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1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 21. September 2022 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e :
2I.
3Der Beklagte schrieb im Jahr 2020 einen in zwei Fachlose unterteilten Rahmenvertrag für rechtsanwaltliche Beratungsleistungen im Bereich des Vergaberechts (Los 1) und des gewerblichen Mietrechts (Los 2) mit einer Laufzeit von 72 Monaten nach § 9 UVgO aus (Vergabenummer: …). Der Preis war nicht das einzige Zuschlagskriterium. Neben dem Preis mit 60 Prozent sollten auch die allgemeine Berufserfahrung mit 30 Prozent und die einschlägige Erfahrung mit zehn Prozent in die Bewertung einfließen.
4Die Klägerin gab für beide Fachlose Angebote ab, deren Angebotssumme sich auf insgesamt … Euro brutto (… Euro netto) belief. Nach Abgabe der Angebote am 8. März 2022 bat sie den Beklagten mit Schreiben vom 27. April 2022 für den Fall, dass ein anderer Bieter für den Zuschlag vorgesehen sei, um Übersendung eines Schreibens nach § 134 GWB. Dem kam der Beklagte nicht nach. Mit zwei, jeweils auf ein Fachlos bezogenen Schreiben vom 4. Mai 2020 informierte er vielmehr die Klägerin, dass ihrem Angebot nicht der Zuschlag erteilt werden könne, weil es nicht das wirtschaftlichste sei. Der Zuschlag sei bezüglich Los 1 B. und bezüglich Los 2 der Firma S. erteilt worden, die jeweils das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hätten.
5Auf Aufforderung der Klägerin übersandte der Beklagte ihr am 5. Mai 2022 eine Absagemitteilung nach § 46 UVgO, aus der sich ergab, dass die Zuschlagsempfänger bei im Wesentlichen gleicher qualitativer Bewertung aufgrund eines günstigeren Preises ausgewählt worden waren.
6Die Klägerin ist der Auffassung, die mit ihren Mitbewerbern geschlossenen Verträge seien nach § 134 BGB nichtig, da der Beklagte es versäumt habe, sie über den beabsichtigten Zuschlag vorab zu informieren und ihr Gelegenheit zur Beantragung einer einstweiligen Verfügung zu geben. Ein öffentlicher Auftraggeber sei auch bei Vergaben im Unterschwellenbereich dazu verpflichtet, vor der Vergabe von Aufträgen die Vorabinformations- und Wartepflichten nach § 134 GWB einzuhalten. Daneben habe sie einen Anspruch auf Übersendung der Vergabedokumentation, da nur diese es ihr ermögliche, zu beurteilen, ob der Beklagte ihr Angebot ordnungsgemäß bewertet und dies entsprechend dokumentiert habe.
7Das Landgericht hat die auf Feststellung der Nichtigkeit der mit den Zuschlagempfängern geschlossenen Rahmenverträge über anwaltliche Beratungsleistungen und Herausgabe der Vergabedokumentation gerichtete Klage mit Urteil vom 21. September 2022 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, einer Nichtigkeit nach § 134 BGB aufgrund Verstoßes gegen § 134 GWB stehe bereits die gesetzgeberische Wertung des § 135 GWB entgegen, welcher bei Verstößen gegen die Informations- und Wartepflicht lediglich die Möglichkeit der Feststellung der Unwirksamkeit auf Antrag innerhalb bestimmter Fristen vorsehe. Im Übrigen sei für eine entsprechende Anwendung des § 134 GWB im Unterschwellenbereich aber auch kein Raum. Der Gesetzgeber habe bei der Einführung des § 46 Abs. 1 UVgO bewusst auf die Schaffung einer Vorabinformations- und Wartepflicht verzichtet, der diesbezügliche Vorschlag habe sich in der politischen Diskussion gerade nicht durchsetzen können. Dies sei weder verfassungsrechtlich zu beanstanden, noch sei eine Informations- und Wartepflicht europarechtlich geboten. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Einsicht in die Vergabedokumentation; hinsichtlich § 4 Abs. 1 IFG fehle ihr bereits die Aktivlegitimation, da der Anspruch nur natürlichen Personen zustehe.
8Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie trägt vor, die Vorabinformations- und Wartepflicht gemäß § 134 GWB sei nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats auf Unterschwellenvergaben analog anwendbar, weil nur so ein effektiver Rechtsschutz sichergestellt sei. Durch das Unterlassen der Vorabinformation und durch das Nichteinhalten einer Wartefrist habe der Beklagte ihren rechtzeitigen Rechtsschutz entgegen Art. 19 Abs. 4 GG vereitelt, der die Schaffung vollendeter Tatsachen und die Vereitelung des Rechtsschutzes durch die öffentliche Hand verbiete. Auch europarechtlich sei eine Vorabinformation und Wartefrist geboten. Ein unter Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht geschlossener Vertrag sei daher gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein ungeschriebenes Gesetz nichtig. Ihr Anspruch auf Herausgabe der Vergabedokumentation ergebe sich aus § 242 BGB, sie sei mangels Einsicht in die internen Unterlagen der Beklagten und die Angebote der Wettbewerber im Ungewissen darüber, ob ihr eigenes Angebot falsch bewertet wurde oder ob in Bezug auf die Wettbewerber Ausschlussgründe vorlägen. Vor dem Hintergrund des bestehenden vorvertraglichen Schuldverhältnisses sei insoweit auch § 810 BGB eine taugliche Anspruchsgrundlage.
9Die Klägerin beantragt,
10das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 21. September 2022, 21 O 154/ 20, aufzuheben und
111. festzustellen, dass die Vergabe des Rahmenvertrags durch die I. (Vergabenummer …) für rechtsanwaltliche Beratungsleistungen im Bereich des Vergaberechts (Los 1) an die Firma B. und im Bereich des Gewerbemietrechts (Los 2) an die Firma S. Rechtsanwälte nichtig ist und
122. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin seine Vergabedokumentation zu dem Vergabeverfahren „Rahmenvertrag für rechtsanwaltliche Beratungsleistungen im Bereich des Vergaberechts und des gewerblichen Mietrechts“ (Vergabe -Nummer …) herauszugeben.
13Der Beklagte beantragt,
14die Berufung zurückzuweisen.
15Der Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil. Es handele sich um eine Vergabe im Unterschwellenbereich - der Schwellenwert für juristische Dienstleistungen liege ausweislich Art. 4 lit d i. V. m. Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU bei 750.000,00 Euro -, bei der die Informations- und Wartepflicht gemäß § 134 GWB keine Anwendung finde. Der Bund habe sich bewusst gegen eine Vorabinformations- und Wartepflicht im Unterschwellenvergabebereich entschieden, in § 46 UVgO NRW fehle gerade die in § 62 VgV gegebene Verweisung auf § 134 GWB. Eine landesgesetzliche Vorabinformationspflicht habe Nordrhein-Westfalen - ebenso wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen und anders als Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen - nicht geschaffen. Dies stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Informations- und Wartepflicht im Unterschwellenbereich ausdrücklich verneint habe. Aus dem Gemeinschaftsrecht könne eine Vorabinformationspflicht schon deswegen nicht abgeleitet werden, weil ein grenzüberschreitendes Interesse für die durch Fragestellungen des nationalen Rechts geprägten rechtsanwaltlichen Beratungsleistungen nicht erkennbar sei. Im Übrigen folge auch aus dem Gemeinschaftsrecht keine Vorabinformationspflicht, geschweige denn eine Nichtigkeit der Verträge. Der Auskunftsanspruch sei im Unterschwellenbereich auf die in der UVgO geregelten Informationspflichten nach § 46 UVgO begrenzt. Ein weitgefasstes Akteneinsichtsrecht „ins Blaue hinein“ zur Aufdeckung hypothetischer Vergaberechtsmängel gebe es nicht. Der vom Landgericht angenommene Streitwert werde allerdings dem Interesse der Klägerin nicht gerecht, denn § 50 Abs. 2 GKG sei im Unterschwellenbereich nicht entsprechend anzuwenden.
16II.
17Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
181. Der Feststellungsantrag ist unbegründet, die mit der Zuschlagserteilung auf die Angebote von B. und S. Rechtsanwälte zustande gekommenen Rahmenverträge über rechtsanwaltliche Beratungsleistungen sind nicht gemäß § 134 BGB nichtig.
