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Zwischen Fluggastrechteportalen und Fluggesellschaften besteht kein Wettbewerbsverhältnis.
§ 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil der 14c. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 09.06.2020 - 14c O 50/20 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
„Der Antragsgegnerin wird bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an den Geschäftsführern der Antragsgegnerin, untersagt
1.
im Rahmen von geschäftlichen Handlungen im Zusammenhang mit Ansprüchen auf Ausgleichszahlung gegenüber Fluggästen nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nachfolgende Aussagen zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:
„[ASt] zeigt sich jedoch immer noch unkooperativ und streitet ab, dass Sie eine berechtigte Forderung haben.“,
wenn dies im Rahmen einer E-Mail-Ansprache an Kunden wie folgt geschieht:
„Dank der Unterlagen, die Sie uns zur Verfügung gestellt haben, hat unser Rechtsteam Ihren Fall nun genau geprüft und nochmals bestätigt, dass Sie einen Anspruch auf Entschädigung für Ihren [ASt]-Flug von Modlin nach London haben. [ASt] zeigt sich jedoch immer noch unkooperativ und streitet ab, dass Sie eine berechtigte Forderung haben. Für gewöhnlich ist dies kein Problem. Wir bringen die Fluggesellschaft einfach vor Gericht, um sie dazu zu bringen, den Passagieren die Entschädigung zu zahlen, die ihnen zusteht.“;
2.
im Rahmen von geschäftlichen Handlungen im Zusammenhang mit Ansprüchen auf Ausgleichszahlung gegenüber Fluggästen nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nachfolgende Aussagen auf der Website A… zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:
„[ASt] bietet Ihnen vielleicht einen Gutschein an, um Sie zufriedenzustellen, während Sie warten, aber wir haben schon von Fällen gehört, in denen man durch die Annahme eines solchen Gutscheins auf seinen Entschädigungsanspruch verzichtet.“,
wenn dies geschieht wie in der Anlage AS 6 (S. 2) ersichtlich.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.“
Die weitergehende Berufung der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 70% und die Antragsgegnerin zu 30%. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Antragstellerin zu 62,5% und die Antragsgegnerin zu 37,5%
G r ü n d e :
2A.
3Die Parteien streiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren um verschiedene Äußerungen, die die Antragsgegnerin, ein Fluggastrechteportal, über die Antragstellerin, eine Fluggesellschaft, getätigt hat.
4Anfang März 2020 wurden über das Portal der Antragsgegnerin für die Passagierin H… wegen Verspätung eines von der Antragstellerin durchgeführten Fluges von Modlin nach London Entschädigungsansprüche nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO) geltend gemacht. Am 05. März 2020 teilte die Antragsgegnerin der Passagierin in einer E-Mail u.a. mit:
5„Dank der Unterlagen, die Sie uns zur Verfügung gestellt haben, hat unser Rechtsteam Ihren Fall nun genau geprüft und nochmals bestätigt, dass Sie einen Anspruch auf Entschädigung für Ihren [ASt]-Flug von Modlin nach London haben. ASt] zeigt sich jedoch immer noch unkooperativ und streitet ab, dass Sie eine berechtigte Forderung haben. Für gewöhnlich ist dies kein Problem. Wir bringen die Fluggesellschaft einfach vor Gericht, um sie dazu zu bringen, den Passagieren die Entschädigung zu zahlen, die ihnen zusteht.“
6Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Ansprüche der Passagierin H… bei der Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht wurden.
7Auf der Website der Antragsgegnerin B… fanden sich auf der auf die Antragstellerin bezogenen Unterseite C… folgende Aussagen:
8 „Sie müssen keine komplizierten Formulare ausfüllen, wenn Sie mit [ASt]] Verspätung hatten.“
9 "Unser Team (...) weiß bestens über die Rechtslage Bescheid, sodass Sie sich nicht mit langwierigen Verfahren mit der Fluggesellschaft auseinandersetzen müssen."
10 "[AG] klärt auf und bietet Fluggästen eine stressfreie Möglichkeit, die ihnen zustehende Entschädigung zu erhalten."
