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Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 11. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 24.04.2019, Az. 41 O 28/18, abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 37.495,41 EUR nebst 5 % Zinsen aus 49.261,26 EUR vom 10.02.2017 bis zum 16.03.2018 und aus 37.495,41 EUR seit dem 17.03.2018 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.822,96 EUR zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt. Die Kosten der Nebenintervention hat die Streithelferin selbst zu tragen.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
2A.
3Die Klägerin verlangt als Transportversicherer aus übergegangenem und – auf Grundlage einer Abtretungsvereinbarung – abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin A.- GmbH von der Beklagten Schadenersatz wegen eines Verlusts von Transportgut. Nach Zahlung von 11.765,85 EUR macht die Klägerin einen weiteren Betrag in Höhe von 37.495,41 EUR geltend mit der Begründung, die Beklagte hafte wegen qualifizierten Verschuldens.
4Die Versicherungsnehmerin der Klägerin beauftragte die Beklagte am 03.02.2017 damit, für eine Fracht von 215,- EUR acht Paletten mit 109 Kartons Schuhe und einem Gesamtgewicht von 1.200 kg von ihrem Sitz in Hochheim am Main nach Erfurt zur Firma B. zu befördern. Als Anliefertermin war der 10.02.2017 um 14:00 Uhr vorgegeben. Die Beklagte beauftragte mit dem Transport die Streithelferin als Subunternehmerin, welche die vollständige und unbeschädigte Ladung am 09.02.2017 abholte. Die beiden Fahrer der Streithelferin erreichten noch am selben Abend Erfurt und stellten den Lkw auf dem nicht bewachten Gelände einer auch nachts geöffneten, belebten und beleuchteten Tankstelle ab, wobei sie im Fahrzeug übernachteten. Die Beklagte verfügt in Erfurt über ein eigenes Betriebsgelände in ca. 1 km Entfernung zum Ablieferungsort. Die Sendung wurde in dieser Nacht entwendet, wobei der Tathergang und insbesondere eine Beteiligung der Fahrer der Streithelferin an der Tat zwischen den Parteien streitig ist. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Erfurt gegen die beiden Fahrer wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (Az. 940 Js 38373/17).
5Die Klägerin regulierte den Schaden, den die Versicherungsnehmerin mit 49.261,26 EUR bezifferte. Sie forderte die Beklagte mit Schreiben vom 13.04.2017 zur Zahlung in dieser Höhe auf. Nachdem die Beklagte innerhalb der bis zum 12.06.2017 verlängerten Frist nicht leistete, beauftragte die Klägerin ihre Prozessbevollmächtigten, welche die Beklagte zunächst ebenfalls vergeblich zum Ersatz des Schadens aufforderte. Am 16.03.2018 zahlte die Beklagte sodann als „Grundhaftung“ einen Betrag von 11.765,85 EUR.
6Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte hafte wegen qualifizierten Verschuldens in voller Höhe für den Verlust des Sendungsgutes. Ihr sei u. a. vorzuwerfen, dass Fahrer der Streithelferin mit der Beförderung betraut worden seien, die einschlägig vorbestraft und daher für diese Aufgabe ungeeignet gewesen seien. Es sei auch davon auszugehen, dass die Fahrer das Sendungsgut entwendet haben.
7Die Beklagte hat Inhalt und Wert der Sendung bestritten sowie – ebenso wie ihre Streithelferin – ein qualifiziertes Verschulden in Abrede gestellt. Beide haben u. a. vorgetragen, die Fahrer seien nicht einschlägig vorbestraft gewesen. Sie seien am 09./10.02.2017 Opfer eines Überfalls geworden und für den Verlust des Sendungsgutes nicht verantwortlich.
8Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
9Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.04.2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe für den geltend gemachten weiteren Verlustschaden in Höhe von 37.495,41 EUR nicht gemäß § 425 HGB einzustehen, da kein qualifiziertes Verschulden nach § 435 HGB gegeben sei. Es liege kein bedingter Vorsatz, sondern allenfalls einfache Fahrlässigkeit vor. Der Einsatz einschlägig vorbestrafter Personen als Fahrer begründe wegen des Resozialisierungsgedankens kein qualifiziertes Verschulden, weshalb dahinstehen könne, ob die eingesetzten Fahrer tatsächlich einschlägig vorbestraft gewesen seien. Die transportierten Schuhe seien ferner keine hoch diebstahlsgefährdete Ware, weil sie nicht leicht zu veräußern seien. Deswegen seien die Fahrer auch nicht verpflichtet gewesen, den Lkw mitsamt der Ware besonders gesichert, insbesondere auf einem bewachten Parkplatz abzustellen. Abgesehen davon hätten sie ihn unstreitig auf dem Gelände einer beleuchteten und belebten Tankstelle abgestellt, weshalb sie ihren Sicherungspflichten in der Nacht nachgekommen seien.
10Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageantrag weiterverfolgt.
11Zur Begründung trägt sie unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen nebst Beweisantritten vor: Das Landgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Es habe bereits den Verschuldensmaßstab des § 435 HGB verkannt, indem es auf bedingten Vorsatz abgestellt habe, obwohl Leichtfertigkeit genüge.
12Das Landgericht habe des Weiteren rechtsfehlerhaft das Sendungsgut nicht als hoch diebstahlsgefährdete Ware eingestuft und sei daher zu der unzutreffenden Einschätzung gelangt, dass besondere Sicherungsvorkehrungen nicht erforderlich gewesen seien. Dabei habe es ihr Beweisangebot, hierzu ein Sachverständigengutachten einzuholen, übergangen und damit ihr rechtliches Gehör verletzt. Indem trotz der hohen Diebstahlsgefährdung jegliche Sicherungsmaßnahmen und eine ordnungsgemäße Transportplanung unterblieben seien, liege ein qualifiziert schuldhaftes, grobes Organisationsverschulden der Beklagten vor. Es wäre zudem ihre Aufgabe gewesen, die Auftraggeberin über Risiken und Sicherungsmöglichkeiten zu informieren sowie Angebote über Sicherheitsvorkehrungen zu unterbreiten, falls sie diese nicht von sich aus habe ergreifen wollen. Dies sei nicht geschehen, obwohl bereits seit geraumer Zeit eine Zusammenarbeit auf Basis eines Rahmenvertrages bestanden und die Beklagte daher auch die Diebstahlsgefährdung der Ware gekannt habe. Darüber hinaus habe diese ausweislich des Transportauftrages positive Kenntnis von Art und Umfang des Sendungsgutes gehabt.
