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1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 1. Dezember 2021 (VK 1 - 116/21) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin hat die Antragstellerin zu tragen.
3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 8.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
2I.
3Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 11. August 2021 im offenen Verfahren die Beseitigung von Ölverunreinigungen im Bereich der Autobahnmeistereien G, G.1. und H. in der Zeit vom 1. November 2021 bis zum 31. Oktober 2022 EU-weit aus (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, Bekanntmachungsnummer …). Der Auftrag war in die drei Gebietslose Autobahnmeisterei G., Autobahnmeisterei G.1. und Autobahnmeisterei H. aufgeteilt. Schlusstermin für den Eingang der Angebote war der 7. September 2021, 10:00 Uhr Ortszeit (Ziffer IV.2.2. der Bekanntmachung).
4Einziges Zuschlagskriterium war der Preis (Ziffer II.2.5. der Bekanntmachung). Nach Abschnitt 3.1 der Anlage zur Aufforderung zur Angebotsabgabe waren an leistungsbezogenen Unterlagen das Leistungsverzeichnis mit den Preisen sowohl in Form einer GAEB-Datei als auch in Form einer PDF-Datei vorzulegen. Die Forderung nach Vorlage des Leistungsverzeichnisses mit den Preisen in Form einer PDF-Datei war mit dem Zusatz in Fettdruck versehen „Fehlt diese Datei, wird diese nicht nachgefordert, das Angebot ist zwingend auszuschließen“. Die Angebote waren in elektronischer Form über AI Bietercockpit verschlüsselt zu übermitteln.
5Die zuständige Mitarbeiterin der Antragstellerin startete die Übertragung der Angebote für alle Gebietslose am 6. September gegen 20.00 Uhr. Dabei traten technische Probleme auf, weshalb die Mitarbeiterin den Übertragungsversuch nach etwa einer Stunde und 45 Minuten Stunden abbrach. Auch ein erneuter Versuch war erfolglos. Einen weiteren Übertragungsversuch startete die Mitarbeiterin am Morgen des 7. September 2021 gegen 9.00 Uhr, wiederrum erfolglos. Daraufhin kontaktiert sie den kostenpflichtigen Support von AI Bietercockpit. Bei einem erneuten Übertragungsversuch gegen 9.15 Uhr erschien die Fehlermeldung, dass der Prozessschritt aufgrund eines Fehlers nicht ausgeführt werden könne. Auf Anraten des Supportmitarbeiters, der eine Beschädigung der Dateien infolge unsachgemäßer Beendigung des ersten Übertragungsversuchs vermutete, erstellte die Mitarbeiterin das Angebot neu. Die um 10:00:33 Uhr gestartete Übertragung gelang nunmehr problemlos und war um 10:01:15 Uhr abgeschlossen. Den neu erstellten Angeboten waren jedoch die Leistungsverzeichnisse mit den Preisen lediglich als GAEB-Datei und nicht auch als PDF-Datei beigefügt.
6Mit Schreiben vom 27. September 2021 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin, dass ihre Angebote alle wegen Fehlens der PDF-Dateien ausgeschlossen würden, es sei beabsichtigt, den Zuschlag hinsichtlich der Lose 1 und 3 der Beigeladenen und hinsichtlich Los 2 einem dritten Bieter zu erteilen. Dies rügte die Antragstellerin umgehend mit Anwaltsschreiben vom 1. Oktober 2021 als verfahrensfehlerhaft. Es fehle keine Unterlage. Unterlage sei das bepreiste Leistungsverzeichnis, dieses liege als GAEB-Format vor. Zumindest aber sei ein Ausschluss wegen fehlender Vorlage auch im PDF-Format jedenfalls ohne vorherige Nachforderung unverhältnismäßig. Die Antragsgegnerin wies dies mit Schreiben vom 5. Oktober 2021 zurück, in den Vergabeunterlagen werde auf den zwingenden Ausschluss bei Nichtvorlage im PDF-Format ohne Nachforderung hingewiesen, eine Unverhältnismäßigkeit hätte bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden müssen. Grund für die Forderung im PDF-Format sei, dass das GAEB-Format eine nachträgliche Manipulation des Angebots ermögliche. Mit weiterem Informationsschreiben vom 6. Oktober 2021 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin, dass ihre Angebote auch wegen verspätetem Eingang ausgeschlossen würden. Auch dies rügte die Antragstellerin mit Anwaltsschreiben vom 12. Oktober 2021 als verfahrensfehlerhaft. Die ohnehin nicht hinreichend dokumentierte Verspätung habe sie nicht zu vertreten, sie beruhe auf Fehlern des von der Antragsgegnerin genutzten Programms AI-Bietercockpit. Die Antragsgegnerin half dieser Rüge ebenfalls nicht ab.
