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Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 31. Januar 2020 (VK 2 – 102/19) aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die zu Los 41 des Vergabeverfahrens mit der Vergabenummer 301-10-BerEb-90324 eingegangenen Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats und unter Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin neu zu bewerten.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Darüber hinaus trägt sie die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.
Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.
Den Beteiligten wird aufgegeben, binnen zwei Wochen zum Wert für das Beschwerdeverfahren vorzutragen.
G r ü n d e
2I.
3Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 26. September 2019 die Vergabe eines Rahmenvertrags für die Durchführung der Maßnahme Berufseinstiegsbegleitung mit einer Laufzeit von drei Jahren im offenen Verfahren im Supplement zum Amtsblatt der EU (Bekanntmachungsnr.: 2019/S 186-453028) aus. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein Los 41 (Paderborn).
4Die Auftragsunterlagen wurden auf der Vergabeplattform des Bundes (https://www.evergabe-online.de) kostenfrei zur Verfügung gestellt. Im Rahmen der elektronischen Kommunikation war die Verwendung von Instrumenten und Vorrichtungen erforderlich, die nicht allgemein verfügbar sind, auf der Vergabeplattform des Bundes aber gebührenfrei, uneingeschränkt, vollständig und direkt zugänglich gemacht wurden (Ziff. I.3 der Bekanntmachung). Die Teilnahme an einem Vergabeverfahren über die e-Vergabe-Plattform war nach erfolgreicher Registrierung auf dieser Plattform möglich (§§ 1 Abs. 4, 2 Abs. 1 der Nutzungsbedingungen). Bei der Registrierung sind unter anderem der Name des Unternehmens, die Adresse, die Webseite und die Umsatzsteuer-ID anzugeben. Unvollständige oder fehlerhafte Angaben bei der Registrierung berechtigen den Plattformbetreiber zur Beendigung des Nutzungsverhältnisses und zur Verweigerung der Registrierung.
5Die Angebote mussten ausschließlich mit der auf der e-Vergabe-Plattform des Bundes bereitgestellten Softwarekomponente „AnA-Web“ übermittelt werden. Hierzu hieß es in den allgemeinen Hinweisen, die Teil der Vergabeunterlagen waren, unter A. 1 „Ansprechpartner, Angebotsabgabe, Fristen“:
6„Die Angebote gehen an eine von der Vergabestelle unabhängige Angebotsstelle. Dies ist die e-Vergabe-Plattform. Gleiches gilt für etwaige Änderungen, Berichtigungen und Rücknahmen von Angeboten. Die Angebote sind ausschließlich elektronisch über die e-Vergabe-Plattform mittels der dort bereitgestellten Softwarekomponente ‚AnA-Web‘ zu übermitteln. Angebote, die auf anderem Wege als über die e-Vergabe-Plattform wie z.B. per Post, verkehrsüblicher E-Mail usw. zugestellt werden, werden ausgeschlossen. Die jeweils gültigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der e-Vergabe-Plattform des Bundes (insbesondere die Nutzungsvoraussetzungen für Bieter) sind zu beachten. […]
7Angebote müssen bis zum Ablauf der Angebotsfrist der vorgenannten Angebotsstelle vollständig übermittelt (hochgeladen) sein. Mit jedem Hochladen mittels des ‚AnA-Web‘ wird ein neues Angebot abgegeben. […]
8Angebote sind in der Datei D.1 nicht mehr mit der elektronischen Signatur zu versehen. Verlangt ist die elektronische Übermittlung in Textform gemäß § 126b des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Danach muss es sich um eine lesbare Erklärung handeln, in der die Person des Erklärenden genannt ist und die auf einem dauerhaften Datenträger gespeichert werden kann. Durch das Hochladen des Angebots über den ‚AnA-Web‘ werden diese Anforderungen erfüllt.“