13Das Landgericht habe sich ferner nicht mit ihrem Vortrag auseinandergesetzt, wonach die Beklagtenseite eine zwingend zu fordernde Transportplanung vollständig unterlassen habe. Sie hätte mit Blick auf die hoch diebstahlsgefährdete Ware ein Abstellen auf einem unbewachten, nicht einmal umfassend beleuchteten Tankstellengelände, auf dem sich überdies vor dem Schadenereignis regelmäßig verdächtige Umschlagtätigkeiten ereignet haben, vermeiden müssen. Das wäre ihr auch ohne weiteres möglich gewesen, indem sie eine Übernachtung auf ihrem eigenen, umfriedeten Betriebsgelände in unmittelbarer Nachbarschaft zur Abladestelle hätte organisieren können. Zudem wäre eine Übernachtung bei einer ordnungsgemäßen Transportplanung gar nicht erforderlich gewesen, indem aufgrund der Fahrstrecke von nur 280 km die Sendung ohne weiteres hätte morgens übernommen und fristgemäß um 14:00 Uhr bei der Empfängerin abgeliefert werden können. Einen Ablieferungsversuch am Vortrag um 22:00 Uhr habe es nicht gegeben. Ungeachtet dessen habe die Beklagtenseite nicht ernsthaft damit rechnen können, zu dieser außerhalb der üblichen Geschäftszeiten liegenden Uhrzeit noch eine Ablieferung beim Empfänger vornehmen zu können.
14Ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten ergebe sich entgegen der Ansicht des Landgerichts zudem aus der Beauftragung eines Unterfrachtführers, dessen Fahrer – wie anhand der Ermittlungsakten nachgewiesen sei – einschlägig wegen Vermögensdelikten vorbestraft gewesen seien. Die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Erfurt bei Europol eingeholte Auskunft über die Fahrer stamme aus dem staatlichen zentralen Strafregister in Polen, in dem Verurteilungen über Straftaten erfasst seien. Soweit ein von der Streithelferin beauftragtes Detektivbüro nunmehr angeblich festgestellt habe, dass im Strafregister keine Vorstrafen notiert seien, sei dies schon wegen möglicher zwischenzeitlicher Löschungen nicht geeignet, Auskunft über Eintragungen im maßgeblichen Zeitpunkt des Schadenereignisses vor vier Jahren zu geben. Die Beklagte treffe ein grobes Organisationsverschulden, da bei der Auswahl der Unterfrachtführer und der ihnen erteilten Weisungen keine Vorkehrungen vorgesehen seien, die verhinderten, dass einschlägig vorbestraftes Personal unbeaufsichtigt mit dem anvertrauten Sendungsgut in Kontakt komme und Gelegenheit erhalte, ungestört darauf zuzugreifen. Gleichzeitig sei deshalb ein qualifiziertes Verschulden des Unterfrachtführers gegeben, das der Beklagten zurechenbar sei. Dieser hätte über eine Anfrage beim zentralen Strafregister in Polen vor Einstellung der Fahrer von deren einschlägigen Vorstrafen Kenntnis erlangen können. Eine solche Anfrage sei nicht erfolgt; sollte sie jedoch vorgenommen worden sein, wären die Vorstrafen bekannt und die Pflichtverletzung sogar vorsätzlich gewesen. Die Streithelferin hätte die Beförderung daher keinesfalls von den hiermit betrauten Fahrern durchführen lassen dürfen.
15Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Fahrer entlaste die Beklagte nicht, da sie damit allein nicht den ihr obliegenden vollen Gegenbeweis erbracht habe, dass die Pflichtverletzung für den Schaden nicht ursächlich geworden sei.
16Zuletzt habe das Landgericht ihre geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung von Verzugszinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten übergangen, obwohl diese selbst dann hätten teilweise – in Höhe der Grundhaftung – zugesprochen werden müssen, wenn man ein qualifiziertes Verschulden verneinte. Tatsächlich seien sie wegen der unbegrenzten Haftung der Beklagten vollumfänglich gegeben.
17Die Klägerin beantragt,
18das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 24.04.2019, Az. 41 O 28/18, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 37.495,91 EUR nebst 5 % Zinsen aus 49.261,26 EUR seit dem 10.02.2017 bis zum 16.03.2018 sowie aus 37.495,91 EUR seit dem 17.03.2018 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.822,96 EUR zu zahlen.
19Die Beklagte und die Streithelferin beantragen,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Sie verteidigen das angefochtene Urteil unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und führen an: Das Landgericht habe zutreffend ein qualifiziertes Verschulden verneint. Ein Rahmenvertrag mit der Versicherungsnehmerin der Klägerin habe nicht bestanden. Der Wert der Schuhe sei ihnen nicht bekannt und für sie auch nicht erkennbar gewesen, zumal die Absenderin keine Sicherungsvorkehrungen vorgegeben und nur einen Standardtransport beauftragt habe. Bei dem tatsächlichen Wert von 40,- EUR pro Kilo sei zwar von einer gewissen Diebstahlsgefährdung auszugehen, bei der gebotenen Gesamtwürdigung der Umstände liege aber kein besonders krasser Pflichtverstoß vor. Dagegen spreche sowohl das Verhalten der Absenderin als auch der Fahrer, die um 22:00 Uhr an der Zieladresse vergeblich eine Ablieferung versucht hätten, den Lkw sodann auf dem belebten und ausgeleuchteten, teilweise videoüberwachten Parkplatz einer auch nachts geöffneten Tankstelle abgestellt und dort unter dauernder Anwesenheit im Lkw genächtigt haben. Den Fahrern sei nicht bekannt gewesen, dass es – was bestritten werde – auf diesem Parkplatz bereits zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein soll.
22Eine mangelhafte Transportorganisation sei ihr ebenfalls nicht vorzuwerfen. Der ihr erteilte Auftrag habe weder beinhaltet, die Fahrt binnen eines Tages durchzuführen noch ausschließlich zum darin genannten Zeitpunkt abzuliefern. Vielmehr sei sie in der Organisation der Auftragsdurchführung frei gewesen, zumal es in Anbetracht der niedrigen Fracht um einen möglichst günstigen Transport gegangen sei. Ferner sei zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, dass die anwesende Empfängerin beim Versuch der Ablieferung am selben Abend eine Entladeverweigerung ausgesprochen habe, obwohl keine bestimmte Entladezeit vorgegeben gewesen sei. Es rechtfertige nicht den Vorwurf einer leichtfertigen Schadenverursachung, dass der Diebstahl eingetreten sei, als die Fahrer daraufhin in unmittelbarer Nähe der Entladestelle gewartet hätten.