7Die Antragstellerin beantragte darauf am 15. Oktober 2021 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens in Bezug auf Lose 1 (AM G.) und 3 (AM H.) zu dessen Begründung sie vortrug, ihre Angebote könnten weder wegen Verspätung noch wegen fehlender Unterlagen ausgeschlossen werden. Für den verspäteten Eingang seien Fehler in der Sphäre der Antragsgegnerin ursächlich. Am 6. September 2021 sei eine Übertragung trotz bestehender Internetverbindung nicht möglich gewesen. Soweit der Supportmitarbeiter als Ursache für die folgenden Übertragungsprobleme eine unsachgemäße Beendigung dieses Übertragungsversuchs vermute, könne ihr ein Bedienungsfehler nicht angelastet werden. Angaben zur Beendigung eines erfolglosen Übertragungsversuchs enthalte das Benutzerhandbuch nicht, auch ein entsprechender Warnhinweis sei nicht generiert worden. Ein Ausschluss wegen Fehlens der PDF-Dateien komme schon deswegen nicht in Betracht, weil es sich bei der Anforderung derselben Unterlage in zwei Dateiformaten nicht um zwei Unterlagen, sondern um die zweimalige Anforderung derselben Unterlage handele. Jedenfalls aber sei die Forderung in zwei Formaten unverhältnismäßig und daher nicht wirksam. Das PDF-Format könne die Antragsgegnerin selbst aus den GAEB-Leistungsverzeichnis generieren. Zumindest aber müssten diese vor einem Ausschluss nachgefordert werden.
8Die Antragstellerin hat beantragt,
91. festzustellen, dass sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist;
2. der Antragsgegnerin aufzugeben, ihre Angebote in den Losen 1 (AM G.) und 3 (AM H.) unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten;
3. ihr Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren;
4. die Kosten des Nachprüfungsverfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen;
5. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die ihr im Nachprüfungsverfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten, wobei die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig war.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
16den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
17Die Angebote der Antragstellerin seien wegen Verspätung und fehlender Formgerechtigkeit auszuschließen. Ursächlich für den verspäteten Eingang seien Bedienfehler der Antragstellerin gewesen. Wegen des unsachgemäßen Abbruchs des Übertragungsversuchs habe das ursprüngliche Angebot nicht mehr abgegeben werden können, weil diese Übertragung immer noch als in Sendung befindlich registriert gewesen und eine parallele Doppelabgabe nicht zulässig sei. Hierfür stehe der Hinweis 512. Die PDF-Datei sei ausdrücklich gefordert gewesen und zwar mit dem Hinweis, dass diese nicht nachgefordert, sondern das Angebot bei Fehlen ausgeschlossen werde. Anders als bei einer PDF-Datei könnten bei einer GAEB-Datei etwaige Dateifehler oder Änderungen nicht nachvollzogen werden.
18Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 1. Dezember 2021 zurückgewiesen, die Angebote der Antragstellerin seien zu Recht jedenfalls wegen Verspätung ausgeschlossen worden. Diese Verspätung habe die Antragstellerin auch zu vertreten, die Bedienfehler seien ihrer Sphäre zuzuordnen. Zwar könne nicht geklärt werden, wessen Sphäre die Übertragungsprobleme am 6. September 2021 zuzuordnen gewesen seien. Unstreitig habe die Mitarbeiterin den Übertragungsvorgang jedoch nicht regulär beendet, was als Fehlermeldung mit der Warnung, die temporären Arbeitszustände könnten eventuell beschädigt sein, an die Antragstellerin gesendet worden sei. Auch der Übertragungsversuch am Morgen des 7. September sei nicht ordnungsgemäß beendet worden. Die unsachgemäße Beendigung des Programms sei wahrscheinlich ursächlich dafür, dass von der Plattform ein laufender Sendeprozess registriert worden sei, der der erneuten Übertragung eines identischen Angebots entgegengestanden habe (Fehlermeldung 512). Wie die Anwendung ordnungsgemäß beendet werde, sei im Benutzerhandbuch beschrieben. Dort stehe unter „Beenden“ „Kurzbefehl [ALT] + [B] oder [STRG] + [SHIFT] + [B]“. Zwar werde nicht ausdrücklich gesagt, wie die Anwendung bei nicht ordnungsgemäßem Verlauf zu beenden sei, dass ein nicht regelkonformes Beenden zu Fehlern führen könne, verstehe sich aber von selbst. Von daher könne offenbleiben, ob die Angebote auch wegen Nichtvorlage des bepreisten Leistungsverzeichnisses im PDF-Format auszuschließen seien, wofür aber einiges spreche; eine Vergaberechtswidrigkeit der Forderung hätte vor Angebotsabgabe gerügt werden müssen.
19Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, die Auffassung der Vergabekammer, sie hätte den ersten Übermittlungsversuch nicht regelwidrig abbrechen und sich nach der Fehlerwarnung beim Programmneustart sofort an den kostenpflichtigen Support wenden müssen, überspanne die an den Bieter zu stellenden Anforderungen. Die Auftraggeberseitig vorgeschriebene Vergabesoftware falle nicht in ihre Risikosphäre. Deren Designschwäche, bei der eine einmalige und als solche gar nicht erkennbare fehlerhafte Programmbeendigung zu einem dauerhaften Übertragungshindernis führe, weil der abgebrochene Übertragungsvorgang als fortdauernd erachtet werde, könne nicht zu ihren Lasten gehen. Das Handbuch beschreibe eine solche Situation nicht. Auch die von der Vergabekammer angeführten Kurzbefehle dienten nicht der Beendigung vor Ende des Übertragungsvorgangs, wenn sich diese über Stunden hinziehe. Der Ausschluss ihres Angebots könne auch nicht auf das Fehlen des bepreisten Leistungsverzeichnisses im PDF-Format gestützt werden, wie sie bereits ausgeführt habe. Zumindest aber müsse die Antragsgegnerin ihre Kosten selbst tragen, da sie den Sachverhalt hinsichtlich der Verspätung nicht hinreichend aufgeklärt und ohne Grund einen Verfahrensbevollmächtigten hinzugezogen hätte.
20Die Antragstellerin beantragt,
211. den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 1. Dezember 2021 (VK 1 - 116/21) aufzuheben;
2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Angebote der Beschwerdeführerin zu den Losen 1 (AM G.) und 3 (AM H.) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu werten;
3. die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich des Beschwerdeverfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen;
4. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beschwerdeführerin zu tragen und die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Beschwerdeführerin im Verfahren vor der Vergabekammer für notwendig zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
27die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
28Das Angebot der Antragstellerin sei bereits wegen Unvollständigkeit auszuschließen gewesen. Das ausdrücklich und unter Hinweis auf den zwingenden Ausschluss ohne Nachforderung geforderte bepreiste Leistungsverzeichnis im PDF-Format sei nicht vorgelegt worden. Zudem habe die Antragstellerin auch den verspäteten Eingang ihres Angebots zu vertreten. Das Übermittlungsrisiko trage der Bieter. Die Vergabeplattform sei allgemein verfügbar gewesen, die Übertragungsprobleme seien auf den Bedienfehler der Antragstellerin zurückzuführen. Die Hinzuziehung ihrer Bevollmächtigten sei zur Herstellung der erforderlichen Waffengleichheit gegenüber der anwaltlich vertretenen Antragstellerin erforderlich gewesen.
