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Die Angeklagte wird wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen das Eigentum und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
4 (vier) Jahren
verurteilt. Im Übrigen wird die Angeklagte freigesprochen.
Soweit sie freigesprochen worden ist, werden die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse auferlegt. Im Übrigen trägt die Angeklagte die Kosten des Verfahrens.
Angewendete Vorschriften: § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1, § 171, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB, § 9 Abs. 1 VStGB
Gründe:
2Dem Urteil liegt keine Verständigung nach § 257c StPO zugrunde.
Die 00-jährige Angeklagte ist das zweite von acht gemeinsamen Kindern der Eheleute N1, die 1981 aus dem Libanon nach Deutschland kamen. Die Angeklagte hat zudem drei ältere Halbgeschwister väterlicherseits. Die Angeklagte besaß zunächst allein die libanesische Staatsangehörigkeit, bevor sie wie andere Familienmitglieder im Jahr 2001 in die Bundesrepublik Deutschland eingebürgert wurde. Ihr Vater war Kaufmann und betrieb ein Lebensmittelgeschäft, die Mutter war Hausfrau. Die Angeklagte wuchs in S3 auf, wo sie im Jahr 1997 eingeschult wurde. Im März 1999 zog die Familie nach F. Dort besuchte die Angeklagte fortan die Grund- und anschließend die Hauptschule, die sie im Jahr 2007 im Alter von 17 Jahren mit dem Hauptschulabschluss beendete.
4Die Angeklagte, die keine Berufsausbildung absolvierte und zwischenzeitlich als Reinigungskraft arbeitete, heiratete auf Wunsch ihrer Familie Ende des Jahres 2007 nach islamischem Ritus ihren ebenfalls aus dem Libanon stammenden Cousin B1 T3, mit dem sie in I. zusammenzog und den sie am 00.00.00 auch standesamtlich ehelichte. Aus der Beziehung gingen fünf Kinder hervor. Am 00.00.00 wurden der Sohn O., am 00.00.00 die Tochter S., am 00.00.00 und am 00.00.00 die weiteren Söhne B2 und Z. geboren. Die gemeinsame Tochter T4 kam am 00.00.00 in Syrien zur Welt. Bis zu ihrer Ausreise dorthin im Sommer 2015 war die Angeklagte weiter in l. wohnhaft, wo die Familie im Wesentlichen vom Einkommen des B1 T3 bei einem Telekommunikationsunternehmen und von Kindergeld lebte.
5Nach ihrer Rückkehr aus Syrien und der Türkei nahm die arbeitslose Angeklagte im Februar 2018 gemeinsam mit ihren Kindern zunächst Wohnung bei ihren Eltern. Seit April 2018 bewohnte sie sodann unter Bezug von Sozialleistungen eine eigene Wohnung in F. Aufgrund zweier Rückforderungsbescheide der Familienkassen Nordrhein-Westfalen Nord und Niedersachsen-Bremen wegen zu Unrecht erlangten Kindergeldes in der Zeit von August 2015 bis Mai 2016 sowie von Juni 2016 bis Juni 2017 – worin ihre Vorstrafen wurzeln – hat sie Schulden in Höhe von circa… Euro. Seit ihrer Verhaftung im Juli 2020 leben die Kinder der Eheleute T. bei den Eltern der Angeklagten.
6Die Angeklagte ist wie folgt rechtskräftig vorbestraft:
7Das Amtsgericht Essen verurteilte sie am 18. Februar 2019 wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15 Euro. Die Vollstreckung der Geldstrafe ist seit dem 16. Juli 2019 durch Zahlung vollständig erledigt. Am 10. Dezember 2019 verurteilte sie das Amtsgericht Bochum ebenfalls wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 15 Euro. Diese Geldstrafe ist seit dem 5. März 2021 durch Ratenzahlungen vollständig getilgt und damit vollstreckt.
8In dieser Sache ist die Angeklagte am 28. Juli 2020 verhaftet worden und befindet sich seither in Untersuchungshaft, in der sie bedingt durch die Corona-Pandemie insbesondere keinen persönlichen Besuch von ihren Kindern empfangen konnte.
Der „Islamische Staat“ ist eine von der islamischen Glaubensrichtung der Sunniten dominierte Organisation mit militant-fundamentalistischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen den eigenen Vorstellungen entsprechenden autoritären islamischen „Gottesstaat“ im Irak, in Syrien und in den Nachbarstaaten unter Überwindung nationalstaatlicher Grenzen zu etablieren und zu diesem Zweck unter anderem die schiitisch dominierte Regierung im Irak sowie das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. Zudem geht es der Organisation um die Eroberung Jerusalems und die physische Vernichtung der Schiiten und Alawiten sowie anderer Religionszugehöriger wie etwa der Jesiden. Teil des bewaffneten Kampfes der Vereinigung ist die Destabilisierung bestehender Ordnungen durch terroristische Anschläge. Wer sich den Ansprüchen der Organisation entgegensetzt, muss damit rechnen, verhaftet, gefoltert und getötet zu werden.
Der „Islamische Staat“, der diese Bezeichnung seit Juni 2014 führt, hat seine Wurzeln im Irak. Er entstand dort im Oktober 2006 unter der Bezeichnung „Islamischer Staat im Irak“ (ISI) aus der von Abu Musab az-Zarqawi gegründeten Gruppe „al-Qaida im Zweistromland“. Ihr Wirkungsgebiet beschränkte sich zunächst auf den Irak, wo sie, auch nach dem Tod az-Zarqawis im Juni 2006, Anschläge mit dem Ziel der Destabilisierung des irakischen Staates verübte. Nach dem Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak Ende 2011 erstarkte die Gruppe fortlaufend, wobei sie – nun unter dem Kommando von Abu Bakr al-Baghdadi – auch auf ihre zwischenzeitlich eingerichteten Stützpunkte in Syrien zurückgreifen konnte. Bei ihren Angriffen im Irak verübte der ISI in den Jahren 2012 und 2013 hunderte Anschläge mit Autobomben, denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen, und weitere acht zum Teil spektakuläre Angriffe auf irakische Gefängnisse, bei denen eine Vielzahl von Gefangenen befreit wurde, die sich der Organisation anschlossen.
11Um in den 2011 ausgebrochenen syrischen Bürgerkrieg eingreifen zu können, gründeten syrische Mitglieder des ISI auf Veranlassung al-Baghdadis die „Jabhat an-Nusra li-Ahl ash-Sham“ (Nusra-Front) als dessen syrische Teilgruppe. Ausgangspunkt für den Bürgerkrieg in Syrien waren die seit Februar 2011 aus sozialen und religiösen Gründen stattfindenden friedlichen Proteste gegen das von der religiösen Minderheit der Alawiten dominierte Regime des Präsidenten Baschar al-Assad in den überwiegend von Sunniten besiedelten Teilen des Landes, die sich nach gewaltsamer Unterdrückung durch die Regierung bis Ende des Jahres 2011 zu einem bewaffneten Aufstand entwickelten, der keiner zentralen Führung unterstand. Die Aufständischen bildeten örtliche Verbände, die auch nach Ausrufung der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA) im Juli 2011 nicht einheitlich kontrolliert wurden.
12Ab dem Jahr 2012 waren weite Teile Syriens von dem Aufstand erfasst. Es kam dabei auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den aufständischen Gruppen, die versuchten, die militärischen Stützpunkte der Regierung im Osten, Norden und im Zentrum des Landes einzunehmen. Im Verlauf des Bürgerkriegs erstarkten insbesondere islamistisch-salafistisch ausgerichtete Gruppen, darunter die Nusra-Front, die bis Ende 2012 zu einer der wichtigsten aufständischen Gruppierungen in Syrien geworden war. Im Jahr 2013 gelang es dem syrischen Regime seine Position zu konsolidieren. Es konnte Gebiete im Zentrum des Landes sowie die strategisch wichtige Stadt Kusseir zurückerobern, Versorgungswege sichern und die Rebellen zurückdrängen, wobei ab August 2013 auch chemische Waffen eingesetzt wurden.
13Der Nusra-Front gelang es ab 2012 durch aufsehenerregende Anschläge schnell Bekanntheit und damit Zulauf zu gewinnen. Sie profitierte zudem von der Schwäche gemäßigterer Kräfte wie der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) und stand zu dieser Zeit bei vielen Syrern in dem Ruf, als eine von wenigen Gruppen eine effektive Verteidigung gegen die Soldaten Assads gewährleisten zu können. Angesichts der ständig größer werdenden Stärke und Bedeutung der Nusra-Front und um die Kontrolle über sie zu sichern, rief al-Baghdadi am 8. April 2013 den „Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) aus, der aus beiden Gruppen, dem ISI und der Nusra-Front, bestehen sollte, wobei die Nusra-Front als „verlängerter Arm“ des ISI dargestellt wurde. Deren Befehlshaber Abu Muhammad al-Jaulani lehnte eine Unterstellung unter al-Baghdadis Kommando indes ab und schwor Aiman az-Zawahiri, dem Nachfolger Bin Ladens als al-Qaida-Führer, Gefolgschaft. Einen Vermittlungsversuch az-Zawahiris, wonach beide Gruppen in ihren jeweiligen Kernländern unabhängig voneinander und unter der Oberherrschaft der Al-Qaida-Zentrale operieren sollten, lehnte al-Baghdadi seinerseits ab. Stattdessen übernahm der ISIG im Frühsommer 2013 mit ehemaligen, zu ihm übergelaufenen Truppen der Nusra-Front eine Reihe von deren Stützpunkten im Norden und Osten Syriens. Der ISIG warb um Kämpfer aus anderen Organisationen; zum Teil schlossen sich solche Organisationen, wie etwa im Sommer 2013 die „Jaish al-Muhajirin wa-l-Ansar“, insgesamt dem ISIG an.
14Im März 2013 gelang dem ISIG (gemeinsam mit den Ahrar ash-Sham) die Einnahme der Provinzhauptstadt Raqqa am mittleren Euphrat. Im Frühjahr 2014 geriet der ISIG zwar zunächst in die Defensive, konnte sich aber im Osten der Provinz Aleppo – dort unter dem Befehl des „Gouverneurs“ von Aleppo, Abu Athir – sowie in dem Gebiet von Raqqa halten. Bereits im Sommer 2014 gelang es dem ISIG, den Rückzug zu stoppen und erneut in die Offensive überzugehen. Grund hierfür war eine mit starkem Zulauf an (auch ausländischen) Rekruten verbundene Stärkung der Organisation durch Erfolge im Irak; so konnten deren Kämpfer im Juni 2014 Mossul, die zweitgrößte Stadt des Landes, einnehmen. Daraufhin proklamierte die Organisation – nunmehr ohne räumliche Beschränkung in ihrer Bezeichnung – den „Islamischen Staat“ (IS) und rief al-Baghdadi zum Kalifen aus. Eine anschließende, gegen die Nusra-Front und die syrische Armee gerichtete Offensive brachte dem IS große Geländegewinne in Syrien, sodass er ab Juni/Juli 2014 ein zusammenhängendes Gebiet in Ostsyrien sowie dem Nordwestirak kontrollierte, in dem er versuchte, staatsähnliche Strukturen zu errichten. Die Anzahl der Kämpfer war bereits im Jahr 2013 auf rund 10.000 bis 20.000 Mann angewachsen und nahm bis Anfang 2016 auf etwa 20.000 bis 30.000 zu.
15Die Erfolge des IS hatten die US-Regierung und ihre europäischen und arabischen Verbündeten zu verstärkten Luftangriffen auf dessen Stellungen und Nachschublinien zunächst im Irak und ab September 2014 auch in Syrien veranlasst. Zudem unterstützten die USA und einige ihrer Verbündeten die Kämpfer der kurdischen PYD, wodurch die Eroberung der an der türkisch-syrischen Grenze gelegenen Stadt Kobani durch den IS im Januar 2015 verhindert werden konnte. In der Folge geriet der IS durch Luftangriffe sowie offensive Operationen der nach Westen Richtung Euphrat und Raqqa vorrückenden Kurden militärisch zunehmend unter Druck. Gleichwohl gelang es ihm, im Mai 2015 die Städte Ramadi im Irak und Palmyra in Syrien einzunehmen, wobei es sodann irakischen Truppen gelang, den IS zurückzudrängen und die Städte Tikrit und Ramadi zurückzuerobern.
16Im Juli 2017 nahm die irakische Armee mit ihren Verbündeten die IS-Hauptstadt Mossul ein. Im Oktober 2017 vertrieben die syrischen Kurden mithilfe des US-Militärs den IS aus Raqqa, der bereits im Februar 2017 mit einem Abzug seiner Kräfte in Richtung Mayadin begonnen hatte. Infolge der Niederlagen des IS gingen auch die meisten neu aufgebauten quasistaatlichen Strukturen verloren, die Verluste an Kämpfern waren sehr hoch und Rekruten und ihre Familien flohen aus dem IS-Gebiet. Von Herbst 2017 bis März 2019 konzentrierte sich der IS mit letzten – vor allem im Bereich des mittleren Euphrats und im Südosten von Deir ez-Zor und der in diesem Gouvernement liegenden Kleinstadt Mayadin – erbittert kämpfenden Truppen auf die Verzögerung der Kapitulation. Am 14. Oktober 2017 wurde die Stadt Mayadin, die u. a. im Mai 2017 Ziel von Luftangriffen wurde, nach einer auch von der russischen Luftwaffe unterstützten Offensive durch die syrische Armee zurückerobert. Nach einem weiteren Rückzug zur irakischen Grenze fiel im März 2019 der letzte Zufluchtsort des IS in Baghuz, der seitdem, vornehmlich im Irak, wieder im Untergrund tätig ist.
Führer des hierarchisch gegliederten IS war wie erwähnt Abu Bakr al-Baghdadi, der die ideologische Ausrichtung vorgab. Bereits vor der Ausrufung des „Kalifats“ im Juni 2014 wurde er von seinen Gefolgsleuten als „Befehlshaber der Gläubigen“ bezeichnet; seit diesem Zeitpunkt kam der universelle, über das Gebiet des Irak und Syrien hinausgehende Herrschaftsanspruch in der Bezeichnung „Kalif“ zum Ausdruck. Al-Baghdadi führte die Organisation strikt autoritär; Widerstand wurde gewaltsam unterdrückt. So kam es etwa im Sommer 2010 zu internen Säuberungsaktionen.
18Al-Baghdadi stand ein kleiner Kreis von Führungspersonen zur Seite, darunter je ein Militärkommandeur für den Irak und für Syrien. Daneben bestand – als formal höchstes Entscheidungsorgan – ein Schura- oder Konsultationsrat, in dem bis zu 12 Anführer des IS vertreten waren. Hierzu zählten die Militärkommandeure, weiterhin die für verschiedene Arbeitsbereiche der Organisation Verantwortlichen sowie besonders prominente Provinzgouverneure. Aufgabe des Rates war, neben der Beratung für die Organisation besonders wichtiger Fragen, die Entscheidung über die Nachfolge des Kalifen. Unterhalb des Rates bestanden sechs Komitees („Ministerien“), die sich mit religiösen Angelegenheiten, Militär, Sicherheit und Nachrichtengewinnung, Finanzen, Aufsicht über die Provinzen sowie Medienarbeit befassten.
19Den einzelnen Provinzen, die der IS beherrschte, standen „Gouverneure“ vor, die von al-Baghdadi ernannt wurden. Zum Teil handelte es sich um bewährte Feldkommandeure, die zuvor die militärischen Einheiten des IS befehligt hatten. Daneben gab es eine zumindest rudimentäre Verwaltung, in der über einen oder mehrere Scharia-Verantwortliche und entsprechende Gerichte die Einhaltung des islamischen Rechts sichergestellt werden sollte. Die Befolgung religiöser Regeln überwachte in den eroberten Städten zudem eine Religionspolizei, die „Verfehlungen“ mit zum Teil drakonischen Strafen ahndete. Daneben bestand eine Geheimpolizei, die dem Komitee für Sicherheit und Nachrichtengewinnung unterstand, deren Mitglieder vor Ort hingegen von einem Befehlshaber der jeweiligen Provinz kommandiert wurden. In den eroberten Gebieten existierte zudem eine örtliche Liegenschaftsverwaltung des IS, die freien Wohnraum erfasste und Mitgliedern der Vereinigung zuwies.
20Auf der untersten Stufe der Hierarchie des IS standen die Kämpfer. Der IS verlangte von seinen männlichen Mitgliedern regelmäßig die Absolvierung einer militärischen Ausbildung in speziellen Ausbildungslagern (arabisch: mu’askar). Nach der Absolvierung der Grundausbildung erfolgten die Zuteilung der IS-Rekruten zu einer Kampfeinheit („Katiba“), der jeweils ein lokal zuständiger Führer vorstand, und die Ausstattung mit einem Sturmgewehr, üblicherweise einer AK 47 nebst Munition. Der IS zahlte – soweit es die Finanzlage zuließ – einen monatlichen Sold. Die Organisation finanzierte sich durch den Verkauf von Öl, lokale Steuern und Schutzgelder, Kriegsbeute, Lösegelder sowie Spenden aus dem Ausland.