23Der Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens könne zuletzt nicht auf den Einsatz angeblich einschlägig vorbestrafter Fahrer gestützt werden, weil sich dies aus den Unterlagen nicht ergebe und die Klägerin im Übrigen dafür keinen geeigneten Beweis angetreten habe. Ermittlungen einer von der Streithelferin beauftragten Detektei hätten zudem ergeben, dass beide Fahrer im zentralen polnischen Strafregister nicht notiert und damit nicht vorbestraft seien. Es existiere weder ein rechtskräftiges Strafurteil gegen sie noch seien sie wegen einer Ordnungswidrigkeit bestraft worden. Abgesehen davon seien etwaige Vorstrafen der Fahrer deshalb unbeachtlich, weil es keine Anhaltspunkte für eine Beteiligung am Diebstahl gebe.
24Die Beklagte trägt ferner vor, sie habe keine Handhabe gegen den Einsatz vorbestrafter Fahrer bei Subunternehmern. Sie habe keine Möglichkeit, entsprechende Vorgaben effektiv zu kontrollieren.
25Der Senat hat am 05.06.2020 einen Beweisbeschluss zum Hergang des Schadenereignisses vom 09./10.02.2017 erlassen und die zuständigen polnischen Gerichte im Wege der Rechtshilfe um Vernehmung der Zeugen C. und D.ersucht. Beide Gerichte haben mitgeteilt, dass die Ersuchen nicht erledigt werden konnten, weil die Zeugen unter den mitgeteilten Adressen nicht mehr wohnhaft sind. Die Beklagte hat trotz Fristsetzung keine aktuellen Wohnanschriften der Zeugen mitgeteilt. Der Senat hat ihr daraufhin mit Beschluss vom 06.07.2021 vergeblich eine Beibringungsfrist gemäß § 356 ZPO von einem Monat gesetzt.
26Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
27B.
28Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
29I.
30Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 37.495,91 EUR aus §§ 425 HGB i. V. m. § 398 BGB bzw. § 86 VVG.
311.
32Die Beklagte kann sich nicht auf Haftungsbegrenzungen berufen und haftet für den Schaden in voller Höhe, weil ihr entgegen der Ansicht des Landgerichts ein qualifiziertes Verschulden vorzuwerfen ist. Sie hat gemäß § 435 HGB leichtfertig und im Bewusstsein gehandelt, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde.
33a)
34Das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine Leute im Sinne von § 428 HGB in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen des Vertragspartners hinwegsetzen. Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Dabei reicht die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Leichtfertigkeit für sich allein nicht aus, um auf das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts schließen zu können. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt (BGH, Urteil vom 30. September 2010 – I ZR 39/09, NJW 2011, 296; BGH, Urteil vom 13. Dezember 2012 – I ZR 236/11, TranspR 2013, 286; Koller, Transportrecht, Kommentar, 10. Aufl., § 435 Rn. 6).
35Leichtfertig handelt, wer die nach den Umständen des Einzelfalles maßgeblichen Pflichten grob oder krass missachtet, indem er auf der Hand liegende Sorgfaltspflichten verletzt, objektiv naheliegende Überlegungen nicht anstellt oder sich über Bedenken hinweg- setzt, die sich angesichts von Gefahren ohne weiteres aufdrängen müssen. Generell ist Leichtfertigkeit zu bejahen, wenn die Gefährdung des Gutes offensichtlich ist und die Angemessenheit der geschuldeten Schutzmaßnahmen auf der Hand liegt (Senat, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 18 U 38/02; TranspR 2003, 107; OLG Düsseldorf [15. Zivilsenat], Urteil vom 2. November 2005 – 15 U 23/05; TranspR 2005, 468; Koller, aaO, § 435 Rn. 6, 6a m. w. N.).
36Welche Sicherheitsvorkehrungen der Transportunternehmer zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung, das ihm anvertraute Transportgut während der Beförderung vor Diebstahl oder Raub zu bewahren, ergreifen muss, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Es kommt entscheidend darauf ab, ob die getroffenen Maßnahmen den für den durchzuführenden Transport erforderlichen Sorgfaltsanforderungen genügen. Je größer die mit der Güterbeförderung verbundenen Risiken sind, desto höhere Anforderungen sind an die zu treffenden Sicherheitsmaßnahmen zu stellen. Von erheblicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob das transportierte Gut leicht verwertbar und damit besonders diebstahlsgefährdet ist, welchen Wert es hat, ob dem Frachtführer die besondere Gefahrenlage bekannt war oder sein musste und welche konkreten Möglichkeiten einer gesicherten Fahrtunterbrechung es gab, um vorgeschriebene Ruhezeiten einzuhalten (BGH, Urteil vom 16. Juli 1998 – I ZR 44/96, NJW-RR 1999, 254; BGH, Urteil vom 6. Juni 2007 – I ZR 121/04, TranspR 2007, 423; BGH, Urteil vom 1. Juli 2010 – I ZR 176/08, MDR 2011, 54; Senat, Urteil vom 17. Dezember 2014 – 18 U 98/14, TranspR 2016, 456).
37b)Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten gegeben.
38aa)Der Beklagten ist jedoch insoweit nicht anzulasten, dass sie keine besonderen Sicherungsvorkehrungen wegen hoher Diebstahlsgefährdung der Ware getroffen hat.