9Unter A.2 „Einzelbieter, Bietergemeinschaften und Unterauftragnehmer“ wurde ausgeführt:
10„Die Angebotsabgabe ist durch Einzelbieter und Bietergemeinschaften zulässig. Bietergemeinschaften haben in der Datei D.2 einen Bevollmächtigten zur Angebotsabgabe und Vertragsdurchführung zu benennen (Eingabehinweise siehe A.6). Angebote von Bietergemeinschaften werden nur berücksichtigt, wenn sie durch den Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft hochgeladen werden.“
11Weiter hieß es in den Vergabeunterlagen:
12„Bieter und damit potentieller Auftragnehmer ist der Teilnehmer auf der e-Vergabe-Plattform, der das Angebot hochlädt.“ (unter A. der Vergabeunterlagen, Anlage ASt 2)
13Für den Zugang und die Nutzung von „AnA-Web“ ist nach dem Benutzerleitfaden ebenfalls eine Registrierung unter Angabe von Unternehmens- und Benutzerdaten erforderlich. Zur Nutzung des „AnA-Web“ durch sogenannte Multinutzer heißt es im Benutzerleitfaden:
14„Benutzer, die Ausschreibungen z.B. als Dienstleister im Auftrag von Unternehmen durchführen, müssen sich in AnA-Web für jedes Unternehmen registrieren.“
15Das einzureichende Angebotsformular bestand aus mehreren Dateien, unter anderem aus den digitalen Vordrucken D 1 („Abgabe eines Angebots“) und D 2 („Unternehmensangaben und Eigenerklärungen“). In den Vergabeunterlagen war vorgegeben:
16„Die Angaben zum Bieter/Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft in der Datei […] müssen den Angaben zum Teilnehmer auf der e-Vergabe-Plattform entsprechen.“ (unter A 6 der Vergabeunterlagen, Anlage ASt 2)
17Der Vordruck D 1 enthielt folgende Hinweise:
18„Diese Datei ist dem Angebot vom Bieter zwingend ausgefüllt beizufügen. Bei Bietergemeinschaften ist sie vom Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft auszufüllen. […]
19Angaben zum Bieter/Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft
20Bitte beachten: Bei dem benannten Bieter/Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft muss es sich um den Teilnehmer auf der eVergabe-Plattform handeln, der das Angebot hochlädt. Mit Hochladen dieser Datei erklärt der Bieter/der Bevollmächtigte der Bietergemeinschaft, dass die Bindung an das Angebot bis zum Ablauf der Bindefrist besteht.“
21Die Antragstellerin reichte am 25. Oktober 2019 fristgerecht ein Angebot ein. Bei der Antragstellerin handelt es sich um eine Bietergemeinschaft, die aus dem bevollmächtigten Mitglied, der L gGmbH (im Folgenden L gGmbH), und einem weiteren Mitglied, der L1 gGmbH (im Folgenden L1 gGmbH), besteht.
22Die Angebotsunterlagen wurden von Frau T, einer Mitarbeiterin der Muttergesellschaft der Mitglieder der Antragstellerin, der L2 gGmbH (im Folgenden Muttergesellschaft), von dem AnA-Web-Benutzerkonto der Muttergesellschaft hochgeladen.
23In dem von ihr ausgefüllten Vordruck D 1 war in der Spalte „Bietername“ die Antragstellerin angegeben. In der Abschlusszeile waren das Datum und der Vor- und Zunahme „T“ angegeben. In dem dem Angebot der Antragstellerin beigefügten Vordruck D 2 wurde unter der Überschrift „Abschnitt I: Angaben des Bieters/des Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft“ erklärt, dass „dieses Angebot“ „als Bietergemeinschaft“ abgegeben werde, wobei als „Name der Bietergemeinschaft“ die L gGmbH genannt war. In Abschnitt IV des Vordrucks befanden sich Formulare für die Erteilung einer Vollmacht für den Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft, die von den weiteren Mitgliedern der Bietergemeinschaft zu unterzeichnen waren. Die Antragstellerin fügte in ihrem Angebot sowohl eine von der L gGmbH als auch eine von der L1 gGmbH unterzeichnete Vollmacht bei.
