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Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 01.02.2023 – 95b C 43/22 – abgeändert und der Beschluss der Eigentümerversammlung der Beklagten vom 09.06.2022 zu TOP 9 (Erneuerung der Fenster) für ungültig erklärt.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
2I.
3Die Kläger sind Mitglieder der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft mit einem Miteigentumsanteil von 912/100.000.
4Laut Beschluss der Eigentümerversammlung der Beklagten vom 05.07.2018 können Protokolle von Eigentümerversammlungen im Webportal durch die Verwaltung bereitgestellt werden.
5Die Außenfenster der Beklagten stehen zur Erneuerung an. Die Thematik der Fenstererneuerung war bereits Gegenstand der Eigentümerversammlung vom 18.06.2019. Dort wurde unter TOP 11 beschlossen, dass der Sachverständige Y. die Fenster begutachtet und einen Priorisierungsplan nach Dringlichkeit erstellt.
6Die Ausarbeitung des Sachverständigen Y. wurde am 07.12.2020 in das Web-Portal der Beklagten eingestellt und an diejenigen Eigentümer, die dies anforderten, auch postalisch übersandt. Der Prioritätenliste ging ein Leistungsverzeichnis voraus, mit dem entsprechende Angebote angefragt wurden und worin auch spezifiziert wurde, welche Art von Fenstern in welcher Ausführung eingebaut werden sollen.
7In der nächsten Eigentümerversammlung vom 17.11.2021 wurde zu TOP 3 beschlossen, dass der Sachverständige Y. eine Ausschreibung für die Fenstererneuerung erstellt, Angebote einholt und einen Preisspiegel fertigt.
8Mit Schreiben vom 17.05.2022 lud die Verwalterin zur Eigentümerversammlung auf den 09.06.2022. Auf der Tagesordnung unter TOP 9 hieß es wie folgt:
9Erneute Diskussion und Beschlussfassung über die weitere Vorgehensweise bezüglich der Erneuerung der Fenster. Entsprechende Angebote, auf Grundlage des Vorjahresbeschlusses, in Verbindung mit der Prioritätenliste des Sachverständigen, wurden durch Herrn Y. angefordert. Sämtliche Unterlagen stellen wir Ihnen im Webportal zum Download zur Verfügung. Nunmehr soll darüber beschlossen werden, ob und in welchem Umfang Fenster und Balkontüren ausgetauscht werden sollen. Welche Maßnahmen soll die Verwaltung veranlassen? Wie sollen diese Maßnahmen finanziert werden?
10Auf der Eigentümerversammlung vom 09.06.2022 fassten die Wohnungseigentümer den Beschluss zu TOP 9, zu dem es im Protokoll der Eigentümerversammlung wie folgt lautet:
11TOP 9 Erneute Diskussion und Beschlussfassung über die weitere Vorgehensweise bezüglich der Erneuerung der Fenster. Entsprechende Angebote, auf Grundlage des Vorjahresbeschlusses, in Verbindung mit der Prioritätenliste des Sachverständigen, wurden durch Herrn Y. angefordert. Sämtliche Unterlagen stellen wir Ihnen im Webportal zum Download zur Verfügung. Nunmehr soll darüber beschlossen werden, ob und in welchem Umfang Fenster und Balkontüren ausgetauscht werden sollen. Welche Maßnahmen soll die Verwaltung veranlassen? Wie sollen diese Maßnahmen finanziert werden?
12Hinweise: Herr A. berichtet informiert über die die aktuelle Lage und die Angebote der angefragten Firmen. Mehrere Anbieter haben die Angebote vor der Versammlung zurückgezogen. Die Firma G. als verbliebene Anbieterin teilte mit, keinen Austausch im Jahre 2022 vornehmen zu können, daraus resultiert zudem, dass die Preise für den Austausch nicht kalkulierbar sind. Eine Bestellung im Jahre 2022 kann nicht entgegengenommen werden. Der Verwalter schlägt vor, auf Grundlage des Sanierungsplanes und nach aktueller Dringlichkeit entsprechende Einzelaufträge zu vergeben. Ein Rabatt auf größere Aufträge wird aktuell von den Firmen nicht gewährt.
13Beschlussantrag: Die Verwaltung wird ermächtigt, die Erneuerung der Fensteranlagen nach folgenden Maßgaben zu beauftragen:
14Es soll ein Austausch nach Dringlichkeit erfolgen. Vorab sollen nochmal drei Angebote eingeholt werden.
15Der Umfang des jährlichen Budgets für 2022 soll bei 35.000,00 EUR brutto liegen. Die Fenster sollen der Optik der bisherigen Fensteranlagen entsprechen.
16Ein Lüftungskonzept soll nicht in Auftrag gegeben werden.
17Ebenfalls sollen mögliche Fördermittel für das Vorhaben geprüft und beantragt werden.
18Die Kosten dieser Maßnahme sollen aus der Erhaltungsrücklage finanziert werden.
19Die Verwaltung soll die Maßnahme unabhängig von einem möglichen Anfechtungsverfahren in Auftrag geben und wird von einer Haftung freigesprochen.