19a) Der Beklagte hat nicht gegen die Informations- und Wartepflicht des § 134 GWB verstoßen, da diese auf Unterschwellenvergaben weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung findet. Eine Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, unterlegene Bieter bei Vergaben im Unterschwellenbereich vorab über die beabsichtigte Bezuschlagung des Angebots eines Wettbewerbs zu unterrichten, existiert in Nordrhein-Westfalen - ebenso wie im Bund - nicht.
20aa) Die Informations- und Wartepflicht nach § 134 GWB erfasst Vergaben unterhalb der Schwellenwerte nicht. Gemäß § 106 Abs. 1 GWB gilt der die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen betreffende Teil 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nur für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweils festgelegten Schwellenwerte erreicht oder überschreitet. Der hier nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 lit. d der Vergaberichtlinie 2014/24/EU einschlägige Schwellenwert bei öffentlichen Dienstleistungsaufträgen betreffend soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne von Anhang XIV der Richtlinie, wozu Dienstleistungen im juristischen Bereich gehören, beträgt 750 000 Euro. Dieser ist vorliegend unstreitig bei weitem nicht erreicht.
21bb) Auch für eine entsprechende Anwendung des § 134 GWB im Unterschwellenbereich ist kein Raum. Dabei kann dahinstehen, ob die Vorschrift als kartellvergaberechtliche Sondervorschrift ohnehin nicht analogiefähig ist (so KG, Urteil vom 7. Januar 2020, 9 U 79/19, NZBau 2020, 680 Rn. 10 m. w. Nw., entgegen Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 134 GWB Rn. 161), da eine analoge Anwendung des § 134 GWB mit Blick auf die in der Diskussion des Entwurfs der Unterschwellenvergabeordnung erkannte und diskutierte Problematik der Informations- und Wartepflicht im Unterschwellenbereich jedenfalls nunmehr mangels planwidriger Regelungslücke ausscheidet (OLG Celle, Urteil vom 9. Januar 2020, NZ-Bau 2020, 679 Rn. 24). Eine planwidrige Regelungslücke erfordert ein unbeabsichtigtes Abweichen des Gesetzgebers von seinem dem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegenden Regelungsplan (BGH, Urteil vom 17. März 2022, III ZR 79/21, NZM 2022, 340 Rn. 38), das vorliegend nicht gegeben ist.
22Die seit dem 9. Juni 2018 auch von den Vergabestellen des Landes Nordrhein-Westfalen anzuwendende Unterschwellenvergabeverordnung vom 2. Februar 2017 kennt keine vorgelagerte Informations- und Wartepflicht. Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 UVgO unterrichtet der Auftraggeber jeden Bewerber und jeden Bieter unverzüglich über den Abschluss einer Rahmenvereinbarung oder die erfolgte Zuschlagserteilung. Die UVgO sieht also nur eine nachgelagerte Unterrichtung über den bereits erfolgten Abschluss beziehungsweise die Zuschlagserteilung vor (so selbst Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 134 GWB Rn. 169). Von einer § 134 GWB entsprechende Informations- und Wartepflicht ist nach Diskussion gerade abgesehen worden (vgl. Gerlach in Heiermann/Zeiss/Summa, juris-PK-Vergaberecht, 6. Aufl. 2022, Vorbemerkung UVgO Rn. 14). Auch von der Möglichkeit, landesgesetzlich eine Verpflichtung zur Mitteilung vor Zuschlagserteilung zu schaffen (vgl. Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 134 GWB Rn. 169), hat das das Land Nordrhein-Westfalen trotz dieser Diskussion und anders als eine Reihe anderer Länder gerade keinen Gebrauch gemacht, weshalb eine planwidrige Regelungslücke nicht gegeben ist.
23Die Schaffung einer Vorabinformations- und Wartepflicht als besondere Vorkehrung für die Durchsetzung von Primärrechtsschutz auch im Unterschwellenbereich ist auch nicht aufgrund des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich geboten. Es liegt im gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum, das Interesse des Auftraggebers an einer zügigen Ausführung der Maßnahmen und das des erfolgreichen Bewerbers an alsbaldiger Rechtssicherheit dem Interesse des erfolglosen Bieters an Primärrechtsschutz vorzuziehen und Letzteren regelmäßig auf Sekundärrechtsschutz zu beschränken. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht dazu verpflichtet, eine auch faktisch realisierbare Möglichkeit eines Primärrechtsschutzes im Vergaberecht in der Gestalt einer Pflicht der vergebenden Stelle zu einer rechtzeitigen Information der erfolglosen Bieter zu schaffen, wie sie für Auftragsvergaben oberhalb der Schwellenwerte besteht (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006, 1 BvR 1160/03, NJW 2006, 3701 Rnrn. 71 ff, Rn. 74).
