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1. Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 19. Juli 2018, VK 2 – 58/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin, die diese selber zu tragen hat, die Beigeladene.
Gründe
2I.
3Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 7. September 2017 im offenen Verfahren den Abschluss eines Rahmenvertrages über die Lieferung von elektrisch höhenverstellbaren Bildschirmarbeitstischen aus (EU-Bekanntmachung Nr.: 2017/S 171-350061). Damit soll ein Beschaffungsbedarf von ca. 40.000 Stück innerhalb einer Gesamtvertragslaufzeit von vier Jahren (unter Einbeziehung der Verlängerungsoptionen) gedeckt werden. Bereits am 4. September 2017 hatte die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren über die nationale elektronische Plattform www….-online.de veröffentlicht.
4In der Auftragsbekanntmachung wird unter Ziffer I.3 „Kommunikation“ ausgeführt:
5„Die Auftragsunterlagen stehen für einen uneingeschränkten und vollständigen direkten Zugang gebührenfrei zur Verfügung unter https://www....-online.de/Tenderdetails.html?id=171348.“
6In Ziffer III.1.3 der Auftragsbekanntmachung heißt es weiter:
7„Die Möblierungsgeräte sind nach den Technischen Lieferbedingungen (TL) herzustellen. Die TLs sind im Internet unter www…..de abrufbar. (…) Entgegen den Bestimmungen einiger TLs müssen folgende Prüfbescheinigungen mit der Angebotsabgabe vorgelegt werden: Prüfbescheinigung für das GS-Zeichen (…).“
8(Eingeklammerte Auslassungen bei allen Zitaten durch Senat; „GS“ steht für Geprüfte Sicherheit, Anm. des Senats)
9Die ausgeschriebenen Bildschirmarbeitstische waren nach den Technischen Lieferbedingungen TL A-0074 und TL 7110-0093 sowie ausweislich der Ergänzenden Hinweise zu den Vergabeunterlagen nach dem Zeichnungssatz ZS 4110 herzustellen. Auf Seite 2 der Technischen Lieferbedingung 7110-0093 findet sich folgender Hinweis:
10„Diese TL enthalten durch datierte und undatierte Verweisungen Festlegungen aus anderen Dokumenten (Normen, TL usw.). Diese Dokumente sind an den jeweiligen Stellen im Text zitiert (Normative Verweisungen). (…)
11Zeichnungssatz (ZS)
12(…)
13ZS 4110 Bildschirmarbeitstisch, elektrisch höhenverstellbar. 1600 mm x 800 mm (Ausführung I)
14Die Zeichnungssätze werden nur (…) auf besondere Anforderung ausgegeben.“
15Die Technische Lieferbedingung 7110-0093 enthalten u.a. folgende technische Anforderungen:
16„2.1 (…) Bei Ausführung I müssen bei der maximalen Arbeitshöhe hinsichtlich der Belastung an einer Ecke mindestens 1200 N im Prüfbericht für das GS-Zeichen nachgewiesen werden. (…)
172.1.1 Die Tischplatte aus Spanplatte P2, 28 mm dick, nach DIN EN 312 ist rundum mit einem Einleimer aus Buche-Vollholz 15 mm dick und beidseitig mit HPL/HCPL in Buche-Dekor (…) zu fertigen. (…)
182.2 (…) Die Eignung der PC-Halterung ist mit einem GS-Zeichen für den elektrisch höhenverstellbaren Steh-/Sitz Bildschirmarbeitsplatz nachzuweisen. (…)
192.5 Farbe 7021 (schwarzgrau) für alle Metallteile.“
20Alleiniges Zuschlagskriterium ist der Preis. Als Schlusstermin für die Abgabe der Angebote hat die Antragsgegnerin den 17. Oktober 2017 festgelegt.
21Nachdem die Antragstellerin, eine in H. ansässige Möbelherstellerin, am 13. und erneut am 19. September 2017 um Übersendung des Zeichnungssatzes gebeten hatte, erhielt sie diesen auf einem Datenträger am 26. September 2017 per Post.
22Die Antragstellerin reichte fristgerecht ein Angebot ein. Die Beigeladene gab als einzige weitere Bieterin ebenfalls ein fristgerechtes Angebot mit einem deutlich höheren Angebotspreis ab.
23Die Antragstellerin bot ausweislich des ausgefüllten Angebotsblatts eine Ausführung „gem. TL 7110-0093 Ausführung I“ an. Ihrem Angebot beigefügt war u.a. ein GS-Zertifikat, ausgestellt am 19.08.2013 durch die TÜV B. GmbH, gültig bis zum 18.08.2018 für den Tisch
24„Alma H (…)
25Tragkraft 125 Kg (…)
26Plattenstärke: 2,5 cm
27Plattenbeläge: Melanin in den Farben, grauweiß, grau F509, weiße Esche, champagner Eiche, Ferrara Eiche, graue Ferrara Eiche, wenge“.
28Über die Eignung der PC-Halterung traf das Prüfzeichen keine Aussage.
