahre Angaben (Fall 1) oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über – nachfolgend aufgezählte – Umstände enthält (Fall 2).
1742.2.2.1. Sowohl der Widerspruch gegen die Abmeldung der Belieferung unter Hinweis auf eine bestehende Vertragsbindung (GPKE 2017 S. 35 f.) als auch die Übersendung der Rechnungen an die Kunden der Klägerin stellen geschäftliche Handlungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (aF) dar. Darunter fällt jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen unmittelbar und objektiv zusammenhängt. Das Merkmal des objektiven Zusammenhangs ist funktional zu verstehen und setzt voraus, dass die Handlung bei objektiver Betrachtung darauf gerichtet ist, durch Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer den Absatz oder Bezug von Waren oder Dienstleistungen des eigenen oder eines fremden Unternehmens zu fördern (BGH, Urt. v. 09.09.2021 – I ZR 126/20, MMR 2021, 892, 893 Rn. 23 – Influencer III). Das war hier der Fall, da J darauf abzielte, die Zuordnung der Marktlokationen zu ihrem Bilanzkreis bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist von zwei Wochen aufrecht zu erhalten und den Letztverbrauchern den bis dahin entnommenen Strom in Rechnung zu stellen.
1752.2.2.2. Die hierin liegende Behauptung einer vertraglichen Lieferbeziehung war unwahr, denn tatsächlich sind Verträge mit den betreffenden Letztverbrauchern nicht zustande gekommen.
176Die Beklagte zu 2) beruft sich hinsichtlich sämtlicher Marktlokationen – wie im Rückforderungsprozess der Letztverbraucherin B (Senat – VI-5 U 3/22 [Kart]) – darauf, dass die Letztverbraucher eine von J ausgehende Realofferte durch die Bereitstellung von Strom ab dem 22.12.2018 bzw. 01.10.2019 konkludent durch weiteren Strombezug angenommen hätten, und zwar spätestens nach Zugang ihrer Schreiben vom 04.01.2019 (Anl. B 2) 1). Dass einer der Letztverbraucher ausdrücklich einen Vertrag mit J geschlossen habe, macht die Beklagte zu 2) selbst nicht geltend.
1772.2.2.2.1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist in dem Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens grundsätzlich ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrages in Form einer sogenannten Realofferte zu sehen. Diese Realofferte wird von demjenigen konkludent angenommen, der aus dem Leitungsnetz Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt. Aus der maßgebenden Sicht eines objektiven Empfängers stellt sich typischerweise die Vorhaltung der Energie und die Möglichkeit der Energieentnahme an den ordnungsgemäßen Entnahmevorrichtungen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als Leistungsangebot und damit als Vertragsangebot dar. Die Inanspruchnahme der angebotenen Leistung beinhaltet – auch bei entgegenstehenden ausdrücklichen Äußerungen – die schlüssig erklärte Annahme dieses Angebots (BGH, Urt. v. 27.11.2019 − VIII ZR 165/18, EnWZ 2020, 119 Rn. 10 m.w.N.). Bei einem Letztverbraucher (§ 3 Nr. 25 EnWG), der kein Haushaltskunde (§ 3 Nr. 22 EnWG) ist und bei dem daher keine Grundversorgungspflicht nach § 36 Abs. 1 EnWG besteht, gilt dies allerdings nicht, weil die Preise aus der Grundversorgung, auf die dieser gerade keinen Anspruch hat, insoweit nicht entsprechend herangezogen werden können und einer (unterstellten) Realofferte des Ersatzversorgers mithin bereits Angaben zum Preis des lieferbaren Stroms und damit ein wesentlicher Bestandteil des zu schließenden Vertrags fehlen (BGH, Beschl. v. 10.05.2022, a.a.O. Rn. 15).