Der IS strebt – wie bereits seine Vorgängerorganisationen – die Errichtung eines fundamental-islamisch geprägten Staates auf der Grundlage der Scharia an. Hierzu sollen bestehende Staaten aufgelöst, Israel beseitigt und Jerusalem „befreit“ werden. Daneben sieht die sunnitische Organisation den Kampf gegen die Schiiten, die als „Abtrünnige“ bezeichnet und deren Gotteshäuser zerstört werden, und – in Syrien – gegen die Alawiten als eine ihrer Hauptaufgaben an. Der Hass gegen Andersgläubige beschränkt sich jedoch nicht auf diese Gruppen. Ihm waren insbesondere auch die Jesiden ausgesetzt, als der IS deren Dörfer in der Region um das Sinjar-Gebirge in der Nacht vom 2. auf den 3. August 2014 mit hunderten schwer bewaffneten Kämpfern angriff. Hundertausende Jesiden konnten fliehen, tausende gerieten aber in die Gewalt des IS. Viele Männer wurden sofort getötet, die Frauen und Mädchen versklavt.
22Neben offenen militärischen Operationen zur Eroberung von Gebieten setzt der IS die Begehung terroristischer Anschläge zur Durchsetzung seiner Ziele ein. Dadurch sollten nicht allein die bestehenden Herrschaftsstrukturen im Irak und in Syrien destabilisiert, sondern auch Aufsehen erregt und dadurch mittelbar neue Anhänger gewonnen werden. Im Irak ging die Organisation als dort stärkste aufständische Kraft unmittelbar gegen die Regierung vor, während sie sich in Syrien zunächst vornehmlich auf die Bekämpfung anderer Rebellengruppen und die Übernahme der von diesen eingenommenen Gebieten beschränkte. Allerdings gab es auch dort – gegen das Assad-Regime gerichtete – gemeinsame Operationen mit anderen Rebellengruppen, etwa eine große Offensive gegen alawitische Dörfer im Küstengebirge im August 2013, bei der es (zumindest auch) durch die Kämpfer des IS zu Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung kam.
23Der IS verübte Anschläge typischerweise mit Autobomben, indem ein oder in vielen Fällen zeitgleich mehrere Selbstmordattentäter mit Sprengstoff beladene Fahrzeuge möglichst nahe an ein Ziel fuhren und dort zur Detonation brachten. Bei hunderten solcher Attentate des IS und seiner Vorgängerorganisationen kamen zwischen 2003 und 2014 vor allem im Irak zahlreiche Menschen zu Tode. Insbesondere in Syrien gehörte die gezielte Ermordung von Anführern und prominenten Mitgliedern anderer Gruppierungen zur Taktik des IS. So ermordeten Attentäter der Organisation etwa im April 2014 in Idlib den Nusra-Front-Kommandanten Abu Mohammad al-Ansari sowie dessen Frau und Tochter. Darüber hinaus ist der IS seit Juni 2015 dazu übergegangen, Anschläge auch außerhalb des Bürgerkriegsgebietes zu begehen, etwa am 31. Oktober 2015 auf eine russische Passagiermaschine (224 Tote) und am 13. November 2015 unter anderem auf den Club Bataclan in Paris (130 Tote). Am 12. Januar 2016 tötete ein Selbstmordattentäter des IS unter anderem 11 deutsche Touristen in der Türkei, am 14. Juli 2016 und 19. Dezember 2016 kam es zu Anschlägen auf die Promenade des Anglais in Nizza (84 Tote) und auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin (12 Tote) mithilfe von Lastkraftwagen.
24Der IS nutzt ebenso wie zuvor der ISIG als Erkennungszeichen in Anlehnung an das Logo der irakischen al-Qaida den weißen Kufi-Schriftzug „Es gibt keinen Gott außer Gott“ in arabischer Sprache und darunter das Mohammed zugeschriebene weiße „Prophetensiegel“ mit den arabischen Worten für „Gott, Prophet, Mohammed“ auf schwarzem Grund, teils ergänzt um den Organisationsnamen. Er betreibt eine mehrsprachige Öffentlichkeitsarbeit mit modernen Mitteln, insbesondere durch eigene Medienstellen. Dabei geht es ihm darum, Macht zu demonstrieren und Gegner einzuschüchtern, Anhänger zu rekrutieren sowie den Anspruch auf eine eigene Staatlichkeit zu unterstreichen. Zu diesem Zweck veröffentlichte er im Internet unzählige Videos mit brutalen Hinrichtungen, bei denen Opfern vor laufender Kamera zum Beispiel die Kehle durchgeschnitten und der Kopf abgetrennt wurde. Andere Aufnahmen, die vornehmlich über das Internet verbreitet wurden, zeigen Massenhinrichtungen syrischer oder irakischer Soldaten, die von Kämpfern des IS durch Kopfschüsse getötet wurden. Daneben war die Organisation bestrebt, den Eindruck eines von ihr errichteten funktionierenden Staatswesens zu erwecken. Hierzu veröffentlichte sie Tätigkeitsberichte aus den von ihr beherrschten Provinzen und Bilder ihrer selbsterklärten „staatlichen“ Einrichtungen, etwa von Gerichten.
Die Angeklagte befürwortete eine salafistisch-jihadistische Auslegung des Islam und die Ziele des IS. Sie reiste – womit sie sich im Interesse des gemeinsamen Zusammenlebens dem Wunsch ihres bereits am 30. April 2015 aus Deutschland über die Türkei zum IS in Syrien ausgereisten Ehemanns B1 T3 beugte – aus einem freiwilligen Entschluss heraus am 15. August 2015 mit ihren vier minderjährigen Kindern O., S., B2 und Z. (zu deren Geburtsdaten oben I.) von Hannover mit dem Flug um 03.15 Uhr nach Antalya/Türkei und von dort aus weiter nach Adana. Am nächsten Tag gelangte sie mithilfe von Schleusern nach Syrien. Am 17. August 2015 verbrachte ihr Ehemann, der sich dem IS als Mitglied angeschlossen hatte, sie und die gemeinsamen Kinder in das Herrschaftsgebiet der terroristischen Vereinigung nach Raqqa. Die Angeklagte hatte ihrer Herkunftsfamilie die mit ihrem Ehemann verabredete Ausreise verschwiegen. Sie handelte in der Absicht, gemäß dessen Wunsch zu ihm zu gelangen und sich ebenso dem IS anzuschließen, um sich – zugleich auch durch den Zuzug der Kinder – an der Ausbreitung und Verfestigung eines religiös-fundamentalistischen islamischen Staates zu beteiligen.
aa) Die Angeklagte wurde von ihrem Ehemann B1 T3 auf syrischem Gebiet – aus Gründen der Vorsicht erst einen Tag nach Grenzübertritt – empfangen. Beide begaben sich mit ihren vier Kindern zum Wohnort von B1 T3 in Raqqa. B1 T3 war in Deutschland seit 2012 erster Vorsitzender und ab 2014 Kassenwart des im Jahr 2017 verbotenen, die Ziele und die Ideologie des IS stützenden Vereins E1 und enger Vertrauter des gesondert verfolgten Abdullah („Abu Walaa“) gewesen, dem hauptamtlichen Imam der zugehörigen Moschee. Im Zuge dieser Tätigkeit reifte in B1 T3 der Entschluss, im „Kalifat“ des IS leben und für diesen tätig werden zu wollen. Seine Ausreise Ende April 2015 bereitete er auch durch den Verkauf einer Eigentumswohnung zum Preis von 50.000 Euro vor. Über das Bargeld verfügte er in Syrien. Dort war er nach einer militärischen und religiösen Schulung beim IS für die Vereinigung in hervorgehobener Stellung tätig: Er fungierte als Ansprechpartner ausländischer zureisewilliger Kämpfer – insbesondere aus Deutschland – bei Einschleusungen und war in der Waffenbeschaffung tätig, übte aber auch eine Woche Wachdienst in Homs aus. Zudem nahm er im November 2015 auf besonderen eigenen Wunsch an einem etwa einwöchigen Kampfeinsatz teil. Er arbeitete ferner bei der „Zakatstelle“, die die islamische Bedürftigenabgabe verwaltete, und fertigte für den IS Übersetzungen an. Er verfügte in Raqqa über enge Verbindungen zu einem Emir, aufgrund derer er Einfluss auf Versetzungsgesuche von IS-Angehörigen nehmen konnte. Dies tat er etwa zugunsten des mit ihm bekannten IS‑Mitglieds P. H1, sodass dieser wunschgemäß vom IS Ende Februar 2016 aus dem Irak nach Raqqa verlegt wurde. B1 T3 leistete nach dem Umzug der Familie nach Mayadin auch dort mindestens einen Wachdienst für den IS und setzte im Übrigen seine Tätigkeiten als dessen Funktionär im gesamten die Angeklagte betreffenden Tatzeitraum fort, in dem er auch über ein Sturmgewehr vom Typ AK-47 verfügte. Nach der Rückkehr der Angeklagten in die Bundesrepublik Anfang 2018 erwies er sich als einer der treuesten Gefolgsleute des IS, die sich erst Ende März 2019 in Baghuz den Kräften der „Syrian Democratic Forces“ (SDF) ergaben.
27bb) Am 17. August 2015 in Raqqa angekommen gliederte sich neben ihrem Ehemann auch die Angeklagte in den IS ein, deren Ankunft und Tätigwerden zugunsten der Organisation die zuständigen Führungskader billigten. Sie führte fortan zu Hause alleine den begründeten gemeinsamen Haushalt und betreute die vier minderjährigen Kinder, was B1 T3 die Erfüllung seiner Aufgaben für die Vereinigung erleichterte. Die Angeklagte war auch für die Bewirtung von IS-Mitgliedern zuständig, die ihren Ehemann in Angelegenheiten der Organisation aufsuchten. So besuchten fünf ebenfalls dem Umfeld des E1 zuzurechnende IS-Mitglieder die Familienwohnung am 4. Dezember 2015. Derartige Treffen hatten keinen rein privaten Charakter, sondern dienten – wie der Angeklagten klar war – auch der Festigung des Zusammenhalts im IS und der Klärung organisationsbezogener Fragen.
28Ab etwa Ende September 2015 nahm die Angeklagte an einem circa einmonatigen Religionskurs des IS in Glaubenslehre sowie islamischer Pflichtlehre in Raqqa teil. Mit ihrer Anwesenheit stärkte sie bewusst die Machtstrukturen des IS in Form der eigenen ideologischen Schulung sowie der Förderung des Zusammenhalts unter den Teilnehmerinnen. Die Abschlussprüfung bestand sie jedoch nicht. Nachdem sie zwischenzeitlich zumindest auch im Dezember 2015 die Schule besucht hatte, schloss sie den Kurs am 2. November 2016 erfolgreich mit der Note „gut“ (80%) ab.
29Sie übernahm darüber hinaus im Interesse des IS die Betreuung von Frauen in dessen Herrschaftsgebiet, deren organisationszugehörige Ehemänner (nach islamischem Ritus) sich etwa in der militärischen Ausbildung oder bei Kampfeinsätzen befanden. Mit der Aufnahme dieser Frauen und ihrer Bereitschaft hierzu förderte die Angeklagte – wie sie wusste – auch die Rolle ihres Ehemanns als Vermittler und Ansprechpartner für zugereiste IS-Kämpfer, die hierdurch wunschgemäß die Unterbringung ihrer Frauen in einem Frauenhaus des IS vermeiden konnten. So lebte auf Geheiß von B1 T3 die deutsche Staatsangehörige N2 N3 zumindest zwischen September und November 2015 für einige Wochen bei der Angeklagten, während ihr Ehemann P. H1 ein Trainingslager des IS durchlief. Gleiches gilt in dieser Zeit für eine weitere nicht identifizierte Frau eines anderen IS-Kämpfers. Später beherbergte die Angeklagte zudem die Ehefrauen der beiden IS-Mitglieder Z1 und P1 E., B3 L2 und T5 B4 (sog. T6-Frauen), zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt in Raqqa, bis diese über eigene Wohnungen vor Ort verfügten. Dieselben Frauen konnten darüber hinaus im Herbst 2017 in einem Haus im ostsyrischen Hajin mit Einverständnis der Angeklagten weiter zusammen mit der Familie T. wohnen, nachdem ihre Männer am 26. Oktober 2017 durch einen Raketenangriff verstarben. Etwa einen Monat danach verließen die „T6-Frauen“ mithilfe von Schleusern Syrien.
30cc) Für seine Tätigkeit bei der Vereinigung erhielt B1 T3 aufgrund des vom IS festgelegten Bezahlsystems eine monatliche Alimentation in Höhe von rund 250 US-Dollar. Bei deren Bemessung fand die Anwesenheit der Angeklagten und der gemeinsamen Kinder Berücksichtigung. Aufgrund von finanziellen Problemen der Organisation kam der Sold aber zumindest seit Anfang 2017 nicht mehr zur Auszahlung. Darüber hinaus war die medizinische Versorgung kostenlos.
aa) Die Angeklagte bezog in Raqqa mit ihrer Familie spätestens Anfang September 2015 eine Wohnung, die B1 T3 von der Liegenschaftsverwaltung des IS für sich und seine Angehörigen zugewiesen worden war. Diese Wohnung, die sich in der Nähe der Al-Shuhada Moschee befand, bewohnten sie gemeinsam bis Ende Februar 2017 (Fall 2). Die Vereinigung hatte diese Immobilie als Kriegsbeute vereinnahmt und ihrer Immobilienverwaltung unterworfen, nachdem die Eigentümer oder sonstigen Berechtigten (Privatpersonen oder Repräsentanten des syrischen Staates) sie infolge der Eroberung der Stadt durch den IS zurückgelassen hatten. Die Zuweisung erbeuteter Wohnungen an seine Mitglieder diente der Festigung der Gebietsansprüche des IS und sollte zudem die Rückeroberung der Gebiete erschweren. Miete hatten die Angeklagte und ihr Ehemann für die Nutzung der Wohnung nicht zu entrichten, sie wurde ihnen vom IS unentgeltlich überlassen. Die Angeklagte wusste dies. Ihr war überdies klar, dass die Berechtigten die Verfügungsgewalt über die von ihr bewohnte Wohnung nur aufgrund der Einnahme der Stadt durch den IS verloren hatten.
32bb) Ende Februar 2017 begaben sich die Angeklagte, ihr Ehemann und die gemeinsamen Kinder auf Geheiß des IS wegen dessen militärischer Bedrängnis von Raqqa aus in ein Dorf in die Nähe von Mayadin. Dort blieben sie nur kurz, bevor sie Anfang März 2017 eine Wohnung in der Stadt Mayadin bezogen. Es war nicht auszuschließen, dass B1 T3 diese Immobilie, die in der innerstädtischen Arba’in Straße in der Nähe der Uthman Ibn Affan Moschee belegen war (Fall 3), von einem Einheimischen angemietet hatte. Diesen Wohnsitz musste die Familie aufgrund der militärischen Lage Mitte September 2017 aufgeben und nach Hajin/Syrien in der Nähe der irakischen Grenze flüchten, wo sie sich gemeinsam mit den – wenig später getöteten – Gebrüdern E und deren Frauen ein Haus verschafften.
aa) Die Angeklagte war sich bei ihrer Ausreise aus Deutschland im August 2015 unter Mitnahme ihrer Kinder des Umstands bewusst, dass in Syrien ein Bürgerkrieg herrschte und dass es in den vom IS eroberten Teilen des Landes zu Luftangriffen oder sonstigen Kampfhandlungen in räumlicher Nähe zu ihrer Familie kommen könnte. Sie rechnete daher angesichts ihres beabsichtigten Anschlusses an den IS damit, dass die Kinder Kriegsgeschehen und -folgen miterleben könnten. Die von ihr erkannten erheblichen Gefahren, die hiermit etwa in Form von drohenden körperlichen und seelischen Schäden für die Kinder einhergingen, nahm sie jedoch zugunsten der erstrebten Auswanderung in das IS-Gebiet billigend in Kauf. Infolge ihres dortigen Aufenthalts trat sodann für die vier Kinder mit Wissen und Wollen der Angeklagten die konkrete Gefahr ein, in ihrer körperlichen und seelischen Entwicklung infolge von (ungezielten) Einwirkungen durch Kampfhandlungen und durch Traumatisierungen beträchtlichen Schaden zu erleiden. Sie erlebten zumindest in Raqqa und in Mayadin eine Vielzahl von Luftschlägen mit, unter anderem die starken Bombenangriffen auf Raqqa im November 2015 durch Frankreich und Russland nach den Anschlägen des IS in Paris und auf eine russische Passagiermaschine in Ägypten. In Mayadin erfolgte etwa nahe der Familienwohnung Ende Mai 2017 eine nächtliche Bombenexplosion, durch die über einhundert Personen verstarben. Zudem war die Stadt seit Mitte 2017 Artilleriebeschuss ausgesetzt. Auch im September 2017 kam es zu umfangreichen Luftangriffen auf Mayadin, als sich die Angeklagte und ihre Kinder noch in der Stadt aufhielten.