11 „Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung in der Branche der Fluggastrechte wissen wir, welche Ausreden die Fluggesellschaften verwenden und wie Sie trotzdem Ihre Entschädigung erhalten.“
12 „[ASt] bietet Ihnen vielleicht einen Gutschein an, um Sie zufriedenzustellen, während Sie warten, aber wir haben schon von Fällen gehört, in denen man durch die Annahme eines solchen Gutscheins auf seinen Entschädigungsanspruch verzichtet.“
13 „[AG] … ist das erfolgreichste Unternehmen für Fluggastrechte.“
14Hiergegen wandte sich die Antragstellerin nach erfolgloser Abmahnung mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassen der zitierten Äußerungen. Sie hält die Äußerungen der Antragsgegnerin für wettbewerbswidrig.
15Das Landgericht Düsseldorf hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach mündlicher Verhandlung durch Urteil vom 09. Juni 2020, zugestellt am 15. Juni 2020, überwiegend stattgegeben und der Antragsgegnerin die Äußerung
16 „[ASt] zeigt sich jedoch immer noch unkooperativ und streitet ab, dass Sie eine berechtigte Forderung haben.“
17in der E-Mail-Ansprache an Kunden sowie folgende Äußerungen auf der Website der Antragsgegnerin untersagt:
18 „Sie müssen keine komplizierten Formulare ausfüllen, wenn Sie mit [ASt] Verspätung hatten.“
19 „[ASt] bietet Ihnen vielleicht einen Gutschein an, um Sie zufriedenzustellen, während Sie warten, aber wir haben schon von Fällen gehört, in denen man durch die Annahme eines solchen Gutscheins auf seinen Entschädigungsanspruch verzichtet.“
20 „Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung in der Branche der Fluggastrechte wissen wir, welche Ausreden die Fluggesellschaften verwenden und wie Sie trotzdem Ihre Entschädigung erhalten.“
21 „[AG] … Ist das erfolgreichste Unternehmen für Fluggastrechte.“
22Das Landgericht hat die geltend gemachten Unterlassungsansprüche aus dem UWG hergeleitet. Zwischen der Fluggesellschaft und dem Fluggastrechteportal bestehe ein konkretes Wettbewerbsverhältnis; die Äußerungen seien irreführend i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 1 UWG.
23Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer am 09. Juli 2020 eingegangenen und nach Fristverlängerung am 17. September 2020 begründeten Berufung. Sie macht geltend, das Landgericht habe sich zu Unrecht auf Wettbewerbsrecht gestützt. Zwischen den Parteien liege kein Wettbewerbsverhältnis vor. Weder seien die angebotenen Dienstleistungen substituierbar noch bestehe zwischen ihnen eine Wechselwirkung dergestalt, dass durch die Förderung des eigenen Wettbewerbs der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werde. Die einzelnen Aussagen seien zulässig.
24Die Antragsgegnerin beantragt,
25unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf, 14c O 50/20, vom 09. Juni 2020 die einstweilige Verfügung insgesamt aufzuheben und den Antrag auf deren Erlass zurückzuweisen.
26Die Antragstellerin beantragt,
27die Berufung der Antragstellerin zurückzuweisen.
28Zutreffend sei das Landgericht von einem Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien ausgegangen. Die einzelnen Aussagen seien wettbewerbswidrig. Jedenfalls seien die Unterlassungsansprüche aus Deliktsrecht begründet.
29B.
30Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist teilweise begründet. Der Antragstellerin stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche nur zum Teil zu.
31I.
321. Zunächst kann sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg auf wettbewerbsrechtliche Anspruchsgrundlagen stützen. Denn entgegen der Auffassung des Landgerichts fehlt es in Ermangelung eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG) an der nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG erforderlichen Eigenschaft der Antragstellerin als Mitbewerberin der Antragsgegnerin.