20Die Verwaltung erhält eine Sondervergütung gemäß Verwaltervertrag.
21Abstimmungsergebnis: Stimmen Ja 59,0000
22Stimmen Nein 1.0000
23Enthaltungen 0,0000
24Beschlussstatus: angenommen und verkündet.
25Das Angebot der Firma G. verhielt sich pro Wohnung je nach Größe der Fenster zwischen 4.500,00 EUR und 5.000,00 EUR.
26Mit Urteil vom 01.02.2023 hat das Amtsgericht Wuppertal die Klage abgewiesen.
27Die Kläger haben gegen das ihnen am 07.03.2023 zugestellte Urteil am 21.03.2023 Berufung eingelegt.
28Die Kläger beantragen,
29das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 01.02.2023 aufzuheben und die in der Eigentümerversammlung vom 09.06.2022 zu TOP 9 (Erneuerung Fenster) gefassten Beschlüsse für unwirksam zu erklären.
30Die Beklagte beantragt,
31die Berufung zurückzuweisen.
32Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
33II.
34Die Berufung der Kläger ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 513 Abs. 1, 520 Abs. 3 ZPO.
35Die Berufungsbegründung entspricht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO. Die Kläger rügen eine Rechtsverletzung des Amtsgerichts, die – als zutreffend unterstellt – rechtserheblich wäre. Das Amtsgericht habe verkannt, dass die angefochtene Beschlussfassung nicht den Vorgaben des § 27 WEG entspreche. Denn die zugrundeliegenden Leitlinien der Verwaltertätigkeit seien in dem angefochtenen Beschluss nicht hinreichend bestimmt worden. Die Priorisierung sei nicht transparent, da die Prioritätenliste nicht Bestandteil der Beschlussfassung sei und auch nicht festgehalten worden sei, wie im Einzelnen eine Priorisierung anhand der Dringlichkeit vorgenommen werden solle. Eine Kostenkontrolle sei zudem nicht möglich.
36III.
37Die Berufung hat in der Sache Erfolg.
38Der Beschuss zu TOP 9 der Eigentümerversammlung der Beklagten vom 09.06.2022 war für ungültig zu erklären, da er nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht.
39Gemäß § 27 Abs. 2 WEG können die Wohnungseigentümer die Rechte und Pflichten des Verwalters nach § 27 Abs. 1 WEG durch Beschluss einschränken oder erweitern. Nach § 27 Abs. 1 WEG ist der Verwalter gegenüber der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer berechtigt und verpflichtet, die Maßnahmen ordnungsgemäßer Verwaltung zu treffen, die (Nr. 1) untergeordnete Bedeutung haben und nicht zu erheblichen Verpflichtungen führen oder (Nr. 2) zur Wahrung einer Frist oder zur Abwendung eines Nachteils erforderlich sind. So kann dem Verwalter nach § 27 Abs. 2 WEG die Entscheidung über umfangreichere Erhaltungsmaßnahmen zugewiesen werden, die über Maßnahmen von untergeordneter Bedeutung nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG hinausgehen. Soweit Erhaltungsmaßnahmen die Schwelle der Erheblichkeit überschreiten, können die Wohnungseigentümer dem Verwalter durch Beschluss für einzelne Maßnahmen Budget-Obergrenzen vorgeben (vgl. Becker, in: Bärmann, WEG, 15. Auflage 2023, § 27 Rn. 47).
40Inhaltliche Schranken für die Erweiterung oder Einschränkung der Kompetenzen des Verwalters durch Beschluss bestehen jenseits des immer geltenden Grundsatzes, dass jeder Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen muss, nicht (vgl. Greiner, in: beckOGK, Stand 01.09.2023, § 27 Rn. 71). Seine Ordnungsgemäßheit muss sich an § 18 Abs. 2 WEG messen lassen. Keiner ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht es in der Regel, dem Verwalter sämtliche Verwaltungsrechte der Wohnungseigentümer zu übertragen. Die Übertragung von Kompetenzen auf den Verwalter hat nämlich ihre Grenzen, wo die Grundordnung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer betroffen ist. Was im Übrigen gilt, ist eine Frage des Einzelfalls und der Verhältnisse vor Ort. Die „Kernfragen“, die sich nach dem Gegenstand und dem Wert bemessen, müssen jedenfalls die Wohnungseigentümer bestimmen (vgl. Elzer, in: BeckOK WEG, Stand. 03.07.2023, § 27 Rn. 77). Im Rahmen der Erweiterung der Kompetenzen des Verwalters steht den Wohnungseigentümern ein Ermessensspielraum zu. Er ist erst überschritten, wenn die Entscheidung über wesentliche, kostenintensive Maßnahmen, insbesondere über sämtliche Erhaltungsmaßnahmen, dem Verwalter komplett oder im Kernbereich überlasen werden. Die Entscheidung über wesentliche Maßnahmen muss den Wohnungseigentümern selbst überlassen werden (vgl. Becker, in: Bärmann, WEG, 15. Auflage 2023, § 27 Rn. 54; Zschieschack, in: Jennißen, WEG, 7. Auflage 2022, § 27 Rn. 77).