29Der Senat hat die Sach- und Rechtslage mit den Parteien erörtert. Der Ausschluss des Angebots werde auf zwei Sachverhalte gestützt. Zwar begegne der von der Vergabekammer bejahte Ausschluss wegen Verspätung jedenfalls ohne weitergehende Sachaufklärung Bedenken. So sei die Übertragung zweimal am 6. September 2021 abends und ein drittes Mal am 7. September 2021 morgens abgebrochen worden, die Fehlermeldung 512, ein der Übertragung entgegenstehender laufender Sendeprozess, werde jedoch erst nach dem dritten Abbruch am 7. September 2021 morgens ausgewiesen. Habe sich dieser Abbruch von den von den beiden vorangegangen unterschieden oder habe nur das System vergleichbare Abbrüche unterschiedlich gewertet? Sodann stelle sich die Frage, ob auf die Problematik, dass ein nicht ordnungsgemäß beendeter Übertragungsvorgang einer erneuten Übertragung entgegenstehen könne, hingewiesen werden müsse. Dies könne jedoch vorliegend dahinstehen, da jedenfalls der Ausschluss wegen Unvollständigkeit durchgreife. Die Forderung einer PDF-Datei, die nach den Erfahrungen des Senats nicht unüblich sei, sei nicht innerhalb der Frist zur Angebotsabgabe gerügt worden.
30II.
31Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, in der Sache hat sie jedoch im Ergebnis keinen Erfolg.
321. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist formgerecht eingereicht, auch die Beschwerdefrist von zwei Wochen (§ 172 Abs. 1 GWB) wurde durch die am 17. Dezember 2021 eingegangene Beschwerdeschrift gewahrt.
33Zwar ist der Beschluss der Vergabekammer ausweislich der Faxkennung auf dem vorbereiteten Empfangsbekenntnis am 1. Dezember 2021 an die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin übermittelt worden. Deren Empfangsbekenntnis datiert jedoch vom 3. Dezember 2021. Letzteres ist entscheidend; die für eine Zustellung gegen Empfangsbekenntnis erforderliche Empfangsbereitschaft kann nicht durch den bloßen Nachweis des tatsächlichen Zugangs ersetzt werden (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015, VIII ZB 55/14, NJW-RR 2015, 953 Rn. 12).
34Die erforderliche Beschwer der Antragstellerin ist nach § 171 Abs. 1 Satz 2 GWB gegeben, weil sie am Verfahren vor der Vergabekammer beteiligt war und die Vergabekammer ihren Nachprüfungsantrag zurückgewiesen hat.
352. In der Sache hat die Beschwerde jedoch im Ergebnis keinen Erfolg. Jedenfalls der Ausschluss der Angebote der Antragstellerin wegen Fehlens des bepreisten Leistungsverzeichnisses in PDF-Format war vergaberechtskonform und verletzt sie daher nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB.
36a) Der Ausschluss der Angebote der Antragstellerin wegen Fehlens des bepreisten Leistungsverzeichnisses im PDF-Format nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV war vergaberechtskonform und verletzt sie daher nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB.
37aa) Bei dem in Form einer PDF-Datei vorzulegenden bepreisten Leistungsverzeichnis handelt es sich um eine Unterlage im Sinne des § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV. Der Begriff der Unterlagen, der den zuvor verwendeten Begriff der Erklärungen und Nachweise entspricht (Steck in Ziekow/Völlink, 4. Aufl. 2020, VgV § 56 Rn. 8), ist - gleichviel, ob er auftragsbezogene oder unternehmensbezogene Angaben, Willenserklärungen oder Wissensmitteilungen betrifft - nach dem Zweck der Norm denkbar weit zu verstehen (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 35/15, BeckRS 2015, 18388 Rn. 18).
