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Beruft der Erblasser seinen einzigen Abkömmling zum nicht befreiten Vorerben und seine einzige Enkelin zur Nacherbin, so ist im Allgemeinen die Vererblichkeit der Nacherbenstellung in Anwendung von § 2108 Abs. 2 BGB auf Familienangehörige des Erblassers beschränkt. Das gilt umso mehr, wenn der einzigen Urenkelin überdies ein lebenslanges Wohnrecht vermacht ist.
I. Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts (Nachlassgericht) Duisburg-Ruhrort vom 17. August 2023 aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, über den Erbscheinantrag der Beteiligten vom 15. Juli 2022 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
2I.
3Die Beteiligte ist die Urenkelin der Erblasserin. Sie ist ebenso wie ihre Mutter Heidemarie K….. von der Erblasserin testamentarisch bedacht worden. In dem notariell beurkundeten Testament vom 4. September 1974 heißt es, soweit vorliegend von Interesse:
4„Meine einzige Tochter, Frau Ilse N….., …., soll meine alleinige Erbin sein. Insbesondere soll sie mein Hausgrundstück Duisburg-Meiderich, ……… erben.
5Sie soll Vorerbin sein ohne Befreiung von den Beschränkungen der Vorschrift des § 2113 BGB.
6Nacherbe soll meine einzige Enkeltochter, Frau Heidemarie K… ….. sein.
7Als Vermächtnis sollen meine Enkelin Frau Heidemarie K….. 20.000,-- DM und deren Tochter … (lies: die Beteiligte), meine einzige Urenkelin, ebenfalls 20.000,-- DM erhalten, und zwar innerhalb eines Jahres nach meinem Tode.
8Außerdem sollen Frau Heidemarie K….. und …. (lies: die Beteiligte) ein lebenslängliches Wohnrecht in dem Haus Duisburg-Meiderich, ……. erhalten, und zwar gemeinsam an der Wohnung in der 2. Etage links,….“
9Die zur Vorerbin berufene Tochter der Erblasserin (und Großmutter der Beteiligten) ist am 16. Februar 2022 verstorben, Frau Heidemarie K….. am 19. Dezember 2008.
10Die Beteiligte begehrt die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin der Erblasserin ausweist. Sie ist der Ansicht, nach der Auslegungsregel des § 2069 BGB anstelle ihrer Mutter Nacherbin der Erblasserin geworden zu sein.
11Das Amtsgericht hat den Erbscheinantrag zurückgewiesen. Es hat angenommen, dass die Nacherbenstellung aufgrund der nicht ausgeräumten Auslegungsregel des § 2108 Abs. 2 BGB vererblich sei und demzufolge auf den von Heidemarie K….. mit handschriftlichem Testament vom 3. Mai 2004 zum Alleinerben berufenen Roland S…., ihrem Lebensgefährten, übergegangen sei. Dieser hat erklärt, keine Einwände gegen den beantragten Erbschein zu erheben.
12Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Beteiligte ihren Erbscheinantrag weiter. Sie ist der Auffassung, dass die Regel des § 2108 Abs. 2 BGB widerlegt sei. Es sei weder der wirkliche noch der mutmaßliche Wille der Erblasserin gewesen, dass ihr Vermögen an einen familienfremden Dritten gehe und zu einem erheblichen Teil für die Begleichung der anfallenden Erbschaftssteuer verbraucht werde.
13Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Nachlassakten 130 VI 691/22 und 130 VI 690/22 sowie der Testamentsakte 130 IV 212/74, jeweils AG Duisburg-Ruhrort, Bezug genommen.
15II.
16Die Beschwerde der Beteiligten hat in dem tenorierten Umfang Erfolg.
17Die von der Erblasserin angeordnete Nacherbenstellung ist vererblich. Die Vererblichkeit beschränkt sich allerdings auf den Kreis der Familienangehörigen der Erblasserin. Das führt im Entscheidungsfall zu dem Ergebnis, dass die letztwillige Verfügung der Heidemarie K…… in Bezug auf ihre eigene Nacherbenstellung nach der Erblasserin ins Leere geht und der Erbscheinantrag der Beteiligten nicht mit dem Argument versagt werden kann, testamentarisch berufener Nacherbe sei Roland S…..
18Im Einzelnen:
191. Die Beteiligte stützt ihren Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin der Erblasserin ausweist, plausibel auf § 2069 BGB.
20Nach der genannten Vorschrift ist dann, wenn der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht hat und dieser nach der Errichtung des Testaments wegfällt, im Zweifel anzunehmen, dass dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden.