34bb) Darüber hinaus erzogen die Eheleute T. ihre vier Kinder im Sinne der radikal-islamistischen Lehre des IS, wodurch die Angeklagte die Entwicklungsgefährdung der Kinder bewusst und gewollt vertiefte. O. und S. T., die zunächst kurz auf einer IS-Schule war, besuchten in Raqqa nach dem Opferfest Ende September 2015 im Einvernehmen beider Eltern eine kostenpflichtige Privatschule, deren Lehrinhalte der IS guthieß. O. ging darüber hinaus mehrmals die Woche in die Moschee zum Koranunterricht, den dort ein IS‑Angehöriger erteilte. Vor dem Wegzug der Familie T. aus Raqqa schlossen die Schulen aus Sicherheitsgründen, wurden jedoch bis mindestens Ende Oktober 2016 betrieben. Die jüngeren Söhne der Angeklagten besuchten in Raqqa gelegentlich den Kindergarten. O. T. nahm schließlich auch in Mayadin im Jahr 2017 in einer Moschee an Koranunterricht im Sinne des IS teil; ein Schulbesuch der Kinder war für diese Zeit nicht festzustellen.
35cc) Da der Angeklagten die Situation für sich und ihre Kinder aufgrund der starken Gebietsverluste des IS und der erlebten Angriffe immer gefährlicher wurde, erwog B1 T3 ab Ende August 2017, ihre Ausreise aus Syrien zu organisieren. Nach dem Aufenthalt in der ostsyrischen Region Hajin, wo die Angeklagte am 13. Oktober 2017 die Tochter T4 gebar, verließ sie gemeinsam mit ihren nunmehr fünf Kindern schließlich am 6. Dezember 2017 das Herrschaftsgebiet des IS, um sich mit dem Einverständnis ihres Ehemanns in die Türkei zu begeben.
Nach Zwischenaufenthalten in Raqqa, das nunmehr unter kurdischer Verwaltung stand und wo sie bei Syrern lebte, und in Idlib gelang der Angeklagten am 3. Januar 2018 unter Einschaltung und Bezahlung von Schleusern die Flucht in die Türkei. Bei einem früheren Grenzübertritt einige Tage zuvor blieb einer der Schleuser mit ihrer jüngsten Tochter T4 in Syrien zurück; zudem hatte ein Schleuser die Angeklagte gegen deren Willen geküsst und an intimen Stellen berührt. Nach einem ca. sechsstündigen Verbleib im Gewahrsam türkischer Grenzposten kehrte die Angeklagte mit ihren weiteren Kindern aus der Türkei nach Syrien zurück, um zu ihrer Tochter T4 zu gelangen. Im Anschluss an die sodann erfolgte erneute Ausreise aus Syrien wollte sich die Angeklagte zunächst dauerhaft in Mersin/Türkei niederlassen. Da eine Anmeldung bei den dortigen Meldebehörden mit den von den Schleusern gefertigten gefälschten Dokumenten misslang, entschied sich die Angeklagte gegen den Willen ihres Ehemanns, nach Deutschland zurückzukehren. Sie nahm Kontakt zur Deutschen Botschaft in Ankara auf und organisierte die Weiterreise in die Bundesrepublik Deutschland. Da zunächst nur für vier Kinder Passersatzpapiere ausgestellt werden konnten, wurden O., S., B2 und Z. T. am 6. Februar 2018 von den Großeltern nach Deutschland gebracht. Die Angeklagte reiste gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter T4 am 23. Februar 2018 über den Flughafen Düsseldorf in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ab Januar 2018 hatte die Angeklagte fünf Monate lang wegen des Streits über ihre Rückkehr nach Deutschland keinen Kontakt zu ihrem Ehemann, der ihr gegenüber einmalig die Scheidung nach islamischem Recht aussprach, nahm sodann aber die Kommunikation und Beziehung zu ihm wieder auf.
37Unter Betreuung durch das Hilfsnetzwerk „Grenzgänger“ ließ die Angeklagte ihre Kinder in Deutschland auch an Gemeinschaftsveranstaltungen wie Geburtstags- oder Weihnachtsfeiern teilnehmen. Dem salafistischen Islam hing sie indes weiterhin an. Bis zur Niederlage des IS in Baghuz im März 2019 stand sie in Kontakt zu ihrem ohnehin kampfentschlossenen Ehemann, den sie bis kurz vor Ende der Kampfhandlungen zum Durchhalten anhielt. Am 24. März 2019 ergab sich B1 T3 mit seiner Gruppe des IS. Seither hat auch die Angeklagte keinen Kontakt zu ihrem verschollenen Ehemann. In dem Verfahren gegen den Bruder S1 P2 ihres Ehemanns vor dem Oberlandesgericht Celle sagte die zeugnisverweigerungsberechtigte Angeklagte nicht aus, gestattete aber die Verwertung ihrer hiesigen Einlassung.
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen ergeben sich, soweit sie den schulischen und beruflichen Werdegang sowie die familiären Verhältnisse betreffen, insbesondere aus den hierzu erfolgten glaubhaften Angaben der Angeklagten. Diese werden durch die eingeführten Urkunden – wie etwa Geburtsurkunden der Kinder – bestätigt und teilweise ergänzt. Ihre Vorstrafen waren der Auskunft aus dem Bundeszentralregister und den rechtskräftigen Strafbefehlen zu entnehmen, der Vollstreckungsstand ist ebenfalls jeweils urkundlich belegt.
aa) Die Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung zunächst mithilfe einer von ihren Verteidigern vorbereiteten und verlesenen Erklärung eingelassen, jedoch auch Nachfragen des Senats und des Generalbundesanwalts beantwortet. Zusammengefasst hat sie im Wesentlichen Folgendes zur Sache angegeben:
40Kurz vor der Geburt S.´s habe sie erstmals aus kulturellen Gründen ein Kopftuch getragen. Ihr Ehemann sei von Anfang an (ab 2012) beim E1 sehr stark engagiert gewesen und habe unter anderem Hilfsgüter nach Syrien gefahren. Im März 2015 habe er ihr zu ihrem Verdruss eröffnet, alleine in der Türkei Urlaub machen zu wollen. Über seine tatsächlichen Absichten habe er sie im Unklaren gelassen. Nach anfänglichem Telefonkontakt aus der Türkei habe ihr Mann ihr mitgeteilt, jetzt an der syrischen Grenze zu sein und sich drei Monate lang nicht mehr zu melden. Sie sei fassungslos gewesen. Über irgendwelche Konflikte in Syrien habe sie damals nichts gewusst, vom IS noch nie gehört. Sie sei davon ausgegangen, dass er in Syrien sei. Nach drei Monaten habe ihr Mann sie über einen Messenger-Dienst kontaktiert und mitgeteilt, dass sie und die Kinder zu ihm kommen sollen. Er habe gesagt, er arbeite bei einer Behörde, es sei dort sehr schön und ihnen werde es gutgehen. In den drei Monaten ohne Kontakt habe sie sich natürlich ein wenig damit befasst und erfahren, dass es in Syrien auch Kriegsgebiete gebe. Ihr Mann habe ihr aber auf ihre entsprechende Nachfrage hin gesagt, wo er sei, gebe es keinen Krieg. Sie habe nicht einmal gewusst, ob er sich für die Opposition oder das Regime engagiere.
41Sie habe sich dann schweren Herzens bereit erklärt, zu ihrem Mann zu reisen, sich die Gegebenheiten vor Ort einmal anzusehen und – dies sei Bedingung gewesen – nach kurzer Zeit wieder zurückzukehren. Ihr Mann habe ihr gesagt, eine Ersatzkarte für ihr Girokonto zu machen, damit sein Bruder S1 P2 darauf zugreifen könne. Dieser sei daher mit ihr bei der Sparkasse gewesen. Mitgegangen sei nur noch dessen Frau. S1 P2 habe sie ferner mit dem weiteren Bruder L3 P2 ihres Ehemanns im Auto zum Flughafen begleitet; einer der beiden sei gefahren. S1 P2 habe von ihrem Ehemann gewusst, dass er sie zum Flughafen fahren solle. Eine Nachfrage, ob sie jenen während des dreimonatigen Kontaktabbruchs zu ihrem Ehemann darauf angesprochen habe, was dieser denn da jetzt mache, verneinte die Angeklagte. Sie wisse es nicht, könne sich jedoch nicht vorstellen, dass S1 P2 gewusst habe, dass B1 T3 zum IS gegangen sei. Aber sie wisse, dass ihr Mann, als er ihr die Buchungen von Tickets in die Türkei geschickt habe, dann erst seinen Brüdern Bescheid gesagt habe; aber die hätten das ja dann auch bestimmt von der Moschee mitbekommen; sie wisse es nicht. Sie und die Kinder seien von Antalya nach Adana weitergeflogen und hätten schließlich zu Fuß die syrische Grenze überquert, dann seien ihnen die Pässe abgenommen worden. Einen Tag sei sie im Frauenhaus gewesen. Am nächsten Tag sei sie ihrem Mann übergeben worden, der sie und die Kinder mit dem Auto nach Raqqa gebracht habe. Einige Tage hätten sie im Hotel verbracht, dann seien sie in eine Wohnung mit gekauften Möbeln gezogen. Sie seien umgezogen, nachdem ein IS-Mitglied die Wohnung für sich eingefordert gehabt habe. Das Gespräch zwischen ihm und ihrem Mann an der Wohnungstür habe sie mitbekommen. Sie sei davon ausgegangen, ihr Mann habe von dem aus Deutschland mitgenommenen Geld (50.000 Euro) Miete bezahlt.
42Ihr Mann habe ihr nach ihrer Ankunft gesagt, dass sie Deutschland vergessen könne, was sie ihm zunächst nicht geglaubt habe. Ihr Mann habe sich darum gekümmert, die Kinder in der Schule anzumelden. Nach ihrer Ankunft sei es sehr ruhig gewesen. O. und S. – diese im Anschluss an den zweitägigen Besuch einer ihr, der Angeklagten, zu strengen IS-Schule – seien nach einiger Zeit auf eine kostenpflichtige Privatschule gegangen. Dort hätten sie normalen Unterricht und gemäßigten Religionsunterricht, der sich in die anderen Schulfächer eingegliedert habe, bekommen. O. habe darüber hinaus noch – wie im Orient üblich – die Koranschule besucht. Einige Male seien ihre jüngsten Kinder in Raqqa in einem Kindergarten betreut worden. In Mayadin habe O. nur die Moschee zum Unterricht besucht.
43Ihr Ehemann sei beim IS an verschiedenen, wechselnden Stellen tätig gewesen. Er sei zuständig gewesen für Auswanderer, die etwa aus dem Irak nach Syrien hätten wechseln wollen, bei Einschleusungen und aufgrund seiner Kenntnisse der deutschen, englischen und arabischen Sprache auch für Übersetzungen. Zudem sei er in der Zakatstelle und – so glaube sie – auch in der Waffenverwaltung tätig gewesen. Er habe während der Zeit in Raqqa einen Wachdienst absolviert und auf eigenen Wunsch auch an einem Kampfeinsatz teilgenommen; beide Male sei er circa zehn Tage ortsabwesend gewesen. In Mayadin sei er ebenfalls im Wachdienst gewesen.
44Ihre Aufgabe habe darin bestanden, wie in Deutschland die Kinder zu betreuen und den Haushalt zu führen. Im Herbst 2015 habe N2 N3 eine Zeit lang bei ihnen gewohnt, als ihr Mann im Trainingslager gewesen sei. Zudem seien die Frauen der Gebrüder E. („T6-Frauen“) – die in Mossul nicht klargekommen seien – für kurze Zeit bei ihnen untergekommen, bis sie in Raqqa eigene Wohnungen gehabt hätten. Sie habe die Frauen nicht eingeladen; ihr Mann habe sie mitgebracht und gesagt, sie seien nun für einen gewissen Zeitraum bei ihnen. Gelegentlich habe ihr Mann auch Männer mitgebracht, denen er zum Beispiel einen selbst zubereiteten Kaffee serviert habe. Sie sei dann immer zu Nachbarn oder in ein Nebenzimmer gegangen.
45Nach ein paar Monaten habe ihr Mann ihr gesagt, dass sie einen Religionskurs besuchen müsse und dass dies Pflicht sei. Der Inhalt sei auf Menschen ausgerichtet gewesen, die noch keinen oder wenig Kontakt mit dem muslimischen Glauben gehabt hätten. Beim ersten Mal sei sie zum Ärger ihres Mannes durchgefallen. Beim nächsten Mal habe sie sich mehr bemüht und auch bestanden.
46Nach einem ersten Bombenangriff in weiter Entfernung – zuletzt auf November 2015 datiert – habe sie sich entschlossen, Syrien um jeden Preis wieder zu verlassen. Ihr Mann sei dagegen gewesen, habe ihr gedroht, ihr die Kinder wegzunehmen, und sie geschlagen. Im Laufe der Zeit seien die Bombenangriffe näher gekommen und intensiver geworden. Die Privatschulen seien dann wegen der Gefahr geschlossen worden. Sie hätten daher schließlich auch beschlossen, Raqqa zu verlassen, und seien nach Mayadin gegangen. Ihnen sei in einem Dorf außerhalb der Stadt eine Art Bauernhof von der örtlichen Katiba des IS zugewiesen worden, bei der ihr Mann vorgesprochen habe. Dort habe man aber mit Kindern nicht leben können. Sie seien nur einen Tag geblieben und hätten stattdessen eine Wohnung in Mayadin bezogen. Sie sei sicher, dass hierfür Miete bezahlt worden sei. Einmal habe sie selbst die Miete (100 US-Dollar im Monat) der Frau des Vermieters übergeben. Das Geld habe ihr zuvor ihr Mann ausgehändigt, der damals ortsabwesend gewesen sei.
47Ihr Ehemann habe durch eine Hinhaltetaktik versucht, ihre Ausreise zu verzögern. Schließlich habe er ihre Schwangerschaft als Grund genommen, ihr die Ausreise zu verweigern. Am 13. Oktober 2017 sei ihre Tochter T4 zur Welt gekommen. Mayadin hätten sie noch vorher nach einem halben Jahr verlassen, als die Luftangriffe auch dort schlimmer geworden seien. Sie seien nach Hajin geflohen. Ihr Ehemann sei einige Stunden später nachgekommen, nachdem sie gemeinsam mit den T6-Frauen Mayadin verlassen gehabt habe. In Hajin habe es keine Bombenangriffe gegeben. Dort sei es ihnen gelungen, zusammen mit den T6-Brüdern ein Haus anzumieten. Die Höhe der Miete sei ihr nicht bekannt. Nach dem Tod der beiden T6-Brüder hätten deren Frauen weiter mit ihnen zusammen in Hajin gewohnt.
48Einige Wochen nach der Entbindung habe sie den ersten Fluchtversuch unternommen. Gemeinsam mit den T6-Frauen habe sie über die türkisch-irakische Grenze gebracht werden sollen; diese hätten mit Hilfe von Schleusern den Grenzfluss überquert. Ihr Mann habe sich aber doch wieder umentschieden und die Kinder bei sich behalten wollen. Daher sei auch sie geblieben. Ein paar Tage später habe sie sich als Einheimische ausgegeben und sei mit ihren Kindern von syrischen Nachbarn nach Raqqa zurückgebracht worden, das schon unter kurdischer Verwaltung gestanden habe. Ihr Mann habe dortige Schleuser beauftragt, von denen sie unter Übergabe gefälschter Ausweise zunächst nach Idlib gebracht worden seien. Schließlich habe sie einige Wochen in einem Dorf an der türkischen Grenze gelebt. Einen ersten Grenzübertritt schilderte die Angeklagte sodann wie zum Nachtatgeschehen festgestellt. Ihr Mann habe vorausgesetzt, dass sie in der Türkei verbleibe. Eine Anmeldung in der Türkei habe nicht geklappt. Ihr Mann habe gewollt, dass sie nach Raqqa zurückkehre, sie sei aber entschlossen gewesen, zurück nach Deutschland zu gehen. Hierüber habe er ihr einmal die Scheidung nach islamischem Recht ausgesprochen.
49Für sie sei immer die Zukunft ihrer Kinder ausschlaggebend gewesen, sie hätten in einem Staat mit einer guten Schuldbildung und in Sicherheit aufwachsen sollen. Nach dem Bezug ihrer eigenen Wohnung habe ihr Mann, an dem sie noch gehangen habe, wieder Kontakt zu ihr aufgenommen. Sie habe in Deutschland am ganz normalen „westlichen“ Leben teilgenommen. Sie seien zu Geburtstagsfeiern, Karnevals- und Weihnachtsfeiern gegangen. Auch sei sie mit den Kindern im Schwimmbad gewesen. Die Bilder hiervon habe sie den Mitarbeitern des sie betreuenden Hilfsprojekts „Grenzgänger“ zugeschickt. Über eine Teilnahme an einer Geburtstagsfeier mit den Kindern sei ihr Ehemann vollkommen außer sich gewesen. Derartige Veranstaltungen habe sie ihm daher künftig verheimlicht. Der letzte Kontakt zu ihm sei eine Sprachnachricht von ihm gewesen, wonach er sich jetzt kurdischen Milizen ergebe.