38Die demgegenüber von der Antragstellerin vertretene, auf eine Unterlage Leistungsverzeichnis mit Preisen abstellende Betrachtung, welches lediglich in den zwei Dateiformaten GAEB und PDF einzureichen sei, wäre im Übrigen für diese sogar nachteilig, da ein nur im Dateiformat GAEB eingereichtes Leistungsverzeichnis mit Preisen dann eine unvollständige leistungsbezogene Unterlage wäre, die ohnehin nicht korrigiert werden dürfte (Haak/Hogeweg in Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, VgV § 56 Rnrn 39, 40, FN 54).
39bb) Soweit die Antragstellerin die mit der Androhung eines Angebotsausschlusses verbundene Anforderung eines bepreisten Leistungsverzeichnisses im PDF-Format als rechtswidrig beanstandet, da mit dessen Erstellung ein zusätzlicher Angebotsbearbeitungsaufwand verbunden ist, der unverhältnismäßig sei, ist sie damit nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert.
40(1) Nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB müssen Verstöße gegen Vergabevorschriften, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Die Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ist objektiv zu bestimmen. Eine die Rügeobliegenheit auslösende Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ist - immer bezogen auf den konkreten Einzelfall - zu bejahen, wenn der Verstoß von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter des angesprochenen Bieterkreises bei üblicher Sorgfalt und üblichen Kenntnissen erkannt werden kann (Senatsbeschlüsse vom 3. April 2019,VII-Verg 49/18, juris, Rn. 183; vom 26. Juli 2018, VII-Verg 23/18; vom 28. März 2018, VII-Verg 54/17, juris, Rn. 17 und vom 15. Januar 2020, VII-Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn. 37). Dabei muss sich die Erkennbarkeit sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen (vgl. Dicks in Ziekow/ Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 160 Rn. 49).
41Im Hinblick auf Vergabeunterlagen wird damit als Voraussetzung einer Rügepräklusion gefordert, dass der Inhalt der Unterlagen bei laienhafter rechtlicher Bewertung, also ohne Bemühung besonderen Rechtsrats, auf einen Vergaberechtsverstoß hindeutet. Das setzt regelmäßig voraus, dass die Rechtsvorschriften, gegen die verstoßen wird, zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise gehören (Senatsbeschlüsse vom 26.Juli 2018, VII-Verg 23/18 und vom 15. Januar 2020, VII-Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn. 37; OLG München, Beschluss vom 22. Oktober 2015, Verg 5/15, juris, Rn. 43). Eine Rügepräklusion kommt in der Regel nur für auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhende und ins Auge fallende auftragsbezogene Rechtsverstöße in Betracht (vgl. Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 160 Rn. 49). Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots beziehungsweise seiner Bewerbung auffallen muss (Senatsbeschluss vom 3. Aug. 2011, Verg 16/11, ZfBR 20212, 72, 74). Einer exakten rechtlichen Einordnung des Vergaberechtsverstoßes durch den Bieter bedarf es jedoch nicht (OLG Schleswig, Beschluss vom 22. Januar 2019, 54 Verg 3/18, BeckRS 2019, 590 Rn. 48).
42(2) Vorliegend ergab sich die Forderung nach der Vorlage eines bepreisten Leistungsverzeichnisses als GAEB-Datei und als PDF-Datei unmittelbar aus dem mit „Unterlagen, die mit dem Angebot abzugeben sind“ überschriebenen Abschnitt 3.1 der Anlage zur Angebotsaufforderung, wo die geforderten Unterlagen direkt untereinanderstehen. Die Androhung des Angebotsausschlusses bei Nichtvorlage war sogar durch Fettdruck hervorgehoben. Die Forderung beider Unterlagen konnte einem mit üblicher Sorgfalt die Vergabeunterlagen lesenden Bieter nicht entgehen. Es gehört auch zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise, dass alle Forderungen des öffentlichen Auftraggebers von einem sachlichen Interesse getragen sein müssen und dieser den Bietern nicht Arbeit um der Arbeit willen machen darf. Wenn die Antragstellerin folglich wirklich der Auffassung sein sollte, die Forderung des bepreisten Leistungsverzeichnisses im PDF-Format sei gegenüber einem solchen im GAEB-Format ohne jeden Mehrwert, dann hätte sie dies bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe rügen müssen.