24Es kann vorliegend dahinstehen, ob sich eine Informations- und Wartepflicht im Interesse vollständigen Rechtsschutzes aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben kann, wie dies der Senat in einem Orbiter Dictum zu seinem Urteil vom 13. Dezember 2017, I-27 U 25/17, unter Verweis auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz vertreten hat (NZBau 2018, 168 Rn. 17), da eine Binnenmarktrelevanz vorliegend nicht gegeben ist. Ein hierfür erforderliches grenzüberschreitendes Interesse bei Unterschwellenvergaben, das zu prüfen Sache des öffentlichen Auftraggebers ist, wobei Kriterien der Auftragswert und der Ausführungsort (EuGH, Urteil vom 15. Mai 2008, C-147/06 und C-148/06, ECLI:EU:C:2007:711, NZBau 2008, 453 Rnrn. 30, 31 - SECAP), aber auch Besonderheiten des betroffenen Marktes sind (Dörr in Burgi/Dreher/Opitz, Beckscher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, Einleitung, C. Europäisches Vergaberecht Rn. 186), hat der Beklagte zu Recht verneint. Hierfür ist allein die Grenzlage Nordrhein-Westfalens nicht ausreichend. Das Auftragsvolumen liegt nur bei gut einem Viertel des Schwellenwerts. Zudem setzt die nachgefragte Dienstleistung eine Qualifikation gerade im nationalen Recht voraus.
25b) Im Übrigen wären die Rahmenverträge selbst bei Annahme einer aus einem Gebot vollständigen Rechtsschutzes abzuleitenden Informations- und Wartepflicht analog § 134 GWB nicht nichtig, da aus Zuwiderhandlungen gegen diese, allein die Beklagte verpflichtenden Regelung keine Nichtigkeit eines gleichwohl abgeschlossen Vertrages folgt.
26aa) § 134 BGB ordnet für ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nicht ausnahmslos Nichtigkeit an. Während festgestellte Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts ohne weiteres zu dessen Nichtigkeit führt (§ 138 BGB), macht § 134 BGB diese Rechtsfolge davon abhängig, dass sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt. § 134 BGB kann deshalb nicht ohne Rückgriff auf das verletzte Verbot angewendet werden. Ordnet diese Regelung selbst eine Rechtsfolge an, ist sie maßgeblich; fehlt - wie vorliegend - eine verbotseigene Rechtsfolgenregelung, so sind Sinn und Zweck des verletzten Verbots entscheidend. Dies erfordert eine normbezogene Abwägung, ob es mit dem Sinn und Zweck des Verbots vereinbar oder unvereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft getroffene Regelung hinzunehmen beziehungsweise bestehen zu lassen (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1999, X ZR 34/98, NJW 2000, 1186, 1187).
27Für die nach § 134 BGB gebotene Abwägung ist wesentlich, ob sich das betreffende Verbot an alle Beteiligten des Geschäfts richtet, das verhindert werden soll, oder ob das Verbot nur eine Partei bindet. Sind beide Teile Adressaten des Verbots, kann regelmäßig angenommen werden, das verbotswidrige Geschäft solle keine Wirkungen entfalten. Richtet sich das Verbot dagegen nur gegen eine Partei, ist regelmäßig der gegenteilige Schluss berechtigt. Diese unterschiedliche Bewertung kommt bereits in den „Motiven zu dem Entwurf eines BGB” zum Ausdruck (Bd. I, S. 210), entspricht seit dem Beschluss der Vereinigten Zivilsenate des Reichsgerichts vom 17. März 1905 der Rechtsprechung und ist auch vom Bundesgerichtshof seiner ständigen Rechtsprechung zugrunde gelegt worden (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1999, X ZR 34/98, NJW 2000, 1186, 1187). Ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, dessen Vornahme nur einem Beteiligten verboten ist, ist daher in der Regel gültig (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013, KZR 66/12, NVwZ 2014, 807 Rn. 107).