50Sie sei ein völlig unpolitischer Mensch. Sie habe nie die Ideologien des IS gutgeheißen, bis zu ihrer Einreise sei sie nicht einmal damit vertraut gewesen. Bevor sie dorthin gegangen sei, habe sie überhaupt nichts vom IS gewusst. Sie habe sich auch nie dem IS zugehörig gefühlt. Ihr sei gar nicht klar gewesen, eine Straftat zu begehen, wenn sie zu ihrem Ehemann reise. Die Haftsituation belaste sie sehr, insbesondere habe sie mit ihren Kindern nur Skype-Telefonate führen dürfen. Auch der Vorfall an der türkischen Grenze belaste sie psychisch stark. Sie bereue es sehr, ihrem Mann gefolgt zu sein. Aus heutiger Sicht tue es ihr insbesondere sehr leid, ihre Kinder in derartige Gefahr gebracht zu haben. Die Leidtragenden seien insbesondere ihre Kinder; hierfür schäme sie sich zutiefst.
51bb) Im Ermittlungsverfahren hat die Angeklagte allein im Rahmen der Durchsuchung ihrer Wohnung am 9. April 2019 – nach Belehrung über ihr Schweigerecht und Lektüre des auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland lautenden Durchsuchungsbeschlusses – zusammengefasst folgende Spontanäußerungen getätigt: In dem Beschluss stimme nicht alles. Sie leugne den Tatvorwurf ja nicht, doch sei es in Syrien ganz anders gewesen. Die Ausreise ihres Mannes sei überraschend und unvorbereitet erfolgt. Er habe ihr gesagt, in der Türkei Urlaub machen zu wollen. Sie habe länger nichts von ihm gehört, bis er sich überraschend aus Syrien gemeldet habe. Sein Wunsch nach einem Leben in einem muslimisch geprägten Land habe schon länger bestanden, deswegen seien sie auch häufiger aneinander geraten. Das Geld aus dem Wohnungsverkauf habe er mitgenommen, da er dies zum Leben benötigt habe. Sie sei lediglich in der Absicht ausgereist, ihm zu folgen. Zum Zeitpunkt ihrer Ausreise sei sie aufgrund der Berichterstattungen ihres Mannes noch von einer stabilen Sicherheitslage in Syrien ausgegangen.
52Sie hätten zunächst in Raqqa gelebt. Dort sei ihnen eine Wohnung zur Verfügung gestellt worden. Später wären sie noch in Mayadin und in Hajin gewesen. Ihre Aufgaben hätten sich auf den Haushalt und die Kinderbetreuung beschränkt. Anfänglich hätten die Kinder einen Kindergarten besucht, seien jedoch wegen der strengen Erziehungsmethoden wieder herausgenommen worden. Ihr Sohn O. habe lediglich die arabische Sprache erlernt, jedoch keine religiöse Schulung erhalten. Sie habe an einem Religionskurs teilgenommen; dieser sei verpflichtend und für sie ganz normal gewesen. Den Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren, habe sie am Ende ihres Aufenthaltes in Raqqa bereits vor dem Verlassen der Stadt gefällt. Ihr Ehemann sei für die Organisation tätig gewesen, wofür er monatlich 50 US-Dollar erhalten habe. Er sei mehrfach verletzt worden, bei Kampfhandlungen sowie bei einem Raketenangriff durch Splitter, als er privat in der Stadt unterwegs gewesen sei. Verletzungsbedingt habe er sie bei der Ausreise nicht begleiten können. Zudem habe für Männer die Gefahr bestanden, als Deserteure festgenommen oder getötet zu werden. Letztlich sei es aber für ihn auch eine Frage der Ehre gewesen, vor Ort zu bleiben.
53Über die damaligen Äußerungen der Angeklagten hat der Senat die Zeugen KHK G1, KHKin N4 und KHK C2 vernommen. Diese haben glaubhaft über die von ihnen – bei unterschiedlicher Anwesenheit – wahrgenommenen Angaben der Angeklagten ausgesagt. Deren Ansprechpartner war dabei KHK G1, der denn auch die inhaltlich weitreichendste Zeugenaussage machen konnte. An dem Wahrheitsgehalt sind dem Senat keine Zweifel verblieben. Seine Aussage geht mit den Zeugenaussagen von KHKin N4 und KHK C2 konform. Dabei konnten sich die Zeugen an die Spontanäußerungen der Angeklagten auch wegen der Besonderheit erinnern, dass sie mehrfach belehrt und auf die förmliche Vernehmung hingewiesen worden war, aber dennoch weitere Angaben machte.
Die Feststellungen zum IS beruhen in erster Linie auf den Ausführungen des Sachverständigen T7, der für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin tätig ist und sich seit Jahren mit dem Phänomen des islamistischen Terrorismus befasst. Sein zu der Vereinigung erstattetes Gutachten, dem auch die Auswertung internationaler Literatur und Presse sowie die Erkenntnisse aus seiner Sachverständigentätigkeit in einer Vielzahl von Staatsschutzverfahren zugrunde liegen, war für den Senat überzeugend. Die besondere Fachkunde des Sachverständigen kam auch darin zum Ausdruck, dass er in der Hauptverhandlung die Nachfragen des Senats und der Verfahrensbeteiligten ohne weiteres erschöpfend zu beantworten vermochte. Seine Ausführungen werden zudem insbesondere bestätigt durch einen im Jahre 2018 erstellten ausführlichen Auswertevermerk des Bundeskriminalamtes zum IS, der als Urkunde eingeführt worden ist. Ihm hat der Senat über die Ausführungen des Sachverständigen T7 hinaus unter Anderem einzelne festgestellte Anschläge entnommen. An der Urheberschaft der Organisation bestand jeweils mit Blick auf die vom Bundeskriminalamt ausgewerteten Quellen wie internationalen Medienberichten und Veröffentlichungen des IS in seinem Onlinemagazin „Dabiq“ kein Zweifel. Mit Blick auf die konkreten Tatvorwürfe und die Einlassung der Angeklagten hierzu wird auf weitere Einzelheiten nachfolgend gesondert eingegangen.
Der Senat stützt seine Überzeugung von einzelnen Tatumständen und Beweisanzeichen (auch) auf eine Vielzahl von Nachrichten des B1 T3 über den Nachrichtendienstleister Telegram und über Facebook. Das Bundeskriminalamt hat den gesondert verfolgten B1 T3 eindeutig als Nutzer dieser überwachten Konten identifiziert. Dieselbe Erkenntnis konnte auch der Senat gewinnen. Etwa unter seinem Facebook-Profil „Hans Müller“ sendete der gesondert Verfolgte, der hier diverse Male als B1 angesprochen wird und sich als „Abu Nuh“, also als Vater von O., bezeichnet, eine Vielzahl von Nachrichten an seine Familienangehörigen und andere jihadistische Kämpfer. Der Inhalt der Nachrichten korrespondiert nicht nur mit vielen Angaben der Angeklagten. Vielmehr belegt auch die Gesamtschau der Kommunikationspartner, die in den Chats namentlich genannt werden oder bildlich in Erscheinung treten, die Identität des B1 T3 als Nutzer, und zwar auch der maßgeblichen Telegramprofile. Die Identität der Kommunikationspartner ergab sich, soweit sie namentlich identifizierbar waren, ohne verbleibende Zweifel aus denselben Umständen.
56Den Chatnachrichten kam ein hoher Beweiswert zu. Inhaltlich haben sich grundsätzlich – auch im Abgleich mit den Angaben der Angeklagten – keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der gesondert Verfolgte B1 T3 seinen Chatpartnern, insbesondere (nach ihrer Rückkehr) der Angeklagten, seinen Brüdern und anderen Familienangehörigen, Unwahrheiten erzählt haben könnte. Allenfalls könnte er die Sicherheitslage, die Qualität der Schulen und das eigene Befinden beschönigt haben, um Sorgen und Bedenken der Angehörigen zu zerstreuen. Einzelne Besonderheiten werden im Folgenden gesondert erwähnt. Einen hohen Beweiswert hat der Senat auch der (sonstigen) Telekommunikation der Angeklagten beigemessen. Diese war als Nutzerin der überwachten Anschlüsse etwa anhand von Namensnennungen wie inhaltlichen Umständen ebenso eindeutig zu identifizieren. Dabei zeigen die eingeführten Telefonate mit weiblichen Familienangehörigen auch in alltäglichen Verrichtungen ein Vertrauensverhältnis, das keine grundlegend verfälschten Angaben der Angeklagten über die Geschehnisse in Syrien erwarten lässt.
57Soweit die Telekommunikation in arabischer Sprache geführt wurde, liegt den eingeführten Beweismitteln eine fachkundige Übersetzung zugrunde. Das Bundeskriminalamt hat nach der glaubhaften Zeugenaussage der Ermittlungsführerin KOKin N4 insoweit erfahrene und bei ihm bewährte Übersetzer eingesetzt. Der Senat hat selbst die Sprachsachverständige B5 mit der wörtlichen Protokollierung von Telefonaten sowie mit der Inhaltskontrolle übersetzter Telekommunikation beauftragt. Hierbei sind sachliche Verfälschungen durch die von den Ermittlungsbehörden zu den Akten genommenen Übersetzungen nicht zu Tage getreten. An der Fachkunde der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen B5 ist dabei nicht zu zweifeln. Sie wird seit Jahren durch Gerichte und Ermittlungsbehörden eingesetzt. In der Hauptverhandlung konnte sie sämtliche Rückfragen überzeugend beantworten. Die von ihr gefertigten Wortprotokolle zeugten zudem von einem sehr sorgfältigen Vorgehen inklusive der Niederschrift von Hintergrundgeräuschen.
(1) Die Angeklagte hat schon mit ihren Spontanangaben bestätigt, dass sich ihr Ehemann B1 T3 dem IS als Mitglied angeschlossen hatte. Dies hat sie in der Hauptverhandlung im Sinne der Feststellungen bekräftigt und konkretisiert. Hieran ist in Ansehung der diversen Chatnachrichten von B1 T3, die dies ebenfalls belegen, nicht zu zweifeln. B1 T3, der zuvor als im Vereinsregister eingetragener erster Vorsitzender und ab Juni 2014 als Kassenwart des 2017 aufgrund der Verfügung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 7. März 2017 verbotenen Vereins E1 agiert hatte, absolvierte nach seiner Ausreise über einige Monate eine militärische und religiöse Ausbildung beim IS, bevor er als dessen Mitglied in Raqqa tätig war. Dass er als Funktionär im Bereich der Waffenverwaltung eingesetzt war, hat nicht nur die Angeklagte bestätigt, sondern entspricht auch einem Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Neben dem auch von der Angeklagten geschilderten Wachdienst und einem Kampfeinsatz agierte er insbesondere als Ansprechpartner und Helfer für anschlusswillige Personen, wie seine Chats etwa mit P. H1 und N5 C3 zeigen. Den Kampfeinsatz kann der Senat aufgrund des Facebook-Chats des B1 T3 mit seinem Bruder S1 P2 vom 1. Dezember 2015 auf den Vormonat datieren („letztens war ich 1 Woche im Urlaub“; „auf uns geschossen“; „alle Waffen“). Die festgestellte Höhe des Salärs – über die Spontanäußerungen der Angeklagten hinaus – stützt der Senat auf Eigenangaben des B1 T3 in seiner Facebook-Kommunikation mit seinem Bruder C4 P2. Gleiches gilt für die Kostenfreiheit der medizinischen Versorgung.
59(2) In der Gesamtschau liegt zudem eine tatsachenbasierte Grundlage für die Annahme vor, dass auch die Angeklagte nicht nur im Herrschaftsgebiet des IS gelebt, sondern sich mit ihrer Ankunft in Raqqa in die Organisation hat eingliedern lassen (vgl. allgemein Gericke/Moldenhauer, NStZ-RR 2020, 329, 330 mwN). Insoweit sind insbesondere folgende, zur Überzeugung des Senats feststehende Umstände bedeutsam:
60(a) Die Angeklagte ist zwar – wie sich auch aus dessen Facebook-Nachrichten ergibt – ihrem Ehemann auf seinen Wunsch hin gefolgt, hatte aber selbst eine radikal-islamistische Einstellung und billigte die Ideologie des IS. Ihre Einlassung, vor der Ausreise aus der Bundesrepublik nichts vom IS gewusst und sogleich bzw. weit früher nach einem ersten Luftangriff zurückgewollt zu haben, ist durch die Beweisaufnahme widerlegt. Gleiches gilt bereits für den sie angeblich überraschenden Aufenthalt ihres Mannes in Syrien im Anschluss an eine Urlaubsreise in die Türkei. Zur Überzeugung des Senats waren sich die Angeklagte und ihr Ehemann einig, dass diese ihm mit den Kindern bewusst in das Herrschaftsgebiet des IS nachfolgt und sich ebenfalls der Vereinigung anschließt.
61(aa) Bereits B1 T3 ist mit Wissen der Angeklagten gezielt in das Herrschaftsgebiet des IS gereist, um sich dieser Organisation anzuschließen. Der Senat hält es bereits aufgrund des persönlichen Verhältnisses der Eheleute für ausgeschlossen, dass er die Angeklagte nicht über diesen lebensverändernden Schritt unterrichtet hat, auch wenn diese für seinen Verbleib in Deutschland stritt. Sein Entschluss stand seit langem fest und kam bereits in dem urkundlich belegten Verkauf einer Eigentumswohnung am 8. Dezember 2014 zum Ausdruck, um die erlösten Mittel in Höhe von 50.000 Euro in Syrien verwenden zu können. Spätestens im Januar 2015 pries „Abu Walaa“ die bevorstehende Ausreise des B1 T3 in einem Nashid (vgl. (bb)). B1 T3 suchte auch später und in Bedrängnis den Rat der Angeklagten, ob er sich in Baghuz ergeben oder auf eigene Faust durchschlagen solle, und stritt mit ihr über seine Heirat zweier weiterer Frauen in Syrien. All dies lässt auf ein persönliches Verhältnis der Eheleute schließen, das B1 T3 keinen Grund gab, der Angeklagten den wahren Grund seiner Ausreise am 30. April 2015 zu verschweigen.
62Die gezielte Ausreise des B1 T3 zum IS mit dem Wissen der Angeklagten wird ebenso belegt durch ein Telefonat zwischen ihr und O1 P3 (Lebensgefährtin von C4 P2, einem Bruder von B1 T3) vom 18. Dezember 2018. Hierzu hat der Senat die Zeugin KOKin N4 vernommen. Sie hat den maßgeblichen Gesprächsinhalt – nach Vorhalt der Verschriftung – dieses von ihr als wichtig für die subjektive Tatseite erachteten und ausgewerteten Telefonats aus eigener Erinnerung glaubhaft wiedergegeben. Danach hatte die Angeklagte sich vor der Ausreise ihres Ehemanns mit ihm gestritten und damals seine Mutter gebeten, ihm seine verwahrten Passpapiere nicht auszuhändigen, da er „dorthin“ gehen werde. Bei einer bloßen Urlaubsreise, von der die Angeklagte laut ihrer Einlassung eingangs ausgegangen sein will, hätte hierfür kein Grund bestanden. Dass die Angeklagte den Anschluss des B1 T3 an den IS meinte, zeigt zudem ihre Äußerung, sie wäre doch nicht hingegangen, wenn er nicht dort gewesen wäre.
63Zudem erteilte B1 T3 ihr und seinem Bruder S1 P2 am Tag vor seiner Ausreise, also am 29. April 2015, eine notarielle Generalvollmacht mit Wirkung über den Tod hinaus. Dass die Angeklagte auch hiervon keine Kenntnis gehabt haben will, glaubt ihr der Senat nicht. Denn der Notar erteilte – wie für beide Bevollmächtigte vorgesehen und einem Zusatz auf der eingeführten Urkunde zu entnehmen ist – für S1 P2 eine Ausfertigung. Dass er dies bei der Angeklagten unterlassen haben könnte, liegt fern. Mit Blick auf die Postlaufzeiten wird auch B1 T3, der aus I. der Buchungsbestätigung gemäß den (angetretenen) Flug von Leipzig nach Antalya am 30. April 2015 um 14.15 Uhr zu erreichen hatte, den für die Angeklagte bestimmten Brief nicht abgefangen haben.
64(bb) Vor der Ausreise der Angeklagten gab es zudem eine Planung der Eheleute T., zusammen mit den Kindern beim IS zu leben. Die Zeugin N7 hat glaubhaft ausgesagt, dass B1 T3 ihrem ebenfalls dem IS angeschlossenen Mann N6 M1 gegenüber erklärt habe, seine Frau werde noch nachkommen. Dieser Umstand spricht für eine entsprechende Planung der Eheleute T., gemeinsam im Herrschaftsgebiet des IS zu wohnen. B1 T3 hatte durch seine alleinige Ausreise bereits die örtlichen Verhältnisse erkunden und seine Ausbildung beim IS absolvieren können, ohne dass die Angeklagte – wie ansonsten beim IS praktiziert – in dieser Zeit in einem Frauenhaus leben musste. Es ist zudem lebensfremd, dass sich die Angeklagte über den Bürgerkrieg in Syrien informiert, aber nichts vom IS gewusst haben könnte. Denn der Sachverständige T7 hat überzeugend ausgeführt, dass im Jahr 2015 in Medien aller Qualitätsstufen die Vereinigung integraler Bestandteil der Berichterstattung über den Syrienkonflikt gewesen sei.