29Die Antragsgegnerin bat die Antragstellerin mit E-Mail vom 2. November 2017 um Aufklärung, weil den Angebotsunterlagen – so ihre Ausführungen – nicht das geforderte GS-Zeichen sondern das GS-Zeichen für einen anderen als den ausgeschriebenen Tisch beigefügt war. Sie forderte die Antragstellerin daher auf, u.a. folgende Zertifikate nachzureichen:
30• Zertifikat für Bedien-, Steuerungs- und Hubelement nach DIN EN 60335-1 und UL 962
31• GS-Prüfzeichen für den BAT TL 7110-0093.
32Die Antragstellerin übersandte der Antragsgegnerin daraufhin am 24. November 2017 eine Bestätigung des TÜV B. , nach der sich das Modell „ALMA-HGAC“ in der GS-Prüfung befinde und die voraussichtliche Prüfdauer 4 Wochen betrage. Erst bei der Erstmusterung des Tisches am 13. Dezember 2017 legte die Antragstellerin ein GS-Zertifikat der TÜV B. GmbH vom 11. Dezember 2017 nebst Prüfbericht vor.
33Das Ergebnis der Prüfung ergab für die Antragsgegnerin Anlass zu Beanstandungen, die sie der Antragstellerin durch Übermittlung einer „Mängelliste“ mitteilte. Danach waren an den elektrisch höhenverstellbaren Tischen der Antragstellerin unter anderem die eingebauten Hubeinheiten nur für eine Kraft von 800 N ausgelegt und nicht wie in der Ausschreibung gefordert von 1200 N. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2017 bestätigte die Antragstellerin den Erhalt der „Mängelliste“ und teilte bezüglich der Hubeinheiten mit, dass sie an deren Behebung arbeite. Mit E-Mail vom 27. Dezember 2017 legte sie sodann ein Zertifikat der T. vom 22. Dezember 2017 vor, das den von der Antragstellerin verwendeten Hubelementen im Zertifikat eine maximale Hublast von 1200 N bescheinigte. In Ziff. 1.2 der Produktbescheinigung war hingegen eine maximale Hublast der Elemente von 800 N ausgewiesen.
34Die Antragsgegnerin forderte die Antragstellerin in der Folge desweiteren auf, unter Verwendung des Formulars „Aufforderung zur Einreichung einer Vorkalkulation“ den von ihr angegebenen Selbstkostenpreis aufzuklären. Dem kam die Antragstellerin nach. Die Überprüfung der Angaben gab zu einer weiteren Preisprüfung keinen Anlass.
35Mit Schreiben vom 6. Juni 2018 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausgeschlossen werde und die Zuschlagserteilung an die Beigeladene beabsichtigt sei. Hiergegen erhob die Antragstellerin am selben Tag „Einspruch“.
36Die Antragstellerin hat am 15. Juni 2018 bei der Vergabekammer des Bundes ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet. Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Anforderungen in den Technischen Lieferbedingungen der Antragsgegnerin widersprüchlich seien. Zudem sei das Angebot der Beigeladene wegen zahlreicher Vergaberechtsverstöße auszuschließen.
37Die Antragstellerin hat – soweit für das Beschwerdeverfahren relevant – beantragt,
38der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen; die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Angebot der Antragstellerin zur weiteren Wertung zuzulassen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Beigeladene von dem Verfahren auszuschließen;
39hilfsweise, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Antragsgegnerin zu verpflichten, diesen Beschaffungsbedarf unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in rechtskonformer Weise zum Beispiel durch eine erneute, rechtskonforme Ausschreibung zu decken.
40Die Antragsgegnerin hat beantragt,
41die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen.
42Die Beigeladene, die keinen ausdrücklichen Antrag gestellt hat, hat geltend gemacht, dass der Nachprüfungsantrag überwiegend wegen Verletzung der Rügeobliegenheiten unzulässig und im Übrigen unbegründet sei.
43Die 2. Vergabekammer des Bundes hat mit Beschluss vom 19. Juli 2018, VK 2 – 58/18, unter Zurückweisung des Nachprüfungsantrags im Übrigen die Antragsgegnerin verpflichtet, das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht beginnend mit der Bekanntmachung entsprechend der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Zur Begründung führte sie aus, es sei bereits in der Vorbereitung des Vergabeverfahrens zu Fehlern gekommen. Zwar sei das Angebot der Antragstellerin wegen tatsächlicher Abweichungen von den Anforderungen der Vergabeunterlagen gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen. Darauf komme es aber wegen der zeitlich vorgelagerten Verstöße im Rahmen der Auftragsbekanntmachung nicht an.
44Gegen diese Entscheidung hat die Beigeladene am 1. August 2018 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie macht unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens im Nachprüfungsverfahren insbesondere geltend, der Nachprüfungsantrag sei schon deshalb unbegründet, weil die Antragstellerin mit Angebotsabgabe kein GS-Zeichen für den ausgeschriebenen Tisch vorgelegt habe. Die Antragstellerin habe die im Nachprüfungsverfahren zu Unrecht von Amts wegen aufgegriffenen Vergaberechtsverstöße nicht rechtzeitig gerügt. Jedenfalls sei ausgeschlossen, dass diese Vergaberechtsverstöße die Angebotserstellung erschwert hätten. Überdies sei der Angebotspreis der Antragstellerin ungewöhnlich niedrig.
45Die Beigeladene beantragt,
46den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 19. Juli 2018, VK 2 – 58/18, aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen; hilfsweise, die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats über die Sache erneut zu entscheiden.