28Nichtigkeit nach § 134 BGB tritt dann nur ein, wenn einem solchen einseitigen Verbot ein Zweck zu Grunde liegt, der die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts erfordert, weil er nicht anders als durch dessen Annullierung zu erreichen ist und die getroffene Regelung nicht hingenommen werden kann (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013, KZR 66/12, NVwZ 2014, 807 Rn. 107; BGH, Urteil vom 14. Dezember 1999, X ZR 34/98, NJW 2000, 1186, 1187).
29bb) Eine Informations- und Wartepflicht analog § 134 GWB wäre daher schon aus Rechtsgründen nicht geeignet, eine Nichtigkeit eines unter Verstoß gegen sie erteilten öffentlichen Auftrags zu begründen.
30Das aus der Informations- und Wartepflicht zu folgernde Kontrahierungsverbot wäre nur ein einseitiges, den öffentlichen Auftraggeber bindendes Verbotsgesetz, bei dem ein Verstoß nur dann zur Nichtigkeit führen würde, wenn es mit Sinn und Zweck des Verbotes nicht vereinbar wäre, die durch das Geschäft getroffene Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen. Dies ist nicht der Fall. Es würde einen in keiner Weise nachvollziehbaren Wertungswiderspruch darstellen, wenn im Kartellvergaberecht die Verletzung der dort nach § 134 GWB bestehenden Informations- und Wartepflicht nur nach den aus Gründen der Rechtssicherheit einschränkenden Vorgaben des § 135 GWB geltend gemacht werden könnte, während bei den unterschwelligen Aufträgen entsprechende Rechtsgeschäfte allgemein nach § 134 BGB nichtig wären. Zudem würden hier schutzwürdige Belange des Auftragnehmers, den die Informations- und Wartepflicht gerade nicht trifft, missachtet. Die Unwirksamkeitsfolge würde einen schwerwiegenden Eingriff in seine durch den Vertragsschluss mit dem öffentlichen Auftraggeber begründete Vertragsposition darstellen, der auch unter grundrechtlichen Gesichtspunkten jedenfalls ohne - hier, anders als im Kartellvergaberecht mit § 135 GWB - fehlende gesetzgeberische Rechtsgrundlage kaum zu rechtfertigen wäre (KG, Urteil vom 7. Januar 2020, 9 U 79/19, NZBau 2020, 680 Rn. 12, Rn. 14; Senatsbeschluss vom 2. Mai 2022, I-27 W 1/22).
31Soweit der erkennende Senat in einem Obiter Dictum zu seinem Urteil vom 13. Dezember 2017, I-27 U 25/17, eine Nichtigkeit des unter Verstoß gegen eine ungeschriebene Informations- und Wartepflicht bei Unterschwellenvergaben geschlossenen Vertrages gemäß § 134 BGB für konsequent erachtet hat (NZBau 2018, 168 Rn. 18), hält er daran vor dem Hintergrund der vorgenannten Wertungswidersprüche in vollständig neuer personeller Besetzung und in Fortführung seiner bereits mit Beschluss vom 2. Mai 2022, I-27 W 1/22, geänderten Rechtsprechung nicht fest. Der in Art. 19 Abs. 4 GG wurzelnde Grundsatz der Gewährleistung tatsächlich wirksamer gerichtlicher Kontrolle erfordert nicht zwingend die Gewährleistung von Primärrechtsschutz. Eine Kompensation kann auch über Schadensersatz erfolgen. Dass der mit Erteilung des Zuschlages zustande gekommene Vertrag wirksam und daher die Erlangung von Primärrechtsschutz nicht mehr möglich ist, hat auch das Bundesverfassungsgericht nicht infrage gestellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03, NVwZ 2004, 1224, 1226; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. November 2010, 1 S 107/10, NVwZ-RR 2011, 293, 294).
32cc) Auch ein Verstoß gegen die primärrechtlichen Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gebietet - Binnenmarktrelevanz unterstellt - nicht die Nichtigkeit des Vertrags.