24Die Antragsgegnerin forderte mit einem an die Muttergesellschaft gerichteten Schreiben vom 20. November 2019 wegen „Unstimmigkeiten“ im Angebot dazu auf, die Vordruckdateien D 1 und D 2 korrekt ausgefüllt nachzureichen. Im Schreiben hieß es:
25„[…] Im Vordruck D.1.pdf muss es sich beim benannten Bieter/Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft um den Teilnehmer auf der Vergabeplattform handeln. Sie geben hier die Bietergemeinschaft an. Im D.2.pdf wurde der Bevollmächtigte der Bietergemeinschaft unter Abschnitt IV als weiteres Mitglied der Bietergemeinschaft eingetragen.“
26Frau T übersandte erneut vom Benutzerkonto der Muttergesellschaft die korrigierten Vordrucke, wobei nunmehr als Bietername im Vordruck D 1 die L gGmbH, im Vordruck D 2 unter „Name der Bietergemeinschaft“ die Antragstellerin bezeichnet war. Dem Angebot war diesmal lediglich eine Vollmacht der L1 gGmbH als „weiteres Mitglied der Bietergemeinschaft“ beigefügt.
27Nachdem die Antragsgegnerin zunächst am 2. Dezember 2019 mit einem an die „L2 gGmbH“ gerichteten Schreiben darüber informiert hatte, dass sie die Zuschlagserteilung auf „Ihr Angebot“ beabsichtige, schloss sie das Angebot am 9. Dezember 2019 von der Wertung aus, weil es nicht form- und fristgerecht eingegangen sei. Das Angebot sei nicht vom Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft hochgeladen worden und die Muttergesellschaft sei kein Mitglied der Bietergemeinschaft.
28Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 12. Dezember 2019 den Angebotsausschluss als vergaberechtswidrig. Das Angebot sei in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Vergabeunterlagen durch die Bevollmächtigte der Bietergemeinschaft, Frau T hochgeladen worden, die im Formular D 2 explizit für die Angebotsabgabe als Ansprechpartnerin der Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft benannt worden sei.
29Der Rüge half die Antragsgegnerin am 13. Dezember 2019 nicht ab.
30Die Antragstellerin hat fristgerecht einen Nachprüfungsantrag gestellt, ihr Rügevorbringen wiederholt und vertieft, und beantragt,
31die Antragsgegnerin zu verpflichten, die zu Los 41 des Vergabeverfahrens mit der Vergabenummer 301-10-BerEb-90324 eingegangenen Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer und unter Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin neu zu bewerten.
32Die Antragsgegnerin hat beantragt,
33den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
34Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 31. Januar 2020 zurückgewiesen. Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet, weil das Angebot der Antragstellerin nicht formgerecht eingegangen sei und deshalb gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 1, 53 Abs. 1 VgV habe ausgeschlossen werden dürfen. Ob die Textform nach § 126b BGB gewahrt sei, könne dahinstehen. Jedenfalls seien die von der Antragsgegnerin zulässigerweise in den Vergabeunterlagen und im Vordruck D 1 aufgestellten Anforderungen für die Abgabe eines Angebots nicht eingehalten worden. Aus diesem Grund sei der Ausschluss des Angebot zusätzlich nach §§ 57 Abs. 1 Nr. 4, 29 Abs. 1 Nr. 2 VgV gerechtfertigt.
35Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde. Sie macht geltend, dass die Antragsgegnerin innerhalb des rechtlich zulässigen Rahmens keine weitergehenden Anforderungen an die Übermittlung der Angebote der Bieter gestellt habe. Andere als die in § 53 Abs. 3 VgV genannten Maßnahmen – elektronische Signatur, elektronisches Siegel – könne die Antragsgegnerin nicht verlangen. Die Vorgabe der Antragsgegnerin, Angebote von einem bestimmten Benutzerkonto hochzuladen, sei jedenfalls nicht geeignet, den Bieter zuverlässig zu identifizieren oder Manipulationen an den Angeboten zu verhindern.
36Die Antragstellerin beantragt,
37den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben und die Antragsgegnerin zur verpflichten, die zu Los 41 eingegangenen Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats unter Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin neu zu bewerten.