178Anders stellt sich die Rechtslage außerhalb der Niederspannung dar, dort bedarf es grundsätzlich in jedem Fall eines Vertragsschlusses über die Ersatzbelieferung mit einem Energielieferanten. Die Rechtsgrundsätze zum konkludenten Vertragsschluss können hier in der Regel schon deshalb nicht zur Anwendung kommen, weil – wie schon dargelegt – eine (vertragslose) Zuordnung der Marktlokation zu einem Versorger, mit dem der Letztverbraucher noch keinen Stromversorgungsvertrag geschlossen hat, ausscheiden muss, so dass auch eine Realofferte dieses Versorgers nicht erfolgen kann. Unabhängig davon, dass auch insoweit jede Realofferte aus den vorgenannten Gründen schon nicht hinreichend bestimmt wäre, steht einem konkludenten Vertragsschluss durch Annahme einer Realofferte maßgeblich entgegen, dass der entnommene Strom dem Lieferanten, der eine Ersatzbelieferung für sich in Anspruch nehmen will, – vor Abschluss eines entsprechenden Vertrages – weder bilanziell zugeordnet werden darf noch zivilrechtlich zuzurechnen ist. Es fehlt daher in der Regel schon objektiv an einer Realofferte. Von daher kommt es im Regelfall nicht darauf an, dass es für den Letztverbraucher aber dementsprechend auch nicht erkennbar wäre, dass in der bloßen Möglichkeit zur Stromentnahme eine Realofferte desjenigen Lieferanten liegen soll, der die Lieferung für sich begehrt (Tüngler, EnWZ 2022, 404, 408; BeckOGK/Tüngler, 1.8.2022, § 433 BGB Rn. 143, 145; s.a. Rauch, ER 2022, 135, 138).
1792.2.2.2.2. Vor diesem Hintergrund ist ein Ersatzbelieferungsvertrag zwischen J und den hier betroffenen Letztverbrauchern nicht zustandegekommen, insbesondere nicht durch die fortgesetzte Stromentnahme nach Zugang der Schreiben von U vom 27.12.2018 und J vom 04.01.2019 (Anl. B 2) 1). Aus dem Umstand, dass die Marktlokation der Letztverbraucher hier J unberechtigt zugeordnet worden ist, kann im Ergebnis nichts zu ihren Gunsten folgen.
180Eine Realofferte von J durch das bloße Zur-Verfügung-Stellen des entnommenen Stroms schied hier schon deshalb aus, weil die Zuordnung der Marktlokation zum Bilanzkreis von J ohne vorherigen Vertragsschluss unberechtigt war und der Strom daher zivilrechtlich nicht als von ihr geliefert gilt (BGH, a.a.O. Rn. 27).
181Ein konkludenter Vertragsschluss durch die weitere Stromentnahme nach Zugang der vorgenannten Schreiben scheitert unabhängig hiervon daran, dass die Schreiben J’s an die Letztverbraucher aus deren maßgeblicher Sicht schon nicht zweifelsfrei erkennen ließen, dass allein durch die fortgesetzte Entnahme von Strom an ihrer Marktlokation ohne Weiteres mit J ein – befristeter – Vertrag über die Ersatzbelieferung mit Strom zustande kommen sollte. In den Schreiben vom 04.01.2019 hat J zwar den Letztverbrauchern „die Belieferung mit Strom zu den als Anlage beigefügten Preisen“, d.h. den Preisen gemäß der „Preisregelung EoG (Stand Dezember 2018)“ und unter Hinweis auf die Geltung der Regelungen der StromGVV und ihrer Ergänzenden Vertragsbedingungen ausdrücklich angeboten. Damit beinhaltet das Schreiben zwar die wesentlichen Punkte eines Energieliefervertrages (Belieferung der Marktlokation des jeweiligen Letztverbrauchers mit Strom, Preise, Vertragsbedingungen) und trägt alle Merkmale eines – in dem Schreiben selbst auch so bezeichneten („… Bestandteil unseres Vertragsangebotes“) – Vertragsangebots. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein konkludenter Vertragsschluss jedoch dann nicht in Betracht, wenn der Abnehmer einen Stromlieferungsvertrag mit einem anderen Energieversorger geschlossen hat und nicht weiß, dass dieser ihn nicht (mehr) beliefert. Maßgeblich hierfür ist, dass für den Abnehmer in diesen Fällen nach den ihm bekannten oder jedenfalls erkennbaren Umständen nicht ersichtlich ist, dass in der über den Stromzähler erfolgten Stromlieferung eine an ihn gerichtete Realofferte des Versorgungsunternehmens auf Abschluss eines Stromlieferungsvertrags zu sehen ist (BGH, Urt. v. 22.01.2014 – VIII ZR 391/12, NJW 2014, 1951, 1952 Rn. 14 m.w.N.). Für die konkludente Annahme eines ausdrücklichen schriftlichen Vertragsangebots kann jedenfalls im hier vorliegenden Fall nichts anderes gelten.