33Das Unionsrecht sieht auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge keine allgemeine Regel vor, nach der die Rechtswidrigkeit einer Handlung in einem bestimmten Stadium des Verfahrens zur Rechtswidrigkeit aller späteren Handlungen in diesem Verfahren führen und ihre Aufhebung rechtfertigen würde (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, C-518/17, ECLI:EU:C:2018:757, BeckRS 2018, 22236 Rn. 57 - Rudigier). Soweit der Unionsgesetzgeber keine spezifische Bestimmung in Bezug auf einen Verstoß vorgesehen hat, ist eine entsprechende Regelung Angelegenheit des nationalen Rechts. In Ermangelung einer näheren unionsrechtlichen Verfahrensregelung zur Durchsetzung eines Rechts ist es nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes einzelnen Mitgliedstaats, die Verfahrensmodalitäten zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, C-518/17, ECLI:EU:C:2018:757, BeckRS 2018, 22236 Rnrn. 60, 61 - Rudigier).
34Dementsprechend hat auch das Europäische Gericht erster Instanz seine Vergabeanforderung einer Informations- und Wartepflicht, auf die sich der Senat in seinem Orbiter Dictum vom 13. Dezember 2017 im Rahmen der Begründung einer solchen Pflicht auch im Unterschwellenbereich gestützt hat, gerade damit begründet, dass dem abgelehnten Bieter eine angemessene Frist bis zur Unterzeichnung des Vertrags verbleiben muss, um die Zuschlagsentscheidung überprüfen zu können (EuG, Urteil vom 20. September 2011, T-461/08, ECLI:EU:T:2011:494, BeckRS 2011, 81495 Rn. 121), was die Annahme einer Wirksamkeit des unterzeichneten Vertrags bedingt.
352. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Herausgabe der Vergabedokumentation. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus § 242 noch aus § 810 BGB.
36a) Die Klägerin hat vorliegend keinen über den bereits erfüllten Unterrichtungsanspruch aus § 46 UVgO hinausgehenden Auskunftsanspruch gemäß § 242 BGB.
37Zwar begründet das Vergabeverfahren ein vorvertragliches Schuldverhältnis, das die Beteiligten zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet, §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 (vgl. für den Oberschwellenbereich: OLG Düsseldorf, Vergabesenat, Beschluss vom 28. Juni 2017, VII-Verg 2/17, NZBau 2018, 54 Rn. 19), aus dem sich auch ein Auskunftsanspruch ergeben kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebieten es Treu und Glauben, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (BGH, Urteil vom 6. Februar 2007, X ZR 117/04, NJW 2007, 1806 Rn. 13).
38Ein solcher, einem Schadensersatzanspruch vorausgehender Auskunftsanspruch kommt aber nur in Betracht, wenn der begründete Verdacht einer Vertragspflichtverletzung besteht (OLG Köln, Urteil vom 29. Januar 2020, 11 U 14/19, NZBau 2020, 684 Rnrn. 27, 28; OLG Düsseldorf, 1. Kartellsenat, Urteil vom 20. August 2008 - VI-U (Kart) 1/08, GRUR-RR 2009, 109, 110). Hieran fehlt es, wenn ein Anspruchsteller lediglich auf Grund vager Vermutungen Einsicht verlangt, um erst dadurch Anhaltspunkte für eine spätere Rechtsverfolgung zu gewinnen. In einem solchen Fall zielt das Einsichtsverlangen auf eine unzulässige Ausforschung (vgl. zu § 810 BGB: BGH, Urteil vom 27. Mai 2014, XI ZR 264/13, NJW 2014, 3312, 3313, Rn. 24). Es bedarf folglich eines das Akteneinsichtsgesuch begründenden beachtlichen und entscheidungserheblichen Sachvortrags. Insoweit gilt im Unterschwellenbereich nichts anderes als für das in Teil 4 des GWB geregelte Vergaberecht, wo das dort in § 156 GWB normierte Akteneinsichtsrecht auch nicht dazu dient, mithilfe von gewährter Akteneinsicht zusätzliche Informationen zur Untermauerung bislang substanzloser Mutmaßungen zu erhalten (OLG Düsseldorf, Vergabesenat, Beschlüsse vom 12. August 2021, VII-Verg 27/21, BeckRS 2021, 56263 Rn. 47, und vom 29. Juni 2017, VII-Verg 7/17, juris, Rn. 43; OLG München, Beschluss vom 8. November 2010, Verg 20/10, juris).