39Es ist nicht festzustellen, dass der Beklagten oder – was ihr gemäß § 428 HGB zurechenbar wäre – der Streithelferin als Unterfrachtführerin eine besondere Gefahrenlage bekannt war oder sich ihr aufdrängen musste. Der Beklagten waren zwar die Menge des Transportgutes sowie der Umstand bekannt, dass es sich um Schuhe der Marke E. handelte. Bei Markenschuhen handelt es sich generell auch um diebstahlsgefährdete Ware, weil sie einfach umzuladen und leicht absetzbar sind. Allerdings hängt das Ausmaß der Gefahr auch vom konkreten Inhalt und Wert der Sendung ab. Die Versenderin hat dazu unstreitig im Frachtauftrag keine Angaben gemacht und auch weder auf eine besondere Diebstahlsgefahr hingewiesen noch der Beklagten Weisungen für die Durchführung des Transports, insbesondere zu erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen erteilt. Im Einklang damit enthält der Speditionsauftrag der Beklagten (Anlage K 2) derartige Angaben und/ oder Weisungen ebenfalls nicht. Tatsächlich bewegen sich die Schuhe mit Einzelpreisen zwischen ca. 30,- und ca. 50,- Euro „nur“ im mittleren Preissegment und stellt der Gesamtwert von ca. 50.000,- EUR keinen über ein durchschnittliches Maß hinausgehenden Wert des Gutes bei einem Lkw-Transport dar. Doch selbst wenn gleichwohl – wie die Klägerin geltend gemacht und unter Beweis gestellt hat – objektiv eine hohe Diebstahlsgefährdung bestanden haben sollte, war dies mangels entsprechender Angaben oder Hinweise der Versenderin jedenfalls für die Beklagtenseite nicht offensichtlich. Daher hat das Landgericht zu Recht kein Sachverständigengutachten darüber eingeholt.
40Eine andere Bewertung ist auch nicht deswegen veranlasst, weil – wie sich aus den als Anlage B 1 vorgelegten Zeugenaussagen ergibt (siehe dort Bl. 15) – der Fahrer den ihm überreichten Lieferscheinen Angaben zu Art und Wert der Ware entnehmen konnte. Es ist Sache des Auftraggebers, dem Frachtführer durch klare Angaben im Frachtauftrag die objektiv gegebene besondere Gefahrenlage bei der Durchführung des Transports zu verdeutlichen (BGH, Urteil vom 1. Juli 2010 – I ZR 176/08, MDR 2011, 54). Der Hinweis muss so rechtzeitig erfolgen, dass der Frachtführer noch im normalen Geschäftsablauf eine Entscheidung darüber treffen kann, ob er angesichts des Wertes des Transportguts den Frachtvertrag überhaupt ausführen will, und noch – falls er sich für die Ausführung entscheidet – die notwendigen besonderen Sicherungsmaßnahmen ergreifen könnte. Dies folgt aus der Funktion des fraglichen Hinweises, der dem Frachtführer die Möglichkeit eröffnen soll, die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zu treffen oder von der Ausführung des Frachtvertrages Abstand zu nehmen (BGH, Urteil vom 13. Juni 2012 – I ZR 87/11, BGH, NJW 2012, 3774 zum Mitverschulden). Leichtfertigkeit des Frachtführers im Hinblick auf die an seine Beförderung zu stellenden Sicherheitsanforderungen kann daher in der Regel nicht angenommen werden, wenn ihm die besondere Gefahrenlage erst bei Verladung des Transportguts verdeutlicht wird (Senat, Urteil vom 4. Juli 2018 – 18 U 68/17, TranspR 2019, 318). Daher lässt sich im vorliegenden Fall ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten nicht damit begründen, dass der Fahrer der von ihr beauftragten Streithelferin bei Beladung aufgrund der ihm überreichten Unterlagen Kenntnis vom konkreten Inhalt und Wert der Sendung erlangen konnte.
41Besteht – wie somit hier – kein Anlass, von einer besonderen Gefahrenlage für das Transportgut auszugehen, ist die Übernachtung auf einem unbewachten Parkplatz regelmäßig nicht als grober Pflichtverstoß zu bewerten (BGH, Urteil vom 1. Juli 2010 – I ZR 176/08, MDR 2011, 54; BGH, Urteil vom 13.12.2012 – I ZR 236/11, TranspR 2013, 286; OLG München, Urteil vom 28. Oktober 2015 – 7 U 4228/14, TranspR 2016, 193; Senat, Urteil vom 12.12.2018 – I-18 U 116/17). Hier gilt auch unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Einzelfalles für das nächtliche Abstellen auf dem nicht bewachten Tankstellengelände nichts anderes. Die Auswahl dieses Parkplatzes war nicht leichtfertig. Es handelte sich um einen belebten, zumindest teilweise ausgeleuchteten und videoüberwachten Parkplatz auf einer rund um die Uhr geöffneten Tankstelle und die Fahrer übernachteten im Wagen. Aufgrund ihrer ständigen Anwesenheit auf einem Gelände mit nächtlichem Kundenverkehr lag die Gefahr eines Ladungsdiebstahls wegen des damit verbundenen Entdeckungsrisikos zumindest nicht auf der Hand. Dass die Fahrer Kenntnis von früheren verdächtigen Ladungsbewegungen auf diesem Parkplatz hatten, ist zudem nicht ersichtlich.
42Die erstmalige Behauptung der Klägerin in der Berufungsinstanz, ihre Versicherungsnehmerin und die Beklagte hätten bereits seit geraumer Zeit auf Grundlage eines Rahmenvertrages zusammengearbeitet, weshalb der Beklagte die Diebstahlsgefährdung der Ware bekannt gewesen sei, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Zum einen ist dieses neue, von der Beklagten bestrittene Vorbringen in der Berufungsinstanz mangels Zulassungsgrund gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen. Die Klägerin hat auch keinen Rahmenvertrag vorgelegt, weshalb das einfache Bestreiten der Beklagten genügt. Zum anderen mag der Beklagten eine grundsätzliche Diebstahlsgefährdung aufgrund der Art des Transportgutes bekannt gewesen sein; eine Kenntnis von einer besonderen Gefahrenlage beim streitgegenständlichen Transport ergibt sich aus der Existenz eines Rahmenvertrages als solches hingegen noch nicht. Infolgedessen bestand aber auch keine Hinweispflicht auf besondere Risiken und Sicherungsmöglichkeiten.
43bb)
44Der Beklagten ist auch kein qualifiziertes Organisationsverschulden vorzuwerfen.