33Der Senat hat im Beschluss vom 09. Juli 2019, I-20 U 50/19 (Vorinstanz: Landgericht Düsseldorf, 37 O 133/18), in einem Rechtsstreit zwischen einem Fluggastrechteportal und einer Fluggesellschaft wegen eines Abtretungsverbots in deren Allgemeinen Beförderungsbedingungen zur Frage des Vorliegens eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses Folgendes ausgeführt:
34„Die Annahme des Landgerichts, dass zwischen der Antragstellerin als Betreiberin eines Fluggastrechteportals und der Antragsgegnerin als einer ungarischen Fluggesellschaft, die auch von deutschen Flughäfen Flüge anbietet, ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht, erweist sich bereits bei summarischer Prüfung als nicht tragfähig. Es fehlt im Streitfall vielmehr an dem für die Mitbewerbereigenschaft erforderlichen konkreten Wettbewerbsverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG, so dass die Berufung gegen das angefochtene Urteil voraussichtlich erfolgreich sein wird.
35Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG ist gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen und daher das Wettbewerbsverhalten des einen den anderen beeinträchtigen, das heißt im Absatz behindern oder stören kann. Da im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes grundsätzlich keine hohen Anforderungen an das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zu stellen sind, reicht es hierfür aus, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt (BGH, Urteil vom 10. April 2014, I ZR 43/13, GRUR 2014, 1114 Rn. 32 - nickelfrei; Urteil vom 26. Januar 2017, I ZR 217/15, GRUR 2017, 918 Rn. 16 - Wettbewerbsbezug m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist daher ein konkretes Wettbewerbsverhältnis anzunehmen, wenn zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann (BGH, jeweils a.a.O.). Eine bloße Beeinträchtigung im Marktbestreben reicht zur Begründung eines Wettbewerbsverhältnisses nicht aus, wenn es an jeglichem Konkurrenzmoment im Angebots- oder Nachfragewettbewerb fehlt (BGH, Urteil vom 26. Januar 2017, I ZR 217/15, GRUR 2017, 918 Rn. 16 - Wettbewerbsbezug).
36Danach hat das Landgericht das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Parteien im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG zu Unrecht mit der Begründung angenommen, dass sich das konkrete Wettbewerbsverhältnis im Verhältnis der Parteien daraus ergebe, dass beide um dieselben Kunden - nämlich Fluggäste der Beklagten - werben würden, wenn auch mit unterschiedlicher Zielrichtung. Eine von dem Wettbewerbsverhältnis des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG begründete Wechselwirkung der von der beanstandeten Handlung ausgelösten Vor- und Nachteile besteht nach Vorgesagtem nämlich nur, wenn die von den Parteien angebotenen Waren oder Dienstleistungen auch einen konkreten wettbewerblichen Bezug zueinander aufweisen (BGH a.a.O., Rn. 19). So liegt der wettbewerbliche Bezug zwischen dem Betrieb eines Hotelbewertungsportals, das mit einem Online-Reisebüro verbunden ist, und dem Betrieb eines Hotels, das auf dem Bewertungsportal negativ bewertet worden ist, im Absatz von Hotelbuchungen (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 2015, I ZR 94/13, GRUR 2015, 1129 Rn. 19 - Hotelbewertungsportal). Im Falle eines werbefinanzierten Fernsehsenders und eines Unternehmens, das ein Gerät mit Werbeblocker-Funktion vertreibt, wird der wettbewerbliche Bezug zwischen den verschiedenartigen Waren und Dienstleistungen durch deren Einwirkung auf die Wahrnehmbarkeit der Werbesendungen hergestellt (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2004, I ZR 26/02, GRUR 2004, 877, 879 - Werbeblocker).
37Ein solches „zusätzliches, verbindendes Element“ (Büscher, GRUR 2014, 113, 115) fehlt im Streitfall. Die sich gegenüberstehenden Dienstleistungen (Transport mit dem Flugzeug einerseits und Unterstützung bei der Geltendmachung von Fluggastrechten andererseits) sind völlig ungleichartig, eine Konkurrenz auf den diesbezüglichen Angebotsmärkten ist schon im Ansatz ausgeschlossen. Der vorliegende Fall ist vielmehr vergleichbar mit der Fallkonstellation, die Gegenstand der Entscheidung „Wettbewerbsbezug“ des Bundesgerichtshofs war und in der der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass es an dem erforderlichen wettbewerblichen Bezug zwischen einer anwaltlichen Tätigkeit - etwa durch die Beratung oder Prozessführung für einen Kunden - und dem Unternehmen, auf das sich die Geschäftstätigkeit nachteilig auswirken kann, fehlt (BGH, Urteil vom 26. Januar 2017, I ZR 217/15, GRUR 2017, 918 Rn. 20 f.). Nichts anderes kann gelten, wenn sich im umgekehrten Fall die geschäftliche Tätigkeit eines Unternehmens nachteilig auf die Geschäftstätigkeit desjenigen auswirken kann, der Kunden dieses Unternehmens bei der Durchsetzung ihrer Rechte diesem gegenüber unterstützt.“
38Hieran ist festzuhalten. Insbesondere gebietet der Umstand, dass es vorliegend allein um die Geltendmachung von Ansprüchen nach der FluggastrechteVO geht, sich die maßgebliche Dienstleistung auf Seiten der Antragstellerin als Fluggesellschaft also enger fassen lässt, keine andere Beurteilung.