182Für die Letztverbraucher A, B, C und E, die gerade mit Blick auf die Insolvenz der T bereits zuvor einen Vertrag über die weitere Belieferung durch die Klägerin geschlossen hatten, war aufgrund der ihnen bekannten Informationen schon nicht zweifelsfrei erkennbar, dass sie – mangels Zuordnung ihrer Marktlokation zu deren Bilanzkreis – ab dem 01.01.2019 nicht von der Klägerin mit Strom beliefert wurden. Zum einen konnte es sich bei der Mitteilung von U um eine überholte Information handeln, bei der der Vertragsschluss mit der Klägerin noch nicht berücksichtigt war. Das Schreiben von U an die Letztverbraucher, in dem mitgeteilt wurde, dass U den für sie zuständigen Grundversorger „gemäß den gesetzlichen Regelungen … mit der Übernahme der Ersatzversorgung zum 01.01.2019 beauftragt“ habe, stammte vom 27.12.2018, also noch mehrere Tage vor der vermeintlichen Versorgungslücke. In der Zusammenschau konnten die Letztverbraucher den Schreiben nicht entnehmen, dass vor dem 01.01.2019 eine Anmeldung ihrer Marktlokation im Bilanzkreis der Klägerin nicht erfolgt war. Zum anderen konnten sie zu Recht davon ausgehen, dass eine Grund- und Ersatzversorgung in der Mittelspannungsebene gerade nicht stattfindet, so dass die Mitteilung von U auch sachlich unzutreffend war. Die Mitteilung von J, sie stelle die Energieversorgung der Letztverbraucher sicher bzw. sie sorge dafür, dass deren Stromversorgung dennoch gewährleistet sei, schloss eine Belieferung durch die Klägerin jedenfalls nicht aus. Bloße Zweifel genügen für eine Kenntnis der Letztverbraucher nicht.
183Für den Letztverbraucher D gilt im Ergebnis nichts anderes, auch wenn er im Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens vom 04.01.2019 mit der Klägerin noch keinen Vertrag abgeschlossen hatte. Auch ihn betreffend kann der bloßen weiteren Stromentnahme nicht der Erklärungswert zukommen, ein etwa beabsichtigtes Angebot von J auf Abschluss eines Vertrages zu den EoG-Preisen annehmen zu wollen. Zum einen bestand für eine Zuordnung der Marktlokation aller hier betroffener Letztverbraucher zum Bilanzkreis von J – wie bereits ausgeführt – schon keine Rechtfertigung, da mangels Eingreifens der Regelungen über die Grund- und Ersatzversorgung gem. §§ 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 EnWG hierfür keine gesetzliche Grundlage bestand und auch ein Fall einer „vertraglich vereinbarten Ersatzbelieferung“ durch J i.S. der GPKE nicht vorlag. D hat daher durch den bloßen Strombezug mangels entsprechender zivilrechtlicher Zuordnung keine Leistung von J in Anspruch genommen. Zum anderen hatte J in ihren Schreiben vom 04.01.2019 darauf hingewiesen, dass die betreffenden Letztverbraucher auch zu einem anderen Lieferanten „wechseln“ könnten. Zugleich hat sie selbst Interesse an einem Gespräch über die weitere Energieversorgung der Letztverbraucher bekundet, „um für Sie auch zukünftig ein zuverlässiger Partner zu sein“, verbunden mit der Erklärung: „Gerne unterbreiten wir Ihnen alternativ ein Angebot mit Konditionen für eine längerfristige Stromlieferung.“ Aus der Sicht der Letztverbraucher bestand damit – entsprechend den rechtlichen Gegebenheiten bei Versorgungslücken außerhalb der Niederspannung – die Wahlmöglichkeit, den angebotenen – befristeten – Vertrag oder einen Vertrag mit einem anderen Lieferanten abzuschließen oder ein alternatives, längerfristiges Vertragsangebot von J einzuholen. Bei dieser Sachlage konnte der bloßen weiteren Stromentnahme – und das gilt nicht nur für D, sondern auch für die anderen hier betroffenen Letztverbraucher – auch aus der Sicht von J nicht der Erklärungswert einer Annahme des Vertragsangebots zu den – deutlich höheren – EoG-Preisen zukommen.