45Für Mängel in der Transportorganisation mag zwar durchaus sprechen, dass die Beladung bereits am 09.02.2017 stattfand, obwohl der Frachtauftrag eine Ablieferung erst am nächsten Tag um 14:00 Uhr vorgab. Da die Fahrstrecke lediglich 280 km betrug und daher an einem Tag zu bewältigen war, musste es somit zu einer (nächtlichen) Fahrtunterbrechung kommen. Dies wäre mit einer Beladung am 10.02.2017 in den Morgenstunden vermieden worden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es eine Vorgabe der Auftraggeberin gegeben hätte, den Lkw am Vortag zu beladen. Den Unterlagen ist dafür nichts zu entnehmen und die Beklagtenseite behauptet dies nur pauschal, ohne konkrete Tatsachen vorzutragen. Doch selbst wenn eine Beladung am 09.02.2017 vereinbart gewesen wäre, kommt eine Hinweispflicht der Beklagten in Betracht, dass der Transport stattdessen an einem Tag durchgeführt werden könnte und dies sicherer wäre.
46Des Weiteren hatte die Beklagtenseite trotz Beladung am Vortag eine sichere Alternative zur Fahrtunterbrechung, indem sich in etwa 1 km Entfernung von der Entladestelle ein Betriebsgelände der Beklagten befand und der Lkw hätte dort nachts sicher abgestellt werden können. Unerheblich ist, ob diese Möglichkeit den Fahrern nicht bekannt war, weil die Beklagte sie in diesem Fall darüber hätte informieren und eine Übernachtung auf ihrem Betriebsgelände organisieren können.
47Gleichwohl ist bei der gebotenen Gesamtwürdigung der maßgeblichen Umstände, auch unter Berücksichtigung der Diebstahlsgefährdung der Ware bei einem nächtlichen Abstellen des Lkw auf einem unbewachten Parkplatz, die Schwelle zu einem besonders schweren Organisationsverschulden bzw. zu einem leichtfertigen Verhalten noch nicht zu bejahen. Die Fahrer haben mit dem Gelände einer auch nachts geöffneten, belebten und beleuchteten Tankstelle einen nicht von vornherein ungeeigneten Parkplatz für die nächtliche Fahrtunterbrechung gewählt, sie haben in dem Wagen genächtigt und die Versenderin hat weder Weisungen zur Durchführung des Transports erteilt noch besondere Sicherungsvorkehrungen für die auch aus ihrer Sicht offenkundig erforderliche Fahrtunterbrechung vorgegeben. Daher stellen die dargelegten Mängel noch keinen gravierenden Pflichtverstoß dar.
48cc)
49Ein qualifiziertes Verschulden ist hingegen darin zu sehen, dass die Streithelferin, deren Verhalten sich die Beklagte nach § 428 HGB zurechnen lassen muss, die Eignung der Fahrer zum unbeaufsichtigten Transport von Waren mit erheblichem Wert nicht überprüft hat.
50(1)
51Eine fehlende Überprüfung der Fahrer durch den Frachtführer auf ihre Eignung, insbesondere auf einschlägige Vorstrafen, ist leichtfertig.
52Für den Frachtvertrag charakteristisch ist die Übernahme der Obhut durch den Frachtführer. Obhut bedeutet, dass er das Gut in Besitz nimmt sowie vor Verlust und Beschädigungen schützt (vgl. nur Koller, aaO, § 407 HGB Rn. 15). Der Absender übergibt ihm das Gut im berechtigten Vertrauen darauf, dass er dieser Fürsorgepflicht ordnungsgemäß nachkommt. Dies bedeutet jedoch, dass er sich insbesondere beim Transport von Waren mit erheblichem Wert von der Eignung und Zuverlässigkeit seiner Fahrer überzeugen muss. Diebstähle von Ladungen aus Lkw treten – wie die Studie „Marktbeobachtung Güterverkehr“ (Anlage K 7, Bl. 88 ff. GA) zeigt und im Transportgewerbe allgemein bekannt ist – nicht selten auf. Da die Fahrer während des Transports unbeaufsichtigt sind, besteht vor diesem Hintergrund ein nicht unerhebliches Verlustrisiko, sofern ihre generelle Eignung nicht überprüft worden ist. Auch wenn absolute Gewissheit nicht zu erlangen ist, weil bislang nicht straffällig gewordene Fahrer sich ebenfalls im Nachhinein als unzuverlässig erweisen können, so ist daraus nicht zu schließen, dass eine Überprüfung entbehrlich wäre. Vielmehr kann sie Gefahren für das anvertraute Gut signifikant reduzieren, indem solche Fahrer keinen unbeaufsichtigten Zugriff darauf bekommen, die sich in der Vergangenheit unzuverlässig gezeigt haben. Daher ist der Frachtführer im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren gehalten, die Eignung der Fahrer zu überprüfen, indem er sich ein Führungszeugnis, Arbeitszeugnisse und/oder Referenzen vorlegen lässt und/oder bei früheren Arbeitgebern nachfragt. Dabei ist insbesondere die Forderung nach Vorlage eines Führungszeugnisses eine einfache, auf der Hand liegende Maßnahme, die zuverlässige Ergebnisse liefert (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 13. Juli 2005 – 5 U 689/04, VersR 2006, 503; OLG Naumburg, Urteil vom 28. März 2014 – 10 U 5/13, TranspR 2014, 300). Auch in Polen wird ein zentrales Register über die Verurteilungen wegen Straftaten geführt und kann ein Arbeitgeber vom Stellenbewerber die Vorlage eines polnischen Führungszeugnisses verlangen (vgl. Hochmayr/Ligocki, Der Strafregisteraustausch in der Europäischen Union und das Recht auf Resozialisierung, Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS) 3/2016, S. 159/160). Für das EU-Ausland steht überdies das europäische Führungszeugnis zur Verfügung. Darüber hinaus besitzen Arbeitgeber in Polen grundsätzlich ein selbständiges Anfragerecht gemäß Art. 6 Abs. 1 Nr. 10 SSRG (Gesetz vom 24.05.2000 über das staatliche Strafregister in Polen), durch das sie vor der Einstellung von Arbeitnehmern Kenntnis von Vorstrafen erlangen können. Unterbleibt gleichwohl eine Überprüfung neu einzustellender Fahrer auf ihre Eignung, ist eine Gefährdung des ihnen ohne Aufsicht anvertrauten Guts offensichtlich. Zudem liegt es auf der Hand, dass eine solche, überdies ohne weiteres mögliche Überprüfung notwendig ist, um dem Verlustrisiko wirksam zu begegnen. Daher ist Leichtfertigkeit zu bejahen (für grobe Fahrlässigkeit bzw. leichtfertige Herbeiführung des Versicherungsfalles im Versicherungsrecht OLG Saarbrücken, Urteil vom 13. Juli 2005 – 5 U 689/04, VersR 2006, 503; OLG Naumburg, Urteil vom 28. März 2014 – 10 U 5/13, TranspR 2014, 300). Ein Frachtführer, der keine Überprüfung vornimmt, handelt zudem im Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, weil sich ihm aufdrängen muss, dass den Fahrern anvertrautes Gut gefährdet sein kann, wenn er sie nicht auf ihre Eignung zum unbeaufsichtigten Transport überprüft hat.