65Die gemeinsame Planung mit ihrem Ehemann wird zudem dadurch belegt, dass die Angeklagte kurz vor dem Verlassen Deutschlands ihrem Schwager S1 P2, dem Bruder ihres Ehemanns, am 11. August 2015 eine Vollmacht für ihr Girokonto bei der Sparkasse I. eingeräumt hat. Der von ihr angeblich nur beabsichtigte Kurzaufenthalt, der schon im Widerspruch zu ihren Spontanangaben am 9. April 2019 über einen wesentlich später gefassten Rückehrentschluss steht, hätte dies nicht erfordert. Insoweit sind die zeitlichen Zusammenhänge bei einer Würdigung der Gesamtumstände nicht dem Zufall geschuldet. Dies ergibt sich letztlich auch bereits aus ihrer Spontanäußerung, ihrem Mann gefolgt zu sein. Darüber hinaus konnte die Angeklagte vor dem Hintergrund ihrer Einlassung auch keinen plausiblen Grund angeben, warum sie ihre Reise – was sie als solches eingeräumt hat – ihrer Familie verschwiegen hat.
66Das auf einem Mobiltelefon des gesondert verfolgten B8 („Abu Walaa“) gesicherte Loblied auf die Ausreise von B1 T3 („Abu Nur“) steht einer gemeinsamen Planung der Eheleute nicht entgegen. Zwar wird dort die Ehefrau um Verzeihung gebeten, der Ausreisende habe sie nicht verletzen wollen; sie möge geduldig sein und nicht weinen, wenn er nicht mehr bei ihr sei oder sterbe. Der Nashid ist aber spätestens am 10. Januar 2015 aufgezeichnet worden, wie der Zeitstempel auf dem Mobiltelefon zeigt. Er belegt daher die zunächst kritische Haltung der Angeklagten gegen den – von ihm fest beabsichtigten – Anschluss ihres Ehemanns an den IS in Syrien und überhaupt seine Ausreise. Jedenfalls nachdem diese aber vollzogen war, sah sich die Angeklagte als Ehefrau gehalten, dem ideologisch gefestigten, für sie unabänderlichen Wunsch ihres Ehemanns nach einem gemeinsamen Zusammenleben im Herrschaftsgebiet des IS nachzukommen. Ebenso wenig steht die unterbliebene Kündigung der zuletzt bewohnten Mietwohnung den Feststellungen entgegen. Hierin lag zur Überzeugung des Senats – wie etwa auch in der Schulanmeldung des Sohnes O. – unter Würdigung der Gesamtumstände die Vortäuschung eines weiterhin normalen Alltags, um die Ausreisepläne mit Blick auf die ablehnende Haltung der Kernfamilie der Angeklagten und die Sicherheitsbehörden nicht zu gefährden.
67(cc) Die damit feststehende Bereitschaft der Angeklagten, mit ihren Kindern im Herrschaftsgebiet des IS zu leben, war – über das persönliche Verhältnis zu ihrem Ehemann hinaus – auch Ausdruck dessen, dass sie die Ideologie und Ziele der Organisation teilte. Dies schließt der Senat u. a. aus ihrer Telekommunikation im Anschluss an ihre Rückkehr, wobei bereits die Zureise mit den Kindern als solche diese Feststellung nahelegt. Nach einer fünfmonatigen Pause aufgrund ihrer B1 T3 unerwünschten Rückkehr nach Deutschland stand sie mit ihm in intensivem Austausch insbesondere mithilfe von Messenger-Diensten. Danach korrespondierte ihre religiöse Haltung mit den radikalen Ansichten ihres Ehemanns, den sie etwa im Telegram-Chat Ende 2018 „am besten Ort der Welt“ wähnte. Sie benutzte in der Kommunikation abfällige Begriffe für Andersgläubige wie „kuffar“, „murtaddin“ und „dreckige ahbash“. Häufig wünschte sie ihm die Unterstützung Allahs bei seinem immer bedrängteren Kampf für den IS, der siegreich sein werde, und kritisierte sich ergebende Kämpfer („die werden alle bereuen“). Wiederholt – etwa im Dezember 2018 – thematisierte sie auch die „shahada“ (Märtyrertod) als erstrebenswertes Ziel („der Lohn dafür ist die schahada und das kann nicht jeder bekommen“). Sie erging sich zusammen mit ihrem Mann zudem in Überlegungen, das „dreckige“ Deutschland wieder zu verlassen, auch um nicht arbeiten zu müssen. Wohl in dem Wunsch, ihrem Mann nahe zu sein, schrieb sie ihm im Februar 2019, „möge Allah uns die schahada gemeinsam geben“.
68In der Endphase der Kampfhandlungen in Baghuz brach sich zwar der Wunsch der Angeklagten, ihren Mann wiederzusehen, dahin Bahn, dass sie ihn wiederholt dazu anhielt, sein Leben zu retten und sich den SDF-Kräften zu ergeben. Dieser der militärischen Lage geschuldete Rat lässt nicht darauf schließen, dass sie die Ziele des IS nicht mehr teilte. Gleiches gilt für ihre Reaktion vom 24. März 2019 in einem Gruppenchat („mein schönster Tag“) auf die Nachricht von B1 T3, seine ganze Gruppe ergebe sich. Hierin kam allein ihre Erleichterung zum Ausdruck, dass er nicht zu Tode gekommen war. Denn zugleich hatte sie auf ihrem bei der Durchsuchung am 9. April 2019 sichergestellten Mobiltelefon weiterhin diverse Telegram-Kanäle abonniert, auf denen nach der islamwissenschaftlichen Bewertung des Bundeskriminalamtes eine salafistische Lesart des Islam propagiert wurde. Zudem hatte sie noch am 14. März 2019 einen von dem gesondert verfolgten L3 P2 gesicherten WhatsApp-Status für ihr Profil „Umm Nuhh“ (= Mutter von O.) erstellt, der das Bild eines Löwen – ein klassischer Topos in der jihadistischen Subkultur – und einen Nashid umfasste, der zum (militanten) Jihad für die Sache Gottes aufruft. Ihr weiteres Nachtatverhalten ändert die Bewertung ebenso wenig (vgl. unten d)). Gleiches gilt für den Schulwechsel ihrer Tochter S. in Raqqa (dazu dd) (2)).
69Dass die Angeklagte entgegen ihrer Einlassung der menschenverachtenden Ideologie des IS gegenüber Andersgläubigen nahestand, verdeutlicht darüber hinaus ihr weiteres Telefonat mit O1 P3 vom 4. Februar 2019, das die hierüber glaubhaft aussagende Zeugin KOKin N4 ebenfalls ausgewertet hat. Darin berichtete die Angeklagte davon, wie eine jesidische Sklavin vor ihrem Verkauf habe fliehen können. Auf die Verwunderung und das Entsetzen ihrer Gesprächspartnerin über den Verkauf von Menschen – wie Tomaten und Gurken – reagierte die Angeklagte schlicht mit der Bemerkung, dass dies so üblich gewesen sei. Sie legte ihre Haltung demnach nicht nur gegenüber ihrem Ehemann an den Tag, um diesem zu gefallen.
70Diese nach dem Tatzeitraum liegenden Umstände wertet der Senat als Indizien, die Rückschlüsse auf die innere Haltung der Angeklagten zu Beginn des Tatzeitraums zulassen. Hierin wird der Senat bestärkt durch den Facebook-Chat zwischen B1 T3 und seinem Schwager B6 P2, der ihm schon im August 2015 von innerfamiliären Schuldzuweisungen wegen der Ausreise der Angeklagten berichtete. Dessen empörte Formulierung „als ob wir G. gezwungen haben“ spricht für deren eigenverantwortliche und bewusste Ausreise zum IS. Gleiches gilt für die Äußerung ihres Ehemanns im November 2015, sie sage selber, „wie konnten wir nur unter kuffar leben“. Seine hinzugefügte zynische Bemerkung „sie ist radikalisiert worden hehe“ ist ebenso bereits auf die Zeit der Angeklagten in Deutschland zu beziehen, insbesondere mit Blick auf die innerfamiliäre Diskussion und die Ausreisevorbereitungen.
71(dd) Bei einer übergreifenden Gesamtwürdigung ist die Annahme berechtigt, dass sich die Angeklagte – der Einstellung ihres Ehemanns entsprechend – mit ihrer Ausreise bewusst für eine Erweiterung des „Staatsvolks“ des IS entschieden hatte. Denn B1 T3 wollte auf keinen Fall, dass seine Kinder in Deutschland aufwachsen und womöglich „kuffar“ (Ungläubige) werden, wie er auch seine Schwester T8 P2 über Facebook am 2. Dezember 2015 wissen ließ („Lieber sterben wir hier bei einem Bombenangriff als dass meine Kinder in den Schulen Deutschlands Homosexualität und dass wir von den Affen abstammen lernen und evtl zu kuffar später werden“). Vielmehr sollten – wie seinem Bruder S1 P2 gegenüber am 1. Dezember 2015 bei Facebook geäußert – die Jungen beim IS „zu Männern“ erzogen werden, „denn in Zukunft wartet noch einiges auf die nächsten Generationen“. Diese Einstellung ihres Mannes war auch der Angeklagten bekannt, die sich ihr in der praktischen Umsetzung anschloss. Denn ihre Kinder überließen die Eheleute T. IS-konformen Betreuungseinrichtungen in Raqqa (vgl. näher dazu dd), (2)).
72Ihr freiwilliger Verbleib vor Ort – der ebenfalls auf ihre Haltung bei der Ausreise schließen lässt – wird darüber hinaus daran deutlich, dass die Angeklagte im September 2016 Familienangehörige zur Ausreise aufforderte und im Januar 2017 ein Propagandavideo des IS verbreitete (dazu sogleich (e)). Im Frühjahr 2017 nutzte sie in dem Gruppenchat der Familie P2 als Profilbild ein Prophetensiegel mit den Schriftzusätzen „Sehnsucht nach Allah“ und „Manchmal muss du alles in der Dunya [diesseitigen Welt] verlieren um alles für die Höhe zu gewinnen“. Zudem übernahm sie es noch aus Mayadin im Jahr 2017, die sich sorgende Mutter des B1 T3 dahin zu beruhigen, dass es ihnen in Syrien gutgehe. Ein solches Verhalten passt nicht zu dem von ihr bekundeten dringenden Ausreisewunsch aus Syrien. Dasselbe gilt für den Umstand, dass sie nach ihrer Rückkehr ihren Aufenthalt in Syrien glorifizierte. So erläuterte sie im März 2019 nach der auch insoweit glaubhaften Aussage der Zeugin KOKin N4 telefonisch O1 P3, dass man beim Tragen des Niqab Stolz fühle, sie habe in Syrien Niqab getragen, sie könne ihr das nicht erklären. Die ironische Bemerkung der Gesprächspartnerin, das Gefühl zu haben, die Angeklagte würde Paris beschreiben, beantwortete diese mit „schöner als Paris“.
73(b) Zudem besuchte die Angeklagte ab etwa Ende September 2015 einen von der Organisation ausgerichteten Religionskurs. Die rund einmonatige Teilnahme im Herbst 2015, die mit dem Nichtbestehen des Kurses endete, hat die Angeklagte eingeräumt. Jene ergibt sich auch aus einem Telegram-Chat der gesondert verfolgten N2 N3, die mit ihr nach eigenem Bekunden gegenüber der „Zweitfrau“ L4 Q. von „Abu Waala“ zusammen den Kurs besuchte. Entgegen den Angaben der Angeklagten war die Teilnahme für sie nicht obligatorisch. Sowohl der Sachverständige T7 als auch die Zeuginnen T9 und N7 – selber Partnerinnen von IS-Kämpfern und vor Ort in Raqqa – haben glaubhaft ausgesagt, dass ein solcher Religionskurs nur für Frauen mit Sonderfunktionen im IS verpflichtend war. Die Teilnahme der Angeklagten könnte, wovon auszugehen ist, dem Wunsch ihres Mannes entsprochen haben, auch wenn dieser gegenüber ihrem Bruder – hier womöglich vorgeschoben – die Teilnahme in ihr Belieben stellte („wenns ihr dort gefällt“). Diesem Wunsch ist sie bereitwillig im Wissen auch um die Bedeutung des Kurses für die Vereinigung nachgekommen. Eine bei S1 P2 als Datei gesicherte Bescheinigung des IS aus dem November 2016 belegt, dass die Angeklagte – wie sie ebenfalls eingeräumt hat – in einem weiteren Anlauf den Kurs bestand. Der Facebook-Kommunikation ihres Ehemanns mit seinem Bruder S1 P2 ist zudem zu entnehmen, dass die Angeklagte auch im Dezember 2015 wieder „ihre Schule“ besuchte.
74(c) Ferner ermöglichte die Angeklagte es ihrem Ehemann, seine ihm zugewiesenen Aufgaben als Mitglied der Organisation auszuüben. Dies geschah nicht nur durch Verrichtungen wie die von ihr ausgeübte Haushaltsführung und Kinderbetreuung, was auch ihren insoweit geständigen Angaben entspricht. Darüber hinaus übernahm sie es bereits kurz nach ihrer Ankunft in Raqqa, bei Bedarf die Frauen insbesondere aus Deutschland zugereister IS-Kämpfer im eigenen Haushalt aufzunehmen und zu betreuen, solange deren Männer anderen Orts Aufgaben für den IS wie etwa militärischen Ausbildungen nachgingen. Hierdurch entlastete sie die Organisation und stärkte die Position ihres Ehemanns, was die Angeklagte erkannte.
75(aa) Konkret belegt ist eine solche Aufnahme u. a. für N2 N3 als Frau des IS-Mitglieds P. H1 alias „Abu Farida“. Deren Aufenthalt im Herbst 2015 im Haushalt der Familie T. hat die Angeklagte glaubhaft bestätigt. So wohnte die gesondert verfolgte N3 von September bis November 2015 im Haushalt der Eheleute T., während ihr Mann H1 im Irak u. a. eine Waffenausbildung absolvierte. Dies lässt sich dem Facebook-Chat des B1 T3 mit seinem Bruder S1 P2 vom 26. September 2015 entnehmen, wonach die Angeklagte Besuch von „zwei Schwestern“ hat, „die bei uns wohnen, bis ihre Männer fertig sind“. Im selben Chat verneinte B1 T3 am 1. Dezember 2015 die Frage, ob „die Frauen“ noch bei ihm im Haus seien („nein schon paar wochen weg“). Entgegen der Einlassung der Angeklagten lebte damals also eine weitere Frau eines IS-Kämpfers („Schwester“) bei ihnen. Dem steht die bei Facebook versandte Nachricht von B1 T3 an T8 P2 nicht entgegen, wonach G. die Schule zuletzt nicht mehr besucht habe, weil „die Schwester“, die auf die Kinder aufgepasst habe, nicht mehr da sei. Denn mit N2 N3 hatte die Angeklagte den Kurs gemeinsam besucht. Somit spricht auch diese weitere Nachricht eher für zwei zugleich beherbergte Frauen.
76(bb) Dass N2 N3 und P. H1 zudem im März 2016 nach ihrer Ankunft in Raqqa bei der Familie T. unterkamen, bis sie über eine eigene Wohnung verfügten, folgt aus WhatsApp-Nachrichten der Mutter von N2 N3 an einen Polizeibeamten. Danach teilte ihr P. H1 am 1. März 2016 die Ankunft in Raqqa nach 30-stündiger Autofahrt vom Irak aus mit; sie seien erst einmal bei Freunden untergekommen. Dass es sich hierbei um die Angeklagte und ihren Ehemann handelte, wird durch den Telegram-Chat der N2 N3 mit Kim Preis belegt. Denn diese fragte N2 N3 am 19. März 2016, ob N3 das Leben bei Fadia genieße. Inzwischen verfügte N3 ihrer Antwort zufolge jedoch über eine eigene Wohnung. All diese Nachrichten passen auch zeitlich zu der von B1 T3 ermöglichten Verlegung des P. H1 nach Raqqa, für die er – wie sich aus beider Facebook-Kommunikation ergibt – das notwendige von dem örtlichen Emir gestempelte Dokument besorgte.
77(cc) Zudem beherbergte die Angeklagte die Ehefrauen der beiden IS-Mitglieder Demir (sog. T6-Frauen) während der Zeit in Raqqa, nachdem diese aus Mossul in die Stadt gekommen waren und noch keine Wohnung hatten. Auch dies hat die Angeklagte eingeräumt. Ihre Einlassung wird insoweit bestätigt durch ihr Telefonat mit ihrer Schwägerin N8 G2 und mit O1 P3 vom 28. Juni 2018. Darin führte die Angeklagte aus, dass die Frauen der Familie P6 bei der Familie T. in einem Hochhaus gelebt hätten; die Frauen hätten immer alle nebeneinander geschlafen. Nach dem Tod der Gebrüder E. bei einem Luftangriff – den Erkenntnissen des Bundeskriminalamts zufolge am 26. Oktober 2017 – wohnten die Frauen zudem weiter bei den Eheleuten T. in Hajin, wie die Angeklagte glaubhaft geschildert hat. Auch hierin liegt ein bewusstes Handeln im Interesse des IS, der seiner Ideologie gemäß ansonsten für die Unterbringung in einem Frauenhaus hätte sorgen müssen.