1842.2.2.3. Die unzutreffende Behauptung einer vertraglichen Lieferbeziehung war zur Täuschung der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer – hier der Klägerin – geeignet. Die Klägerin hat aufgrund der geltend gemachten Vertragsbindung vorsorglich die Kündigung der angeblichen Verträge der Letztverbraucher mit J ausgesprochen und die Anmeldung der Marktlokationen ihrer Kunden erst auf einen Zeitpunkt nach Ablauf der Kündigungsfrist vorgenommen. Bei den Letztverbrauchern konnte aufgrund der unberechtigten Zahlungsaufforderung der falsche Eindruck entstehen, dass – auch wenn sie keine auf den Abschluss eines Vertrages mit J gerichtete Willenserklärung abgegeben hatten – ein Vertrag durch die bloße Entnahme von Strom zustande gekommen war und J daher einen vertraglichen Zahlungsanspruch hatte. Dies konnte sie zur Bezahlung der Rechnung veranlassen, wie dies zumindest im Fall der B sowie eines weiteren Kunden der Klägerin tatsächlich erfolgt ist.
185Ohne Erfolg macht die Beklagte zu 2) geltend, J sei rechtsirrig davon ausgegangen, dass Verträge zwischen ihr und den Letztverbrauchern durch die Inanspruchnahme des in ihrem Bilanzkreis bereitgestellten Stroms zustande gekommen seien, auch weil die Frage, ob ein Vertragsschluss aufgrund einer Realofferte außerhalb des Bereichs der Grundversorgung möglich ist, bislang in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht geklärt sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann selbst ein nicht vorwerfbarer Irrtum des Unternehmers über den Umstand einer vorhergehenden Bestellung durch den zur Zahlung aufgeforderten Verbraucher nicht zu seinen Gunsten zu berücksichtigt werden (BGH, Urt. v. 20.10.2021 – I ZR 17/21, GRUR 2022, 170, 172 Rn. 22 – Identitätsdiebstahl II).
1862.3. Die Beklagte zu 2) ist danach als Rechtsnachfolger von J verpflichtet, den von dieser durch die Geltendmachung einer Vertragsbindung und vertraglicher Zahlungsansprüche gesetzten Rechtsschein zu beseitigen, indem sie den betreffenden Letztverbrauchern mitteilt, dass eine Belieferung im Rahmen eines vertraglichen Verhältnisses nicht vorlag.
187Ein weitergehender Anspruch steht der Klägerin hingegen nicht zu, da dem Schreiben von J vom 04.01.2019 gerade nicht zu entnehmen ist, dass diese sich auf ein gesetzliches Lieferverhältnis der Ersatzversorgung berufen wollte.
1883. Der Feststellungsantrag der Klägerin hinsichtlich des ursprünglichen Antrags, der rückwirkenden Zuordnung der Marktlokationen zum Bilanzkreis der Klägerin zuzustimmen (Klageantrag zu 3.b.), hat Erfolg, denn die ursprüngliche Klage war bis zum Ablauf der Frist für eine Korrektur der Bilanzkreisabrechnung zulässig und begründet.
189Der Anspruch gegen J ergab sich aus § 32 Abs. 1 S. 1 EnWG i.V.m. den zu § 20 Abs. 1 EnWG ergangenen Festlegungen GPKE und MaBiS. Der Anwendungsbereich des § 32 EnWG ist nicht auf Verstöße durch Betreiber von Energieversorgungsnetzen beschränkt. Vielmehr erfasst er jeden Normadressaten einer der dort genannten Vorschriften, einer hierauf gestützten Rechtsverordnung oder einer auf dieser Grundlage ergangenen Entscheidung der Regulierungsbehörde (BerlKommEnR/Weyer, a.a.O., § 32 EnWG Rn. 9). Ein Verschulden ist für den Beseitigungsanspruch, wie sich aus systematischer Betrachtung mit § 32 Abs. 3 S. 1 EnWG ergibt, nicht erforderlich (BeckOK EnWG/Baumgart, a.a.O., § 32 Rn. 7).