47Die Antragstellerin beantragt,
481. die sofortige Beschwerde zurückzuweisen;
492. hilfsweise, für den Fall, dass der Senat den Beschluss der Vergabekammer ganz oder teilweise aufhebt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Angebot der Antragstellerin zur weiteren Wertung zuzulassen; hilfsweise, die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Angebot der Beigeladenen aus der Wertung auszuschließen.
50II.
51Die zulässige sofortige Beschwerde der Beigeladenen ist nicht begründet. Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurecht im Hilfsantrag stattgegeben.
521. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
53Die Antragstellerin ist gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Dies gilt auch hinsichtlich eines etwaigen Verstoßes gegen das in § 40 Abs. 3 VgV verankerte Gebot, dass Bekanntmachungen auf nationaler Ebene erst nach der Veröffentlichung durch das Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union oder 48 Stunden nach der Bestätigung über den Eingang der Bekanntmachung durch das Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union bekanntgemacht werden dürfen. Die Vorschrift ist bieterschützend (Schwabe in Müller-Wrede, VgV/UVgO-Kommentar, 2017, § 40 VgV Rn. 39; Rechten in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 40 Rn. 4; einschränkend Schmidt in Münchner Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, Band 3, Vergaberecht I, 2. Auflage 2018, § 40 VgV Rn. 20, der einen Bieterschutz offenbar nur für die Vorgabe annimmt, dass die nationale Bekanntmachung keine zusätzlichen Informationen enthalten darf). Ihr kommt hohe Bedeutung für die Durchsetzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung zu. Wird eine EU-weite Ausschreibung vorzeitig national bekanntgemacht, so können hierdurch EU-ausländische Bieter benachteiligt sein. Daher erschöpft sich neben dem inhaltlichen Erfordernis auch das zeitliche Erfordernis der EU-weiten Bekanntmachung nicht in einer bloßen Ordnungsvorschrift.
54Anders als die Beigeladene meint, lassen sich aus der Rechtsprechung zur fehlenden Antragsbefugnis bei einer vergaberechtswidrig ausschließlich nationalen Ausschreibung (Senatsbeschluss vom 22. November 1999, Verg 2/99) keine Schlüsse für den hier zu entscheidenden Fall ziehen. Es mag zutreffen, dass einem Bieter die Antragsbefugnis fehlt, wenn dieser trotz des Verfahrensverstoßes von der Ausschreibung Kenntnis nimmt und sich sodann am Vergabeverfahren beteiligt. Hier macht die Antragstellerin jedoch eine Erschwernis aufgrund der Zeitverkürzung geltend, die sich durch die verspätete eu-weite Bekanntmachung ergab. Dass sie von der Ausschreibung (wenngleich im Vergleich zu nationalen Bietern zeitversetzt) Kenntnis genommen und an dieser teilgenommen hat, lässt eine Erschwernis und Beeinträchtigung der
55Zuschlagschancen wegen Zeitverzögerung nicht ausgeschlossen erscheinen.
562. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist, soweit er noch Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, begründet.
57Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin in ihrem Anspruch auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren verletzt (§ 97 Abs. 6 GWB). Die Antragsgegnerin hat sowohl gegen § 41 Abs.1 VgV als auch gegen § 10 VgV und § 40 Abs. 3 S. 1 VgV verstoßen (siehe unter a.). Auch war die Vergabekammer berechtigt, die Vergaberechtsfehler von Amts wegen aufzugreifen (siehe unter b.). Die Vergaberechtsverstöße haben zu einer Beeinträchtigung der Zuschlagschancen der Antragstellerin geführt (siehe unter c.).
58a. Die Vergabekammer hat aus zutreffenden Gründen einen Verstoß gegen § 41 Abs. 1 VgV, § 10 VgV und § 40 Abs. 3 S. 1 VgV bejaht.
59aa. Die Antragsgegnerin hat gegen § 41 Abs. 1 VgV verstoßen.