39a) Die hier in Rede stehenden Dienstleistungen stellen sich - gerade auch aus der Sicht der angesprochenen Verbraucher - nicht als gleichartig dar (keine Marktidentität). Die Antragstellerin bietet ihren Kunden mit dem auf ihrer Website befindlichen Formular eine Möglichkeit, Entschädigungsansprüche nach der FluggastrechteVO ihr gegenüber geltend zu machen. Sie bietet ihren Kunden damit neben einer postalischen Anschrift und einer E-Mail-Adresse eine weitere Kommunikationsmöglichkeit an. Demgegenüber erbringt die Antragsgegnerin gegenüber den Kunden der Antragstellerin eine Rechtsdienstleistung, die in der Geltendmachung von Ansprüchen einem Dritten gegenüber besteht. Anders als die Antragstellerin beschränkt sich die Antragsgegnerin nicht auf die Entgegennahme von Forderungsanmeldungen. Dies ist auch aus Sicht des Verbrauchers nicht anders. Keinesfalls hat der Verbraucher den Eindruck, er könne seine Ansprüche wahlweise bei der Antragstellerin oder bei der Antragsgegnerin anmelden und werde dann von der einen oder der anderen entschädigt. Vielmehr ist offensichtlich, dass die Antragsgegnerin die Rolle einer Mittlerin einnimmt und die Ansprüche des Verbrauchers - ähnlich einem Rechtsanwalt - für ihn bei der Antragstellerin anmeldet.
40Dass die Antragstellerin, wie sie in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2020 vorgetragen hat, zum Zwecke der Kundenbindung eigens Strukturen zur Bearbeitung von Kundenbeschwerden und darunter auch die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach der FluggastrechteVO aufgebaut hat, gebietet keine andere Bewertung. Selbst wenn die Entgegennahme von Forderungsanmeldungen für den Kunden komfortabel gestaltet wird und Ansprüche durch die Antragstellerin schnell befriedigt werden, bleibt es dabei, dass diese hiermit nur ihrer Pflicht als Schuldnerin nachkommt und keine darüber hinausgehende Dienstleistung erbringt. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall auch von dem Fall des Versicherungsberaters, bei dem der Bundesgerichtshof ein Wettbewerbsverhältnis zum Versicherer anerkennt, weil beide die Dienstleistung der Beratung über Versicherungsangelegenheiten anbieten (BGH, Urt. v. 05. November 2020, I ZR 234/19, Rn. 21 - Zweitmarkt für Lebensversicherungen). Als Dauerschuldverhältnis lässt der Versicherungsvertrag Raum für Beratungsleistungen, den es im Fall von Einzelansprüchen wegen Flugverspätung nicht gibt.