39Danach sind die Voraussetzungen für einen Auskunftsanspruch vorliegend nicht erfüllt. Es wird schon nicht klar, ob die von der Klägerin begehrte Auskunft überhaupt der Vorbereitung einer Schadensersatzforderung dienen soll oder ob sie die Wertung der Angebote lediglich im Hinblick auf eine nach der von ihr begehrten Feststellung der Nichtigkeit der bereits geschlossenen Rahmenverträge neu zu treffende Auswahlentscheidung prüfen will. Sollte ihr Auskunftsbegehren allein auf ihre Vorbereitung im Hinblick auf eine neu zu treffende Auswahlentscheidung zielen, würde ihrem Auskunftsbegehren schon das Rechtsschutzinteresse fehlen, da die bereits geschlossenen Rahmenverträge - wie vorstehend ausgeführt - nicht nichtig sind. Doch selbst wenn ihr Auskunftsbegehren unausgesprochen zumindest auch der Vorbereitung einer Schadenersatzforderung dienen sollte, wäre dieses jedenfalls mangels substantiierten Vortrags zum Verdacht einer Verletzung vorvertraglicher Pflichten nicht gegeben. Die Klägerin zeigt nichts auf, was für eine fehlerhafte Angebotswertung spräche.
40b) In Ermangelung eines begründeten Verdachts einer fehlerhaften Angebotsbewertung ist auch ein Anspruch auf Urkundeneinsicht nach § 810 BGB nicht gegebenen, der im Übrigen auf konkrete Urkunden gerichtet sein müsste. Auch das Ur-
41kundeneinsichtsrecht dient nicht dazu, auf Grund vager Vermutungen Urkundeneinsicht verlangen zu können, um erst dadurch Anhaltspunkte für eine spätere Rechtsverfolgung gegen den Besitzer der Urkunde oder gegen Dritte zu gewinnen (BGH, Urteil vom 27. Mai 2014, XI ZR 264/13, NJW 2014, 3312, 3313, Rn. 24).
42III.
43Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
44Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen. Die hierfür in § 543 Abs. 2 ZPO niedergelegten Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die relevanten Rechtsfragen sind durch die zitierten höchst- und verfassungsgerichtlichen Entscheidungen beantwortet. Die Anwendung der dort entwickelten Grundsätze ist Sache des Tatrichters. Als reine Einzelfallentscheidung hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine revisionsgerichtliche Entscheidung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
45Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Festsetzung auf … Euro festgesetzt, entsprechend fünf Prozent des Bruttoangebots der Klägerin. Dabei kann dahinstehen, ob § 50 Abs. 2 GKG für vergaberechtliche Auseinandersetzungen im unterschwelligen Bereich entsprechend anzuwenden ist (so OLG München, Beschluss vom 19. Juni 2017, 21 W 314/17, BeckRS 2017, 113365; OLG Schleswig, Beschluss vom 8. Januar 2013, 1 W 51/12, BeckRS 2013, 6580; OLG Stuttgart, Beschluss vom 9. August 2010, 2 W 37/10, VergabeR 2011, 236; Elzer in Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl. 2023, § 50 Rn. 6) oder ob die Streitwertfestsetzung vom Gericht nach freiem Ermessen gemäß §§ 53 Abs. 1 GKG, 3 ZPO vorzunehmen ist (so OLG Brandenburg, Beschluss vom 13. September 2011, 6 W 51/11, BeckRS 2011, 24846; Senatsurteil vom 13. Januar 2010, I-27 U 1/09, BeckRS 2010, 2050), da der Fünf-Prozent-Regelung des § 50 Abs. 2 GKG eine pauschalisierte Gewinnannahme zugrunde liegt (OLG Koblenz, Beschluss vom 23. Mai 2018, Verg 2/18, NZBau 2018, 639 Rn. 6), die gerade gewährleisten soll, dass der aus dem Bruttoauftragswert abgeleitete Gegenstandswert das wirtschaftliche Interesse des Rechtssuchenden widerspiegelt. Dementsprechend ist dieser auch bei einer Streitwertbemessung nach §§ 53 Abs. 1 GKG, 3 ZPO mit fünf Prozent der Summe des vom Kläger abgegebenen Angebots zu bemessen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 13. September 2011, 6 W 51/11, BeckRS 2011, 24846 m. w. Nw.).