60Nach dieser Vorschrift hat der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung eine elektronische Adresse anzugeben, unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können. Vollständig abrufbar sind die Vergabeunterlagen dann, wenn über die in der Bekanntmachung genannte Internetadresse die Vergabeunterlagen vollständig und nicht nur Teile derselben abgerufen werden können (Senatsbeschluss vom 17. Oktober 2018, VII-Verg 26/18 – juris, Rn. 77 ff.; Wichmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, § 41 VgV Rn. 13; Rechten in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2017, § 41 Rn. 30; Horn in Müller-Wrede, Kommentar VgV/UVgO, 2017, § 41 VgV Rn. 15). Uneingeschränkt abrufbar sind die Vergabeunterlagen dann, wenn die elektronische Adresse einen eindeutig und vollständig beschriebenen medienbruchfreien elektronischen Weg zu den Vergabeunterlagen enthält. In der Bekanntmachung sind alle Informationen anzugeben, die es einem Bürger oder einem Unternehmen ohne wesentliche Zwischenschritte und ohne wesentlichen Zeitverlust ermöglichen, mit elektronischen Mitteln an die Vergabeunterlagen zu gelangen (Verordnungsbegründung der Bundesregierung, BT-Drucksache 18/7318 S. 181 und BR-Drucksache 87/16, S. 195; Rechten in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2017, § 41 Rn. 25 ff.; Horn in Müller-Wrede, Kommentar VgV/UVgO, 2017, § 41 VgV Rn. 11; Schmidt in Münchner Kommentar Europäisches Wettbewerbs- und Kartellrecht, Band 3, Vergaberecht I, 2. Auflage 2018, § 41 VgV Rn. 14). Direkt abrufbar sind die Vergabeunterlagen im Rahmen der auf elektronische Mittel gestützten öffentlichen Auftragsvergabe dann, wenn potentielle Bieter oder Bewerber sich über bekanntgemachte öffentliche Auftragsvergaben informieren oder Vergabeunterlagen abrufen können, ohne sich zuvor auf einer elektronischen Vergabeplattform mit ihrem Namen, einer Benutzerkennung oder ihrer E-Mail-Adresse registrieren zu lassen (Begründung des Verordnungsgebers (BR-Drucksache 87/16, S. 195 f.; Schmidt in Münchner Kommentar Europäisches Wettbewerbs- und Kartellrecht, Band 3, Vergaberecht I, 2. Auflage 2018, § 41 VgV Rn. 14; Rechten in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2017, § 41 Rn. 25 ff.; Horn in Müller-Wrede, Kommentar VgV/UVgO, 2017, § 41 VgV Rn. 11). Diesem Erfordernis ist nicht genügt, wenn die Vergabeunterlagen erst auf Anforderung und unter Angabe einer E-Mail-Adresse oder einer Postanschrift versandt werden (Krohn in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage 2019, § 41 VgV Rn. 5).
61Diesen Anforderungen genügt die unter Ziffer I. 3) die Auftragsbekanntmachung bekannt gegebene elektronische Adresse https://www....-online.de/tenderdetails.html?id=171348 nicht.
62(1) Die technischen Lieferbedingungen, nach deren Vorgaben die Tische herzustellen waren, waren über diese elektronische Adresse nicht abrufbar. Vielmehr war in Ziffer III.1.3) der Auftragsbekanntmachung eine andere, zweite Internetadresse, www…..de, für ihren Abruf benannt.
63Kein Zweifel besteht, dass es sich bei den Technischen Lieferbedingungen um Vergabeunterlagen gemäß § 29 VgV handelt, die gemäß § 41 VgV unter einer elektronischen Adresse abrufbar sein müssen. Nach § 29 Abs. 1 S. 1 VgV umfassen die Vergabeunterlagen alle Angaben, die erforderlich sind, um dem Bewerber oder Bieter eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen. Sie bestehen nach § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 VgV unter anderem in der Regel aus den Vertragsunterlagen, die aus der Leistungsbeschreibung und den Vertragsbedingungen bestehen. Die Technischen Lieferbedingungen enthalten Anforderungen über die Beschaffung der zu liefernden Tische und sind damit Teil der Leistungsbeschreibung.
64Ist aber ein Teil der Vergabeunterlagen nur über eine zweite elektronische Adresse abrufbar, ist die in § 41 Abs. 1 VgV aufgestellte Voraussetzung, dass die Vergabeunterlagen unter einer angegebenen Internetadresse vollständig abgerufen werden können, nicht erfüllt. Ohne dass es hier darauf ankommt, konnten die Technischen Lieferbedingungen unter der zweiten Adresse auch nicht direkt abgerufen werden. Es war nicht möglich, ohne Zeitverlust und wesentliche Zwischenschritte an die erforderlichen Unterlagen zu gelangen. Um die Technischen Lieferbedingungen unter der in der Auftragsbekanntmachung angegebenen Internetadresse www…..de zu erhalten, musste die Antragstellerin die Webseite „Vergabe“ und von dort die Webseite „Technische Lieferbedingungen“ ansteuern und konnte erst dann unter Eingabe der jeweiligen Nummer nebst Titel und Ausgabedatum in eine Suchmaske die Technischen Lieferbedingungen finden. Die Nummern der für die Auftragsausführung einschlägigen Technischen Lieferbedingungen wiederum musste sich die Antragstellerin zuvor aus den Vergabeunterlagen heraussuchen.
65(2) Ein weiterer Verstoß gegen § 41 Abs. 1 VgV ist darin begründet, dass der zu den Vergabeunterlagen gehörende Zeichnungssatz 4110 nicht direkt unter der benannten elektronischen Adresse abrufbar war, sondern per E-Mail bei der Antragsgegnerin angefordert werden musste und erst auf Anforderung postalisch zugesandt wurde. Für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands im Sinne von § 41 Abs. 2 VgV liegen keine Anhaltspunkte vor.
66bb. Indem die Antragsgegnerin nicht die Abgabe von Angeboten mithilfe elektronischer Mittel nach § 10 VgV ermöglichte, sondern ausweislich der Aufforderung zur Angebotsabgabe vom 4. September 2017 die Abgabe eines Angebots in Papierform forderte, hat sie gegen die Vergabevorschrift des § 53 Abs. 1 VgV verstoßen. Dies greift auch die Beigeladene mit der Beschwerde nicht an.