190Nachdem U die streitgegenständlichen Marktlokationen ihrem Bilanzkreis – unter Nichteinhaltung des Prozesses „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“ – zugeordnet hatte, hat J unter Verstoß gegen die Festlegung GPKE der BNetzA diese Zuordnung „positiv gegenüber der Beklagten zu 1) beantwortet“ (so deren Sachvortrag in der Klageerwiderung). Richtigerweise hätte J nach den GPKE auf eine Meldung des Netzbetreibers hin prüfen müssen, ob die Marktlokationen ihr als Ersatz-/Grundversorger zuzuordnen waren bzw. ob eine vertragliche Vereinbarung über eine Ersatzbelieferung mit den Letztverbrauchern vorlag (s.o. unter A. 2.5.). Da beides nicht der Fall war, hätte sie die Zuordnung gegenüber U ablehnen müssen (GPKE 2017 S. 43). Der Prüfung war J nicht deshalb enthoben, weil U die Zuordnung zu ihrem Bilanzkreis bereits vorgenommen hatte. Dass U den Prozess „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“ nicht eingehalten hat, rechtfertigte ein Untätigbleiben von J nicht. Vor allem aber bestand keine Grundlage für eine „positive Beantwortung“ der Zuordnung gegenüber dem Netzbetreiber. Hätte J sich GPKE-konform verhalten, hätte U die Marktlokationen jedenfalls aufgrund einer Vereinbarung mit der Klägerin dieser rückwirkend im Rahmen einer Korrektur-Bilanzkreisabrechnung nach der MaBiS zuordnen können. Hierzu hatte sich U auch bereit erklärt (vgl. E-Mail v. 23.01.2019, Anl. B 2) 2). Der Verstoß gegen die GPKE führte dazu, dass eine solche Zuordnung nicht ohne Zustimmung von J möglich war (s.a. Stellungnahme der BNetzA v. 20.01.2023). Daher war J gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 EnWG zur Beseitigung der Beeinträchtigung verpflichtet, indem sie der von der Klägerin begehrten rückwirkenden Zuordnung zu ihrem Bilanzkreis zum 01.01.2019 zustimmt.
191Mit Ablauf der Frist für eine Korrektur der Bilanzkreisabrechnung (MaBiS S. 12) ist die ursprünglich zulässige und begründete Klage insoweit unzulässig geworden und der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, da eine rückwirkende Zuordnung zum Bilanzkreis der Klägerin nicht mehr in Betracht kommt und daher kein Rechtsschutzbedürfnis für eine entsprechende Zustimmungserklärung mehr besteht.
1924. Auch der Feststellungsantrag hinsichtlich der bereits entstandenen und künftig entstehenden Schäden der Klägerin aus der Akzeptanz der unrichtigen Zuordnung der Marktlokationen zu ihrem Bilanzkreis samt Nutzung der erhaltenen Kundendaten und aus der verweigerten Abmeldung der Marktlokationen zum 01.01.2019 (Klageantrag zu 5.) ist aus § 32 Abs. 3 S. 1 EnWG begründet.
193Zur Zulässigkeit der Feststellungsklage kann zunächst auf die Ausführungen zu Ziff. B. 5. verwiesen werden, und zwar auch zur Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 2), J, hat schuldhaft gehandelt, denn es war für sie ohne weiteres erkennbar, dass weder die gesetzlichen Voraussetzungen einer Ersatzversorgung (§ 38 Abs. 1 EnWG) vorlagen, noch dass sie einen Ersatzbelieferungsvertrag mit den betreffenden Letztverbrauchern abgeschlossen hatte. Auf einen Rechtsirrtum kann sich auch die Beklagte zu 2) schon deshalb nicht berufen, weil die Zuordnung der Marktlokation nicht in – entsprechender – Anwendung des Prozesses „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“ erfolgt ist.