41b) Ebenso wenig kann vorliegend eine Wechselwirkung zwischen den Vorteilen der einen Partei und den Nachteilen der anderen Partei in dem Sinne angenommen werden, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann. Fehlt es nämlich an jeglichem Konkurrenzmoment, reicht eine bloße Beeinträchtigung, also eine irgendwie geartete Auswirkung auf das eigene Marktstreben, zur Begründung eines Wettbewerbsverhältnisses nicht aus (BGH, GRUR 2017, 918, Rn. 16 - Wettbewerbsbezug). So liegt der Fall hier. Die Geltendmachung von Ansprüchen nach der FluggastrechteVO über die Antragsgegnerin als Rechtsdienstleisterin ersetzt für den Verbraucher zwar die Nutzung des Formulars auf der Website der Antragstellerin, nicht aber die Entgegennahme seiner Forderungsanmeldung schlechthin. Denn statt seiner muss sich nun die Antragsgegnerin an die Antragstellerin wenden und, lediglich auf anderem Kommunikationswege, seine Forderung geltend machen. Dass die Antragstellerin möglicherweise vermehrt Forderungsanmeldungen über die Antragsgegnerin ausgesetzt ist - und dies wäre der Vorteil auf deren Seite - anstatt Forderungsanmeldungen von ihren Kunden selbst zu erhalten, begründet keinen wettbewerbsrechtlich relevanten Nachteil für sie. Ein Einwirken auf die Vertragsbeziehung der Antragstellerin zu ihren Kunden findet nicht statt (auch insoweit anders als in dem jüngst vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall des Versicherungsberaters: BGH, Urt. v. 05. November 2020, I ZR 234/19, Rn. 29 - Zweitmarkt für Lebensversicherungen).
42Der hier zu entscheidende Fall ist vielmehr vergleichbar mit der Geltendmachung von Forderungen durch einen Rechtsanwalt, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keinen wettbewerblichen Bezug zu dem betroffenen Anspruchsgegner begründet (BGH, GRUR 2017, 918, Rn. 20 - Wettbewerbsbezug). Der Bundesgerichtshof führt hierzu wörtlich aus: „Andernfalls wäre eine ungebührliche Ausweitung der wettbewerbsrechtlichen Anspruchsberechtigung von Unternehmen gegenüber Rechtsanwälten zu befürchten, weil das Unternehmen stets als Wettbewerber des Rechtsanwalts anzusehen wäre, wenn sich seine anwaltliche Tätigkeit - etwa durch die Beratung oder Prozessführung für einen Kunden - für das Unternehmen geschäftlich nachteilig auswirken kann.“ (BGH, a.a.O.). Dies gilt in gleicher Weise für Rechtsdienstleister wie die Antragsgegnerin.
43Entgegen ihrer Befürchtung ist die Antragstellerin damit gegenüber Äußerungen der Antragsgegnerin nicht rechtlos gestellt. Sie kann deliktsrechtliche Normen für sich in Anspruch nehmen und damit zumindest einen gewissen Schutz erreichen.
442. Der vom Landgericht bejahte Verfügungsanspruch ergibt sich für einen Teil der der Antragsgegnerin untersagten Äußerungen aus §§ 824 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB. Die erforderliche Wiederholungsgefahr wird im Hinblick auf die erfolgten Verletzungshandlungen indiziert. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung hat die Antragsgegnerin nicht abgegeben.
45Im Einzelnen:
46a) Im Hinblick auf die Aussage in der E-Mail-Korrespondenz mit einer Kundin am 05. März 2020, „[ASt] zeigt sich jedoch immer noch unkooperativ und streitet ab, dass Sie eine berechtigte Forderung haben.“, hat die Antragstellerin einen Unterlassungsanspruch aus §§ 824 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB glaubhaft gemacht.