21Im Entscheidungsfall führt dieser Grundsatz nach dem vorgetragenen Sach- und Streitstand zu dem Ergebnis, dass die Beteiligte Alleinerbin der Erblasserin, ihrer Urgroßmutter, geworden ist. Die Erblasserin hat ihre einzige Tochter zur Vorerbin und die einzige Enkelin zur Nacherbin berufen. Nachdem der Nacherbfall durch den Tod der Vorerbin am 16. Februar 2022 eingetreten ist, wäre testamentarisch die Mutter der Beteiligten als Nacherbin berufen. Diese ist allerdings zwischen Testamentserrichtung und Nacherbfall Ende 2008 verstorben. An ihre Stelle träte der Auslegungsregel des § 2069 BGB folgend die Beteiligte als einzige gesetzliche Erbin ihrer Mutter. Sie wäre an deren Stelle zur Nacherbschaft berufen und, nachdem der Nacherbfall eingetreten ist, Alleinerbin der Erblasserin.
222. Die Beteiligte käme allerdings dann nicht als Alleinerbin zum Zuge, wenn das testamentarisch verfügte Nacherbrecht ihrer Mutter uneingeschränkt vererblich war. In diesem Fall würde nämlich deren Lebensgefährte Roland S…… als testamentarisch bedachter Erbe auch in die Nacherbenstellung einrücken. Der Erfolg des Erbscheinantrags hängt nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand somit von der Vererblichkeit der Nacherbenstellung der Heidemarie K…… ab. Sie ist gegeben, beschränkt sich aber – was das Amtsgericht übersehen hat – auf den Kreis der Familienangehörigen der Erblasserin, weshalb die Erbeinsetzung des Roland S…… als Alleinerbe der Heidemarie K…. nicht zum Übergang der Nacherbenposition geführt hat.
23a) Gemäß § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB geht, wenn ein eingesetzter Nacherbe nach dem Eintritt des Erbfalls, aber vor dem Eintritt der Nacherbfolge stirbt, sein Recht auf seine Erben über, sofern nicht ein anderer Wille des Erblassers anzunehmen ist. Für die Annahme eines abweichenden Willens des Erblassers genügt es, wenn sich dieser aus den für die Auslegung einer letztwilligen Verfügung maßgebenden Umständen ergibt. Bei dieser Auslegung kommt es nicht nur auf den Willen an, den der Erblasser bei Testamentserrichtung wirklich gehabt hat, sondern auch auf seinen hypothetischen Willen, den er zu diesem Zeitpunkt gehabt hätte, wenn er die von ihm nicht vorausgesehene Entwicklung der Verhältnisse bedacht hätte. Voraussetzung ist allerdings, dass sich in der Testamentsurkunde ein - wenn auch noch so unvollkommener - Anknüpfungspunkt für diesen (wirklichen oder mutmaßlichen) Willen findet. Das Ergebnis der Testamentsauslegung kann ein völliger Ausschluss der Vererblichkeit des Anwartschaftsrechtes des Nacherben sein. Denkbar ist aber auch eine mittlere Lösung, wonach der Erblasser eine Vererbung des Nacherbenrechts zwar nicht vollständig ausschließt, aber auf einen bestimmten Personenkreis – etwa Familienangehörige – beschränkt. Als Anknüpfungspunkt für einen dahingehenden Willen des Erblassers kommt in Betracht, dass sämtliche Verfügungen des Testaments zugunsten der nächsten Familienangehörigen getroffen sind. Denn bei der Berufung solcher Personen zu Erben wird der Wille des Erblassers, das Vermögen auch über die Person des unmittelbaren Nacherben hinaus im Familienbesitz zu erhalten und deshalb nach dem Tod des unmittelbaren Nacherben nicht dessen familienfremde testamentarische Erben zum Zug kommen zu lassen, besonders häufig im Vordergrund stehen (zu allem Vorstehenden: RGZ 169, 38 ff.; BGH NJW 1963, 1150 ff., OLG Köln OLGZ 1968, 91 ff.; OLG Oldenburg Rpfleger 1989, 106 f.; BayObLG NJW-RR 1994, 460 ff.; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 63 f. sowie 2009, 729 ff.; KG KGR 2002, 135 ff.; OLG München FamRZ 2013, 155 f.; Senat, Beschluss vom 7.12.2016, I-3 Wx 285/15; OLG Hamm, Beschluss vom 11.5.2022, I-10 W 159/21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.4.1999, 11 Wx 12/98; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2008, 7 U 8/08).
24b) Nach diesen Rechtsgrundsätzen kann die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts keinen Bestand haben.
25aa) Ein vollständiger Ausschluss der Vererblichkeit der Nacherbenstellung lässt sich nicht feststellen.
26Zwar wird der Wille desjenigen Erblassers, der einen Familienangehörigen zum Nacherben beruft, besonders häufig dahin gehen, das Vermögen auch über die Person des unmittelbar bedachten Nacherben hinaus im Familienbesitz zu erhalten und deshalb nach dem Tod des Nacherben nicht dessen familienfremden testamentarischen Erben zum Zuge kommen zu lassen. Diese Lebenserfahrung und typische Interessenlage alleine reicht indes nicht aus, um beim Fehlen einer ausdrücklichen Erblasserverfügung zur Vererblichkeit der Nacherbenstellung annehmen zu können, der Erblasser wolle einer Berufung der Abkömmlinge des Nacherben den Vorzug vor der gesetzlichen oder gewillkürten Weitervererbung der Nacherbenanwartschaft durch den Nacherben selbst geben (BGH NJW 1963, 1150 f.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2008, 7 U 8/08). Hinzutreten müssen vielmehr sonstige Umstände, die den hinreichend sicheren Schluss tragen, der Erblasser habe eine Vererblichkeit der Nacherbenstellung (tatsächlich oder mutmaßlich) nicht gewollt, und die zumindest andeutungsweise im Wortlaut des Testaments ihren Niederschlag gefunden haben.