67cc. Die Antragsgegnerin hat gegen die Bekanntmachungsvorschrift des § 40 Abs. 3 S. 1 VgV verstoßen, die bestimmt, dass Bekanntmachungen auf nationaler Ebene erst nach der europaweiten Bekanntmachung erfolgen dürfen. Die Veröffentlichung auf der nationalen Plattform www….-online.de erfolgte indes am 4. September 2017 und damit vor der Veröffentlichung im Supplement zum Amtsblatt der EU am 7. September 2017.
68b. Die Vergabekammer war berechtigt, die genannten Vergaberechtsfehler ohne eine entsprechende Rüge der Antragstellerin vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 163 GWB von Amts wegen aufzugreifen.
69Der Umfang der tatsächlichen und rechtlichen Prüfung durch die Vergabekammern wird durch § 163 Abs. 1 GWB und § 168 Abs. 1 GWB bestimmt. Demnach erforscht die Vergabekammer den Sachverhalt von Amts wegen. Sie kann sich auf das beschränken, was von den Beteiligten vorgebracht wird oder sonst bekannt sein muss. Dabei ist sie nicht zu einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle verpflichtet. Allerdings ist sie grundsätzlich zum Aufgreifen auch nicht geltend gemachter, sich aufdrängender Vergaberechtsfehler befugt (Senatsbeschluss vom 5. Mai 2008, Verg 5/08 – juris, Rn. 24). Der Amtsermittlungsgrundsatz gilt allerdings nur soweit, als der Nachprüfungsantrag zulässig ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Juli 2018, VII-Verg 24/18 – juris, Rn. 59; vom 20. Juli 2015, VII-Verg 37/15 – juris, Rn. 8; vom 15. Juni 2005, VII-Verg 5/05 – juris, Rn. 18 f., und vom 12. März 2003, Verg 49/02; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 168 Rn. 23; Reidt in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 168 GWB Rn. 19; Fett in Münchner Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, Band 3, Vergaberecht I, 2. Auflage 2018, § 168 GWB Rn. 34). Insbesondere muss der Antragsteller seine aus § 160 Abs. 3 S. 1 GWB folgende Rügeobliegenheit erfüllt haben. Präkludierte Verstöße dürfen von Amts wegen nicht aufgegriffen werden (Senatsbeschlüsse vom 20. Juni 2015, VII-Verg 37/15 – juris Rn. 8, und vom 11. Juli 2018, VII-Verg 24/18 – juris, Rn. 59 ff.)
70Die Antragstellerin ist, mit Ausnahme des Verstoßes gegen § 41 Abs. 1 VgV gestützt auf die Tatsache, dass die Technischen Lieferbedingungen unter einer anderen als der in Ziff. I.3. der Auftragsbekanntmachung benannten elektronischen Adresse abrufbar waren, nicht gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 GWB präkludiert.
71aa. Die Antragstellerin hat ihre Rügeobliegenheiten verletzt, soweit sie bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe nicht beanstandet hat, dass nicht sämtliche Vergabeunterlagen unter der Adresse https://www....-online.de/tenderdetails.html?id=171348 abrufbar waren, sondern für den Abruf der Technischen Lieferbedingungen eine zweite elektronische Adresse benannt worden ist. Der Vergaberechtsverstoß war für sie im Sinne von § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GWB aufgrund der Bekanntmachung erkennbar.
72Erkennbar im Sinne von § 160 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB ist ein Vergaberechtsverstoß, wenn sich die zugrunde liegenden Tatsachen aus der Auftragsbekanntmachung (Nr. 2) bzw. den Vergabeunterlagen (Nr. 3) ergeben (Senatsbeschlüsse vom 11. Juli 2018, VII-Verg 24/18 – juris, Rn. 40; vom 12. Oktober 2011, VII-Verg 46/11 – juris, Rn. 50, und vom 9. April 2014, VII-Verg 36/13 – juris, Rn. 47) und sie ein durchschnittlich fachkundiger, die übliche Sorgfalt anwendender Bieter als Vergaberechtsverstoß erkennen konnte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.03.2017, VII-Verg 39/16, juris Rn. 35). Die Erkennbarkeit bezieht sich dabei sowohl auf die den Vergaberechtsverstoß begründenden tatsächlichen Umstände als auch auf die Vergaberechtswidrigkeit als solche (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 09.04.2014, VII-Verg 36/13, juris Rn. 47). Die Präklusionsbestimmungen sind gemäß ihrem Wortlaut streng auszulegen und anzuwenden, um den durch die Rechtsmittelrichtlinie der Union garantierten Primärrechtsschutz nicht einzuschränken (EuGH, Beschluss vom 19. Juni 2003, C 249/01; BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03 – juris; Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14; Jaeger, NZBau 2009, 558, 560). Eine Rügepräklusion kommt aus diesem Grund nur bei ins Auge fallenden Rechtsverstößen in Betracht, die einem durchschnittlich erfahrenen Bieter auch ohne dahingehende Überprüfung der Auftragsbekanntmachung bzw. der Vergabeunterlagen auffallen müssen (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 01.06.2016, VII-Verg 6/16, juris Rn. 36). Maßgeblich ist, ob der Bieter, wenn man den Maßstab eines durchschnittlich fachkundigen Bieters anlegt, den Verstoß hätte erkennen müssen bzw. ob der Verstoß sich aufdrängte (Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 160 GWB, Rn. 274).
73Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, war für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter aus der Bekanntmachung in tatsächlicher Hinsicht ohne Schwierigkeiten erkennbar, dass die Vergabeunterlagen nicht über eine einzelne Internetadresse vollständig abrufbar waren, sondern die Technischen Lieferbedingungen ausschließlich über eine zweite elektronische Adresse zu erlangen waren. Auch die laienhafte rechtliche Wertung dieser Tatsache als vergaberechtsfehlerhaft konnte erwartet werden. Das Erkennen als Vergaberechtsverstoß erforderte keine die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlichen Bieterunternehmens übersteigenden Subsumtionsfähigkeiten. § 51 Abs. 1 VgV statuiert in Umsetzung des Art. 53 der Richtlinie 2014/24/EU die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, die Vergabeunterlagen grundsätzlich elektronisch und „medienbruchfrei“ über eine elektronische Adresse zur Verfügung zu stellen. Gerade eine solche grundlegende Weichenstellung (so auch Bock in Heiermann/Zeiss/Summa, juris PK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 41 VgV Rn. 1) zur Abwicklung des Vergabeverfahrens darf bei einem durchschnittlich erfahrenen Bieter als bekannt vorausgesetzt werden. Die Argumentation der Vergabekammer, die Bestimmung sei so neu, dass sie noch nicht einmal der Vergabestelle bekannt gewesen sei, überzeugt nicht. Zwar kann von einen durchschnittlich erfahrenen, sorgfältigen Bieter nicht verlangt werden, dass er die Vorschriften genauso gut oder gar besser als die Vergabestelle kennt (vgl. OLG München, Beschluss v. 22.10.2015, Verg 5/15, juris Rn. 43). Jedoch kann die Nichtbeachtung grundlegender, bedeutender Vorschriften durch den öffentlichen Auftraggeber dem Bieter nicht in der Form zum Vorteil gereichen, dass er sich in einem solchen Fall auf die generell größere Expertise des Auftraggebers beruft.
74bb. Im Übrigen waren die oben unter a. festgestellten Vergaberechtsverstöße für die Antragstellerin nicht erkennbar.
75So ist die Antragstellerin mit ihrem in der Beschwerdeschrift erhobenen Einwand, der zu den Vergabeunterlagen zählende Zeichnungssatz Nr. 4110 sei nicht uneingeschränkt und direkt abrufbar gewesen, nicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 oder 3 GWB präkludiert. Der Verfahrensverstoß ergab sich nicht aus der Auftragsbekanntmachung; er war nicht anhand der Vergabeunterlagen erkennbar.
76Zwar ergab sich in tatsächlicher Hinsicht aus dem Mustervertrag und den Technischen Lieferbedingungen, dass der in den Technischen Lieferbedingungen 7110-0093 erwähnte Zeichnungssatz mit der Nummer 4110 gesondert angefordert werden musste und nicht über eine elektronische Adresse abrufbar war. Allerdings musste ein durchschnittlich fachkundiger Bieter darin keinen Verstoß gegen § 41 Abs. 1 VgV erkennen. So werden in der Rechtsprechung durchaus unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, wie viele Zwischenschritte bis zum Erhalt einer Unterlage erlaubt sind. Hinzu kommen die in § 41 Abs. 2 VgV vorgesehenen Ausnahmeregelungen für einen anderen geeigneten Weg der Übermittlung. So war nicht ausgeschlossen und auf erste Sicht auch nicht erkennbar, ob die Übermittlung des Zeichnungssatzes gemäß § 41 Abs. 2 VgV ausnahmsweise auf postalischem Weg gestattet war, etwa weil die Antragsgegnerin ein besonderes Dateiformat verwenden musste, das einen direkten Abruf nicht ermöglichte.
77Auch mit dem festgestellten Verstoß gegen § 53 VgV ist die Antragstellerin nicht nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB präkludiert. Der behauptete Verfahrensverstoß in den Vergabeunterlagen war in rechtlicher Hinsicht nicht erkennbar. Der Verstoß ist nicht augenfällig im Sinne der oben genannten Rechtsprechung. Abweichend von § 53 VgV durften gemäß § 81 VgV Zentrale Beschaffungsstellen im Sinne von § 120 Abs. 4 S. 1 GWB bis zum 18. April 2017 die Übermittlung der Angebote auf dem Postweg verlangen. Gemäß § 186 Abs. 2 GWB ist der Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens maßgeblich für die Anwendung des jeweiligen Rechts. Die Antragstellerin hätte zwar der Bekanntmachung entnehmen können, dass es sich bei der Antragsgegnerin um eine Zentrale Beschaffungsstelle handelt (vgl. Ziff. I.2). Es ist aber nicht augenfällig, dass die Antragsgegnerin bei ihrer Ausschreibung im September 2017 nicht mehr auf die Übergangsvorschrift des § 81 VgV zurückgreifen durfte.
78Die Antragstellerin ist schließlich nicht mit ihrer Rüge präkludiert, dass die nationale Bekanntmachung des Beschaffungsvorhabens zeitlich vor der europaweiten Bekanntmachung erfolgt ist. Dieser Verstoß ergab sich weder aus der Bekanntmachung noch aus den Vergabeunterlagen.