47Dass die in der E-Mail vom 05. März 2020 an die Passagierin H… enthaltenen Tatsachenbehauptungen, die Antragstellerin zeige sich im Fall der Kundin unkooperativ und streite den Entschädigungsanspruch ab, unwahr sind, ist zwischen den Parteien unstreitig. Ihnen kommt auch die erforderliche Schädigungseignung zu. § 824 Abs. 1 BGB schützt vor unmittelbaren Beeinträchtigungen wirtschaftlicher Interessen durch die Behauptung oder Verbreitung unwahrer Tatsachen (BGH, Urt. v. 20.12.1988, VI ZR 95/88, GRUR 1989, 222 - Filmbesprechung). Die Vorschrift begründet für denjenigen einen Ersatzanspruch, der von der Stoßrichtung einer unrichtigen - wenn auch nicht notwendigerweise ehrenrührigen - Aussage, so wie sie im Verkehr verstanden wird, betroffen ist, weil sich die Aussage mit seiner Person, seinem Unternehmen oder der von ihm ausgeübten Tätigkeit unmittelbar befasst (BGH, a.a.O.). So liegt der Fall hier. Die angegriffenen Äußerungen der Antragsgegnerin befassen sich mit dem Regulierungsverhalten der Antragstellerin bei Ansprüchen nach der FluggastrechteVO und damit unmittelbar mit ihrem wirtschaftlichen Betätigungsfeld als Fluggesellschaft. Da sich die allgemeine Reputation einer Fluggesellschaft, die unmittelbare Auswirkung auf deren Passagierzahlen und damit auf deren wirtschaftlichen Erfolg hat, auch auf den Umgang mit den Passagieren nach dem Flug gründet, sind die unwahren Behauptungen geeignet, die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin unmittelbar zu beeinträchtigen. Dem steht die Behauptung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin habe ihren guten Ruf selbst zerstört, nicht entgegen. Denn unabhängig davon, ob dieser Einwand überhaupt geeignet wäre, den Anspruch aus § 824 Abs. 1 BGB entfallen zu lassen - schließlich würde das bedeuten, dass die Antragstellerin tatsächlich gegenüber unwahren, geschäftsschädigenden Äußerungen rechtlos gestellt wäre -, kann er jedenfalls nicht mit einem Presseartikel aus dem Jahr 2016 (Anlage AG 1) substantiiert und belegt werden.
48b) Auch im Hinblick auf die Aussage auf der Website der Antragsgegnerin B…, „[ASt] bietet Ihnen vielleicht einen Gutschein an, um Sie zufriedenzustellen, während Sie warten, aber wir haben schon von Fällen gehört, in denen man durch die Annahme eines solchen Gutscheins auf seinen Entschädigungsanspruch verzichtet.“, hat die Antragstellerin einen Unterlassungsanspruch aus §§ 824 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB glaubhaft gemacht.
49Die im Kern in der Äußerung enthaltene Tatsachenbehauptung, die Antragstellerin biete ihren Passagieren Gutscheine an, mit deren Annahme ein Verzicht auf die Rechte aus der FluggastrechteVO verbunden sei, ist unwahr. Die Antragstellerin hat durch Vorlage der eidesstattlichen Erklärung des Leiters ihrer Rechtsabteilung glaubhaft gemacht, dass eine derartige Praxis bei ihr nicht besteht. Demgegenüber hat die Antragsgegnerin ihre Äußerung nicht substantiiert, insbesondere die behaupteten „Fälle“ nicht dargelegt. Das Vorlegen eines Presseartikels aus dem Jahr 2016 (Anlage AG 1) ersetzt substantiierten Vortrag nicht. Auch die als Anlagen AG 5 bis AG 9 vorgelegten, überwiegend englischsprachigen Presseartikel aus April 2020 sind zur Substantiierung nicht geeignet. Sie befassen sich ausschließlich mit Erstattungsansprüchen wegen annullierter Flüge, nicht aber mit Entschädigungsforderungen wegen verspäteter Flüge, um die allein es im vorliegenden Fall geht. Die von der Antragstellerin behauptete Unwahrheit der Äußerung ist daher nicht wirksam bestritten und als zugestanden zu behandeln.
50Da sich ein „Abspeisen“ von Kunden mit Gutscheinen negativ auf die allgemeine Reputation einer Fluggesellschaft auswirkt, sind die dahingehenden Behauptungen der Antragsgegnerin auch geeignet, die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin unmittelbar zu beeinträchtigen.
51c) Wegen der Aussage auf der Website der Antragsgegnerin, „Sie müssen keine komplizierten Formulare ausfüllen, wenn Sie mit [ASt] Verspätung hatten.“, steht der Antragstellerin hingegen kein deliktsrechtlicher Unterlassungsanspruch zu.