1945. Unbegründet ist die Stufenklage auf Auskunftserteilung über erhaltene Zahlungen, Herausgabe etwa erhaltener Zahlung sowie Abtretung etwa noch nicht erloschener Forderungen gegen die in Rede stehenden Letztverbraucher gemäß den Klageanträgen zu 6.). Das Landgericht hat die Klage insoweit zu Recht insgesamt abgewiesen, weil bereits der Leistungsantrag dem Grunde nach nicht besteht. In diesem Fall ist das Gericht nicht gehalten, vorab durch Teilurteil über den Auskunftsanspruch zu entscheiden (vgl. BGH, Versäumnisurt. v. 28.11.2001 - VIII ZR 37/01, NJW 2002, 1042, 1044; MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, ZPO § 254 Rn. 20).
1955.1. Die Klägerin hat sich zur Begründung des geltend gemachten Auskunftsanspruchs auf einen Anspruch aus § 687 Abs. 2 BGB auf Herausgabe des durch angemaßte Eigengeschäftsführung Erlangten gemäß §§ 681, 667 BGB berufen. Die angemaßte (oder böswillige) Eigengeschäftsführung setzt die Vornahme eines objektiv fremden Geschäfts und subjektiv die Kenntnis des Geschäftsführers von der Fremdheit und den Vorsatz voraus, das Geschäft im eigenen statt fremden Interesse abzuwickeln (BeckOK BGB/Gehrlein, 64. Ed. 1.11.2022, § 687 Rn. 3; Jauernig/Mansel, BGB, 18. Aufl. 2021, § 687 Rn. 6 f.). Es genügt jedes Tätigwerden im fremden Rechtskreis. So kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Anspruch aus § 687 Abs. 2 BGB auch in Betracht, wenn entgegen einem (vertraglichen) Wettbewerbsverbot in eine zwischen dem vertraglich Berechtigten und einem Dritten bestehende schuldrechtliche Vereinbarung eingegriffen worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 12.06.1989 - II ZR 334/87, NJW-RR 1989, 1255, 1257; v. 11.10.1976 – II ZR 104/75, juris Rn. 17).
196Ob dies auch bei einer unter Verstoß gegen § 6a EnWG erfolgten Vertragsanbahnung gilt, kann hier im Ergebnis dahin stehen, weil – wie bereits ausgeführt – durch die bloße Entnahme von Strom durch die betroffenen Letztverbraucher keine Verträge mit J zustande gekommen sind. Wirtschaftlich waren die entnommenen Strommengen daher der Klägerin zuzurechnen, da sie mit sämtlichen Letztverbrauchern – mit der A-Gruppe und E jedenfalls vor dem 01.01.2019 – Verträge abgeschlossen hatte (vgl. BGH, Beschl. v. 10.05.2022, a.a.O. Rn. 20). Schon deshalb scheidet eine Geschäftsführung von J in Bezug auf die Stromentnahmen durch die Letztverbraucher aus. Die Zuordnung zum Bilanzkreis von J hatte nicht zur Folge, dass der an den Lieferstellen entnommene Strom als von ihr geliefert gilt (BGH, a.a.O. Rn. 27). Vielmehr kann die Klägerin die ihr zuzurechnenden Strommengen grundsätzlich gegenüber ihren Kunden abrechnen. Insoweit hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein bilanzieller und ggf. bereicherungsrechtlicher Ausgleich zwischen den von dem Zuordnungsfehler betroffenen Elektrizitätsversorgungsunternehmen zu erfolgen (BGH, a.a.O.).
197Soweit die Klägerin mit dem Letztverbraucher D einen Ersatzbelieferungsvertrag erst am 08.01.2019 abgeschlossen hat, scheidet ein Anspruch gegen J aus § 687 Abs. 2 BGB für die Zeit vom 22.12.2018 bis 08.01.2019 jedenfalls deshalb aus, weil die Klägerin insoweit noch keine gesicherte Rechtsposition hatte, in die J hätte eingreifen können (BGH, Urt. v. 12.06.1989, a.a.O.).
1985.2. Die Auskunftsklage ist auch nicht unter dem erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2023 von der Klägerin geltend gemachten Gesichtspunkt eines Anspruchs aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB begründet. Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass ein Nichtberechtigter über einen Gegenstand eine Verfügung getroffen hat, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist. Das ist hier entgegen der Auffassung der Klägerin hinsichtlich des von den Letztverbrauchern entnommenen Stroms nicht der Fall.