43cc) Die Antragsgegnerin war auch nicht zur Nachforderung des Leistungsverzeichnis mit den Preisen im PDF-Format vor einem Ausschluss verpflichtet.
44Gemäß § 56 Abs. 3 VgV ist die Nachforderung von leistungsbezogenen Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betreffen, ausgeschlossen, es sei denn, es handelt sich um unwesentliche Einzelpositionen, deren Einzelpreise den Gesamtpreis nicht verändern oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen. Von daher ist für die Nachforderung eines kompletten Leistungsverzeichnisses mit Preisen im Grundsatz kein Raum.
45Es kann vorliegend dahinstehen, ob der Umstand, dass das bepreiste Leistungsverzeichnis zweimal, als GAEB-Datei und als PDF-Datei, einzureichen war, ausnahmsweise Raum für eine Nachforderung einer dieser Daten eröffnet, weil aufgrund der bereits mit dem Angebot eingereichten Datei die wettbewerbsrelevanten Preisangaben bereits vorliegen, da die Antragsgegnerin die Nachforderung des Leistungsverzeichnisses im PDF-Format bereits in den Vergabeunterlagen ausgeschlossen hatte. Der Gesetzgeber hat selbst für den Bereich der unternehmensbezogenen Unterlagen, bei denen Nachforderungen und Korrekturen grundsätzlich möglich sind, dem öffentlichen Auftraggeber in § 56 Abs. 2 Satz 2 VgV das Recht gegeben, in den Vergabeunterlagen mit bindender Wirkung festzulegen, dass er keine Unterlagen nachfordern wird (Steck in Ziekow/Völlink, 4. Aufl. 2020, VgV § 56 Rnrn. 31, 32). Von daher begegnet eine entsprechende Festlegung im Bereich leistungsbezogener Unterlagen, wo eine Nachforderung ohnehin nur in Ausnahmefällen möglich ist, keinen Bedenken.
46Vor dem Hintergrund des in den Vergabeunterlagen festgelegten Ausschlusses der Nachforderung des Leistungsverzeichnisses im PDF-Format schied dessen Nachforderung aus, für eine von Verhältnismäßigkeitsüberlegungen getragene Abwägungsentscheidung war schon aufgrund der Selbstbindung der Antragsgegnerin kein Raum. Der öffentliche Auftraggeber hat die von ihm selbst festgelegten Kriterien strikt einzuhalten und muss daher von einem Vergabeverfahren einen Wirtschaftsteilnehmer ausschließen, der ein Dokument oder eine Information, die nach den Ausschreibungsunterlagen unter Androhung des Ausschlusses bei Nichtvorlage beizubringen war, nicht übermittelt hat (EuGH, Urteil vom 6. November 2014, C-42/13, NZBau 2015, 38 Rn. 42 - Cartiera dell' Adda SpA).
47b) Vor dem Hintergrund der Vergaberechtskonformität des Ausschlusses nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV kann offenbleiben, ob die Angebote auch aufgrund verspäteten Eingangs auszuschließen sind oder ob der Ausschluss nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV rechtswidrig war und die Antragstellerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt, weil sie den um 75 Sekunden verspäteten Eingang ihrer Angebote nicht zu vertreten hat.
48aa) Gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV sind Angebote, die nicht fristgerecht eingegangen sind, grundsätzlich von der Wertung auszuschließen. Das Vergabeverfahren unterliegt aus Gründen der Gleichbehandlung einer erheblichen Formstrenge. Diese Formstrenge verlangt, dass Angebote, die verspätet eingegangen sind, von der Wertung auszuschließen sind (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 11. Mai 2004, 11 Verg 8/04; NZBau 2004, 567, 570; Senatsbeschluss vom 30. Mai 2001, VII-Verg 23/00, BeckRS 2001, 160724 Rn. 32).
49Eine Ausnahme besteht nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 VgV nur dann, wenn der Bieter den verspäteten Eingang nicht zu vertreten hat. Hierfür reicht es nicht aus, dass dem Bieter am verspäteten Zugang kein eigenes Verschulden trifft (Haak/ Hogeweg in Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, VgV § 57 Rn. 24). Der Bieter trägt das Risiko der Übermittlung und des rechtzeitigen und vollständigen Eingangs seines Angebots (Herrmann in Ziekow/Völlink, 4. Aufl. 2020, VgV § 57 Rn. 21). Es ist grundsätzlich seine Sache dafür zu sorgen, dass sein Angebot vollständig innerhalb der Angebotsfrist beim öffentlichen Auftraggeber eingeht (Senatsbeschluss vom 12. Juni 2019, VII-Verg 8/19, BeckRS 2019, 39059 Rn. 51).
50Nicht zu vertreten hat der Bieter Zugangshindernisse aus der Risikosphäre des Auftraggebers (Herrmann in Ziekow/Völlink, 4. Aufl. 2020, VgV § 57 Rn. 23), wie etwa einen eingeschränkten Faxzugang (Senatsbeschluss vom 7. Januar 2002, VII-Verg 36/01, VergabeR 2002, 169). Gleiches gilt, wenn die Programme zur Abgabe elektronischer Angebote nicht voll funktionsfähig sind oder ausfallen und es dem Bieter deshalb nicht möglich ist, sein Angebot fristgerecht abzugeben (Haak/Hogeweg in Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, VgV § 57 Rn. 24). Treten technische Schwierigkeiten beim Betrieb der verwendeten elektronischen Mittel auf, so sind die Folgen danach zu beurteilen, wessen Sphäre sie zuzuordnen sind. Schwierigkeiten auf Auftraggeberseite dürfen nicht zu Lasten der Anbieterseite gehen (Senatsbeschluss vom 12. Juni 2019, VII-Verg 8/19, BeckRS 2019, 39059 Rn. 54). Dabei gehört es gemäß § 11 Abs. 3 VgV auch zum Pflichtenkreis des öffentlichen Auftraggebers, den interessierten Unternehmen alle notwendigen Informationen über die in einem Vergabeverfahren verwendeten elektronischen Mittel und die technischen Parameter zur Einreichung von Angeboten mithilfe elektronischer Mittel und zur Verfügung stellen.
51bb) Ob die Antragsgegnerin ihrer Informationspflicht durch die Angaben im Benutzerhandbuch zur Beendigung des Programms genügt hat, indem dort unter „Beenden“ ausgeführt ist „Kurzbefehl (Alt) + (B) oder (STRG) + (SHIFT) + (B)“ oder ob es weiterer Informationen für den Fall bedurft hätte, dass das Programm auf andere Weise beendet wird, kann allein aufgrund des Vortrages der Parteien nicht festgestellt werden. Sollte bei einer anderen als der oben beschriebenen Beendigung des Programms eine zeitlich nachfolgende Übertragung des Angebots ausgeschlossen sein, weil das System Al Bietercockpit die abgebrochene Sendung als noch laufend und einer erneuten Übertragung entgegenstehend registriert, Fehlermeldung 512, so könnte dies für eine unzureichende Information sprechen. Ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts kann dies aber nicht festgestellt werden.
52Es ist nicht klar, wie die Übertragung am Morgen des 7. September 2021 abgebrochen worden ist oder ob jeder Abbruch, der nicht über „Kurzbefehl [ALT] + [B] oder [STRG] + [SHIFT] + [B]“ erfolgt, zum Fehler 512 führt. So fällt auf, dass die Fehlermeldung 512 erst nach dem Abbruch des dritten Übertragungsversuchs am Morgen des 7. September 2021 erschien und nicht schon nach dem Abbruch der Übertragungen am Abend des 6. September 2021. Es hätte daher aufgeklärt werden müssen, ob dem eine Zufälligkeit des Systems oder ein unterschiedliches Vorgehen der Mitarbeiterin der Antragstellerin zugrunde lag und wie dieses gegebenenfalls zu bewerten ist. Eine solche Aufklärung ist jedoch in Anbetracht ihrer Irrelevanz für die Entscheidung über den Ausschluss der Angebote der Antragstellerin nicht veranlasst.
53III.
54Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2 i.V.m. § 71 GWB, die Antragstellerin hat die Kosten ihres im Ergebnis unbegründeten Rechtsmittels zu tragen.
55Die Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB sind Teil der Kosten des Beschwerdeverfahrens; über sie muss nur dann gesondert entschieden werden, wenn der Antrag nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB trotz Obsiegens in der Hauptsache erfolglos bleibt (Vavra/Willner in Burghi/Dreher Beck`scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, GWB § 176 Rn. 28; Senatsbeschluss vom 1. August 2012, VII-Verg 15/12, BeckRS 2012, 18543).
56Einer Entscheidung über die notwendigen Auslagen der Beigeladenen bedarf es nicht. Ein Beigeladener ist nur dann kostenrechtlich wie der Antragsteller oder Antragsgegner eines Nachprüfungsverfahrens zu behandeln, wenn er die durch die Beiladung begründete Stellung im Beschwerdeverfahren auch nutzt, indem er sich an diesem Verfahren beteiligt. Hierfür bedarf es einer sachlichen Stellungnahme zur sofortigen Beschwerde (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 63).
57Eine Abänderung der auf § 182 Abs. 3, Abs. 4 GWB fußenden Kostenentscheidung der Vergabekammer ist nicht veranlasst; die Antragsgegnerin hat ihr Verfahrensziel einer Bestätigung ihrer Ausschlussentscheidung erreicht (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn. 178). Dabei sind gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG auch die Gebühren und Auslagen des Verfahrensbevollmächtigten erstattungsfähig, da dessen Hinzuziehung im Verfahren vor der Vergabekammer in Anbetracht der Schwierigkeiten des Sachverhalts notwendig war.
58Über die Notwendigkeit eines Verfahrensbeteiligten, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 61 - Polizeianzüge; Senatsbeschlüsse vom 16. März 2020, VII-Verg 38/18, BeckRS 2020, 29123 Rn. 34 und vom 15. Mai 2018, VII-Verg 58/17; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17, ZfBR 2018, 198, 199). Hierzu ist die Frage zu beantworten, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen und hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen, wobei neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände bestimmend sein können (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 61 - Polizeianzüge). Anerkannt ist darüber hinaus, dass der Gesichtspunkt der so genannten prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung einfließen kann (Senatsbeschluss vom 16. März 2020, VII-Verg 38/18, BeckRS 2020, 29123 Rn. 34; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17, ZfBR 2018, 198, 199; OLG München, Beschluss vom 11. Juni 2008 Verg 6/08, ZfBR 2008, 724, 725).
59Die insbesondere vor der Vergabekammer streitgegenständliche Problematik, wie die Risikosphären bei elektronischer Angebotseinreichung abzugrenzen sind, warf schwierige und im Einzelnen ungeklärte Sach- und Rechtsfragen auf, die auch ein in Vergabesachen versiertes Unternehmen wie die Antragsgegnerin nicht ohne Weiteres selbst beantworten und für das Nachprüfungsverfahren aufbereiten kann. Die Antragsgegnerin durfte daher, ebenso wie die Antragstellerin, die Inanspruchnahme rechtsanwaltlicher Begleitung für erforderlich erachten.
60Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Demnach beträgt der Gegenstandswert fünf Prozent des Bruttoauftragswerts des Angebots der Antragstellerin für die vorliegend verfahrensgegenständlichen Lose 1, AM G., und 3, AM H. (Senatsbeschluss vom 10. Februar 2021, VII-Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn. 56).