52Zwar kann der Argumentation der Antragsgegnerin in der Berufungsbegründung, diese Aussage werde durch Verbraucher nur dahingehend verstanden, dass ihre eigenen Formulare unkompliziert seien, und enthalte entgegen der Interpretation des Landgerichts keine Aussage über die Formulare der Antragstellerin, nicht gefolgt werden. Der Inhalt einer Äußerung ist, ausgehend vom Wortlaut, stets unter Berücksichtigung des sprachlichen Kontextes und der für den Adressaten erkennbaren Begleitumstände zu ermitteln (BGH, NJW 2004, 598; BGH, NJW 2006, 601). Diesen Grundsätzen folgend hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass sich die angegriffene Äußerung nicht auf eine Aussage über die Formulare der Antragsgegnerin beschränkt, sondern indirekt zugleich dahingehend verstanden wird, dass die Formulare der Antragstellerin kompliziert seien.
53Nach den hier allein anwendbaren Maßstäben des Deliktsrechts steht der Antragstellerin allerdings kein Anspruch auf Unterlassen dieser Äußerung zu. Denn die (indirekte) Aussage, die Formulare der Antragstellerin seien kompliziert, stellt sich nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als ein subjektives Werturteil und damit als Meinungsäußerung dar, die vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst ist. Ob ein Formular kompliziert ist, hängt von subjektiven Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erwartungen ab und ist damit einer objektiven Klärung nicht zugänglich. Eine ausnahmsweise unzulässige Schmähkritik liegt in der Bewertung von Formularen als „kompliziert“ ersichtlich nicht. Die Formulare der Parteien sind auch nicht identisch. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Wertung hält sich im Rahmen des Hinnehmbaren.
54d) Auch wegen der Aussage auf der Website der Antragsgegnerin, „Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung in der Branche der Fluggastrechte wissen wir, welche Ausreden die Fluggesellschaften verwenden und wie Sie trotzdem Ihre Entschädigung erhalten.“, steht der Antragstellerin kein deliktsrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin zu.
55Auch wenn sich die Aussage auf der auf die Antragstellerin bezogenen Unter-Website der Antragsgegnerin befindet, bezieht sie sich doch ihrem eindeutigen Wortlaut nach auf sämtliche Fluggesellschaften, nicht allein auf die Antragstellerin. Für einen Anspruch aus § 824 Abs. 1 BGB fehlt es damit an der erforderlichen Schädigungseignung, weil sich die Äußerung nicht gezielt gegen die Antragstellerin richtet (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, GRUR 1989, 222 - Filmbesprechung). Vielmehr enthält sie allgemeine Kritik an der gesamten Branche der Fluggesellschaften, die die Antragstellerin hinzunehmen hat.
56§ 823 Abs. 1 BGB tritt als Auffangtatbestand hinter dem insoweit spezielleren § 824 Abs. 1 BGB zurück. Letztere Vorschrift regelt den Schutz der „wirtschaftlichen Wertschätzung“ gegenüber der Verbreitung unwahrer Tatsachen abschließend (BGH, GRUR 1989, 539 - Warentest V; Wagner in: MüKoBGB, 8. Aufl.,§ 823 Rn. 372 m.w.N.).
57e) Ein Unterlassungsanspruch steht der Antragstellerin schließlich auch nicht wegen der Aussage auf der Website der Antragsgegnerin, „[AG] … Ist das erfolgreichste Unternehmen für Fluggastrechte.“, zu.
58In Ermangelung eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Parteien (siehe dazu oben unter I. 1.) kommen allein deliktsrechtliche Anspruchsgrundlagen zum Schutz des Geschäftsbetriebs der Antragstellerin in Betracht. Bei der behaupteten Spitzenstellung der Antragsgegnerin fehlt es aber an jedem Bezug zur wirtschaftlichen Betätigung der Antragstellerin.
59II.
60Die Antragstellerin hat, soweit ihr Unterlassungsanspruch reicht, auch einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht. Zwar greift die Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG n.F. (= § 12 Abs. 2 UWG a.F.) nicht ein, jedoch ist es ihr wegen der möglichen nachteiligen Auswirkungen der Äußerungen auf ihren Geschäftsbetrieb nicht zuzumuten, die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die von der Berufung nicht angegriffen werden, liegt auch kein Fall der Selbstwiderlegung der Dringlichkeit durch zögerliches Betreiben des erstinstanzlichen Verfahrens vor.
61Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist entbehrlich, da das Urteil nach § 542 Abs. 2 ZPO nicht revisibel ist.
62Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 80.000,- EUR festgesetzt.