38Die Antragsgegnerin beantragt,
39die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
40Die mit Beschluss der Vergabekammer vom 19. Dezember 2019 zum Verfahren hinzugezogene Beigeladene hat weder im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer noch im Beschwerdeverfahren Anträge gestellt oder sich sonst am Beschwerdeverfahren beteiligt.
41II.
42Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet, weil der zulässige Nachprüfungsantrag begründet ist.
431. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
44Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 160 Abs. 2 GWB). Sie hat durch die Abgabe eines Angebots ihr Interesse am Auftrag dokumentiert. Die Antragstellerin ist Bieterin. Sie und nicht ihre Muttergesellschaft hat das Angebot auf Los 41 abgegeben.
45Maßstab der Auslegung einer Bietererklärung nach §§ 133, 157 BGB ist, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage der Vergabestelle das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte (Senatsbeschlüsse vom 13. März 2019, VII-Verg 42/18, und vom 22. März 2017, VII-Verg 54/16 – juris, Rn. 43). Wer Bieter ist, bestimmt sich allein nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt des Angebots. Der öffentliche Auftraggeber kann nicht durch Vorgaben in den Vergabeunterlagen bestimmen, wer das Angebot abgegeben hat.
46Nach diesen Maßstäben hat die Antragstellerin als Bieterin ein Angebot abgegeben. In ihrem ursprünglich eingereichten Vordruck D 1 war sie in der Spalte „Bietername“ als Bieterin genannt und ausdrücklich als Bietergemeinschaft bezeichnet. Dies stand auch nicht in Widerspruch zu den Angaben im Vordruck D 2. Dort war zwar das bevollmächtigte Mitglied der Bietergemeinschaft in der Zeile „ggf. Name der Bietergemeinschaft“ eingetragen, weshalb bei oberflächlicher Lektüre des Vordrucks der Eindruck entstehen konnte, die L gGmbH sei Bieterin. Jedoch ergibt sich aus der Zusammenschau mit den weiteren Angaben im Vordruck, dass sie nur Mitglied der Antragstellerin ist. Sie ist als solches im Vordruck ausdrücklich benannt (S. 1 Tabelle) und sie hat (wenn auch irrtümlich) als „weiteres Mitglied der Bietergemeinschaft“ eine Vollmacht erteilt (S. 9). Dass die Antragsgegnerin in Bezug auf die Person der Bieterin keinem Irrtum unterlag, ergibt sich zudem aus dem Nachforderungsschreiben vom 20. November 2019. Darin beanstandete sie unter anderem, dass der Name der Bietergemeinschaft in dem für die Angabe des bevollmächtigten Mitglieds der Bietergemeinschaft vorgesehenen Feld eingetragen war. Unklarheiten darüber, wer Bieter ist, bestanden nicht.
47Der Bietereigenschaft der Antragstellerin steht auch nicht entgegen, dass das Angebot vom Benutzerkonto der Muttergesellschaft hochgeladen worden war. Die Person des Übermittelnden ist für die allein anhand des Angebotsinhalts zu beantwortende Frage, wer Bieter ist, bedeutungslos. Im Übrigen konnte die Antragsgegnerin vom Inhaber des Benutzerkontos allenfalls auf die Person des bevollmächtigten Mitglieds der Bietergemeinschaft schließen, von dessen Konto das Angebot nach den Vergabeunterlagen hochgeladenen werden musste. Die Person des Bieters ergab sich daraus nicht. Dass Frau T das Begleitschreiben, dem die korrigierten Vordrucke beigefügt waren, mit der Signatur versandt hat, die sie als Mitarbeiterin der Muttergesellschaft auswies, durfte die Antragsgegnerin angesichts der eindeutigen Angaben im Angebot nicht zu der Annahme verleiten, die Muttergesellschaft sei Bieterin.
482. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Anders als die Vergabekammer meint, liegen die Voraussetzungen für einen Angebotsausschluss nach § 57 VgV nicht vor. Der Angebotsausschluss kann weder auf Form- oder Übermittlungsfehler nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV (unten a.) noch auf § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen (unten b.) gestützt werden.
49a. Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Antragstellerin zu Unrecht nach §§ 57 Abs. 1 Nr. 1, 53 Abs. 1 VgV ausgeschlossen.
50Von der Wertung ausgeschlossen werden Angebote, die „nicht den Erfordernissen des § 53 VgV genügen, insbesondere Angebote, die nicht form-und fristgerecht eingegangen sind, es sei denn, der Bieter hat dies nicht zu vertreten“. Keiner der Ausschlussgründe liegt vor. Das Angebot der Antragstellerin ist sowohl formgerecht (unten aa.), als auch entsprechend den Erfordernissen des § 53 VgV an die Antragsgegnerin übermittelt worden (unten bb.).
51aa. Ein Verstoß gegen Formvorgaben ist nicht feststellbar. Das Angebot der Antragstellerin wahrt die nach § 53 Abs. 1 VgV einzuhaltende Textform (§ 126b BGB). Von der Möglichkeit, weitergehende Formanforderungen zu stellen und eine elektronische Signatur oder ein elektronisches Siegel zu verlangen (§ 53 Abs. 3 VgV), hat die Antragsgegnerin keinen Gebrauch gemacht.
52Die Textform setzt voraus, dass eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt wird, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben wird (§ 126b S. 1 BGB). Erforderlich ist die Angabe der Identität desjenigen, dem die Erklärung zugerechnet werden soll. Diese Angabe soll sicherstellen, dass der Empfänger aufgrund des Inhalts des Schriftstücks die Person zuordnen kann, die die Erklärung in eigener Verantwortung abgibt (Gesetzesbegründung der BReg., BT-Drucks. 14/4987, S. 20). Gibt ein Vertreter die Erklärung für einen anderen ab, ist der Vertreter der Erklärende (BGH, Urteil vom 7. Mai 2008, XIII ZR 69/06 – juris, Rn. 24 ff. zur Schriftform; Einsele in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2018, § 126b Rn. 7; Herrler in Staudinger, BGB, 2017, § 126b Rn. 30; Ellenberger in Palandt, BGB, 78. Auflage 2019, § 126b Rn. 4). Soweit in der Gesetzesbegründung von „Absender“ die Rede ist (Gesetzesbegründung der BReg., BT-Drucks. 14/4987, S. 20), ergibt sich daraus kein anderes Begriffsverständnis. Mit „Absender“ ist die Person des Erklärenden gemeint, weil auch nach dem Willen des Gesetzgebers von § 126b BGB die Angabe des Absenders im „Einklang mit dem Regelungskonzept der strengen Schriftform“ sicherstellen soll, dass der Empfänger anhand der Angaben in der Erklärung zuordnen kann, von wem er das Dokument erhalten hat (vgl. Gesetzesbegründung der BReg., BT-Drucks. 14/4987, S. 20: „Angabe des Absenders“, „Nennung“).
53(1) Das Angebot der Antragstellerin wahrt die Textform. Die (Unter)Vertreterin, die das Angebot im Namen der Bietergemeinschaft erklärt, ist Frau T. Sie ist im Angebot als Erklärende genannt.
54In dem Formblatt D 1 „Abgabe eines Angebots“ wird Frau T als die natürliche Person aufgeführt, die entsprechend den Ausfüllungshinweisen der Vergabeunterlagen (A 6, Ziff. 1, S. 8) „für das bevollmächtigte Mitglied der Bietergemeinschaft handelt und Angebotsbindung im Namen der Bietergemeinschaft erklärt“. Sie ist die einzige im Angebotsblatt aufgeführte natürliche Person. Ihr in der Schlusszeile der Erklärung eingetragener Name soll ersichtlich die bei einer Erklärung in Textform entbehrliche Unterschrift ersetzen. Unerheblich ist, dass Frau T weder in dem Vordruck D 2 von dem bevollmächtigten Mitglied der Bietergemeinschaft als „Ansprechpartner für die Vertragsdurchführung“ noch in der dem Vordruck D 2 beigefügten Vollmacht des weiteren Mitglieds der Bietergemeinschaft als „Ansprechpartner“ benannt worden ist, weil der nach den Vergabeunterlagen zu benennende Ansprechpartner mit dem Erklärenden nicht identisch sein muss.
55(2) Ob zur Wahrung der Textform – entsprechend dem Schriftformerfordernis – die Offenlegung der Vertretung und der Person des Vertretenen erforderlich ist, kann offenbleiben, da das Angebot der Antragstellerin diese Anforderung jedenfalls erfüllt.
56Zur Wahrung des Schriftformerfordernisses (§ 126 Abs. 1 BGB) muss das Vertretungsverhältnis in der Urkunde zum Ausdruck kommen; Angaben darüber, woraus der Unterzeichner seine Vertretungsmacht herleitet, sind zur Wahrung der Schriftform nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 7. Mai 2008, XII ZR 69/06 – juris, Rn. 27; Ellenberger in Palandt, BGB, 78. Auflage 2019, § 126 Rn. 8). Auf einen ausdrücklichen Vertretungszusatz kann verzichtet werden, wenn die Vertretung der Vertragspartei durch die den Vertrag unterzeichnende Person auf andere Weise hinreichend deutlich wird (BGH, Urteile vom 4. November 2009, XII ZR 86/07, NJW 2010, 1453; vom 7. Mai 2008, XII ZR 69/06, NJW 2008, 2178; Junker in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Auflage (Stand: 01.05.2020) § 126 Rn. 25).
57So liegt der Fall hier. Nach dem oben Gesagten ergibt sich aus dem Text der Angebotsvordrucke D 1 und D 2 ohne jeden Zweifel, dass Frau T nicht im eigenen Namen, sondern als Vertreterin der Bevollmächtigten der Bietergemeinschaft handelte und das Angebot im Namen der Antragstellerin abgegeben hat.
58bb. Das Angebot der Antragstellerin entspricht auch den Vorgaben in § 53 Abs. 1 VgV an die Übermittlung der Angebote. Dass das Angebot entgegen den Vergabeunterlagen nicht vom eigenen Benutzerkonto des bevollmächtigten Mitglieds der Antragstellerin hochgeladen worden war, verstößt zwar gegen eine aufgrund von § 10 VgV aufgestellte Sicherheitsvorgabe der Antragsgegnerin. In diesem Verstoß liegt aber nicht zugleich eine zum zwingenden Angebotsausschluss führende Missachtung der Erfordernisse des § 53 Abs. 1 VgV.
59(1) Unternehmen haben nach § 53 Abs. 1 VgV ihre Angebote „mithilfe elektronischer Mittel gemäß § 10“ VgV zu übermitteln. Damit bekräftigt die Verordnung den Vorrang der Verwendung elektronischer Mittel (Eichler in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Auflage 2018, § 53 VgV Rn. 8; Terbrack in Pünder/Schellenberg, 3. Auflage 2019, § 53 VgV Rn. 10) und stellt klar, dass die vom öffentlichen Auftraggeber gemäß § 10 VgV vorgegebenen und bereitgestellten elektronischen Mittel bei der Angebotsabgabe zu verwenden sind (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 18. Februar 2020, 11 Verg 7/19 – juris, Rn. 25 ff.).
60Weitergehende Erfordernisse an die Übermittlung von Angeboten können § 53 Abs. 1 VgV nicht entnommen werden. Dass Bieterunternehmen ihre Angebote „gemäß § 10“ VgV übermitteln müssen, bedeutet entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht, dass ein Verstoß gegen die vom öffentlichen Auftraggeber auf der Grundlage von § 10 VgV aufgestellten Sicherheitsanforderungen für die elektronischen Mittel oder gegen die Nutzungsbedingungen des gewählten elektronischen Mittels zwingend zugleich einen zum Angebotsausschluss führenden Verstoß gegen § 53 Abs. 1 VgV darstellen (offengelassen von OLG Naumburg, Beschluss vom 4. Oktober 2019, 7 Verg 3/19 – juris, Rn. 42; der von der Antragsgegnerin in Bezug genommene Beschluss des OLG Naumburg vom 22. November 2019, 7 Verg 7/19 – juris, Rn. 34, betrifft Formanforderungen des öffentlichen Auftraggebers und ist nicht einschlägig). Gegen ein solches Verständnis spricht schon der abschließende Charakter der im GWB und in der VgV geregelten Ausschlussgründe. Da es allein dem Gesetzgeber vorbehalten ist zu bestimmen, welche Mängel mit der schärfsten Sanktionen des Angebotsausschlusses geahndet werden (Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2009, VII-Verg 9/09; Haak/Hogeweg in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage 2019, § 57 Rn. 10), können öffentliche Auftraggeber ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage nicht durch zusätzliche Anforderungen an die Übermittlung von Angeboten einen weiteren Ausschlussgrund schaffen.
61§ 53 Abs. 1 VgV hält eine solche gesetzliche Grundlage nicht bereit. Nach seinem eindeutigen Wortlaut verweist § 53 Abs. 1 VgV ausschließlich auf § 10 VgV und nicht auf die auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassenen Festlegungen des öffentlichen Auftraggebers. In § 10 VgV finden sich keine Vorgaben, auf welche Weise Bieter ihre Angebote zu übermitteln haben. Die Vorschrift richtet sich an den öffentlichen Auftraggeber, nicht an Bieter. Der öffentliche Auftraggeber darf nach § 10 Abs. 1 S. 1 VgV das Sicherheitsniveau für die elektronischen Mittel festlegen und zusätzliche Anforderungen an die elektronischen Mittel definieren, wenn die zu übermittelnden Daten erhöhte Anforderungen an die Sicherheit stellen (vgl. Verordnungsbegründung zu § 10, BR-Drucks. 87/16, S. 164). Auch bei § 10 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 VgV handelt es sich um Sonderregelungen für elektronische Mittel für den Empfang der dort genannten Erklärungen und Unterlagen, die sich ausschließlich an den öffentlichen Auftraggeber richten. Hält der öffentliche Auftraggeber die Anforderungen an die von ihm bereitzustellenden elektronischen Empfangsmittel nicht ein, kann dies Bietern nicht zum Nachteil gereichen und nicht zum Angebotsausschluss führen.
62Der systematische Abgleich mit § 53 Abs. 3 VgV bestätigt, dass die Missachtung von Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers an die Übermittlung von Angeboten keinen Verstoß gegen die Erfordernisse des § 53 VgV darstellt. Während der Verordnungsgeber die vom öffentlichen Auftraggeber wegen erhöhter Anforderungen an die Sicherheit aufgestellten Formanforderungen in § 53 Abs. 3 VgV aufgenommen und damit für den Fall der Missachtung einen Ausschlusstatbestand nach § 57 VgV geschaffen hat, hat er darauf bei Festlegungen hinsichtlich der Übermittlung von Angeboten verzichtet. Diese Entscheidung des Verordnungsgebers kann nicht durch eine erweiternde, die Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers einbeziehende Auslegung des Verweises von § 53 Abs. 1 VgV auf § 10 VgV umgangen werden. Sie verbietet sich nicht zuletzt auch im Interesse der Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs, dessen Ziel es ist, die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel zu reduzieren (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2019, X ZR 86/17 – juris, Rn. 11; Senatsbeschluss vom 1. April 2020, VII-Verg 30/19, jeweils zur VOB/A).
63Ausgehend von diesen Maßstäben genügt das Angebot der Antragstellerin den Anforderungen von § 53 Abs. 1 VgV. Die Antragsgegnerin hat in den Vergabeunterlagen zur Übermittlung der Angebote die Verwendung der auf der Vergabeplattform des Bundes bereitgestellten Softwarekomponente AnA-Web vorgegeben. Dieses elektronische Mittel hat die Antragstellerin bei der Versendung ihres Angebots genutzt. Dass sie das Angebot abweichend von den Vorgaben der Vergabeunterlagen nicht vom vorgegebenen Benutzerkonto hochgeladen hat, verletzt allenfalls Festlegungen der Antragsgegnerin, die diese aufgrund von § 10 VgV getroffen hat, nicht jedoch Erfordernisse von § 53 VgV.
64(2) Ob im Einzelfall ein Verstoß gegen die auf der Grundlage von § 10 Abs. 1 S. 1 VgV aufgestellten Sicherheitsanforderungen aus anderen Gründen zu einem Angebotsausschluss führt, etwa weil – so die Befürchtung der Antragsgegnerin – infolge der Missachtung der Vorgaben ein Geheimwettbewerb nicht sichergestellt ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragstellerin einen gesetzlichen Ausschlussgrund verwirklicht hat, weil sie ihr Angebot nicht vom Benutzerkonto ihres bevollmächtigten Mitglieds hochgeladen hat. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass andere Bieter aus diesem Grund Kenntnis vom Angebot der Antragstellerin erlangt haben könnten. Der Verstoß gegen die Vorgabe der Antragsgegnerin, Angebote von Bietergemeinschaften vom Benutzerkonto ihres bevollmächtigten Mitglieds hochzuladen, wiegt hier auch nicht so schwer, dass eine Wertung des Angebots der Antragstellerin nicht durchführbar ist oder zu einer schwerwiegenden Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Verhältnis zu korrekt handelnden Bietern führen würde.
65b. Der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin ist auch nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 VgV wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen zulässig.
66Nach diesen Vorschriften ist ein Angebot auszuschließen, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der Ausschreibende bestellt hat, sondern in seinem Angebot von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht (Senatsbeschlüsse vom 2. August 2017, VII-Verg 17/17 – juris, Rn. 32, und vom 12. Dezember 2012, VII-Verg 38/12; OLG München, Beschluss vom 21. April 2017, Verg 1/17 – juris, Rn. 64). Ein solcher Fall liegt nicht vor. Die Antragstellerin hat keine andere als die ausgeschriebene Leistung angeboten. Sie ist in ihrem Angebot nicht von den Vergabeunterlagen abgewichen. Dass sie ihr Angebot abweichend von den Vorgaben der Antragsgegnerin übermittelt hat, führt zu keiner Diskrepanz zwischen Angebotsinhalt und den Vergabeunterlagen. Es bestehen nach dem oben Gesagten (oben II.1.) auch keine Zweifel, dass die Antragstellerin entsprechend den Vorgaben der Vergabeunterlagen ihr Angebot rechtsverbindlich abgegeben hat.
67III.
68Die Kostenentscheidung beruht bezüglich des Verfahrens vor der Vergabekammer auf § 182 Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 GWB sowie bezüglich des Beschwerdeverfahrens auf § 175 Abs. 2 GWB i.V.m. § 78 GWB. Es entspricht der Billigkeit, der Antragsgegnerin die durch das begründete Rechtsmittel der Antragstellerin verursachten Kosten sowie die Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen. Da sich die Beigeladene nicht in einem nennenswerten Umfang aktiv am Vergabenachprüfungsverfahren und am Beschwerdeverfahren beteiligt hat, trägt sie aus Gründen der Billigkeit ihre Aufwendungen selbst. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig, weil das Nachprüfungsverfahren Sach- und Rechtsfragen zum Gegenstand hatte, die komplex und vielfältig und ohne anwaltlichen Beistand rechtlich nicht zu bewältigen waren.
69Bei der Entscheidung über den Wert für das Beschwerdeverfahren, die auf § 50 Abs. 2 GKG beruht, ist der Bruttoangebotspreis der Antragstellerin für Los 41 bezogen auf den gesamten Vertragszeitraum zugrunde zu legen, dessen exakte Höhe sich aus der dem Senat vorliegenden Vergabedokumentation nicht ergibt. Die Beteiligten werden gebeten, hierzu näher vorzutragen.