78(d) Ferner bewirtete die Angeklagte – nach den Gesamtumständen die Anweisungen ihres Ehemanns befolgend – von B1 T3 zu Hause empfangene IS-Angehörige. Der festgestellte Organisationsbezug war der Angeklagten klar, die um die Mitgliedschaft der weiteren Personen im IS wusste. Ein solches Treffen mit Bewirtung durch Essen und Getränke fand am 4. Dezember 2015 statt, als mindestens fünf dem Umfeld des E1 zuzuordnende IS-Mitglieder die Wohnung der Familie T. aufsuchten. Hiervon versandte B1 T3 in Chats mit seinem Bruder L3 P2 und mit P. H1 ein entsprechendes Foto, das neben ihm (und einer an die Wand gelehnten Langwaffe vom Typ AK-47) die von den Ermittlungsbehörden identifizierten IS-Mitglieder N6 M1, N9 F. B7, T10 V., N5 C3 und N10 L5 zeigt. Die Adressaten sollten das Foto zwar nicht weiterschicken, sein Bruder aber den „Brüdern“ – im E1 – zeigen.
79Zwar hat die Angeklagte bestritten, die Gäste ihres Mannes bewirtet zu haben; vielmehr habe dieser dann selbst etwas vorbereitet. Dieser Einlassung folgt der Senat – soweit nicht allein der gleichzeitige Aufenthalt der Angeklagten mit den Männern in einem Raum gemeint ist – nicht. Dagegen spricht allgemein das im IS herrschende Rollenverständnis der Geschlechter, dem zufolge diese Aufgabe der Frau obliegt. Dass die Eheleute T. hiervon abgewichen sein könnten, schließt der Senat aus. Sie hätten ein Bekanntwerden dieses Umstandes zum Nachteil der Reputation des B1 T3 in der Organisation befürchten müssen, der hierauf bedacht war, wie sein von der Angeklagten glaubhaft geschilderter Ärger über ihren nicht bestandenen Religionskurs zeigt. B1 T3 hatte zudem die IS‑Ideologie verinnerlicht, wie sein Einsatz für die Organisation im Kriegsgebiet trotz militärischer Bedrängnis, Verletzungen und Hunger bis zum Entscheidungskampf von Baghuz im März 2019 belegt. Des Weiteren oblag der Angeklagten auch im Übrigen die Haushaltsführung. Ferner bewirtete sie weibliche Gäste, wie dies nach der glaubhaften Aussage der Zeugin N7 bei zum Zuckerfest eingeladenen Frauen von IS-Mitgliedern in Raqqa der Fall war, und zwar mit hochwertigen Speisen von teuren Zutaten. Dafür dass dies bei den Gästen ihres Ehemanns anders gewesen sein könnte, gibt es demnach keinen Grund.
80(e) Die Angeklagte versandte aus Raqqa zudem mindestens einmal IS-Propaganda. Am 28. Januar 2017 – mithin kurz vor dem Verlassen der Stadt – wurde von ihrem WhatsApp-Nutzerprofil ein über einminütiges Propagandavideo des IS über die Ausrufung des Kalifats im Jahr 2014, in dem auf einer nächtlichen Versammlung u. a. dessen Fahne geschwenkt, Abu Bakr al-Baghdadi gepriesen und die Einwohner von Raqqa zur Unterstützung der Organisation aufgerufen werden, in den Gruppenchat „Grossfamilie“ versandt. Dessen Teilnehmer waren achtzehn Familienmitglieder der Großfamilie P2 wie auch die Brüder und die Mutter von B1 T3.
81Die weitere Einlassung der Angeklagten, dass sich das (durch ihren Mann vom Bildschirm eines Laptops abgefilmte) Video auf ihrem Mobiltelefon befunden, sie es aber nicht verschickt habe, ist widerlegt. Nach der Aussage der Zeugin KOKin N4, die den Chatverlauf ausgewertet hat, zeigte der weitere Nachrichtenverlauf, dass B1 T3 zur Zeit der Versendung ortsabwesend war. In seiner Abwesenheit durfte die Angeklagte zwar das Haus ihren glaubhaften Angaben zufolge alleine nicht verlassen, um mangels häuslichem Anschluss in ein Internetcafé zu gehen. Dass aber ein anderes IS-Mitglied, das laut der Angeklagten in diesen Zeiten ihr Mobiltelefon auftragsgemäß mit in das Internetcafé genommen habe, das Video eigenmächtig an die Familie der Angeklagten versendet haben könnte, schließt der Senat aus. Hierfür gibt es keinen Anhalt. Bei einer Ortsabwesenheit ihres Ehemanns konnte die Angeklagte den Sendebefehl ohne aktuellen Internetzugriff vorab erteilen und hat derartiges – wie sie angegeben hat – auch regelmäßig praktiziert. Darüber hinaus besaßen beide Eheleute ein eigenes Mobiltelefon, was die Angeklagte ebenfalls bestätigt hat. Es bestehen ebenso wenig Anhaltspunkte dafür, dass B1 T3 ihr Mobiltelefon (hier vor seiner Abreise) im Rahmen von Messenger-Diensten genutzt hat, auch wenn er es zum Datentransfer gelegentlich in das Internetcafé mitgenommen haben mag. Vielmehr verwies dieser seinen Bruder S1 P2 im Facebook-Chat gerade darauf, dass die Angeklagte der Schwägerin demnächst bei einem Besuch im Internetcafé in Raqqa wieder werde antworten können.
82Darüber hinaus forderte sie in einer vom Bundeskriminalamt ausgewerteten Audiobotschaft im September 2016 über WhatsApp die Ehefrau „S2“ des Bruders „J.“ P2 ihres Ehemanns auf, zu ihnen zu kommen, also mit deren Kindern ebenfalls im Herrschaftsgebiet des IS zu leben und diesen zu stärken. Dass die Datei von der Angeklagten stammt, folgt schon aus dem Inhalt der Nachricht, die auf eine Frage der Schwägerin – in der sie als „G.“ angesprochen wird – nach dem Wohlbefinden auch von B1 und den Kindern hin ergangen ist.
83(f) Für eine mitgliedschaftliche Einbindung der Angeklagten spricht zudem, dass der gesamten Familie sogleich durch den IS Wohnraum zugewiesen worden ist, den sich die Eheleute in völkerrechtswidriger Weise aneigneten (näher unten cc)).
84(g) Einer Aufnahme der Angeklagten in den IS als Mitglied steht aufgrund der vorgenannten Umstände nicht entgegen, dass sie keinen Treueeid abgelegt hat. Dessen Unterbleiben ergibt sich aus dem Telegram-Chat des B1 T3 mit dem IS‑Mitglied P1 E. vom 29. August 2017. Eine wie auch immer geartete ausdrückliche Beitrittserklärung ist keine notwendige Voraussetzung, um eine Person als Mitglied einer terroristischen Vereinigung ansehen zu können (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. Juni 2019 – AK 27/19 Rn. 20). Die Bezüge der Angeklagten zum IS als Organisation (Wohnungszuweisung, Kinderbetreuung, Islamkurs) – ihre Anwesenheit hat zudem bei den monatlichen Geldzuweisungen an B1 T3 Berücksichtigung und damit Billigung gefunden – und zu den Aufgaben ihres Ehemanns als dessen Mitglied lassen sie eine Stellung innerhalb der Vereinigung einnehmen, die sie ebenfalls als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzeichnet. Die aufgeführten Umstände rechtfertigen insgesamt den Schluss, dass sich keine der von der Angeklagten in Syrien ausgeübten Tätigkeiten als bloße alltägliche Verrichtungen ohne Organisationsbezug darstellen, sondern sie im Wissen um ihr unrechtes Verhalten mit dem Einverständnis der Vereinigung die Grundlagen für deren Aktivitäten stärkte. Auch B1 T3 zog den fehlenden Treueeid der Angeklagten in dem Chat im August 2017 lediglich als ein Argument heran, um deren mögliche Ausschleusung wegen der Sicherheitslage zu rechtfertigen. Dies zeigt indes gerade, dass auch er sie als der Organisation zugehörig empfand. Der Sachverständige T7 hat zudem überzeugend ausgeführt, dass der IS die Frauen seiner männlichen Mitglieder auch ohne Gefolgschaftseid ebenfalls als Mitglieder betrachtete, von denen er ein IS-konformes Leben vor Ort erwartete.
85Die Angeklagte blieb dem IS zumindest angeschlossen, bis sie zum Zwecke ihrer Ausschleusung mit den Kindern dessen Herrschaftsgebiet verließ. Dieses Datum lässt sich anhand einer Audionachricht des B1 T3 an seine Mutter, zu hören im Rahmen von deren überwachter Telekommunikation, auf den 6. Dezember 2017 festmachen. Denn am 10. Dezember 2017 teilte ihr B1 T3 mit, dass seine Familie schon vor vier Tagen gereist sei und sich jetzt in Sicherheit befinde.
Die Angeklagte hat selbst angegeben, sich in Syrien in den Orten Raqqa und Mayadin aufgehalten zu haben. Dies deckt sich mit einer Vielzahl von Chatnachrichten ihres Ehemanns. Zumindest in Raqqa ist ihrem Ehemann und ihr eine Wohnung durch den IS zugewiesen worden, die sie sich völkerrechtswidrig aneigneten.
87(1) In Raqqa wohnte B1 T3 zunächst mit anderen IS-Kämpfern in einer Wohneinheit. Aufgrund der Ankunft der Angeklagten und der gemeinsamen Kinder erhielt er – nach einem kurzen Hotelaufenthalt – eine Erdgeschosswohnung zugewiesen, die einer nach Damaskus geflohenen Person gehörte. Letzteres teilte B1 T3 im Facebook-Chat einem anderen jihadistischen Kämpfer namens T13 U. am 7. September 2015 mit. Zu diesem Zeitpunkt hatte ein saudischer „Bruder“ als ehemaliger Mieter Ansprüche auf die Wohnung geltend gemacht und vor dem „islamischen Gericht“ Recht bekommen, wie B1 T3 im November 2015 auch seinem Bruder L3 P2 mitteilte. Daraufhin bezog die Familie mit Blick auf das Datum der zuvor genannten ersten Chatnachricht spätestens Anfang September 2015 die Wohnung nahe der Al-Shuhada Moschee, auf deren gemeinschaftliche Aneignung durch die Angeklagte und ihren Ehemann B1 T3 sich der Anklagevorwurf allein gründet (Fall 2 der Anklage). Die örtliche Lage der Wohnung lässt sich aus einer Facebook-Nachricht des B1 T3 an N10 L5, der ihn im Dezember 2015 besuchte, entnehmen und wird bestätigt durch Videoaufnahmen der Kinder aus einem nahegelegenen Park in Raqqa. Als grundlegende Voraussetzung einer völkerrechtswidrigen Aneignung fand im Tatzeitraum ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt in Syrien unter Beteiligung des IS statt. Hierzu kann auf die zu der Organisation getroffenen Feststellungen und die zugehörige Beweiswürdigung verwiesen werden.
88(a) Die Eigentumsverhältnisse an der in Raqqa bewohnten Wohnung sind nicht im Detail feststellbar. Der Senat ist aber überzeugt, dass es sich um eine vom IS als Kriegsbeute unter seine Liegenschaftsverwaltung gestellte Wohnung handelte, deren rechtmäßige Eigentümer vor dem IS geflüchtete, durch ihn vertriebene, getötete oder sonst in der Ausübung ihrer Rechte gehinderte Privatpersonen oder der syrische Staat waren. Hiervon ist der Senat nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände überzeugt:
89(aa) Nach den Ausführungen des Sachverständigen T7 erfasste der IS freie Wohnungen in dem von ihm beherrschten Gebiet und unterstellte sie einer Liegenschaftsverwaltung. Bei diesen Immobilien habe es sich in der Regel um solche gehandelt, die zuvor Angehörigen des Militärs, der Sicherheitsbehörden, Beamten des alten Regimes oder Angehörigen religiöser Minderheiten gehört hätten. Die vom IS vereinnahmten freien Wohnungen seien in aller Regel Mitgliedern des IS kostenfrei zur Verfügung gestellt worden. Daneben habe es auch einen privaten Wohnungsmarkt gegeben, auf welchem monatliche Mieten meist in der Höhe eines niedrigen dreistelligen US-Dollarbetrages verlangt worden seien. Da der IS sich selbst als „Rechtsstaat“ verstanden habe, sei es für private, nicht aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder aus sonstigen Gründen vom IS verfolgte Vermieter möglich gewesen, auch von IS‑Mitgliedern Miete zu verlangen. Der IS habe kein Wohnungsbauprogramm betrieben.
90Die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen korrespondieren mit den Erkenntnissen des Bundeskriminalamts, über die der Senat die Zeugin KOKin P4 vernommen hat. Danach habe etwa die Auswertung des von Syrien aus geführten Blogs der gesondert verfolgten T11 T12 ergeben, dass Wohnungen entweder – was als Anreiz für Ausreisewillige gedient habe – vom IS kostenfrei gestellt würden, wobei es je nach Ort zum Teil aber Wartelisten gebe, oder aber sie privat kostenpflichtig gemietet werden konnten. Auch die Zeugin T9 hat glaubhaft ausgesagt, dass ihr Mann zwar eine Wohnung angemietet habe, es aber auch die Praxis der kostenfreien Zuteilung von Wohnungen durch den IS gegeben habe.
91(bb) Für einen solchen Fall spricht der Umstand, dass die Familie T. nach eigenem Bekunden „mietfrei“ wohnte. Dies teilte B1 T3 seinem Bruder S1 P2 – als solcher in dem Facebook-Chat angesprochen und damit eindeutig identifiziert – am 28. November 2015 auf dessen Nachfrage hin mit. Zuvor hatte er bereits seinen Bruder C4 P2 am 16. August 2015 die Nachricht „wohnung ist umsonst“ zukommen lassen. Hiermit konnte zwar noch nicht die verfahrensgegenständliche Immobilie gemeint sein, die Nachricht beschreibt aber die entsprechende örtliche Praxis des IS. Am Wahrheitsgehalt der Nachrichten ist nicht zu zweifeln, auch nicht weil B1 T3 etwa für den IS hätte werben wollen. Eine damit verbundene Lüge gegenüber seinen Brüdern liegt gleichwohl fern. Zudem war S1 P2 gerade in finanziellen Dingen sein Vertrauter (mit ausgeübtem Zugriff auf die deutschen Konten der Familie T.). Dabei hat der Senat bedacht, dass B1 T3 laut der Einlassung der Angeklagten von den aus einem Wohnungsverkauf nach Syrien mitgenommenen 50.000 Euro in Mayadin „nur“ noch rund 30.000 Euro übrighatte. Dies steht einem kostenlosen Wohnen in Raqqa mit Blick auf andere Ausgaben wie für die Privatschule der Kinder oder für andere IS‑Mitglieder nicht entgegen. So hat die Angeklagte glaubhaft angegeben, dass sich der „Chinese“ – gemeint ist N10 L5 – bei ihrem Mann aus dessen Mitteln häufig Geld verschafft habe, das dieser nicht zurückgewollt habe. Ihr Mann sei gleichsam „Anlauf“ gewesen für deutsche IS-Kämpfer, die Geld benötigt hätten.
92Ernsthafte Anhaltspunkte dafür, dass der IS seinerseits die Verfügungsgewalt über die der Angeklagten gestellte Wohnung entgegen dem von dem Sachverständigen T7 dargestellten Regelfall und dem durch den Vermerk von KOKin P4 dokumentierten Werbeversprechen des IS nicht durch die Vereinnahmung von Eigentum seiner Gegner erlangt, sondern sie etwa selbst angekauft oder angemietet hätte oder sie ihm gar von Mitgliedern oder Unterstützern vor Ort überlassen worden wäre, haben sich weder aus der Einlassung der Angeklagten noch aus der sonstigen Beweisaufnahme ergeben. Auch der Sachverständige berichtete nicht von Erkenntnissen, dass der IS selbst Wohnungen angemietet haben könnte, um sie seinen Mitgliedern kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Vielmehr verwies er auf die von der Vereinigung vorgenommenen Beschlagnahmen, als er auch einen möglichen Aufkauf durch den IS verneinte. Allenfalls erhielten – so die Zeugin KOKin P4 nach Auswertung diverser Beschuldigtenvernehmungen – IS-Mitglieder einen Mietzuschuss zu ihrem monatlichen Salär ausbezahlt, wenn ihnen der IS keine von ihm vereinnahmte Wohnung zur Verfügung stellen konnte.
93Die feststehende Mietfreiheit der von der Angeklagten in Raqqa bewohnten Immobilie spricht daher für zugewiesene Kriegsbeute. Zugleich lässt sich die Flucht des Eigentümers der zunächst bezogenen Erdgeschosswohnung dafür anführen, dass die Familie T. (erneut) erbeuteten Wohnraum zugewiesen erhielt. B1 T3 hatte insofern bereits einmal auf eine solche vom IS verwaltete Liegenschaft zugreifen können. Es liegt nahe, dass er sich im Zuge des unfreiwilligen Umzuges wieder an diese Liegenschaftsverwaltung des IS wandte und erneut bedient wurde. Denn in Raqqa gab es nach der Eroberung der Stadt durch den IS Leerstand insbesondere dadurch, dass Regimeangehörige in großer Zahl von ihnen bewohnte Wohnblocks verließen. In einem Hochhaus kam die Familie T. denn auch unter. Dies folgt etwa aus einem überwachten Telefonat der Angeklagten vom 28. Juni 2018 mit ihrer Schwägerin N8 G2 (Ehefrau von S1 P2) sowie O1 P3, wo sie dies im Zusammenhang mit den bei ihnen lebenden „T6-Frauen“ erwähnt.