53Der im angefochtenen Urteil angeführte Resozialisierungsgedanke führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Er verbietet es weder, ein Führungszeugnis bzw. die gesetzlich eingeräumte Auskunft anzufordern noch eine entsprechende Sorgfaltspflicht des Frachtführers zu statuieren. Das Landgericht übersieht dabei, dass dies gerade der Information des Arbeitgebers über (fehlende) Vorstrafen und so der Überprüfung der Zuverlässigkeit des Stellenbewerbers dient. Das verfassungsrechtlich garantierte Recht von Straftätern auf Resozialisierung wird bei den einschlägigen Regelungen bereits berücksichtigt, indem bestimmte Vorstrafen von vornherein darin keinen Eingang finden und andere nach einem gestaffelten System bei Ablauf von bestimmten Fristen getilgt werden (vgl. §§ 32, 34, 46 BZRG). In Polen sind ebenfalls gesetzliche Tilgungsfristen geregelt, die zum Teil deutlich kürzer sind als in Deutschland (vgl. Hochmayr/Ligocki, aaO, ZIS 3/2016, S. 159/161 f.). Soweit einschlägige Verurteilungen aufgeführt werden, muss das Interesse einschlägig vorbestrafter Personen an einer Beschäftigung als Fahrer gegenüber den Interessen von Frachtführer und dessen Auftraggebern, die ihm werthaltiges Gut anvertrauen, zurückstehen. Es ist daher pflichtwidrig, wenn sich der Frachtführer weder ein Führungszeugnis vorlegen lässt oder von einem Anfragerecht Gebrauch macht noch anderweitige Informationen über die Eignung eines neu einzustellenden Fahrers einholt.
54(2)
55Das Vorbringen der Klägerin, dass die Eignung der beiden Fahrer nicht überprüft worden ist, ist zu Lasten der Beklagten als zugestanden anzusehen, § 138 Abs. 3 ZPO.
56Die Darlegungs- und Beweislast für ein qualifiziertes Verschulden trägt zwar nach allgemeinen Grundsätzen der Ersatzberechtigte. Sind die Gründe der Schadenentstehung für diesen nicht erkennbar, so trifft den Frachtführer allerdings eine sekundäre Darlegungslast, soweit ihm nähere Angaben möglich und zumutbar sind. Dies ist zu bejahen, wenn der Klagevortrag nach den Umständen des Falles ein qualifiziertes Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahe legt oder sich Anhaltspunkte für ein solches Verschulden aus dem unstreitigen Sachverhalt ergeben und allein der Frachtführer in zumutbarer Weise zur Aufklärung des in seiner Sphäre entstandenen Schadens beitragen kann. Der Frachtführer hat dann die Umstände des geplanten Transports und insbesondere auch das Verhalten und die Zuverlässigkeit der Personen substantiiert darzulegen, die mit dem Gut in Berührung gekommen sind. Kommt er dem nicht nach, kann nach den Umständen des Einzelfalls der Schluss auf ein qualifiziertes Verschulden gerechtfertigt sein (BGH, Urteil vom 2. April 2009 – I ZR 60/06, NJW-RR 2009, 1335; BGH, Urteil vom 13. Juni 2012 – I ZR 87/11, NJW 2012, 3774, Koller, aaO, § 435 HGB Rn. 21c, jeweils m. w. N.).
57Nach Maßgabe dieser Erwägungen ist im Streitfall von einem qualifizierten Verschulden auszugehen. Die Klägerin hat greifbare Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass beide Fahrer vor dem Schadenereignis in Polen einschlägig vorbestraft waren und dennoch offensichtlich keine Bedenken bestanden, sie mit dem Transport zu betrauen (siehe dazu auch schon BGH, Urteil vom 7. Juni 1966 – VI ZR 130/65). Demzufolge ist nach Auskunft von Europol der Fahrer C. in Polen bekannt gewesen wegen Raubs und Einbruchs und der Fahrer D. wegen Diebstahls (Anlage K 6, Bl. 207/208 der Ermittlungsakte), mithin lagen in beiden Fällen Eintragungen wegen einschlägiger Delikte vor. Es ist zwar zwischen den Parteien streitig, ob sich die vorgelegte Auskunft von Europol nur über Eintragungen in Datenbanken der Polizei verhält (so die Beklagtenseite) oder ob diese (auch) rechtskräftige Verurteilungen wiedergeben, die im staatlichen polnischen Strafregister aufgeführt sind (so die Klägerin). Dies bedarf im vorliegenden Zusammenhang jedoch keiner abschließenden Klärung, weil sich ungeachtet dessen aus dieser Auskunft jedenfalls hinreichende Anhaltspunkte für vorhandene einschlägige Vorstrafen und damit für Zweifel an einer Überprüfung der Eignung der beiden Fahrer ergeben, um eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten auszulösen. Es ist infolgedessen an der Beklagten, konkret darzulegen, ob und welche Überprüfungen bei der Streithelferin erfolgt sind und weshalb diese Maßnahmen keine Bedenken gegen die Eignung der beiden Fahrer zu Tage gefördert haben. Das erfordert insbesondere konkreten Sachvortrag zu Art, Zeitpunkt und Ergebnis der Überprüfungen.
58Dieser Darlegungslast ist die Beklagte nicht nachgekommen. Sie hat ebenso wenig wie die Streithelferin vorgetragen, wie die Zuverlässigkeit der beiden Fahrer überprüft worden sein soll. Die pauschale Behauptung der Streithelferin, die vorgenommene Überprüfung habe keinerlei Erkenntnisse auf Vorstrafen erbracht, reicht nicht aus, weil sich daraus nicht ergibt, was sie konkret mit welchem Ergebnis kontrolliert hat. Die Beklagtenseite hat zudem nicht einmal bestritten, dass sie ein ihr zustehendes Anfragerecht beim zentralen polnischen Strafregister nicht wahrgenommen hat. Soweit die Streithelferin erstinstanzlich erklärt hat, es habe keine Möglichkeit der Kenntnisnahme von operativen Aufzeichnungen der polnischen Polizei gegeben, mag dies zutreffen, weil es sich hierbei um polizeiinterne Informationen handeln dürfte. Dieses Vorbringen ist indes unbeachtlich, weil es über mögliche Auskünfte aus öffentlich zugänglichen Registern nichts aussagt. Ungeachtet dessen hätte sie von den Fahrern die Vorlage eines Führungszeugnisses verlangen können.
59Unerheblich ist, ob es der Beklagten möglich ist, auf ihre Subunternehmer einzuwirken, damit sie keine einschlägig vorbestraften Fahrer mit dem Transport von werthaltigem Gut betrauen. Der von ihr beauftragte Unterfrachtführer – hier die Streithelferin – handelt leichtfertig, wenn er die Eignung der Fahrer nicht kontrolliert, und die Beklagte muss sich dieses qualifizierte Verschulden wegen § 428 HGB zurechnen lassen.
602.
61Diese Pflichtverletzung ist auch für den Verlust des Transportgutes kausal geworden.
62a)
63Bei einem groben Organisationsmangel oder einem bewussten Verstoß gegen eine der Sicherung des Transportgutes dienende Bestimmung spricht eine Vermutung dafür, dass die Pflichtverletzung kausal für den eingetretenen Verlust war. In einem solchen Fall obliegt es grundsätzlich dem Frachtführer, sich hinsichtlich der fehlenden Kausalität zu entlasten, sofern das zu beanstandende Verhalten als Schadenursache ernsthaft in Betracht kommt. Der Frachtführer hat dann gegen die Kausalität sprechende Umstände darzulegen und ggfs. zu beweisen (BGH, Urteil vom 15. November 2001 – I ZR 122/99, TranspR 2002, 448; BGH, Urteil vom 16. November 2006 – I ZR 257/03, TranspR 2007, 161; BGH, Urteil vom 30. Januar 2008 – I ZR 146/05, TranspR 2008, 117; BGH, Urteil vom 4. Februar 2016 – I ZR 216/14, RdTW 2016, 340). Dies gilt auch für andere Fälle, in denen ein qualifiziertes Verschulden des Frachtführers feststeht.
64Die Beklagte hat demnach hier die Beweislast für einen mangelnden ursächlichen Zusammenhang zwischen der unterbliebenen Prüfung der Fahrer auf ihre Eignung und dem Verlust des Transportgutes, weil ernsthaft in Betracht kommt, dass mindestens einer der beiden Fahrer einschlägig vorbestraft war (siehe oben 1. b) cc) (2)) und die Ware eigenhändig entwendete oder auf andere Weise an einem Diebstahl beteiligt war. Letzteres folgt auch daraus, dass gegen eine Entwendung ohne oder gegen den Willen beider Fahrer sowohl das Abstellen auf dem Gelände einer auch nachts geöffneten, belebten und beleuchteten Tankstelle als auch das Übernachten der Fahrer im Lkw spricht. Der oder die Täter würden insbesondere auch wegen der anwesenden zwei Fahrer ein erhebliches Risiko eingehen, entdeckt zu werden oder sonst zu scheitern. Daher ist eine Beteiligung von wenigstens einem der Fahrer nicht fernliegend.
65b)
66Die Beklagte hat eine fehlende Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden nicht bewiesen.
67aa)
68Es ist zum einen nicht festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Überprüfung keine Hinweise auf eine mangelnde Eignung der Fahrer ergeben hätte.
69Die Beklagtenseite hat bereits nicht dargelegt und außerdem nicht unter Beweis gestellt, dass eine damalige Überprüfung keine Erkenntnisse über einschlägige Vorstrafen geliefert und der Streithelferin somit keine Veranlassung gegeben hätte, von einer Beschäftigung der beiden Fahrer oder zumindest von einem Transport des Gutes durch diese abzusehen. Ihr Vorbringen zu Feststellungen eines von der Streithelferin beauftragten Detektivbüros, wonach für beide Fahrer keine Eintragungen im zentralen polnischen Strafregister vorhanden seien, ist bereits deswegen unbeachtlich, weil dies nichts über den Registerstand im maßgeblichen Zeitpunkt des mehr als vier Jahre zurückliegenden Schadenereignisses aussagt, zumal die regulären Tilgungsfristen in Polen teilweise deutlich kürzer sind als in Deutschland (siehe oben). Im langen Zeitraum seitdem können somit Eintragungen wegen Ablaufs von Fristen gelöscht worden sein. Ungeachtet dessen hat die Klägerin den Sachvortrag der Beklagtenseite bestritten und diese für ihre Behauptung, die beiden Fahrer seien seinerzeit nicht einschlägig vorbestraft gewesen, trotz des Hinweises des Senats auf die Beweislast der Beklagten in Ziffer I. des Beweis- und Hinweisbeschlusses vom 05.06.2020 keinen Beweis angetreten.
70bb)
71Zum anderen hat die Beklagte nicht den Beweis für ihre Behauptung geführt, dass die Fahrer für den Verlust des Transportgutes nicht verantwortlich seien, weil sie dieses weder selbst gestohlen haben noch sonst in irgendeiner Weise an der Entwendung beteiligt gewesen seien, sondern es sich vielmehr um ein gegen den Willen der Fahrer verübtes Raubdelikt gehandelt habe.
72Eine Kausalität ist insoweit nicht allein schon deswegen zu verneinen, weil das Ermittlungsverfahren gegen beide Fahrer gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist und gegen einen Dritten ermittelt wird, der aufgrund der Aussagen der Fahrer identifiziert werden konnte (vgl. Anlage K 6, Bl. 215 f. der Ermittlungsakte). Die Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO bedeutet zwar, dass die Staatsanwaltschaft keinen hinreichenden Tatverdacht annimmt. In der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 31.07.2018 (Anlage B 2) heißt es dazu, es gebe keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für einen zweifelsfreien Nachweis, dass sie die Tat begangen oder sich daran beteiligt haben. Dies bedeutet aber lediglich, dass eine strafrechtliche Verantwortlichkeit bei beiden Fahrern nicht feststellbar ist und daher zu ihren Gunsten im Strafrecht die Unschuldsvermutung greift. Die erfolgte Einstellung des Ermittlungsverfahrens aus Mangel an Beweisen schließt mithin die ernsthafte Möglichkeit einer Tatbegehung von einem oder beiden Fahrer(n) nicht aus.
73Diese Vermutung hat die Beklagte nicht widerlegt. Sie hat zwar Beweis durch Vernehmung der Zeugen C. und D. angeboten, dass diese an der Entwendung des Transportgutes nicht beteiligt gewesen seien. Beide Zeugen sind jedoch unerreichbar, weil deren Aufenthalt jeweils unbekannt ist. Ihrer Vernehmung steht ein Hindernis von ungewisser Dauer entgegen. Die Beklagte hat eine vom Senat mit Beschluss vom 06.07.2021 gemäß § 356 ZPO gesetzte Beibringungsfrist versäumt und bis zuletzt keine ladungsfähigen Anschriften der Zeugen mitgeteilt, weshalb beide jeweils nicht geladen und vernommen werden konnten. Damit ist sie als beweisfällig anzusehen.
74Der unbekannte Aufenthalt beider Zeugen ergibt sich dabei aus Folgendem: Der Zeuge D. ist gemäß Mitteilung des ersuchten polnischen Gerichts in Breslau vom 11.05.2021 an der mitgeteilten Adresse nicht (mehr) wohnhaft und nach Angaben der Streithelferin auch nicht gemeldet; Erkenntnisse über die gegenwärtige ladungsfähige Anschrift bestehen nicht. Der Zeuge C. wohnt gemäß Mitteilung des ersuchten polnischen Gerichts in F. vom 26.04.2021 und den in Übersetzung beigefügten Unterlagen seit drei bis vier Jahren nicht mehr an der angegebenen Adresse. Auch wenn er dort weiterhin gemeldet ist, kann das ersuchte Gericht ihn dort nicht erreichen und somit nicht als Zeugen vernehmen, weil er sich tatsächlich dort nicht aufhält. Erkenntnisse über den derzeitigen Aufenthalt der Zeugen liegen auch im Übrigen nicht vor.
753.
76Die weiteren Voraussetzungen des § 425 HGB sind ebenfalls erfüllt, so dass die Beklagte für den Verlust des Transportgutes in voller Höhe haftet.
77a)
78Das Transportgut ist in der Obhutszeit der Beklagten und ihrer Leute, zu denen die Streithelferin als beauftragte Unterfrachtführerin nebst ihren angestellten Fahrern gehören, abhandengekommen.
79b)
80Der Transportschaden beläuft sich insgesamt auf 49.261,26 EUR, wovon nach Zahlung der „Grundhaftung“ über 11.765,85 EUR noch ein Betrag in Höhe der Klageforderung, mithin von 37.495,41 EUR noch offen ist.
81Die Höhe des Schadens hat die Beklagte erstinstanzlich zu Unrecht bestritten. Die Klägerin hat mit den Lieferscheinen und Rechnungen (Anlagen K 3 und 4) hinreichend belegt, dass Inhalt der Sendung 1.200 kg Schuhe der Versicherungsnehmerin im Gesamtwert von 49.261,26 EUR waren.
82Die Würdigung der Umstände, die für Umfang und Wert einer verloren gegangenen Sendung sprechen, unterliegt stets der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO. Der Tatrichter hat sich die Überzeugung von der Richtigkeit des behaupteten Umfangs der Sendung anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls, insbesondere aufgrund der vorgelegten Lieferscheine und der damit korrespondierenden Rechnungen zu bilden. Dafür ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass sowohl Lieferscheine als auch entsprechende Rechnungen vorgelegt werden. Der Tatrichter kann sich die Überzeugung von der Richtigkeit auch dann bilden, wenn nur eines der Dokumente vorgelegt wird und der beklagte Frachtführer hiergegen keine substantiierten Einwände erhebt. Er muss allerdings prüfen, ob die zum Nachweis eines behaupteten Schadens vorgelegten Dokumente in sich schlüssig und geeignet sind, den Vortrag des Anspruchstellers zum entstandenen Schaden zu belegen (BGH, Urteil vom 13. September 2012 – I ZR 14/11, juris Rn. 16, NJW-RR 2013, 813; Senat, Urteil vom 6. September 2017 – 18 U 85/16, juris Rn. 21).
83Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Klägerin Inhalt und Wert der abhandengekommenen Sendung nachgewiesen. Diese umfasste ausweislich des vom Fahrer der Streithelferin unterzeichneten Übernahmebelegs (Speditionsauftrag, Anlage K 2) acht Paletten mit insgesamt 109 Kartons Schuhen und einem Gesamtgewicht von 1.200 kg. Lieferscheine (Anlage K 3) und Rechnungen (Anlage K 4) führen die 1304 Paar Schuhe im Einzelnen u. a. nach Artikelnummer, Bezeichnung, Stückpreis, Anzahl und Gesamtpreis auf und ergeben übereinstimmend einen Nettowarenwert von 52.405,60 EUR, der sich nach Abzug von Rabatten auf 49.261,26 EUR reduziert. Einwendungen gegen die zur Akte gereichten Unterlagen hat die Beklagte nicht erhoben. Ihr pauschales Bestreiten zu Inhalt und Wert der Sendung reicht nicht aus.
84II.
85Die Klägerin hat gegen die Beklagte des Weiteren gemäß §§ 352, 353 HGB einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 % aus 11.765,85 EUR vom 10.02.2017 bis zur Zahlung dieses Betrages am 16.03.2018 und aus weiteren 37.495,41 EUR seit dem 10.02.2017.
86III.
87Die Klägerin kann zuletzt von der Beklagten Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwalts-kosten von 1.822,96 EUR aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB beanspruchen.
88Die Beklagte war bei Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit der Zahlung in Verzug, nachdem sie innerhalb der mit Schreiben der Klägerin vom 13.04.2017 gesetzten und verlängerten Frist bis zum 12.06.2017 keine Zahlung geleistet hatte. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts war auch zur Rechtsverfolgung notwendig, da die Sache jedenfalls wegen der schwierigen Beurteilung eines qualifizierten Verschuldens der Beklagten nicht einfach gelagert ist.
89IV.
90Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 101 Abs. 1 ZPO; die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
91Es besteht keine Veranlassung, gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO die Revision zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.
92V.
93Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf „bis 40.000,- EUR“ festgesetzt.