41Ansonsten muss der Beschluss inhaltlich hinreichend bestimmt und transparent sein, d.h. der Umfang der Entscheidungskompetenz muss klar und eindeutig aus dem Beschluss hervorgehen. Allerdings dürfte es zulässig sein, dem Verwalter die Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu überlassen (vgl. Becker, in: Bärmann, WEG, 15. Auflage 2023, § 27 Rn.53; Zschieschack, in: Jennißen, WEG, 7. Auflage 2022, § 27 Rn. 76). Aus dem Beschluss muss auch der Entscheidungsmaßstab hervorgehen. Soll beispielsweise der Verwalter aus einem Pool von Bewerbern einen Auftragnehmer bestimmen, muss klar sein, nach welchen Kriterien er zu entscheiden hat (vgl. Zschieschack, in: Jennißen, WEG, 7. Auflage 2022, § 27 Rn. 76).
42Der Beschlussantrag ist dann bestimmt, wenn er die konkrete Maßnahme benennt, für die der Verwalter zuständig oder nicht mehr zuständig sein soll, ferner ist der Beschlussantrag bestimmt, wenn ein Maßnahmenkatalog aufgenommen wird. Der Beschlussantrag darf auf eine Anlage Bezug nehmen. Im Übrigen kann der Beschlussantrag Wertgrenzen enthalten und damit definieren, was als erhebliche Verpflichtung i.S.v. § 27 Abs. 1 Nr. 1 EG betrachtet wird (vgl. Skauradszun, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2023, § 27 WEG Rn. 34; Wicke, in: Grüneberg, BGB, 82. Auflage 2023, WEG 27 Rn. 13).
43§ 27 Abs. 2 geht damit insbesondere über die bisherige Rechtsprechung zu Erhaltungsmaßnahmen hinaus, wonach die Ermächtigung zur Entscheidung über „ob und wie“ voraussetzte, dass wesentliche Eckpunkte der Entscheidung den Wohnungseigentümern vorbehalten bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 11.06.2021 – V ZR 215/20, juris: Die Wohnungseigentümer können durch Beschluss dem Verwalter über seine gesetzlichen Befugnisse hinausgehende Entscheidungskompetenzen für Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung sowie für die Einschaltung von Sonderfachleuten übertragen, wenn die Kompetenzverlagerung für den einzelnen Wohnungseigentümer zu einem nur begrenzten und überschaubaren finanziellen Risiko führt.)
44Der angefochtene Beschluss beinhaltet eine Ermächtigung der Verwaltung zur eigenständigen Entscheidung über die Ausführung von Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen betreffend die Außenfenster der Beklagten. Eine Bezugnahme auf ein Angebot oder einen Kostenvoranschlag enthält er nicht. Auch die erstellte Priorisierungsliste des Sachverständigen Y. ist nicht durch Bezugnahme Bestandteil der Beschlussfassung geworden.
45Auch wenn gemessen an den vorstehenden Grundsätzen nicht erforderlich ist, dass bereits zum Zeitpunkt der Beschlussfassung die Reihenfolge der auszutauschenden Fenster festgelegt wird, da hier insoweit das Kriterium der Dringlichkeit bestimmt wurde, welches nach pflichtgemäßem Ermessen der Verwaltung auch ohne Bezugnahme auf die Priorisierungsliste auslegungsfähig ist, so legt der angefochtene Beschluss darüber hinaus nicht hinreichend die für die Entscheidung der Ausführung maßgeblichen Kriterien fest. Dass der Verwaltung hinsichtlich der ausführenden Unternehmen ein Entscheidungsspielraum eingeräumt wird, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
46Problematisch ist aber, dass keinerlei Bezugsgröße bzw. Kostengröße beispielsweise durch Bezugnahme auf einen Leistungskatalog oder ein Angebot oder einen Kostenvoranschlag für das einzelne zu tauschende Fenster festgelegt wurde und damit auch hinsichtlich der genauen Ausgestaltung der Fenster keine Vorgaben jenseits der Optik gemacht werden. So ist der Verwalter vollkommen frei in seiner Entscheidung darüber, aus welchem Material die zu ersetzenden Fenster sind und welche Kosten er für das einzelne Fenster ansetzt. Die Vorgabe, vor Durchführung der jährlichen Maßnahmen möglichst weitere drei Vergleichsangebote einzuholen, ersetzt keinen für alle zu tauschenden Fenster festgelegten Entscheidungsmaßstab.
47Der Beschluss entspricht damit mangels hinreichender Bestimmtheit nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.
48IV.
49Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
50Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Zu den genauen Grenzen und Kriterien betreffend die Erweiterung der Befugnisse des Verwalters nach § 27 Abs. 2 WEG erging bislang keine obergerichtliche Entscheidung.
51Dr. N. J. R.
52Verkündet am 11.10.2023C., Justizbeschäftigteals Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle