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I-26 W 5/22
Leitsatz
§§ 935, 940 ZPO, § 302 AktG
Zur Verwirklichung des verfassungsrechtlich gebotenen effektiven Rechtsschutzes kommt eine Befriedigungsverfügung in vorweggenommener Erfüllung des Hauptsacheanspruchs in Betracht, wenn das Unterbleiben der einstweiligen Verfügung zu einer existenziellen Notlage oder zu irreparablen Schädigungen des Antragstellers führt und keine vergleichbaren Nachteile zulasten des Antragsgegners einzutreten drohen.
Besteht zwischen der Antragstellerin und der Muttergesellschaft ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, nach dessen § 3 Abs. 1 für die Verlustübernahme § 302 AktG gilt, lässt sich allein aus der finanziellen Situation der Antragstellerin eine Existenzgefährdung nicht herleiten.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 05.10.2022 gegen den Beschluss der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 30.09.2022 (Az. 36 O 47/22) in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 05.10.2022 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 30 Mio. € festgesetzt.
I.
2Die Antragstellerin ist ein deutsches Gashandelsunternehmenn, das unter anderem Stadtwerke und Industrieunternehmen in Deutschland mit Erdgas beliefert. Sie ist eine 100 %ige Tochtergesellschaft der V.-AG, an der die EnBW Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) mehrheitlich beteiligt ist. Zwischen der Antragstellerin und der Muttergesellschaft als beherrschendem Unternehmen besteht ausweislich des Handelsregisterauszugs des AG X. seit dem Jahr 2014 ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag.
3Die Antragstellerin hat mit der Antragsgegnerin, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der PAO Gazprom (öffentliche Aktiengesellschaft nach russischem Recht), im Jahr 2019 einen Erdgasliefervertrag … abgeschlossen, der die Antragsgegnerin zur Lieferung von Erdgas an die Antragstellerin bis zum 1. Januar 2023 zu festgelegten Preisen … verpflichtet. Lieferpunkt ist der sog. Virtual Trading Point Trading Hub Europe (VTP THE). Die Antragsgegnerin hat die vertraglich vereinbarten Liefermengen zunächst reduziert und am 31.08.2022 die Gaslieferungen vollständig eingestellt. Sie hat sich darauf berufen, aufgrund höherer Gewalt von ihrer Lieferverpflichtung befreit zu sein, da die drei zum Transport von Erdgas zur Verfügung stehenden Pipelines nicht mehr von ihr genutzt werden könnten und ihr ein Einkauf von Gas auf dem europäischen Markt nicht möglich sei.
4Die Antragstellerin begehrt, im Wege der einstweiligen Verfügung die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Erdgaslieferungen an sie einstweilen bis zum 1.01.2023, 8:00 Uhr (CET) – hilfsweise bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, höchst hilfsweise befristet bis zum 31.10.2022 und äußerst hilfsweise bis zur Bescheidung ihres Antrags auf staatliche Stützung nach § 29 EnSiG durch das BMWK – fortzusetzen gemäß den zwischen den Parteien vereinbarten Mengen und Konditionen. Sie hat geltend gemacht, die Antragsgegnerin verweigere zu Unrecht die geschuldete Gaslieferung. Sie könne sich nicht auf ein Entfallen ihrer Leistungspflicht nach der „Force Majeure“- Regelung … berufen, da sie verpflichtet sei, alle bestehenden Bezugsmöglichkeiten zu nutzen, um ihren vertraglichen Pflichten nachzukommen, etwa durch Beschaffung der Erdgasmengen auf dem Markt oder Lieferung von im Gasspeicher U. gespeicherter Gasmengen. Als Tochtergesellschaft des russischen Staatsunternehmens Gazprom könne sie sich ohnehin nicht auf angebliche Leistungshindernisse berufen, die vom russischen Staat gezielt geschaffen worden seien, um Gaslieferungen an deutsche Unternehmen durch Unternehmen des russischen Konzerns Gazprom zu verhindern. Die beantragte Leistungsverfügung sei hier ausnahmsweise zu erlassen, weil sie – die Antragstellerin – für ihr wirtschaftliches Überleben zwingend auf die Lieferung durch die Antragsgegnerin zu den vertraglich vereinbarten Konditionen angewiesen sei. Angesichts von Mehrkosten für die Ersatzbeschaffungen in Höhe von täglich bis zu 14 Mio. € werde sie in unmittelbarer Zukunft nicht mehr zu einer weiteren Ersatzbeschaffung in der Lage sein. Die Wiederaufnahme der Erdgaslieferungen durch die Antragsgegnerin sei deshalb zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit und der Stabilisierung des Gasmarktes in Deutschland geboten. Sie – die Antragstellerin – könne den ihr entstehenden Schaden auch nicht anderweitig abwenden. Eine Genehmigung nach § 27 EnSiG zur Ausübung eines Leistungsverweigerungsrechts gegenüber ihren Kunden aufgrund des Lieferausfalls ihrer Vorlieferantin habe die Bundesnetzagentur (BNetzA) u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass eine Weiterbelieferung der Kunden der Antragstellerin zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit zwingend erforderlich sei. Würde die Leistungsverfügung nicht erlassen, wäre nicht nur ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet, sondern maßgeblich die Sicherheit der Gasversorgung in der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Zur Glaubhaftmachung hat sich die Antragstellerin u.a. auf zwei eidesstattliche Versicherungen ihres Prokuristen H. vom 28. und 29.09.2022 … bezogen.
5Das Landgericht – Kammer für Handelssachen – hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung mit Beschluss der Vorsitzenden vom 30.09.2022 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Antragstellerin habe nicht hinreichend dargetan, dass sie so dringend auf die sofortige Erfüllung ihres Leistungsanspruchs angewiesen sei und damit so erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleiden würde, dass ihr ein Zuwarten oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen nach Wegfall des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs nicht zumutbar sei. Ihre tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse habe sie schon nicht dargelegt. Die vorgelegten eidesstaatlichen Versicherungen gäben die Einschätzung der finanziellen Lage durch die Antragstellerin ohne Zahlen wieder. Ob und inwieweit die Antragstellerin ab dem 1.10.2022 eine Unterstützung vom Deutschen Staat erhalten werde, sei derzeit nicht absehbar. Im Übrigen bestünden auch Bedenken einer Vollstreckbarkeit eines Herausgabetitels gegen die Antragsgegnerin, da schon nicht ersichtlich sei, dass in dem Gasspeicher „U.“ noch heute (eine erhebliche Menge) Gas der Antragsgegnerin eingelagert sei, zumal dieser Vorrat bereits gepfändet sein könnte.
6Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihr Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens macht sie geltend, es sei nicht nachvollziehbar, dass das Landgericht nicht auf die von ihr vorgelegten Entscheidungen des Landgerichts Frankfurt a.M. (Az.: 3-03 O 42/22) sowie des Landgerichts Weiden (Az.: 1 HK O 16/22) eingegangen sei, die in zwei parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren bereits einstweilige Verfügungen auf Weiterbelieferung mit Gas erlassen hätten. Deren Begründungen ließen sich auf den vorliegenden Fall übertragen. Das Landgericht habe die Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes überspannt. Sie, die Antragstellerin, habe durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht, dass sie in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet sei, wenn die Antragsgegnerin ihren vertraglichen Lieferpflichten binnen kürzester Zeit nicht nachkomme. Offensichtlich sei ihr Eigenkapital … nicht ausreichend, um die Kosten für die Ersatzbeschaffung von Erdgas von täglich bis zu 14 Mio. € zu stemmen. Diese Zahlen hätten auch dem Landgericht Frankfurt zum Erlass der einstweiligen Verfügung gegen einen anderen Lieferanten ausgereicht. Derzeit erhalte sie – wie glaubhaft gemacht – auch keine staatliche Unterstützung. Die beantragte einstweilige Verfügung sei daher derzeit die einzige verbliebene Möglichkeit, ihre Existenzvernichtung mit effektivem Rechtsschutz noch abzuwenden, da sie vom Staat und der Politik im Stich gelassen werde. Ohnehin könne sie nicht auf die Inanspruchnahme staatlicher Hilfen verwiesen werden. Die Folgen bei Nichterlass der einstweiligen Verfügung könnten für die gesamte deutsche Gesellschaft verheerend sein.
7Schließlich sei die Vorsitzende der KfH nach § 944 ZPO nicht befugt gewesen, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzulehnen, vielmehr hätte in diesem Fall eine Entscheidung durch die Kammer ergehen müssen.
8II.
9Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gem. §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt.
10In der Sache selbst hat das Rechtsmittel indessen keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht es abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung zur Fortsetzung der Erdgaslieferungen nach Maßgabe der zwischen den Parteien getroffenen vertraglichen Vereinbarungen zu verpflichten.
111. Die Entscheidung des Landgerichts ist formal nicht zu beanstanden. Insbesondere rügt die Antragstellerin ohne Erfolg, dass ihr Verfügungsantrag (allein) durch die Vorsitzende der 6. Kammer für Handelssachen zurückgewiesen worden ist.
12In dringenden Fällen kann gemäß § 944 ZPO der Vorsitzende anstatt des Gerichts über die im Fünften Abschnitt erwähnten Gesuche entscheiden, sofern deren Erledigung eine mündliche Verhandlung nicht erfordert. Dies gilt u.a. für den Antrag auf Arrest und einstweilige Verfügung (§§ 922 Abs. 1, 937 Abs. 2 ZPO; vgl. nur: BeckOK ZPO/Mayer, 45. Ed. 1.7.2022, § 944 Rn. 4). Die Vorschrift findet auch auf die Kammer für Handelssachen Anwendung, da der Vorsitzende die hier in Frage stehenden Entscheidungen nach Maßgabe der §§ 105 GVG, 349 ZPO nur im Einverständnis der Parteien anstelle der Kammer treffen könnte.
13Die Dringlichkeit i.S.d. § 944 ZPO ist zu unterscheiden von der allgemeinen Dringlichkeit, die schon der Verfügungsgrund als solcher erfordert und der besonderen Dringlichkeit gem. § 937 Abs. 2 Hs. 1 ZPO, die das Gericht zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ermächtigt. Dringlichkeit i.S.d. § 944 ZPO liegt daher nur vor, wenn das Zusammentreten des Kollegialgerichts zu einer erheblichen Verzögerung führen würde und hierdurch der Zweck des einstweiligen Rechtschutzes gefährdet wäre (KG, Beschl. v. 28.08.2012 - 5 W 175/12, BeckRS 2013, 6390; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.04.1987 - 6 W 30/87, NJW-RR 1987, 1206; MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, § 944 Rn. 3; Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 944 Rn. 1; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 944 Rn. 1). Das ist etwa dann der Fall, wenn die Kammer für Handelssachen, ein Landwirtschaftsgericht (§§ 2, 48 LwVG) oder ein (Landes-)Arbeitsgericht zu entscheiden hat und die ehrenamtlichen Richter nicht schnell genug erreicht werden können (KG, a.a.O.; LG Zweibrücken, Beschl. v. 23.12.1985 - 6 O 196/85, NJW-RR 1986, 715; Prütting/Gehrlein/Fischer, ZPO, 14. Aufl. 2022, § 944 Rn. 2).
14Der allein entscheidende Vorsitzende kann das Gesuch nicht nur positiv, sondern auch negativ bescheiden (KG, a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Hamburg, Beschl. v. 16.11.1995 – 11 W 60/95, OLGR 1996, 92; LG Zweibrücken, a.a.O.; MüKoZPO/Drescher, a.a.O., Rn. 4; Musielak/Voit/Huber, a.a.O.; Schuschke/Walker/Kessen/Thole, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2020, § 944 Rn. 5; Prütting/Gehrlein/Fischer, § 944 Rn. 2; aA Zöller/Vollkommer, a.a.O.; BeckOK ZPO/Mayer, a.a.O., Rn. 5). Bei einer Abweisung kommt der Antragsteller zwar nicht in den Genuss eines schnellen Titels, doch das steht auch nach Auffassung des Senats einer erhöhten Dringlichkeit i.S.v. § 944 ZPO nicht zwingend entgegen. Das Interesse des Antragstellers, auch eine Zurückweisung seines Gesuchs ohne jeden Zeitverlust zu erhalten, um möglichst schnell sofortige Beschwerde einlegen zu können, kann auch die Zurückweisung als »dringlich« i.S.v. § 944 ZPO erscheinen lassen (OLG Karlsruhe; OLG Hamburg; LG Zweibrücken; MüKoZPO/Drescher; Schuschke/Walker/Kessen/Thole; jew. a.a.O.). Hier kann schon deshalb nichts anderes gelten, weil die Antragstellerin selbst im Rahmen ihres Verfügungsantrags die „besondere Dringlichkeit des Falles“ geltend gemacht hat, so dass aus ihrer Sicht - wie beantragt - nur eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch die Vorsitzende allein nach Maßgabe des § 944 ZPO in Betracht kommen konnte.
15Letztlich kommt es aber auch auf die Verfahrensrüge der Antragstellerin schon deshalb nicht weiter an, weil der Senat auch bei einem Verfahrensfehler als Beschwerdegericht selbst entscheiden könnte (Zöller/Heßler, a.a.O., § 572 Rn. 27). Eine Aufhebung und Zurückverweisung kann im Beschwerdeverfahren (nur) dann geboten sein, wenn sich die fehlerhafte Besetzung des Erstgerichts auf die Besetzung des Beschwerdegerichts auswirkt. Ein solcher Fall liegt hier jedoch ersichtlich nicht vor. Sowohl über eine Beschwerde gegen eine Entscheidung der Kammer für Handelssachen als Kollegialgericht als auch über eine solche gegen die ihrer Vorsitzenden hat der Senat in voller Besetzung zu entscheiden. Denn der Vorsitzende einer Kammer für Handelssachen ist nicht Einzelrichter i.S.d. § 568 S. 1 ZPO (OLG Hamburg, Beschl. v. 06.05.2009 – 5 W 33/09, juris Rn. 8).
162. Auch in der Sache bleibt die Beschwerde ohne Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht es abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung zur Fortsetzung der Erdgaslieferungen nach Maßgabe der zwischen den Parteien getroffenen vertraglichen Vereinbarungen zu verpflichten, weil die strengen Voraussetzungen, die an eine solche, die Hauptsache vorwegnehmende Maßnahme zu stellen sind, nicht vorliegen. Ohne Erfolg rügt die Antragstellerin, das Landgericht habe das Maß an die Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes überspannt.
172.1. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist mit Blick auf den vorläufigen Charakter des einstweiligen Verfügungsverfahrens als summarisches Erkenntnisverfahren grundsätzlich unzulässig. Insofern fehlt der nach §§ 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund (KG, Urt. v. 28.08.1987 - 5 U 3581/87, GRUR 1988, 403). Zur Verwirklichung des verfassungsrechtlich gebotenen effektiven Rechtsschutzes kommt allerdings dann eine Befriedigungsverfügung in vorweggenommener Erfüllung des Hauptsacheanspruchs in Betracht, wenn das Unterbleiben der einstweiligen Verfügung zu einer existenziellen Notlage oder zu irreparablen Schädigungen des Antragstellers führt und keine vergleichbaren Nachteile zulasten des Antragsgegners einzutreten drohen (MüKoZPO/Drescher, § 938 Rn. 38; BeckOK ZPO/Mayer, § 938 Rn. 14; Musielak/Voit/Huber, § 940 Rn. 14; BGH, Beschl. v. 11.10.2017 – I ZB 96/16, NJW 2018, 1317 Rn. 35; jew. m.w.N.).
18Nur unter besonderen, engen Voraussetzungen darf die Hauptsache durch eine einstweilige Verfügung vorweggenommen werden (BGH, Beschl. v. 17.10.2019 – I ZB 19/19, WRP 2020, 324 Rn. 15). Es reicht nicht aus, dass die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers ohne den Erlass der beantragten Verfügung vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder dass das Anliegen des Antragstellers darauf gerichtet ist, wesentliche Nachteile abzuwenden, da diese Tatbestandsvoraussetzungen bereits in den §§ 935, 940 ZPO für den Erlass einer vorläufigen Regelung aufgestellt sind (OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.06.1995 – U (Kart) 15/95, NJW-RR 1996, 123, 124). Vielmehr muss der Gläubiger so dringend auf die sofortige Erfüllung seines Leistungsanspruches angewiesen sein oder müssen ihm so erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen, dass ihm ein Zuwarten oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach Wegfall des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs nicht zumutbar ist. Bei wirtschaftlichen Nachteilen ist insoweit erforderlich, dass der Gläubiger andernfalls in eine existentielle Notlage geriete (OLG Brandenburg, Urt. v. 21.07.2022 – 10 U 65/22, Rn. 69 ff.; Beschl. v. 27.09.2018 – 17 Kart 5/18, Rn. 9; OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.12.2015 – 5 W 35/15, Rn. 40; OLG Köln, Beschl. v. 20.12.2011 – 13 W 79/11, Rn. 5; OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.01.2008 – VI-U (Kart) 23/07, Rn. 10; OLG Naumburg, Urt. v. 11.08.2011 – 2 U 84/11, Rn. 60; OLG Hamm, Beschl. v. 29.11.1991 – 26 W 15/91, Rn. 5; sämtl. juris). Diese Situation, die den Erlass einer Leistungsverfügung rechtfertigt, wird daher auch gemeinhin als „Notlage“ oder „existentielle Notlage“ benannt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.06.1995, a.a.O; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 940 ZPO Rn. 6; MüKoZPO/Drescher, BeckOK ZPO/Mayer; Musielak/Voit/Huber; jew. a.a.O.).
19Auch vorliegend kann die einstweilige Verfügung in Bezug auf den Hauptsacheanspruch daher - wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat - nur bei einer andernfalls eintretenden existentiellen, irreparablen Schädigung der Antragstellerin ergehen.
202.2. Nach Maßgabe dessen hat die Antragstellerin einen solchen Verfügungsgrund nicht mit Substanz dargelegt und glaubhaft gemacht.
212.2.1. Sie macht zwar geltend, die vertragswidrige Nichtbelieferung führe zu nicht auszugleichenden Nachteilen für ihre wirtschaftliche Existenz, die unmittelbar existenzbedrohend seien und daher auch Auswirkungen für die Versorgungsicherheit in Deutschland hätten. Sie sei gezwungen, mit Deckungskäufen auf dem Gasmarkt ihren bestehenden Lieferverpflichtungen gegenüber zahlreichen Stadtwerken und Industriekunden nachzukommen. Zu einer weiteren Ersatzbeschaffung werde sie in unmittelbarer Zukunft nicht mehr in der Lage sein, da ihr Eigenkapital bereits aufgebraucht und die noch verfügbare Liquidität binnen weniger Tage erschöpft sein werde. Von daher sei sie für ihr wirtschaftliches Überleben zwingend auf die Lieferung durch die Antragsgegnerin zu den vertraglich vereinbarten Konditionen angewiesen, zumal sie aktuell staatliche Unterstützung nicht erhalte und es nun auch nicht absehbar sei, ob und inwieweit künftig hiermit zu rechnen sei. Die wirtschaftlichen Belastungen durch die Mehrkosten beziffert sie indessen nur pauschal mit bis zu 14 Mio. €/Tag und weist nur allgemein darauf hin, dass sich dieser Vermögensnachteil aus dem Delta zwischen der immensen Mehrbelastung durch die hohen Ersatzbeschaffungskosten auf dem weltweiten Gasmarkt und den dabei gleichbleibenden alten Konditionen der bestehenden Lieferverpflichtungen gegenüber ihren eigenen Kunden ergebe. Weder führt sie im Einzelnen an, mit welchen Lieferanten sie neben der Antragsgegnerin Beschaffungsverträge mit welchem Volumen und welchen Laufzeiten abgeschlossen hat noch stellt sie dar, auf welche Weise und zu welchen Konditionen sie für den Ausfall der Lieferungen der Antragsgegnerin - kurz-, mittel- oder langfristig - Ersatz beschafft. Ebenso wenig ist ausgeführt, mit welchen ihrer Lieferkunden sie Fixpreise vereinbart hat und daher ihre erhöhten Beschaffungspreise nicht weitergeben kann, nachdem die Bundesnetzagentur ihren Antrag nach § 27 EnSiG auf Genehmigung der Ausübung vertraglicher Leistungsverweigerungsrechte unter dem 16.08.2022 abgelehnt hat. Zu pauschal ist schon deshalb auch ihre Glaubhaftmachung durch die eidesstattlichen Versicherungen ihres Prokuristen vom 28. und 29.09.2022. Zur Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Antragstellerin durch eine fortdauernde ersatzlose Einstellung der vertraglich vereinbarten Gaslieferungen durch die Antragsgegnerin hat dieser unter dem 28.09.2022 an Eides statt lediglich versichert, dass das Eigenkapital … bereits aufgezehrt ist und daher durch die Liefereinstellung täglich Schäden durch Ersatzbeschaffungskosten in zweistelliger Millionenhöhe entstehen, die die Antragstellerin auf Grundlage ihrer Eigenkapitalsituation nicht lange tragen könne (AS 15). Ergänzend dazu hat er unter dem 29.09.2022 an Eides statt versichert, dass die der Antragstellerin aktuell zur Verfügung stehende Liquidität unter Berücksichtigung der aktuellen Situation am Gasmarkt, der finanziellen Verpflichtungen aus dem Börsenhandel und den aktuellen Gaspreisen eine weitere Ersatzbeschaffung ohne Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung nicht mehr lange durchhalten werde, da ihre liquiden Mittel - ausgehend davon, dass sie nach dem 30.09.2022 zusätzlich für die Nichtlieferung von Gasmengen durch einen weiteren Lieferanten, der W., wieder auf eigene Kosten Ersatz beschaffen müsse - lediglich noch für ca. acht weitere Tage ausreichen würden. Weder sie noch ihre Muttergesellschaft hätten bislang Unterstützung durch die Bundesrepublik Deutschland oder eine andere Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Minderung der Ersatzbeschaffungslast aus eingeschränkten Gaslieferverträgen erhalten.
22Dieses glaubhaft gemachte Vorbringen der Antragstellerin kann den Erlass einer Leistungsverfügung schon in tatsächlicher Hinsicht nicht rechtfertigen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Gas-Importeure – und damit auch die Antragstellerin – in der aktuellen Situation durch die hohen Beschaffungskosten für Gas stark belastet sind und eine zentrale Rolle für die Versorgungssicherheit einnehmen. Die eidesstattlichen Versicherungen des Prokuristen der Antragstellerin geben indessen - wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat - nur die Einschätzung der finanziellen Lage durch die Antragstellerin ohne belastbare Zahlen wieder.
232.2.2. Ungeachtet dessen ist für die Annahme einer unmittelbaren Existenzbedrohung der Antragstellerin aber auch schon deshalb kein Raum, weil zwischen der Antragstellerin - 100%ige Tochter der V.-AG - und der Muttergesellschaft ein - ausweislich des Handelsregisterauszugs des AG X. ungekündigter und damit fortbestehender - Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vom 22.04.2014 i.d.F. v. 01.03.2018 besteht. Nach dessen § 3 Abs. 1 gilt für die Verlustübernahme § 302 AktG, so dass die Muttergesellschaft als herrschendes Unternehmen nach Maßgabe des § 302 Abs. 1 AktG „jeden während der Vertragsdauer sonst entstehenden Jahresfehlbetrag“ auszugleichen hat. § 302 Abs. 1 AktG gibt der abhängigen Gesellschaft einen Anspruch auf Zahlung des Geldbetrags, der zum Ausgleich des (fiktiven) Jahresfehlbetrags erforderlich ist (Koch, AktG, 16. Aufl. 2022, § 302 Rn. 13). Folge dieser Verlustübernahmepflicht im Vertragskonzern ist, dass die abhängige Gesellschaft während der Vertragsdauer in jedem Fall (mindestens) mit einem ausgeglichenen Ergebnis abschließt und eine Insolvenz der abhängigen Gesellschaft ausgeschlossen ist, solange das herrschende Unternehmen seinerseits solvent ist (vgl. nur: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl. 2022, § 302 Rn. 28 m.w.N.). Als Korrelat zur Leitungsbefugnis des herrschenden Unternehmens verhindert die Verlustausgleichspflicht während der Dauer eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags eine Überschuldung der abhängigen Gesellschaft. Bei einer Existenzbedrohung der abhängigen Gesellschaft kann daher auch schon vor Abschluss der Rechnungsperiode eine insolvenzabwendende Abschlagszahlung erforderlich sein, wenn ihre Zahlungsfähigkeit oder Kreditwürdigkeit ernsthaft bedroht ist, denn es entspricht dem gesetzlichen Grundgedanken, dass das herrschende Unternehmen mit Vertragsschluss für eine existenzsichernde Ausstattung zu sorgen hat (Koch, a.a.O.; MüKoAktG/Altmeppen, 5. Aufl. 2020, § 302 Rn. 38 f., 74; Emmerich/Habersack, a.a.O. Rn. 41; Bürgers/Körber/Lieder/Schenk, AktG, 5. Aufl. 2021, § 302 Rn. 20; BeckOGK/Veil/Walla, 1.7.2022, AktG § 302 Rn. 28; Nodoushani NZG 2017, 728 ff.; Priester ZIP 1989, 1301, 1307 f.). Von daher gibt es - bei Solvenz des herrschenden Unternehmens - während der Dauer des Beherrschungsvertrages keine Existenzgefährdung der abhängigen Gesellschaft (MüKoAktG/Altmeppen, a.a.O.).
24Vor diesem Hintergrund reicht es daher nicht aus, wenn die Antragstellerin allein dazu vorträgt, dass ihr Eigenkapital bereits aufgezehrt ist und die ihr zur Verfügung stehende Liquidität alsbald erschöpft sein wird. Mit Blick auf den bestehenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Muttergesellschaft und deren gesetzliche Verlustausgleichspflicht lässt sich allein aus der finanziellen Situation der Antragstellerin ihre Existenzgefährdung nicht herleiten. Bei dieser Sachlage kommt es daher auch nicht weiter darauf an, ob und auf welche Weise sie bzw. der Konzern zeitnah mit einer - in Aussicht gestellten - finanziellen Unterstützung von Seiten des Staates rechnen kann (s. dazu: Mitteilung der Bundesregierung vom 30.09.2022 Nr. 2068832 zum beabsichtigten Gesamtkonzept nach Rücknahme der zunächst beabsichtigten Gasumlage). Dies gilt umso mehr, als der Pressemitteilung der Muttergesellschaft vom 09.09.2022 zu den von ihr nach § 29 EnSiG beantragten Stabilisierungsmaßnahmen zu entnehmen ist, dass sie nach seinerzeitiger Einschätzung – allerdings unter Einbeziehung der Entlastung durch die zunächst beabsichtigte Gasumlage – davon ausgegangen ist, die aus dem streitgegenständlichen Vertrag im Jahr 2022 insgesamt auflaufenden Verluste von ca. 1 Mrd. € aus eigener Kraft und gemeinsam mit weiteren Stabilisierungsmaßnahmen ihrer Anteilseigner, der EnBW AG, tragen zu können.
25Aus den vorgelegten Entscheidungen des Landgerichts Weiden vom 22.07.2022 (1 HK O 16/22) und des Landgerichts Frankfurt am Main vom 29.08.2022 (3-03 O 42/22) in ähnlich gelagerten einstweiligen Verfügungsverfahren kann die Antragstellerin nichts zu ihren Gunsten herleiten. Anders als der Senat hat das Landgericht Frankfurt am Main es in seiner Entscheidung - nach Vernehmung des Prokuristen der Antragstellerin - für den Verfügungsgrund ausreichen lassen, dass die Antragstellerin selbst nach den auf der Grundlage der Vernehmung getroffenen Feststellungen in eine existenzbedrohende Lage gerät (AS 3). Im Übrigen ersetzt die Vorlage von Entscheidungen in anderen Gerichtsverfahren aber auch den erforderlichen - glaubhaft zu machenden - Sachvortrag nicht. Da die Antragstellerin im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens bereits mehrfach durch das Landgericht auf den substantiellen Mangel in ihrem Sachvortrag hingewiesen worden ist, besteht für den Senat weder Anlass für einen weiteren Hinweis noch für eine mündliche Verhandlung.
263. Für die beantragte öffentliche Zustellung ist mit Blick auf die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde kein Raum, da die Anschrift der Antragsgegnerin bekannt und die Sache nicht eilbedürftig ist.
27Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, der Beschwerdewert entspricht den Angaben der Antragstellerin.