199Ausgangspunkt bei der Anwendung des § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist der allgemeine Verfügungsbegriff, erforderlich ist daher die Vornahme eines Rechtsgeschäfts, durch das ein bestehendes Recht übertragen, inhaltlich verändert, belastet oder aufgehoben wird (BeckOK BGB/Wendehorst, a.a.O., § 816 Rn. 5; MüKoBGB/Schwab, 8. Aufl. 2020, § 816 Rn. 9). Voraussetzung wäre danach, dass J über Strom der Klägerin „verfügt“, d.h. also das Eigentum übertragen hätte. Das war hier allerdings schon deshalb nicht der Fall, weil die Zuordnung der Marktlokationen der betreffenden Letztverbraucher zum Bilanzkreis von J unberechtigt erfolgt war und deshalb der an der Lieferstelle entnommene Stroms nicht als von J geliefert gilt. Dies hatte gerade zur Folge, dass eine Realofferte von J an die betroffenen Letztverbraucher nicht vorlag und durch die Stromentnahme kein Vertrag mit J zustande gekommen ist.
200Daran ändert der Umstand, dass eine bilanzielle Korrektur der fehlerhaften Bilanzkreiszuordnung infolge Zeitablaufs nicht mehr möglich ist, entgegen der Auffassung der Klägerin nichts. Nach der Goldbuschfeld-Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat vielmehr – wie bereits ausgeführt – ein bereicherungsrechtlicher Ausgleich zwischen den von dem Zuordnungsfehler betroffenen Elektrizitätsversorgungsunternehmen zu erfolgen, d.h. die Beklagte zu 2) kann wegen der von J in ihrem Bilanzkreis bereitgestellten Strommengen gegebenenfalls einen Bereicherungsanspruch gegen die Klägerin geltend machen. Dem steht nicht entgegen, dass jedenfalls zwei der betroffenen Letztverbraucher die Rechnungen von J bezahlt haben, denn insoweit ist die Beklagte Bereicherungsansprüchen der Letztverbraucher ausgesetzt, wie der Senat in dem – der Klägerin und der Beklagten zu 2) bekannten – Rückforderungsprozess der B gegen die Beklagte zu 2) (VI-5 U 3/22 [Kart]), an dem die Klägerin als Streithelferin der B beteiligt ist, mit Urteil vom heutigen Tage entschieden hat.
201Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn die Letztverbraucher (ausdrücklich) einen Stromliefervertrag mit J abgeschlossen hätten, bedarf keiner Entscheidung, weil ein solcher Sachverhalt nicht geltend gemacht ist.
2025.3. Da somit der Anspruch, dessen Durchsetzung mit der Auskunft vorbereitet werden soll, nicht besteht, ist die Stufenklage insgesamt abzuweisen.
2036. Der Klägerin steht auch gegen die Beklagte zu 2) ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Abmahnung von J vom 28.05.2019 zu (Klageantrag zu 8.). Diesbezüglich kann auf die Ausführungen unter Ziff. B. 6.) verwiesen werden. Ein gegen J gerichteter Unterlassungsantrag wäre wegen Wiederholungsgefahr begründet gewesen.
204Hinsichtlich des angesetzten Streitwerts ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Anspruch auf Herausgabe des Erlangten gemäß § 687 Abs. 2 BGB bzw. aus Bereicherungsrecht, der ebenfalls Gegenstand der Abmahnung war, nicht besteht. Von daher ist für die Abmahnung – wie bei der Beklagten zu 1) – lediglich ein Gegenstandswert von 50.000 € zugrunde zu legen, so dass der Klageantrag zu 8.) nur i.H.v. 2.099,76 € begründet ist.
205III.
206Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
207Die Beschwer beider Parteien liegt über 20.000 €.
208Der Senat lässt die Revision gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zu, da die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Netzbetreiber bei Auftreten einer Zuordnungslücke in höheren Spannungsebenen die Marktlokation eines Letztverbrauchers dem Bilanzkreis des Grund- und Ersatzversorgers zuordnen darf, ohne dass zwischen diesem und dem Letztverbraucher ein Ersatzbelieferungsvertrag abgeschlossen ist, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, diese Frage sich über den Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung ist.
209Streitwert: 694.239,34 €;
210davon entfallen auf die Beklagte zu 1) 50.000 € und auf die Beklagte zu 2) 644.239,34 €.