94(b) Der Senat ist davon überzeugt, dass die Angeklagte wusste, dass die von ihr bewohnte Immobilie einer in Gegnerschaft zum IS stehenden Person oder dem syrischen Staat zustand. Entgegen ihrer Einlassung war ihr vor ihrer Ausreise das Vorgehen des IS zumindest grundsätzlich bekannt. Sie hatte mit ihrem Mann vereinbart, ihm in das Herrschaftsgebiet der Organisation nachzufolgen. Ihr war bewusst, dass in Syrien ein Bürgerkrieg herrschte, der IS dort das von ihm beherrschte Territorium gewaltsam eingenommen hatte und im Zuge dessen auch viele Personen geflohen, vertrieben oder getötet worden waren. Zugleich sind dem Senat keine Zweifel verblieben, dass ihr die Mietfreiheit der Wohnung bereits bei Einzug bekannt war. Hierfür spricht ihre Äußerung bei der Durchsuchung am 9. April 2019, der IS habe ihnen in Raqqa Wohnraum zur Verfügung gestellt. Diese Spontanäußerung ist durch die entsprechenden glaubhaften Zeugenaussagen von KHK G1 und KHKin N4 belegt. Nichts spricht dafür, dass sie dies erst im Nachhinein erfahren haben könnte. Eigener Einlassung zufolge hatte sie mitbekommen, wie der vormalige Mieter der ersten Wohnung diese als IS-Mitglied von ihrem Mann – zunächst erfolglos – einforderte. Es ist auszuschließen, dass ihr Mann nicht auch ihr die Gründe des Umzugs erläuterte. Dass der IS ebenso den weiteren Wohnraum erbeutet hatte, hat die Angeklagte daher wie schon mit Blick auf das ihr bekannte Bürgerkriegsgeschehen erkannt. Zudem waren ihr die Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass der Bezug der Immobilie nicht durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten war.
95(2) Nach ihrer Flucht aus Raqqa war die Familie Ende Februar 2017 zunächst in einem bei Mayadin gelegenen Dorf untergekommen, wo es der Angeklagten, vor allem im Hinblick auf ihre Kinder, zu dreckig war. Das dortige (nicht verfahrensgegenständliche) Wohnhaus war ihnen durch den IS zugewiesen worden. Spätestens im März 2017 zogen sie nach Mayadin (Fall 3 der Anklage) in die Nähe der Uthman Ibn Affan Moschee. Die Lage der Wohnung ist dem Telegram-Chat des B1 T3 mit der Mutter eines IS‑Kämpfers vor dem Hintergrund einer Ende August 2017 erwogenen Ausschleusung der Angeklagten zu entnehmen. Der Senat hat sich nicht überzeugen können, dass sich die Angeklagte auch in Mayadin eine Wohnung der gegnerischen Partei angeeignet hat. Vielmehr sind nach einer Gesamtwürdigung Zweifel verblieben, ob es sich nicht doch um eine Wohnung handelte, die B1 T3 von einem Einheimischen angemietet hatte.
96(a) Für eine weitere Wohnung aus Kriegsbeute des IS mag zwar sprechen, dass die Familie der eigenen Einlassung der Angeklagten zufolge eine entsprechende Immobilie zunächst in einem Dorf außerhalb der Stadt zugeteilt bekam. Darüber hinaus war zu bedenken, dass B1 T3 eine wichtige Funktion beim IS bekleidete und er daher bevorzugt Wohnraum hätte erhalten haben können. Jedoch war die ihm zunächst zugeteilte Wohnung außerhalb Mayadins trotz dieser Stellung offenbar nicht bewohnbar, sodass hieraus keine Schlüsse zu ziehen sind.
97(b) Die Angeklagte hat sich dahin eingelassen, sie selbst habe bei einer Gelegenheit 100 US-Dollar Miete an die Frau des Vermieters übergeben. Dies erscheint zwar nicht frei von Zweifeln, liegt aber andererseits auch nicht fern. Zwar könnte es näher gelegen haben, dass B1 T3 im Fall einer bevorstehenden Ortsabwesenheit selbst noch rechtzeitig hätte für die Zahlung der Miete im Voraus sorgen können. Angesichts des Verbleibs der Angeklagten in der Wohnung liegt jedoch nicht fern, dass er sie mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet hatte. Dass B1 T3 auch bei Kampf- oder sonstigen Einsätzen stets das gesamte Geld der Familie mit sich führte, hat die Beweisaufnahme jedenfalls nicht ergeben. Kein belastendes Indiz ist ferner in den Spontanäußerungen der Angeklagten im Rahmen der Durchsuchung am 9. April 2019 zu sehen. Dass sie Angeklagte damals geäußert habe, ihnen sei „beispielsweise“ in Raqqa die Wohnung gestellt worden, erinnerte die Zeugin KHKin N4 entgegen ihrem ihr vorgehaltenen Vermerk, in dem diese Angabe enthalten ist, nicht. Mit Blick auf die Zuweisung in dem Dorf bei Mayadin läge hierin ohnehin kein belastender Umstand.
98(c) Für eine Mietwohnung sprach hingegen, dass der angestrebte Umzug der Familie T. mit den vier Kindern angesichts der unzumutbaren Lebensverhältnisse eilbedürftig war und in der schließlich bezogenen Wohnung Möbel vorhanden waren. Zudem verfügte B1 T3 über ausreichende Geldmittel, die Wohnung anzumieten, die er schön fand und auf die er stolz war. Diese Haltung ist einem Chat der Eheleute bei Telegram („unsere letzte Wohnung mit den vielen Datteln, war eine schöne Wohnung“) und den an die heimische Verwandtschaft verschickten Videoaufnahmen der Immobilie vom 1. September 2017 zu entnehmen. Darüber hinaus vermag der Senat insbesondere auch nicht auszuschließen, dass der IS für die Familie keinen tauglichen Wohnraum verfügbar hatte. Denn die Zeugin N7 hat glaubhaft ausgesagt, dass damals nach Aussage vieler aus Raqqa abgewanderter IS-Frauen in Mayadin Wohnungsnot geherrscht habe; diese habe dazu geführt, dass viele Frauen „überhäuft“, also mit mehreren zusammengewohnt hätten. Diese Zeugenaussage ist vor dem Hintergrund plausibel, dass damals eine Wanderungsbewegung vieler hundert Personen, insbesondere der aus Raqqa in Sicherheit zu bringenden Familien von IS‑Kämpfern nach Mayadin stattfand. Auch wenn der Sachverständige T7 aufgrund der Flucht von Einwohnern Mayadins bei der Eroberung der Stadt durch jihadistische Kämpfer von verfügbarem Wohnraum ausging, hatte er hierzu keine belastbaren eigenen Erkenntnisse. So ist – ohne dass dies die weitere Validität des Sachverständigengutachtens berührt – auch nicht auszuschließen, dass vom Sachverständigen als konservative Sunniten beschriebene Einwohner nach dem Ende der Kampfhandlungen zurückgekehrt waren.
99(d) Bei einer Gesamtwürdigung sind dem Senat Zweifel verblieben, ob B1 T3 angesichts des von der Angeklagten als dringlich angesehenen Umzugs bei womöglich knappem adäquaten Wohnraum nicht doch für eine „schöne Wohnung“ eigene Mittel eingesetzt und diese bei einem Einheimischen angemietet hat.
Die Angeklagte hat ihre vier Kinder in das Herrschaftsgebiet des IS verbracht und mit ihnen dort gelebt. Sie hat bereits im Rahmen der Durchsuchung im April 2019 angegeben, mit ihren Kindern an der syrischen Grenze von ihrem Ehemann abgeholt worden zu sein. Dies entspricht den Erkenntnissen aus dem Facebook-Chat des B1 T3 mit seinem Bruder N11 P2, wonach „die“ am 16. August 2015 „drin“ – also in Syrien – waren. Hiernach begaben sie sich nach Raqqa.
101(1) Verbringen in das Bürgerkriegsgebiet
102(a) Dort und auch später, als der IS immer weiter zurückgedrängt wurde, war die Kindesentwicklung infolge von Militäraktionen des syrischen Staates, seiner Verbündeten oder westlicher Staaten konkret gefährdet. Insbesondere schilderte der gesondert Verfolgte B1 T3 in Facebook-Chats schon kurz nach der Einreise der Angeklagten in Raqqa Bombenangriffe aus der Luft. So teilte er dem Bruder N12 N13 der Angeklagten bereits am 3. September 2015 mit, dass sie sich in Raqqa aufhalten und – wenn auch selten – Raketenangriffe auf Gebäude erfolgen würden, wo sich der IS aufhalte. Am 22. September 2015 bestätigte B1 T3 sodann dessen besorgte Äußerung, dass es gerade „viele Luftangriffe bei euch“ gebe mit den Worten „Wir haben hier Bombenwetter und Granatenstimmung ;) hehe“. Trotz der Zusätze schließt der Senat aus, dass dies nicht zutreffen könnte. Denn gerade dem Bruder der Angeklagten gegenüber hätte B1 T3 die Sicherheitslage nicht schlechter dargestellt. Er musste eine Einflussnahme ihrer Familie auf die Angeklagte dahin befürchten, diese möge mit den Kindern nach Deutschland zurückkehren. Die Äußerung entspricht zudem den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen T7, wonach es zu Beginn des Tatzeitraums in Raqqa mit Blick auf Luftangriffe auf die Stadt bereits „ungemütlicher“ gewesen sei. Die USA hätten im Sommer 2015 begonnen, auch in Raqqa gezielte Luftschläge auf Häuser oder Autos zu fliegen, in denen IS‑Personal vermutet worden sei. Luftangriffe großen Ausmaßes hätten sodann im November 2015 durch Frankreich und durch Russland nach den Anschlägen des IS in Paris und auf eine russische Passagiermaschine in Ägypten stattgefunden. Auch dies wird durch den Facebook-Chat des B1 T3 mit seinem Bruder S1 P2 vom 26. November 2015 bestätigt, wonach die „alle 2, 3 Tage“ strategische Ziele wie eine Tankstelle, Bäckereien, das Gericht und die Polizei angreifen.
103Hierdurch waren die Kinder konkreten physischen und psychischen Gefahren für ihre Entwicklung ausgesetzt, etwa durch Verängstigung infolge von Flug- und Explosionslärm und Verletzungen bis hin zum Tode. Dabei hat der Sachverständige betont, dass Russland zu gezielten Treffern nicht willens und die syrischen Streitkräfte bei ihren Angriffen hierzu nicht in der Lage gewesen seien. Schon deshalb bestand immer die Gefahr, von Bombensplittern oder Trümmern getroffen zu werden. Letztlich gilt dies aber ebenso für die gezielten Luftschläge der USA für den Fall einer auch nur zufälligen räumlichen Nähe. Über die Schließung der Schulen hinaus wird die Gefahr belegt durch die von der Angeklagten schon bei ihren Spontanäußerungen, aber ebenso in der Hauptverhandlung glaubhaft geschilderte Verletzung des B1 T3, der auf der Straße in Raqqa durch Bombensplitter einen Beinbruch davontrug. Im November 2015 schilderte er zudem in seinem Facebook-Chat mit seinem Schwager B6 P2 die eigene Hilflosigkeit bei Bombenangriffen „manchmal weit, manchmal nah“; man mache dann nichts, nur Bittgebete sprechen und ins Erdgeschoss gehen.
104(b) In Mayadin war die Situation nicht besser. Bei der Großregion handelte es sich laut dem Sachverständigen T7 durchgehend ebenfalls um ein Kampfgebiet. Hier führten die USA nach dessen glaubhafter Aussage ebenfalls Luftschläge durch. Der in der Nähe der Familienwohnung der Angeklagten stattgehabte Bombenangriff Ende Mai 2017 ist durch einen Chat des B1 T3 mit einem „Yalcinn“ belegt. Danach will er eigenhändig einen Säugling aus den Trümmern geborgen haben. Nach Presseberichten starben damals über einhundert Zivilisten. Zudem kam es laut dem Sachverständigen T7 in der zweiten Jahreshälfte 2017 zu monatelangem Artilleriebeschuss durch die syrische Armee, welche mit russischer und iranischer Unterstützung die Stadt im Oktober 2017 einnahm. Dessen überzeugende Ausführungen werden durch die Facebook-Nachricht des B1 T3 an P. H1 vom 12. September 2017 nicht in Frage gestellt, wonach bei ihm auf der „Arbeit“ seit einem Monat nichts, bei ihnen sehr wenig los sei und sie pro Woche „3 nach medina“ schicken würden. Denn noch am Morgen desselben Tages hatte auch er in dem Chat davon berichtet, dass die Ungläubigen („kuffar“) nahe seien. Die militärische Bedrängnis des IS wird weiter dadurch belegt, dass es zwei Tage später ausweislich einer Audionachricht des Sohnes O. an seine Oma zu einem massiven Bombardement aus der Luft kam und die Familie T. daraufhin – wie die Angeklagte selbst angegeben hat – aufgrund der Luftangriffe die Stadt verließ. An diesem Tag war nach einem solchen Angriff durch die Druckwelle der Explosion in der Familienwohnung ein Bild von der Wand gefallen und zersplittert, wodurch sich die Angeklagte eine Wunde am Unterarm zuzog. Auch dies hat sie in der Hauptverhandlung glaubhaft geschildert.
105(c) Mit einer Entwicklungsgefährdung der Kinder in dem hier festgestellten Maße geht die gröbliche Verletzung der Fürsorgepflicht einher. Mit dem Verbringen der Kinder nach Raqqa mussten diese fortan unter der Willkürherrschaft der terroristischen Vereinigung IS und in einem Bürgerkriegsland leben, wo sie Bombardierungen und deren weithin sichtbaren Folgen ausgesetzt waren. Dies nahm die Angeklagte zur Überzeugung des Senats von Beginn an zumindest billigend in Kauf, bevor es vor Ort für sie zur Gewissheit wurde. Selbst wenn B1 T3 ihr vor ihrer Ausreise von einer stabilen Sicherheitslage berichtet hat, war ihr der Umstand eines Bürgerkriegs in Syrien bewusst, wie sie eingeräumt hat. Dass der syrische Staat oder die internationale Staatengemeinschaft dem IS das eroberte Territorium überlassen und weitere Kampfhandlungen unterbleiben würden, lag fern. Die intellektuell normal veranlagte Angeklagte rechnete daher damit, dass es zu Luftschlägen und anderen Kampfhandlungen kommen könnte, zumal ihr die vom IS angestrebte territoriale Expansion des „Kalifats“ zur Überzeugung des Senats aus den oben genannten Gründen ebenfalls bekannt war. Gleiches gilt damit für den Umstand, dass der Aufenthalt im IS‑Gebiet massive Gefahren für die körperliche und psychische Entwicklung ihrer Kinder bergen konnte. Sie nahm den Eintritt dieser konkreten Gefahren für ihre Kinder unter Würdigung der Gesamtumstände indes billigend in Kauf, da ihr der Aufenthalt im IS-Gebiet zusammen mit ihrem Ehemann wichtiger war als die Vermeidung der entsprechenden Gefahr.
106Der Eintritt dieser konkreten Gefahr war der Angeklagten schließlich positiv bekannt, als sie durch Haushaltsführung und Betreuung den Verbleib der Kinder im Herrschaftsgebiet des IS weiter grob pflichtwidrig gefestigt hat. Nicht anders als die Kinder bekam auch die Angeklagte vor Ort die Luftschläge mit. B1 T3 nahm sogar den Tod der Kinder durch einen solchen Angriff billigend in Kauf. So führte er in einem Facebook-Chat mit seiner Schwester T8 P2 am 2. Dezember 2015 aus: „Lieber sterben wir hier bei einem Bombenangriff …“. Dass die Angeklagte auf einem vergleichbaren Wahrnehmungshorizont nicht zumindest auch diese Gefahr erkannt hat, ist auszuschließen. Vielmehr steht das Gegenteil fest: Als O. seiner Oma in der am 14. September 2017 erstellten Audiobotschaft davon berichtete, dass ein Flugzeug „auf uns“ bombardiert habe, „20.000 Mal“, „so oft“ und „ganz in unserer Nähe“, stellte ihm die Angeklagte folgende Frage: „Aber Du bist noch am Leben, O., oder bist Du schon tot?“. Als er sodann noch von der Bombardierung seiner Schule berichtete, verbot sie ihm den Mund.