27An solchen Umständen fehlt es im Entscheidungsfall. Das in Rede stehende Testament der Erblasserin enthält nicht den geringsten Hinweis, dass die Nacherbenposition einer Erbfolge vollständig entzogen sein sollte.
28bb) Nach den Umständen des Falles ist aber anzunehmen, dass die Erblasserin den Kreis ihrer Nacherben auf Familienangehörige beschränkt wissen wollte.
29Ein dahingehender (tatsächlicher oder mutmaßlicher) Erblasserwille ist bereits dem Umstand zu entnehmen, dass die Erblasserin in ihrer letztwilligen Verfügung ausschließlich enge Familienangehörige bedacht hat. Ihre Tochter ist zur Vorerbin und die Enkelin zur Nacherbin berufen worden. Es kommt hinzu, dass die Erblasserin die Vorerbin nicht von den Beschränkungen des § 2113 BGB befreit hat. Infolge dessen war diese gehindert, mit Wirkung zu Lasten der Nacherbin über ein zum Nachlass gehörendes Grundstück oder ein Recht an einem Grundstück (§ 2113 Abs. 1 BGB) sowie unentgeltlich über einen Nachlassgegenstand (§ 2113 Abs. 2 BGB) zu verfügen. Dadurch war sichergestellt, dass zumindest die wesentlichen Teile des Nachlasses der zur Nacherbin berufenen Enkelin zugutekommen und damit in die aus Sicht der Erblasserin übernächste Generation gelangen werden. Schließlich hat die Erblasserin ihrer Enkelin Heidemarie K….. und der Beteiligten ein lebenslanges Wohnrecht an einer Wohnung in ihrem Hausgrundstück „…….. in Duisburg“ vermacht und dadurch die Nutzung jener Wohnung sogar für die überübernächste Generation gewährleistet. Das alles belegt den Willen der Erblasserin, das eigene Vermögen über die nächsten Generationen im Familienbesitz zu erhalten.
30Die testamentarisch verfügten Vermächtnisse der Erblasserin stehen dieser Beurteilung nicht entgegen. Die Annahme des Amtsgerichts, die Beteiligte sei im Testament nur als Vermächtnisnehmerin bedacht und komme aus diesem Grund nicht als Nacherbin nach ihrer Mutter in Betracht, ist unzutreffend. Das Argument wird schon durch die Tatsache widerlegt, dass die Erblasserin in ihrem Testament für die zur Nacherbin berufene Heidemarie K…. die gleichen Vermächtnisse angeordnet hat wie zugunsten der Beteiligten. Nach dem Willen der Erblasserin schließen sich also die Nacherbenstellung und die Begünstigung durch die angeordneten Vermächtnisse nicht aus. Die verfügten Vermächtnisse, die innerhalb eines Jahres nach Eintritt des Erbfalls zu erfüllen waren, tragen vielmehr dem Umstand Rechnung, dass zwischen dem Eintritt des Erbfalls und des Nacherbfalls viele Jahre liegen konnten – tatsächlich ist der Nacherbfall erst mehr als 45 Jahre nach dem Tod der Erblasserin eingetreten – und die Erblasserin die beiden Vermächtnisnehmerinnen bereits zeitnah zu ihrem Tod begünstigen wollte.
31cc) War die Vererblichkeit der Nacherbenposition nach alledem auf Familienangehörige der Erblasserin beschränkt, war die zur Nacherbin berufene Heidemarie K…. aus Rechtsgründen daran gehindert, ihrem Lebensgefährten Roland S…… ihre Nacherbenanwartschaft testamentarisch zu vermachen. Vielmehr geht die testamentarische Anordnung der Nacherbin insoweit ins Leere.
32dd) Aus diesem Grund wird das Amtsgericht nunmehr zu prüfen haben, ob die Beteiligte nach der Zweifelsregel des § 2069 BGB in die Nacherbenstellung ihrer Mutter eingerückt ist.
33III.
34Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich, weil sich die Kostentragungspflicht der Beteiligten bereits aus dem Gesetz (§§ 25 Abs. 1, 22 Abs. 1 GNotKG) ergibt.
35Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG sind nicht gegeben. Bei der Anwendung der Rechtssätze auf den gegebenen Einzelfall ist der Senat über die in der Rechtsprechung bereits entwickelten Grundsätze nicht hinausgegangen.
36Prof. Dr. J. Kühnen Dr. Brecht Döinghaus