79c. Der Antragstellerin ist kausal durch die nicht präkludierten Vergaberechtsfehler ein Schaden durch Beeinträchtigung ihrer Chancen auf Erhalt des Zuschlags entstanden.
80Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist ein Nachprüfungsantrag im Falle eines festgestellten Verstoßes gegen Vergaberecht nur dann unbegründet, wenn auszuschließen ist, dass es durch den Verstoß gegen Vergabevorschriften zu einer Beeinträchtigung der Auftragschancen des Antragstellers gekommen ist (Senatsbeschlüsse vom 17. Januar 2018, VII-Verg 39/17 – juris, Rn. 80, vom 27. September 2017, VII-Verg 12/17 – juris, Rn. 24; vom 8. März 2017, VII-Verg 39/16, und vom 15. Juni 2010, VII-Verg 10/10, jeweils zitiert nach juris). Hier kann indes nicht festgestellt werden, dass die Antragstellerin auch ohne die festgestellten Vergaberechtsfehler keine Chancen auf den Zuschlag gehabt hätte.
81aa. Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob das Angebot der Antragstellerin gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV hätte ausgeschlossen werden müssen, weil die geforderte Prüfbescheinigung für das GS-Zeichen nicht zusammen mit dem Angebot vorgelegt worden ist und infolgedessen das Angebot keine Chancen auf den Zuschlag hatte. Selbst wenn dies der Fall sein sollte – wofür in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Vergabekammer einiges spricht –, steht damit nicht fest, dass die Antragstellerin ihr Angebot auch dann ohne das geforderte GS-Zeichen eingereicht hätte, wenn die festgestellten Vergaberechtsverstöße nicht vorgelegen hätten. Die Antragstellerin hat sowohl im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer als auch im Beschwerdeverfahren umfassend vorgetragen, dass sich aufgrund der Verstöße gegen §§ 41 Abs. 1, 10 und 40 Abs. 3 S. 1 VgV die Zeit zur Beschaffung des GS-Zeichens insgesamt erheblich verkürzt habe. Der zu liefernde Tisch habe von ihr erst hergestellt werden müssen, wobei sie mit der Herstellung nicht vor Beschaffung des erforderlichen Zeichnungssatzes habe beginnen können, dessen Beschaffung sich wiederum aufgrund der Verfahrensverstöße der Antragsgegnerin erheblich verzögert habe.
82Diesen nachvollziehbaren Vortrag hat die Beigeladene nicht zu widerlegen vermocht. Aufgrund des Verstoßes gegen § 41 VgV war bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Antragstellerin den Zeichnungssatz von der Antragsgegnerin erhalten hat, nahezu ein Drittel der Angebotsfrist abgelaufen. Die Fertigstellung eines Mustertisches war ohne den Zeichnungssatz nicht möglich. Da eine Zertifizierung erst nach Herstellung des Baumusters und nach Transport an die Zertifizierungsstelle möglich ist (vgl. § 21 Abs. 1 ProdSG), konnte sich die Antragstellerin erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung um die Erlangung eines GS-Zeichens bemühen. Hinzu kommt, dass sich die Angebotsfrist für die Antragstellerin aufgrund der beiden weiteren Vergaberechtsverstöße nochmals verkürzt hat. Die in H. ansässige Antragstellerin hat durch die EU-weite Bekanntmachung erst einige Tage später als die im Inland ansässigen Unternehmen über die nationale Bekanntmachung Kenntnis von dem Vergabeverfahren erlangt. Auch nimmt die Postlaufzeit für EU-ausländische Bewerber erfahrungsgemäß mehr Zeit in Anspruch als die postalische Übermittlung im Inland und eine elektronische Übermittlung des Angebots.
83Aus dem Umstand, dass die Antragstellerin das geforderte GS-Zeichen erst im Januar 2018 vorgelegt hat, kann entgegen der Auffassung der Beigeladenen nicht geschlossen werden, dass die Antragstellerin auch ohne die Vergaberechtsverstöße der Antragsgegnerin nicht in der Lage gewesen wäre, das GS-Zeichen zusammen mit dem Angebot vorzulegen. Es trifft zwar zu, dass die Antragstellerin – wie diese in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst eingeräumt hat – sich im Nachgang zur Angebotsabgabe nicht mit „Nachdruck“ um die GS-Zertifizierung des Erstmustertisches bemüht hat. Hierzu bestand indes aus ihrer Sicht auch keine Veranlassung, weil die Antragsgegnerin mit E-Mail vom 2. November 2017 das GS-Zeichen ohne Fristsetzung nachgefordert hatte und es vielmehr der Antragstellerin überließ mitzuteilen, „wann sie in der Lage“ sei, das Muster vorzustellen.
84bb. Nichts zu ihren Gunsten kann die Beigeladene daraus herleiten, dass das Angebot der Antragstellerin nicht den technischen Anforderungen der Leistungsbeschreibung genügte und nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV zwingend auszuschließen war. Denn es steht nicht fest, dass die Antragstellerin dasselbe Angebot auch ohne die genannten Vergaberechtsverstöße abgegeben hätte.
85Nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV müssen Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind, von der Wertung ausgeschlossen werden. Die Vergabeunterlagen sind abgeändert, wenn der vom Bieter angebotene Leistungsumfang mit dem vom Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung und den Vertragsbedingungen geforderten Leistungsumfang nicht deckungsgleich ist (Senatsbeschluss vom 5. Oktober 2016, VII-Verg 24/16 – juris, Rn. 33; OLG Frankfurt/M. vom 26. Juni 2012, 11 Verg 12/11; Wagner in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 57 VgV Rn. 81).
86Das Angebot der Antragstellerin genügte nicht den technischen Anforderungen der Leistungsbeschreibung. In Ziffer 1.2.3 der Technischen Lieferbedingungen wird eine maximale Kraft pro Hubsäule von 1.200 N verlangt. Mit der Unterzeichnung des Angebotsblatts hat die Antragstellerin zwar erklärt, im Einklang mit den Technischen Lieferbedingungen einen Tisch mit zwei Hebesäulen mit jeweils einer Hubkraft von 1.200 N Hubkraft anzubieten. In der dem Angebot beigefügten GS-Prüfbescheinigung vom 19. August 2013, die sich auf den Tisch „B. 1“ bezog, wurde eine Tragkraft von 125 kg bescheinigt, die ca. 1.250 N entspricht. Die in Ziff. 2.1 der TL 7110-0093 geforderten 1.200 N pro Ecke/Seite ergibt indes einen Gesamtwert von mindestens 2.400 N. Zudem weist der geprüfte Tisch „B. 1“ eine Dicke von 25 mm auf und ist in „Melanin in den Farben grauweiß, grau F509, weiß Esche, champagner Eiche, Ferrara Eiche, graue Ferrara Eiche, wenge“ beschichtet. Dies widerspricht Ziffer 2.1.1 der Technischen Lieferbedingungen, wonach die Tischplatte 28 mm dick und beidseitig in Buche/Dekor beschichtet sein muss. Nach Ziffer 2.5 der Technischen Lieferbedingungen müssen die Metallteile des Tisches im Farbton „RAL 7021 schwarzgrau“ beschichtet sein. Im Angebot der Antragstellerin sind die entsprechenden Teile „grauweiß, gris 150, RAL 7045, RAL 9007, gris 2800, platin, schwarz 100“ beschichtet. Diese Widersprüche konnten auch nicht durch die geführten Aufklärungsgespräche aufgelöst werden.
87Aus den zutreffenden Gründen der angegriffenen Entscheidung der Vergabekammer steht aber nicht fest, dass die Antragstellerin ohne die Vergaberechtsverstöße der Antragsgegnerin ein inhaltsgleiches Angebot abgegeben hätte. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt hat, sie halte das mit dem Angebot eingereichte GS-Zeichen für den Tisch „B. 1“ „nach damaliger und heutiger Ansicht“ für ausreichend. Hiermit wollte sie nicht zum Ausdruck bringen, dass sie das für einen anderen als den ausgeschriebenen Bürotisch ausgestellte GS-Zeichen auch ohne den durch die Vergaberechtsverstöße bewirkten Zeitdruck ihrem Angebot beigefügt hätte. Dies folgt aus ihrem bisherigen schriftsätzlichen Vorbringen (siehe Schriftsatz vom 2. Juli 2018, dort S. 10). Danach wollte sie mit der Vorlage des Prüfzeichens für den Tisch „B. 1“ belegen, dass sie in der Lage sein wird, ein Prüfzeichen für den tatsächlich angebotenen Tisch zu erlangen, weil dieser Tisch – so ihre auch noch in der mündlichen Verhandlung für zutreffend gehaltene Ansicht – die von den Technischen Lieferbedingungen geforderte Hubkraft aufweise.
88cc. Die Antragsgegnerin war entgegen der Auffassung der Beigeladenen nicht gemäß § 60 Abs. 3 S. 1 VgV verpflichtet, den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin wegen eines unangemessen niedrigen Preises abzulehnen. Hierfür bestehen keine belastbaren Anhaltspunkte
89Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Antragstellerin wegen des großen preislichen Abstands zum Angebot der Beigeladenen gemäß § 60 Abs. 1 und 2 VgV einer Angemessenheitsprüfung unterzogen, indem sie die Antragstellerin aufgefordert hat, unter Beibringung des Formulars „Aufforderung zur Einreichung einer Vorkalkulation“ den von ihr angegebenen Selbstkostenpreis zu erläutern. Aufgrund dieser Angaben hat sie sodann die Preise überprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Preise zufriedenstellend aufgeklärt worden sind. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
90III.
91Über die beiden hilfsweise erhobenen Anschlussbeschwerden war nicht zu entscheiden, weil die Bedingung – der Erfolg der sofortigen Beschwerde der Beigeladenen – nicht eingetreten ist.
92IV.
93Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2 GWB i.V.m. § 78 GWB.
94Es entspricht gemäß § 78 S. 2 GWB der Billigkeit, der Beigeladenen die durch das unbegründete Rechtsmittel verursachten Kosten aufzuerlegen, jedoch ohne die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin. Sie hat – ebenfalls aus Gründen der Billigkeit - ihre Kosten selbst zu tragen, denn sie hat weder in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen eigenen Antrag gestellt, noch hat sie sich in relevantem Umfang schriftlich oder mündlich am Beschwerdeverfahren beteiligt.