107(2) Bildung und Erziehung
108Des Weiteren schickte das Ehepaar T. die Kinder auf IS-nahe Bildungseinrichtungen. Zwar folgt der Senat der Angeklagten dahin, dass die Kinder O. und S. in Raqqa eine Privatschule besucht haben. Die Existenz solcher Schulen vermochte auch der Sachverständige T7 nicht auszuschließen. Jedoch fand dort entgegen der Einlassung der Angeklagten mit ihrem Wissen kein „gemäßigter Religionsunterricht“ statt. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass der IS derartiges in seinem Herrschaftsgebiet nicht toleriert hätte. Vielmehr musste seine Ideologie und religiöse Sicht den Lehrinhalten zugrunde liegen. Auch der Wechsel ihrer Tochter S. von einer IS-eigenen Schule auf die Privatschule hatte daher nicht den von der Angeklagten angegebenen Grund zu großer Strenge. Vielmehr waren dort die Kinder – wie sie ebenfalls angegeben hat – „übereinander gestapelt“ und hatten keinen eigenen Sitzplatz. Dies gefiel der Angeklagten nicht, nach deren schriftlich vorbereiteter Einlassung diese Schulen „eher für Mittellose“ gewesen seien. Die von den Kindern besuchte Schule war von Ende September 2015 – laut einer Chatnachricht des B1 T3 begann sie im Einklang mit der Einlassung der Angeklagten nach dem islamischen Opferfest – bis jedenfalls Ende Oktober 2016 geöffnet. Letzteres ergibt sich aus einer Audiobotschaft der Angeklagten vom 27. Oktober 2016 in einem Gruppenchat mit diversen Familienmitgliedern. Dort schilderte sie die Öffnungszeiten der Schulen ihres Sohnes O. und ihrer Tochter S.; zudem gab sie an, dass die jüngeren Söhne den Kindergarten besuchen. O. T. nahm zudem in einer Moschee am Koranunterricht teil, dessen Lehrer der Sachverständige T7 auf einer in Augenschein genommenen Videoaufnahme anhand von Barttracht, Gewandung und Habitus „ganz deutlich“ als einen „IS-Mann“ erkannte. Dem folgt der Senat. Die Koranschule soll O. der Angeklagten zufolge ungefähr zweimal in der Woche besucht haben, während B1 T3 unter anderem dem Bruder N12 N13 der Angeklagten im September 2015 von täglichen Besuchen berichtete. Der Senat ist daher von zumindest mehrfachem Unterricht in der Woche überzeugt.
109In Mayadin hat nach der glaubhaften Einlassung der Angeklagten kein Schulbesuch stattgefunden. Zwar erzählte der Sohn O. in einer Audiobotschaft an seine Oma vom 14. September 2017 – die diese einer Tochter am Telefon vorspielt – davon, sie hätten „meine Schule bombardiert“. Aber womöglich meinte er hiermit „nur“ die von ihm besuchte Koranschule (Moschee) oder eine Schule, auf die er hätte gehen sollen. Dass er weiter am Koranunterricht teilnahm, entnimmt der Senat der Angabe der Angeklagten, O. sei in Mayadin in die Moschee zum Unterricht gegangen.
110Zudem billigte und förderte die Angeklagte die Erziehungsmethoden und -ziele ihres Ehemanns, der seine Kinder im Sinne des IS erziehen wollte und erzog. Letztlich stellte sie – dokumentiert durch ihre Ausreise – die ideologischen Sichtweisen ihres Ehemanns nicht in Frage, sondern folgte ihnen. Dies lässt sich auch aus dem Nachtatverhalten der Angeklagten ableiten, in dessen Rahmen sie ungeachtet ihres Umgangs mit den Kindern unter Betreuung des Hilfsprojekts „Grenzgänger“ (dazu sogleich d)) weiter einer fundamentalistischen Haltung anhing. Mit dem Nahebringen der Ideologie des IS und seiner Willkürherrschaft hat die Angeklagte die Gefährdung der psychischen Entwicklung der Kinder vorsätzlich weiter vertieft, denn – die ihr als solche bekannten – elementare Grundwerte des sozialethischen Normengefüges blieben unvermittelt. Dass bei den Kindern heute keine Schäden vorzuliegen scheinen und sie schulische Rückstände aufgeholt haben, steht ihrer damaligen konkreten Entwicklungsgefährdung nicht entgegen.
Die festgestellten Umstände ihrer Ausschleusung stützt der Senat auf die insoweit glaubhafte Einlassung der Angeklagten. Dass die Angeklagte an sich im Einklang mit den Wünschen ihres Ehemanns in der Türkei verbleiben wollte, ist der überwachten Telekommunikation etwa der Mutter des B1 T3 zu entnehmen. Schließlich begab sich die Angeklagte jedoch zwecks Einreise in die Bundesrepublik zur deutschen Botschaft nach Ankara. Da für ihre jüngste Tochter Passersatzpapiere nach einem DNA-Abgleich angefertigt werden mussten, blieb sie mit ihr vor Ort zurück, während ihre Eltern mit den vier älteren Kindern die Rückreise nach Deutschland antraten. Schließlich kehrte auch die Angeklagte – von der Bundespolizei vermerkt – mit dem weiteren Kind im Februar 2018 zurück.
112Auch in der Folgezeit hing sie weiter der Ideologie des salafistischen Islams an. Insofern wird auf die vorherigen Ausführungen (unter c), bb), (2), (cc)) Bezug genommen. Sie stellte zudem ausweislich von Chatnachrichten mit ihrem Ehemann im Jahr 2018 Überlegungen an, die Bundesrepublik wieder zu verlassen, etwa dessen Rat gemäß in Richtung Libanon, wo seine Familie über Immobilienbesitz verfüge. Der Senat verkennt nicht, dass die Angeklagte und ihre Kinder nach ihrer Rückkehr nach Deutschland von dem Beratungsnetzwerk „Grenzgänger“ betreut wurden, sie insoweit mitgearbeitet hat und die Kinder auch an diversen Gemeinschaftsveranstaltungen teilnehmen ließ. Die Ereignisse in Syrien blieben bei Gesprächen indes nach den glaubhaften Aussagen der Zeugen J2 und J1 praktisch außen vor. Dabei hat die Angeklagte besorgt, dass ihr das Jugendamt das Sorgerecht für die Kinder entziehen könnte. Auf eine Haltungsänderung ist – in Ansehung der zeitgleichen Kommunikation mit ihrem Ehemann – nicht zu schließen. Insoweit hat der Zeuge J2 vom Beratungsnetzwerk „Grenzgänger“ glaubhaft von einer Äußerung der Angeklagten berichtet, wonach sie bei einer Trennung von ihrem Mann und einer neuen Heirat Angst habe, dass sich das Geschehene wiederhole. Dies zeigt, wie sie sich auf dem Hintergrund ihrer fundamentalistischen Einstellung wiederum gehalten sähe, auf Geheiß ihres Partners einer jihadistischen Ideologie zu folgen. Immerhin scheint sie selbst diese Gefahr zu sehen. Dennoch war nicht festzustellen, dass sich die Angeklagte als Voraussetzung für eine nachhaltige Einstellungsänderung bisher näher mit den Grundlagen des Tatgeschehens auseinandergesetzt hätte.
a) Indem sich die Angeklagte im August 2015 in den IS, eine auf das rechtswidrige und schuldhafte Töten von Menschen sowie die Begehung von Kriegsverbrechen gerichtete Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, im beiderseitigen Einvernehmen eingliederte, hat sie sich gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht. Ihr Handeln beschränkte sich nicht auf das bloße „Leben im Kalifat“. Vielmehr förderte sie die Organisation von innen heraus, etwa indem sie in deren Interesse die Frauen anderer ortsabwesender IS‑Kämpfer bei sich beherbergte.
114Zudem hat die Angeklagte dadurch ein Kriegsverbrechen gegen das Eigentum (§ 9 Abs. 1 VStGB) begangen, dass sie die vom IS als Kriegsbeute vereinnahmte und ihnen zugewiesene Wohnung in Raqqa über einen erheblichen Zeitraum bewohnte. Hierdurch hat sie sich diese Sache der gegnerischen Partei gemeinsam mit ihrem Ehemann im funktionalen Zusammenhang mit dem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt, wie er in Syrien im Tatzeitraum unter Beteiligung des IS vorlag, völkerrechtswidrig angeeignet. Mit Blick auf den Wert und die Bedeutung einer Wohnung, zumal sie sechs Personen aufnehmen konnte, handelte es sich um eine Aneignung von erheblichem Umfang. Die Angeklagte handelte als Mittäterin (§ 25 Abs. 2 StGB), denn sie nahm selbst Aneignungshandlungen vor. Zudem war ihre Präsenz zusammen mit den Kindern überhaupt Grund für die Zuteilung der Wohnung durch den IS.
115Indem die Angeklagte ihre vier Kinder in ein Bürgerkriegsgebiet verbrachte und trotz Luftschlägen und militärischer Bedrängnis mit ihnen im Herrschaftsgebiet des IS lebte, hat sie ferner ihre Fürsorgepflicht nach § 171 StGB gröblich verletzt. Dies ist der Fall, wenn die betreffende Handlung objektiv in einem besonders deutlichen Widerspruch zu den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Sorge steht und subjektiv, gemessen an den Möglichkeiten der Täterin, ein erhöhtes Maß an Verantwortungslosigkeit erkennen lässt (BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2019 – AK 56/19 Rn. 43). Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn die Angeklagte setzte die Kinder vorsätzlich der konkreten Gefahr aus, in ihrer körperlichen und seelischen Entwicklung durch Kampfhandlungen erheblich – etwa durch Verletzungen bis hin zum Tod und psychische (posttraumatische) Störungen – geschädigt zu werden. Zugleich muss der Vorsatz die gröbliche Pflichtverletzung umfassen. Insoweit genügt aber, dass die Angeklagte – wie hier – die tatsächlichen Umstände kannte und billigte, die diese Bewertung rechtfertigen (vgl. Ritscher in MüKoStGB, 4. Aufl., § 171 Rn. 20). Zudem hat sie ihre Erziehungspflicht dadurch gröblich und vorsätzlich verletzt, dass sie die Kinder im Sinne der Ideologie des IS erziehen ließ und erzog. Da sich die Ausführungshandlungen decken, liegen insofern vier Fälle in gleichartiger Tateinheit vor. Aus Gründen der Klarheit des Tenors hat der Senat davon abgesehen, dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Die Anwesenheit und der Verbleib der Kinder in Syrien lagen wie die die Herrschaft des IS festigende Aneignung der Immobilie zugleich im Interesse der Organisation, sodass jeweils auch der Tatbestand des §129a StGB erfüllt ist.
116b) Damit sind im Ergebnis drei zueinander in Tatmehrheit gemäß § 53 StGB stehende Fälle der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gegeben. Dabei umfasst Fall 1 sämtliche mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte, durch die nicht gleichzeitig ein weiterer Straftatbestand erfüllt ist. Die weiteren Fälle betreffen die Handlungen, durch die die Angeklagte zugleich gegen § 9 VStGB (Fall 2) und gegen § 171 StGB (Fall 4) verstoßen hat, und stehen hiermit jeweils in Tateinheit gemäß § 52 StGB.
117c) Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Hinsichtlich der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland folgt dies aus § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB, da die Angeklagte (auch) deutsche Staatsangehörige ist und sich zudem im Inland befindet. Darüber hinaus hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 13. Oktober 2015 für bereits begangene und zukünftige Taten im Zusammenhang mit dem IS die gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung erteilt.
118Der Verstoß gegen § 9 VStGB kann nach dessen § 1 Satz 1 (Weltrechtsprinzip) durch den Senat geahndet werden. Schließlich ergibt sich hinsichtlich der Verletzungen von § 171 StGB die deutsche Strafgewalt bereits daraus, dass die Taten noch im Inland begonnen haben (§ 9 StGB). Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen von § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB vor, denn die Tatorte in Syrien unterlagen mangels Kontrolle der syrischen Regierung keiner Strafgewalt.
Im Fall 3 der Anklage war die Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. Denn der Senat hat sich nicht davon überzeugen können, dass sie sich die in Mayadin bewohnte Immobilie unter Verstoß gegen § 9 VStGB völkerrechtswidrig angeeignet hat. Weitere Delikte kamen nicht in Betracht.
Der Strafrahmen für jede der drei Taten ergibt sich gemäß § 52 Abs. 2 StGB aus dem verletzten Gesetz, das die schwerste Strafe androht, also aus § 129a Abs. 1 StGB (der im Fall 2 denselben Strafrahmen wie § 9 VStGB vorsieht). Eine Milderung nach § 129a Abs. 6 StGB kommt bei keiner Tat in Betracht, da aus den nachfolgenden Gründen jeweils weder eine geringe Schuld vorliegt noch die Mitwirkung der Angeklagten von untergeordneter Bedeutung war. Ihre Spontanangaben im Rahmen der Durchsuchung im April 2019 erfüllen nicht die Voraussetzungen von § 46b Abs. 1 Nr. 1 StGB als vertyptem Strafmilderungsgrund: Aufgrund des ungewissen Verbleibs von B1 T3 scheidet ein Aufklärungserfolg aus. Zudem waren die damaligen Angaben der Angeklagten im Vergleich zu den umfangreichen sachlichen Beweismitteln nicht als wesentlich zu bewerten. Denn insbesondere aufgrund von diversen Chats des B1 T3 mit Verwandten und Kämpfern war dessen mitgliedschaftliche Betätigung im IS in herausgehobener Stellung bereits in vielen Details sicher nachweisbar. Der Strafrahmen ist daher jeweils Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Bei der konkreten Strafzumessung hat der Senat in allen Fällen zugunsten der Angeklagten gewürdigt, dass sie sich teilgeständig eingelassen, hierbei auch ihren Ehemann erheblich belastet und Reue bekundet hat. Zudem sprach für sie, dass sie nur auf dessen Bestreben mit den Kindern ausgereist und sich der Organisation angeschlossen hat. Ihr war weiter zugute zu halten, dass sie das Herrschaftsgebiet des IS auch zum Wohlergehen ihrer Kinder schließlich verlassen und sich in der Folgezeit nicht mehr als dessen Mitglied betätigt hat, die Taten also bereits lange zurück liegen. Die Umstände ihrer Ausschleusung hat der Senat bedacht. Strafmildernd war zudem, dass die zur Tatzeit unbestrafte Angeklagte als Erstverbüßerin einer Freiheitsstrafe und Mutter von fünf Kindern besonders haftempfindlich ist, sie zudem in der Untersuchungshaft unter den Bedingungen der Corona-Pandemie insbesondere weitgehenden Besuchsbeschränkungen unterlag. Des Weiteren sprach zugunsten der insoweit zeugnisverweigerungsberechtigten Angeklagten, dass sie der Verwertung ihrer hiesigen Angaben im Verfahren gegen den Bruder S1 P2 ihres Ehemanns zugestimmt hat. Im Fall 2 hat der Senat weiter strafmildernd gewürdigt, dass sich der IS die Wohnung bereits angeeignet hatte und sie den von ihrem Ehemann beschafften Wohnraum als Lebensgrundlage benötigte.
122Zu Lasten der Angeklagten war die besondere Gefährlichkeit und Grausamkeit des IS zu berücksichtigen. Zudem war in allen Fällen der Tatzeitraum von längerer Dauer, in dem sie das Grundanliegen der Organisation (Errichtung staatlicher Strukturen mit ihr getreuen Einwohnern) in deren Kerngebiet förderte. Im Fall 1 sprach zudem die herausgehobene Stellung von B1 T3 in der Organisation gegen sie, auch wenn die Förderungsbeitrage der Angeklagten insbesondere durch Haushaltsführung und Kindererziehung insoweit verhältnismäßig gering waren. In den Fällen 2 und 4 tritt hinzu, dass die Angeklagte gegen mehrere Strafvorschriften, dabei im Fall 4 zugleich vierfach gegen § 171 StGB verstoßen hat. Im Fall 4 sprach weiter gegen sie, dass für die Kinder, deren Alter die Schutzgrenze dieser Norm weit unterschritt, eine hochgradige Gefahr bestand.
123Unter Berücksichtigung insbesondere der vorgenannten Strafzumessungserwägungen sind folgende Einzelstrafen tat- und schuldangemessen:
124- im Fall 1 eine Freiheitsstrafe von 2 (zwei) Jahren und 6 (sechs) Monaten,
125- im Fall 2 eine Freiheitsstrafe von 2 (zwei) Jahren,
126- im Fall 4 eine Freiheitsstrafe von 2 (zwei) Jahren und 6 (sechs) Monaten.
Aus diesen Einzelstrafen hat der Senat gemäß § 53 Abs. 1, § 54 StGB die Gesamtfreiheitsstrafe durch Erhöhung der höchsten Einzelfreiheitsstrafe gebildet. Bei nochmaliger Berücksichtigung insbesondere der genannten Strafzumessungsgründe unter zusammenfassender Würdigung der Person der Angeklagten und der von ihr begangenen Taten sowie des engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs zwischen diesen Taten hält der Senat im Ergebnis eine Gesamtfreiheitsstrafe von
1284 (vier) Jahren
129für tat- und schuldangemessen. Bei deren Bemessung hat der Senat bedacht, dass die gegen die Angeklagte rechtskräftig verhängten Geldstrafen (vgl. I.) vollständig gezahlt, daher also nicht mehr gesamtstrafenfähig sind (§ 55 Abs. 1 StGB) und somit auch eine Anrechnung gemäß § 51 Abs. 2, 4 Satz 1 StGB ausscheidet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 Satz 1, § 467 Abs. 1 StPO.